Welt ohne Grenzen von SoraNoRyu ================================================================================ Kapitel 35: Schlüssel (Noctis Lucis Caelum) ------------------------------------------- Es ist ein herrliches Gefühl, allein und aufrecht unter der Dusche zu stehen. Ich liebe meine Freunde und ich bin ihnen unglaublich dankbar für alles, was sie in den letzten Wochen und Monaten für mich getan haben, aber gleichzeitig genieße ich die Privatsphäre, die ich in der Zeit entbehren musste. Es macht mir nichts aus, von Ignis gewaschen zu werden, und auch ohne Krankheit wäre das ein Luxus, auf den ich als König Anspruch habe. Ich wüsste nur nicht, warum ich das wollen sollte. Es ist viel angenehmer, diese Zeit einfach für mich selbst zu haben, mich selbst zu waschen, abseits aller anderen Augen. Das ist nämlich der wahre Luxus: Gesund und selbstständig zu sein. Das Bad in der Nautilus ist klein und ein wenig schäbig, kein Vergleich zu den opulenten Bädern im Leville. Aber es gibt warmes Wasser, Seife und saubere Handtücher. Luxuriös genug, wenn man schon mal mit weniger leben musste, und dafür hat Gladio mit seinem Campingwahn zur Genüge gesorgt. Ohne Ignis hätten wir vermutlich sogar auf Klopapier verzichten müssen… ich bin keine Topfpflanze, aber so abgehärtet bin ich dann auch wieder nicht. Ich lasse mir Zeit, mich gründlich zu waschen, genieße einfach die Privatsphäre und das warme Wasser auf meiner Haut, bis die Luft vom heißen Dampf erfüllt ist. Auch das Abtrocknen geht ohne Eile. Als ich schließlich in meinen weichen Bademantel gewickelt zurück ins Zimmer gehe, ist Ignis in seinem Sessel beinahe eingeschlafen. Ich rolle die Augen und stupse ihn wach. „Hey“, raune ich ihm zu, „Dir ist schon klar, dass das Bett frei ist, während ich im Bad bin?“ Ignis blinzelt mich verwirrt an und wirft beinahe seine Brille herunter, als er sich die Augen reibt. „Tut mir Leid… ich sollte nicht schlafen.“ „Doch solltest du. Sieh mich an, Ignis.“ Ignis hebt den Kopf und versucht es. Seine Augen sind unfokussiert, unter ihnen zeichnen sich tiefschwarze Ringe ab. Sein Gesicht wirkt blass und eingefallen… Kein Wunder. Wir sind fast eine Woche hier, und Ignis hat wenn überhaupt nur in diesem Sessel geschlafen, immer bereit, aufzuspringen, wenn die Tür aufgeht und sein Klimperseil zu Boden fällt. Während sich mein Zustand langsam gebessert hat, geht es Gladio immer schlechter. Er kämpft mit hohem Fieber, schmerzenden Armen und schlimmen Träumen, wacht immer öfter schreiend auf und redet wirres Zeug. Arc bemüht sich um ein wirksames Gegengift, hatte aber bisher leider wenig Erfolg. Ignis pflegt uns beide, ohne Rücksicht auf sich selbst. „Leg dich hin“, befehle ich. Bevor er widersprechen kann füge ich hinzu: „Ich hab in den letzten Monaten wirklich genug gelegen, ich will jetzt eine Weile sitzen. Etwas lesen, mein Handy prüfen, sowas halt. Ich wecke dich, wenn ich mich wieder hinlegen will.“ Ignis sitzt still da und blickt mich lange an, dann nickt er. Widerwillig steht er auf, seufzt tief und zieht sich seinen Schlafanzug über, bevor er in mein Bett kriecht. Ich folge ihm, stelle sicher, dass er gut zugedeckt ist und erinnere ihn noch einmal daran, dass er unbesorgt schlafen kann. Es dauert nicht lange und seine Atmung geht ruhig und gleichmäßig, den Schlaf hat er dringend gebraucht. Ich dagegen fühle mich fit. Ich strecke mich ausgiebig, werfe den Bademantel über den Sessel, auf dem Ignis die ganze letzte Woche verbracht hat und suche mir anständige Kleidung aus meiner Tasche zusammen. Bequeme Jeans, ein Shirt, den warmen Behemothpulli, den Nora mir geschenkt hat, als sie von einer langen Wachtour zurückkam um nach ihrem Freund Sanni zu sehen. Sie und vor allem Callus waren mächtig erstaunt, als sie ihren Findling in der Uniform gesehen haben… Prompto Argentum war den beiden