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Crazy like a skull

Das Paradies hat einen Haken
von

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One more...


 

1
 

Voller Erwartung schlendert Kukui auf den Vorplatz der Uni. Inzwischen sind drei weitere Jahre ins Land gezogen und dem angehenden Professor fehlen nur noch zwei Semester bis zum Abschluss. Der Neunzehnjährige kann kaum fassen, wie die Zeit doch vergangen ist und sein Traum mit immer größer werdenden Schritten auf ihn zu geflogen kommt. Doch wir wollen ja nichts überstürzen. Bis zum langersehnten Titel muss er noch allerhand Prüfungen über sich ergehen lassen und die werden nun mal auch nicht einfacher. Manuel muss sogar zugeben, dass er durch die letzten paar gerade so durchgerutscht ist, was ihm so einiges an Nerven gekostet hat. Wenn er Bromley nicht hätte, der sich mit ihm die Nächte um die Ohren geschlagen und ihm immer wieder beim Lernen geholfen hat, wäre er mit Sicherheit schon längst durchgefallen. Der Schwarzhaarige versteht zwar schon lange nicht mehr, was sein Freund da eigentlich pauken muss, doch das hält ihn nicht davon ab, ihn zu unterstützen, wo es nur geht.
 

Etwas mulmig ist dem Brünetten jetzt allerdings doch zu mute. Zwar schreiben sie keinen Test oder dergleichen, dennoch wird heute einiges passieren, dass ihn etwas aus der Bahn werfen könnte. Da in gut einem Jahr die Abschlussprüfungen stattfinden werden, kommen heute Studenten aus ganz Alola und auch aus anderen Regionen hier an, um diese letzten beiden Semester in dieser Lehranstalt zu verbringen. Die Uni von Malihe City ist weltberühmt und von daher zieht es Studenten von überallher hierher, um hier ihren Abschluss zu machen. Erst recht, weil Alolas spezielle Pokémon-Welt ganz neue Möglichkeiten eröffnet, die jungen Wissenschaftler hier allerhand Erfahrungen sammeln und in ihre Heimatregion tragen können. Natürlich kommt es auch vor, dass der ein oder andere für immer hierbleibt. An vielen Stellen Alolas wird sehr intensiv Forschung in jeglichen Richtungen betrieben und da wird oftmals händeringend Nachwuchs gesucht.
 

Aus diesem Grund macht sich Kukui ausnahmsweise mal keine Gedanken über Pokémon-Attacken, sondern darüber, wie wohl die neuen Kommilitonen sein werden. Schließlich wäre es äußerst unschön, wenn er seine bisher sehr friedliche Studienzeit nun durch irgendwelche Idioten zerstört sehe, die nur Partys und Krawall im Kopf haben, anstatt sich um ihre Zukunft zu kümmern. Solche schwarzen Schafe gibt es immerhin in jedem Jahrgang und sie haben stets einen schlechten Einfluss auf ihre Klassenkameraden. Bisher ist Manuel von dergleichen noch verschont geblieben, doch wie prägend dieser Tag heute trotzdem noch werden wird, kann er ja auch nicht ahnen...
 

Hartnäckig versucht er seine schlechten Gedanken beiseite zu wischen und betritt dann das Unigebäude. Auf langen Fluren drängen sich ihm Studenten und Lehrkräfte entgegen. Angeregte Unterhaltungen werden geführt, hier und da ein Grußwort vergeben und einige wenige sehen sich suchend um. Nichts Ungewöhnliches also. Mit etwas Mühe kämpft sich der Brünette zum Hörsaal vor und lässt sich dann mit einem Seufzen auf seinen Platz sinken. Der riesige Raum, mit den Dutzenden Reihen von Tischen und Bänken, war die letzten drei Jahre nur selten mehr als zur Hälfte gefüllt. All seine Kommilitonen sind auch schon anwesend und selbst der Professor steht schon vor der Tafel. Geduldig wartet er darauf, dass die Neulinge ebenfalls in den Saal kommen, damit er sie auf die freien Plätze verteilen kann.
 

Mit einem Anflug von Neugierde wirft Kukui einen Blick in die Masse, kann jedoch nichts Aufregendes entdecken. Doch der Tag ist noch lang und bietet viele Gelegenheiten für Gespräche. So zieht er seinen Laptop aus der Tasche und ruft die Abschrift der letzten Stunde auf, um sie noch einmal kurz zu überfliegen, während die auswärtigen Studenten einen Platz suchen. Er ist so vertieft in sein Tun, dass er zuerst gar nicht mitbekommt, dass jemand neben ihm steht. „Verzeihung...?“, unterbricht ihn schließlich eine Stimme, als der größte Lärm abgeebbt ist. Langsam wendet der Brünette den Kopf um und im selben Augenblick klappt ihm das Kinn herunter. „Dieser Platz ist doch noch frei, oder?“, fragt die junge Frau neben ihm und blickt ihn etwas unschlüssig an.
 

Doch Kukui kann ihr nicht antworten, starrt sie einfach nur an. Ihre Haut hat einen samtigen Karamellton, ganz ähnlich wie seine eigene und ihre Haare sind so weiß wie frisch gefallener Schnee. Ihre grünen Augen mustern ihn verwundert und doch liegt in ihnen etwas Herausforderndes. Ein unschlüssiges Lächeln umspielt ihre sanft geschwungenen Lippen, hinter denen sich ein freches Grinsen zu verbergen versucht. Oh ja, Manuel sieht in diesem Moment sicher zum Totlachen aus, wie er sie so mit offenem Mund anstarrt, gleich einem kleinen Kind ein Regal mit Süßigkeiten. Wartend hebt sie eine Augenbraue und lächelt schief. „Ist dir nicht gut?“, fragt sie schließlich etwas überfordert. Allmählich löst sich die Starre, die ihm umschlossen hat und er fängt entschuldigend an zu lachen. „Oh doch, doch! Mir geht es ganz hervorragend...“ Sie mustert ihn eingehend. „Soso. Also, ist der Platz jetzt noch frei oder brauchst du wirklich zwei?“, fragt sie schelmisch und deutet auf seinen Rucksack, der auf dem freien Stuhl neben ihm steht. Gewohnheitsgemäß hat er ihn dort abgestellt und es gar nicht mitbekommen.
 

