Welt ohne Grenzen von SoraNoRyu ================================================================================ Kapitel 14: Vom Mut, etwas zu ändern ------------------------------------ Unsicher blicke ich in den Spiegel in meinem neuen Zimmer. Der Mann, der mir entgegen blickt, sieht aus wie jeder andere MI – blond, blauäugig, blass. Die halblangen Haare hängen schlaff herunter und er ist immer noch so dünn, dass man auf zwanzig Meter Entfernung noch alle Rippen zählen könnte. Tatsächlich… sähe mir jeder der anderen MI vermutlich ähnlicher als ich es jetzt tue. Der verhasste Barcode an meinem Arm ist das einzige, woran man mich sicher von den anderen unterscheiden kann, der einzig sichere Beweis, dass ich ich bin, und nicht jemand anderes. Und wenn ich nicht ich bin… Ich seufze und setze mich aufs Bett. Noct hatte mich eigentlich nur gebeten, kurz nach Ignis zu sehen. ‚Hey du‘ hat er mich genannt, denn anders als die anderen weigert er sich, mich Sanni zu nennen. Warum? Bin ich ihm keinen Namen wert? Oder will er nur nicht, dass ich jemand anderes bin als ‚Prompto‘? Ignis Worte spuken mir immer noch im Kopf herum. „Wenn du nicht Prompto bist, ist Prompto tot. Und wenn dem so ist… dann will ich zumindest, dass Noct damit abschließen kann.“ Ignis hat seit Wochen nicht geschlafen. Er hat tiefe Ringe unter den Augen, gefühlt fünfzehn Kilo abgenommen, und bekommt unter Stress keinen Satz mehr zustande, der mehr als drei Wörter hat. Er läuft, obwohl er wieder sehen kann, mit dunkler Sonnenbrille und geschlossenen Augen durch die Gegend, weil er so oder so ständig wogegen rennt. Noct hat ihm befohlen, endlich schlafen zu gehen. Dann hat er mich gebeten, das zu kontrollieren. Und natürlich war Ignis noch wach – er hatte seinen Schlafanzug an und das Bett zerwühlt, saß aber mit dem Laptop auf dem Schoß da und hat Listen und Fotos durchwühlt. Fotos von mir, auf denen man Teile des Barcodes sieht. Fotos der Leichen aus der Kaserne, der ich so knapp entkommen bin. Einer von uns ist Prompto. Und er will herausfinden, wer. Damit Noct nicht mehr leiden muss… denn das tut er. Auch wenn er es tagsüber gut verbirgt, ich weiß, dass er nachts heimlich weint. Ich habe Ignis den Laptop weggenommen, ihn umarmt, meine Stirn an seine gelegt und ihm fest in die Augen gesehen. Habe ihm versprochen, dass ich mich um Noct kümmern werde, dafür sorgen, dass er nicht mehr weinen muss. Zumindest nicht heute… damit Ignis endlich schlafen kann. Und ich werde dieses Versprechen halten oder bei dem Versuch untergehen. Um mir Mut zu machen betrachte ich die Fotos über meinem Spiegel. Eines von jedem Tag, seit ich hier bin. Ich hab Fortschritte gemacht, das Joggen und das Training mit Gladio, dazu Ignis Aufbaukost, machen sich schon bemerkbar. Ich bin immer noch dürr, aber nicht mehr so schlimm wie bei meiner Ankunft. Noch weit weg vom Ziel, aber… die Zeit habe ich nicht. Die Zeit hat vor allem Noct nicht. Ich will ihn nicht wieder drei Jahre warten lassen, bis ich so weit bin. Nicht diesmal. Immerhin mein Bart ist wieder so wie er ihn kennt, und mit einer Bürste und etwas Haarspray funktioniert auch die Frisur. Der Haaransatz wandert langsam nach hinten und in das Blond haben sich ein paar weiße Haare gemischt, aber dagegen kann ich nichts tun. Immerhin noch besser als Gladio... der wird langsam richtig grau. Ich ziehe mir lässige Kleidung aus dem Schrank – bequeme Hosen und ein ärmelloses Shirt, vielleicht noch eine Weste dazu – und blicke noch einmal in den Spiegel, um meine Haltung zu prüfen. Lächeln! Naja, wird schon halbwegs reichen. Besonders überzeugend fand ich mich eh nie, aber irgendwie hat man mir die Nummer doch jedes Mal abgenommen. Noct hat sich heute den Tag von allen Terminen entschuldigen lassen, weil er auch mal Zeit für sich braucht. Keine politischen Diskussionen, keine endlosen Besprechungen, keine Audienz. Einfach mal Zeit, durchzuatmen. Fast hätte ich erwartet, dass er einfach im Bett bleibt, aber er hat sich tatsächlich angezogen und aus seinem Zimmer getraut. Ich sammle noch einmal zusammen, was ich an Mut in mir finden kann, und gehe auf ihn zu. Er sieht mich und schaut gleich wieder weg. Also tue ich einfach so, als hätte ich nicht gesehen, dass er mich gesehen hat, und klopfe ihm freundlich auf die Schulter. „Morgen Noct. Hast du Lust, heute mit mir runter in die Stadt zu kommen? Ich wollte mich mal umsehen und dachte du kommst vielleicht mit, wenn du nichts zu tun…“ Ich spreche schnell, größtenteils vor Nervosität, aber doch nicht schnell genug. Schon sind wieder drei Damen zwischen uns gegrätscht, von der Firma, die die anstehende Hochzeit mit Lunafreya plant. Scheint super wichtig zu sein. „… hast. Uhm.“ Ich weiß nicht, ob Noct es noch hört, rede aber einfach weiter, weil ich Ignis versprochen habe, alles zu versuchen, und jetzt nicht einfach aufgeben kann. „Ich… warte einfach draußen an der U-Bahn auf dich, okay?“ Die Damen drängen mich ab und ich schleiche ungesehen davon. Die ganze Mühe… aber ich bin eben doch nur ein stinknormaler Typ, den man einfach mal wegschubsen kann. Keine Ahnung, ob Noct meine Worte verstanden hat, aber ich hocke mich jetzt trotzdem an die U-Bahnstation und warte da. Gibt immerhin ein paar Tauben, die ich fotografieren kann, und ich habe ein neues Handy, auf dem ich Kings Knight III zocken kann. Zumindest, solange der Akku noch ausreichend voll ist. Ich beschäftige mich gerade mit dem Versuch, eine Taube mitten im Flug abzulichten – nicht so einfach, aber dank Ignis habe ich immerhin wieder eine anständige Spiegelreflexkamera – und überlege, ob ich in die Zitadelle zurückgehen und einen neuen Versuch starten sollte, da kommt Noct plötzlich doch. „Hey“, meint er leise und sieht zu mir runter, „Sorry, dass es etwas gedauert hat. Wartest du schon lang?“ „Gar nicht“, lüge ich mit einem Blick auf die Bahnhofsuhr, „Nur etwa zwei Stunden, zweiunddreißig Minuten und jetzt genau fünfzehn Sekunden.“ Noct blickt schuldbewusst zu Boden. Er hat sich nochmal umgezogen, trägt jetzt betont lässige Kleidung und eine Kappe, die sein halbes Gesicht verdeckt. „Tut mir Leid… die haben mich einfach nicht gehen lassen.“ „Scheint ja wichtig gewesen zu sein“, lenke ich ein. Noct seufzt noch tiefer. „Ging um die Farbe der Servietten für die Hochzeit“, erzählt er, „die hatten ungefähr eine Million Rosatöne zur Auswahl und wollten meine Meinung. Ich hab einfach Lachs gesagt, weil ich mit dem Wort wenigstens was anfangen konnte, aber Luna wollte wohl Rosé, und da musste ich dann natürlich erst mal abwiegeln bis sie mir geglaubt haben, dass ich das auch völlig okay finde, nicht beleidigt bin, sowieso denke, dass Luna von dem Thema mehr Ahnung hat und auch ganz sicher nicht sauer bin. Ganz ehrlich, dass die da jedes Mal so ein Theater machen… Die Farben sehen eh fast gleich aus!