Crazy like a skull von RaoulVegas (Das Paradies hat einen Haken) ================================================================================ Scream, if you can! ------------------- 1 Manuels Gebete haben tatsächlich Gehör gefunden und Bromley ist wieder auf den Beinen. Das Ganze war jedoch wirklich ziemlich kritisch. Die Wunde musste mit mehr als einem Dutzend Stichen genäht werden und der Arzt sah sich auch noch gezwungen dem Jungen Blut zuzuführen, da er durch sein unnachgiebiges Verhalten so viel verloren hatte. Doch zum Glück hat er das alles gut überstanden und sich erstaunlich schnell wieder erholt. Der Arzt wollte ihn eigentlich mindestens eine Woche, wenn nicht sogar zwei im Krankenhaus behalten, aber das hat der Schwarzhaarige einfach nicht ausgehalten. In der vierten Nacht ist er daher mit Kukui Hals über Kopf aus der Obhut der Mediziner geflüchtet. Der Ältere hatte zwar heftige Einwände dagegen, doch letztendlich nicht das Durchsetzungsvermögen, um Bromley an seiner waghalsigen Flucht zu hindern. So gelang es den beiden die große Prüfung gegen die Inselkönigin doch noch anzutreten, wenn auch mit ein paar Tagen Verspätung. Wie die zwei ja schon vorher wussten, traten ihnen in diesem Kampf Gesteins-Pokémon gegenüber und sie hatten sich einen gewissen Vorteil ausgemalt, da sie sich mit diesem Typen ja auskennen. Doch es kam natürlich ganz anders als erwartet und die Übermacht ihres Gegners wurde ihnen ziemlich schnell und schmerzhaft bewusst. Aber aufgeben stand für die jungen Trainer natürlich nicht auf dem Plan, erst recht nicht nach dem hinterhältigen, nächtlichen Angriff der Rattenbande. Alles schien verloren, als die Inselkönigin ihr letztes Pokémon in den Ring schickte. Hierbei handelte es sich um ein Wolwerock in seiner Nachtform. Der auf zwei Beinen stehende, rotfellige Wolf stellt eine mögliche Entwicklung von Wuffels dar, was den Kampf zu einer Art Rudelauseinandersetzung gemacht hat. Die kleine Hündin sah es partu auch nicht ein, sich von ihrem griesgrämigen Artgenossen dominieren zu lassen und so kämpfte sie umso härter, um sich behaupten zu können. Dennoch schien sie keine Chance gegen den finsteren Alpharüden zu haben. Doch dann geschah etwas völlig Unvorhergesehenes. Mit einem letzten Aufbäumen erreichte Wuffels an diesem spektakulären Morgen den Punkt, an dem sie sich bereit für ihre Entwicklung fühlte! Unter den vollkommen überraschten Blicken aller Beteiligten hüllte sich der quirlige Welpe in ein mystisch helles Licht. Als es sich abschwächte, kam ein stattliches Wolwerock zum Vorschein, doch entgegen des Rüden auf dem Kampffeld, handelte es sich hierbei um die Tagform. Die neuentstandene Fähe sah es noch viel weniger ein, sich von dem roten Wolf vorführen zu lassen und so zeigte sie ihm mehr als nachdrücklich, dass auch sie ein echtes Alphatier ist. Der Kampf war demnach entschieden, die große Prüfung bestanden. Die Jungs haben sich somit den Z-Kristall vom Typ Gestein gesichert und einen weiteren Stempel in ihrem Trainerpass, der es ihnen nun erlaubt hat nach Ula-Ula zu reisen. Diese große Insel wird von einem gewaltigen Berg dominiert, auf dem letztendlich das Ende der Inselwanderschaft ausgetragen wird. Ansonsten ist die Insel trotz ihrer Größe eher dünn besiedelt und sehr von der Natur eingenommen, die an vielen Teilen noch erschlossen werden muss. So wird gerade an einer Sternwarte gebaut, die hoch auf einem anderen Berg liegt und in deren Nähe die beiden ihre erste kleine Prüfung um den Z-Kristall vom Typ Stahl gemacht haben. In der größten Stadt – Malihe-City – wird derzeit an einem riesigen Garten gearbeitet, der den Leuten zur Entspannung dienen und die Touristen auf die Insel locken soll. Zudem gibt es auf Ula-Ula eine fast schon menschenfeindliche Wüste mit überaus aggressiven Pokémon, die in dem stätigen Sandsturm verborgen überall lauern. Und