Erschrocken blickt er ihn nun an und reißt ihn dann ruckartig vom Stuhl. „Nein! Natürlich ist der Platz frei! Bitte, setz dich doch!“, erwidert er mit hochroten Wangen und verstaut seinen Rucksack hektisch unter seinem eigenen Stuhl. „Vielen Dank!“, grinst sie frech und setzt sich. Manuel möchte am liebsten im Boden versinken. Sie ist so bildschön, doch nach der dümmlichen Nummer hält sie ihn nun ganz sicher für einen völligen Trottel. Was ist das nur, was in ihm vorgeht? Er kann es nicht einordnen, hatte er bisher doch eher wenig Kontakt zu Mädchen. Innerlich könnte er sich aber selbst ohrfeigen. Doch dazu kommt es nicht, da sie ihn vorher wieder anspricht. „Du kannst mir nicht zufällig einen Stift ausleihen? Meinen muss ich irgendwie verloren haben...“ Sie wirkt doch etwas bestürzt, ihn das fragen zu müssen, doch wie könnte er da nein sagen? „Aber natürlich, kein Problem!“, grinst er verlegen und mit roten Wangen. Doch, statt ihr einfach einen Stift zu geben, schiebt er das kleine Mäppchen, in dem er seine Schreibsachen verstaut, in die Mitte zwischen ihnen und deutet ihr an, sich einfach zu bedienen.
 

„Sehr nett, danke. Doch an deiner Stelle würde ich mich langsam mal beruhigen. Nicht, dass du noch vom Stuhl fällst mit deinem roten Kopf!“, lächelt sie ihn keck an. Manuels Gesicht wird noch um mehrere Stufen dunkler und er möchte am liebsten im Boden versinken. „Ich – ich versuche es...“, stammelt er nervös. Für einen Augenblick tritt Schweigen zwischen ihnen ein und der Professor beginnt mit dem Unterricht. Zunächst erläutert er den Neuankömmlingen aber erst einmal ein paar Dinge. Diese scheinen seine Sitznachbarin jedoch nicht zu interessieren, weshalb sie ihn wieder anspricht. „Na, es geht doch! Jetzt muss ich mir keine Gedanken mehr machen, dass du umfallen könntest! Ich heiße übrigens Burnett.“, lächelt sie ihr keckes Lächeln. Schlagartig läuft Kukui wieder rot an und räuspert sich verhalten. Allerdings gelingt es ihm langsam, sich zu entspannen. „Ich bin Manuel, freut mich sehr!“, gibt er zurück und reicht ihr gewohnheitsgemäß die Hand. Etwas überrascht sieht sie sie an, lächelt dann und schüttelt sie. „Freut mich auch. Auf gute Zusammenarbeit!“, flötet sie.
 


 

2
 

Die folgenden Stunden verlaufen recht reibungslos und es gelingt Manuel immer besser ein Gespräch mit Burnett anzufangen. So hat er inzwischen erfahren, dass sie vor ein paar Monaten aus einer anderen Region hierher umgezogen ist und nebenbei auch im neugegründeten Dimensionsforschungsinstitut in Kantai City auf Akala arbeitet, um ihr Studium zu finanzieren. Dort will sie nach ihrem Abschluss auch die Erforschung fremder Welten leiten. Ein wirklich aufregender Gedanke, wie Manuel zugeben muss. Gibt es andere Welten, neben der unseren, fragt er sich unweigerlich. Dem scheint so oder zumindest ist die junge Frau fest davon überzeugt und kann ihm stichhaltige Beweise dafür vorlegen. Auf den Kopf gefallen ist sie auf jeden Fall nicht, auf den Mund schon gar nicht und Temperament hat sie auch noch. Kurzum, eine Wahnsinnsfrau!
 

Schließlich ist der Unterricht für heute beendet und sie gehen gemeinsam zum Ausgang. Nachdem das Eis zwischen ihnen mehr oder weniger gebrochen ist und Kukui sich sicher sein kann, dass sie ihn nicht für einen Trottel hält, versucht er sie immer wieder zum Lachen zu bringen, um eine Bindung zu ihr aufzubauen. Allerdings ist er sich nicht sicher, ob das so gut funktioniert oder, ob sie nur Augen für sein Pokémon hat, das seit dem praktischen Unterricht treu neben ihm herläuft. Hierbei handelt er sich jedoch nicht um seine Fähe. Kurz nach Beginn seines Studiums hat er sie förmlich zur Ruhe gesetzt, da er ja kein ausübender Trainer mehr ist und benutzt sie nun als Gehilfin für seine Attacken-Forschung.
 

Bei seinem jetzigen Begleiter handelt es sich ebenfalls um ein Wolwerock, das er mühevoll vom Welpenalter an aufgezogen hat, allerdings die Nachtform und zudem ein Männchen. Bei den zwei tageszeitabhängigen Entwicklungen von Wuffels bestehen nicht nur Unterschiede im Aussehen und Verhalten, sie lernen zum Teil auch andere Attacken, was eine wichtige Grundlage seiner späteren Forschung werden soll. Bis dahin hat der Rüde aber noch jede Menge zu lernen, weshalb er ihn nun stets an seiner Seite führt. Bromley hat es ganz ähnlich gehalten und wann immer er Zeit findet, trainiert er sein neues Reißlaus. Auch dieses ist ein Männchen und hört auf den klangvollen Namen Buddy.
 

Burnett ist tief beeindruckt von dem roten Wolf und der Tatsache, dass sich ein und dasselbe Pokémon in Anhängigkeit von der Tageszeit in zwei so unterschiedliche Formen entwickeln kann und dennoch denselben Namen trägt. Sie selbst hat noch kein eigenes Pokémon hier in Alola, doch im Forschungsinstitut gibt es einige, die sie verwenden kann, um mögliche Auswirkungen fremder Welten zu untersuchen. Doch ihre Arbeit beschäftigt sich nicht so sonderlich viel mit heimischen Pokémon, weshalb sie auch nicht wirklich einen Begleiter braucht. Doch in ihrer Jugend war sie ein genauso begeisterter Trainer wir der Brünette.
 

