Welt ohne Grenzen von SoraNoRyu ================================================================================ Kapitel 10: Unten am Wasser (Sanni) ----------------------------------- Es regnet. Meine Haare sind nass, mir ist kalt und langweilig. Seufzend spiele ich mit den Filtern meiner neuen Kamera, versuche die richtigen Einstellungen zu finden, um im schwindenden Licht noch gute Fotos zu machen. Hier zeigt sich nun doch der Preisunterschied zu meiner alten LOKTON… das Menü ist eher für den Familienvater im Urlaub ausgelegt als für jemanden, der Ahnung von Verschlusszeit und Belichtungszeit hat. Wir sitzen unter dem ehemaligen niflheimer Kontrollpunkt am Crestholm-Reservoir und Nora hält seit Stunden eine alte Angel ins Wasser. Nicht, dass ich daran zweifeln würde, dass es hier Fische gibt – ich weiß, dass man hier ganz anständig angeln kann, sitze auch nicht zum ersten Mal hier und langweile mich zu Tode. Aber Nora fehlt einfach das Talent oder die Geduld, hier einen Fisch an Land zu ziehen, und langsam habe ich echt Hunger. „Ich hab einen!“ Als sie endlich jubelnd einen Fisch herauszieht, ist es ein winziger Blaukiemling. Ich mache trotzdem ein Foto, und in mir steigen Gefühle auf, die ich nicht zuordnen kann. „Toll, und wie sollen wir drei davon satt werden?“, beschwert sich Callus, „Wir hätten doch in Hammerhead etwas zu Essen kaufen sollen, aber nein, Madamme wollte ja unbedingt Fisch.“ Ich ziehe die Knie an die Brust. Zitternd, aber nicht vor Kälte, vergrabe ich das Gesicht in meinen Armen. Tränen kämpfen sich nach oben, und einen Moment weiß ich nicht, warum ich weine. „Hey, wir haben doch Fisch! Schau mal, der ist doch toll! Und da sind noch viel mehr drin, du hast nur keine Geduld.“ Noras Rücken vor mir auf dem Steg. Ihre halblangen schwarzen Haare in der untergehenden Sonne, das Geräusch der Angelschnur, wenn sie den Köder auswirft. Diese Silhouette mit dem schwarzen Mantel vor dem Wasser, am Steg, immer von hinten. Immer dasselbe Motiv zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Gewässern. Mal ein Fluss, mal ein See, sogar mal am Meer. „Geduld? Ich habe hier seit drei Stunden den Grill an und alles was wir haben ist ein einziger Fisch, und der ist was, zwanzig Zentimeter lang?“ Fische, große und kleine. Vom winzigen Blaukiemling bis hoch zum Albtraum der Angler am Galdin-Kai. Er hat alles gefangen… und er hat sich immer so gefreut. Dieses ausgelassene Lächeln, nur einen Sekundenbruchteil lang, wann immer er einen besonders großen oder seltenen Fisch herausgezogen hat. So hat er sonst nie gelacht… ich habe es insgesamt ein oder zwei Mal geschafft diesen Moment mit der Kamera einzufangen, in all der Zeit, die ich am Steg darauf gewartet habe. Vielleicht hätte ich weniger Kings Knight zocken sollen, aber es dauert einfach immer so lang… „Meine Güte, dann fang ich halt noch einen“, schimpft Nora und stapft wieder an mir vorbei, um die Angel auszuwerfen. Die Schnur surrt, der Köder fliegt und fällt platschend ins Wasser. Viel zu grob, viel zu ungeduldig. Ich schluchze. Langsam kommt alles wieder hoch. Die vielen Stunden, die ich an allen möglichen Angelstegen auf dem ganzen östlichen Kontinent gestanden und mich gelangweilt habe. Ihn beobachtet und fotografiert habe, wie er da steht, die schmalen Schultern entspannt, aber immer