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Wolkenwächter

Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1
von

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Es war ein warmer Sommermorgen in der großen Kaiserstadt Kaboroth. Der glänzende Turm des Herrscherpalastes, vor Äonen von den Lichtelfen, den längst verschollenen Ureinwohnern Gäas, errichtet, reflektierte grell blitzend die Strahlen der Morgensonne. In der Kaserne der Kaiserlichen Armee versammelten sich die Soldaten gerade in der Kantine, um sich vor der Ausübung ihrer täglichen Pflichten oder speziellen Sonderaufträgen zu stärken. Einer der letzten Soldaten, die eintrafen, war Sason, Hauptmann der Kaiserlichen Armee und Kapitän der Küstenklinge, einem kleinen Kriegsschiff der Flotte. Unter seinen Vorgesetzten und Untergebenen war er gleichermaßen beliebt, denn trotz seiner tiefenentspannten Art, für die ihn seine Leute sehr schätzten, erledigte er seine Aufträge immer zuverlässig und zur Zufriedenheit der ihm vorgesetzten Stabsoffiziere, wenn auch stets in äußerst minimalistischer Manier. Sason selbst genoss die Privilegien seines Ranges, die ihm eine Menge Freiheiten erlaubten. Er hatte es perfektioniert, ein entspanntes Leben in den Reihen der Armee zu führen, und solange Lynea, die Göttin des Friedens, ihre schützende Hand über Ganestan hielt, sah der Hauptmann keine Veranlassung, etwas an seiner Einstellung zu ändern. Als Kapitän eines Kriegsschiffes war es seine Aufgabe, die Küstengebiete des Reiches zu sichern und so hatte er es meist mit Piraten zu tun. In der Kaiserstadt selbst hatte er keine Aufgaben und konnte während seines Aufenthaltes an Land gemütlich die Füße hochlegen. Auch wenn er die Seefahrt liebte, war sie für ihn unweigerlich mit Arbeit verbunden und er konnte deshalb nicht behaupten, dass er das Meer besonders vermisste.

Sason war ein stämmiger Mann mittleren Alters, ein geborenes Kämpfertalent, und seine dunkle Hautfarbe ließ erkennen, dass er nicht aus dem Herzland des Kaiserreichs, sondern von den Südlichen Inseln von Grimhagen stammte. Sein schwarzes, krauses Haar war an den Seiten gründlich abrasiert und auf dem Scheitel zu mehreren Reihen ordentlicher Zöpfe geflochten. Im Gegensatz dazu stand sein ungepflegter Dreitagebart, der das Muttermahl über dem rechten Mundwinkel fast verschwinden ließ. Und obwohl er durch sein unrasiertes Antlitz recht wild wirkte, lag auf seinem Gesicht mit den dauernd lächelnden Lippen und den kleinen, treuen Hundeaugen ein stets freundlicher Ausdruck, der ihn einfach sympathisch wirken ließ. Viele Kinder, die in der Kaiserstadt lebten und den kraftstrotzenden Kapitän kannten, hatten in seiner Nähe ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit und nicht wenige von ihnen nannten ihn liebevoll Onkel Sason.

Der Hauptmann suchte sich mit seiner Morgenration den Weg zur Tafel der Offiziere und fand seinen Platz neben einem blonden Soldaten. Obwohl Aluc noch jung war, hatte er die Laufbahn eines Unteroffiziers im Eiltempo durchschritten und befand sich nun in einer Position, in der er Untergebene hatte, die mehr als doppelt so alt waren wie er. Wie Sason bekleidete auch er den Rang eines Hauptmanns und galt als aussichtsreichster Kandidat für eine Beförderung zum Stabsoffizier. Er sprühte nur so vor Ehrgeiz und auch wenn das eine Eigenschaft war, die der gemütliche Sason überhaupt nicht nachvollziehen konnte, so hegte er seinem jungen Kameraden gegenüber doch große Sympathien. Aluc würde es noch weit bringen und Sason würde der Letzte sein, der seinem kometenhaften Aufstieg in der Hierarchie der Armee im Weg stehen würde.

Der Hauptmann von den Südlichen Inseln nahm neben seinem Kollegen Platz und gähnte zur Begrüßung herzhaft.