Nun sind sie fast an der Tür angekommen und Kukui erzählt eine weitere Anekdote seiner Inselwanderschaft. Dieses alte Ritual Alolas kommt ihr sehr faszinierend vor, gibt es dies doch so nur hier und seine Abenteuer sind wirklich witzig. Allerdings weiß sie auch nicht, dass Manuel die ein oder andere Stelle etwas ausschmückt, da das Ganze bei weitem nicht so lustig war, doch das muss sie jetzt ja auch nicht wissen. Sie gibt ein helles Kichern von sich. Es ist sanft und mild, wie der Hauch einer kühlen Morgenbriese. „Du bist echt witzig!“, erwidert sie lächelnd. Augenblicklich schießt Manuel wieder das Blut in die Wangen. „Findest du? Naja, ich tue mein Bestes…“, grinst er verlegen und kratzt sich nervös am Hinterkopf, während er aufmerksam von dem blutroten Wolf neben sich beobachtet wird. So ein Gefühl hat er bei einem Mädchen noch nie gehabt. Es erinnert ihn vielmehr an das Zusammensein mit Bromley, nur nicht so ruppig und dominant, dafür aber mit mindestens genauso viel Temperament. Sein Kopf fühlt sich so leicht an und er kann gar nicht aufhören, sie anzusehen. Hart schluckt er und hofft, dass sie seine Nervosität nicht bemerkt.
 

Kichernd betrachtet sie ihn und streichelt Wolwerock über den Kopf. Hechelnd beugt sich der große Rüde herab und genießt es sichtlich. „An deiner Stelle würde ich wieder einen Gang runter schalten. Es ist nämlich nicht gesund, wenn sich das Blut ständig so an einer Stelle anstaut. Nicht, dass dir noch dein hübsches Köpfchen platzt!“, neckt sie ihn abermals und wendet sich dann zum Gehen. Ehe Kukui etwas erwidern kann, erreicht sie die Tür der Universität. „Bis morgen!“, flötet sie und zwinkert ihm keck zu. Dann verschwindet sie endgültig aus seiner Sicht und Manuel bleibt mit pochendem Herzen allein zurück. „Bis morgen…“, haucht er ihr nach, obwohl sie schon seit fast zwei Minuten verschwunden ist. Und es dauert gefühlte zehn Minuten, ehe Kukui sich soweit beruhigt hat, dass er sich ebenfalls auf den Weg nach Hause machen kann. Obwohl er wahrscheinlich noch länger dort gestanden hätte, würde Wolwerock ihn nicht anstupsen und verwirrt betrachten. Gedankenverloren legt er dem finster wirkenden Pokémon eine Hand auf den struppigen Nacken. „Schon gut. Lass uns nach Hause gehen, mein Junge.“, lächelt er. Fröhlich jaulend erhebt sich der große Wolf und stapft Richtung Tür, behält Kukui dabei aber genau im Augen, damit dieser auch wirklich mitkommt.
 


 

3
 

Am Abend legt Manuel mit dem kleinen Boot, das er liebevoll als seine Jacht bezeichnet, im Hafen von Hauholi City an. Bis nach Hause ist es nicht mehr weit, dennoch weit genug, um ungewollt seinen Gedanken nachzuhängen. Die Tatsache, heute Burnett kennengelernt zu haben, kommt ihm immer noch fast wie ein Traum vor. Allein an sie zu denken, erfüllt sein Herz mit ungeahnter Wärme und einer seltsamen Hoffnung, die er nicht einordnen kann. Was ist das nur? Der Brünette ist etwas ratlos, erst recht, da er doch sehr glücklich mit Bromley zusammen ist. Bromley! Leicht erschrocken bleibt der angehende Professor ruckartig stehen und reißt die Augen weit auf. Wolwerock sieht verwirrt zu ihm auf, hebt die Schnauze in den Wind und sucht nach einer möglichen Gefahr, die ihm entgangen ist, seinem Trainer aber anscheinend nicht. Der Rüde kann jedoch nichts ausmachen und gibt daher ein irritiertes Jaulen von sich.
 

Geistesgegenwärtig streicht der junge Mann ihm über den Kopf und spricht beruhigend auf ihn ein, während sich in seinem Gehirn alles überschlägt. Seit Burnett ihn angesprochen hat, hat er Bromley förmlich verdrängt! Bewusst oder unbewusst kann er da nicht einmal sagen, aber sein Geliebter war in den letzten Stunden praktisch nicht vorhanden. Beschämt beißt er sich auf die Unterlippe und versucht das Ganze irgendwie zu verstehen, doch es will einfach nicht in seinen Kopf hinein. Beinahe blind setzt er seinen Weg nach Hause fort, während Wolwerock neben ihm herläuft und immer noch verwundert scheint. ‚Was stimmt nur nicht mit mir? Und warum habe ich Bromley vergessen, obwohl er mir doch alles auf der Welt bedeutet?‘, geht es dem Brünetten durch den Kopf. Alles um ihn herum scheint nicht mehr zu existieren, sodass der Rüde aufpassen muss, dass sein Trainer nicht stolpert oder mit einer anderen Person zusammenstößt.
 

Schließlich erreichen sie endlich den Strandabschnitt und die möglichen Gefahren verringern sich drastisch. Erleichtert atmet das Pokémon aus. Als Kukui jedoch abwesend die kurze Treppe zum Haus hinaufsteigen will, stolpert er, ehe der Wolf es verhindern kann. Doch er stürzt nicht. Gedanklich hatte sich Manuel schon auf den pochenden Schmerz eingestellt, der allerdings ausbleibt. Stattdessen findet er sich in zwei starken Armen wieder, die ihn aufgefangen haben. Überrascht blickt er in die schiefergrauen Augen seines Freundes, dem der Stiel eines Lutschers aus dem Mund ragt, er ihn etwas erstaunt anlächelt und ihn wieder auf die Füße stellt. „Yo, immer langsam mit den jungen Fohlen. Wo brennt’s denn, Kumpel?“, fragt er etwas besorgt, als er Kukuis Gesicht sieht. Dieses ist immer noch leicht gekennzeichnet von seiner geistlosen Wanderung und muss auf Bromley daher doch ziemlich komisch wirken, da er ja normalerweise derjenige ist, der abwesend wirkt. „Oh...“, macht der angehende Professor nur und blickt einen Moment ratlos zu Boden.
 

