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Wolkenwächter

Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1
von

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Aulus hätte allen Grund gehabt, vor Wut zu kochen. Ein Posten im Orden der Goldenen Falken brachte eine fürstliche Bezahlung mit sich, selbst für einen einfachen Novizen wie ihn. Nun, da Syndus seine Zusammenarbeit mit Loronk erkannt hatte, stand seine Mitgliedschaft auf dem Spiel. Aber der Ork zahlte sogar noch besser, als es der Orden tat. Jetzt aber war er für den Brigadegeneral nutzlos. Syndus würde sich hüten, weitere vertrauliche Angelegenheiten mit ihm zu besprechen, also konnte er Loronk keine neuen Informationen beschaffen. Der Geldfluss war versiegt und nun hielt Aulus nichts mehr in Eydar. Das nach Fisch stinkende Armenviertel am Rande des Hafens widerte ihn an und der Novize konnte nicht von sich behaupten, während seines Aufenthalts in der Stadt besonders viele Freunde gewonnen zu haben.

Syndus war ein gutgläubiger Idiot. Loronk hatte ihn faktisch entmachtet und noch immer winselte er um das Wohlergehen der Stadt und ihrer Bewohner. Mit seinen Prinzipien gehörte er einer Generation an, die ihre großen Jahre längst hinter sich hatte. Aulus bedauerte diesen Umstand ein wenig, denn Syndus war ein deutlich angenehmerer Vorgesetzter, als es Loronk jemals sein konnte. Der Ork war gefährlich, aber er bezahlte seine zuverlässigen Untergebenen großzügig. Der alte Ordensmeister verstand nicht, dass nur Macht, Einfluss und Geld zählten und glaubte noch immer, mit bloßer Diplomatie den Frieden erhalten zu können. Nun holte ihn die Realität auf schmerzhafte Art und Weise ein. Loronk war ganz anders. Er stand in Eydar für Macht, wie noch niemand vor ihm. Er demonstrierte sie mit jeder einzelnen Bewegung. Aulus wusste genau, dass es der Ork einzig und allein auf Reichtum und Einfluss abgesehen hatte. Das Schicksal von Gäa war ihm völlig gleich. Er unterwarf sich den Befehlen seiner Vorgesetzten nur, weil er durch die Erfüllung seiner Aufgaben in der Hierarchie der Armee schneller aufstieg und somit rasch mächtiger wurde. In gewisser Weise ähnelte er in diesem Punkt Aulus. Der Novize hatte sich in Loronk sofort wiedererkannt, als er den Ork erstmals getroffen hatte. Sie teilten ein gemeinsames Streben nach Ruhm und Reichtum und verfolgten dieses Ziel ohne Rücksichtnahme. Aulus wusste aber auch, dass Loronk ihm meilenweit voraus war und außerdem über die körperlichen Eigenschaften und das nötige Kampftalent verfügte, um seinen eigenen Anspruch nachdrücklich durchsetzen zu können.

Aber dafür hatte Aulus etwas erkannt und seit er die Amtskammer von Syndus verlassen hatte, keimte in ihm ein Gedanke, der gleichermaßen verlockend und beunruhigend war. Loronk schien viel zu versessen darauf, die Vermissten zu finden. Er ging dafür sogar so weit, ein Mitglied der Goldenen Falken zu bestechen. Die Ausdauer, mit der er dieses Rätsel anging, passte ebenso wenig zu seinem rücksichtslosen Wesen wie zu der Tatsache, dass er bereit war, unbescholtene Bürger auf der Suche nach den Vermissten zu opfern. Selbst wenn ihm ein Erfolg in dieser Sache eine Beförderung einbringen würde, kam es Aulus seltsam vor, dass sich der Brigadegeneral so zäh an seine Aufgabe klammerte und inzwischen die vollständige Kontrolle über Eydar an sich gerissen hatte. Der Ork strebte nach Macht und Reichtum und dieses Ziel konnte er nicht erreichen, wenn er sich wochenlang in dieser Hafenstadt aufhielt und seine gesamte Energie für die Suche nach den Vermissten verschwendete. All das ließ für Aulus nur einen Schluss zu. Loronk hatte in den Sümpfen etwas entdeckt, was ihn reich machen würde. Vermutlich hatte er die Vermissten längst gefunden und hielt inzwischen nur den Schein aufrecht, noch immer nach ihnen zu suchen. Aulus konnte sich zwar nicht vorstellen, was Loronk trieb, doch er wusste, dass der Ork seine Machenschaften geheim halten wollte.

