Wolkenwächter von Alligator_Jack (Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1) ================================================================================ Epilog: -------- Die Sirene machte gute Fahrt. Die See war ruhig und der starke Rückenwind blähte die Segel. Ilva hielt das Steuerrad und ließ das Schiff sicher über die glatten Wogen des Binnenmeeres gleiten. Syndus hatte ihr großzügigerweise eine der Truhen überlassen, in denen Veit den Erlös des Sturmerzschmuggels verstaut hatte. Mit dem Geld hatte sie im Hafen von Eydar rasch eine Mannschaft erfahrener und pflichtbewusster Seeleute angeheuert. Der Ordensmeister hatte die Crew außerdem mit reichlich Vorräten ausstatten lassen. Lazana und Ratford hatten mit Ilva schon am Tag der Rückkehr aus den Wolkenbergen über eine Überquerung des Binnenmeeres gesprochen und die frischgebackene Kapitänin hatte sofort eingewilligt, sie nach Süden zu bringen. Craig und Knack saßen am Heck und blickten zurück nach Eydar. Die Hafenstadt wurde immer kleiner und wurde schließlich vom schnell aufwallenden Nebel von Adamas verschluckt. Etwas abseits stand Vance und drehte sein Hackebeil in den Händen. Wuleen war bei ihm und schärfte fachmännisch sein Schwert. Ratford sah, dass Craig nachdenklich wirkte, und schlenderte zu ihm herüber. Er trat neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Sieht ja fast so aus, als hättest du Eydar liebgewonnen“, stellte er grinsend fest. „Das ist es nicht“, murmelte Craig leise. „Aber ich verlasse zum ersten Mal in meinem Leben das Hoheitsgebiet von Shalaine.“ Er sah den stämmigen Krieger an. „Ich kenne mich nicht besonders gut aus, aber Vanashyr liegt im Süden, nicht wahr?“ Ratford stützte sich mit den Händen auf die Reling und nickte. „So ist es, Junge“, bestätigte er. „Es ist nach den Inseln von Grimhagen das südlichste Land Gäas. Es liegt südwestlich von hier.“ Der Waisenjunge kratzte sich nachdenklich an der Wange. „Im Süden…“, flüsterte er. Dort lag irgendwo Notting inmitten der sanften Wogen des Binnenmeeres. Vielleicht schipperten sie so nahe daran vorbei, dass Craig einen Blick auf seine Heimatinsel werfen konnte. Etwas widerwillig musste er sich eingestehen, dass er Notting vermisste. Gerne hätte er Ilva gebeten, einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen, aber er ließ es bleiben und so saß er nur an der Reling und ließ seinen Blick über das schier grenzenlose Binnenmeer schweifen. Er fragte sich, ob die Nachricht von Brynnes Scheitern schon bis auf die abgeschiedene Insel vorgedrungen war. Vielleicht wusste Preman längst, dass Craig dabei gewesen war, als ein wahnsinniger Sturmmagier davon abgehalten wurde, ganz Gäa mit einer Gewitterwolke zu verdecken. In diesem Fall wäre er auf Notting bestimmt das Gesprächsthema schlechthin. Stolz erfüllte den Waisenjungen, doch bei dem Gedanken an seine Heimatinsel musste er zwangsläufig an Hiob denken. Ihm wurde noch immer das Herz schwer, wenn er sich selbst daran erinnerte, dass er den Dunkelelfen womöglich niemals wiedersehen würde. Jetzt hatte er neue Gefährten gefunden und steuerte an ihrer Seite neuen Abenteuern entgegen. Craig verwarf seine Gedanken und wandte sich Ratford zu. „Erzähl mir etwas über dieses Land“, bat er den Krieger. „Über Vanashyr?“, fragte Ratford und legte grübelnd die Finger an den Mund. „Nun, es ist das Herrschaftsgebiet der Pardel. Recht unwirtlich, besonders im Norden des Landes. Dort prägen gigantische Wüsten das Landschaftsbild, soweit das Auge reicht. Die Weiße Wüste ist der trockenste Ort in ganz Gäa. Dort hat es an einigen Stellen seit Jahren nicht mehr geregnet. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass die Gletscher der Frostwallberge nur unweit davon liegen, doch das Mihond-Tal, das wir auch durchqueren werden, ist wie eine unsichtbare Barriere gegen die Kälte der Berge und die Hitze der Wüste. Weiter im Süden wird das Land etwas fruchtbarer. Dort wachsen dicke Bäume zu dichten Dschungeln aus dem Boden. Glaub mir, dagegen ist die Düstermarsch ein lächerliches Wäldchen. Und inmitten dieses grünen Paradieses liegt Fravea, die Heimstatt des Pardelkönigs Bardhan.