Wolkenwächter von Alligator_Jack (Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1) ================================================================================ Kapitel 26: ------------ Im Schutz des Nebels und des Zwielichts der Morgendämmerung folgte die Sirene der Küstenlinie der Düstermarsch nach Norden. Dunst hing zwischen den dunklen Bäumen und stieg auf, als würde der ganze Wald kochen. Dahinter zeichneten sich die Ausläufer der Wolkenberge im Nebel ab. Noch waren sie kaum mehr als ein paar undeutliche, kaum zu erkennende Schatten, die sich nur um wenige Nuancen vom grauen Himmel abhoben. Brynne und Fjedor hatten mit ihren Leibwächtern jeweils eine der Kajüten bezogen, während Veits Crew in voller Mannschaftsstärke an Deck vertreten war und sich auf die ruppigen Kommandos ihres Kapitäns an den Segeln und Rudern zu schaffen machte. Währenddessen ließ Veit seinen scharfen Blick über das Küstengebiet schweifen. Noch war es geprägt von den dichten Baumkronen der Düstermarsch, aber das Gelände wies bereits einige deutliche Erhebungen auf, die ein eindeutiges Zeichen dafür waren, dass es nicht mehr lange dauerte, bis die Sirene die Mündung des Flusses Maldocan und somit die Ausläufer der Wolkenberge erreichte. Veit blickte nach Norden, wo das Meer in einem Schlund aus grauem Nebel verschwand. Mit angespannter Miene ging er zu Ilva, die am Steuerrad stand. Mit Fjedors Rabauken befanden sich über fünfzig Leute an Bord von Veits Schiff. Die Sirene war eigentlich nicht dafür gemacht, derart große Personengruppen zu transportieren, wenn es sich nicht gerade um Sklaven handelte, die unter Deck auf engstem Raum zusammengepfercht wurden. Die meisten Schmuggler hatten sich in den Laderaum zurückgezogen und dort lagen sie nun schnarchend zwischen den Vorratskisten. Es schien sie nicht zu stören, dass sie kaum genug Platz hatten, um sich im Schlaf umzudrehen. Andere lungerten an Deck herum, wetzten ihre schartigen Waffen oder lehnten einfach nur gelangweilt an der Reling. Keiner von ihnen brachte sich nützlich an Bord des Schiffes ein. Veit knirschte verärgert mit den Zähnen. Er hielt von seiner eigenen Mannschaft wirklich nicht besonders viel, aber dafür, dass sie aus zwielichtigen Halsabschneidern und Söldnern bestand, leistete sie gute Arbeit für einen vergleichsweise geringen Lohn. Fjedors Leute dagegen waren das letzte Lumpenpack. Das Leben in der Sturmerzmine hatte sie offenbar faul werden lassen. „Ein bisschen weiter nach Steuerbord“, murmelte Veit seiner rothaarigen Vertrauten zu. „Ich will bei diesem Nebel die Küstenlinie auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Sonst verpassen wir womöglich noch die Mündung.“ Ilva gehorchte und drehte das Ruder leicht nach rechts. Knarzend fuhr die Sirene einen kleinen Schlenker, ehe die Steuerfrau den Kurs wieder korrigierte. Veit trat an die Reling und blickte ins Wasser. Immer wieder tauchten tückische Felsen aus dem Nebel auf. Es war riskant, so nahe an der Küste zu segeln, aber anders konnte er sich bei diesen schlechten Sichtbedingungen nicht orientieren. „Es gefällt mir überhaupt nicht, dass wir diesen Brynne und seine Spießgesellen an Bord haben“, flüsterte Ilva leise. „Ich habe ein ganz mieses Gefühl in seiner Gegenwart.“ Veit drehte sich um und sah seine Steuerfrau gequält an. „Mir gefällt es auch nicht“, gab er zu. „Aber wenn uns nichts dazwischenkommt, sind wir ihn bald wieder los. Ich denke, wir werden den Oberlauf des Maldocan noch heute Abend erreichen. Dort kommen wir mit der Sirene nicht mehr weiter, also wird Brynne seinen Weg wohl oder übel zu Fuß fortsetzen müssen. Es sei denn, er hat die Macht, die Richtung des Flusslaufs zu ändern.“ Die Stimme des Kapitäns klang abschätzig. „Fjedor scheint große Stücke auf ihn zu halten“, sagte Ilva zögerlich. „Wenn es stimmt, was er sagt, dann haben auch wir Brynne eine Menge zu verdanken“, brummte Veit säuerlich. „Scheinbar war er es, der auf das Sturmerzvorkommen gestoßen ist. Kein Wunder, dass Fjedor ihm an den Lippen hängt, wie ein abgerichteter Hund. Er verdankt ihm seinen ganzen Reichtum.“ Ilva umklammerte krampfhaft die Handgriffe des Steuerrads und biss sich auf die Unterlippe. „Käpt’n, darf ich meine ehrliche Meinung sagen?