Der Abgrund starrt zurück von ElCidIV (Traumtagebuch der anderen Art) ================================================================================ Kapitel 7: Open Sesame ---------------------- Es begann damit, dass ich und mein Bruder in ein neues Haus umziehen mussten. Der Mann bei dem wir lebten, war ein Traumforscher, der uns als Testpersonen bei uns aufnahm und hinter die Bedeutung unserer Träume kommen wollte. Dazu hat er für uns eigens zwei Zimmer im Obergeschoss - er selbst schläft Parterre - bereitgestellt, bei denen es eine Besonderheit gab, die ich hier näher beschreiben muss um später nochmal daran anzunküpfen. Sie sind durch einen kleinen viereckigen Flur geteilt, welcher sich hinter einer Wand befindet. Um diese erste Wand zu verschieben, muss man das Passwort "Open Sesame" sagen, was mich sehr amüsierte, meinen Bruder jedoch weniger, was für ihn den Ausschlag dazu gab, sich für sein Zimmer ein eigenes Passwort zuzulegen. Für mich ergab das zunächst wenig Sinn, da der Professor und ich aufgrund brandschutztechnischer Gründe ohnehin darüber informiert werden mussten. Selten hatte ich Probleme damit, mich anderorts zugleich heimisch zu fühlen. Meinem Bruder hingegen fiel dies deutlich schwerer. Ihm ging es dabei wohl darum, gehörigen Dreck zu machen, welcher mehr Zeit benötigte um sich so festzusetzen, dass er eins mit seinem natürlichen Umfeld wird. Das Aufhängen diverser Poster und Wandkalender erreichte diesen Effekt für mich wesentlich schneller. Es fehlte noch eine rechte Beschäftigung für mich, denn der Bau befand sich sehr weit abgeschieden in einem Waldstück. Zwar an einer Straße, doch selten befahren und lediglich ein paar Wanderer kamen gelegentlich vorbei. Also musste Zerstreuung her. Glücklicherweise kannte ich jemanden mit fahrbarem Untersatz und gemeinsam fuhren wir in die Stadt. Erheblicher Stau gestaltete unsere Fahrt zäh und monoton, was wir jedoch mit Gesprächen zu überbrücken wussten. Es gab zwei Läden für verschiedene Modelle, für die ich mich interessierte - den einen mit neueren teuren Modellen und den anderen, bei dem es ältere gebrauchte gab, allerdings zu einem niedrigerem Preis. Ich entschied mich für letzteren Laden, doch fiel es mir dort erheblich schwerer ein Modell zu finden, das ich nicht schon in meiner Sammlung hatte, zudem sich nicht alle dafür eigneten. Ich meine mich zu erinnern, dass ich den Laden mit leeren Händen verließ. Obwohl wir die Rush Hour bereits hinter uns gelassen hatten, ließen uns die verstopften Straßen nun nahezu gar nicht mehr vorankommen. Unsere Gesprächsthemen waren erschöpft, die Stimmung angespannt. Es musste irgendeinen Unfall gegeben haben, denn von Weitem konnten wir mehrere kleine Rauchfahnen entdecken. Vereinzelte Schreie waren zu hören, verständlich angesichts der Katastrophe, mehrere Feuer waren aus der Ferne zu sehen. Wir näherten uns dem Unfall, da sich in dessen Nähe die Ausfahrt zur Autobahn befand, begleitet von Hupkonzerten und Warnrufen. Großes Chaos erwartete uns am Eingang eines großen Tunnels. Hier standen die Fahrzeuge kreuz und quer herum und nur wenige Lücken boten Platz für die anderen Autos. Mein Fahrer und ich tauschten einen perplexen Blick. Dann folgte ein schauerliches Geräusch - ich werde es nie vergessen. Als Kind habe ich nahe an Eisenbahnschienen gewohnt. Wenn ich Krank war und nicht in die Schule konnte, lag ich vormittags im Bett. Alle anderen waren Arbeiten oder in der Schule und es war ganz still draußen. Dann konnte ihc die Gleise singen hören, ein gespenstischer Ton, der mir schon so manche Fieberträume aus der Hölle beschert hatte. Das Geräusch, welches nun zu hören war, klang diesem nicht