natürlich schon ein Begriff, aber den Zusammenhang hätten sie nicht erkannt, als sie ihn im Straßengraben aufgelesen haben, abgemagert und verwahrlost wie er war. Ich habe ihn ja selbst nicht erkannt damals… auch wenn mir mehr die Angst im Weg stand als alles andere. Jetzt, wo ich so viele der anderen Klone kennen gelernt habe kommt es mir fast lächerlich vor. Natürlich würde ich Prompto immer erkennen. So ähnlich sehen ihm die anderen nicht… wäre Sanni jemand anderes als Prompto gewesen, hätte ich es gewusst. Aber so hatte ich einfach Angst, mich zu irren. Weil ich nicht wollte, dass er jemand anderes ist. Ich seufze. Ein einziges Mal war Prompto in dieser Woche hier, und es ging ihm furchtbar. Ich konnte nicht mehr für ihn tun als ihn schützend im Arm zu halten, während er schläft. Habe ihm durch die Haare gestreichelt und ihn beruhigt, wenn er schlecht geträumt hat. Er hatte hohes Fieber… Letztendlich hat Ignis den ‚verlorenen Jungs‘, wie Nemo seine Truppe nennt, Bescheid gegeben, dass sie Prompto hier abholen können. Sie sind mit einer Trage gekommen und haben ihn einfach mitgenommen. Ich musste es zulassen… konnte nichts weiter tun als darauf hinzuweisen, dass Prompto Medikamente für seine Psyche braucht und wo diese liegen. Ignis war nicht überrascht, wusste sogar, wo die Tabletten sind. Hoffentlich geht es Prompto gut… er hat eine größere Dosis Gift abbekommen als Gladio und weniger Gewicht, auf das sie sich verteilt. Er ist nicht von uns getrennt, weil Nemo das unbedingt so will, sondern, weil er spezielle Überwachung braucht, weil alle zwei Stunden jemandem nach ihm sieht, um eventuell eine Sauerstoffmaske anzulegen oder Adrenalin zu spritzen, vielleicht nochmal ein Gegengift oder einen Blocker zu versuchen. Mich hätte der Trubel zu sehr gestört. Ich brauchte Ruhe. Auch jetzt fühle ich mich noch etwas träge, aber es ist besser, erst mal ein wenig zu sitzen. Besser für meine Psyche, jedenfalls… endlich trage ich wieder normale Kleidung statt dem Schlafanzug, sitze in einem Stuhl und habe Zeit und Muße, mal durch die Mails in meinem Handy zu gehen. Die meisten sind Genesungswünsche auf meiner privaten Emailadresse. Ich schreibe allen zurück, bedanke mich für die lieben Worte und versichere, dass es mir wieder gut geht und dass ich in Sicherheit bin, gebe aber keine Details mit. Nur Cidneys Mail lässt mich aufhorchen. Sie macht sich Sorgen um Prompto, weil sie ihn so gar nicht erreichen kann und Ignis, der einzige der antwortet, sie nur vertröstet. Ich werfe einen Blick in Promptos Tasche und finde sein Handy sofort. Dreihundertachtundsechzig verpasste Anrufe… sieht wichtig aus. Ich schalte das Handy ganz ab, werfe einen prüfenden Blick auf Ignis, der leise zu schnarchen begonnen hat und tippe Cidneys Nummer in mein eigenes Handy. Während das Gerät wählt greife ich in meine eigene Sporttasche und suche mein Portmonee heraus. Die alte Zugangskarte aus der Zegnautusfestung liegt noch darin, der Barcode, der darauf aufgedruckt ist, ist derselbe, der auch Promptos Handgelenk ziert. Gut gespielt, Ardyn… ich hasse seinen perversen Humor. Aber die Karte nehme ich dennoch gerne. Vorsichtig löse ich das klimpernde Seil von der Tür und klebe es stattdessen am Rahmen fest, damit ich die Tür fast lautlos öffnen und hinter mir wieder schließen kann, ohne die Alarmanlage ganz außer Kraft zu setzen. Der Gang ist leer, das Licht gedimmt, vielleicht ist es Nacht. Das erklärt auch, warum Cidney so lange braucht, an ihr Handy zu gehen. „Wer stört?“, meldet sie sich mit verschlafener Stimme, als die Tür sich gerade geschlossen hat. „Ich bin’s“, antworte ich leger und suche mir eine Nische im Gang, in die ich mich wegdrücken kann. Ich will Ignis und Gladio nicht wecken, aber ganz wohl fühle ich mich hier draußen noch nicht. „Du hast ein paar Mal versucht, Prompto zu erreichen.