“ „Gladio’s Hochzeit wäre an sowas fast gescheitert“, erinnere ich mich, „Obwohl es da glaube ich eher darum ging, dass er zu wenig Interesse für die Details gezeigt hat. Seine Verlobte hat es ihm dann zum Glück doch noch irgendwie verziehen.“ Das zumindest bringt Noct dann wieder zum Schmunzeln. „Kann ich mir lebhaft vorstellen“, meint er, „Wolltest du irgendwo Bestimmtes hin? Hier in der Nähe gibt es einen kleinen Campingplatz, wo man ein bisschen angeln kann, das würde ich gern machen, wenn es dich nicht stört. Mich entspannt das immer… hatte in den letzten Tagen nicht wirklich die Zeit.“ „Kann sein, dass ich da auch schon mal war. Der Campingplatz ist aber eigentlich geschlossen, oder?“ Ich gehe trotzdem schon mal in die Richtung. Noct folgt mir, er sieht zumindest schon ein bisschen entspannter aus. „Zum Campen schon, aber das Gelände ist nicht gesperrt. Der See ist auch ziemlich zugemüllt, aber ab und an beißt schon noch was. Jetzt ist es zehn, mit ein bisschen Glück könnten wir uns zum Mittagessen einen Fisch grillen.“ „Wenn dir drei Stunden dafür reichen“, necke ich und denke an Nora. Noct angelt definitiv besser, auch unter härteren Bedingungen. Noct geht nicht darauf ein, er wirkt abwesend. Vielleicht auch ein bisschen nervös. Ebenso wie ich… ich bin froh, dass er mir am Steg den Rücken zuwendet. Der vertraute Anblick beruhigt mich, ich kann hier einfach stehen, ihm zusehen und Fotos machen, während er geduldig die Angel ins Wasser hält. Er stellt sich deutlich besser an als Nora, aber beißen will hier wirklich nicht viel. Nur winzige Fische, die er wieder zurückwirft. „Die sollen erst mal groß genug werden, um Nachwuchs zu machen“, erklärt er, „Sonst gibt es hier bald gar keine Fische mehr.“ „Satt wird man von denen eh nicht“, stimme ich zu, „Glaub mir, ich hab’s probiert…“ „Hat Nora wieder versucht, zu angeln?“ „Ja, sie meinte, das wäre billiger, als Essen zu kaufen. Bei den ganzen Ködern, die sie verloren hat, dürfte es aber eher andersrum gewesen sein…“ Noct lacht leise. „So hab ich auch mal angefangen…“, erinnert er sich, „Braucht viel Übung, die großen Fische an Land zu ziehen. Die reißen einem ständig die Schnur ab, wenn man nicht ganz genau aufpasst.“ „Ich glaube bei Nora ist es auch die Ungeduld“, überlege ich. Sie hat mich an Noct erinnert, wie sie da am Steg stand, aber jetzt wo ich ihn selbst sehe… kein Vergleich, eigentlich. Allein diese Ruhe, die er ausstrahlt… hier könnten Tage vergehen, Noct würde es nicht mal merken. Nicht, bis er den Fisch hat, den er haben will. Mein Magen knurrt. „Doch schon hungrig?“ „Es ist fast halb eins… kommt da noch ein Fisch?“ „Nein, nur leere Dosen und ein rostiges Fahrrad“, entgegnet Noct, „Die Fische haben heute wohl auch frei.“ Er schickt seine Angelausrüstung zurück in den Äther und sieht mich zum ersten Mal direkt an, wie ich da auf dem Steg sitze. Ich fühle mich ertappt, erwidere den Blick aber. Seine Augen sehen traurig aus… genau wie an dem Tag, als Nora und Callus mich vor ihm abgeliefert haben. Er erkennt mich nicht. Nicht mit der Sicherheit, die er sich wünscht, jedenfalls. „Wollen wir im Krähennest essen?“, fragt er leise. „Klar, gerne!“, entgegne ich so ausgelassen fröhlich wie ich kann und springe auf, „Im Moment kann ich es mir ja leisten…“ Noct schmunzelt. Besser als gar nichts, schätze ich. Zu meiner Schande muss ich ihn vorausgehen lassen, weil ich nicht weiß, wo die nächste Filiale liegt – im Reichenviertel war ich früher eher nicht so oft. Trotzdem fühle ich mich, als hätte ich damit eine wichtige Prüfung vergeigt… Kennys Essen muntert mich aber sofort wieder auf. Egal wo in der Stadt – oder wo in der Welt, wenn man‘s genau nimmt – Kennys Fritten schmecken immer gleich. Und sie sind klasse. Noct nimmt lieber den Lachs, vielleicht, weil weniger Gemüse dabei ist als auf dem Burger, vielleicht, weil er sich schon auf Fisch eingestellt hatte. Ich versuche, eine Unterhaltung aufkommen zu lassen, aber Noct ist so tief an Grübeln, dass er gar nicht richtig zuhört. „Wollen wir nachher in die Spielhalle?“, rege ich an, „Die haben eine neue Version von Justice Monsters, und Dungeon Shooter hat ein Update mit neuen Gegnern bekommen. Da könnte man ein wenig Dampf ablassen und das Zielen üben. Und das sogar ohne gleich auf die Mütze zu bekommen wie in Gladios Traningsparcours! Mir tut jetzt noch alles weh von der Aktion gestern. Jeden zweiten Tag schickt er mich nach dem Joggen durch diese blöde Strecke…“ Noct lacht und verschluckt sich fast an seiner Cola. „Ach, dich auch? Und ich dachte schon, er nimmt nur mich so hart ran…“ „Ich glaube er ist da ziemlich fair. Hab mal gesehen, wie er mit seinen Rekruten umspringt… da kann man noch froh sein, wenn man den Parcours überlebt und sogar noch ein Lob abbekommt.“ Und das gibt’s natürlich nur, wenn man wirklich alles getroffen hat. Ein Fehler und es bleibt bei ‚nächstes Mal konzentrier dich‘… „Tja…“ Noct blickt wieder zu seinem Fisch runter. Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass mein Versuch, ihn aufzuheitern, besonders erfolgreich ist. „Aber klar, lass uns in die Spielhalle gehen. Irgendwas abschießen klingt super im Moment.“ „Sag ich doch. Gibt nichts Besseres als Videospiele, wenn man Stress hat.“ Wieder ein schwaches Lächeln. Noct sieht immer noch traurig aus… Ich hoffe, meine Anwesenheit macht es ihm nicht schwerer. Wenn ich nur irgendwie beweisen könnte… ich blicke auf den Barcode auf meinem Arm. Nutzlos, das blöde Ding. Da könnte man die Seriennummer einmal brauchen, und dann hat keiner einen Vergleich. Wird wohl doch wieder alles an Ignis hängen bleiben. Wir müssen ein ganz schönes Stück laufen, um zu unserer alten Spielhalle zu kommen – von der Schule aus war der Weg definitiv kürzer –aber immerhin steht die Bude. Ich habe den vagen Verdacht, dass die Yakuza das Geld dafür aufgebracht hat, weil sie an den Glücksspielautomaten gut verdienen. Unsere Politiker hatten ja nicht mal den Anreiz, mein altes Wohnviertel wieder hochzuziehen. Ich hätte es den anderen Gegenüber nie zugegeben, aber der Wohnwagen in Hammerhead und später auch Gladios Zelt waren ein eindeutiges Upgrade zu meiner vorherigen Wohnsituation. Schlecht verdient habe ich zwar nicht in der Firma, aber um so ein Haus von Grund auf neu zu bauen hätte ich schon noch ein paar hundert Jahre sparen müssen… und wir armen Leute bekommen unsere Häuser natürlich nicht aus der Staatskasse gebaut. Westend ist ja nicht gerade das Caelum Via. „Wow, ganz schön kaputt, die Straßen hier“, meint Noct und springt über einen tiefen Riss in der Fahrbahn. Autos fahren hier seit dem Krieg nicht mehr. „Ja, deswegen gibt es den Chocobo-Verleih. Mit den Tieren kommt man hier besser durch als mit dem Auto, und die U-Bahn fährt gar nicht mehr. Ich find‘s irgendwie cool, durch die Stadt reiten zu können, auch wenn alle sich über den Gestank und den Dreck beschweren.