aufmerksam, geduldig. Ich blicke durch den Schleier von Tränen auf zu Nora. Sie ist genauso groß wie er, und ihre Glevenuniform flattert genauso im Wind wie seine alte Jacke. Tausend Stunden Langeweile, und ich wünsche sie mir alle zurück. Einfach nur dumm auf einem Steg herumsitzen und auf diesen winzigen Moment warten, wenn der Fisch aus dem Wasser kommt und ich dieses Lächeln sehen kann. Ein winziger Moment des Glücks in einer Zeit, in der es sonst nicht viel Freude gibt. Dazu der Geruch der Grillkohle, das Knistern des Feuers, der Geruch von gebratenem Gemüse, zu dem sich bald der des Fischs gesellt. Tee aus leichten Alutassen, bequeme Campingstühle, die Wärme des Feuers. Einfach zusammensitzen und die Fotos ansehen, die ich den ganzen Tag geschossen habe, essen, lachen, plaudern bis wir alle ins Zelt kriechen. Ich will wieder dorthin zurück… zurück zu meinen Freunden. Ich vermisse sie. „Hey.“ Eine Hand auf meiner Schulter, ich blicke erschrocken auf. Callus steht über mir, seine dunklen Augen haben mich fest im Blick. „Was ist los, tut dir der arme Fisch leid?“ Ich schüttle schnell den Kopf. Wische die Tränen ab und versuche, mich wieder zusammenreißen. Ich bin doch schon fast da… nur noch einmal schlafen, noch ein paar Kilometer fahren und wir sind zurück in Insomnia. Zu Hause. Bei meinen Freunden. Hoffentlich… nein, bestimmt warten sie da auf mich. „Wieso tust du das? Wieso die Tränen? Du bist nicht mal ein Mensch.“ Ich wende den Blick ab von Callus und starre stattdessen auf meinen Barcode. Nicht mal ein Mensch… aber meinen Freunden war das egal. Ich erinnere mich… an die freundlichen Hände auf meinen Schultern, an liebe Worte, den Zusammenhalt unserer Gruppe. Dort unten, tief in Niflheim, am dunkelsten Ort der Welt. Auch damals hatte ich frische Fesselspuren an den Händen. Aber die Schmerzen waren egal. Weil meine Freunde gekommen sind, um mich zu retten. Obwohl ich nur ein MI bin. Obwohl ich geschaffen wurde, um das Land zu vernichten, das meine Freunde beschützen. Ich war einer von ihnen, egal was. Und sie haben mich bis zuletzt als einen der Ihren behandelt. Gladio wird so sauer sein, wenn er sieht, was mit seinem Zelt passiert ist… „Du weinst ja echt, was?“ Callus seufzt tief. „Komm, setzen wir uns rein. Hab keine Lust mich zu erkälten, nur weil Nora bis zum Sonnenaufgang versucht, unser Abendessen zu fangen.“ Er zieht mich grob am Arm hoch und schiebt mich zurück zum Wohnwagen. Unter der provisorischen Veranda stehen drei Stühle, davor ein Grill, gerade so geschützt vor dem Regen. Der Blaukiemling hängt auf einen Stock aufgespießt darüber. Ignis hätte es anders gemacht, aber ich sollte mich nicht beschweren. Ich kann Fisch ja nicht mal richtig zubereiten, wenn er schon fertig aus der Dose kommt. Callus lässt sich schwer in einen der Stühle sinken und starrt den Fisch an, als würde er so größer werden. Jetzt, ohne seine Eingeweide und auf dem Feuer schmorend sieht er sogar noch kleiner aus als vorhin, als Nora ihn aus dem Wasser gezogen hat. Ich wische mir noch einmal mit dem Ärmel über das Gesicht, inzwischen habe ich mich wieder unter Kontrolle. Nur noch kalt und nass vom Regen. „Wieso tust du das?“, fragt Callus erneut, „Wieso die Tränen? Wieso Gefühle zeigen, wenn es dir überhaupt nichts bringt?