“ „Ja hab ich, was ist mit ihm?“, Cidney wirkt sofort wacher, direkt aufgeregt. Im Hintergrund beginnt ein Baby zu schreien. „Oh nein, bitte, nicht weinen…“ „Er kann im Moment nicht an sein Handy“, weiche ich aus, „worum ging es denn?“ Cidney antwortet nicht sofort. Ihre Stimme klingt etwas entfernt, ich kann beruhigende Worte hören, der Ton wirkt fast flehentlich. Vermutlich hat sie das Handy aufs Bett geworfen, um das Baby zu beruhigen. „Tut mir Leid, er schläft schon die ganze Nacht so schlecht…“, meldet sie sich wieder, als das Schreien verstummt, „braucht alle paar Stunden die Brust.“ „Das Baby ist also schon da?“, vermute ich. „Ja, hat Prompto das noch nicht erwähnt? Ihm hab ich’s schon gesagt. Wollte eigentlich nochmal anrufen, weil jetzt die Testergebnisse da sind, aber er geht nicht ran. Erst dachte ich, er hat einfach nur Angst…“ „Er ist der Vater, nehme ich an?“ „Ja, ist er. Kein Zweifel möglich. Ich hatte gehofft, er freut sich vielleicht. Er hat sich so gekümmert, so oft mit mir telefoniert…“ Prompto hatte mir anvertraut, wie viel Angst er vor diesem Ergebnis hat. Er wollte nicht sagen, warum, aber ich denke, ich weiß es ohnehin. Ihn belasten die Sache mit Besithia und sein eigenes mangelndes Selbstwertgefühl. Dabei haben viele der Klone schon eigene Kinder. Und das Prompto Besithia, seinen eigenen Erzeuger, umgebracht hat, kann ihm keiner vorwerfen. Das war kein Vatermord, das war einfach nur notwendig. Und mutig. „Es geht im momentan nicht so gut“, erkläre ich Cidney, „er hat ein wenig Fieber und muss das Bett hüten, deswegen hat Ignis ihm das Telefon abgenommen. Aber er freut sich sicher, wenn er hört, dass es sein Kind ist. Brauchst du etwas von ihm wegen der Alimente? Prompto ist Mitglied der Königsgarde, wenn du den Vaterschaftstest bei Cor vorlegst leitet er alles in die Wege, damit du das Geld bekommst, das dir als Mutter seines Kindes zusteht. Ein Junge, wenn ich vorhin richtig gehört habe?“ „Danke. Und ja, ja, es ist ein Junge. Ich hab ihn Cid genannt, nach meinem Großvater. Kitschig, oder? Aber es passt… er ist jetzt schon genauso stur.“ Ich muss lachen, ja, das passt. „Ist doch kein schlechter Charakterzug für einen jungen Mann. Kümmere dich gut um ihn… und sprich mit Cor. Du bekommst alle Hilfe, die du brauchst, ja? Prompto ist einer von uns, und auch so gehörst du schon fast zur Familie, Cidney. Wir sind für dich da.“ „Danke Noct“, Cidneys Stimme klingt belegt, sicher kämpft sie gegen die Tränen, „Bring du mir nur Prompto heil zurück, ja? Und sag ihm, dass ich ihn liebe und… und dass er einen süßen Sohn hat. Cid ist ein kräftiger Junge, und total niedlich, wenn er gerade nicht schreit.“ „Kann ich mir lebhaft vorstellen. Ich sag es Prompto, er freut sich bestimmt, dass es euch gut geht. Alles Gute Cidney, wir kommen sobald es geht vorbei.“ „Bis dann.“ „Bis bald.“ Ich lege auf und atme tief durch. Cid also… irgendwie freut es mich, dass Prompto jetzt auch Vater ist. Ich frage mich, wie er es aufnehmen wird. Aber wenn es ihm gut geht, will ich es ihm unbedingt sagen. Nachdenklich drehe ich die Schlüsselkarte in meiner Hand. Im Grunde steht mein Entschluss ohnehin fest. Ich will Prompto sehen, mich überzeugen, dass er noch lebt und dass es ihm, hoffentlich, ein wenig besser geht. Ignis wird hoffentlich so lange schlafen dass er meine Abwesenheit gar nicht bemerkt. Wenn ich nur wüsste, wo genau Prompto ist… aber ich habe ihn schon in gefährlicherem Terrain gefunden. Also erst mal überlegen. Prompto war schon einmal hier, und er ist Nemo wichtig. In die Wand mir gegenüber ist ein großer Bildschirm eingelassen, sicher ein Terminal wie das, was in unserem Zimmer über dem Tisch hängt. Ich tippe darauf, um es zu aktivieren, und rufe eine Karte des Schiffes auf. Prompto hat sicher ein Einzelzimmer, vielleicht in der Nähe der Kapitänsunterkunft. Genau