“ „Chocobos gehören nicht wirklich in eine Stadt“, brummt Noct, „hier sind die Straßen zu eng, und den Mist will auch keiner wegräumen. Warum hat sich hier eigentlich niemand um die Infrastruktur gekümmert? Die Staatskassen sind voll, man hätte nur mal anfangen müssen.“ „Hatten halt keinen König“, antworte ich, „Und die Kanzler haben ihre ganze Energie darauf verwendet, das Volk auf ihre Seite zu ziehen. Insbesondere natürlich das zahlende Volk… wir normalen Menschen interessieren niemanden.“ „Mich schon“, meint Noct wütend. „Ich weiß.“ Irgendwann spreche ich ihn auf das Westend-Viertel an, falls es nicht eh in den Top-Ten der gewählten Sanierungsziele gelandet ist. Aber da bin ich guter Dinge… wir sind nicht reich, aber wir sind recht viele. Und wahlberechtigt. Mir gefällt das neue System, direkt für Entscheidungen zu wählen anstatt für politische Parteien. So weiß man wenigstens, für was man kämpft – konkret, weil man eine Entscheidung für eine Sache trifft, anstatt ein blindverpacktes Komplettpaket zu kaufen. Statt der Kanzler gibt es jetzt bald gewählte Bürgermeister, die die entlegeneren Regionen von Lucis in Insomnia vertreten sollen. Bin mal gespannt, wozu das führt… die alten Kanzler hier jedenfalls haben sich zu etwas zusammengerottet, was Ignis ‚Opposition‘ nennt. Mir ist das zu hoch. Noct lässt mich zuerst an den Dungeon Shooter. Er kennt das Spiel noch aus der ersten Version, da hat sich viel geändert. Rekordhalter bin immer noch ich, weil ich mich in letzter Zeit oft genau hier hin verkrochen habe, um der Zitadelle und den Blicken ihrer Bewohner zu entgehen. Noct übernimmt, und er macht mir gefährlich Konkurrenz. Die Entschlossenheit, mit der er die Monster niederschießt, macht mir fast etwas Angst. „Hey, das Spiel hat ja sogar einen Co-Op Modus dazubekommen!“, fällt ihm auf. „Ja, vor ein paar Jahren schon. Bin leider nie dazu gekommen, ihn mal auszuprobieren.“ Noct blickt mich unschlüssig an, dann auf den Boden. Seine nächsten Worte scheinen ihn viel Kraft zu kosten. „Wollen… wollen wir zusammen spielen?“ „Klar, gerne!“ Ich stelle mich an den Automaten direkt neben ihn und Noct ruft ein Teamspiel aus. Er wirkt nervös, lässt mich den Kampf eröffnen. Seine Konzentration scheint unter der Angst zu leiden, ich muss scharf aufpassen, dass die Monster ihm nicht zu nahe kommen. Sie sind stärker als im Einspielermodus, und die KI ist darauf getrimmt, den schwächeren Spieler zuerst zu plätten. Verliert einer von uns, sind wir beide Game Over. Und selbst wenn dem nicht so wäre… Noct ist mein Freund und mein König, es ist meine Pflicht, ihn zu schützen. „Noct, das war peinlich!“, mahne ich, als er wieder ein Monster übersieht und nur knapp mit dem Leben davon kommt. Noct brummt nur genervt, heilt seinen Charakter und fängt endlich an, sich wieder richtig auf das Spiel zu konzentrieren. Der Unterschied ist spürbar – wenn der Computer wirklich intelligent wäre, hätte er jetzt sicher Angst. Fast fühlt es sich an wie früher. Pass auf. Dort drüben. Schon gesehen. Die Kommunikation läuft wieder. Noct hat endlich aufgehört, nachzudenken, vertraut sich einfach unserem alten Rhythmus an und lässt sich von mir durch das Spiel führen. Wir haben nicht oft genau so gekämpft, weil Noct eher selten Schusswaffen benutzt, aber wenn er es mal getan hat standen wir genauso nebeneinander wie jetzt. In sicherer Deckung hinter einem Felsen vielleicht, den Blick aufs Ziel gerichtet, immer ein Auge auf Gladio und Ignis, die näher ran müssen und vielleicht Hilfe brauchen. Ein Team. Eine Einheit. Keiner bleibt zurück. Schließlich tritt der Endgegner auf den Plan. Es ist ein anderer als im Einzelspiel, deswegen dauert es etwas, bis wir seine Schwachstelle gefunden haben. Aber Noct und ich gemeinsam sind einfach unschlagbar, und das bekommt der Computer jetzt auch zu spüren. Unsere Punktzahl ist fast doppelt so hoch wie die des bislang führenden Teams. „YES! Schlag ein, Noct!“ Ich halte die Hand hoch und Noct schlägt tatsächlich mit seiner dagegen. Einen Moment lang ist die Welt in Ordnung, dann wendet er sich doch wieder ab, als wäre er gedanklich wieder im Jetzt angekommen. Doch wieder unsicher ob ich wirklich der bin, für den er mich hält? Oder habe ich etwas falsch gemacht? Ich versuche, seine abweisende Haltung nicht persönlich zu nehmen, aber auch mir fällt es schwer, damit umzugehen. Hinter uns applaudiert jemand. „Nicht übel, die Herren“, meint der Mann. Er trägt die Kleidung der Meldatio Jäger und sieht ziemlich mitgenommen aus – nicht verletzt, zumindest nicht körperlich, aber erschöpft und abgekämpft. Noct sieht den Mann an, sicher froh über die Ablenkung. „Ihr zwei seid nicht zufällig Jäger, oder?“, fragt der Mann, „Ich bin Tom, ich vertrete hier in der Stadt die Jägerzentrale. Gibt hier nicht viele Leute mit eurem Können, die nicht bei der Garde angestellt sind.“ „Wir… haben mal für die Meldatio gearbeitet“, gibt Noct zu, „Keine richtigen Jäger, nur Headhunter.“ Nocts Stimme ist leise, eher bedrückt. Er ist nicht wirklich mit dem Herzen dabei. „Rang?“ „Neun oder zehn, wenn ich mich recht erinnere.“ Toms Augen leuchten bei der Angabe. Scheint, als hätte er welche wie uns gebraucht… „Hättet ihr Zeit für einen Auftrag? Wir haben hier ein echtes Problem, und mir gehen die Leute aus. Hab schon fünf meiner besten Jäger verloren wegen dem Vieh und weiß immer noch nicht, was es ist.“ „Eine Aufklärungsmission also?“, mutmaße ich. „Ja. Ich will endlich wissen, womit wir es da zu tun haben. Es muss stark sein, stark genug, einen hochrangigen Jäger zu plätten, also lauft weg, wenn ihr es seht – ich will nur wissen, was es ist, damit ich ein Team zusammenstellen kann.“ Sein Blick hängt an der Kamera, die ich um den Hals trage. Ich sehe zu Noct. „Klar, können wir machen“, meint der, „Wo?“ „Auf der Nordseite, hinter der Stadtgrenze. Die Anwohner in der Gegend hören nachts ein Scharren, dann sind tiefe Krallenspuren in der Wand. Wer außerhalb der Stadt unterwegs war, kommt nicht zurück… Die offene Gegend da ist tagsüber frei, aber es gibt nicht weit weg eine Höhle, aus der Geräusche kommen. Da muss drin sein, was nachts raus kommt. Seid vorsichtig.