einen flachen, aber sehr weitläufigen Berg aus rötlichem Gestein, das darauf schließen lässt, dass hier einst ebenfalls ein Vulkan gestanden haben muss, wie der Wela-Vulkan auf Akala. Die Spuren dessen sind heute noch spürbar, verbreitet das Gestein doch noch immer eine ziemliche Wärme, die den Bewohnern der Insel als Energiequelle dient und weshalb dieses Gebiet von ihnen daher als Glühberg bezeichnet wird. 2 Drei Monate sind Bromley und Manuel nun auf Ula-Ula unterwegs – von der traumatischen Begegnung mit dem Rattikarl sind nur Narben geblieben, die den Schwarzhaarigen für den Rest seines Lebens daran erinnern werden – und inzwischen haben sie auch ihren zwölften Geburtstag hinter sich gebracht, was bedeutet, dass sie nun schon seit über einem Jahr auf ihrer Wanderschaft sind und trotzdem noch lässt nicht am Ziel ihrer Reise. Dennoch werden sie damit augenblicklich konfrontiert, als sie das Dorf der Kapu betreten und von dort direkt auf den mächtigen Mount Lanakila blicken können, auf dessen Gipfel der alles entscheidende Kampf um den Titel des Inselwanderschafts-Champs stattfinden wird. Mit einer unsagbaren Ehrfurcht betrachtet die kleine Truppe den riesigen Berg, dessen Spitze hoch in den Wolken liegt und dessen Hänge dick mit Schnee bedeckt sind. Eis und Schnee sind im tropischen Paradies Alola vollkommen unwirklich und man findet sie auch nur auf dem Mount Lanakila. Doch, um ihm betreten zu dürfen, muss man schon ein herausragender Trainer sein oder eben auf Inselwanderschaft. „Was’n krasser Scheiß...“, entkommt es Bromley beim Anblick des gewaltigen Berges. Manuel ist normalerweise kein Freund von der unflätigen Ausdrucksweise seines Kollegen, aber in diesem Moment hätte er es selbst wohl kaum treffender formulieren können. „Das kannst du aber laut sagen...“, meint er daher nur und schluckt schwer. Hier unten am Fuß des Berges spürt man die vernichtende Kälte nicht, die sich nur wenige Höhenmeter weiter oben gnadenlos ausbreitet, dennoch läuft es Kukui eiskalt den Rücken hinunter und er ist heilfroh, dass sie dort noch nicht hinaufsteigen müssen. Trotzdem fällt es den Jungs schwer, den Blick wieder abzuwenden, was auch daran liegen könnte, dass das Dorf der Kapu ziemlich übersichtlich ist. Wie der Name schon vermuten lässt, hat dieser Ort eine besondere Bedeutung für die Menschen hier, glauben sie doch, dass die Schutzpatrone vor ewigen Zeiten genau an dieser Stelle von dem gewaltigen Berg herabgestiegen sind und sich dann auf die vier neuentstandenen Inseln Alolas verteilt haben, um es den Menschen und Pokémon zu ermöglichen, friedlich miteinander zu leben und gegenseitig voneinander zu profitieren. Daher haben die Leute es für besser gehalten, diesen Ort so ursprünglich wie möglich zu halten. Außer einem Pokémon-Center gibt es heute nicht mehr viel hier, was den Zorn der Kapu nicht auf sich zieht. Allerdings war das einmal anders, was Ruinen und Reste von Bauwerken beweisen, die hier einst errichtet wurden, um Menschen anzusiedeln. Zwar wird den Kapu auf jeder Insel an einem besonderen Platz gehuldigt, dennoch fühlen sie sich hier besonders verbunden und wollten es um jeden Preis vermeiden, dass die Moderne und der maßlose Konsum Einzug an diesem Ort halten. Um den Bewohnern dies klarzumachen, haben sie sämtliche Gebäude einfach niedergerissen oder unbewohnbar gemacht. Einzig das Pokémon-Center blieb unversehrt. Wohnen tut hier im Dorf selbst niemand, stattdessen siedelten sich die Menschen auf den nahegelegenen Routen an oder gingen bevorzugt nach Malihe-City. Der größte Zorn der Schutzpatrone traf jedoch ein Shopping-Center, das ganz in der Nähe des Dorfes errichtet und sehr rege von den Leuten besucht wurde, gab es doch hier unglaublich günstige Preise. Die Kapu haben diesen Materialismus nicht lange ertragen und so musste der Laden schon bald darauf schließen, da er immer