“, fragte sie vorsichtig. Veit sie sah sie überrascht an. „Selbstverständlich“, erwiderte er. Er hörte, wie Ilva tief durchatmete. „Ich glaube, wir sollten aufhören, mit Fjedor Geschäfte zu machen“, stieß die rothaarige Frau zögerlich hervor. „Aber Ilva…“, murmelte Veit kopfschüttelnd. „Sieh doch nur, wohin uns seine Zusammenarbeit mit ihm geführt hat! Ich weiß, er ist ein verfluchter Mistkerl, aber einen besseren Partner werden wir niemals finden. Und selbst wenn wir ihm den Rücken zukehren, was sollen wir dann tun? Ich bin ein Schmuggler, Ilva, und ich werde immer einer bleiben. Etwas anderes hat das Schicksal nicht für mich bestimmt.“ Die Augen des Kapitäns leuchteten vor Gier und Ilva senkte traurig den Kopf. „All das Gold, das er uns gibt, nutzt uns nichts, wenn es uns ins Verderben führt“, flüsterte sie bedrückt. „Schmuggel ist eine Sache, Käpt’n, aber jetzt sind diese Leute auf einem Raubzug.“ „Das muss uns nicht interessieren“, entgegnete Veit. „Es ist lediglich unsere Aufgabe, Fjedors Lumpenpack in die Wolkenberge zu bringen. Alles andere geht uns nichts an. Also ist unser kleiner Abstecher im Grunde nichts anderes als das, was wir immer tun. Wir bringen unsere Fracht ungesehen von einem Ort zum anderen. Der einzige Unterschied ist, dass es diesmal lebendige Fracht ist.“ „Ich habe trotzdem die fürchterliche Vorahnung, dass es nicht gut endet, wenn wir uns weiterhin an Fjedor halten“, beharrte Ilva zerknirscht. Ihre Finger schlangen sich noch fester um die Handgriffe des Steuerrads. Veit konnte hören, wie das gemaserte Holz leise knirschte. Der Kapitän seufzte und trat direkt neben seine Steuerfrau. „Ach, Flammenhaar…“, murmelte er gedankenverloren und griff sachte nach einer feuerroten Strähne Ilvas, die er vorsichtig zwischen seinen Fingern drehte. „Bevor du zu mir kamst, war ich nur ein verbitterter Mann, dem alles genommen wurde, was er jemals besaß. Ich war verloren wie ein Schiff im Nebel. Aber dann habe ich dich gefunden, ein Mädchen mit dem Herzen einer Kämpferin, voll von trotzigem Lebenswillen. Und dein Haar leuchtete so hell wie das Licht eines Leuchtfeuers in der Dunkelheit. Du hast mich aus dem Nebel geführt. Solange du bei mir bist und mir den Rücken freihältst, kann mir nichts passieren.“ Ilva starrte stumm auf das Steuerrad. Veit erzählte diese Kurzfassung ihrer ersten Begegnung immer, wenn sie sich Sorgen machte, und normalerweise konnten sie seine Worte aufmuntern. Doch diesmal wurde sie das düstere, warnende Gefühl in ihrem Inneren nicht los. Veit strich ihr sanft über die Schulter und lächelte sie an. „Nicht mehr lange, Ilva“, sagte er und blickte sich verstohlen um. „Nur noch ein paar Fahrten. Sobald wir genug Geld verdient haben, um in Saus und Braus zu leben, werden wir uns absetzen, das verspreche ich dir. Vielleicht nach Grimhagen, wo uns niemand kennt. Würde dir das gefallen?“ Ilva nickte wortlos, doch sie konnte in den Augen ihres Kapitäns sehen, dass er nicht die Wahrheit sagte. Fjedors Einfluss hatte ihn verdorben und nun hatte ihn die Habgier fest im Griff. Ilva wusste, dass er dem selbsternannten Schmugglerkönig erst dann den Rücken kehren würde, wenn dessen Sturmerzader erschöpft und der Geldfluss versiegt war. Die Sirene erreichte das Küstengebiet von Khaanor kurz vor Sonnenaufgang. Noch immer tat sich das schwache Tageslicht schwer, gegen den dichten Nebel anzukämpfen, aber der Dunst wurde allmählich heller. Die Hafensiedlung lag am nördlichen Rand der Düstermarsch. Bei klarem Himmel warfen die Ausläufer der Wolkenberge in der Morgendämmerung ihre langen, bedrohlichen Schatten auf die einfachen Backsteinhäuser und Lehmhütten. Jetzt lagen die Behausungen der Bewohner Khaanors in grauen Nebelschwaden und waren lediglich als unförmige Umrisse im trüben Grau zu erahnen. Die Anlegestellen befanden sich direkt an der Mündung des Maldocan, der breit und träge aus Richtung Osten ins Meer floss. Weiter flussaufwärts verschwand der mächtige Strom zwischen den ersten Hügeln. Direkt an seinem Ufer führte ein Treidelpfad in die Berge, der jedoch nur spärlich benutzt wurde, da der Maldocan mit einem entsprechenden Schiff auch ohne die Hilfe von Zugtieren entgegen seiner Fließrichtung befahren werden konnte. Die Strömung des Auges war so schwach, dass man sie nur erahnen konnte, und erst dort, wo das Wasser des Flusses auf das Binnenmeer trat, bildeten sich stärkere Strudel und Stromschnellen. Um den Maldocan zu erreichen, musste die Sirene direkt durch den Hafen von Khaanor fahren und Veit hoffte, dass sein Schiff hier weniger bekannt war, als an den Gestaden von Ganestan. Der Kapitän bemerkte im schwachen Dämmerlicht des frühen Morgens erleichtert, dass in Khaanor keine Schiffe der Armee vor Anker lagen. Das machte es um einiges einfacher, den Fluss zu erreichen, ohne in Probleme zu geraten. Veit blieb dennoch aufmerksam und ließ seinen Blick über die verschlafene Siedlung im Morgennebel schweifen. Seine Mannschaft, insbesondere Ilva, spürte, dass ein nicht ganz ungefährliches Manöver bevorstand und die Anspannung stand jedem der Seeleute ins Gesicht geschrieben. Ilva trat zögerlich hinter ihren Kapitän. „Wie lauten die Anweisungen?