“ „Immer.“ Versichert Noct und geht nach draußen, um uns Chocobos zu rufen. „Hallo Charly, gibt’s dich auch noch?“ Das schneeweiße Tier gibt ein fröhliches „Kweh!“ von sich und schnappt verspielt nach Nocts Kappe. Ich muss lachen und plüsche meinem eigenen Chocobo durch sein goldenes Gefieder. So schön… und der Geruch ist auch toll. Ich werde nie verstehen, wie man den hassen kann. „Äh… ein Problem gibt’s da noch…“, fällt mir ein, bevor wir aufsteigen. „Was wäre das?“ „Ich… bin komplett unbewaffnet. Seit ich aus diesem Bunker raus bin hatte ich keine echte Waffe mehr in der Hand…“ Und anscheinend will mir auch niemand eine anvertrauen. Bin eben doch nur der MI, der vielleicht ein Feind ist… der Gedanke tut weh. Noct sieht mich an, aber auch nicht direkt. Er scheint zu überlegen, beschwört schließlich eine Waffe in seine Hand. Ich erkenne meine alte Lionheart und strecke die Hand danach aus, aber Noct zögert. „Die gehört… die ist mir wichtig. Sei bitte vorsichtig damit.“ „Versprochen. Ich passe gut darauf auf.“ Hat er die Waffe etwas die ganze Zeit bei sich getragen? Ich nehme den Revolver an mich und kann noch immer die Wärme von Nocts Hand daran spüren. Meine treue Lionheart… ich dachte, ich sehe sie nie wieder. Und dann fällt mir ein, dass Noct sie wahrscheinlich im Bunker gefunden hat, zusammen mit meinen anderen Sachen. In demselben Bunker, in dem die anderen MI gestorben sind… Noct war dabei, als Ignis die Leichen entdeckt hat, deren Fotos jetzt auf seinem Laptop liegen. Er muss alles gesehen haben. Live. In dem Wissen, dass ich auch dort drin war… „Wenn du nicht Prompto bist, ist Prompto tot.“ Ignis Worte klingen wieder in meinem Kopf nach. Plötzlich verstehe ich, was er gemeint hat… und wieso es Noct so schwer fällt, mich anzusehen. Ich schlinge mir das Schulterholster um die Brust, ziehe den Gurt ein paar Löcher enger als gewohnt und klettere endlich auf meinen Chocobo. Natürlich nicht, ohne vorher ein Selfie mit dem schönen Tier zu machen. Noch ein Foto von Noct auf Charly und los geht’s. „Die Stadt ist echt ganz schön heruntergekommen“, lamentiert Noct, als wir über eingebrochene Seitenstraßen auf die Nordmauer zu reiten. „Dabei sind die Staatskassen echt voll genug und die Steuern sind auch zweimal erhöht worden in den letzten Jahren. Was haben diese Kanzler eigentlich gemacht in all der Zeit?“ „Geredet und gestritten“, vermute ich, „Und dafür gesorgt, dass die großen Steuerzahler – also Hotels und Firmen und so – schnell wieder auf festem Boden stehen. Für die normalen Leute war kein Geld da, ebenso wenig für Sachen, die mehr Geld kosten, also staatliche Einrichtungen und dergleichen.“ „Aber die Krankenhäuser und Schulen stehen doch fast alle…?“ Ich seufze tief, überlege, wie ich das am besten erkläre. „Die sind… aus privaten Spenden restauriert worden. Wir vermuten… nein, eigentlich wissen wir, dass es die Yakuza sind. Ignis hat glaube ich mit deren Boss gesprochen, weiß nicht genau, worüber, war alles inoffiziell. Aber die haben mehr für die Stadt getan als alle Kanzler zusammen und ich glaube, wir – also die Königstreuen – haben uns dafür aus den Drogengeschäften rausgehalten. War eh Job der Polizei, wir waren mehr so eine geduldete Bürgerwehr.“ „Ich als König kann nicht wegsehen, wenn in meiner Stadt Drogen verkauft werden.“ „Wissen wir. Aber was immer Ignis gesagt hat hat die Typen dazu gebracht, aus eigener Kasse eine Entzugsklinik hochzuziehen. Außerdem kontrollieren die ihren Stoff besser, jedenfalls ging die Zahl der Drogentoten drastisch zurück. Ich glaube… ich glaube das einzige, was wirklich gegen die Drogen hilft, ist, ihm den Markt zu vermiesen. Entweder durch Legalisierung oder indem man das Leid der Menschen auf andere Weise beendet.“ „Zum Beispiel, indem man ihre Häuser restauriert und ihnen eine Zukunft bietet.“ Noct hält seinen Vogel an und blickt über die Stadt, die sich unter der Brücke ausbreitet. Von hier aus ist ein weiteres Zeltlager zu sehen, noch ein Viertel voller Menschen, die kein Zuhause mehr haben in dieser Stadt. Ich weiß, wie es in diesen Lagern zugeht – einmal Regen und das ganze Viertel ist krank. Mittags und abends schart sich alles um die gemeinsame Kochstation. Immer hustet irgendwer, eine Woche ohne Todesfall ist Glück. Ich schieße ein paar Fotos, vielleicht für die Zeitungen, die für die Abstimmung werben. Westend ist nicht das einzige Viertel in Not. „Ich verstehe, wenn da jemand Drogen nehmen will. Nur nicht, woher sie das Geld dafür haben…“ „Diese Menschen gehen ganz normal arbeiten“, erkläre ich, „Sie verdienen nicht mal schlecht, nur… nur so reich, dass sie den Aufbau stemmen könnten, sind sie nicht. Ich hab von meinem Gehalt ein Zelt und regelmäßig Essen gekauft und den Rest gespart. Hätte nie für ein Haus gereicht, aber irgendwann zumindest für ein kleines Auto, in dem ich bei schlechtem Wetter schlafen konnte. Andere haben sich gleich Wohnwägen besorgt, denen ging es dann recht gut.“ „Dann sieht das Westendviertel also auch so aus?“ Noct sieht mich nicht direkt an, aber er blickt zumindest in meine Richtung. Ich nicke. „Ja, ungefähr. Von meinem Haus steht jedenfalls gerade noch der Briefkasten.“ „Davon haben Gladio und Ignis nie etwas erwähnt.“ „Die… wussten auch nichts. Ich meine…“ Ich fahre mir seufzend durch die Haare, weiß nicht, wie viel Noct schon weiß oder wie ich mich erklären soll. „Ich… wollte den beiden nicht zur Last fallen, verstehst du? Wir haben alle ziemlich gelitten nachdem du fort warst und irgendwie… ging es besser, je weniger wir uns gesehen haben. Wenn jeder auf seine Weise mit der neuen Situation klar kommen konnte. Wenn die anderen gewusst hätten, dass ich im Freien schlafen muss, hätten sie mir sicher helfen wollen.“ „Also hast du einfach geschwiegen.“ Ich zucke mit den Schultern. „Ich war oft bei Ignis zu Besuch, hab ihm mit dem Kleinen geholfen wenn seine Frau arbeiten war und einfach geredet. Duschen konnte ich auf der Arbeit, er hat also nie was gemerkt. Generell ging‘s mir wegen dem Job ziemlich gut, da sind ein Haufen andere Menschen in diesen Zeltstätten, die viel dringender Hilfe brauchen als ich, die aber keine reichen Freunde haben.“ „Wird Zeit, dass die Wohnviertel wieder aufgebaut werden“, meint Noct, „Aber jetzt lass uns weiter. Ich will in die Zitadelle zurück, bevor es dunkel wird.“ „Klar. Sorry, dass ich so viel rede.“ „Stört nicht, wenn du auch unterwegs reden kannst.