Der Novize grinste triumphierend. Mit ziemlicher Sicherheit konnte er aus dieser Erkenntnis Kapital schlagen, wenn er es clever anstellte. Er war im Gegensatz zu Loronk kein Kämpfer und er hatte in seinem ganzen Leben noch nie eine richtige Waffe in der Hand gehalten. Körperlich war ihm der Brigadegeneral über. Dafür war Aulus davon überzeugt, deutlich gewitzter als der grobschlächtige Ork zu sein und er gedachte seine geistige Überlegenheit noch einmal auszunutzen, bevor er Eydar und seinem neuen Oberbefehlshaber für immer den Rücken kehrte.

Voller Vorfreude erhob er sich und suchte eilig das Haupthaus des Ordens auf, indem sich Loronk seine Gemächer hatte einrichten lassen. Es war längst Abend und vermutlich hatte sich der Brigadegeneral schon wieder in seine Kammer zurückgezogen. Die Wachen am Eingang traten rasch beiseite, als er an ihnen vorbeistürmte. Sie machten nicht einmal Anstalten, ihn aufzuhalten.

Die Gemächer des Brigadegenerals lagen im Ostflügel auf der unteren Ebene des Haupthauses. Vor der Tür hielt einer von Loronks Soldaten Wache, der offenbar ganz besonders verantwortungsbewusst war. Als sich Aulus näherte, trat er ihm in den Weg und stützte sich auf seinen Speer.

„Was willst du?“, brummte der Soldat. „Jemand deines Ranges hat sich vorher anzumelden, wenn er einen Brigadegeneral sprechen wollen.“

Aulus blieb verärgert stehen und reckte gekränkt sein Kinn vor. „Ich habe Loronk wichtige Informationen mitzuteilen!“, bemerkte er spitz und rümpfte. „Also stiel nicht länger meine wertvolle Zeit und lass mich passieren!“

Der Soldat legte den Kopf schief und machte widerwillig den Weg frei. „Wenn du unbedingt meinst, dass du dich weiterhin aufspielen musst, werde ich dich bestimmt nicht aufhalten“, seufzte er. „Du wirst schon sehen, was du davon hast, hier so herumzustolzieren.“

„Ein einfacher Soldat versteht von diesen Belangen nichts“, gab Aulus eitel zurück. „Du bist entbehrlich. Ich habe dem Brigadegeneral schon wichtige Dienste erwiesen.“

Dem Wachmann ließ sich nicht auf Aulus‘ Prahlereien und Provokationen ein. Mit einem energischen Kopfnicken wies er auf die Tür. „Na, wenn du das sagst, muss es wohl stimmen“, brummte er genervt. „Und jetzt hör schon auf, dich hier so aufzublasen, sonst passt du nicht mehr durch die Tür.“

Aulus warf den Kopf betont hochnäsig in den Nacken und sein Pferdeschwanz pendelte wild von einer Seite auf die andere. Er klopfte einmal kräftig an die Tür und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten.

Loronk blickte erschrocken auf, als Aulus unangemeldet hereinplatzte, doch die Überraschung auf dem Gesicht des Orks wich innerhalb eines Sekundenbruchteils gefährlichem Ärger. „Was soll das?“, knurrte er gereizt. „Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mich zu stören.“

Aulus nahm sich die Zeit, die Tür hinter sich zu schließen. Er ließ sich nicht verunsichern, auch wenn Loronk eine beeindruckende Erscheinung war und noch bedrohlicher wirkte, wenn er verärgert war. Aulus hatte vollstes Vertrauen in seinen scharfen Verstand und sah sich ungerührt im Gemach des Brigadegenerals um. Er ließ die Frage des Orks vorerst unbeantwortet im Raum stehen und schlenderte durch die Kammer, während er die Inneneinrichtung näher betrachtete.