wieder von den mächtigen Wächtern angegriffen und so die Kunden vertrieben wurden. Er steht noch immer, doch heute wird er ausschließlich von beängstigenden Geister-Pokémon bewohnt, die jedem übel mitspielen, der sich hierher verirrt. Diese Tatsache macht sich allerdings der zweite Captain von Ula-Ula zu Nutze und hält seine Prüfung genau in diesem verlassenen Laden ab! Vielleicht gerade, um den jungen Trainern auf ihrer Inselwanderschaft klarzumachen, dass der Anblick des mächtigen Mount Lanakila nicht der einzige Schrecken ist, der ihnen auf ihrem weiteren Weg noch bevorsteht? Sondern, dass die Kapu stets ein Auge über sie alle haben und jederzeit über sie richten, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht. Der Mensch mag zwar über einen freien Willen verfügen und viele Pokémon domestiziert haben, doch entscheiden darf er nicht nach seinem Belieben, schon gar nicht, wenn er dabei die Natur rücksichtslos zerstört und so Lebensraum vernichtet! Schon beim bloßen Gedanken daran wird einem mehr als mulmig und die Berichte und wilden Geschichten, die Bromley und Manuel im Pokémon-Center über den Zorn der Kapu und die schaurigen Geister-Pokémon, die nun den Laden bewohnen, erzählt bekommen haben, machen es nicht gerade leichter für sie. Dennoch müssen sie sich dieser Prüfung stellen, ob sie es wollen oder nicht. 3 Tief durchatmend stehen die jungen Trainer mit ihren Pokémon an der Grenze zur Route vierzehn, die sie direkt zum verlassenen Laden führen wird. Allein schon dieser Weg hat etwas Unheimliches an sich, besteht der Untergrund hier doch aus tiefschwarzem Sand. Eine inzwischen völlig zerstörte Asphaltstraße verlief vor langer Zeit parallel zu diesem düsteren Küstenweg und ermöglichte es den Leuten auch bei starkem Wellengang einkaufen zu gehen. Jetzt jedoch liegt sie in Trümmern dar und wird langsam von der Natur zurückerobert, sodass jeder, der zum verlassenen Laden will, gezwungen ist den schwarzen Weg entlang der flachen Küstenlinie zu nehmen. Heute scheint das Meer aber ziemlich ruhig zu sein, weshalb das klare, blaue Wasser nur seicht gegen das Ufer schlägt und sein Rauschen etwas Beruhigendes an sich hat. Die Küstenlinie ist hier so flach, dass man sich locker in den Sand setzen und seine Füße ins kühle Nass hängen kann. Danach ist den beiden aber im Moment so gar nicht. Sie haben auch nicht wirklich die Zeit dazu, denn der Captain hat ihnen mitgeteilt, dass sie den Laden unbedingt zum Einbruch der Nacht erreichen müssen, wenn sie die Prüfung machen wollen. Der Brillenträger hat bei dieser Aussage eine ganz schlechte Vorahnung, was sie dort erwarten wird. Doch er braucht sie nicht auszusprechen, kann er seinem Mitstreiter doch genau ansehen, dass er etwas ganz Ähnliches denkt. Noch einmal sehen sie sich prüfend ins Gesicht und mustern ihre Pokémon. Reißlaus wirkt nervös wie schon lange nicht mehr, was auch überhaupt kein Wunder ist, wie Bromley findet. Wolwerock wirkt ebenfalls unsicher und blickt immer wieder fragend zu ihrem Trainer auf. Noch immer fällt es Kukui schwer, die große Fähe anzusehen und nicht daran zu denken, dass sie vor wenigen Monaten noch ein verspielter und aufgedrehter Welpe war, dem das Stillsitzen schwerfiel. Doch es fällt ihm auch schwer, sich vorzustellen, dass er schon seit über einem Jahr nicht mehr bei seinen Eltern war, was er aus unerfindlichen Gründen aber irgendwie leichter verkraften kann, als die überraschende Entwicklung seiner kleinen Wegbegleiterin. Nun ist das sandfarbene Pokémon viel ruhiger, aufmerksamer, aber auch anhänglicher geworden. Sie weicht keinen Schritt von Manuels Seite, wenn dieser es ihr nicht ausdrücklich befiehlt. Stets hat sie ihre Umgebung genau im Auge und ist allzeit für einen Angriff bereit. Sie ist erwachsen geworden und das merkt man ihr deutlich an. Ihr Beschützerinstinkt ist nun das Auffälligste an ihr