“, erkundigte sie sich. „Wir steuern direkt auf die Mündung zu“, brummte Veit. „Dann werden wir sehen müssen, ob der Wind ausreicht, um uns den Fluss hinaufzutragen. Andernfalls geht es an die Riemen. Du übernimmst das Steuer.“ „Aye-Aye, Käpten!“, rief Ilva und eilte zügig davon. Veit sah grimmig zu, wie seine engste Vertraute zum Heck lief und entdeckte dabei Fjedor, der mit Nironil im Schlepptau gemütlich auf ihn zu schlenderte. „Was tust du denn da?“, fragte der Schmugglerkönig mit hochmütigem Grinsen. „Es gibt doch keinen Grund zur Eile.“ „Halt die Klappe“, knurrte Veit. „Ich bin hier der Kapitän und treffe die Entscheidungen.“ „Interessant, was man sich so alles auf seinen Posten einbilden kann.“ Fjedors selbstgefälliger Tonfall verhieß nichts Gutes. „Wir gehen hier an Land.“ Veit riss entrüstet die Augen auf. „Bist du völlig wahnsinnig?“, japste er entsetzt. „Wir können froh sein, wenn wir die Mündung erreichen, ohne von der Armee aufgegriffen zu werden. Dich kennt niemand, weil du dich unter der Erde verkriechst, aber ich bin auf dem Binnenmeer bekannt wie ein bunter Hund.“ „Das ist dein Pech“, entgegnete Fjedor kühl. „Aber ich bin zugegebenermaßen sehr enttäuscht, dass sich der berühmte Käpten Veit als Feigling herausstellt.“ Veit schnappte erbost nach Luft, doch Fjedor ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Stell dich jetzt nicht so an und lass den Hafen ansteuern“, fuhr er fort. „Die paar Soldaten, die in Khaanor stationiert sind, können uns mit Sicherheit nicht aufhalten.“ „Was denn?“, knurrte Veit gereizt. „Du glaubst allen Ernstes, dass sich dein zerlumpter Haufen mit der Armee anlegen kann? Das würde ich ja wirklich gerne sehen.“ Fjedors Gesichtsausdruck verfinsterte sich und sein süffisantes Grinsen verschwand. „Spar dir die Sprüche und tu einfach, was ich dir sage!“, verlangte er barsch. „Bei diesem Befehlston müssen wir über einen erhöhten Lohn sprechen“, stellte Veit fest. „Aber meinetwegen, dann legen wir eben an. Und nur damit das klar ist: Ich setze keinen Fuß an Land.“ „Schon gut, verkriech dich unter Deck!“, spottete Fjedor, ohne Veit damit aus der Fassung bringen zu können. Der Kapitän gab Ilva mit einem Wink den wortlosen Befehl, auf die Anlegestellen am Hafen von Khaanor zuzusteuern. Die Frau mit dem roten Haar zögerte einen Augenblick und sah Veit warnend an. Erst als dieser erneut und sehr energisch auf den Pier deutete, drehte sie das Steuerrad. Khaanor war nicht annähernd so stark befestigt wie Eydar im Süden. Es gab keine Stadtmauern und der Hafen war vergleichsweise klein, aber die Kaiserliche Armee war auch hier präsent. Den Oberbefehl über die in Khaanor stationierten Truppen hatten Kommandantin Geyra, eine hartgesottene, rotblonde Frau aus dem hohen Norden. Es hatte sie, wie viele andere Menschen aus Isenheim, die dem Ruf der plündernden Wilden widerstanden hatten, nach Ganestan gezogen. Das Militär hatte immer einen Platz für die kampferprobten und zähen Nordmenschen, denen es immer wieder gelang, in der Hierarchie der Armee rasch aufzusteigen. Geyra und Rhist hatten an der Akademie zum selben Jahrgang gehört und waren beinahe zeitgleich zu Kommandanten befördert worden. Während man Rhist zur Unterstützung von Syndus nach Eydar geschickt hatte, war Geyra die Befehlsgewalt über die Soldaten in Khaanor übertragen worden. Der Kommandantin stand nur ein kleines Bataillon zur Verfügung, das aber ausreichte, um die Hafensiedlung zu sichern. Unter ihrer Führung erlebte Khaanor eine ähnliche Entwicklung, wie sie bereits Eydar hinter sich gebracht hatte. Aus einem kleinen Stützpunkt der Armee in einem ärmlichen Fischerdorf aus Schlamm wurde langsam eine immer wohlhabendere Hafensiedlung. Doch auch in Khaanor verlief die Aufklärung der Vermisstenfälle erfolglos. Anfangs hatten Geyra und Meister Syndus noch eng kooperiert, doch seit Loronk das Zepter in Eydar übernommen hatte, war die Zusammenarbeit der beiden Stützpunkte auf einen minimalen Informationsaustausch zusammengeschrumpft. Der Brigadegeneral schien keinerlei Interesse an Unterstützung aus Khaanor zu haben, aber aufgrund der geringen Truppenstärke konnte Geyra ohnehin nicht genug Soldaten entbehren, um eine intensive Suche nach den verschwundenen Personen gewährleisten