„Guten Morgen“, erwiderte Aluc. „Du bist spät dran.“

Sason sah sich blinzelnd um und rieb sich den letzten Sand aus den Augen. Tatsächlich hatten bereits einige Soldaten ihre Mahlzeit beendet und standen auf, um den Speisesaal zu verlassen. „Und wenn schon“, murmelte er. „Es war spät gestern Nacht.“

„Das Leben in der Kaserne tut dir nicht gut“, stellte Aluc mit einem Blick auf Sasons Bauch fest. „Seit deinem letzten Auftrag hast du ein bisschen zugelegt. Wie lange hattest du jetzt schon nichts mehr zu tun?“ Sason blickte beleidigt an sich hinab. Tatsächlich wölbte sich das wenig schmeichelhafte Leinenhemd, das er anstelle seiner Offiziersrüstung trug, ziemlich unvorteilhaft über sein nicht zu übersehendes Bäuchlein. Er verschränkte die Arme unterhalb der Brust und verdeckte dadurch seine Speckreserven. „Drei Monate“, antwortete er und gähnte erneut. „Die Piraten halten sich bedeckt. Es gibt keine Aufträge für mich. Und was ist mit dir? Arbeitest du schon wieder fleißig an der nächsten Beförderung?“

„Man tut, was man kann“, erwiderte Aluc und grinste. „Wenn ich Stabsoffizier bin, weht hier jedenfalls ein anderer Wind, mein Freund.“

Sason lachte. „Kann‘s kaum erwarten!“, rief er und wuschelte Aluc durch die blonden Haare. „Ich sollte es wohl besser ausnutzen, dir momentan noch auf der Nase herumtanzen zu können.“ Aluc knuffte Sason mit dem Ellbogen in die Seite und erwiderte sein Lachen. Die beiden balgten sich ein wenig, dann widmete sich jeder seiner Mahlzeit. Sason besah sich die Holzschüssel, in der eine nicht näher definierbare, bräunliche Masse schwamm, und verzog angewidert den Mund. „Die Köche haben sich wieder selbst übertroffen“, brummte er missmutig und winkte eine der Bediensteten zu sich. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Erbrochenes auf dem Speiseplan der Offiziere steht“, beschwerte er sich mit einem Augenzwinkern. „Außerdem glaube ich auch nicht, dass es der Entwicklung unserer Soldaten besonders zuträglich ist, wenn sie so einen Fraß serviert bekommen!“

Das Dienstmädchen, dem Sasons tägliche Beschwerden schon längst bekannt waren, blieb vorerst souverän. „Esst es oder lasst es bleiben“, erwiderte sie im Vorbeigehen. „Etwas anderes bekommt Ihr heute nicht auf den Tisch.“

Sason sah ihr grinsend nach. „Sie können mir einfach nicht widerstehen.“

„Knallkopf“, brummte Aluc und verpasste Sason einen weiteren kumpelhaften Schlag in die Rippen. „Und jetzt hör auf mit dem Theater und iss, sonst spucken sie dir eines Tages noch in den Eintopf.“

Als alle anderen Soldaten den Speisesaal bereits verlassen hatten, saß Sason noch immer an seinem Platz. Er hatte sich noch zweimal einen Nachschlag bringen lassen, allerdings nicht ohne dabei zu betonen, dass der Eintopf genauso fürchterlich schmeckte, wie er aussah. Inzwischen war der Geduldsfaden des Dienstmädchens bis zum Äußersten strapaziert. Aluc leistete seinem Kameraden noch Gesellschaft, allerdings nur, weil er der Ansicht war, das arme Mädchen nicht mit Sason alleine lassen zu können. „Du benimmst dich wie ein Schwein“, konstatierte er und war darum bemüht, das Dienstmädchen mit einem nervösen Lächeln zu beruhigen.

„Mir wird hier ja auch Schweinefraß vorgesetzt“, erwiderte Sason. „He, ich hätte gern nochmal so eine Schüssel! Wenn man genug davon isst, gewöhnt man sich an den Geschmack.“ Das Dienstmädchen schwang wütend ihre Schöpfkelle, doch bevor sie damit nach Sason werfen konnte, hielt sie überrascht inne. Ein untersetzter, braunhaariger Mann betrat den Speisesaal. Seine hellblauen Augen wirkten schreckhaft wie die eines Rehs, doch sein Gang war entschlossen und seine Brust stolz geschwellt. Als Aluc den Mann bemerkte, sprang er sofort auf und salutierte.

Sason erkannte den Neuankömmling erst, als dieser direkt vor ihm stand. „Hauptmann Sason!“, rief er mit dröhnender Stimme. Sason kippte fast von seinem Stuhl und ließ die Holzschüssel fallen. Ungläubig starrte er auf den goldverzierten Harnisch, der den fassförmigen Torso des Mannes bedeckte und auf dem der Löwenkopf prangte, das Zeichen von Kaiser Hilmandir.