Dann fängt er sich wieder und setzt einen ernsten Gesichtsausdruck auf. „Ich denke, wir müssen miteinander reden...“, gibt er dem Schwarzhaarigen zu verstehen. Dieser legt irritiert die Stirn in Falten und schiebt den Lutscher von einer Seite zur anderen. „Okay? – Hab‘ ich ‘was angestellt?“, fragt der Käfer-Trainer mit einem unguten Gefühl, da er oftmals unbewusst Unfug macht, ohne es zu bemerken. „Nein, aber ich habe vielleicht etwas angestellt...“, erwidert der Kleinere betrübt. Nun ist Bromley’s Verwirrung perfekt. Manuel und etwas angestellt? Das passt ja nun mal überhaupt nicht. „Na, jetz‘ bin ich aber ma‘ gespannt...“, entgegnet er daher ernst und macht Platz, damit sein Freund das Haus betreten kann.
 

Seufzend lässt sich Kukui auf die Couch sinken. Bromley taucht kurz danach neben ihm auf und hält ihm eine Dose Bier entgegen. Dankend lächelt der Brünette ihn an, senkt dann aber wieder betrübt den Kopf und hält die eiskalte Dose ungeöffnet einfach nur in den Händen, als könnte sie ihn davor bewahren, in ein tiefes Loch zu fallen. Mit erhobener Augenbraue mustert Bromley ihn. Manuel war noch nie ein großer Freund von Alkohol und kann sich locker einen ganzen Abend an einem Bier festbeißen, doch für gewöhnlich öffnet er es dennoch immer sofort und nippt wenigstens daran. Sein ungewöhnliches Verhalten macht dem Schwarzhaarigen klar, dass ihn wirklich etwas sehr zu bedrücken scheint. Er verzieht das Gesicht, setzt sich neben ihn, öffnet seine eigene Dose und nimmt einen besonders großen Schluck. Es gibt ein widerlich knackendes Geräusch, als er dann mit den Zähnen den Rest des Lutschers zerbeißt. Der Stiel verweilt jedoch wie immer in seinem Mund und wird vehement von seinen Zähen malträtiert. Die Endgültigkeit in diesem Geräusch erschüttert Kukui förmlich und er wird ganz klein auf der Couch.
 

„Okay, spuck’s aus!“, fordert der Jüngere ihn dann auch noch nachdrücklich auf und Manuel rutscht schlagartig das Herz in die Hose, obwohl er nicht einmal weiß, wieso. Unsicher klammert er sich immer fester an die Bierdose und schluckt schwer. Bromley mustert ihn von der Seite her. „Ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll...“; setzt Manuel nach einer Pause ein, vermeidet aber den Blick zu seinem Freund. Dieser gibt ein Seufzen von sich. „Okay...? Dann machen wir ‘n kleines Spielchen draus. – Ich schätz ma‘, was auch immer du mir sagen willst, is‘ in ‘ner Uni passiert, stimmt’s?“ Leicht zuckt der Brünette zusammen und nickt dann vorsichtig. „So kann man es sagen...“, bestätigt er leise. Nachdenklich sitzt der Schwarzhaarige neben ihm und trinkt sein Bier. „War das heut‘, wo die neuen Schüler komm‘ sollten? Biste deswegen so neben der Spur?“ „Ja und ja...“, meint Kukui knapp. Der Größere nickt verstehend und allmählich fällt die Anspannung etwas von dem angehenden Professor ab. Sein Gegenüber wirkt nicht mehr so besorgt oder gar wütend und Manuel glaubt, dass er es vielleicht sogar verstehen wird.
 

„Geprügelt haste dich aber anscheinend nich‘. Bist eh nich‘ der Typ, der Streit anfängt, also muss es ‘was Andres gewesen sein.“, entgegnet ihm der Käfer-Trainer mit einem leichten Grinsen, das verdeutlichen soll, wie schwer es doch ist Kukui aus der Haut fahren zu lassen. „Nein, es gab keinen Streit, es war eher sehr angenehm. – Eine von den Neuen ist ein echt nettes Mädchen. – Sie heißt Burnett...“, berichtet der Brünette schließlich und zieht ein Foto aus seiner Kitteltasche, das heute von der gesamten Klasse gemacht wurde. Mit dem Finger deutet er auf die junge Frau, die auf dem Bild auch ganz zufällig genau neben ihm steht. Bromley nimmt das Bild an sich und schaut es sich genau an. Unbemerkt von Manuel ist ein dunkler Schatten über seine Augen hinweggeglitten, als er gehört hat, dass es um ein Mädchen geht.
 

In Bromley’s lädiertem Kopf beginnt es hektisch zu arbeiten, während er das Foto überaus genau betrachtet. In seinem Geist entsteht eine ungeahnte Eifersucht, die er in seinem ganzen Leben noch nicht verspürt hat. Ungesehen verschleiern sich seine schiefergrauen Augen, bis sie fast schwarz erscheinen. Der Nervosität seines Freundes entnimmt er, dass er sich in dieses Mädchen ganz offensichtlich verguckt hat und nun Angst davor hat, es seinem Freund zu gestehen. Bromley kann das gut nachvollziehen, ist doch eine Frau das Einzige, das ihrer Beziehung schaden könnte. Ja, diese Burnett könnte sie sicher sehr locker auseinanderbringen und mit Kukui anbandeln. Und, was würde dann aus ihm werden? Er wäre wieder allein, wie zuvor. Ungeliebt und verstoßen von allen! Aber stimmt das überhaupt? Immerhin liebt Manuel ihn doch und das mit allem Drum und Dran. Da kann es doch unmöglich sein, dass so ein dahergelaufenes Weibsbild sie so einfach auseinanderbringen kann!
 