Loronk saß an einem mächtigen Schreibtisch aus dem schwarzen Holz einer uralten Mooreiche, auf dem mehrere Kerzenständer aus reinem Silber standen. Hinter dem Ork flackerte ein Kaminfeuer und darüber hing an einem Waffenständer die gewaltige Kriegskeule des Brigadegenerals. Aulus glaubte nicht, dass er selbst in der Lage dazu gewesen wäre, Loronks schwere Waffe auch nur anzuheben. Er wusste, dass Orks von Natur aus sehr kräftig waren. Der Brigadegeneral kam mit dem unhandlichen Prügel bestens zurecht. Für gewöhnlich waren die Soldaten der Armee mit Schwertern oder Speeren ausgerüstet, doch ab den Offiziersrängen war es ihnen gestattet, ihre Dienstwaffen frei zu wählen. Eine Kriegskeule kam Loronks brachialer Kraft deutlich mehr entgegen, als ein gut ausbalanciertes Schwert.

Aulus musste zugeben, dass der Brigadegeneral bei der Inneneinrichtung seines Gemaches einen guten Geschmack bewiesen hatte. Selbst der Teppich war von feinstem Webwerk und Loronk geizte nicht damit, seinen Reichtum und seine Macht auch mit der Ausstattung seiner Kammer zu demonstrieren. Aulus entschied, seine eigenen Gemächer ähnlich prunkvoll einrichten zu lassen, sobald er aus Eydar verschwunden war. Nur die Keule an der Wand würde er gegen eine andere Waffe austauschen lassen, die mehr für Eleganz als pure Zerstörungskraft stand. Ein schlanker Säbel mit juwelenbesetztem Griff oder ein Dolch mit vergoldeter Klinge würden sich über seinem eigenen Kamin deutlich besser machen.

Aulus ging in einem weiten Bogen auf den massiven Schreibtisch zu und nahm beiläufig einen der silbernen Kerzenhalter in die Hand. Andächtig strich er über das kalte Metall. Er spürte, dass Loronk ihn genau beobachtete und jede seiner Bewegungen wahrnahm. „Ich habe für Euch meine Ordensmitgliedschaft aufs Spiel gesetzt“, antwortete er schließlich fast beiläufig, während er noch immer den Kerzenständer betrachtete. „Ich hoffe doch sehr, dass Ihr meinen Einsatz nicht umsonst gewesen sein lasst. Immerhin war es Euer Auftritt im Kerker, der Meister Syndus misstrauisch werden ließ.“

„Ach, darum geht es also“, knurrte Loronk abschätzig. „Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Ich habe dich bezahlt, damit du mir unauffällig Informationen über die Besprechungen des Ordens zukommen lässt. Stattdessen bist du so aufgeblasen durch die Straßen marschiert, dass selbst der letzte Penner bemerkt hat, dass du für mich arbeitest. Wenn du gekommen bist, um eine Entschädigung von mir einzufordern, dann kannst du direkt wieder gehen. Im Grunde schuldest du mir etwas. Immerhin habe ich durch dein wichtigtuerisches Benehmen einen wichtigen Informanten verloren. Jetzt sind die Türen des Ordens für mich verschlossen. Syndus wird dich von nun an wohl kaum noch ins Vertrauen ziehen. Unser Arbeitsverhältnis ist beendet.“