zu können. Nachdem vor einigen Tagen der grimmige Axtkämpfer und die zarte Eismagierin Khaanor verlassen hatten und nicht mehr aus der Düstermarsch zurückgekehrt waren, hatte Geyra kurzerhand die Notbremse gezogen. Die Kommandantin hatte verkünden lassen, dass jeder, der die Sumpfwälder betreten wollte, zu seiner eigenen Sicherheit inhaftiert werden würde. Die bloße Androhung einer Strafe hatte bislang ausgereicht, um Reisende davon abzuhalten, die Stadt auf dem Landweg zu verlassen. Die Bewohner von Khaanor wagten sich ohnehin schon lange nicht mehr über die Grenzen der Stadt hinaus. Die einzige Ausnahme war der eigenbrötlerische Waldelf Tareglir, der bereits vor einigen Monaten in die Hafenstadt gekommen war. Angeblich war er ein Gelehrter aus Ganestan und erforschte die in der Düstermarsch lebenden Tiere. Der Waldelf war ein wirklich seltsamer Kauz, aber auch der einzige, der sich freiwillig in die Sumpfwälder begab und jedes Mal aufs Neue unversehrt zurückkehrte. Geyra hatte davon abgesehen, ihn verhaften zu lassen, denn augenscheinlich kannte er die Düstermarsch wie seine Westentasche. Außerdem neigte er dazu, äußerst ungehalten zu reagieren, wenn man seinen Forschungen im Weg stand. Obwohl es noch früh war, entging den in Khaanor stationierten Soldaten die Ankunft des Schiffs nicht. Geyra befand sich auf ihrer morgendlichen Stippvisite im Hafen und teilte die Wachen ein, als die Sirene aus dem Küstennebel auftauchte. Die athletische Kommandantin richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und beobachtete mit strengem Blick, wie das Schiff in den Hafen einlief. Die Besatzung schien mit den unvorhersehbaren Strömungen zu kämpfen zu haben, die sich an der Mündung des Maldocan bildeten, doch schließlich gelang es ihnen, ihren Kahn in den Fluss zu manövrieren. Das Hafenbecken selbst war so ruhig wie ein See bei absoluter Windstille und mit bloßem Auge war nicht zu erkennen, dass weitere Wassermassen aus den Bergen träge nachdrängten. Geyra strich sich ihren widerspenstigen Zopf energisch zurück in den Nacken und ging in Begleitung zweier Soldaten zu der Anlegestelle, auf die das Schiff zusteuerte. Neuankömmlinge, die länger im Hafen vor Anker gehen wollten, mussten sich registrieren und Geyra wollte sich erkundigen, mit welchen Absichten die Besatzung nach Khaanor kam. Der Zweimaster knarzte leise, als er mit eingeholten Segeln direkt neben der Anlegestelle ruckartig stehenblieb. Sofort schwangen sich zwei unrasierte, schmutzige Männer über Bord, um das Schiff zu vertäuen. Geyra runzelte die Stirn. Diese Kerle sahen aus wie Piraten. Mit festen Schritten steuerte direkt auf die beiden zerlumpten Seefahrer zu, die sie offensichtlich noch nicht bemerkt hatten. „Ich grüße Euch!“, rief sie mit fester Stimme und die Männer zuckten erschrocken zusammen. „Ich bin Kommandant Geyra, die Befehlshaberin der hiesigen Truppen. Wer ist der Kapitän dieses Kahns?“ Veit verfluchte Fjedor innerlich für seine Sorglosigkeit, doch nach außen gab er sich ruhig. Es war nicht das erste Mal, dass er es mit Hafenwachen zu tun bekam und bislang war es ihm immer gelungen, die Situation mit Worten zu entschärfen und zu klären. Es bestand dennoch das Risiko, dass einer der Soldaten das Schiff oder sein Gesicht erkannte, doch hier spielte den Schmugglern das Zwielicht der Dämmerung und der noch immer dichte Nebel in die Karten. Veit hoffte einfach, dass keines seiner Crewmitglieder die Nerven verlor und sich Fjedors Banditen an Deck zurückhielten. Diesen Gaunern sah man an der Nasenspitze an, dass sie keine unbescholtenen Reisenden waren. Er trat rasch an die Reling und stützte sich mit schweißnassen Händen auf die Brüstung. Mit verkniffenem Mund blickte er zu den drei Soldaten hinab, die an der Anlegestelle warteten. Die rothaarige Frau, die sich als Kommandantin vorgestellt hatte, erwiderte seinen Blick voller Ungeduld und tippte mit den Fingern auf den stählernen Kopf eines schlanken Kriegshammers, den sie am Gürtel trug. Die beiden Schmuggler, die das Schiff vertäut hatten, wichen angespannt zurück. „Ich bin der Kapitän“, rief Veit mit gedämpfter Stimme. „Kann ich Euch helfen?“ „Das könnt Ihr in der Tat“, erwiderte Geyra. Veit versuchte auf ihrem Gesicht eine Regung zu erkennen, doch es war so ausdruckslos und hart wie eine Maske aus Stein. „Seefahrer, die im Hafen anlegen, müssen sich bei der Hafenwache melden, wenn sie länger vor Anker liegen wollen. Also sagt mir bitte, welche Geschäfte Euch nach Khaanor führen.