unähnlich, nur war es von menschlicher Stimme gemacht. Daraufhin sahen wir, wie sich zwischen den Autos im Tunnel etwas einer tintenschwarzen Flüssigkeit bewegte, wobei es sich für eine Flüssigkeit zu ruckartig bewegte. Zunächst hielt ich es wider aller Vernunft für eine Masse von Fledermäusen, doch bewegten sie sich am Boden. Es waren Menschen. Sie ströhmten schreiend in blinder Panik nach draußen, rannten an Autos vorbei, vor Autos, gegen Autos. Einer fiel vornüber auf unsere Windschutzscheibe, das Gesicht zu einer teilnahmslosen Fratze verzerrt. Wir waren zu verblüfft um zu reagieren, was nicht vonnöten war, denn die Person krabbelte trotz gebrochener Nase teilnahmslos von der Front runter und torkelte weiter an unserem Wagen vorbei. Nachdem der Menschenstrom verebbte, dachten wir zunächst, damit hätte es sich und die Weiterfahrt ließe sich von nun an einfacher gestalten. Doch gerade als wir den Wagen wieder starten wollten, begann ein neuer Zustrom, dieses mal aus Schwerverletzten. Sie humpelten, hinkten und schlurften, einige krabbelten auf die Autokolonne zu, ähnlich Ausgebombten im Krieg. Das war der Moment in dem die Sirenen einsetzten und uns wurde klar, dass hier mehr als ein Unfall geschehen war. Aus der Ferne flogen nun mehrere Helikopter heran, die Bienengleich die Rauchfsäulen umkreisten. Wir waren derart in diesem Anblick gefangen, dass wir gleichsam aufschreckten, als jemand kräftig gegen das Fenster an der Fahrerseite schlug. Von nahem betrachtet boten die verletzten einen alptraumhaften Anblick. Sie waren teilweise verbrannt und zerfetzt, die Haut war teilweise heruntergeschält und mit der Kleidung verschmolzen. Nach und nach schlugen immer mehr Menschen gegen die Scheiben, sogar diejenigen, die von alleine nicht mehr stehen konnten und sich dafür an der Karosserie hochziehen mussten. Nicht nur unserem Wagen erging es so, auch an anderen Autos wurde dabei gerüttelt. Als die ersten Scheiben klirrten, fasste mein Fahrer einen Entschluss und startete den Motor erneut, was die Menschen keineswegs davon abhielt, sich am Wagen festzuhalten. Auch nicht, als wir losfuhren und einige von ihnen unter die Räder kamen. Wir machten eine Drehung, wobei der Wagen ruckelte, als er eine Vielzahl an Passanten überrollte. Es knallte und kreischte, als wir uns durch die anderen Wagen durchschrammten. Dabei mussten wir zudem schnell sein, denn auch die anderen nahmen sich ein Beispiel an uns und wendeten einer nach dem anderen, so dass sich die dünne Gasse hinter uns Stück für Stück schloss. Als die Autos zu dicht beieinanderstanden, scherten wir aus und durchbrachen die Betonschutzwand zumindest zum Teil, damit wir drüberfahren konnten. Auf der entgegenliegenden Fahrbahn gab es noch keine Anderen Autos, was unsere Flucht relativ gut verlaufen ließ. Dann gesellten sich weitere Fahrzeuge dazu, davon auffällig viele in lädiertem Zustand. Sie waren schnell unterwegs, sogar für Autobahnfahrer. Mein Bekannter setzte mich vor dem Haus im Wald ab. Er erklärte mir, er wolle diesen Ort von nun an meiden und eventuell sogar auswandern. In diesem Moment wünschte ich mir von Herzem, er würde mich einfach mitnehmen. Aber zum einen war mein Bruder noch hier und zum anderen hatte ich hier noch Dinge zu erledigen. Bisher hatte ich hier hinreichend Kost und Logis genossen, doch nichts zur Arbeit beigetragen. Meine Nächte waren bisher alle traumlos gewesen. Daher verwarf ich den Gedanken und wünschte meinem Bekannten zum Abschied alles Gute. Da es bereits spät war, wünschte ich noch dem Professor Gute Nacht und begab mich nach oben. "Open Sesame." Nachdem man durch die Tür hindurch war, drückte man auf einen Schalter an der Wand und die Tür glitt zurück. Mein Bruder schien noch wach zu sein, da Fernsehgeräusche aus dem Zimmer drangen. Da ich aus Erfahrung wusste, dass er nachts lieber allein blieb, ließ ich seine Tür unberührt und begab mich zu Bett. Der Schlaf war wieder einmal traumlos. Dennoch wachte ich schweißgebadet und wesentlich früher als sonst auf. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, als ich aus dem Fenster sah. Doch das interessierte mich zu dem Zeitpunkt nicht, denn die Straße war voller Menschen. Sie breiteten sich im Wald aus und näherten sich ebenso unserem Haus. Von Neugierde gepackt machte ich mich ausgehfertig und verließ das Haus. Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, dass es sich bei den Leuten ausschließlich um Kinder handelte. Da mein Bruder aufgrund seiner nächtlichen Aktivitäten in der Regel den Vormittag verschlief und vom Professor keine Spur zu sehen war, kam mir derzeit jeder Gesprächspartner gerade recht. Die erste Gruppe Kinder, denen ich mich näherte ignorierte mich, egal wie ich sie auch ansprach. Auf ihren Gesichtern war keine Reaktion zu sehen, als würden sie eine fremde Sprache sprechen. Wobei ich sie nie ein Wort sprechen hörte. Sprachliche Anläufe und Gesten brachten gar nichts. In ihren Gesichtern zeichnete sich eine alarmierende Abgeklärtheit ab. Durch den Wald schlendernd in kleinen Gruppen, wurden sie immer mehr. Die Systematik in der sie die Gegend nach etwas abzusuchen schienen, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Aufgewühlt begab ich mich zurück zu unserem Haus - auch dort hatten sie sich bereits versammelt. In solch einer Vielzahl wirkten sie - ähnlich Ratten - geradezu bedrohlich. Hinter dem Haus war die Stimme des Professors zu hören. Ich schlich zur Hintertür. Der Professor - ein schmales graues Männlein - argumentierte gerade mit seiner Kreidestimme gegen eine große Anzahl von Kindern, die sich offenbar Zutritt ins Haus verschaffen wollten. Enger und enger zogen sie ihre Kreise um den Mann, der alles daran setzte, um nicht unwillkürlich zurückzuweichen, beschwichtigend die Hände hob und sanft auf sie einredete. Es geschah so schnell, dass ich zunächst gar nicht realisierte was geschehen war. Ruckzuck war eines der Kinder vorgeprescht und hatte dem Professor einen Schlag versetzt. Der ging sofort zu Boden. Ohne auch nur in der Bewegung innezuhalten, stürmten die Kinder ins Haus, um den Professor herum, auf ihn drauftretend - obschon er sich noch bewegte. Erst als sie alle fort waren, wagte ich mich zu dem Sterbenden. Er konnte nicht mehr sprechen. Nur Blut spucken. Da sah ich erst, dass etwas in seiner Brust steckte. Ich zog es heraus. Es war eine Schere und mit einem letzen Seufzer fiel der Kopf des Professors nach hinten. Tot. Leise schob ich mch durch die Hintertür ins Haus. Sie waren überall, standen oder hockten auf ihren Plätzen. Viele kauten. Mein Blick fiel auf die aufgebrochene Voratskammer. Ihre Blicke folgten mir, als ich an ihnen vorbeischritt. Ich fühlte mich an den Film "Die Vögel" erinnert. Aber alles war nun nicht mehr wichtig - nur meinen Bruder wollte ich hier noch rausholen. Die Flurtreppe wurde jedoch von Kindern belagert. Sie alle beobachteten mich aufmerksam. Ich entschied mich dafür, weiterhin langsam an ihnen vorbeizugehen, weil sich diese Strategie bisher bewährt hatte. Ein Fehler. Kaum hatte ich die Treppenstufen erreicht, stürzten sie sich auf mich mit Küchenmessern, Gabeln und Spießen. Eingekesselt hatten sie mich und ich hatte es nicht einmal bemerkt. Ich hielt die Schere noch in den Händen und stach damit zu. Gleich mit dem ersten Stich traf ich ein rotlockiges Kind direkt in die Kehle. Einem weiteren