Aulus wandte sich ab, damit Loronk nicht sah, wie ihm das Blut in den Kopf stieg und die Ader an seiner Stirn hervortrat. Er rief sich in Erinnerung, dass er mit seiner Erkenntnis in diesem Dialog die Oberhand hatte, auch wenn es sich als deutlich schwieriger erwies, den Ork einfach mit seinen Vermutungen zu konfrontieren, als Aulus gehofft hatte. Loronk war ein gefährlicher Mann und der Novize vergewisserte sich, dass er im Zweifelsfall den Weg zur Tür schneller zurücklegen konnte, als der Brigadegeneral. Er atmete tief durch und stellte den Kerzenständer zurück auf den Tisch. „Höchst bedauerlich“, murmelte er und wandte sich zur Tür, als ob er gehen wollte. „Ich dachte, Ihr würdet kurz vor meiner Abreise aus Eydar noch einmal Eure Großzügigkeit unter Beweis stellen.“

„Du verlässt die Stadt?“, wunderte sich Loronk.

„So ist es“, erwiderte Aulus und seine Selbstsicherheit kehrte mit jedem seiner Worte langsam zurück. Er drehte sich wieder um und sah Loronk direkt in die Augen. „Es gibt nichts mehr, was mich hier noch hält. Und ich möchte möglichst weit weg von diesem Ort sein, wenn bekannt wird, dass Ihr schon lange nicht mehr nach den Vermissten sucht.“

Aulus genoss es zu hören, wie Loronk scharf die Luft einsog. „Was…was meinst du damit?“, fragte der Ork stockend. Aulus konnte sein Grinsen nun nicht mehr verbergen. „Kommt schon. Ihr könnt vielleicht den alten Syndus und seine hirnlosen Anhänger für dumm verkaufen, aber Ihr beleidigt mich wirklich zutiefst, wenn Ihr mich für ebenso minderbemittelt haltet. Ich weiß genau, dass Ihr nur auf Macht und Reichtum aus seid, Loronk. Ihr tut, als würdet Ihr nach den Vermissten suchen, aber Ihr würdet niemals so einen Aufwand betreiben, wenn Ihr nicht Kapital daraus schlagen könntet. Ihr ermutigt Abenteurer die Stadt zu verlassen und schickt Gefangene in die Sümpfe, aber gleichzeitig behindert Ihr die Arbeit des Ordens. Ich habe keine wirkliche Ahnung, was Ihr tatsächlich für ein Spiel treibt, aber ich weiß ganz genau, dass niemand besonders begeistert wäre, wenn Eure Machenschaften ans Licht kämen.“

Der Ork ballte seine Fäuste, bis seine Knöchel weiß wurden. Aulus hatte sich längst in Richtung Tür begeben. Sie war noch verschlossen, doch der triumphierend grinsende Novize hielt bereits die Klinke umklammert.

„Mir scheint, ich habe dich tatsächlich unterschätzt“, zischte Loronk mit gedämpfter Stimme. „Was hast du jetzt vor? Willst du mich erpressen?“

„So etwas Ehrloses würde ich niemals tun“, entgegnete Aulus mit gespielter Entrüstung. „Ich hatte lediglich darauf gehofft, dass Ihr einen armen Kerl, der bei seinem Vorgesetzten in Ungnade gefallen ist, mit ein paar Münzen unterstützen würdet. Ein paar Dutzend Münzen. Goldenen Münzen.“

Loronks Augen waren nicht mehr als zwei Schlitze. „Ich weiß nicht, ob ich deinen Auftritt hier kühn oder völlig größenwahnsinnig halten soll“, sagte er lauernd.

Aulus grinste entwaffnend. „Oh, weder noch, Brigadegeneral“, erwiderte er schmunzelnd. „Wisst Ihr, ich sehne mich genauso nach Reichtum und Einfluss wie Ihr. Keiner versteht Euch so gut wie ich. Aber im Gegensatz zu Euch habe ich nicht die Mittel, um meine Ziele so rigoros verfolgen zu können. Ihr seid doch mit Sicherheit bereit, einem Gleichgesinnten ein wenig Starthilfe zu gewähren. Und bleibt doch bitte sitzen. Ich bin nur ein kleiner Bittsteller, meinetwegen müsst Ihr Euch nicht erheben.“

