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Ein Ball mit Vermutungen

Ich hatte mich schlussendlich dagegen entschieden, Joey nach dem Medaillon zu fragen. Es war doch sehr privat, und ich hatte bereits in seinen Sachen herumgeschnüffelt. Die nächsten Tage verliefen also relativ ereignislos. Ich synchronisierte den Schwarzen Magier weiter, arbeitete auch an den Moves mit, schrieb einige Zeilen selbst. Insgesamt war man mit meiner Tätigkeit sehr zufrieden. Ich wurde auch aktiv in den Testprozess eingebunden. So war ich einer der Ersten, der exklusiv das neueste Game der Kaiba Corporation zocken durfte. Kaiba selbst verhielt sich mir gegenüber, genauso wie dem Rest der Clique rund um Yugi (zu der ich mich nun auch zählte), kühl und distanziert. Mein wachsendes Verhältnis zu Mokuba als dessen „Bruderersatz“, neben Joey, änderte daran auch nichts. So kam es jedenfalls, dass ich, nebst dem Schulstress, beinahe auf den Abschlussball vergessen hätte.
 

„Hey David, du hast nicht vergessen, dass heute Abend der Ball ist, oder?“ Joey riss mich aus meinen Gedanken, welche sich gerade um ihn gedreht hatten. Von meinem nächtlichen „Ausrutscher“ hatte er nichts mitbekommen, dafür war ich weise genug, ihm bisher nichts von meinem Ausflug in seine künstlerische Welt zu erzählen.
 

„Hm, ach das ist heute? Ich habe ja nicht mal eine Karte, ich glaube ich gehe nicht hin.“ Mir war das Ganze einfach ein wenig zu heikel. Wir tranken dabei vielleicht etwas, und wenn ich den kritischen Punkt übersehen würde, konnte ich unter Umständen etwas Dummes anstellen.
 

„Haben wir alles schon. Ich hole dich um sieben bei dir ab. Keine Widerrede.“ Joeys Stimme hatte einen befehlenden Ton angenommen, dem ich lieber nicht widersprach. Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal – wenn er unbedingt meinte.
 

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch prüfte ich den Sitz der Fliege. Insgesamt gefiel ich mir in meiner Abendgarderobe außerordentlich gut. Das Sakko lag eng an, war aber nicht unbequem. Ich fühlte mich sportlich, trotz der schicken Kleidung; wie James Bond eben. Das Klingeln an meiner Tür ließ mich von meinem letzten Feinschliff Abstand nehmen. Händeringend öffnete ich Joey, welcher mir entgegengrinste. Er selbst war mit einem feinen, schwarzen Seidenhemd, einer silbernen Krawatte, schwarzen Jeans und Sneakers ausgestattet. In der rechten Hand trug er lässig eine Parka.
 

„Wow, wie siehst du denn aus? Da hat Tea wohl eindeutig untertrieben. Ich komme mir fast schon ein wenig schäbig vor.“
 

Ich rollte mit den Augen und boxte Joey gegen die Schulter, nur um dann in meine Schuhe zu schlüpfen und abzusperren. Den Schlüssel verwahrte ich sorgsam in der Hosentasche und nickte meinem Freund zu. „Steht dir, Joey. Eine Nummer kleiner noch, und du würdest das Hemd beim Bücken zerreißen.“ Ich wusste nicht warum, aber mir war durchaus ein wenig nach Blödeln zumute. Mal abgesehen davon: Joey sollte keines Falls etwas von meiner Unsicherheit bezüglich meiner Gefühle bemerken.
 

„Mh, ich bin wohl seit letztem Jahr noch ein wenig gewachsen, oder so. Tea meinte, es würde mir exzellent stehen. So kämen meine Muckis zur Geltung.“ Joey grinste breit und schlüpfte im Gehen in den Parka. Erst jetzt fiel mir auf, wie kalt es eigentlich draußen war. „Wird dir nicht zu kalt, nur in Sakko und Hemd?“ Ich konnte die Sorge in der Stimme meines Freundes hören. Hastig schüttelte ich den Kopf.
 