“ Ich muss grinsen. Langsam wirkt Noct etwas lockerer im Umgang mit mir. Zumindest ein bisschen. Ganz umsonst ist dieser Ausflug jedenfalls nicht. Wir reiten einen Moment schweigend, während ich versuche, ein gutes Bild von Noct und Charly zu bekommen, auf dem auch noch der Hinterkopf von Sweety drauf ist – nicht so einfach bei dem Gewackel, aber das Ergebnis lohnt die Mühe. Noct drosselt sein Tempo etwas, bis wir auf einer Höhe sind, und ich muss die Kamera wegstecken. „Ignis hat auch erwähnt, dass ihr drei euch gestritten hättet“, meint er. Mich freut, dass die Formulierung praktisch voraussetzt, dass ich ich bin. „Erzähl mir davon… ich will wissen, was da los war, und Gladio und Ignis reden nicht. Meinen nur, jetzt wäre ja alles okay.“ „Ist ja auch alles gut jetzt“, versichere ich und meine es auch so, „Und wir haben nicht wirklich gestritten, jedenfalls nicht in dem Sinne. Wir waren nur… wir waren einfach fertig, alle drei. Die ganze Welt hat den Sonnenaufgang gefeiert, hat uns als Helden gefeiert, und wir standen da und mussten so tun als würden wir uns auch freuen, aber… aber eigentlich wussten wir alle nicht, wie es ohne dich weitergehen soll. Wir… waren uns auch nie besonders ähnlich, wir drei. Und selbst wenn… mit dem Tod eines nahen Freundes geht jeder anders um. Und es ist schwer, ich meine… es war viel schwerer, wenn wir zusammen waren. Einfach, weil wir vorher immer zu viert waren, und dann plötzlich nicht mehr.“ Noct schweigt, hört einfach zu. Ich weiß nicht, ob Ignis und Gladio ihm wirklich nichts gesagt haben, ob er nur meine Version hören will oder sogar kontrolliert, ob ich Dinge weiß, die nur der echte Prompto wissen kann. Es ist mir auch egal, es tut gut, einfach reden zu können. Es tut gut, dass endlich jemand zuhören will. „Irgendwann wurde dann auch deutlich, dass wir einfach alle anders mit dem Verlust umgehen. Ich war… ich war einsam, ich wollte reden. Über dich, eigentlich mit dir, und über alles, was damals passiert ist, gerade die Dinge, die mich fertig gemacht haben, wo in der Situation einfach kein Platz war, in Ruhe zu reden. Ich meine… ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe. Ich bin nicht wütend, ich bin nicht verletzt, und generell ist alles nur Ardyns Schuld. Aber wenn dann alles vorbei ist und man plötzlich Zeit hat, Fragen zu stellen, dann… also, ich jedenfalls wollte es einfach besser verstehen. In Ruhe über alles reden. Was passiert ist, was gut gelaufen ist, warum mache Sachen nicht so super gelaufen sind.“ „Klingt, als hättest du einen Therapeuten gebraucht.“ „Heh, das hat Ignis auch gemeint. Und ich war in Therapie. Aber… es gibt einfach Dinge, über die kann ich nicht einfach so mit einem Fremden reden. Das hätte er nicht verstanden.“ „Zum Beispiel, dass dein bester Freund dich angegriffen und vom Zug gestoßen hat?“ In Nocts Worten liegt so viel Wut und Schmerz, dass ich beinahe meinen Chocobo angehalten hätte. Ich treibe weiter um den Rückstand aufzuholen. „Ja, zum Beispiel das. Wer da nicht dabei gewesen ist, hätte es nicht verstanden. Und ich weiß, wie ich mich da gefühlt habe… ich hab nur nicht gewusst, wie es dir ging. Wie das passieren konnte… Da hab ich viel drüber nachgedacht, wenn ich allein im kalten Zelt lag. Und bitte, glaub mir wenn ich sage, dass ich dir keinen Vorwurf mache! Ich bin Ardyn auch auf den Leim gegangen, hab genau gemacht, was er von mir wollte. Ich wusste, dass was nicht stimmt, du hattest mich durch den ganzen Zug gejagt, ich hab gesehen, wie Ardyn neben dir gegen die MI gekämpft und dich in die Flugschiffe geschickt hat. Mir war klar, dass da was läuft, und trotzdem… ich hab nicht nachgedacht. Ich bin einfach aufs Dach gestürmt und hab meine Knarre gezogen und Ardyn hat bloß die Hände gehoben. Ich hab genau die Position eingenommen, in der er mich haben wollte. Ich hab nur nie verstanden, warum du meinen Namen gerufen hast, als du mich angegriffen hast.“ Diesmal ist es Noct, der unbewusst seinen Chocobo anhält. Sweety gibt ein entrüstetes „Kweh!“ von sich als er fast in seinen Kollegen rein rennt, weil ich das Bremsen versäumt habe. „Ich dachte du wüsstest…“ Nocts Worte sind leise, aber er sieht mir endlich direkt in die Augen. Einen Moment nur, bevor er sich wieder abwendet. Aber es tut gut. „Ich dachte, du wärst Ardyn, und er du. Dass er dich bedroht, nicht umgekehrt. Ich wollte… ich wollte dich beschützen.“ Ich kann sehen, dass Noct bei der Erinnerung die Tränen kommen. Weil Sweety sich weigert, nahe genug an Charly heranzurücken springe ich ab und lege meine Hand auf Nocts Bein. „Alles gut“, versichere ich ihm, „Ist ja nichts passiert.“ Charlys Zügel zittern in Nocts Händen, ich kann sehen, dass er den Tränen nahe ist. Aber es ist gut… Noct ist wie ich, auch er muss reden, damit es besser wird. Um beide Seiten zu verstehen und zu wissen, dass alles in Ordnung ist. „Tut mir Leid“, murmelt er. „Mir auch. Dass ich damals nicht aufgepasst habe und, dass ich es jetzt wieder ausgrabe. Weißt du… genau das hat Ignis und Gladio gestört. Die beiden… die wollten einfach vergessen.“ Ich klettere wieder auf Sweety und wir reiten weiter, zur Nordmauer und durch das Tor in die Steppe hinter Insomnia. Viel ist hier nicht, nur Boden, Himmel und ein paar Sträucher, bis hin zu den großen Felsen, in denen wohl die gesuchte Höhle liegt. „Gladio war ziemlich wütend“, erzähle ich weiter, „nicht auf mich, nicht wegen dir. Einfach immer. Ich glaube, er war in erster Linie traurig, aber er hat das überspielt indem er auf alles sauer war. Ging, solange er sich mit Arbeit ablenken konnte und er hat irgendwann eine gute Routine gefunden, in deren Rahmen er klar kam. Nur wenn dann irgendwas außer der Reihe war hat er sofort gebrüllt. Und wehe man hat es gewagt, in seiner Anwesenheit laut zu atmen oder gar deinen Namen zu sagen…“ Ich hab das ein paarmal vergessen zu beachten, meistens, weil es mir selbst gerade nicht so gut ging. Hat ziemlich weh getan, aber meistens konnte ich schnell genug rennen. Nur das letzte Mal… das letzte Mal vor Nocts Rückkehr, dass ich Gladio gesehen habe, hat er seinen Zorn runtergeschluckt. Ich muss schon ziemlich mies ausgesehen haben in dem Moment… aber er ist danach auch länger weg geblieben als bisher. Zwei oder drei Wochen… meine Vorräte waren schon ziemlich aufgebraucht, als Nemos Leute mich aufgegriffen haben. Um mir zu helfen… oder, damit ich ihnen helfe, mich an Insomnia zu rächen. Hab mich geweigert und wurde letztlich zum Sterben in der Kanalisation liegen gelassen, weil ich mir nicht helfen lassen wollte. Nicht um den Preis. „Er soll Ignis ziemlich heftig angegangen sein, hab ich gehört.