Es war Loronk anzusehen, dass er Aulus am liebsten erwürgt hätte. Der Novize beobachtete jede Regung des Orks und war bereit, Hals über Kopf durch die Tür zu flüchten, sollte sich ihm der Brigadegeneral nähern, aber letztlich blieb Loronk keine Wahl. Mit einem resignierten Seufzen griff er in eine Schublade seines Schreibtisches. „Na schön“, grunzte er, holte einen prallgefüllten Geldbeutel hervor und warf ihn Aulus zu. „Das sollte hoffentlich reichen.“

Der Novize fing den Beutel etwas unbeholfen, überprüfte gierig den Inhalt und zeigte sich äußerst zufrieden. „Wahrlich großzügig, Brigadegeneral!“, rief er. „Das werde ich Euch nie vergessen.“

„Besser wäre es, wenn du genau das tust“, warnte Loronk. „Sieh zu, dass du bis morgen von hier verschwunden bist. Am besten verkriechst du dich in der letzten Ecke von Gäa. Denn wenn du mir noch einmal unter die Augen trittst, werde ich dich töten.“

Aulus‘ triumphierendes Grinsen bekam einen Riss. Loronks Worte jagten ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Er wusste genau, dass der Ork gerade keine bloße Drohung, sondern ein Versprechen geäußert hatte. Der Spitzel verlor die Nerven. Mit zitternden Knien drehte er sich um, stürzte durch die Tür aus der Kammer heraus und lief gehetzt den Gang entlang, während ihm Loronks hungriger Blick folgte, wie der eines Raubtiers seiner Beute.

Aulus verlor keine Zeit mehr. Gehetzt eilte er durch die Gänge des Gebäudes und steuerte auf die Unterkünfte der Ordensmitglieder zu. Er stürzte atemlos in seine Kammer und stopfte rasch die nötigsten Sachen in einen großen Tornister. In erster Linie wählte er Ringe und Ketten, die zwar teuer aussahen, aber größtenteils wertloses Blendwerk waren. Kaum hatte er seine Tasche gepackt, verließ er seine Kammer wieder und prallte auf dem Gang fast mit Adria zusammen.

Syndus‘ Assistentin trat geschickt einen Schritt zur Seite, um eine Kollision zu vermeiden, und musterte den Novizen abschätzig. Dabei fiel ihr der Tornister auf, den der Novize trug. „Wohin wollt Ihr denn so eilig?“, fragte sie misstrauisch.

Aulus strich sich rasch den Schweiß von der Stirn und nahm vor Adria eine selbstbewusste Haltung ein. „Ich nehme ein Zimmer im Gasthaus Nebelbank“, antwortete er großspurig. „Ich glaube, es ist besser, wenn man Loronks Gegenwart meidet.“ Seine Augen glitzerten vielsagend und Adria schob argwöhnisch die Brauen zusammen. „Zu dieser Einsicht kommt Ihr ein wenig spät“, knurrte sie verächtlich.

„Ihr habt ja nicht die geringste Ahnung, Kleine“, grinste Aulus höhnisch. Dann schulterte er seinen Tornister, zwängte sich rüde an Adria vorbei und stolzierte mit in die Luft gereckter Nase davon.

Sein Ziel waren die Ställe nahe dem Stadttor. Die Soldaten waren fast immer zu Fuß unterwegs, doch für die Mitglieder des Goldenen Falken standen immer ein paar Pferde bereit. Die Knechte zogen sich hastig und ehrerbietig buckelnd zurück, als der Ordensnovize die Stallungen betrat. Aulus gefiel es, wie sie vor ihm krochen. Er genoss ihre Unterwürfigkeit in vollen Zügen, denn er wusste genau, dass dies vorerst die letzte Gelegenheit war, seine übergeordnete Position auszunutzen. Bald war er in Eydar nicht viel mehr, als ein bloßer Name und eine Erinnerung an einen verschlagenen Ordensnovizen, der seinen armen Vorgesetzten Schande bereitet hatte. Aulus schüttelte verächtlich den Kopf. Syndus und seine Getreuen hatten den Blick für die wesentlichen Dinge im Leben verloren. Unter dem Kommando des Alten wäre er niemals glücklich geworden. Der Orden war mit seinen ehrenvollen Prinzipien der falsche Ort für ihn gewesen. Immerhin hatte er seine Zeit nicht vollständig in den Reihen dieser Trottel vergeudet, aber abgesehen von der recht üppigen Bezahlung hatte er sich bei den Goldenen Falken nie wirklich wohl gefühlt.