„Wenn mir zu kalt ist, erfrierst du. Ich bin schon bei null Grad mit kurzer Hose unterwegs gewesen, mach dir mal keinen Kopf. Wie läuft denn das heute ab?“
 

Joey schob die Hände in die Taschen des Parka und hob seine Schultern an: „Wie ein Ball eben so abläuft. Wir quatschen, tanzen, und so weiter.“
 

Ich nickte leicht und schob meine Hände in die Hosentaschen. Die Zeit bis zur Schule vertrieben wir uns mit einem Gespräch über Duel Monsters. Als Joey erwähnte, dass sein Flammenschwertkämpfer und Yugis Schwarzer Magier immer ein gutes Team gewesen waren, spürte ich einen kleinen Stich in der Brust. War es vielleicht doch nur eine Zeichnung gewesen, um unser gutes Zusammenarbeiten auszudrücken?
 

In der Schule selbst herrschte reges Treiben. Die große Turnhalle war wie ausgetauscht. Eine riesige Mini-Bar mit nichtalkoholischen Getränken, ie Tanzfläche war gut besucht, das Licht gedimmt, und ein DJ legte stimmungsvolle Musik auf. Joey gab seinen Parka an der Garderobe ab, und dann mischten wir uns gemeinsam unter die Menge, unsere Freunde suchend. Nach kurzer Zeit entdeckten wir Tristan, Yugi, Duke und Tea.
 

„Wo habt ihr Bakura gelassen?“ brüllte ich Yugi ins Ohr. Dieser signalisierte mir, mit ihm ein wenig ins Abseits zu gehen. Joey und Tristan waren inzwischen losgezogen, um uns Getränke zu besorgen. Tea hatte Duke genötigt, mit ihr zu tanzen.

„Hier ist es ruhiger. So: Bakura ist krank geworden. Er hat etwas Schlechtes gegessen. Ich soll dich aber lieb von ihm grüßen.“ Yugi lächelte schief. Der Kleine wirkte in seinem dunkelblauen Anzug irgendwie total fremd.
 

„Schade, besuchen wir ihn die Tage mal?“
 

Mein Punkerfreund nickte leicht, bevor er sich räusperte: „Tea hat mir gesprochen, wegen Joey und dir.“ Joey und mir? Ich zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe? Mir gingen einige Kommentare zu Tea durch den Kopf, und keines davon war besonders nett. Hatte sie es Yugi wirklich auf die Nase binden müssen?
 

„Tu nicht so überrascht. Tea ist meine beste Freundin. Jedenfalls, wir wären dir alle ein wenig dankbar, wenn du etwas nachbohren könntest.“ Yugi rieb sich verlegen den Nacken und senkte den Blick ein wenig. Wie bitte? Ich sollte nachbohren? Wozu? Vor allem: Warum hatten sie das nicht längst gemacht?
 

„Yugi? Findest du nicht, dass ich für sowas die falsche Person bin? Du und Tristan, ihr zwei seid seine besten Freunde, nicht ich. Ihr kennt ihn länger, und gerade du bist sicher einfühlsamer als ich. Wie stellt ihr euch das überhaupt vor? Er blockt bei mir auch ab.“
 

Mein Gesprächspartner setzte gerade dazu an, etwas sagen zu wollen, als er innehielt und den Mund wieder schloss. Neben uns war Tristan erschienen, drei Gläser mit sich führend, in denen eine orangene Flüssigkeit schwappte. O-Saft, meiner Vermutung nach.
 

„Sprichst du gerade mit David, Yugi, über unser Thema?“ Tristan hielt mir und Yugi jeweils ein Glas hin, welches wir beide dankend annahmen. Ich entschied mich, sie erst einmal aussprechen zu lassen. Vor allem war ich neugierig, wieso gerade ich mich um ein offensichtliches Geheimnis von Joey kümmern sollte.
 

„Mh, ich bin grade dabei.“ Yugi nippte an seinem Glas. „Vielleicht erklärst du es ihm besser?“
 

Tristan fuhr mit seinem Daumen über den Rand des Glases bevor er mich ansah: „ Joey ist eine exzellenter Schauspieler, wie dir vielleicht bereits aufgefallen ist. Hinter der fröhlichen, freundlichen Fassade hat er etwas vergraben, was langsam an die Oberfläche kommt. Wir vermuten, dass es mit seinem Vater zu tun hat.“
 

Ich schrägte ein wenig den Kopf. Fragend pendelte mein Blick zwischen Yugi und Tristan hin und her. Dass sein Vater ein Alki war, wussten ja alle, und dass er nicht immer so fröhlich sein konnte, das leuchtete mir auch ein. Was war nun los?
 