lässt es sich aber ohne zusätzliche Informationen schwer sagen. Einer Eingebung folgend lese ich die Karte ein. Zugangslevel 6, nicht genug für alles, aber ausreichend, um ein paar mehr Informationen zu bekommen. Jetzt sind die Zimmer beschriftet. Das unsere ist ein Gästeraum, die meisten der anderen tragen MI Nummern, die durch Namen ergänzt sind, in den größeren Teilweise mit dem Zusatz +Freund oder +Familie. Ich tippe Promptos Nummer ins Suchfeld und bekomme sofort den Raum angezeigt. Natürlich liegt der ganz am anderen Ende des Schiffes. Ich fühle mich seltsam dabei, einfach so durch das Schiff zu laufen. Mit meinen schwarzen Haaren komme ich mir hier fremd vor… trotzdem werde ich freundlich gegrüßt, wenn mir mal jemand entgegen kommt, und niemand scheint sich groß über mich zu wundern. Sicher gehen die Jungs davon aus, dass ich einfach nur jemandes Freund oder Ziehvater bin. Ganz falsch liegen sie nicht. Ich bin auch bei weitem nicht der einzige hier, der eine Schlüsselkarte für die Türen nutzt, und sogar einige der Klone haben gefärbte Haare, vielleicht, um ein wenig aus der Reihe zu tanzen, nicht so wie die anderen zu sein. Prompto ist sicher nicht der Einzige, den diese Sache belastet… „Hallo Opa“, ruft eine dünne Stimme, und ich halte an, damit der Junge mich einholen kann. Er ist etwa neun oder zehn Jahre alt, mit braunen, welligen Haaren und großen blauen Augen. „Kannst du mir helfen? Meine Schlüsselkarte ist kaputt und Papa schimpft wenn er merkt, dass wir uns rausgeschlichen haben…“ Ein kleines, brünettes Mädchen schleicht hinter ihm her. Auch sie hat helle Augen und blickt mich schüchtern an. Ich ignoriere die Beleidigung über mein Alter und beuge mich zu den Kindern runter. „Ich kann euch gern helfen“, verspreche ich, „Wie heißt ihr beide denn?“ „Ich bin Denzel, das ist meine Schwester Marlene“, stellt der Junge sich vor. „Wisst ihr, in welches Zimmer ihr müsst?“ Nein, wissen sie nicht. Und da liegt auch das Problem; Denzels Schlüsselkarte ist nicht defekt, sie hat nur keine Zugangsberechtigung für den Teil des Schiffes, in dem wir gerade sind. Anscheinend sind die Kinder durch eine Tür geschlüpft, die sie jetzt nicht mehr aufbekommen. „Weißt du denn, welche Nummer dein Vater hat?“, frage ich und führe die Kids zu einem Terminal. Denzel schüttelt den Kopf. „Und seinen Namen?“ „Cloud.“ „Okay, vielleicht finde ich ihn so…“ Der Computer ist tatsächlich so freundlich, auch eine Suche nach dem Namen zu erlauben, und ich kann die Kinder zurückführen. Es ist ein ganzes Stück, während dem mich Marlene fleißig zutextet. „Eigentlich ist Cloud gar nicht unser Papa“, erklärt sie mir munter, „Er hat uns nur aufgenommen. Mein echter Papa arbeitet total viel und Denzels Eltern sind gestorben. Cloud und Tifa kümmern sich um uns.“ „Aha“, antworte ich, in Gedanken immer noch bei Prompto. „Cloud ist total in Tifa verliebt und will sie heiraten, aber er traut sich nicht. Tifa weiß auch, dass er sie gern hat und liebt ihn auch, aber sie sagt auch nichts. Sind alle Erwachsenen so dumm?“ „Ja, denke schon. Ist kompliziert.“ „Ist es gar nicht. Cloud liebt Tifa, Tifa liebt Cloud, einfacher geht es doch nicht, oder? Ich will, dass die beiden heiraten und eigene Kinder bekommen. Dann haben wir eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder, stimmt‘s, Denzel?“ Denzel brummt zustimmend, er scheint ebenso wenig zuzuhören wie ich. Wir haben das Zimmer fast erreicht, ohne Aufsehen zu erregen, da stellt sich uns plötzlich doch ein Soldat in den Weg. Er ist etwas breiter gebaut als Prompto, aber nicht viel. Blonde Haare, fast dieselbe Frisur, aber weniger Sommersprossen. Sein Blick ist eindeutig nicht auf mich, sondern auf die Kinder gerichtet, die hinter mir in Deckung gehen. Denzel schluckt hörbar, Marlene kichert nervös. Einen Moment bin ich mir fast sicher, dass es jetzt Ärger gibt, aber Cloud seufzt nur tief. „Sie sind der König, oder? Danke für’s Babysitten, ich werde dem Kleinen die Schlüsselkarte wohl erst mal wegnehmen müssen.