Aulus griff nach den Zügeln eines Fuchses und musste erneut grinsen. Was Syndus wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sein Schützling im Begriff war, ein Pferd zu stehlen? Vermutlich würde er sich Vorwürfe machen und sich selbst die Schuld dafür geben, dass einer seiner Novizen zu so einem dreisten Diebstahl fähig war. Aulus hatte die Werte des Ordens nie verinnerlicht und er hatte auch zu keinem Zeitpunkt den Drang verspürt, dies zu tun. Der Eid, den er geleistet hatte, war nichts weiter als ein paar aneinandergereihte Wörter ohne Bedeutung, die er einfach wiederholt hatte, als man ihn dazu aufgefordert hatte. Für ihn war es von Anfang an nur darum gegangen, durch möglichst wenig Arbeit viel Geld zu verdienen. Auch wenn seine Anstellung von kürzerer Dauer gewesen war, als er sich anfangs erhofft hatte, hatte sie sich doch allemal gelohnt.

Leider war Darva, die dunkelelfische Stallmeisterin, nicht ganz so verängstigt und schüchtern wie die Knechte. Als sie sah, wie sich Aulus am Zaumzeug des Fuchses zu schaffen machte, kam sie mit finsterer Miene auf ihn zu.

„Was soll das denn werden?“, fragte sie verärgert.

Aulus‘ Herz blieb beinahe stehen, als ihn die Stallmeisterin von der Seite ansprach. Er wirbelte herum und blickte erschrocken in ihr blasses Gesicht. Dünne Strähnen braunen Haars, indem einige Strohhalme und Heufasern steckten, hingen ihr in die Stirn. Ihr ganzer Körper roch nach Stall und nachdem sich Aulus von seinem ersten Schreck erholt hatte, rümpfte er angewidert die Nase.

„Ich leihe mir ein Pferd aus, wonach sieht es denn sonst aus?“, entgegnete er spitz und strich sich durch den Pferdeschwanz.

„So spät noch?“, brummte Darva misstrauisch. „Wohin soll es denn gehen?“

Aulus knirschte ungeduldig mit den Zähnen. Er hatte es sehr eilig, die Stadt zu verlassen. Jede noch so kleine Verzögerung machte ihn unsagbar nervös. „Ja, so spät“, erwiderte er hastig und zupfte an den Zügeln des Pferdes herum. „Aber das ist eine Angelegenheit des Ordens und hat Euch daher nicht zu interessieren.“

„Da bin ich anderer Meinung“, murmelte Darva ungerührt. „Ich bin die Stallmeisterin und Syndus legt großen Wert darauf, dass ich gut auf die Pferde Acht gebe. Er wird Euch doch mit Sicherheit gesagt haben, dass Ihr Euch bei mir melden sollt, wenn Ihr einen Gaul braucht.“

„Ja…natürlich hat er das“, gab Aulus zerknirscht zurück. „Entschuldigt, ich bin etwas in Eile.“

„Wäre mir gar nicht aufgefallen“, brummte Darva. „Also, wohin soll es gehen und wie lange seid Ihr fort?“

„Khaanor“, log Aulus hastig. „Und ich denke, dass ich in spätestens fünf Tagen zurück sein sollte.“

„Gut, meinetwegen“, antwortete Darva und trat zur Seite. „Aber wendet Euch nächstes Mal direkt an mich, bevor Ihr Euch an den Pferden zu schaffen macht.“

„Selbstverständlich“, sagte Aulus und versuchte es mit einem freundlichen Grinsen, aber Darvas Gesichtszüge blieben steinhart. Der Novize konnte nur mit Mühe das Zittern seiner Hände verbergen. Noch wussten weder die Stallmeisterin noch ihre Knechte, dass der stämmige Fuchs nicht in seinen Stall zurückkehren würde. Und Aulus wollte längst über alle Berge sein, wenn sie es herausfinden würden.