Soll er ihr doch hinterherschwärmen, sich ein bisschen Appetit holen und dann aber heimkommen und alles ist wie immer! Bromley kippt den Rest seines Biers hinunter und knallt die leere Dose dann mit solcher Wucht auf die Platte des Couchtisches, dass sie völlig zusammengedrückt wird. Heftig zuckt Kukui dabei zusammen und kann dem unwiderstehlichen Drang, einfach aufzuspringen und wegzurennen, nur sehr schwer widerstehen. Entsetzt blickt er den Schwarzhaarigen stattdessen an und kann gerade noch verhindern, dass ihm die eigene Dose aus den Händen fällt. Etwas überrascht sieht der Käfer-Trainer ihn an. In seinen Augen deutet nichts mehr auf sein inneres Gefühlchaos hin. „Oh, sorry! Wollt‘ dich nich‘ erschrecken. – Is‘ echt süß die Kleine! Sie gefällt dir, nich‘ wa‘?“ „Ja, irgendwie schon...“ Bromley beginnt zu grinsen. „Is‘ doch klasse! Haste dir etwa Sorgen gemacht, dass ich’s falsch verstehen könnt‘?“, erwidert er in einem Tonfall, der auszudrücken scheint, dass das eine völlig unberechtigte Annahme ist.
 

Verdutzt mustert der Brünette ihn. „Ich habe mir sogar schreckliche Sorgen und Vorwürfe deswegen gemacht. – Es kam mir schon als Betrüg an dir vor, dass ich die Tatsache unserer Beziehung den ganzen Tag über gar nicht wahrgenommen habe, immer dann, wenn sie mich angesprochen hat...“, platzt es nun aus dem angehenden Professor heraus. „Yo, Manu! Deswegen musste dir doch keine Sorgen machen! Sie is‘ ‘n hübsches Mädel, da is‘ es doch ganz normal, wenn du auf komische Gedanken kommst. Is‘ echt nich‘ schlimm, ehrlich! Vergnügt euch so viel ihr wollt, soll mich nich‘ stören, solang‘ du anschließend zu mir zurückkommst!“ Lässig klopf der Größere ihm auf die Schulter. Nun ist Manuels Verwirrung perfekt. „Du meinst, es stört dich nicht, wenn ich wohlmöglich mit ihr ausgehen möchte?“
 

„Nich‘ im Geringsten, Kumpel! Von mir aus könnt ihr auch die ganze Nacht durchs Bett toben und sonst was treiben! – Mir is‘ schon klar, dass ich dir nich‘ alles geben kann, dass dir ‘n Mädel geben kann. Von daher is‘ es völlig in Ordnung, solang‘ du mich trotzdem noch liebst...“, keck zwinkert Bromley ihm zu, doch beim letzten Satz senkt er den Kopf und wirkt sichtlich bedrückt. Ihn so zu sehen, erst recht nach dieser Ansprache, bricht Kukui fast das Herz. So einen Freund wie ihn, hat er wahrlich nicht verdient. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich doch liebe! Nicht nur deswegen, sondern immerzu! – Ich kann noch gar nicht begreifen, dass dich das scheinbar überhaupt nicht zu stören scheint...“ Der Angesprochene zuckt lediglich mit den Schultern. „Wie könnte es auch? Hab‘ ja schon gesagt, dass ich dir nich‘ alles geben kann, was ‘n Mädel kann. Das is‘ mir klar und ich würd‘ in deiner Situation ganz sicher das Gleiche machen. Muss ja nich‘ heißen, dass wa‘ deswegen kein Paar mehr sind. Ich will, dass du glücklich bist, Manu! Und dafür geb‘ ich sehr viel. Also tu, was immer dazu nötig is‘. Ich werd‘ dich nich‘ aufhalten.“
 

Heiße Tränen kullern dem Brünetten ganz plötzlich über die Wangen. „Ich danke dir so sehr und ich liebe dich noch viel mehr, als du dir auch nur vorstellen kannst. Und das wird sich auch niemals ändern, das verspreche ich dir!“, erwidert Kukui, ohne zu ahnen, wie viele Lügen dahinterstecken. Weinend fällt er seinem Freund in die Arme. Dieser lächelt nur matt, schiebt seine Bedenken für den Moment zur Seite – immerhin steht ja noch nicht fest, ob diese Burnett auch wirklich ein Interesse an ihm hat und Bromley sie dann nicht doch irgendwie ausstechen kann – und verführt ihn dann zu einem innigen Kuss, der sich schnell vertieft und zu einer kaum enden wollenden Zweisamkeit verschwimmt.
 


 

4
 

Wochen ziehen ins Land und entgegen Bromley’s Hoffnungen und Bemühungen vertieft sich die Beziehung von Manuel und Burnett immer mehr. Und obwohl sich die beiden noch nie persönlich begegnet sind, hegen sie eine tiefe Abneigung gegeneinander. Weswegen der Schwarzhaarige sie hat, ist eindeutig, da er seine Partnerschaft mit Kukui auch weiterhin in Gefahr sieht. Burnetts Abneigung ist jedoch nicht so einfach zu deuten. Sie hat zwar schon so einiges von Bromley gehört und weiß, dass er Manuels Assistent ist, doch den wohl entschiedensten Punkt kennt sie nicht – die intime Beziehung der beiden Jungs. Diese Tatsache hat der Brünette ihr ganz bewusst verschwiegen und er hat auch nicht vor, es ihr irgendwann einmal auf die Nase zu binden, da er fürchtet, dass sie es nicht verstehen würde, wo ihre Meinung von dem Käfer-Trainer doch eh keine gute ist. In ihren Augen ist er schlichtweg nur Manuels Assistent und weiter nichts. Doch seine ganze Art gefällt ihr nicht, obwohl sie diese ja nur aus Kukuis Erzählungen interpretiert. Sie zeigt ihr Missfallen zwar ziemlich offen, doch sie akzeptiert die Entscheidung ihres Freundes – zumindest jetzt noch...
 