“ „Gern geschehen“, entgegne ich und gebe Cloud die Hand, „Und seien Sie nicht zu hart mit den Kindern, wir waren alle mal jung und abenteuerlustig.“ Cloud lacht, offensichtlich verstehen wir uns. „Hier drin kann zumindest nicht viel passieren“, lenkt er ein, scheucht die Kinder aber trotzdem gnadenlos ins Zimmer zurück. Denzel sieht mich noch einmal an, er scheint etwas sagen zu wollen. Cloud blickt eher fragend als streng, aber Denzel überlegt es sich trotzdem anders und verschwindet aus meinem Blickfeld. „Prompto ist gleich hier den Gang runter“, informiert mich Cloud, „Ich nehme an, er ist es, den Ihr sucht?“ „Natürlich. Ich will keinen Ärger, ich mache mir nur Sorgen um meinen Freund.“ „Verstehe ich vollkommen. Alles Gute.“ „Danke.“ Cloud verschwindet in seinem Zimmer. Durch die geschlossene Tür kann ich eine Frau schimpfen hören, ihre Stimme ist kräftig und sehr bestimmt. Trotzdem fühle ich mich mehr an Ignis erinnert als an mein Kindermädchen. Eher die besorgte Mutter als die strenge Erzieherin… trotzdem würde ich mit den Kindern nicht tauschen wollen. Promptos Zimmer ist nicht mehr weit weg, und schon vom Gang aus kann ich ihn schreien hören. Die Tür öffnet sich auf den ersten Versuch und ich trete eilig an das einzige Bett. Prompto ist allein, er kämpft nur gegen seine Träume. Wie Gladio hat er hohes Fieber, aber bei ihm sieht es schlimmer aus. Eine Infusion hängt an seinem Arm, gerade noch so, weil er beständig danach schlägt, als wollte er sich aus dem Griff eines Feindes befreien. Um seinen Hals hängt ein Gummiband, an dem eine Atemmaske befestigt ist, die wohl frischen Sauerstoff in sein Gesicht blasen würde, wenn sie nicht verrutscht wäre. Prompto zappelt vergeblich, zu schwach sich zu bewegen und doch gefangen in einem Traum, in dem er kämpfen oder fliehen muss. Entschlossen fasse ich nach seinen Schultern. „Prompto!“ Promptos Augen fliegen auf. Er sieht mich entsetzt an, aber seine Pupillen sind unfokussiert, als könnte er mich gar nicht richtig sehen. „Tut mir Leid“, wimmert er, „Es tut mir so Leid…“ „Ist schon gut“, beruhige ich ihn und drücke ihn sachte auf die Matratze zurück, „Nicht deine Schuld.“ Ich habe keine Ahnung, wovon er eigentlich redet, aber Prompto reagiert auf meine Worte, scheint sich zu entspannen. Seine nackte Haut fühlt sich brennend heiß an unter meinen Fingern, trotzdem zittert er, als wäre ihm kalt. „Ich wollte das nicht“, wimmert er, die weit aufgerissenen Augen noch immer auf mich gerichtet. „Weiß ich doch“, erwidere ich ruhig, „es ist alles gut, Prompto. Ich hab dich gern.“ Ich löse meine Hände von Promptos Schultern, streichle sein Gesicht und fasse seine Hand. Die Infusionsnadel hat sich nur fast aus dem Arm gelöst, ich kann sie ganz einfach wieder zurück in den Zugang schieben. Ich weiß nicht genau, was in dem Beutel ist, aber ich vermute, dass es dieselbe Lösung ist, die Arc Gladio einmal am Tag verabreicht, damit er nicht austrocknet. „Noct…“ „Ich bin hier, Prompto. Es ist alles gut.“ Beruhigend streichle ich Promptos Hand, wische ein paar Strähnen aus seinem Gesicht. Promptos Haare sind ganz nass vor Schweiß, sein Gesicht ist gerötet, die Augen sind blutunterlaufen und verquollen. Er sieht furchtbar aus. „Alles gut“, wiederhole ich, „Ich bin jetzt bei dir.