und nicht mehr ihre Ruhelosigkeit oder ihr über ausgeprägter Jagdtrieb. Wolwerock bemüht sich den ganzen Tag ihre drei Begleiter, die sie als ihr Rudel ansieht, beisammen zu halten und vor allen Gefahren zu schützen. So geht sie an unbekannten Ort stets vor, um die Lage auszukundschaften und den Weg für die anderen zu ebnen. Eine Eigenschaft, die die beiden Trainer sehr an ihr zu schätzen gelernt haben. Und so ist es auch jetzt. Während Bromley und Manuel noch etwas unschlüssig an der Grenze zur Route vierzehn stehen und sich stumm gegenseitig Mut für das Bevorstehende zusprechen, betritt die Fähe festentschlossen den düsteren Sand und sucht mit der Nase die Luft und den Boden nach möglichen Spuren von Gegnern oder Gefahren ab. Bevor der Küstenweg eine Biegung macht und sie ihr Rudel dadurch aus den Augen verlieren könnte, verharrt der Wolf allerdings und setzt sich abwartend hin. Aufmerksam beobachtet sie die ersten Schritte der drei Übrigen, während ihre scharfen Ohren jedes noch so kleine Geräusch auffangen und eine mögliche Bedrohung herausfiltern. Trotz der Tatsache, dass Wolwerock definitiv keine Gefahr ausgemacht hat, traut sich Reißlaus dennoch keinen Zentimeter auf den schwarzen Sand. Zitternd verharrt sie davor und ignoriert vehement alle Versuche des großen Jungen ihm zu folgen. Wahrscheinlich spürt sie die Unsicherheit und Anspannung der beiden Jungs und lässt sich davon einschüchtern, aber vielleicht bemerkt sie auch etwas, das weder die Jungs noch Wolwerock wahrnehmen? Eine düstere Vorahnung, wie sie sie manchmal zu haben scheint, auch wenn alles friedlich scheint. Langsam geht Bromley vor ihr in die Hocke. „Yo, ich weiß, du hast Schiss. Den ham wa‘ alle. Dennoch müssen wa‘ dahin, ob’s uns passt oder nich‘...“ Aufmunternd streichelt er dem Käfer über den bebenden Panzer und nimmt ihn dann auf die Arme, um ihn den Weg zum verlassenen Laden zu tragen. Dabei entspannt sich die Assel nicht wirklich. Stattdessen zieht sie es vor, ihrem Trainer ängstlich unter das T-Shirt zu krabbeln und sich dort ganz fest gegen seine Brust zu drücken. Unter normalen Umständen fände der Schwarzhaarige das nicht sonderlich lustig, doch was ist hier schon normal? Nach dieser kurzen Unterbrechung setzen sie ihren Weg fort und erreichen schließlich die wartende Fähe, die sie schwanzwedelnd begrüßt. Kukui streicht ihr sanft über den Kopf, woraufhin sie ihren Steinkragen an seiner Hüfte reibt. Zwar ist er weit weniger hart, als damals bei Wuffels, dafür sind die Nadeln größer, schärfer und stehen weiter auseinander, weshalb sich der Brillenträger auch erst einmal wieder ein diese Bekundung ihrer Zuneigung gewöhnen muss. Dennoch verzieht er keine Miene, sondern lächelt bemüht mutig, woraufhin der Wolf den Weg fortsetzt und die Lage überprüft. 4 Als die Jungs ein weiteres Mal auf die wartende Fähe treffen, finden sie sich an einer buntbemalten Barrikade wieder, die vor jeder Prüfungsstätte aufgestellt ist und verhindern soll, dass Unbefugte den Ort ohne Zustimmung des Captains betreten. Ein Teenager steht dahinter, über die Absperrung gebeugt und blickt aufs Meer hinaus, wo die rotglühende Sonne gerade im Wasser zu verschwinden beginnt. Der Junge wirkt um einiges älter als die zwei und hat wahrscheinlich auch nicht mehr lange als Captain zu arbeiten. Seine Haut ist mindestens so blass, wie die von Bromley und sein ebenso schwarzes Haar reicht ihm fast bis auf die Hüften. Sein Blick wirkt verschlafen und desinteressiert. Dunkle Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab, doch bei näherem Betrachten stellt man fest, dass es sich dabei um Farbe oder Make-up handelt, dieser Effekt vom ihm somit gewollt ist. Seine ausschließlich schwarzen Klamotten sind überall mit Nieten und Schnallen verziert, die keinerlei Nutzen zu erfüllen scheinen, doch sie verleihen ihm ein düsteres Aussehen und genau darauf hat er es wohl auch abgesehen. Es passt auf jeden Fall zu der Tatsache, dass er mit Geister-Pokémon arbeitet. „Da sind wir, bereit für unsere Prüfung.