Der Novize führte das Pferd unter Darvas skeptischen Blicken aus dem Stall und schwang sich in den Sattel. Unruhig rutschte er auf dem Rücken des Gauls vor und zurück. Er konnte ganz passabel reiten, aber er hatte sich noch nie wirklich wohl dabei gefühlt. Etwas unsicher trieb er sein Ross voran. Das Pferd gehorchte anstandslos und trug ihn mit gemächlichen Schritten aus dem Schatten der Ställe und hinaus auf die gepflasterte Straße von Eydar. Die Sonne hing mittlerweile nur noch knapp über dem Horizont und spiegelte sich auf der glatten Wasseroberfläche des Binnenmeers. Ihre Strahlen verfärbten sich in ein sattes Orange und warfen lange Schatten. Aulus wurde ein wenig mulmig bei dem Gedanken, die Stadt bei Einbruch der Dunkelheit zu verlassen, doch er wusste, dass er keinen Augenblick länger in Eydar bleiben konnte. Auch wenn Loronk angekündigt hatte, dass er erst am nächsten Tag verschwunden sein sollte, wollte der Novize es nicht darauf ankommen lassen und noch eine Nacht in der Nähe des Orks verbringen. Er führte das Pferd zur Stadtmauer und hoffte inständig, dass die Torwachen ihn nicht auch noch aufhalten würden. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass Loronk in aller Eile den Befehl gegeben hatte, ihn beim Verlassen der Stadt auszuschalten.

Einer der Soldaten trat vor, aber als der Wachmann ihn erkannte, nickte er ihm nur wohlwollend zu und machte den Weg frei. Aulus frohlockte innerlich. Er nickte den wachhabenden Soldaten grinsend zu und ritt durch das Tor. Kaum hatte er die Stadtgrenze überschritten, schien es augenblicklich dunkler zu werden. Plötzlich kamen Aulus Zweifel, doch er hatte keine Wahl. Im Hafen lag kein Schiff vor Anker, das ihn auf dem Seeweg fortbringen konnte, deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als Eydar auf der Landroute zu verlassen.

Er zügelte sein Pferd und blickte zur Stadt zurück. Die beiden Torwachen winkten ihm aufmunternd zu und Aulus erwiderte die Geste nervös. Er hatte sich noch nicht überlegt, in welche Richtung er gehen wollte, doch als er im Schatten der Ställe Darva erkannte, die misstrauisch zu ihm herüberblickte, sank das Herz in seiner Brust. Durch seine Notlüge hatte er sich die Entscheidung selbst abgenommen. Die Stallmeisterin würde stutzig werden, wenn er der Küstenstraße folgend nach Osten ritt, statt den Weg durch die Düstermarsch zu wählen. Aulus verfluchte sich selbst und lenkte sein Pferd auf die bedrohlich wirkenden Wälder zu. Wenn er schnell genug ritt, konnte er das Gebiet durchqueren, ohne in Gefahr zu geraten.

Kaum hatte er die ersten Bäume erreicht, da trieb er sein Pferd auch schon zum Galopp an. Die Dunkelheit der Düstermarsch legte sich wie ein schwarzes Tuch über ihn. Neben dem wilden Hufgetrappel seines Reittieres hörte er überall das Knacken von Ästen und das Scharren von Krallen auf schlammigem Boden. Um ihn herum schien sich die Finsternis zu bewegen und Aulus entglitt ein entsetzter Schrei, als er verschwommen rotglühende Augenpaare entdeckte, die ihn aus dem Unterholz gierig anglotzten.