“ Ich wende mein Gesicht ab und zucke die Schultern. Wie soll ich das erklären? Wie soll ich jemandem, der mich für eine kalte Maschine hält erklären, dass meine Gefühle eben einfach manchmal raus müssen, dass ich mich nicht immer beherrschen kann? Meine Freunde mussten das nie fragen. Die haben gesehen, wie es mir geht, und einfach reagiert wie auf einen normalen Menschen. Meistens ging es mir dann schnell besser… selbst in den letzten zehn Jahren, als oft jedes Wort eines zu viel war und wir dauernd gestritten haben. Meine Freunde haben immer verstanden, dass ich fühle wie ein Mensch. „Ich weiß einfach nicht, warum du dem König so wichtig bist. Warum er dich unbedingt in der Stadt haben will… das ist doch nur ein unnötiges Risiko! Tot verstehe ich ja noch, aber lebendig und gesund? Am Ende verlangt er noch, dass wir dir eine Waffe anvertrauen!“ Ich blicke auf meine Hände und kann irgendwie nicht anders als zu lächeln. Der König… mein König will mich sehen. Lebendig und gesund. Wie denn auch sonst? Wieder kommen mir die Tränen. Nach all der Zeit, die ich mich jetzt schon durchschlage, so viele Wochen nachdem ich diese paar Fetzen im Radio gehört habe und endlich… nur noch ein paar Stunden, dann sehe ich ihn endlich wieder. Zum ersten Mal nach zehn Jahren. Nachdem ich ihn dort an der Zitadelle gehen lassen musste. Allein, mit nichts als einem Foto als Erinnerung an uns. Noctis… Ich vermisse ihn. „Ich hab wieder einen!“ Noras freudiger Ausruf reißt mich aus meinen Gedanken und ich beeile mich, ein fröhliches Gesicht aufzusetzen. „Hey, hast du geweint?“, fragt sie trotzdem, „Was ist los, war Callus wieder gemein zu dir?“ „Hey, ich bin nicht an allem schuld!“, wehrt sich Callus. Nora scheint ihm nicht recht glauben zu wollen und prüft mich erstmal auf frische Verletzungen, während Callus den ersten Fisch vom Grill nimmt und den neuen darauf steckt. Ein lucischer Leuchtwels dieses Mal, aber auch ein untypisch kleiner Vertreter der Art. Den Blaukiemling schneidet Calluss einfach auf und kratzt mit einer Gabel das Fleisch heraus, um es wie Thunfisch auf ein paar gerösteten Broten zu verteilen. Nora setzt sich zu uns und seufzt. „Was ist? Keine Lust mehr für den dritten Fisch?“ „Keine Schnur mehr“, gibt sie zu, „Alle gerissen… da ist irgendein richtig großer drin, der hat einfach meine Köder geschnappt und abgerissen.“ „Weil du zu ungeduldig bist“, meint Callus, „Du darfst die Schnur nicht so auf Spannung halten.“ „Als würdest du was vom Angeln verstehen.“ „Aber wenn ich jage haben wir wenigstens was zu essen auf dem Tisch.“ „Angeber. Wir haben doch zu essen!“ „Ja, Brot mit ein bisschen Winzfish drauf. Und davon müssen wir auch noch den MI mitfüttern!“ „Jetzt tu mal nicht so, als ob er uns nur im Weg wäre. Du bist derjenige, der ihm keine Waffe geben will! Wer weiß, vielleicht könnte er uns so was jagen? Vielleicht ein Anak aus dem Autofenster abschießen, so im Vorbeifahren, wie ein richtiger Scharfschütze.“ „…du siehst zu viel fern.“ Ich beiße still in meinen Toast. Er ist trocken, der Fisch war viel zu lange über dem Feuer und es fehlt eindeutig Salz, aber ich will mich nicht beschweren. Kann ja nicht jeder so kochen wie Ignis… der hat sich auch nie beschwert, mich mit durchfüttern zu müssen. Im Gegenteil, er war immer nett, auch wenn ich mal nicht ganz mit der Gruppe mithalten konnte. Noch ein bisschen trockener Fischtoast und meine Atmung beruhigt sich wieder. So ein Anaksteak wäre tatsächlich gut jetzt… mit einem anständigen Gewehr hätte ich schon eines schießen können, als wir an der Herde vorbei gefahren sind, vielleicht sogar tatsächlich, ohne anzuhalten, wie Nora es sich vorstellt. Ich hab schon Schwierigeres geschafft. „Nein im Ernst jetzt, Callus, warum hat Sanni geweint?