“ Noct sieht mich nicht an bei diesen Worten. Die Antwort scheint ihm jedoch sehr wichtig zu sein. „Das habe ich nicht mitbekommen“, gebe ich zu, „Aber wenn hat Ignis ihm sicher verziehen. Wir waren alle mies drauf in der Zeit, wir wussten, den anderen geht es genauso. Gladio war nur wütend, damit er nicht traurig ist. Hat geschrien, um nicht zu weinen. Da… fallen schon mal Worte, die man so nicht meint. Auch mir gegenüber… das darf man einfach nicht ernst nehmen.“ Noct scheint mir nicht wirklich zu glauben. Wir haben die Höhle inzwischen erreicht, steigen ab, um die Chocobos heimzuschicken. Ich nutze die Gelegenheit um meinen Freund am Arm festzuhalten. „Hey… glaub mir ruhig, ja? Du weißt nicht, wie oft Gladio in der Zeit gesagt hat, dass er mich hasst und mich nie wieder sehen will. Und dann rat mal, wer trotzdem alle paar Wochen mit nem großen Carepaket im Arm bei mir aufgeschlagen ist, als ich ihn gebraucht habe. Hat nicht mal Spritgeld verlangt für die immer längere Strecke, die er bis zu mir fahren musste, und du weißt, Gladio fährt nicht gerade sparsam.“ Das zumindest bringt Noct wieder zum Schmunzeln, zumindest für einen kurzen Moment. „Du bist schnell darin, anderen zu vergeben“, meint er. Ich zucke nur die Schultern. „Kommt drauf an, wem. Und ob es demjenigen Leid tut.“ „Mir tut sehr Leid, was damals passiert ist.“ „Ich weiß.“ Was ich nicht weiß ist, ob ich mich trauen darf, Noct zu umarmen um ihn zu beruhigen. Deswegen halte ich meinen Abstand ein, während er die ersten vorsichtigen Schritte in die Höhle macht. Es ist… groß hier. Geräumig. Tatsächlich ist die Höhle wohl während des Krieges von den Niffen als Luftschiffhangar genutzt worden, noch immer stehen hier die Reste der großen Flieger. Alt, offen und verrostet, aber noch vollständig. Ich frage mich, ob sie jemand ausgeräumt hat. Und, wo das Monster ist, das wir suchen. „Licht an“, befiehlt Noct und ich greife eilig nach der Lampe an meinem Gürtel. Kaum zehn Schritte im Inneren ist es tatsächlich schon notwendig, für extra Licht zu sorgen… wie tief die Höhle wohl ist? „Fast ein Bisschen wie bei Dungeon Shooter, was?“, frage ich und leuchte in den Tunnel, „Nur mit weniger kleinen Monstern.“ „Beschwör‘s nicht“, grummelt Noct und hält sicherheitshalber schon mal sein Schwert bereit. Tatsächlich aber bleibt es still in der Höhle, so still, dass ich bald wieder zu plappern anfange, um nicht nervös zu werden. „Ich glaube auch nicht, dass Ignis allzu nachtragend ist. Was Gladio angeht, meine ich. Er hat ziemlich mies Konter gegeben und die beiden haben sich sicher sehr verletzt, also verbal, aber sie haben sich auch wieder vertragen, wenn es was zu tun gab. Wie gesagt, uns ging es allen dreien nicht gut, und wir wussten alle voneinander, dass keiner meint, was er sagt. Auch wenn’s eben weh tut.“ „Wie bist du mit Ignis klar gekommen? Du meintest vorhin, du hättest mit Nyx geholfen?“ „Manchmal, ein bisschen. Ignis war… nett zu mir. Oder hat es zumindest versucht, wie gesagt, es war schwierig. Er hat irgendwie versucht weiterzugehen, vorwärts zu kommen, ein neues Leben anzufangen. Hat nicht mehr zurücksehen wollen… da kam ich ihm mit meinem Redebedürfnis natürlich gerade recht. Wir… haben uns irgendwie arrangiert. Ich bin in Therapie gegangen, er hat seine Familie gegründet. Solange wir uns nicht zu oft gesehen haben konnte er mir verzeihen, wenn ich doch mal zu viel rede, und ich hab im Gegenzug ihm verziehen, wenn er verbal ausfallend geworden ist. Und er teilt hart aus, das muss man schon dazu sagen… gerade, wenn er verletzt ist. Er hat auch alles furchtbar rational gesehen, teilweise bis zu dem Punkt, wo er absolut gefühlskalt gewirkt hat. Aber ich wusste immer, dass er auch anders kann. Und Gladio sicher auch.“ Noct schweigt, folgt weiter dem Strahl seiner Lampe in den Tunnel. Langsam sind Geräusche zu hören, wie Krallen auf Stein. Ein dumpfes Knurren, noch weit weg. „Da lang“, meint Noct, „Das könnte es sein.“ Ich nicke und lade meine Waffe. „Gladio und Ignis sind nett zueinander“, meint Noctis, während wir uns dem Geräusch nähern, „aber ich habe Angst, dass das nur gespielt ist. Dass sie einander doch wütend sind, und es vor mir nur nicht zeigen wollen.“ „Ach was“, winke ich ab, „Ich bin sicher, das bildest du dir nur ein, weil du gehört hast, wir hätten uns gestritten. Das ist alles Schnee von vorgestern. Jetzt, wo du wieder da bist… jetzt geht’s uns allen wieder gut.“ Wenn mir Gladio jetzt in die Rippen boxt dann nur, weil ich im Training nicht aufgepasst habe. Gut, auch er nennt mich nicht Prompto, aber… aber von allen dreien ist er derjenige, der am wenigsten an mir zweifelt. Ich glaube er weiß längst, wer ich bin, auch wenn er mich noch Sunny-Boy nennt. Auch, wenn ich mich immer noch nicht wirklich zu reden getraut habe vor ihm. Hinter einer Kurve kommt ein riesiger Schatten hervor. Ein Behemoth… ein sehr junges Männchen, um genau zu sein. Noct und ich sehen uns kurz an und nicken. Ich entsichere meine Waffe, er wirft sein Schwert und warpt sich auf das Monster zu. Der Behemoth brüllt wütend, hebt seine Pranke nach ihm und zieht sie sofort wieder zurück, als er sich eine meiner Kugeln einfängt. Noct wechselt mitten im Sprung zu seinem Breitschwert und schlägt dem Monster mit einem Hieb den Kopf ab. Das war… antiklimatisch, um es mal so zu sagen. „Glaub irgendwie nicht, dass der hier fünf Jäger getötet haben soll“, brummt Noct und tritt gegen den abgeschlagenen Kopf, „so einen essen die doch zum Frühstück…“ „Er ist aber noch jung, oder? Vielleicht lebt seine Mutter ja hier.“ „Dafür ist er zu alt. Ein voll ausgewachsenes Männchen würde von seiner Mutter davongejagt oder gefressen. Das sind absolute Einzelgänger außerhalb der Paarungszeit… Lass uns trotzdem weiter suchen, ob hier noch was anderes ist.“ „Ist denn vielleicht gerade Paarungszeit?“ Ich meine, die war normal im Spätsommer, nicht jetzt im Frühling, aber ich könnte mich auch irren. Vielleicht hätten wir Ignis mitnehmen sollen… gerade für eine Aufklärungsmission wäre es praktisch, jemanden dabei zu haben, der den Gegner vernünftig analysieren kann. Aber Ignis soll lieber schlafen, am besten den ganzen Tag. Auch der hintere Teil der Höhle ist voll von Luftschiffen. Alle bereit, beladen und startklar, jedenfalls waren sie das vor zwanzig Jahren. Insomnia hatte nie eine Chance… alles, was Niflheim gebraucht hatte war die Möglichkeit, ins Innere der Stadt zu kommen und den König zu töten. Ohne König kein Wall, ohne Wall keine Chance. Der Friedensvertrag war von Anfang an nur ein Vorwand, eine Farce. Gut, dass wir längst aus der Stadt waren. „Was hast du damals gedacht?