“, teilt Manuel ihm mit. Allerdings rührt sich der Captain nicht, sondern starrt weiterhin auf das Meer hinaus. Etwas irritiert sehen sich die Jungs an und zucken mit den Schultern. „Yo Kumpel, biste taub oder was?“, fragt der Schwarzhaarige ihn schließlich. Wieder kommt kein Wort aus dem Teenager heraus, stattdessen legt er sich fordernd den Finger auf die Lippen, um den beiden zu sagen, dass sie still sein sollen. Dies tut er mit einer unglaublichen Gelassenheit, als stünde er kurz davor einzuschlafen, oder aber er befände sich gerade auf einem sagenhaften Trip, den er keinesfalls unterbrechen will. Unschlüssig entscheiden sich die Trainer zu warten, etwas anderes bleibt ihnen auch irgendwie nicht übrig. Geschlagene zehn Minuten später richtet sich der Langhaarige dann doch auf und löst seinen Blick vom Horizont, wenn auch nur widerwillig. Mit einem tiefen Seufzen wendet er sich den Anwärtern zu, fast so, als wäre er jetzt schon von ihnen genervt. „Ok, lasst uns anfangen.“, erklingt dann seine Stimme. Sie ist tief und zeigt deutlich, dass nicht mehr viel fehlt, bis er vollends erwachsen ist. Sein Tonfall wirkt hingegen genauso desinteressiert wie sein Blick und er spricht auch merkwürdig langsam, was einem noch mehr das Gefühl gibt, dass er entweder gleich einschläft, oder noch nicht bereit ist, von seinem Trip wieder runterzukommen. Seine ganze Haltung und jede seiner Bewegungen sind ebenso langsam, scheinen wohlüberlegt, um bloß nicht zu viel Energie aufzuwenden. Von daher wirkt es unglaublich mühsam, als er nun die hölzerne Barriere zur Seite räumt, damit die Jungs die Prüfungsstätte betreten können. Als der Weg frei ist, sind es aber Bromley und Manuel, die unentschlossen verharren. Der Captain legt langsam die Stirn in Falten und seufzt tief. „Wollt ihr nun die Prüfung machen oder nicht? Die Sonne ist gleich untergegangen, also entscheidet euch mal?“, gibt er leicht genervt von sich. Es dauert noch einen Augenblick, doch dann betreten die zwei die Steintreppe, die sie hinauf zum verlassenen Laden führt. Der Langhaarige folgt ihnen mit bedächtigen Schritten. Das einst so prächtige Schnäppchen-Paradies ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Dutzende Backsteine sind im Laufe der Jahre aus der Fassade gebröckelt, das Schild über dem Eingang hängt schief und ist so verwittert, dass man kaum mehr einen Buchstaben darauf entziffern kann. Die Fenster sind dick mit Staub und Schmutz überzogen, sodass man nicht einmal etwas vom Inneren des Ladens erkennen könnte, wenn es um Leben oder Tod gehen würde. Das einst hellblaue Wellblechdach ist mittlerweile türkisgrün, dick mit Rost und Moos bedeckt. Dort, wo vor etlichen Jahren die Warenannahme war, klafft nun ein Loch. Die Tür, die dort einmal war, ist nicht mehr, dafür stapeln sich in dem Durchgang unzählige Kartons, völlig unförmig durch Nässe und Seeluft und so dick mit Schimmel, Staub und Vegetation bedeckt, dass man kaum sagen kann, wo ein Karton anfängt und ein anderer aufhört. Der Beton des Vorplatzes ist aufgesprungen und von endlosen Rissen durchzogen, dicke Grasbüschel recken sich daraus hervor. Das Ganze wirkt überhaupt kein bisschen einladend, außer für Geister-Pokémon, die solche Orte lieben. Die rotglühenden Strahlen der untergehenden Sonne hüllen das verfallene Gebäude zusätzlich in einen unnatürlichen Schleier und lassen es damit fast wie ein Tor zur Unterwelt wirken. Die jungen Trainer bilden sich schon ein, die eisigen Finger von Untoten in ihrem Nacken spüren zu können. Reißlaus drückt sich noch fester gegen Bromley’s Brust, doch der aufgeregte Herzschlag des Jungen macht den Käfer nur noch unruhiger. Auch Wolwerock fühlt sich hier völlig fehl am Platz. Mit einem für ihre Größe doch ziemlich untypisch höhen Winseln duckt sie sich hinter Kukuis Beinen zusammen und betrachtet das Gebäude mit ihren himmelblauen Augen äußerst argwöhnisch. In diesem Moment wirkt sie wieder ganz so wie der kleine Welpe, der sie bis vor Kurzem noch war. „Hübsch, nicht wahr?