Heute Abend lässt sie sich aber nett von Manuel zum Essen ausführen und die Zeit ist einfach nur herrlich. In ihren Gedanken ist sie allerdings schon ein ganzes Stück weiter, da sie heute zum ersten Mal die Nacht bei ihm verbringen wird. Sie kann es kaum erwarten, zu sehen, wie er wohnt und daher ist sie auf sehr aufgeregt, als sie schließlich tief in der Nacht das Restaurant verlassen. Gemütlich schlendern sie zum Strandabschnitt hinunter. Im zarten Schein des Mondes brechen sich funkelnd die sanften Wellen des Meeres und das Haus hebt sich als dunkler Schatten davor ab. Tief atmet Burnett die salzig-frische Luft ein, während Manuel die Tür öffnet und sie dann hereinbittet.
 

Etwas überrascht fällt ihr Blick als erstes auf eine kleine Leselampe, die eingeschaltet auf dem Couchtisch steht, obwohl es im Rest des Hauses dunkel und vollkommen verlassen ist. Unzählige Bücher und stapelweise Papier türmen sich chaotisch auf dem Tisch. Kukui scheint dem Ganzen keine Beachtung zu schenken, sieht er doch nicht einmal wirklich hin,- dennoch schaltet er nicht die Deckenbeleuchtung ein, wie es wohl jeder andere getan hätte. Verwundert legt Burnett die Stirn in Falten und will ihn schon darauf ansprechen, als es auf einmal ein Poltern gibt, das von der Couch zu kommen schien. „Was war das?“, fragt sie überfordert und denkt selbstverständlich zuerst an ein Pokémon, das sich dort vielleicht versteckt. Im ersten Moment schweigend, umrundet der Brünette die Couch und lächelt dann unglaublich sanft.
 

„Er hat nur ein Buch fallenlassen, weiter nichts.“, entgegnet ihr Manuel schließlich und hebt besagtes Buch dann auf. Noch immer umspielt seine Lippen dieses seltsam sanfte Lächeln, das sie noch nie bei ihm gesehen hat. „Wer?“, fragt sie irritiert und wirft einen Blick über die Rückenlehne der Couch. Dort liegt ein junger Mann mit zerzausten, schwarzen Haaren und schläft tief und fest. Seine eine Hand ist wohl hinabgerutscht und hat dabei das Buch fallenlassen. Seine andere Hand umklammert noch immer einen Stift, mit dem er wahrscheinlich irgendetwas in dem Text markiert oder Notizen gemacht hat. Er liegt auf dem Rücken und sein Hemd ist ihm etwas hochgerutscht, sodass Burnett seinen durchtrainierten Bauch seinen kann. Sein Mund steht halb offen, der völlig zerkaute Stiel eines Lutschers ragt wie eine vergessene Zigarette daraus hervor und ein dünner Speichelfaden benetzt seine Wange und bildet inzwischen auch einen dunklen Fleck auf dem grünen Polster. Etwas angewidert rümpft sie die Nase.
 

Manuel zieht dem Schlafenden den Stiel aus dem Mund und nimmt ihm den Stift ab, ehe er eine Decke von der Lehne nimmt und ihn damit liebevoll anmutend zudeckt. „Bromley hat sich so viel Mühe gegeben und sich dabei völlig verausgabt.“, lächelt er sanft und ignoriert seine Freundin dabei etwas. „Das ist Bromley, dein Assistent?“, fragt sie dann doch nachdrücklicher, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Ja, ganz genau. Er muss die ganze Nacht die Bücher durchgegangen sein, um die Sachen rauszusuchen, die ich für meinen Vortrag brauche. Ich hatte ihm zwar gesagt, dass das auch noch etwas Zeit hat, aber scheinbar hat er sich so allein doch etwas gelangweilt.“, erläutert der angehende Professor, während noch immer dieses sanfte Lächeln sein Gesicht ziert. Diesen Anblick findet die junge Frau doch mehr als seltsam. Er wirkt nicht wie ein Gefühlsausdruck, dem man einem Assistenten zu teil werden lässt, nicht mal einem, den man schon sehr lange kennt.
 

Sie weiß zwar, dass die beiden gemeinsam auf Inselwanderschaft waren und die besten Kumpels sind, doch selbst dafür wirkt es zu vertraut, zu liebevoll. Aber sie kommt im Moment nicht darauf, was vielleicht dahinterstecken könnte. „Ich dachte, er wusste, dass wir heute ausgehen? Warum hast du ihn denn dann nicht nach Hause geschickt oder ihm den Tag freigegeben?“, will sie nun wissen. Etwas überrascht sieht der Brünette sie an. „Muss ich nicht, er wohnt doch hier. Siehst du? Da oben ist sein Zimmer, mein altes Kinderzimmer.“, erwidert er so locker, als wenn es doch vollkommen offensichtlich wäre und sie es nur vergessen hätte. Ihre Miene verdunkelt sich ein wenig. „Er wohnt hier, wirklich? Und ich dachte, wir wären hier heute ungestört...“, schmollt sie etwas und verschränkt die Arme vor der Brust.
 

„Oh, hatte ich das etwa vergessen zu erwähnen? Das tut mir wirklich schrecklich leid! Er kann sonst nirgendwo anders hin, verstehst du und ich habe ihn gern um mich. Aber das ist doch nicht weiter schlimm! Er wird uns nicht stören, glaub mir. Wenn Bromley erst einmal schläft, weckt ihn nichts mehr auf!“, grinst Kukui etwas verlegen. Abschätzend mustert die Weißhaarige den schlafenden Jungen. Manuel hat sich zwar die ganze Zeit über bemüht, leise zu sprechen, wie man es halt automatisch macht, wenn man sieht, dass jemand anderer schläft; doch Burnett hat dies nicht getan und sogar die Stimme angehoben, um ihre Enttäuschung zu demonstrieren. Der Schwarzhaarige hat sich jedoch nicht ein bisschen bewegt oder auch nur erkennen lassen, dass er gemerkt hat, dass er nicht mehr allein ist. Auch, als Kukui ihn zugedeckt und ihm Stift und Stiel abgenommen hat, regte sich nichts. Vermutlich spricht der angehende Professor also die Wahrheit und den Bengel weckt so leicht nichts auf. Burnett gibt ein resignierendes Seufzen von sich und lässt die Arme wieder sinken. „Na schön, wie du meinst...“ Er lächelt sie an, doch es ist bei weitem nicht dasselbe Lächeln, das er diesem Jungen geschenkt hat. „Geh doch schon mal ins Schlafzimmer. Ich komme gleich nach.“, schlägt er dann vor und deutet ihr die Richtung an.
 