“ „Was?“ Nocts Frage verwirrt mich, so völlig aus dem Kontext. „Als ich dich vom Zug gestoßen habe. Was dachtest du, warum?“ Ich sehe Noct eine Weile einfach nur an, unschlüssig, was ich sagen soll. „Erstmal… gar nichts, denke ich. Es war viel zu kalt und ich stand ziemlich unter Schock. Ich hab auch vergessen, was passiert ist, bevor ich am Boden aufgekommen bin, einfach, weil es so… unsinnig war, verstehst du?“ Ich lache heiser bei der Erinnerung, „Als ob mein bester Freund mich angreifen und vom Zug stoßen würde… da konnte ich gar nicht dran denken. Das war einfach nicht möglich. Ich wusste nur, dass ich vom Zug gefallen war und dass es kalt war, also hab ich mir irgendwo warme Kleidung organisiert und versucht, irgendwie wieder auf Kurs zu kommen. Hab‘s nicht geschafft… nicht allein. Ardyn hat mich in das Labor gebracht, in dem ich entstanden bin. Und mir das Armband abgenommen, anscheinend.“ Ich hebe den rechten Arm, so dass Noct den Barcode sehen kann. „Ich hab immer Angst gehabt, dass das jemand sieht. Ich wusste nicht, dass ich ein MI bin, aber dass ich aus Niflheim komme war mir schon klar, als ich noch ein kleines Kind war. Ich hab den Code immer versteckt weil ich dachte, wenn den jemand sieht, weiß er Bescheid. Ich dachte… vor allem, nachdem Ardyn sowas angedeutet hat, ihr hättet es rausgefunden und mich für einen Spion gehalten. Davor hatte ich mein Leben lang Angst… ich glaube, er hat das gewusst.“ „Du glaubst wirklich, wir hätten dich einfach für einen Spion gehalten?“, fragt Noctis. Er klingt direkt bestürzt. „Glauben?“, antworte ich, „Eher nicht. Aber ich hatte Angst.“ Zu meiner Überraschung kommt Noct auf mich zu, greift wortlos meinen Arm und bindet ein etwas darum, so dass man den Barcode nicht mehr sieht. Es ist ein einfaches Taschentuch mit bunten Chocobomotiven darauf, richtig niedlich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. „Besser so?“, fragt Noct, „Das Tuch ist aus der Spielhalle eben. Ich brauch es nicht, aber wenn du dich so wohler fühlst, trag es.“ „Danke…“ Ich fühle mich wohler. Um nicht zu sagen glücklich. Der Barcode belastet mich schon lange nicht mehr, nicht mehr seit ich weiß, dass es meinen Freunden egal ist. Trotzdem… dass Noct sich Sorgen um mich macht, tut gut. Gerade jetzt, wo die lang vergrabenen Gefühle im Gespräch wieder hoch kommen, ist seine liebevolle Geste viel Wert. Leider wird der rührselige Moment auch sofort wieder unterbrochen, als ein zweiter Behemoth um die Kurve kommt. Er ist etwas größer als der erste und grau statt violett, aber immer noch keine Herausforderung. „Komm mit“, fordere ich Noct auf und wir gehen in einem der verlassenen Luftschiffe in Deckung. Ein wenig Suchen und tadah! Ein Scharfschützengewehr. Was man nicht alles findet… Munition rein, aus der offen Tür zielen, Bestie erledigt. Herrlich, wie einfach das manchmal geht. „Nicht übel“, meint Noct, „Darf ich das Ding auch mal ausprobieren?“ „Gerne, wenn’s dir Spaß macht.“ Ich nehme mir noch ein Maschinengewehr, einen Raketenwerfer und eine Handvoll Leuchtgranaten mit und wir untersuchen den Behemoth. Es ist ebenfalls ein Männchen, gut bestückt, aber nicht viel größer als der andere. Auch er sieht nicht aus, als könnte er einem hochrangigen Jäger gefährlich werden. „Glaubst du, wir suchen ein brünftiges Weibchen?“, fragt Noct. „Gut möglich… wüsste nicht, wie sonst zwei Behemoth-Männchen lebend in derselben Höhle sein könnten. Normal hätte der Größere den Kleineren ja fressen müssen, oder?“ „Oder zumindest tot beißen, aber das hätte er auch vor einem Weibchen getan, um seine Dominanz zu zeigen. Lass uns weiter suchen, zumindest, bis wir die Erkennungsmarken finden.“ „Ja, dann wissen wir wenigstens, wo die Jäger umgekommen sind…“ Und, falls die noch bei ihrem Marken sind, vielleicht auch wie und woran sie gestorben sind. Das ist der Teil, den ich daran hasse, Erkennungsmarken für die Jäger zu suchen… man findet oft auch die Leichen, oder was die Monster davon übrig gelassen haben. Und wenn man keine Leiche findet heißt das nur, dass das Monster auch die Knochen mitfrisst, was selten ein gutes Zeichen ist. Ein Brüllen ist zu hören, und wir springen zurück in die Deckung des imperialen Frachtschiffes. Ich reiche Noct das Scharfschützengewehr. „Weißt du, wie sowas funktioniert?“ Noct nickt und legt auf den Behemoth an, der jetzt um die Ecke stampft. Auch er ist grau, männlich, und wieder ein Stück größer als der letzte. Noct zielt und trifft, aber diesmal scheint eine Kugel nicht zu reichen. Das Tier schreit wütend auf, Blut quillt aus seinem Auge, wo Noct es getroffen hat, aber das Hirn scheint noch zu funktionieren. „Oh verdammt…“ Nocts zweiter Schuss geht daneben, der dritte Schlägt dem Tier einen Zahn aus, während es auf uns zu stürmt. Für das Scharfschützengewehr ist es jetzt zu nah dran. Ich hebe den Raketenwerfer auf meine Schulter, lade durch und drücke ab. Die Explosion wirft den Behemoth so weit zurück, dass ich nachladen kann, ein weiterer Treffer und er steht nicht mehr auf. „Tut mir Leid“, meint Noct, „Ich hätte es gleich dir überlassen sollen.“ „Ach was, du hast gut getroffen. Kann ja keiner wissen, dass so ein Vieh ohne Hirn nicht gleich tot ist…“ Ich spare uns beiden den Seitenhieb auf gewisse Politiker und schleiche mich auf den Kadaver zu, um zu sehen, was da schief gelaufen ist. Nocts Kugel kam wohl doch etwas schräg, vielleicht hat sie das Hirn nur gestreift anstatt es komplett raus zu pusten. „Der war jedenfalls taff. Hat aber auch keine Marken bei sich…“ „Sind mir auf jeden Fall zu viele ausgewachsene Behemoths auf einem Haufen“, meint Noct, „da ist doch irgendwas faul…“ Wir schleichen weiter, inzwischen ernsthaft besorgt, und treffen bald auf den nächsten Behemoth. Ein riesiges rotes Tier mit einem extra Satz Hörnern. Diesmal lege ich gleich mit dem Raketenwerfer drauf an, während Noct einen Magieflakon hervorzieht und die Bestie mit einem Eiszauber niederringt. Einmal bäumt sich die Kreatur noch auf, da trifft sie auch schon mein Geschoss in die Brust und sie sackt zu Boden. Auch dieser Behemoth ist ein Männchen, älter als die anderen und schon etwas kampferfahren. Eine Herausforderung für einen einzelnen Jäger? Vielleicht, jedenfalls eher als die anderen drei. Aber auch hier sind keine Erkennungsmarken zu sehen. Mir wird kalt, vielleicht wegen Nocts Zauber. Ich will gerade vorschlagen, dass wir zurückgehen und Gladio holen sollten, nur so zur Sicherheit, weil ich gerne sein Breitschwert zwischen mir und den Monstern sehe, da rumpelt es weiter hinten in der Höhle. Ich kenne das Geräusch und das Gefühl, das es in mir auslöst. Diese kriechende Dunkelheit… Ich drehe mich um und sehe etwas aus den Tiefen der Höhle aufsteigen. Tiefschwarz, so dunkel, dass es fast schon wieder leuchtet. Es hat die Form eines riesigen Behemoths, vielleicht das Weibchen, das wir hier vermutet haben, und um seine riesigen, mit mannslangen Krallen bewehrten Pranken sammeln sich weitere Männchen, eines größer als das andere, aber alle klein im Vergleich zu ihrer Königin. „Lauf!