“ Ich fische die Atemmaske unter seinem Hals hervor und lege sie ihm wieder vors Gesicht. Promptos Atmung ist schwach und unregelmäßig, aber langsam scheint er sich etwas zu entspannen. Ich halte weiter seine Hand und summe ein Schlaflied. Prompto schließt langsam die Augen, seine Atmung wird ruhiger. „Schlaf, kleiner Mogry, mach das Licht nicht aus. Bevor die Siecher kommen, sind wir schon zu Haus. Schlaf, kleiner Chocobo, roll dich nur fest ein. Am Morgen kommt die Sonne, lass nur ihr Licht herein. Schlaf, kleiner Kaktor, sei ganz wohlgemut. Wenn die Sonne aufgeht, geht’s dir wieder gut. Wenn die Sonne aufgeht, geht’s dir wieder gut…“ Die Tür gleitet hinter mir wieder auf, kaum, dass Prompto eingeschlafen ist. Nemo steht darin, sein vernarbtes Gesicht ist grimmig. Sein gesundes Auge wandert von mir zu Prompto und wieder zurück, aber ich lasse mich nicht beirren, halte weiter die Hand meines Freundes, bis er endlich friedlich schläft. Nemo schweigt, bedeutet mir aber mit einem Nicken, mir auf den Gang zu folgen. Ich stelle sicher, dass Prompto schläft, streichle noch einmal sein Gesicht und folge Nemo auf den Gang. Die Tür schließt sich mit einem leisen Surren. „Er muss in ein Krankenhaus“, sage ich, bevor Nemo auch nur den Mund aufmachen kann, „Ich weiß, ich kann euch nichts befehlen, aber ich bitte dich, bringt uns zurück nach Insomnia.“ „Das geht nicht.“ „Prompto stirbt da drin!“ „Darum geht es nicht! Insomnia ist nicht mehr deine Stadt, hast du überhaupt etwas mitbekommen? Da draußen herrscht Krieg!“ Ich blicke Nemo geschockt an, damit habe ich nicht gerechnet. „Was ist passiert?“ Nemo antwortet nicht, winkt mir nur, ihm zu folgen. „Wir landen in einer Stunde in Gralea“, informiert er mich, als wir einen breiten Gang entlang laufen. Es fällt mir schwer, mit seinen schnellen Schritten mitzuhalten, so lange wie jetzt war ich seit Monaten nicht mehr auf den Füßen und meine Kraft lässt langsam nach. Trotzdem bemühe ich mich, stolz und aufrecht zu wirken, will mir meine Schwäche nicht anmerken lassen. „Wir sind in Niflheim?“, frage ich außer Atem. Wir biegen in einen weiteren Gang ein und Nemo hält vor einer Tür, die er mit dem Code auf seinem Arm entriegelt. „Hier ist es sicherer“, brummt er, „Hier gibt es auch ein großes Krankenhaus, in das wir Prompto und Gladiolus verlegen werden, sowie wir gelandet sind. Außerdem steht ein Treffen mit dem Kaiser an.“ Die Tür gleitet auf und gibt den Blick frei auf einen großen Aufenthaltsraum. Einige Sessel und Tische stehen herum, aber ich sehe sie kaum, zu sehr fesselt mich der Anblick des Kristalls, der in seiner Mitte aufgestellt ist. Ein schwaches Leuchten geht von ihm aus, als ich näher trete, höre ich eine schwache Stimme nach mir rufen. „Ifrit…“, grüße ich und sinke vor dem Kristall auf die Knie. Die Stimme des Gottes wird kräftiger und hallt in meinem Kopf, dass es mir beinahe den Schädel spaltet, aber ich halte stand. Inzwischen bin ich es fast gewohnt. Die Sprache ist mir nach wie vor fremd, doch heute verstehe ich die Botschaft, die der wiederauferstandene Gott des Feuers mir mitzuteilen hat. „Ich weiß“, murmle ich, richte mich wieder auf und lege meine Hand auf die warme Oberfläche des Kristalls, „Ich tue, was ich kann.“ „Denzel hat den Kristall in einer alten solheimer Ruine gefunden“, erklärt Nemo, „Er wollte, dass wir ihn mitnehmen und beschützen. Der Gott sei misstrauisch, sagte er.“ „Das ist wahr“, gebe ich zurück, „Ifrit ist viel Schlimmes von den Menschen angetan worden, er ist vorsichtig. Aber der Kristall muss nach Gralea, wo er hingehört. Kain weiß, was er zu tun hat… und er muss Denzel treffen. Aber erzähl mir erst mal, was in Insomnia passiert ist. Was meintest du damit, es sei nicht mehr meine Stadt?“ „Setz dich.“ Nemo weist mich in einen der weichen Sessel und setzt sich mir gegenüber, auf dem Tisch zwischen uns stehen Kaffee und Gebäck. Nemo lässt sich viel Zeit, den Kaffee auszuschenken und mit Milch und Zucker zu verfeinern, reicht mir eine der Tassen und nimmt einen großen Schluck aus der anderen, bevor er endlich zu sprechen beginnt: „Die Nachricht von eurer Krankheit hat Lucis erschüttert, aber noch nicht gestürzt, eine Weile lief die Politik normal weiter. Soweit meine Informanten mich korrekt auf dem Laufenden gehalten haben, hat Cor Leonis als leitender General die Führung übernommen, während Monica Elshett sich um die Öffentlichkeitsarbeit gekümmert hat. Lief ziemlich gut, besonders, als Königin Lunafreya in die Stadt zurückgekommen ist.