„Brigadegeneral Legis!“, japste er erschrocken und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass er zur Begrüßung eines Vorgesetzten zu salutieren hatte. „Wie kann ich behilflich sein?“

Legis musterte Sason und rümpfte die Nase. Der Hauptmann gab in seinem einfachen Leinenhemd, das er noch dazu mit mehreren Klecksen Eintopf besudelt hatte, ein alles andere als standesgemäßes Bild für einen Soldaten seines Ranges ab. „In diesem Aufzug könnt Ihr mir überhaupt nicht behilflich sein“, antwortete Legis. „Ich habe eine äußerst wichtige Aufgabe für Euch. Seine Majestät persönlich hat Euch aufgrund Eures guten Rufes für diesen Auftrag ausgewählt. Aber wenn ich Euch jetzt so ansehe, bezweifle ich, ob das die richtige Entscheidung war. Vielleicht sollte ich mich doch lieber an Hauptmann Aluc wenden.“

Sason brach der kalte Schweiß aus. Auch wenn er alles andere als ehrgeizig war, war ein Auftrag von Kaiser Hilmandir persönlich der größte Vertrauensbeweis, den ein Soldat erhalten konnte. Unter diesen Umständen schob er seine allseits gepriesene und gelebte Gemütlichkeit beiseite und zum ersten Mal bereute er es, nicht in seiner Uniform zum Frühstück erschienen zu sein. „Entschuldigt vielmals, Brigadegeneral!“, rief er hastig. „Wenn es der Wunsch seiner Majestät ist, werde ich diesen Auftrag selbstverständlich annehmen und zu seiner vollsten Zufriedenheit durchführen!“

Legis wandte sich unbeeindruckt ab. „Euer Glück, dass Ihr ein Schiff befehligt, Sason“, brummte er. „Das ist für diese Aufgabe nicht ganz unerheblich. Legt Eure Uniform an und meldet Euch dann bei mir. Ich hoffe für Euch, dass Ihr mich nicht allzu lange warten lasst.“

„Unter gar keinen Umständen, das versichere ich Euch!“, erwiderte Sason und salutierte. „Ich mache mich sofort auf den Weg!“

Legis schien zufrieden, nickte Aluc zu, der ebenfalls salutierte, und drehte sich um. Kaum hatte er den Speisesaal verlassen, da rannte Sason auch schon davon.

Das Dienstmädchen, das der Hauptmann zuvor fast in den Wahnsinn getrieben hatte, trat schadenfroh grinsend neben Aluc. „Dass ich das noch erleben darf“, lachte sie. „Hauptmann Sason in Eile.“

Aluc kratzte sich verlegen an der Wange. „Ach, wisst Ihr, er hat zwar einen sehr gewöhnungsbedürftigen Sinn für Humor, aber er ist eigentlich ganz in Ordnung und im Grunde seines Herzens ein wirklich guter Kerl“, sagte er.

„Weiß ich doch“, erwiderte das Dienstmädchen und hob die Holzschüssel auf, die Sason hatte fallen lassen. „Aber nachdem er uns ständig herumscheucht, tut es wirklich gut, zur Abwechslung auch mal ihn rennen zu sehen.“
 

Noch im Laufen riss sich Sason sein schmutziges Hemd vom Leib. Er sprintete in die Wohnbaracken der Kaserne, in Richtung Südflügel, wo sich sein Zimmer befand. Als Offizier genoss er das Privileg, sich das Zimmer mit niemandem teilen zu müssen. Er pfefferte das Hemd in die Ecke, griff sich eine saubere Tunika und streifte sie sich über. Anschließend nahm er hastig die schwere Dienstrüstung von den Haken, an denen sie an der Wand hing. Obwohl er ein erfahrener Soldat war, nahm das Anlegen des Panzers eine gewisse Zeit in Anspruch und Sason fluchte bei jedem Riemen, den er zu schließen hatte. Als die Rüstung schließlich saß, zog er den Gürtel an der Taille zu, legte Schulterplatten und Knieschoner an und schlüpfte in seine Fellstiefel. Zuletzt gürtete er sich sein stählernes Langschwert um. So gerüstet verließ er sein Zimmer und hastete, so schnell es das zusätzliche Gewicht von Waffe und Panzer erlaubte, in Richtung der Quartiere der Generäle.

Legis saß hinter einem Pult voller Papierstapel und ließ eine Schreibfeder wild über ein Dokument tanzen, als Sason ohne anzuklopfen in seine Kammer platzte. Der Brigadegeneral legte die Feder beiseite, faltete die Hände und hob argwöhnisch eine Augenbraue. „Alle Achtung. Ihr seid schneller hier erschienen, als ich erwartet hätte.“

„Der Ruf meines Kaisers hat mir wohl Flügel verliehen“, erwiderte Sason atemlos. „Worum geht es also, Brigadegeneral?“

Zur Antwort schob Legis wortlos einen Zettel über sein Pult. Sason nahm ihn entgegen und besah ihn sich stirnrunzelnd. Es handelte sich um einen Steckbrief, auf dem das Gesicht eines vernarbten, einäugigen Dunkelelfen abgebildet war. „Wer ist das?“, fragte Sason.