Stach ich in eines seiner braunen Kulleraugen. Überwältigung angesichts der Flüssigkeiten. Zwergenhafte Körper türmten sich. Noch immer gaben sie keinen Laut von sich. Ihre Gesichter zeigten keinen Schmerz, lediglich einen Anflug von Wut. Einen Ausdruck den sie behielten, als sie zu Boden gingen. Angriffe wurden von beiden Seiten her gleichmütig fortgesetzt. Da kein baldiges Ende abzusehen war, begann ich mich dabei systematisch die Stufen hinaufzubewegen. Als ich die Wand erreicht hatte, hörten sie auf mir zu folgen und wandten sich stoisch wieder dem Essen oder der bloßen Teilnahmslosigkeit zu. "Open Sesame" geflüstert, nicht gerufen. Bisher hatten sie keinen Ton von sich gegeben, aber man konnte ja nie wissen. Die Wand war noch nicht zur Hälfte zur Seite geglitten, da schlüßfte ich schon durch, betätigte den Schalter, so dass sie hinter mir direkt wieder zu ging. Meine Angst erwies sich jedoch als unbegründet. Keines der Kinder legte es darauf an, in unsere Räumlichkeiten zu gelangen. Immerhin konnte ich nun endlich nachdenken. Ob mein Bruder überhaupt wusste, was hier los war? Ich nannte das Passwort für sein Zimmer und die Tür schwang auf. Mein Bruder wirkte so ruhig, dass ich mir fast schon sicher war, er hätte nichts mitbekommen. Tatsächlich war er jedoch bestens informiert. Er hatte die Szene mit dem Professor von seinem Fenster aus beobachtet, konnte sich also ein Bild machen, ohne überhaupt in Gefahr geraten zu sein. Ich hingegen sah nun aus, als käme ich aus einem Schlachthaus. Eine Weile lauschten wir nur den leisen Geräuschen aus dem Haus. Dann mit einem Mal war aus der Ferne ein lautes Brummen zu hören. Ein Helikopter näherte sich. Die vordere Haustüre wurde entweder kräftig aufgestoßen oder eingetreten. Schritte ertönten. Wer auch immer sich Zutritt verschafft hatte, wurde kampflos durchgelassen. Nach einer Weile waren Stimmen zu hören. Einige männliche Stimmen und eine weibliche. Als sie sich näherten, war auszumachen, dass sie unsere Sprache beherrschten. Wir begannen zu rufen, traten in den Flur und öffneten die Tür. Ein Sondereinsatzkommando angeführt von einer resoluten Dame traten in den Flur. Abgesehen von den Toten war von den Kindern nichts mehr zu sehen. "He", rief mein Bruder direkt wie er war sogleich, "Wo sind die verdammten Blagen?" "An einem sicheren Ort", gab die Dame brüsk zurück. Mir schwante Übles. "Wo können wir reden?", fragte sie schließlich. Mein Bruder wies auf sein Zimmer. Amüsiert beobachteten wir, wie die Dame sich abmühte, hineinzugelangen. Mein Bruder erlöste sie schließlich und nannte das Codewort. Die Tür schwang auf. Im Zimmer meines Bruder bekamen wir dann eine ordentliche Standpauke. Mord und Kindesmisshandlung wurde uns - genauer gesagt, mir - vorgeworfen. Unverantwortlich sei es gewesen, wie ich die traumatisierten Kinder misshandelt und ermordet hätte. Mein Bruder saß mit starrer Miene da. Für gewöhnlich war er derjenige von uns, der schnell mal Latschen austeilte und nun war ich der brutale Killer von uns beiden. Das Ganze würde gewaltige Konsequenzen für mich haben, versprach man mir. Als nächstes wollten sie mein Zimmer durchsuchen. Im Flur angekommen fragten sie mich nach dem Passwort für die Tür, während sie die offensichtliche Türklinke übersahen. Ich konnte mich nicht beherrschen und behauptete, das Passwort setzt voraus sich selbst zu beschimpfen. Das tat die Dame zu meinem Entzücken dann auch. "Keine Sorge, meine Dame. Sie haben alles richtig gemacht", beschwichtigte ich und drückte die Klinke hinunter. Was dann folgte, war weitaus weniger lustig für mich. Ich mag es überhaupt nicht, wenn man an meine Sachen geht und sie wurden sehr systematisch