„Okay, aber lass mich nicht allzu lange warten.“, meint sie und wendet sich dann ab. Kurz darauf verschwindet sie in dem Zimmer. Geschwind sammelt Manuel die Bücher und das Papier ein und stapelt alles ordentlich in der Mitte des Tisches übereinander, damit nicht noch etwas herunterfällt. Langsam kniet er sich anschließend vor die Couch und betrachtet einen Moment das schlafende Gesicht seines Liebhabers. „Manuel? Kommst du endlich!“, tönt Burnett aus dem Schlafzimmer hinüber. „Bin sofort da!“, ruft er zurück, zuckt aber im selben Moment zusammen, da er fürchtet, Bromley damit geweckt zu haben. Der Schwarzhaarige regt sich einen Moment schmatzend, dreht sich auf die Seite, ohne aufzuwachen und liegt dann wieder still. Erleichtert stößt Kukui die Luft aus. Sanft streicht er dem anderen ein paar Strähnen aus der Stirn und küsst ihn dann zärtlich auf die Lippen. „Danke für deine Mühe, Bromley! Und schlaf gut!“, flüstert er ihm zu, ehe er das Licht löscht und im Schlafzimmer verschwindet.
 


 

5
 

Etwa eine Stunde später wacht Bromley allerdings doch auf. Er will es nicht, nicht bewusst zumindest, doch ein stechender Druck in seiner Blase zwingt ihn schließlich dazu; völlig ungeachtet seiner vehementen Versuche, das anhaltende Pochen zu ignorieren. Mit einem genervten Stöhnen öffnet er träge die Augen und weiß im ersten Moment gar nicht, wo er sich eigentlich befindet. Er liegt auf einer Couch, doch es ist nicht die Schlafcouch in seinem Zimmer. Als er sich umdreht, um aufstehen zu können, kann er es gerade noch verhindern, runterzufallen und wohlmöglich auch noch gegen den Couchtisch zu knallen. Das verbessert die Situation seiner Blase verständlicherweise kein bisschen. Stattdessen pocht sie nur noch heftiger. Dennoch nimmt sich der Schwarzhaarige einen Augenblick, um sich zu sammeln.
 

Schwerfällig setzt er sich hin und reibt sich die müden Augen. Ein milchiger Streifen Mondlicht scheint durch ein Fenster und erhellt den Wohnbereich zumindest soweit, dass er genug erkennen kann. Nun geht ihm auch auf, wo er sich befindet und ihm fällt wieder ein, wieso. Wie Manuel schon ganz richtig vermutet hat, fing sich Bromley während seiner Abwesenheit an zu langweilen, nachdem er die Hausarbeit fertig hatte und die Pokémon versorgt waren. Kurzerhand hat er sich wieder an Kukuis Vortrag erinnert, der bis nächsten Monat fertig sein muss. Im Labor im Keller fand der Käfer-Trainer dann die nötigen Bücher, die der Brünette vor ein paar Tagen aus der Bibliothek mitgebracht hatte und daneben die Aufgabenstellung des Vortrags. Das Kauderwelsch in den Büchern hat Bromley zwar kaum verstanden, dennoch fand er in den endlosen Texten die richtigen Schlagwörter und notierte die entscheidenden Dinge. So verging die Zeit ganz gut, doch irgendwann umfing ihn die Müdigkeit.
 

Die Erinnerung ist also wieder da und er schätzt, dass es auch Manuel inzwischen ist, da er es ganz sicher war, der das Licht ausgemacht und ihn zugedeckt hat. Ein sanftes Lächeln huscht über das blasse Gesicht des jungen Mannes hinweg. Dann jedoch setzt wieder ein schmerzliches Pochen in seiner übervollen Blase ein und holt ihn zurück in die Wirklichkeit. Verkrampft steht er auf und huscht eilig zum Badezimmer, bevor es noch ein Unglück gibt.
 

Als er schon wieder halb schlafend das Bad verlässt, stellt er sich die Frage, ob er sich die Mühe machen und zu seinem Zimmer hinaufklettern oder, ob er sich einfach wieder auf die Couch hier unten legen soll. Beides hat Vor- und Nachteile, doch zu einem Ergebnis kommt er nicht ganz, da schlurft er schon an Manuels Schlafzimmer vorbei und vernimmt Geräusche durch die geschlossene Tür. Bromley’s Müdigkeit verfliegt ein wenig und er horcht. Ganz hinten in seinem Kopf ist ihm bewusst, dass man so etwas eigentlich nicht machen sollte, aber er ist nun einmal neugierig. Die Geräusche sind auch viel zu eindeutig, als das man sie ignorieren könnte. Ein kleines Grinsen huscht über das Gesicht des Käfer-Trainers. Anscheinend konnte sein schüchterner Freund doch bei dieser Burnett landen.
 

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Ich flehe dich an, nimm mir nicht meinen Mann

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Nimm ihn dir nicht, nur weil du es kannst
 

Bromley rückt noch etwas näher an die Tür heran und presst sein Ohr dagegen. Im Zimmer scheint es ziemlich zur Sache zu gehen, weshalb der Schwarzhaarige wieder zu grinsen beginnt. Kaum einen Moment später erstarren seine Gesichtszüge allerdings und diese seltsame Eifersucht, die er seit dem Tag empfindet, an dem Kukui ihm das erste Mal von diesem Mädchen erzählt hat, gräbt sich langsam an die Oberfläche. Sie brennt sich in sein Gehirn ein und raubt ihm fast den Verstand.
 

Deine Schönheit ist unvergleichlich

Mit flammenden Locken aus schneeweißem Haar,

Mit einer Haut wie Karamell und smaragdgrünen Augen
 

Das Grinsen stirbt qualvoll auf seinen Lippen. Stattdessen schlägt er seine Zähne hinein, bis er sein eigenes Blut schmecken kann. Die anfängliche Neugierde ist ebenfalls verschwunden. An ihre Stelle tritt das Gefühl, sich Gewissheit schaffen zu wollen und so öffnet er ganz leise und vorsichtig die Tür einen spaltbreit. Das Licht des Mondes fällt auch hier ins Zimmer und zeigt Bromley somit sehr gut, was er eigentlich niemals sehen wollte.
 