“ „Woher soll ich das wissen, er redet ja nicht!“ „Du könntest auch mal ruhig ein bisschen Einfühlungsvermögen zeigen, weißt du?“, schimpft Nora ihren Freund, dann wendet sie sich mir zu: „War Callus wieder grob zu dir?“ Ich schüttle eilig den Kopf, um ihm keinen Ärger zu machen. Nora rückt ihren Stuhl ein bisschen näher zu mir. „War es wegen der Fische?“ Tendenziell… ja, aber das ist schwer zu erklären. Sicherheitshalber schüttle ich wieder den Kopf, damit sie es nicht falsch versteht. „Oh Mann, raten ist echt schwierig. Ist irgendwas passiert heute?“ Nein. „Hat es was mit mir oder Callus zu tun?“ Auch nein. „Boah, was kann den noch sein? Callus, hilf mir mal.“ „Ich sags nur nochmal: Er ist ein feindlicher Kampfroboter, den wir gefangen genommen haben um ihn unserem König zu bringen. Lebendig, aus irgendeinem Grund. Frag mich bitte nicht, warum er weint.“ „Gah!“ Nora rollt frustriert mit den Augen. „Du bist echt unglaublich, Callus. Ich würde es jedenfalls total verstehen, wenn er wegen dir weinen würde.“ Nora überlegt weiter. „Hat es was mit dem König zu tun?“ Ich zögere, dann nicke ich. Alles andere wäre gelogen. „Hast du Angst, ihn zu treffen?“ Gute Frage. Angst ist es nicht direkt… ich zucke die Schultern. Nervös vielleicht. Ganz sicher nervös. Vielleicht auch ein bisschen Angst, aber weniger vor ihm als… ja, vor was eigentlich? Dass es doch nicht Noct ist? Dass er mich nicht mehr mag? Mir kommen wieder die Tränen. „Glaubst du, der König würde dir wehtun?“ Ich schüttle eilig den Kopf. Nein, nein ganz bestimmt nicht. Nicht Noctis. Er würde mir nie wehtun. Nicht mit Absicht… zumindest nicht mit Absicht. Ich verdränge die Erinnerung an unsere Zugfahrt nach Gralea. Das war alles Ardyns Schuld. Nicht meine, Ardyns. Er hat mit Ardyn gesprochen und nicht mit mir… ihm wollte er wehtun. Zu Recht. Ich sollte damit längst abgeschlossen haben, wie Ignis gesagt hat, aber ich muss einfach vernünftig darüber reden, und keiner will es hören… weil Nocts Tod für alle zu viel war, nicht nur für mich. Weil ich eigentlich mit ihm selbst reden sollte, nicht mit Ignis oder Gladio. „Sanni…“ Nora legt mir die Hand auf die Schulter, nimmt mich zärtlich in den Arm. „Hab keine Angst, Sanni. Unser König ist ein netter Mann, er wird dir bestimmt nichts tun. Im Gegenteil, es ist ihm sehr wichtig, dass wir dich gesund nach Insomnia bringen. Er hat gesagt, wir sollen dich wie einen Freund behandeln, auch, wenn Callus das nicht gern macht.“ Ich muss lächeln. Ja, das klingt nach Noct… ich frage mich, warum er mich nicht selbst holen kommt, aber bestimmt ist er einfach beschäftigt. König sein ist sicher anstrengend… bestimmt kann er nicht so einfach weg, nur weil er selbst das gern möchte. „Geht es dir jetzt wieder besser?“ Ich nicke. Ja, geht schon wieder. Wird schon alles gut… Morgen bin ich zu Hause. Bei Noct, Ignis und Gladio. Dann ist alles wieder in Ordnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)