Zum Inhalt der Seite

No Witch's Land

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

II

Während sie der Eingangstür einen Tritt versetzte und diese daraufhin scheppernd ins Schloss fiel, fischte Leta nach ihrem Zauberstab. Es brauchte einen Wink, um sämtliche Kerzen des Raumes zu entzünden und einen weiteren, um auch in dem kleinen Ofen neben den Pritschen ein Feuer zu entfachen. Ein dritter Schlenker sorgte dafür, dass sich ein Schwung Kohlen in die Luft erhob. Ein schwarzer Klumpen nach dem anderen schwebten an ihnen vorbei und durch das Türchen des Ofens, wo sie in einer glimmenden Funkenwolke landeten.

Einen Moment lang beäugte er die Kohlen skeptisch. Nachdem die letzte von ihnen im Ofen verschwunden war, ließ er seinen Blick schweifen. Zu den Pritschen und den Schränken und den offenen Regalen mit den Gläsern voller Karbol, Jod und Kaliumpermanganat. Leta konnte seine Fragen förmlich unter der Wolldecke beben sehen, doch Theseus stellte keine von ihnen. Ohne weitere Anweisungen zu benötigen, durchquerte er schließlich das Zimmer und ließ sich mit einem leisen Ächzen auf die Pritsche fallen, die dem Ofen am nächsten stand. Von dort verlegte er sich schließlich darauf, sie zu beobachten.

Leta ignorierte ihn.

Verbandsraum I war eigentlich die vordere Hälfte einer Wellblechhütte, deren Wände man mit transportablen Schränken und Truhen vollgestellt hatte, bis kaum noch Licht durch die Fenster fiel. Routine leitete sie durch das Chaos aus Desinfektionsmitteln und Verbänden. Fläschchen und Operationsbesteck klirrten leise, während sie sie auf einem Tablett arrangierte.

»Die Feldambulanz sollte dir einen Behandlungsschein mitgegeben haben«, sagte sie schließlich in den Raum, während sie eine Reihe von Verbänden aus dem ihr zugewiesenen Schrank fischte. »Du hast ihn noch?«

Hinter sich hörte sie Stoff rascheln. Statt zu Theseus blickte sie allerdings zur Tür. Nachdem sich diese nicht spontan öffnete und einen Muggel in den Raum spie, griff sie erst nach einer Emailleschüssel und dann nach ihrem Zauberstab. Einen Aguamenti später füllte sich die Schüssel mit Wasser.

»Du meinst diesen Zettel hier?«

Theseus hatte sich die Decke von den Schultern gleiten lassen. Mit seiner unverletzten, linken Hand hielt er einen Zettel hoch, den man ihm um den Hals gehangen hatte. Sein rechter Arm jedoch hing reglos in einem Dreieckstuch. Ein Verband zog sich von seinem Oberarm bis hinunter zu seinen Fingerspitzen. An einigen Stellen blutete es durch.

»Eben den.«

Ihren Worten folgte ein letzter, nur gemurmelter Zauber, dann griff sie nach dem Tablett und trat zu Theseus an die Pritsche. Die Schüssel und Verbandspäckchen folgten ihr wie ein Schwarm skurriler Vögel.

Behutsam stellte Leta das Tablett auf dem bereitstehenden Behandlungstisch ab und ließ Verbandsmaterial und Schüssel daneben sinken. Unter Theseus skeptischem Blick löste sie anschließend den Behandlungsschein aus seinem Knoten. Die enge Handschrift des behandelnden Wundarztes wies ihren Patienten als Second Lieutenant Theseus R. H. Scamander aus. Sie berichtete von Schusswunden und einer Tetanusimpfung.

»Du hast nicht vor, diese Behandlung auf Muggelweise durchzuführen, oder?«, fragte er, während sie noch las.