“ Craig schüttelte ein Schauer der Begeisterung, als er all diese fremden Namen hörte. Allein ihr Klang weckte in ihm die Abenteuerlust. Knack dagegen wirkte nicht besonders begeistert. Craig konnte es ihm nicht verdenken. Schon die Wolkenberge waren für den Wasserdrachen ein wenig einladender Ort gewesen, aber eine Wüste war das genaue Gegenteil seines natürlichen Lebensraums. Der Waisenjunge beugte sich zu Knack herunter und kraulte ihn hinter den flossenartigen Fortsätzen an seinem Kopf. „Keine Angst, Kumpel“, versuchte er ihn aufzumuntern. „Das kriegen wir schon hin. Du könntest der erste Knucker sein, der die Weiße Wüste durchquert! Klingt doch toll, oder?“ Knack schien das nicht besonders zu überzeugen. Er gab ein quäkendes Geräusch von sich und schmiegte seinen Kopf eng an Craigs magere Brust. „Und was genau haben du und Lazana im Land der Pardel zu schaffen?“, fragte der Waisenjunge und sah Ratford an. Der bullige Krieger kratzte sich nachdenklich an der Wange. „Die Pardel sind nicht die einzigen Bewohner von Vanashyr“, erklärte er. „In der Wüste leben die Dünenmenschen, ein ehemals nomadischer Volksstamm, der sich mit den Pardeln lange in einem erbitterten Kampf um die knappen Wasservorräte befunden hat. Aber seit die Dünenmenschen ihren ersten König gewählt haben, hat sich die Situation entspannt und beide Seiten befinden sich mittlerweile in Friedensverhandlungen. Lazana und ich sind alte Freunde und treue Weggefährten dieses Königs.“ „Und warum habt ihr vorgeschlagen, dass wir mit euch kommen können?“, wollte Craig wissen. In diesem Moment kam Lazana herbei. Ihr Stab prallte bei jedem Schritt dumpf auf die Schiffsplanken. „Nun, das hat mit Vance zu tun“, sagte sie sanft. „Er ist nicht der erste Dorashen, dem Ratford und ich begegnet sind.“ Vance hob neugierig den Kopf und näherte sich zaghaft. „Genau“, bestätigte Ratford. „Cord, der König der Dünenmenschen, und Rian, sein langjähriger Gefolgsmann, sind ebenfalls Dorashen. Und wir waren der Meinung, dass es Vance guttun würde, wenn er einmal seinesgleichen kennenlernt.“ „Gleich zwei von der Sorte?“, rief Craig und riss überrascht die Augen auf. „Und einer von ihnen wurde von ihnen wurde von der Bevölkerung sogar zum König ernannt?“, fragte Vance zögerlich. Lazana schenkte dem Dorashen ein warmherziges Lächeln und strich sich eine Strähne hinter ihr Ohr. „So ist es. Die beiden standen den Dünenmenschen in finsteren Zeiten bei. Für die Nomaden sind sie längst zu Helden geworden.“ „Helden…“, wiederholte Vance nachdenklich und blickte nach Süden. Und Craig glaubte, in seinen tiefschwarzen Augen einen Anflug von Vorfreude und Hoffnung aufblitzen zu sehen. Syndus stand am Steg von Eydar und sah der Sirene nach, die sich immer mehr entfernte und schließlich weit draußen im Binnenmeer vom Nebel verschluckt wurde. Gancielle war bei ihm. Er trug wieder seine Uniform, die ihn als Kommandanten der Armee auswies. „Da fahren sie also“, flüsterte Syndus. „Die Helden von Adamas.“ Gancielle räusperte sich. „Meister“, sagte er leise. „Bragi lässt Euch daran erinnern, dass mit dem Freispruch des Dorashen eine Auskunft über seinen Aufenthaltsort gefordert wird.“ „Ist das so?“, fragte Syndus. „Dann sollten wir die Verantwortlichen in Kaboroth wohl besser davon in Kenntnis setzen, dass er nach Vanashyr aufgebrochen ist.“ „Ich verstehe das nicht“, murmelte Gancielle. „Erst wird Vance von höchster Stelle begnadigt und dann will man in Kaboroth seinen Aufenthaltsort wissen. Was will der Kaiser von ihm?“ „Darüber kann ich nur mutmaßen“, erwiderte Syndus. „Aber ich kann das Interesse des Kaisers an diesem Mann durchaus nachvollziehen. Ich habe das untrügliche Gefühl, dass das, was Vance hier in Eydar geleistet hat, erst der Anfang von etwas Großem war. Denkt an meine Worte, Kommandant! Wir werden noch einiges von diesem Dorashen hören.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)