durchwühlt. Fragt sich warum ich derjenige ohne Passwort bin. Während die Frau meine Unterwäsche durchwühlte - ohne Handschuhe, was bei mir Brechreiz verursachte - stand ich am Fenster und horschte. Offenbar wuselten noch ein paar Kchinder um das Haus herum. Mir gefiel die geschäftige Regelmäßigkeit der Geräusche nicht, mit der sie das Haus umkreisten. Es dauerte noch eine Weile bis wir checkten, dass die Mistblagen unser Haus angezündet hatten. Glücklicherweise konnten wir mit dem Helikopter entkommen. Es wurde im Nachhinein zwar von einer Evakuierung gesprochen, aber jedem war klar, dass es sich um eine Flucht handelte. Und wir waren nicht die einzigen, die geflohen sind. In diesem fremden Land in das man uns gebracht hatte, konnten wir wenigstens untereinander verstehen. Um überhaupt etwas zu empfinden, befanden wir uns noch zu sehr in der Trance des Grauens. In einem stilleren Moment, als wir in einer U-Bahnstation übernachten mussten, bekam ich dann doch Heimweh. Der Bereich, welchen wir bewohnen durften, war halbherzig durch ein paar Laken "abgeriegelt". Das hinderte natürlich Neugierige nicht daran, einen Blick dahinter zu werfen. Tagsüber waren es nur johlende Kinder. Nachts wurde es gefährlich. Dann kamen die Erwachsenen um zu gucken. Fast ausschließlich waren es Männer. Jung und alt. Und nicht immer blieb es nur beim Gucken. Eine Dame hatte sich einmal nichts ahnend ausgezogen um die Kleidung zu wechseln, als ein ältlicher Herr den Kopf durch das Laken steckte. Als der die derzeit barbusige Frau entdeckte, hellte sich seine Miene auf. Ungefragt grabschte er in die Wäschetasche der Frau und reichte ihr den Büstenhalter. Vor Schreck wie gelähmt, zog ihm die junge Frau das Wäschestück mit spitzen Fingern aus der Hand. Der Mann spazierte pfeifend davon und die Frau warf den Büstenhalter weg, war in Tränen aufgelöst, als sie davon berichtete. Bei den jüngeren Männern war es noch schlimmer. Einmal zerrten sie eine halbnackte Frau unter Johlen heraus und fassten sie grob an. Unter Einsatz einiger Männer und noch mehr Frauen konnten wir ihr helfen. Besonders die Frauen wehrten sich mit allem was sie hatten, stachen mit Regenschirmen, schlugen mit schweren Behältern und schon sachen die Belästiger aus, als wären sie unter einen Zug geraten. Männer wurden zwar nicht sexuell belästigt, dafür aber öfter Gewalt angedroht und angetan. Oft wurden sie mehrfach "versehentlich" angerempelt oder bespuckt. Auch bei meinem Bruder geschah das einige Male. Allerdings wehrte er sich, was die Lage nicht zwingend besser machte. Leute die häufiger vorbeisahen, merkten sich, dass wir Geschwister waren. So bezog ich einige Male die Dresche für seine Wehrhaftigkeit. Einmal erwischten sie auch mich, als ich mich umzog. Anstatt mich anzumachen, griffen sie sich ein paar meiner Wertsachen und gaben Fersengeld. Was hätte ich tun können? Nackt die Verfolgung aufnehmen? Auf diese Weise habe ich also meinen Gambeboy verloren. Nun hatte ich nicht einmal Ablenkung von diesem ganzen Elend. Wir gewöhnten uns an, die Kleidung nicht mehr zu wechseln. Das brachte uns unter anderem die Bezeichnung "Stinkendes Pack" ein. Außer Schreiben hatte ich nichts zu tun. Daher setzte ich mich nachts, wenn es dafür schon zu dunkel war, zu den anderen. Dort erzählten einige von ihnen ihre Geschichten. Am liebsten hörte ich einem älteren Herrn zu, der weniger von sich selbst, als von Zusammenhängen sprach. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber einmal sagte er: "Alles was auf der Welt geschehen kann, geschieht eigentlich kontinuierlich. Nur die Zeit und die Ortschaften ändern sich." Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)