Leta zuckte mit den Achseln. »Captain Lynch und Oberschwester Gwendolyne werden erwarten, dass ich das tue.«

Natürlich taten sie das. Schließlich hatte Leta niemandem hier, nicht einmal Billy Dunn, von ihren Fähigkeiten erzählt. Hatte es niemandem erzählen dürfen, des Geheimhaltungsabkommens wegen. Archer Evermondes Rede vor dem Brunnen der magischen Geschwister klang noch immer in ihren Ohren nach, immer dann, wenn sie an Großbritannien dachte. Und auch wenn der Zaubereiminister den Krieg vor seinem warmen Kamin auszuharren gedachte, war es doch besser, zumindest dann den Anschein zu wahren, wenn mit Muggelbesuch - oder zumindest mit Billy und Captain Lynchs Eintopf - zu rechnen war.

Entsprechend ließ sie die Worte wirken, gerade lang genug, um sie dann mit einem Kopfschütteln zu verwerfen. Weder Captain Lynch noch Oberschwester Gwendolyne waren anwesend und Billy ... war Billy.

»Nein. Nicht, wenn es nicht erforderlich ist. Es kommt ein wenig drauf an, was mit ›mehrere Schussverletzungen im rechten Arm, Verdacht auf Bruch der Elle‹ gemeint ist. Es klingt fast, als seist du mit einem Protego in ein Maschinengewehr marschiert.« Sie stockte. »Bitte sag mir, dass du nicht mit einem Protego in ein Maschinengewehr marschiert bist.«

Schweigen und ein Blick, der dem eines getretenen Bowtruckle erschreckend ähnelte, antworteten ihr.

»Oh.« Ihr lag eine ganze Reihe recht bildhafter Kommentare darüber auf der Zunge, für wie hoch sie seine Überlebenschancen in den Gräben einschätzte. Sie schluckte sie. Alle. Weil er Newts Bruder war. Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab. »Nun, sieh es so - du bist einer von zwei Magiern, die das überlebt haben.«

»Ich weiß, ich bin ein Held.«

Das Lächeln fror ihr in den Mundwinkeln fest.

Es war nur ein Satz, doch er legte sämtliche Parallelen zwischen Newt und seinem Bruder ad acta. Theseus kannte Sarkasmus. Erkannte ihn. Verwendete ihn. Die Feststellung war beinahe erfrischend. Und beängstigend.

»Jetzt schau mich bitte nicht so an. Ich weiß, dass das keine meiner besseren Ideen war.«

»Immerhin. Dann besteht die Hoffnung, dass du das nicht wiederholst.«

Theseus seufzte. Er war Hufflepuff genug, das Thema nicht weiter zu vertiefen.

»Wie ist das weitere Vorgehen?«, fragte er. »Ich nehme an, du wirst diesen Verband lösen und was geschieht dann? Ich kann mir nicht ausmalen, was du mit diesen Messern vorhast. Machen Muggel das so? Können wir das Ganze vielleicht abkürzen, indem du das Ministerium verständigst?«

Leta zog die Augenbrauen hoch. Alarmsirenen heulten in ihrem Hinterkopf auf, kaum dass das Wort mit M fiel. Niemand, der noch ganz bei Trost war, nahm es in den Mund. Nicht an der Front, nicht nach Archer Evermondes Notfallverordnung von 1914. Dass Theseus es trotzdem tat, ließ nur zwei Möglichkeiten zu. Ihr gefiel keine davon.

»Und?«, fragte sie bedächtig, den Blick auf ihr Tablett mit Operationsbesteck gerichtet. »Warum sollte ich das deiner Meinung nach tun?«

»Nun, weil ich annehme, dass ...«

Was auch immer er annahm, die Erkenntnis holte ihn ein, bevor er es aussprechen konnte. Statt weiterer Ausführungen kam nur ein leises »Oh« über seine Lippen.

Doch nicht nur Theseus zählte eins und eins zusammen.

Der Offiziersrang. Die Frontausbildung, die offensichtlich mangelhaft war. Das M-Wort.

Leta spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. In diesem Moment wünschte sie sich beinahe, dass Dunn die Tür aufriss, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen.

Sie hatte kein Glück.

„Du bist illegal hier“, sagte er leise.

„Und du bist eine Feldmaus.“

Einen Moment lang starrten sie einander an. Schließlich lachte er leise.

„Man hat mir wirklich schon viele Tiernamen an den Kopf geworfen, aber ich glaube, eine Feldmaus war ich noch nie.“

Missbilligend schürzte sie die Lippen.