“ Die Kaffeetasse zittert in meinen Händen, ich nehme vorsichtig einen Schluck, um mir den Mangel an Kraft nicht zu sehr anmerken zu lassen. Nemo macht eine lange Pause, trinkt seinerseits einen großen Schluck und schwenkt den verbleibenden Kaffee in der Tasse herum. Er wirkt nachdenklich. „Eine schöne Rede hat sie gehalten, deine Königin, hatte das Volk gut bei sich, hat allen Hoffnung gemacht, dass du wieder gesund wirst und für den neuen König alles gut vorbereitet hast. Aber dann kams… dann ist Rashin auf die Bühne getreten und hat ihr Lügen vorgeworfen. Gesagt, dass ihr beide nur aus Machtgier den Thron eingenommen hättet, dass der neue König längst da sei. Hat behauptet, sein Sohn sei dieser König, und verlangt, dass Lunafreya ihm den Ring der Lucii aushändigt.“ Mir wird übel und ich muss schnell die Tasse absetzen, damit sie mir nicht aus der Hand fällt. „Nein…“ Der Ring darf nicht in falsche Hände geraten. Wenn Rashin verlangt, sein Sohn sollte ihn anlegen… das Kind würde sterben! „Lunafreya hat sich geweigert und Rashin hat seine Polizeimiliz auf den Plan gerufen. Sein kleiner Sohn hat eine beeindruckende Show geliefert da oben, war selbst wohl überzeugt von seiner Königlichkeit und hat den Ring von ihr verlangt.“ „Vor aller Augen, nehme ich an? Was für ein Schachzug…“ „Wie meinst du das?“ „Der Ring der Lucii ist ein mächtiges Artefakt. Er kann nur von denen getragen werden, die würdig sind, es gab in der ganzen Geschichte nur zwei Männer, die seine Macht nutzen durften, ohne in direkter Linie von Somnus Lucis Caelum abzustammen – und beide mussten schwere Opfer bringen. Nur ich und der echte König dürfen den Ring anlegen, jeder andere würde qualvoll verbrennen, so er ihn nicht schnell genug ablegt. Luna hatte nur zwei Möglichkeiten… entweder, sie weigert sich, den Ring herauszurücken und bestätigt damit Rashins Lügen, oder sie gibt den Ring heraus und lässt vor versammeltem Publikum zu, dass ein unschuldiges Kind qualvoll zu Tode kommt. Beides lässt sie wie ein Monster aussehen.“ „Sie hat sich erst geweigert“, berichtet Nemo still, den Blick tief in seine Tasse gerichtet, „Aber als die Leute sie ausgebuht haben, hat sie ihn doch herausgerückt. Ihre warnenden Worte haben sie vermutlich vor den Leuten rehabilitiert, und die Kameras haben abgeschaltet, als der Junge zu schreien begonnen hat…“ Ich wende betroffen den Blick ab, aber Nemo ist noch nicht fertig: „Aber der Junge ist nicht tot. Rashin hat ihn am nächsten Tag wieder vor die Leute gestellt, als König gekleidet und anscheinend unversehrt.“ „Was?“, ich blicke Nemo direkt an, suche eine Antwort in seinem entstellten Gesicht. Aber er hat keine… kann es sich ebenso wenig erklären, wie ich. „Rashin behauptet, du hättest den Ring verflucht, dass du dich weigerst, deine Kräfte dem neuen König zur Verfügung zu stellen und ihn statt dessen töten wolltest, um selbst an der Macht zu bleiben. Die Menschen sind in Aufruhr… viele halten dir und Lunafreya die Treue, aber die meisten fügen sich, rebellisch, aber stillschweigend, König Nova und seinem Vater.“ „Was ist mit Luna und den anderen?“, frage ich heiser. „Lunafreya und ihre Eskorte wurden des Hochverrats bezichtigt und weggesperrt. Rashin will sie wohl hinrichten lassen, aber das kann er in der momentanen Stimmung nicht riskieren. Er würde sich sein eigenes Volk und den Rest der Welt mit einem Schlag zum Feind machen… deswegen sind die Königin und ihre Leibwache wohl erst mal sicher.“ „Die Kinder auch?“ „Welche Kinder?