“, lässt der Captain verlauten und betrachtet den verlassenen Laden mit einem liebevoll anmutenden Blick, der bewirkt, dass es den beiden Trainern nur wieder eiskalt den Rücken hinabläuft. „Es – es hat Charakter...“, pflichtet der Brünette ihm unsicher bei. Die Andeutung eines Schmunzelns huscht wenige Sekunden über das Gesicht des Langhaarigen. „Das wird mir echt fehlen. – Zu sehen, wie sich die Anwärter allein schon beim Anblick des Ladens fast in die Hosen machen, meine ich. – Ihr seid nämlich die Letzten, denen ich hier die Prüfung abnehme, da ich nächsten Monat zwanzig werde...“, verkündet der Captain mit einem gewissen Wehmut. Er tritt näher an den Laden heran und legt eine Hand auf die schmutzigen Scheiben der Tür. Hinter dem undurchsichtigen Glas wird ein Schatten sichtbar und dann sieht es so aus, als würde sich von drinnen ebenfalls eine Hand gegen die Scheibe drücken. Es wirkt unwirklich. Die Hand scheint sich auch nicht einfach zurückzuziehen, als der Captain seine wegnimmt, sondern sie scheint sich irgendwie aufzulösen! Scharf saugt Manuel bei diesem Anblick die Luft ein. „Tut mir einen Gefallen, Jungs und lasst euch von meinen Geistern zu Tode erschrecken, damit ich eine schöne Erinnerung an mein Dasein als Captain habe. Ich bringe auch Blumen zu eurer Beerdigung mit!“, kommt es von dem Ältesten. Dabei wendet er sich zu dem beiden herum und lächelt sie unglaublich sanftmütig an, als wäre es tatsächlich sein innigster Wunsch, dass die beiden hier ihr Leben für ihn lassen. Erschrocken klappt den Trainern der Mund auf. „Haste sie noch alle?“, fragt Bromley entsetzt und ballt drohend die Fäuste. Der junge Mann zuckt nur gleichgültig mit den Schultern und lächelt wieder. „Einen Versuch war es wert...“, kommentiert er das Ganze und verfällt dann wieder in seine desinteressierte Haltung. „Na schön, bringen wir es hinter uns. Die Sonne ist gleich weg, also hört zu. Die Prüfung an sich ist nichts Besonderes. Ihr müsst es nur schaffen die Nacht in dem Laden zu verbringen, ohne vor Angst zu sterben.“, ein kurzes Grinsen huscht über sein Gesicht hinweg, das so durchtrieben wirkt, dass einem schon fast das Blut in den Adern gefriert. „Allerdings seid ihr nicht allein im Laden. Dort treiben sich ein paar Geister-Pokémon herum, die liebend gern mit euch spielen wollen.“, führt er weiter aus. „Was soll’n das heißen?“, hakt der Käfer-Trainer angesäuert nach. Neben ihm schluckt der Brillenträger hart, irgendwie hat er ein ganz schlechtes Gefühl. „Das heißt das, was ich gesagt habe. Nur, dass Geister-Pokémon etwas morbidere Spiele bevorzugen, also hoffe ich, dass ihr Unterwäsche zum Wechseln dabeihabt.“ Wieder dieses scheinheilige Grinsen. „Oh, heiliges Kapu...“, flüstert Kukui nervös. „Selbstverständlich dürft ihr euch gegen die Geister zur Wehr setzen, müsst ihr sogar. Denn die Prüfung besteht auch darin, dass Herrscher-Pokémon aufzuspüren und zu besiegen und das bevor die Sonne aufgeht. Erst dann habt ihr bestanden. Sollte es euch aber doch zu viel werden, gibt es neben der Eingangstür einen Notschalter, der sie auch vor Tagesanbruch öffnet, andernfalls entriegele ich die Tür erst morgen früh um sieben Uhr.“, lässig wirft er einen Blick auf seine Armbanduhr und rechnet nach. „Also in gut – zehn Stunden. Noch irgendwelche Fragen?“, prüfend besieht er sich die eingeschüchterten Jungs. „Äh ja, wer ist denn das Herrscher-Pokémon?