„Das ist kein Tier«, erwiderte sie brüsk, »das ist eine Berufsbezeichnung.“

Wenn Lieutenant Scamander die Anspielung verstand, dann verbarg er das gut hinter einem ziemlich irritierten Blick. Wahrscheinlicher war, dass er mit der Umgangssprache in den Gräben genauso viel Erfahrung hatte, wie im Umgang mit feindlichen Maschinengewehren. Sie konnte seinen Adamsapfel dabei beobachten, wie er hinter dem Knoten seiner Krawatte auf und ab tanzte, während er schluckte. Er leckte sich über die spröden Lippen.

»Ich habe mich gerade für die Muggelmethode qualifiziert, oder?«

Leta schnaubte.

Die Muggelmethode hatte sie bereits verworfen, da hatte sie noch Kohlen schweben lassen. Trotzdem erwischte sie sich dabei, wie sie die Zeit überschlug, die er festsitzen würde. Erst hier, in der Casualty Clearing Station, und dann auf einem der Ambulanzzüge nach Rouen oder Étaples.

Das war genug Zeit für eine Handvoll Briefe.

Briefe an Lizzy und Cyril. Rowland. Mister Black. Lieutenant M-

Das Bedürfnis, ihm zuzustimmen, wurde mit jedem Namen mehr zu einem Jucken, das sie nicht kratzen konnte.

»Nein.«

Neben ihr zog Lieutenant Scamander die Augenbrauen hoch. Eindringlich musterte er die Rot-Kreuz-Binde, die sie über ihrem Wollmantel trug.

»Ich will dich weiß Merlin nicht überzeugen«, sagte er, »doch ich könnte es durchaus nachvollziehen, wenn du-«

Oh, das konnte sie auch. Das war nun wirklich nicht das Problem.

Leta seufzte, unglücklich mit sich selbst.

»Nein.« Entschieden legte sie den Behandlungsschein beiseite. »Der nächste Heiler, der sich deinen- der sich Ihren Arm ansehen würde, befindet sich jenseits von Dover. Sie müssen wissen, die meisten Heilzauber wirken am besten in einem Zeitrahmen von zwölf Stunden. Später angewendet, behindert sie entweder der einsetzende Heilungsprozess oder der einsetzende Gasbrand.«

Sein Blick flackerte hoch. Da war dieses Unschuldige, Naive in seinen Augen, das sie in ihrer Schulzeit beinahe täglich gesehen hatte.

»Worum handelt es sich bei Gasbrand?«

Statt seine Frage sofort zu beantworten, griff Leta um ihn herum nach dem Dreieckstuch. Mit geübten Fingern löste sie die Enden aus dem Knoten und führte sie über seine Schultern zurück vor seinen Körper. Er folgte der Bewegung mit zusammengebissenen Zähnen, bis seine Hand locker auf seinem Oberschenkel auflag.

»Sagen wir es so: Es ist nichts, für das ich einen Heilzauber kennen würde.« Sie schenkte ihm ein schmallippiges Lächeln. »Also. Schwimmt, abgesehen von der Tetanusimpfung, die Sie nicht verweigern konnten, noch etwas anderes in Ihrem Blut, Lieutenant?«

Lieutenant Scamander erwiderte ihren Blick. Die Art, in der er das Kinn reckte und nicht blinzelte, ließ sie einen Anflug von Trotz erahnen, den sie eigentlich nur von Newt erwartet hätte. Noch etwas, das sie an ihre Schulzeit erinnerte.

„Billiger Brandy und eine halbe Phiole Blutbildungstrank“, presste er hervor.

Dieses Mal war es an ihr, die Augenbrauen hochzuziehen.

„Nur eine halbe Phiole? Was ist mit dem Rest geschehen?“

Der Blick, mit dem er bis eben ihre Nase angestarrte hatte, glitt hinunter zu der Tasche seines Waffengurts, neben der sein Zauberstab steckte. Er presste die Lippen aufeinander. Ob es vor Schmerz oder aus Trotz geschah, vermochte sie nicht zu sagen.