„Leute, warum lasst ihr die Katze nicht aus dem Sack? Wir sind Freunde, oder? Hört auf herumzudrucksen, das kann ich gar nicht ab.“ Ich nippte an meinem Orangensaft und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Yugi atmete tief durch: „Wir glauben, dass Joey unter Umständen von seinem Vater misshandelt wird, oder zumindest wurde. Hast du dich nie gefragt, warum er nicht über sein Zuhause sprechen möchte? Warum er keine Freundin hatte? Wer hat dich am Öftesten und am Längsten im Krankenhaus besucht?“
 

Die Geschichte mutete ein wenig abstrus an, in meinen Augen. Ihre Vermutungen wirkten sehr haltlos, und ich persönlich glaubte nicht daran, dass Joey misshandelt wurde. Mir waren weder Hämatome noch Verhaltensstörungen bei ihm aufgefallen. Klar, er war zwar ein Chaot, aber insgesamt kam er immer in die Schule, man konnte sich auf ihn verlassen, er machte seine Hausaufgaben und betrieb regelmäßig Sport.
 

„Leute, mal im Ernst: Joey wirkt nicht gerade wie jemand, der misshandelt wird. Er hat zwar eine sehr chaotische Art, aber, ansonsten… Er scheint aktiv Sport zu treiben, die Hausaufgaben sind auch meist einigermaßen gemacht und er kommt regelmäßig in die Schule. Nach unserer Session hat er mit mir im Zimmer geschlafen, da sind mir weder Wundmale noch sonst etwas aufgefallen. Mal abgesehen davon – ihr zwei hattet auch noch nie eine Freundin, genauso wenig wie ich. Dass er niemanden nach Hause einlädt ist mir auch klar; wenn euer Dad ein Alki wäre, würdet ihr uns auch nicht mit Pauken und Trompeten begrüßen, oder?“
 

Meine Gesprächspartner seufzten leise. Tristan zog sein Smartphone aus seinem hellblauen Sakko und entsperrte es. Sein Daumen wischte über das Display, bis er in der Galerie beim gewünschten Objekt angekommen war. Wortlos hielt er mir das Handy hin. Ich stellte den O-Saft auf den kleinen Tisch neben uns und ging die Liste durch. Dabei verschlug es mir den Atem.
 

„Woher habt ihr das?“ Ich sah vom Display zu Tristan und Yugi auf, welche mich mit besorgtem Blick beobachteten. „Das ist gar nicht möglich, mir hätte das auffallen müssen.“ Eilig ging ich die Galerie noch einmal durch und blinzelte mehrmals: Tatsächlich, die Bilder waren noch immer da, und ich träumte wohl auch nicht.
 

„Tea hat einmal in seinen Block gespickt, wie du, das hat sie dir bereits erzählt. Die hinteren Seiten sind komplett tabu, und du bist auch nicht so weit gekommen. Sie hat es abfotografiert und dann mir und Yugi gezeigt. Daraufhin haben wir mit Joey gemeinsam sprechen wollen. Er ist vollkommen ausgerastet. So schlimm hatten wir uns noch nie gestritten. Am nächsten Tag kam er völlig zerknirscht in die Schule und wollte uns beruhigen, er sei einfach beim Joggen unschön gestolpert.“
 

Ich biss mir auf die Lippen. Das war wohl eine mehr als nur fadenscheinige Lüge gewesen. Ich begutachtete die Bilder genauer. Sie zeigten Oberarme, Schulterblätter, Brust und Beinbereich von jemandem, über und über mit Schürfwunden und blauen Flecken übersäht. Der ganze Körper glich einem einzigen Schlachtfeld. Joey musste die Bilder ausgedruckt und in seinen Block geklebt haben. Jedes Bild war fein säuberlich nachgemalt worden. Jene Zeichnungen, welche sich nicht mit den Verletzungen befassten, zeigten Joey, wie er, die Arme um die Knie geschlungen, auf einem Bett hockte. Sein Gesicht, wie er weinte. Ein weiteres zeigte ihn und seine Schwester, wie sie jeweils die Hand zueinander ausstreckten. Beide waren noch Kinder, und wurden jeweils von einer Hand am Arm weggezogen. Ich gab Tristan sein Handy zurück.
 