“, würde Kukui gern wissen. Ein finsteres Grinsen huscht über das Gesicht des Teenagers. „Das kann ich euch leider nicht verraten. Doch ihr werdet es schon erkennen, es ist immerhin größer als gewöhnlich. Nur so viel: seine Herrscher-Aura verstärkt all seine Statuswerte und es hat den Zusatztypen Fee. Alle anderen Geister haben den Zusatz Gift. – Wenn das alles war, habt ihr jetzt noch – zwei Minuten, um euch zu sammeln. Dann sperre ich den Laden auf und verriegle hinter euch die Tür wieder. Ich habe da drüben mein Zelt aufgeschlagen, falls ihr also die Hosen voll habt und rauswollt, werde ich das mitbekommen. Wenn nicht, werde ich morgen früh um sieben die Tür wieder öffnen und ihr seid frei und mit etwas Glück um einen Z-Kristall reicher.“ Der Captain deutet halbherzig mit einer Hand auf sein Zelt, das in einiger Entfernung am äußersten Punkt eines Maschendrahtzauns steht, der den Laden einst umgeben hat. Viel ist nicht mehr von ihm übrig, aber das ist auch vollkommen unwichtig. Tief atmen die beiden Trainer durch und versuchen sich und ihren Pokémon Mut zuzusprechen. Als die zwei Minuten um sind, ertönt das Klappern von Schlüsseln. Leicht zucken die Jungs zusammen. „Und? Seid ihr bereit oder wollt ihr es seinlassen?“, hakt der Langhaarige ein letztes Mal nach. „Wir zieh’ns durch, Mann!“, entgegnet ihm Bromley, auch wenn seine Stimme noch nie so unsicher geklungen hat, was Manuel nur noch mehr ängstigt, war der Schwarzhaarige doch bisher immer der Mutigere von ihnen. „Na dann viel Spaß!“, grinst der Captain ein letztes Mal und nur einen Augenblick später knallen die Flügeltüren hinter den Trainer wieder zu und besiegeln ihr Schicksal! 5 Als die Tür hinter ihnen ins Schloss zurückfällt, stehen die Trainer in fast vollkommener Dunkelheit. Nur durch das Glas des Eingangs fällt noch ein winziger Streifen der rotglühenden Sonne, doch auch dieser ist Sekunden später verschwunden und die längste Nacht ihres Lebens somit endgültig angebrochen. In der Finsternis hören sie ihre aufgeregten Herzen in ihren Ohren pochen und ihr abgehakter Atem bildet einen hörbaren Kontrast dazu. Ehe einer von ihnen etwas sagen kann, flammen aber plötzlich gut drei Dutzend Kerzen auf, die sich in dem weitläufigen Laden auf den obersten Regalreihen befinden. „Krasser Scheiß...“, entkommt es Bromley erstickt und seine Stimme zerreißt die Stille wie ein rostiges Messer. Der Anblick der selbst aufleuchtenden Kerzen hat etwas sehr Unheimliches an sich und dennoch ist es überaus faszinierend, wie Kukui zugeben muss. Es ist kurz vor Mitternacht Etwas Böses lauert im Dunkeln Unter dem Mondlicht Im zitternden Schein der kleinen Flammen lässt sich nun einiges im dem Laden erkennen. Schatten dominieren jedoch die Sicht und die zuckenden Feuerkegel scheinen ihnen Leben einzuhauchen und gaukeln einem vor, sie würden immer näherkommen und ihre düsteren Finger nach einem ausstrecken. Manuel kommt sich wie gelähmt vor, dabei ist noch überhaupt nichts passiert. Doch die Angst vor dem Unbekannten umklammert sein Herz wie mit einem Schraubstock, sodass er fast keine Luft bekommt. Hilflos hebt er eine Hand und sucht damit nach Bromley´s. Er erhofft sich Halt und Trost, so wie damals auf dem Friedhof, als sie sich an den Händen gehalten haben. Als er die warme Haut des Größeren berührt, spürt er, wie der Junge neben ihm zusammenzuckt, dann jedoch erkennt, dass es sich dabei um Kukuis Hand handelt und diese dann so plötzlich und fest umklammert, dass es schon schmerzt. Dieser Reaktion entnimmt der Brillenträger, dass sein Partner vermutlich genau dieselbe Idee hatte, nur nicht als Schwächling dastehen wollte, wenn er als Erster nach ihm greift. Allerdings hat Manuel kein Problem damit seine Angst zu zeigen, da er weiß, dass der Jüngere ihn zumindest jetzt nicht deswegen auslachen wird, sondern alles daran setzt ihn zu beschützen. Du siehst etwas, das fast dein Herz stoppen lässt Du versuchst zu schreien, Aber Terror nimmt den Laut, bevor er herauskommen kann Sanft legt Bromley seine andere Hand auf sein