“ „Wir sind nur auf der Durchreise“, erwiderte Veit angespannt. „Unser Ziel liegt weiter flussaufwärts in den Wolkenbergen.“ „So?“, gab Geyra zurück und nun erkannte Veit an ihren zusammengeschobenen Augenbrauen den Anflug von Misstrauen auf ihrem Gesicht. „Und weshalb legt Ihr hier im Hafen an?“ Veit biss sich auf die Unterlippe. Unwillkürlich warf er Fjedor einen hilfesuchenden Blick zu. Der Schmugglerkönig schnaufte missbilligend und ließ wieder sein schiefes, selbstgefälliges Grinsen sehen. Dann trat er steif an die Reling heran. „Keine Sorge, wir sind sofort wieder weg“, versprach er großspurig und hob seine Hände in einer entwaffnenden Geste. „Ich dachte, er ist der Kapitän“, brummte Geyra argwöhnisch und deutete auf Veit. „Also mischt Euch nicht ein!“ „Nun, es mag sein, dass mein werter Freund hier dieses Schiff und seine Mannschaft befehligt, aber wir haben auf meine Bitte hin in Eurem hübschen, kleinen Hafen angelegt“, entgegnete Fjedor. Aus seinem Grinsen wurde ein Lächeln, das man beinahe als charmant hätte bezeichnen können. Geyra konnte er damit augenscheinlich aber nicht um den Finger wickeln. „Wisst Ihr, wir sind lediglich hier, um einen guten, alten Freund von mir abzuholen. Wir bleiben also nicht lange hier.“ Veit runzelte argwöhnisch die Stirn und warf Fjedor einen hasserfüllten und gleichzeitig fragenden Blick zu. Geyra bemerkte das und verengte die Augen zu Schlitzen. Sie musterte Veit mit stummem Misstrauen und den Kapitän befiel ein unangenehmes Gefühl. Wenn sie sein Gesicht erkannte, war alles aus. Mit einem leisen Räuspern trat er von der Reling zurück und wandte sich nervös ab. Er spürte, wie Geyras forschender Blick noch eine Weile auf ihn gerichtet war, ehe sich die Kommandantin wieder an Fjedor wandte. „Ihr wollt also lediglich einen Passagier an Bord holen, sehe ich das richtig?“, fragte sie lauernd und legte den Kopf schief. „So ist es, Verehrteste. Ich habe dieses Schiff bereits erwartet.“ Die rothaarige Kommandantin drehte sich ruckartig um, als hinter ihr eine näselnde Stimme ertönte. Veit riskierte einen verstohlenen Blick über die Reling. Am Pier war ein blonder Waldelf erschienen, der auf ihn einen unangenehm eitlen Eindruck machte. Seine glänzenden Seidengewänder und die Ringe an seinen Fingern standen im Kontrast zu seinem struppigen Bart und insgesamt sah der Elf ziemlich albern aus. Veit schob missgestimmt die Augenbrauen zusammen. Offenbar handelte es sich bei diesem Kerl um die Person, die Fjedor unbedingt an Bord holen wollte. Der Kapitän wollte gar nicht genau wissen, wer dieser seltsame Bursche war. Er war einfach froh, dass der Waldelf so aufmerksam gewesen war, die Ankunft der Sirene zu erwarten. Das sparte den Schmugglern eine Menge Zeit, in der die Gefahr bestand, dass irgendjemand das Schiff oder Veit erkannte. Die beiden Soldaten in Geyras Begleitung sahen den Waldelfen überrascht an. „Ihr seid es, Tareglir“, bemerkte die Kommandantin brummig. „Bedürfen Eure Forschungen etwa das Verlassen unserer Siedlung?“ „So ist es, Verehrteste“, verkündete der Elf und deutete eine Verbeugung an. Veit verzog beim säuselnden Klang seiner Stimme angewidert das Gesicht. „Ich hatte eine schöne und ergiebige Zeit in Khaanor, doch ich komme hier nicht weiter. Deshalb verabschiede ich mich nun.“ „Darf ich fragen, wohin Euch Eure Reise führen wird?“, fragte Geyra argwöhnisch. „Selbstverständlich dürft Ihr das, Verehrteste“, erwiderte Tareglir großspurig. Er streckte einen Arm aus und deutete mit einer weitausladenden Handbewegung auf die Sirene. „Dieses Schiff wird mich den Maldocan hinauftragen und in die Wolkenberge führen. Dort werde ich meine Forschungen auf das Gebiet des Verhaltens der dort lebenden Harpyien ausweiten.“ Die beiden Soldaten sahen beeindruckt aus, wie zwei Kleinkinder, denen zum ersten Mal Magie gezeigt wurde. Geyra dagegen wirkte alles andere als überzeugt. „Seid Ihr sicher, dass Ihr mit diesen Gestalten reisen wollt?“, erkundigte sie sich skeptisch und warf den beiden Seemännern, die das Schiff vertäut hatten und sich nun unschlüssig auf dem Pier herumdrückten, einen missbilligenden Blick zu. „Besonders vertrauenserweckend sehen sie nicht aus.“ Tareglir schenkte der Kommandantin ein entwaffnendes Lächeln. „Nun, man kann sich seine Gesellschaft nicht immer aussuchen, nicht wahr, Verehrteste? Mir wäre auch wohler, wenn ich an Bord eines prächtigen Transportschiffs unter dem Kommando eines Kapitäns mit gutem Geschmack reisen könnte, aber ich muss mit dem Vorlieb nehmen, was meine Auftraggeber für mich ausgewählt haben. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass mich diese Leute sicher in die Wolkenberge bringen werden, auch wenn ich zugeben muss, dass ich schon jetzt eine Abneigung gegen die unschönen Düfte entwickle, die dieser Kahn verströmt.“ Der Waldelf verzog bei den letzten Worten das Gesicht und legte sich den Saum seines seidenen Ärmels über die Nase. An Bord der Sirene spürte Veit, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er warf Fjedor einen vernichtenden Blick zu. „Ist das dein Ernst?“, zischte er mit gedämpftem Zorn. „Du riskierst, dass man mich erkennt und alles auffliegt, weil du diesen aufgeblasenen Lackaffen an Bord holen willst?“ „Das sind die Anweisungen von Brynne“, entgegnete Fjedor aus dem Mundwinkel. „Tareglir ist einer seiner Diener und war einer unserer wertvollsten Informanten. Brynne möchte ihn nur ungern hier zurücklassen.“ Veit versicherte sich kurz, dass Geyra nicht hinsah. Die Aufmerksamkeit der Kommandantin war im Augenblick vollkommen auf Tareglir gerichtet. Veit baute sich vor Fjedor auf und packte ihn beim Kragen. „Hast du jetzt endgültig den Verstand verloren?“, keifte er wütend. „Der Schmuggel läuft ausgezeichnet. Warum traust du dich auf einmal aus deiner Höhle raus? Auf diesen Raubzug könntest du ohne Probleme verzichten. Mit dem Sturmerz verdienen wir uns dumm und dämlich! Warum willst du all das für diesen Brynne aufs Spiel setzen? Wer ist dieser Kerl überhaupt?“ Der Kapitän hörte, wie Nironil einen Pfeil aus seinem Köcher zog und die Bogensehne spannte. Der loyale Waldelf schritt ein, so wie immer, wenn sich jemand Fjedor auf unangenehme Art und Weise näherte. Der Schmugglerkönig erwiderte Veits Blick mit versteinerter Miene. „Lass mich los!“, befahl er grimmig. Veit gehorchte zunächst nicht, doch im Augenwinkel achtete er auf die Hand, mit der Nironil die Sehne hielt. „Du warst schon immer ein Dreckskerl“, zischte er schließlich und stieß Fjedor von sich. Nironil ließ fast augenblicklich den Bogen sinken. „Aber es passt nicht zu dir, dass du dich von so einem dahergelaufenen Kerl wie diesem Brynne herumkommandieren lässt.“ Fjedor richtete sich den Pelzkragen, der von Veits Griff ausgeleiert worden war. Wichtigtuerisch reckte er die Nase in die Höhe. „Brynne kommandiert mich nicht herum“, korrigierte er. „Wir sind Geschäftspartner.“ „Wenn du dir das lange genug einredest, glaubst du es eines Tages vielleicht wirklich selbst“, knurrte Veit geringschätzig. „Mir ist egal, was du denkst“, gab Fjedor patzig zurück. „Aber wir haben es beide einzig und allein Brynne zu verdanken, dass wir bald stinkreich sind. Und ich habe immerhin noch den Anstand, diesen Gefallen zurückzuzahlen. Brynne wird es mir tausendfach vergelten, wenn ich ihm jetzt helfe, und wenn du brav mitspielst, bekommst du auch deinen Teil vom Kuchen ab.“ „Natürlich, dieser Kerl sieht ja schon aus, wie der reinste Wohltäter!“, stieß Veit sarkastisch hervor und spuckte verächtlich aus. „Mach doch, was du willst! Aber ich sag dir eines: Egal, aus welchem Grund euch Brynne in die Wolkenberge führt, am Ende wird nur er von diesem kleinen Ausflug profitieren. Allmählich frage ich mich, warum ich mich überhaupt jemals auf eine Zusammenarbeit mit dir eingelassen habe.“ Fjedor grinste triumphierend. „Ganz einfach“, antwortete er höhnisch. „Weil du damals noch kein Idiot warst und sofort erkannt hast, wenn du aus einem Geschäft schnell und einfach Profit schlagen konntest. Aber du bist alt geworden und das hat dir ganz offensichtlich nicht gut bekommen. Und jetzt mach deine Arbeit und hol den Elfen an Bord!“ Der Schmugglerkönig machte auf dem Absatz kehrt, stolzierte mit Nironil an seiner Seite davon und ließ Veit, der vor Wut kochte, einfach stehen. Der Kapitän ballte die Fäuste und stieß einen gedämpften Fluch aus. Er trat zurück an die Reling und sah mit bitterbösem Blick zum Pier hinunter. Dort unterhielten sich die Soldaten und der Tareglir wie alte Freunde, während Geyra teilnahmslos danebenstand. Veit konnte hören, wie der Waldelf gerade von seinen bahnbrechenden Erkenntnissen zum Rudelverhalten von Wargen erzählte. Erleichtert nahm der Kapitän zur Kenntnis, dass Geyras Misstrauen allmählich zu verfliegen schien. „Auch wenn Ihr Euch auf diesem Gebiet bestens auskennt, solltet Ihr trotzdem auf Euch aufpassen“, hörte er sie murmeln. „Die Gefahren der Düstermarsch sind eine Sache, aber sich in das Revier der Harpyien der Wolkenberge zu wagen, grenzt an Wahnsinn.