„Mokuba hat mich vor vierzehn Tagen angerufen. Hast du Joeys Bettseite begutachtet?“ Ich schüttelte den Kopf. Warum auch? Was ging mich Joeys Bettseite an?
 

„Sie war total verschmiert. Joey überdeckt seine blauen Flecken irgendwie, sei es mit irgendwelchen Kosmetika oder sonst was. Ins Bad bist du zuerst reingegangen, oder?“ Diesmal nickte ich. Dann fiel der Groschen – Joey hatte wirklich deutlich länger gebraucht als ich.

„Joey hatte doch gar kein Zeug mit. Tristan ich meine, das wäre ja der blanke Wahnsinn.“
 

Der braunhaarige Riese schob sein Smartphone in die Innentasche seines Sakkos „Ihr habt in einem Anwesen genächtigt, in dem wahrscheinlich sogar eine eigene Person für das Nachfüllen der Klorollen zuständig ist. Die Zimmer sind in einem perfekten Zustand. Im Badezimmer haben sich sicher irgendwelche Schminksachen befunden, falls Kaiba einmal weibliche Gäste unterhalten sollte.“
 

Das klang alles noch immer zu phantastisch, um wahr zu sein. „Sein sonstiges Auftreten? Seine Kleidung ist immer einigermaßen sauber. Er trainiert laut eigener Aussage regelmäßig, was man auch erkennen kann? Er lässt die Schule nicht schleifen.“
 

Yugi nippte an seinem Glas: „Das ist uns auch ein Rätsel, wenn wir ehrlich sind. Dass er gerne trainiert hängt damit zusammen, dass er den Besitzer des Fitnessstudios kennt, und so gratis rein darf. Dann ist er eine Weile von zu Hause weg. Seine Noten sind auch am unteren Durchschnitt, wenn du ehrlich bist, und das liegt nicht dran, dass er übermäßig dumm wäre.“
 

Mal angenommen, sie hatten Recht, warum hatte noch keiner von ihnen etwas unternommen? Ich kannte Joey nicht mal ganz zwei Monate, mit der Clique hatte er viel mehr erlebt als mit mir. Seine besten Freunde präsentierten mir gerade, dass er an massiven Problemen zu nagen hatte – ich raffte es nicht, um ehrlich zu sein.
 

„Gehen wir mal davon aus, dass ihr Recht habt. Was soll ich daran ändern? Joey wird sich mir nicht öffnen, wenn er es bei euch schon nicht getan hat. Wenn er es zugibt, dann passiert was? Er ist noch nicht volljährig, er kann nicht alleine leben, hat keinen Job – es würde nichts ändern.“

Yugi und Tristan exten ihren Saft gleichzeitig. Ein eingespieltes Team waren sie, das musste man ihnen lassen.
 

„Wenn er ihn anzeigt, könnte man unter Umständen erwirken, dass die Volljährigkeit bereits vorher angenommen wird. Er scheint ja wirklich alles selbstständig zu deichseln, mit der Schule, mit dem Haushalt, und so weiter. Daran wird es wohl nicht scheitern.“ Yugi trippelte nervös auf der Stelle herum. „Außerdem – Joey mag dich, er mag dich wirklich sehr. Er hängt furchtbar an dir, das wissen wir. Du hast ihn bisher noch zu nichts gedrängt, wie wir. Dir vertraut er. Glaub uns.“
 

Da war doch noch eindeutig mehr. Ich wollte gerade einhaken, als unser Gesprächsthema neben mir auftauchte. Grinsend legte er mir eine Hand auf die Schulter. „Na, Leute? Wie lange wollt ihr unseren James Bond Junior noch in Beschlag nehmen? Zeit, dass wir tanzen gehen!“
 

Yugi und Tristan lachten, bevor wir gemeinsam auf die Tanzfläche marschierten. Im Vorbeigehen, als Joey abgelenkt mit mir plapperte, warfen mir beide einen ernsten, fast schon flehenden Blick zu. Unwillkürlich nickte ich. Ich hing auch an Joey, und an der Gruppe; außerdem konnte ich so ihre Vermutungen vielleicht entkräften.
 

Den restlichen Abend verbrachten wir mit tanzen und feierten ausgelassen. Ich tat zumindest so – das Gespräch mit Yugi und Tristan geisterte mir noch immer durch den Kopf. Ich war beunruhigt. Was, wenn an ihren Vermutungen wirklich etwas dran war?



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