Dein Lächeln ist wie ein Frühlingshauch

Deine Stimme ist weich wie Sommerregen

Mit dir kann ich nicht konkurrieren, Burnett
 

Inzwischen sind die beiden gnädiger Weise fertig mit ihrem Akt, doch das macht es nicht besser. Bromley hatte Manuel zwar gesagt, dass es ihm egal ist, ob er mit diesem Weibsbild schläft oder nicht, doch jetzt, wo er die zwei so im Bett zusammen sieht,- aneinander gekuschelt, Arm in Arm-, wird ihm klar, wie falsch das doch war. Aber bei ihrem Gespräch hatte er schlichtweg auch einfach Angst, dass Kukui aufspringen und verschwinden könnte, wenn er ihm verbietet dieses Mädchen wiederzusehen. Er dachte, dass sich das Ganze vielleicht im Sand verläuft und sie keine Beziehung mit ihm haben will, doch da hat er sich sehr getäuscht.
 

Er redet im Schlaf von dir

Und ich kann mich der Tränen nicht verwehren,

Wenn er deinen Namen ruft, Burnett
 

Nun kann er das alles nicht mehr ändern und es sieht bei weitem nicht so aus, als würden sie sich wieder trennen. Nein, ganz sicher nicht. Bromley allein ist hier das fünfte Rad am Wagen. Doch das ist unfair! Immerhin war er zuerst mit Manuel zusammen und dieses Flittchen hat sich einfach dazwischen gedrängelt! Also sollte er dort jetzt einfach reinspazieren und es ihr mitten ins Gesicht sagen. Sie zwingen zu gehen oder Kukui zwingen, sich für einen von ihnen zu entscheiden. Das ist es! Allerdings kann er das nicht. Irgendetwas tief in ihm hindert ihn daran, das Glück des Brünetten zu zerstören. Immerhin hat er es ihm doch erlaubt. Wie sehe das dann auch aus, wenn er da jetzt reinstürmt und sie anbrüllt?
 

Aber es ist leicht für mich, zu verstehen,

Wie einfach es für dich ist, mir meinen Mann zu nehmen

Aber du weißt nicht, was er für mich bedeutet, Burnett
 

Bromley hat den Gedanken noch gar nicht ganz wieder beiseitegeschoben, da sehen sich die zwei tief in die Augen. Die Erschöpfung ihres Aktes ist ihnen noch deutlich anzusehen. Dennoch lächeln sie sich sanft entgegen. „Ich liebe dich, Burnie!“, haucht der angehende Professor der jungen Frau entgegen. „Ich liebe dich auch, Manuel!“, erwidert sie glücklich und die beiden versinken in einen tiefen Kuss. In diesem Moment stirbt etwas in dem Käfer-Trainer...
 

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Ich flehe dich an, nimm mir nicht meinen Mann

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Nimm ihn dir nicht, nur weil du es kannst
 

Schon tausend Mal haben sich Bromley und Manuel diese drei magischen Worte gesagt und dennoch klangen sie gerade vollkommen anders. Die Art und Weise, wie Kukui sie ausgesprochen hat, war so völlig unterschiedlich zu der Art und Weise, wie er sie dem Schwarzhaarigen immer zu teil werden lässt. Zuerst glaubt Bromley, dass er sich das nur eingebildet hat, doch das ist unmöglich. Wie er sie schon anschaut. Es ist kein Vergleich. Seine Gefühle für dieses Mädchen sind weit tiefer und greifbarer, als sie für so einen dahergelaufenen Streuner wie Bromley jemals sein könnten.
 

Du kannst jeden Mann kriegen, den du willst

Aber ich könnte niemals mehr lieben
 

Schon bei ihrem Gespräch war Bromley bewusstgeworden, dass es Dinge gibt, die er Manuel niemals geben könnte. Kinder zum Beispiel. Sie haben zwar nie darüber gesprochen, doch er kann sich sehr gut vorstellen, dass sein Freund eines Tages mal welche haben möchte. Doch das geht nicht mit einem Mann, also ist der hochgewachsene Junge fehl am Platz! Erst jetzt realisiert er das Ganze aber erst so richtig und es bricht ihm das Herz. Vielleicht gibt es noch die Hoffnung, dass sich die beiden wieder trennen und er irgendwann eine andere findet, doch bis dahin wird der Schwarzhaarige dafür kämpfen, dass Manuel bei ihm bleibt, koste es was es wolle!
 

Er ist der Einzige für mich, Burnett

Mein Glück hängt von dir ab

Und dem, wozu du dich entscheidest, Burnett
 

Im Moment jedoch ist er einfach zu niedergeschlagen, um an irgendetwas zu denken. Ganz vorsichtig schließt er die Tür wieder, während Kukui und Burnett langsam in den Schlaf abdriften. Still und heimlich entfernt sich Bromley und klettert in sein Zimmer hinauf. Kraftlos lässt er sich auf die Schlafcouch fallen, umklammert hilflos sein Kissen. Fest drückt er sein Gesicht hinein und benetzt den Stoff mit seinem schweren Tränen. Es dauert eine ganze Weile, doch irgendwann holt ihn der Schlaf wieder ein. Umfängt ihn mit seinem tröstenden, dunklen Armen, hüllt ihn ein und versucht das Geschehene aus seinem lädierten Kopf zu verbannen. Eine Zeit lang wird dies tatsächlich funktionieren, doch die Zukunft hält nichts Gutes für den Käfer-Trainer bereit...
 

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Ich flehe dich an, nimm mir nicht meinen Mann

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Nimm ihn dir nicht, auch wenn du es kannst...


Nachwort zu diesem Kapitel:
Lied: Dolly Parton – Jolene – Übersetzung

allerdings habe ich den Text ein wenig an Burnett angepasst, sodass es mehr nach ihr klingt Komplett anzeigen

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