“ „Eure Sorge rührt mich, Verehrteste“, erwiderte Tareglir mit schmeichlerischem Unterton. Während er sprach, gestikulierte er unablässig in schwungvollen Handbewegungen. „Mein umfangreiches Wissen über das Jagdverhalten dieser Ungeheuer dient als ausgezeichneter Schild. Die Düstermarsch konnte mich nicht schrecken und die Wolkenberge werden es auch nicht können.“ Er trat einen Schritt zurück, breitete theatralisch die Arme aus und zwinkerte Geyra zu. „Außerdem solltet Ihr doch froh sein, mich endlich loszuwerden. Ich weiß doch, dass Ihr ständig Angst hattet, dass ich in den Sümpfen verschwinde, wie all diese armen Seelen, deren ungeklärtes Schicksal Euch solche Sorgen bereitet, Verehrteste. Aber ich bin nicht verschollen und was in den Wolkenbergen geschieht, hat Euch nicht zu kümmern.“ Die ersten Sonnenstrahlen fanden ihren Weg über die Gipfel der Wolkenberge und durchbrachen den Nebel. Veit verlor die Geduld. „Wenn dieser Wichtigtuer noch ein Wort sagt, vergesse ich mich“, zischte er verärgert und mischte sich mit einem deutlichen Räuspern in das Gespräch der Soldaten und des Waldelfen ein. „Ich will nicht unhöflich sein. Aber der Wind steht im Augenblick günstig. Wenn wir nicht schnell aufbrechen, könnten wir eine glänzende Gelegenheit verpassen, auf dem Maldocan gute Fahrt zu machen. Wenn wir rudern müssen, wird uns das eine Menge Zeit kosten.“ Tareglir lächelte Geyra zu. „Ihr habt es gehört, Verehrteste“, sprach er und verbeugte sich. „Ich will den Kapitän nicht länger warten lassen. Gehabt Euch wohl! Vielleicht sehen wir uns wieder, wenn meine Feldstudie in den Bergen erfolgreich war.“ „Auf ein baldiges Widersehen, Tareglir!“, riefen die beiden Soldaten wie aus einem Mund. Geyra nickte dem Waldelfen distanziert zu. „Viel Glück“, sagte sie. „Ich habe das Gefühl, Ihr könntet es noch brauchen.“ Tareglirs Antwort war nur ein helles Lachen. Er machte schwungvoll auf dem Absatz kehrt, wobei der Saum seines langen Seidengewands um seine schlanken Beine flatterte, und schritt gemächlich auf die Laderampe zu, wobei er Geyra und den beiden Soldaten zum Abschied immer wieder zuwinkte. Die Schmuggler am Pier warteten ungeduldig darauf, die Taue der Sirene endlich wieder lösen zu können, während Veit mit barschen Befehlen die Laderampe ausfahren ließ. Tareglir stolzierte so bedächtig an Bord, als wollte er jedem seiner Schritte besondere Bedeutung zumessen. An Deck drehte er sich zur Reling um und setzte seinen gestenreichen Abschied fort. Erst als die beiden Schmuggler an der Anlegestelle die Taue lösten, an Bord kletterten und die Rampe wieder einholten, stellte der Waldelf sein Gehabe ein und strich sich den glänzenden Stoff seiner Gewänder glatt. „Setzt die Segel!“, rief Veit und sofort kam Bewegung in den Rest seiner Mannschaft, der angespannt an Deck herumgelungert hatte, seit sie angelegt hatten. Sie alle hatten es furchtbar eilig, die Befehle ihres Kapitäns auszuführen, um den Hafen und Geyras strenge Blicke möglichst schnell hinter sich zu lassen. Als sich das Segel im Wind blähte und die Sirene ächzend Fahrt aufnahm, atmete Veit erleichtert auf. Tareglir schritt über das Oberdeck und sah sich lustlos um. „Das ist also das Schiff, das mein Meister für die Fahrt ausgewählt hat“, stellte er fest und rümpfte die Nase. „Ich hatte gehofft, er würde einen Kahn aussuchen, der etwas mehr Würde ausstrahlt.“ Veit, der gerade wild gestikulierend zu Ilva laufen wollte, um ihr zu sagen, dass sie die Sirene nahe dem Ufer halten sollte, hielt in seiner Bewegung inne und stierte den Waldelfen erbost an. „Sag mal, geht’s noch?“, rief er atemlos und baute sich drohend vor Tareglir auf. „Du Fatzke bist hier auf meinem Schiff, also benimm dich gefälligst!“ Tareglir blickte abschätzig zu dem geblähten Segel empor. „Ihr müsst also Kapitän Veit sein“, erwiderte er abwesend. „Ich habe schon einiges von Euch gehört. Mein Name ist Tareglir. Verzeiht mir, aber jetzt ist nicht der richtige Moment, um uns genauer miteinander bekannt zu machen. Wo ist mein Meister? Ich begehre mit ihm zu sprechen.“ Veit stand kurz davor, einen Wutanfall zu erleiden. Das hochnäsige Auftreten des Waldelfen ging ihm auf die Nerven. Zusätzlich erzürnte ihn, dass Tareglir ihn offensichtlich nicht ernst nahm. Er wollte ihn beim Kragen packen und tüchtig durchschütteln, doch in diesem Augenblick trat Gilroy auf den Plan und schritt ein. „Meister Brynne ist selbstverständlich in einer Kajüte unter Deck“, verkündete der Dunkelelf. „Immerhin bricht der Tag an.“ Tareglir ließ den schäumenden Veit links liegen und breitete in gespielter Freude die Arme aus. „Gilroy!“, rief er hochtrabend und umarmte den Dunkelelfen überschwänglich. „Wie lange ist das her?