Bedächtig, ohne Tasche oder Stab zu berühren, breitete Leta das Dreieckstuch über seinen Schoß aus. Zwar folgten seine Augen jeder ihrer Bewegungen, doch er kommentierte keine davon.

Einen Augenblick lang musterten sie beide seinen geschundenen Arm. Leta die Verbände, die sich in einer ganzen Reihe von Kompressen, Auflagen und Binden von seiner Achsel bis hinab zu den Fingerspitzen zogen. Lieutenant Scamander ihre Finger, die bereits nach dem Verschluss der ersten Bandage tasteten.

›Mehrere Schussverletzungen.‹

Leta unterdrückte ein Schnauben.

Mehrere Schussverletzungen in der Tat.

Vorsichtig zog sie das Ende der Bandage aus dem behelfsmäßigen Knoten. Die unteren Lagen der Binde waren durchgeblutet, aber zumindest waren sie sauber. Die Wunde, die unter der Kompresse zum Vorschein kam, war es nicht. Die Kugel hatte sich von seinem Ellbogen bis hinauf zu seiner Schulter gefressen. Sie hatte eine klaffende Wunde zurückgelassen, aber zumindest Knochen und größere Arterien verfehlt. Der Geruch von Jod stieg ihr in die Nase.

Unter Lieutenant Scamanders wachsamen Augen griff sie nach ihrem Zauberstab und sprach den Desinfektionszauber, den Lizzy ihr in Étaples beigebracht hatte. Es war ein grober, roher Zauber. Schlachtfeldmagie aus den Gräben. Er war weder angenehm noch sanft und brannte noch eine ganze Weile, doch er entfernte das Meiste von dem, was die Muggel »Keime« nannten. Lieutenant Scamander quittierte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem unterdrückten Schmerzenslaut.

Die gröberen Verschmutzungen ließ der Zauber in der Wunde zurück. Auch dafür gab es Zauber. Leta beherrschte zumindest drei von ihnen, Lizzy sicher ein gutes Dutzend und Mister Black konnte ihr vermutlich ganze Aufsätze dazu schicken, wenn sie ihn darum bat. Doch in Étaples hatte sie mehr gelernt, als Lizzys Desinfektionszauber.

Entschieden steckte Leta ihren Stab zurück in ihren Ärmel. Statt mit dem nächsten, harschen Zauber rückte sie dem Dreck aus den Gräben auf altgediente Art und Weise zu Leibe, ganz so, wie die Muggel es ihr bereits in Netley eingeimpft hatten: Mit Skalpell und Pinzette. Und obwohl Lieutenant Scamander jedes neue Werkzeug anstarrte wie eines der Lieblingsmonster seines Bruders, ließ er die Prozedur klaglos über sich ergehen.

Jeden Zentimeter, den sie sich vorarbeitete, kontrollierte sie zunächst auf Anzeichen einer einsetzenden Infektion. Sorgsam zupfte, schabte und schnitt sie sodann kleine Fetzen seiner Uniform aus der Wunde, gefolgt von allen anderen Verunreinigungen, die das Jod der Feldambulanz nicht hatte fortwischen können. Zuletzt griff sie nach einer der Flaschen mit Desinfektionsmittel. Statt dem typischen Geruch nach Jod stieg ihr beim Öffnen der von Diptam in die Nase. In ihrem Augenwinkel fing sie Lieutenant Scamanders Blick auf. Er roch es auch.

Mit einer Bewegung, die so ruppig nicht hätte sein müssen, griff sie nach einer der bereitliegenden Sphagnum-Wundauflagen und ertränkte sie mitsamt seiner unausgesprochenen Frage in der Flüssigkeit.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Puppenspieler
2019-02-21T13:38:45+00:00 21.02.2019 14:38
Leta tut mir ehrlich leid mit ihrem Patienten.
Bewundernswert, wie viel Fassung sie bewahren kann im Angesicht von diesem Deppen, der eindeutig nicht an die Front gehört.
Antwort von: Arcturus
21.02.2019 22:38
Leta ist Kummer gewohnt, fürchte ich. x'D
(Theseus ist ja sicher nicht der erste. Und man muss ihm lassen: Er ist lernfähig.)


Zurück