Legis sah ihn mit seinen seltsam schreckhaften Augen durchdringend an. „Ein Dieb“, antwortete er. „Ihr wisst, dass die Abteilung der Stadtwache, die meinem Befehl untersteht, für die Strafverfolgung in den Bereichen Raub und Diebstahl zuständig ist, nicht wahr? Dieser Kerl auf dem Steckbrief ist ein besonders dreister Halunke. Er nennt sich Hiob. Es ist ihm gelungen, in den Kaiserpalast einzudringen und wertvollen Schmuck aus der Schatzkammer zu entwenden, darunter auch unersetzliche Erbstücke der Linie der Kaiser.“

Sason schob nachdenklich die Brauen zusammen. Ein Einbruch in die Kaiserliche Schatzkammer war zwar in der Tat ein an Dreistigkeit kaum zu überbietendes Verbrechen, das zusätzlich Fragen nach den Sicherheitsvorkehrungen im Palast aufwarf, aber er verstand nicht ganz, warum Legis ihm davon erzählte. Wie er selbst ausgeführt hatte, war die Stadtwache dafür verantwortlich, auf den Straßen Kaboroths für Recht und Ordnung zu sorgen. „Und was hat das mit mir zu tun?“, erlaubte sich Sason eine Frage.

„Hiob tanzt uns schon lange auf der Nase herum“, antwortete Legis. „Wir hatten bis vor kurzer Zeit nicht die geringste Spur von ihm. Nun aber berichten unsere Späher, dass er Kaboroth verlassen hat und sich auf einer kleinen Insel namens Notting im Küstengebiet von Shalaine aufhalten soll. Ihr werdet mit Eurer Mannschaft dorthin segeln, Hiob aufspüren, festnehmen und nach Kaboroth überführen. Hier soll ihm der Prozess gemacht werden.“

Sason verstand immer weniger. „Ihr wollt wegen eines Diebes ein Kriegsschiff mobilisieren?“, fragte er ungläubig. „Versteht mich bitte nicht falsch, Brigadegeneral. Dieser Dunkelelf muss für seinen dreisten Einbruch zweifellos zur Rechenschaft gezogen werden, aber haltet Ihr das nicht für ein wenig übertrieben?“

„Ihr habt diesen Befehl nicht zu hinterfragen, Hauptmann!“, wies Legis ihn streng zurecht. „Es ist der Wille des Kaisers und Ihr wurdet auserwählt, diesen Auftrag auszuführen. Ihr solltet Euch geehrt fühlen.“

„Selbstverständlich, Brigadegeneral Legis!“, rief Sason hastig. „Ich mache mich sofort auf den Weg!“

„Eines noch“, hielt Legis ihn auf. „Der Kaiser wünscht, dass dieser Dieb lebend und unversehrt in Kaboroth ankommt. Es hat oberste Priorität, dass Ihr ihn ohne Zwischenfälle in die Kaiserstadt überführt. Haben wir uns verstanden?“

Sason standen Dutzende Fragen ins Gesicht geschrieben, aber er wagte es nicht, weiter nachzuforschen. Stattdessen nickte er verwirrt, salutierte zum Abschied dienstbeflissen und verließ das Quartier des Brigadegenerals. Nachdenklich schlurfte er die Gänge der Kaserne entlang. Er verstand nicht, weshalb man einen Kapitän wie ihn damit beauftragte, mit einem bemannten Kriegsschiff in See zu stechen, um einen Dieb dingfest zu machen. Hinzu kam, dass sein Weg ihn in fremdes Hoheitsgebiet führte. Die Insel Notting gehörte zu Shalaine, dem Reich des Dunkelelfenkönigs Sard, und lag im Binnenmeer, das Ganestan und Shalaine trennte. Während sich Hiob in Kaboroth aufgehalten hatte, war es offenbar keiner Stadtwache gelungen, seine Spur aufzunehmen. Und nun, da sich der Dieb in seine Heimat zurückgezogen hatte, erreichte die Kaiserstadt plötzlich und wie aus dem Nichts ein Bericht über seinen neuen Aufenthaltsort. Sason kam die ganze Sache äußerst seltsam vor und ihm schwirrte regelrecht der Kopf. Aber es war der Wille seines Kaisers, diesen Dieb nach Kaboroth zu überführen und Sason hatte bei seiner Vereidigung geschworen, den Befehlen seines Herrschers bedingungslos Folge zu leisten. Der Hauptmann nahm diesen Schwur sehr ernst.