“ „Ein Junge und ein Mädchen. Acht und sechs Jahre alt. Sie waren mit Luna unterwegs…“ Nemo legt die Stirn in Falten, scheint angestrengt nachzudenken. „Da waren keine Kinder. Ich vermute, Lunafreya hat etwas vorausgeahnt und sie in Sicherheit gebracht.“ Ich senke den Blick und sehe in die schwarzen Tiefen des Kaffees in meiner Tasse. Nyx und Crowe sind bestimmt bei ihren Müttern in Sicherheit, vermutlich bringt sie niemand mit Lunafreya in Verbindung. Sie wird klug genug gewesen sein, nur Iris und Talcott mitzunehmen, als sie vor die Leute getreten ist, um ihre Ansprache zu halten. Wie ich weiß Luna genau, wie wertvoll Nyx für die Zukunft ist, und wie wichtig es ist, ihn zu schützen, bis er bereit ist. Meine Augen wandern zu dem Kristall, der still in der Mitte des Raumes glimmt. Ifrit war es, der damals die Dunkelheit über Solheim gebracht hat. Er ist wiedergeboren, gereinigt von aller Schuld. Aber auch die Dunkelheit ist zurück… und langsam ahne ich, wer sie über die Welt gebracht hat. Der restliche Kaffee zittert in meiner Tasse, als das Schiff zur Landung ansetzt. Auf dem großen Bildschirm über der Tür kann ich beobachten, wie zwei Lastwägen sich mit blinkendem Licht der Nautilus nähern, in ihren Eingang fahren und dort Tragen ausladen. Krankenwägen… sie sehen anders aus als zu Hause in Insomnia, aber es ist dennoch leicht, ihren Zweck zu erkennen. Manches ist doch überall gleich. Nemo führt mich zurück zu unserem Gästeraum. Langsam kann ich mich kaum noch auf den Beinen halten, aber der Kaffee hilft mir, mich zusammenzureißen. Ich schaffe es, die Tür zu öffnen ohne den Alarm loszutreten, aber Ignis ist trotzdem schon wach und völlig aufgelöst vor Sorge. „Du kannst doch nicht einfach so verschwinden“, schimpft er und zieht mich in seine Arme, „was glaubst du denn, wie ich mich fühle, wenn ich aufwache und du bist einfach weg!“ Ich kann spüren, wie er zittert und lehne mich an seine Brust. Es tut gut, so gehalten zu werden und am liebsten würde ich mich einfach fallen lassen, aber auch Ignis gegenüber muss ich jetzt stark sein. Ich will seine Angst nicht bestätigen. „Tut mir Leid“, entschuldige ich mich, „Ich wollte nicht so lange weg bleiben.“ Ignis streichelt nervös meine Haare, setzt mich in einen der Sessel und tastet mein Gesicht ab, als suchte er nach Zeichen von Krankheit oder Verletzungen. „Ich hatte gehofft, du schläfst vielleicht etwas länger. Mir geht es gut.“ Ignis wirkt nicht überzeugt, lässt aber lange genug von mir ab, dass ich einen Moment lang erschöpft die Augen schließen kann. Ein Team Sanitäter kommt in den Raum und lädt Gladio ein. Er hat von dem ganzen Trubel nichts mitbekommen… sein Zustand muss sich arg verschlechtert haben, wenn nicht mal Ignis‘ Panik ihn geweckt hat. Dessen Hände zittern auf meinen Schultern und wir sehen beide hilflos zu, wie drei kräftige Krankenpfleger zusammenarbeiten müssen, unseren schweren Freund vom Bett auf die Trage zu wuchten. Ein Arzt nimmt ihn in Augenschein, misst Werte und bellt Anweisungen. Irgendwer drückt Gladio eine Atemmaske aufs Gesicht, wie sie auch Prompto hatte, dann schieben sie ihn eilig raus. „Wie sieht es bei Ihnen aus?“, fragt ein Mann, der zurückgeblieben ist. Er hat ein Stethoskop um die Schultern hängen und mustert uns scharf. „Nur müde“, gebe ich zurück, „Aber nehmen sie uns ruhig mit, wir würden eh gern bei unseren Freunden bleiben.“ Der Mann nickt nur, misst meinen Puls und meine Temperatur, wiederholt dann das ganze bei Ignis. Die Zahlen, die er murmelt, sagen mir nichts, aber wir dürfen ihm immerhin aufrecht folgen und vorne im Krankenwagen mitfahren. Mir fallen beinahe die Augen zu, aber ich schaffe es, wach zu bleiben, bis ich sicher angeschnallt bin. Der Beifahrersitz des niflheimer Krankenwagens ist nicht so bequem wie der Rücksitz des Regalias, aber ich kann zum Glück überall schlafen, wenn ich müde bin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)