“ befiehlt Noct und er braucht es nicht zweimal zu sagen. Ich drehe mich um und nehme die Beine in die Hand, ihm hinterher, raus aus der Höhle. Und zwar schnell. Ich kann die donnernden Tatzenschläge hinter mir hören, aber so wendig wie wir kleinen Menschen ist das Monster hier drinnen nicht. Nun bin ich doch froh, dass Gladio mich im Training so gefordert hat – meine Kondition ist gut, ich halte den Sprint locker durch und gewinne ordentlich Abstand zu der Bestie. Kurz vor dem Höhleneingang drehe ich nochmal um und lege die Kamera auf das Biest an. Schnellauslöser einstellen, damit das Ding mit einem Knopfdruck zehn Fotos in schneller Folge schießt, den richtigen Moment abwarten, abdrücken und… „PROMPTO!“ Ein blauer Blitz zuckt durch mein Sichtfeld, dann spüre ich auch schon Nocts Arm um meine Brust und die Welt macht einen gewaltigen Satz weg von mir. Ich blicke gerade noch rechtzeitig über meine Kamera um die Zunge des Monsters zu sehen, lang, spitz und mit knochigen Stacheln besetzt, da zischt es auch schon davon und ich lande relativ unsanft außerhalb der Höhle auf meinem Hintern. „Bist du wahnsinnig jetzt einfach Fotos zu schießen?!“, brüllt Noct mich an und reißt mich unsanft am Arm hoch, „Lauf, verdammt!“ Ich nicke und renne weiter. Ich will mich entschuldigen, sagen, dass ich dachte, der Behemoth wäre noch wesentlich weiter weg, dass ich genug Abstand hätte, aber Noct hat recht: Ich hätte nicht stehen bleiben dürfen. Mein Leben ist mehr wert als ein paar Fotos. Noct hält immer noch meine Hand, als müsste er mich ziehen, dabei bin ich fast so schnell wie er. Die Kamera schwingt mit jedem Schritt unsanft gegen meine Rippen, weil ich sie nicht wie sonst mit der rechten Hand festhalten kann, aber auch das ist im Moment egal. Nur weg hier, bevor das Biest uns wieder einholt. Langsam geht die Sonne unter, auch vor der Höhle liegt ein weites Stück Strecke im Schatten. Hier draußen sieht das Vieh fast noch größer aus. Nicht umdrehen, einfach weiterlaufen. Die Bestie ist schon wieder viel zu nahe… ich kann den Boden unter ihren Schritten beben spüren. Noct wirft wieder sein Schwert und ich schließe eilig die Augen, als er mich wieder mit in den Warp reißt. Ich mag dieses Gefühl nicht… Diesmal reicht der Flug, über ein paar Zwischenstopps, bis auf die Nordmauer. Ich lande unsanft auf dem gepflasterten Rundlauf, stemme mich auf die Arme und übergebe mich erst mal. Kennys Fritten schmecken beim zweiten Mal irgendwie nicht mehr so gut. „Sorry“, entschuldigt sich Noct, „Warpen ist wohl nichts für dich, was?“ „Nein. War aber nötig, in dem Fall.“ Ich rapple mich auf und sehe über die Brüstung in Richtung der Höhle. Dahin, wo das fürchterliche Brüllen herkommt… von so weit weg ist das Biest klein genug, um im Ganzen ins Fotos zu passen. Die kleineren Behemoths kommen drohend auf uns zu, bleiben aber in der Nähe des Weibchens. Sie scheint nicht aus dem Schatten treten zu können, das Licht der untergehenden Sonne versperrt ihr den Weg. Ein Wort kommt mir in den Sinn, eines, das ich seit zehn Jahren nicht mehr fürchten musste… „Siecher“, spricht Noct es aus. Eine Weile starrt auch er auf die Bestie, die sich mit dem Schatten auf Insomnia zu bewegt. Dann… „Der Wall. Ich muss in die Zitadelle und den Wall aufbauen.“ „Klar, sofort. Nehmen wir ein Taxi?“ Das geht von hier aus sicher am schnellsten. Noct nickt erschöpft und wir springen hinunter in die Stadt. Der Taxistand ist direkt am Nordtor, wir müssen nur den Knopf drücken und warten, bis das erste Auto kommt. Ich zittere. Noch vor ein paar Monaten hätte ich mir einen derart schnellen Tod gewünscht… als ich in der Kanalisation im Sterben lag. Bevor ich Nocts Namen im Radio gehört habe. „Alles okay?“ Noct klingt besorgt, legt seine Hand auf meinen Arm. Die Berührung ist warm, ich hatte fast vergessen, wie kalt mir bis eben noch war… immer noch ist. Langsam holen die letzten Minuten meine bewusste Wahrnehmung ein. „Du hast mich Prompto genannt“, fällt mir auf und mir kommen die Tränen, „Du hast… endlich… meinen Namen gesagt. Ich hätte nicht gedacht dass mich das so scheiße glücklich macht.“ Ich wische mir mit der Hand über die Augen, fange die Feuchtigkeit mit dem Tuch auf, das Noct mir über den Barcode gebunden hat. Ein wenig schäme ich mich für die Tränen, gerade weil ich gerade alles andere als traurig bin. Zu meiner Überraschung umarmt Noct mich einfach. Drückt mich fest an sich wie einen großen Hund. „Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat“, murmelt er in meine Schulter, „Ich hab dich vermisst, Prompto.“ „Ich dich auch, Noct“, entgegne ich und erwidere die Umarmung stürmisch, „So sehr…“ Es tut gut, ihn so zu halten. Seine Wärme, seinen Herzschlag zu spüren, wie zum Beweis, dass er wirklich, sicher lebt und dass er mich noch gern hat. Dass ich ihm wichtig bin, trotz allem. Endlich… endlich hab ich ihn wieder. Ein Auto bremst neben uns ab und hupt kurz. „‘N Abend die Herren, wo darf‘s hingehen?“, fragt er munter, „Zum nächsten Love Hotel?“ Ich laufe sofort knallrot an und lasse Noct los, der dagegen lacht nur etwas ertappt. „Nein, zur Zitadelle. So schnell wie möglich, bitte.“ „Kost fünf Taler extra. Oder Gil, wennse von außerhalb sind.“ Wir steigen hinten ein und ich schließe die Tür. „Ich zahl ihnen zehn, wenn sie’s vor neunzehn Uhr schaffen“, bietet Noct an und der Fahrer steigt aufs Gas, noch bevor ich richtig angeschnallt bin. Er scheint sich das Extrageld verdienen zu wollen. Passt uns gut, je schneller der Wall steht, desto besser für die Stadt. Einen Moment schnaufen wir noch durch, dann nimmt Noct meine Hand und lehnt sich doch wieder zu mir herüber. „Hey…“, flüstert er und lehnt seine Stirn an meine, „Ich bin wirklich froh, dass du endlich zurück bist. Willkommen zu Hause, mein Freund.“ Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, also lege ich einfach wieder die Arme um Nocts Schultern und lehne mich in die Berührung. Soll der Taxifahrer doch denken, was er will. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)