“ Gilroy machte keine Anstalten, auf Tareglirs Begrüßung zu reagieren, sondern zog den Waldelfen mit sich. Sein Gesicht blieb dabei wie versteinert. „Dein Aufenthalt in Khaanor scheint dir gutgetan zu haben“, stellte er tonlos fest. Tareglir strich sich stolz seine Gewänder glatt. „Ja, nicht wahr?“, erwiderte er stolz. „Man muss nur wissen, wie man sich verkaufen muss. Ich habe mich in Khaanor als Gelehrter ausgegeben, der die hiesigen Raubtiere untersuchen möchte. Ich musste der tumben Bevölkerung nur meine geistige Überlegenheit demonstrieren und schon begegnete mir jeder mit dem angemessenen Respekt. Zugegeben, das Geld, mit dem mich Fjedor für meine Dienste entlohnt hat, war auch recht hilfreich, um mir einen Status als angesehener Bürger zu verschaffen.“ „Du hast Geld von den Schmugglern angenommen?“ Gilroy klang misstrauisch. Tareglir grinste breit. „Selbstverständlich“, erklärte er. „Immerhin habe ich mich für sie immer wieder in diesen furchtbar schmutzigen Sumpf gewagt, um ihnen arglose Reisende in die Arme zu treiben. Ich habe mir bei fast jedem Ausflug in diese gottverdammte Gegend die Gewänder ruiniert und musste mir wöchentlich neue Kleidung kaufen.“ „Hier geht es nicht um dich und deinen Wohlstand, Tareglir“, sagte Gilroy vorwurfsvoll. „Ist dir die falsche Existenz, die du dir in Khaanor aufgebaut hast, etwa zu Kopf gestiegen? Wir tun all das für unseren Meister, oder hast du das etwa schon vergessen?“ „Natürlich nicht“, verteidigte sich der Waldelf. „Aber nichts spricht dagegen, dass ich Meister Brynne diene und mir gleichzeitig ein Leben in Luxus ermögliche. Meine Pflichten habe ich dadurch jedenfalls nicht vernachlässigt. Ich glaube nicht, dass der Meister einen Grund hat, sich über meine Arbeit zu beschweren. Du hättest es genauso machen sollen.“ Tareglir betrachtete Gilroy und dessen abgetragene Kleidung verächtlich. „Als was hast du dich getarnt? Etwa als Bettler?“ „Ich war Fischer“, entgegnete der Dunkelelf. „Ich habe selbst für meinen Lebensunterhalt gesorgt und gleichzeitig die Aktivitäten des Ordens im Auge behalten. Ich habe mich stets unauffällig verhalten. Und dabei wären glänzende Gewänder nur hinderlich gewesen.“ „Fischer“, wiederholte Tareglir spöttisch. „Du bist wirklich tief gesunken, Gilroy. Ich hätte nicht gedacht, dass sich Brynnes treuester Gefolgsmann dazu herablassen würde, vor einer heruntergekommenen Hütte Netze zu flicken und Fische auszunehmen. Ich fürchte, unser Meister wird sich ernsthafte Gedanken darüber machen müssen, ob es nicht langsam an der Zeit ist, einen neuen Vertrauten auszuwählen. Du hast ganz offensichtlich deinen Stolz verloren.“ „Nein“, erwiderte Gilroy ungerührt. „Ich scheue mich lediglich nicht davor, mir zum Wohl unseres Meisters die Hände schmutzig zu machen. Und das schätzt Brynne an seinen Dienern bei Weitem mehr, als das Tragen von seidenen Gewändern und anderem Blendwerk.“ In Tareglirs Augen flackerte kurz geballte Wut auf, doch dann lachte er. Es klang heiser und gekünstelt. Er legte dem Dunkelelfen scheinbar freundschaftlich den Arm um die Schultern. „Lass uns nicht streiten, alter Gefährte. Bring mich lieber zu unserem Meister!“ Gilroy nickte finster und führte den Waldelfen über eine Luke ins Unterdeck. Veit sah den beiden grimmig hinterher. Er kochte noch immer vor Zorn. Seit Brynne an Bord gekommen war, lief nichts mehr nach seinen Wünschen. Fjedor untergrub seine Autorität als Kapitän und Tareglirs Arroganz machte ihn rasend. Er versuchte, seiner Wut Luft zu machen, indem er gegen ein Vorratsfass trat, das fest an der Reling vertäut war, aber das Ergebnis war nur ein stechender Schmerz in seinem großen Zeh. Sein Zorn hatte nicht nachgelassen. Veit atmete tief durch und rieb sich die Schläfen. Missmutig stapfte er zum Heck, wo Ilva am Steuerrad stand. „Näher ans Ufer“, befahl er seiner Vertrauten. „Dort ist die Strömung nicht so stark und wir machen bessere Fahrt.“ Ilva gehorchte und korrigierte den Kurs leicht nach Steuerbord. Die Sirene geriet in einen schwachen Wasserwirbel und bäumte sich für einen Moment knarzend auf. Dann war die Oberfläche des Maldocan wieder ruhig und friedlich und das Schiff glitt unter dem geblähten Großsegel gemächlich dahin. Veit stützte sich grimmig auf die Reling und ließ seine Augen über das Deck der Sirene wandern. Er hatte langsam das ungute Gefühl, nicht mehr der Kapitän seines eigenen Schiffes zu sein. Und plötzlich befiel ihn der beunruhigende Gedanke, dass Ilva mit ihrer Sorge recht behalten könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)