Kalte, nackte Angst packte ihn und er beugte sich mit zusammengebissenen Zähnen tief über den Hals des Pferdes. Sein Herz hämmerte heftig in der Brust und er spürte, wie seine Atmung immer schneller wurde. Voller Panik kniff er die Augen zusammen und versuchte sich darauf zu konzentrieren, dass Loronk ihm deutlich mehr Angst einjagte, als dieser Wald. Er ließ das Pferd sich seinen Weg suchen und achtete nicht mehr auf seine Umgebung, als hoffte er, den bedrohlichen Anblick der nächtlichen Düstermarsch vergessen zu können, wenn er die Sümpfe nicht sah.

Eine Gestalt sprang wie ein schwarzer Schatten aus den Farnbüscheln am Wegesrand und erschreckte das Pferd. Das Ross bäumte sich wiehernd auf, Aulus verlor die Zügel und stürzte mit einem spitzen Schrei vom Rücken seines Gauls. Das Pferd galoppierte in wilder Panik davon, während sein Reiter unsanft auf dem Boden landete, die Böschung hinabrollte und schließlich in einem knietiefen Tümpel landete. Japsend schlug Aulus um sich und bekam einen glatten Felsen zu fassen, an dem er sich aus dem Schlamm zog. Er war so verängstigt, dass er keinerlei Notiz davon nahm, dass seine teuren Kleider verschmutzt und zerrissen waren. Aulus hielt den Atem an und lauschte in den Wald hinein. Das Dickicht um ihn herum raschelte und er war kurz davor die Nerven zu verlieren, als er im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Er wirbelte herum und sah einen Dunkelelfen auf sich zukommen.

„Gilroy!“, rief er und war so erleichtert, ein bekanntes Gesicht zu sehen, dass er sich nicht wunderte, was der Fischer in den Sümpfen zu suchen hatte. „Bei den Göttern, bin ich froh, Euch zu sehen!“

„Ich bin auch froh, Euch zu sehen“, entgegnete der Dunkelelf tonlos und zückte einen kurzen Dolch.

Aulus wich erschrocken zurück, als er die Waffe sah, und hob abwehrend die Hände. „Moment!“, flehte er, als er begriff. „Nicht so schnell! Ich…ich kann Euch viel Geld geben!“

Gilroys Gesicht verzerrte sich zu einem irren Grinsen und der Dunkelelf kicherte wild. „Euer schmutziges Geld interessiert mich nicht. Es gehört hierher in den Sumpf“, meinte er und kam weiter auf den Novizen zu.

Aulus machte noch einen Schritt nach hinten und spürte einen Felsen in seinem Rücken. Panisch fuchtelte er mit den Armen. „Wenn Ihr mich tötet, dann werdet Ihr das teuer bezahlen…ich bin ein Novize de-Aarrgh!“

In einem Strahl silbernen Mondlichts, der durch die dichten Baumwipfel fiel, blitzte Gilroys Dolch für einen Sekundenbruchteil auf. Die scharfe Klinge durchtrennte Aulus‘ Kehle mit einem sauberen Schnitt und der frühere Novize fasste sich an den Hals. Dunkles Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch er sackte mit weit aufgerissenen Augen in die Knie. Er gab ein ersticktes Röcheln von sich und blickte fassungslos zu Gilroy empor. Zitternd hob er seine Hand, spuckte in einem Hustenanfall einen Schwall Blut aus und kippte schließlich vornüber. Der Dunkelelf stand über ihm und sah zu, wie sich der schlammige Boden unter ihm rot färbte.

Die Ratten im Unterholz quietschten vor Begeisterung. Gilroy hatte nicht vor, den hungrigen Nagern ihr Festmahl vorzuenthalten. Er ließ den ermordeten Mann liegen, wandte sich um und verschwand in den dunklen Sumpfwäldern.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  NaruOnIce
2019-02-11T07:49:33+00:00 11.02.2019 08:49
Das Kapitel ist auch sooooo so gut einfach!! Macht super Spaß die Geschichte aus Aulus' Augen zu betrachten! Zu schade, dass sein Auftritt so kurz war ABER OOOH GILROY WIRD AKTIV


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