Geistesabwesend steuerte Sason auf den Wohnflügel der Unteroffiziere zu. Schon von Weitem konnte er aus einem der Räume dort das vertraute Geräusch von Eisen hören, das in regelmäßigen Abständen immer wieder auf Holz traf. Sason blieb vor ebenjenem Zimmer stehen und klopfte. Die dumpfen Klänge aus dem Inneren verstummten und nur Sekunden später wurde die Tür geöffnet. Sason blickte in das gerötete Gesicht eines brünetten, bärtigen Mannes, der beim Anblick des Hauptmanns sofort die Hand zum militärischen Gruß an die Stirn hob, aus der sich das lockige Haar trotz des recht jungen Alters des Mannes bereits auffallend weit zurückgezogen hatte.

„Guten Morgen, Hauptmann!“, rief der Soldat zackig. Er trug seine Uniform, eine eisenbeschlagene Lederrüstung, und in seinem Gürtel steckte ein Schwert, mit dem er offenbar bis zur Ankunft des Hauptmanns auf einen an einer Kette von der Decke hängenden Holzklotz eingeschlagen hatte. Die braunen Augen des Mannes funkelten fröhlich und aufmerksam.

„Guten Morgen, Cedric“, erwiderte Sason den Gruß müde. „Ist Sparva auch hier?“

In einer der Hängematten an der rückwärtigen Wand des Zimmers bewegte sich etwas und schließlich kam der rotblonde Schopf einer jungen Frau zum Vorschein. Sie machte ein Gesicht wie ein Bär, den man unsanft aus seinem Winterschlaf geweckt hatte. Im Gegensatz zu ihrem Zimmergenossen trug sie keine Uniform und stattdessen nur eine einfache, weite Tunika und ein rotes Wams. „Ach, Hauptmann“, murmelte sie verschlafen und bewegte die Hand wie in Zeitlupe zur Stirn. „Ihr seid es.“

Die Gegensätzlichkeit der beiden Soldaten zauberte Sason sofort ein Lächeln auf das stoppelbärtige Gesicht. Er kannte Cedric und Sparva besser als jeden anderen Soldaten der Kaiserlichen Armee. Seit er in die Offiziersränge aufgestiegen war, begleiteten ihn die beiden als treue Feldwebel und waren von Beginn an ein fester Bestandteil seiner Mannschaft an Bord der Küstenklinge gewesen. Die drei Soldaten pflegten längst eine enge Freundschaft, die auf tiefstem Vertrauen untereinander fußte und die längst über ihr Dienstverhältnis hinausging.

„Hört mal her!“, erhob Sason seine Stimme und blickte zuerst Cedric und danach Sparva an. „Es gibt Arbeit für uns. Wir stechen in See.“

„Muss das sein?“, brummte Sparva und drehte sich in ihrer Hängematte um. „Es ist doch noch früh.“

„Ja, es muss sein“, erwiderte Sason nachdrücklich. „Außerdem ist es schon Vormittag. Es handelt sich um eine Mission, für die uns seine Majestät der Kaiser persönlich auserwählt hat.“

Sparva hob erneut den Kopf. Sie wirkte immer noch müde, aber nicht mehr so missmutig wie zuvor. Cedrics rotwangiges Gesicht fing an zu strahlen. „Was für eine Ehre!“, freute er sich überschwänglich. „Hast du gehört, Sparva? Wir wurden von oberster Stelle auserkoren!“

„Ich bin ja nicht taub“, murrte die Soldatin und schälte sich quälend langsam aus ihrer Hängematte. Sie nahm auf einem Stuhl Platz und fing an, ihre Lederrüstung anzulegen. „Wann soll es losgehen?“

„So bald wie möglich“, antwortete Sason. „Cedric, du trommelst die Mannschaft zusammen. Sorg dafür, dass ausreichend Verpflegung für eine Woche an Bord geschafft wird.“

„Verstanden!“, rief Cedric und salutierte zackig. Sparva nestelte an den Riemen ihrer Rüstung herum und schlüpfte mit den Füßen in ihre Stiefel. „Was ist unser Ziel?“, erkundigte sie sich.

„Die Insel Notting vor der Küste Shalaines“, erwiderte Sason. „Alles andere erkläre ich später. Wir treffen uns an der Pier. Noch bevor die Sonne ihren Zenit erreicht hat, setzen wir Segel.“



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