T-Shirt, unter dem sich Reißlaus zitternd an ihn drückt. Wolwerock schmiegt sich derweilen unsicher gegen Manuels Bein. Entgegen ihres sonstigen Drangs einen unbekannten Ort immer zuerst zu untersuchen, um die Sicherheit ihrer Mitstreiter zu gewährleisten, fühlt sie sich hier so unglaublich unwohl, dass sie dem nicht nachkommen kann. Mit eingezogenem Schwanz schnüffelt sie vorsichtig in die abgestandene Luft des Ladens hinein, winselt kläglich und blickt dann hilflos zu ihrem Trainer auf. Mit Fingern, die nicht ganz ruhig sind, streicht der Brillenträger ihr über den Kopf. „Ist nicht schlimm, wenn du Angst hast. Die haben wir alle und ich denke, es ist besser, wenn wir dicht beisammen bleiben...“, gibt er ihr zu verstehen, wobei er sich selbst vor dem Klang seiner eigenen Stimme erschreckt. Dankbar schmiegt sich die Fähe fester gegen ihn. Hand in Hand treten die Jungs ein Stück in den Laden hinein. Der Eingang befindet sich an der rechten Seitenwand des Gebäudes. Links neben sich entdecken sie den Kassenbereich, an dem einst vier Leute der Länge nach aufgereiht die Waren der Kundschaft abgerechnet haben. Du beginnst zu frieren, Als der Horror dir in die Augen schaut Du bist wie gelähmt, Denn das ist ein Thriller Links neben der ersten Kasse wird der Weg von einem Haufen schwerer Kartons versperrt, sodass die vier nur rechts vorbeigehen können. Zwischen der ersten und zweiten Kasse liegt ein völlig verbeulter Einkaufswagen auf der Seite, wie ein totes Tier. Undefinierbare Waren sind aus ihm herausgefallen und zwischen den beiden Kassen verstreut. Der Anblick gibt den Jungs zu denken. Ist der Wagen, voll wie er war, nach der Schließung des Ladens hier abgestellt worden – vielleicht sogar von dem Captain, um das Vorankommen der Anwärter zu erschweren – oder mussten die Kunden wohlmöglich schlagartig flüchten, als sich der Zorn der Kapu über den Laden legte, wie ein Buschfeuer? Diese Frage werden sie wohl nie beantwortet bekommen, aber allein die Vorstellung darüber nachzudenken, ist schon beunruhigend. Angespannt läuft die Truppe an dem Einkaufswagen vorbei und lässt die zweite Kasse auch hinter sich. Neben der dritten Kasse wird nun die rechte Seite durch Kartons und Regale versperrt, sodass sie zwischen den Kassen hindurchschlüpfen müssen, um ihren Weg fortzusetzen. Der Durchgang ist allerdings ziemlich schmal, weshalb sich die Jungs wieder loslassen, als sich auf einmal das Förderband der zweiten Kasse in Bewegung setzt! Thriller in der Nacht Und niemand wird dich retten Vor der Bestie, die gleich zuschlagen wird Ratternd bewegt sich das verdreckt Band auf rostigen Rollen und erzeugt dabei ein markerschütterndes Quietschen. Manuel stößt einen spitzen Schrei aus, für den Bromley ihn unter normalen Umständen ganz sicher als Mädchen bezeichnet und ausgelacht hätte. Stattdessen saugt der große Junge geräuschvoll Luft ein und entfernt sich rückwärts von der Kasse. Ängstlich drückt sich Kukui gegen seinen Rücken. Sweetheart gibt ein verstörtes Fiepen von sich, sodass der Schwarzhaarige die Arme fester um sie schlingt. Wolwerock zuckt ebenfalls heftig zusammen, macht einen Satz nach hinten und beginnt dann tief in der Kehle zu knurren. Scheinbar erinnert sie sich wieder an ihren Beschützerinstinkt, denn sie tritt versucht mutig einige Schritte vor, sodass die Jungs nun hinter ihr stehen. Du weißt, das ist ein Thriller Thriller in der Nacht Schlagartig stoppt das Förderband wieder, als hätte es sich vom Knurren der Fähe einschüchtern lassen. Schnell merken die Trainer jedoch, dass dem nicht so ist. Ein neues, sehr seltsames Geräusch wird laut, das man mit über ausgeprägter Fantasie vielleicht als Lachen identifizieren könnte. Es scheint genau aus dem Motor des Bandes zu kommen und dennoch kann man seine Herkunft nicht genau bestimmen. Das Geräusch scheint förmlich in der Luft zu schweben und einen unnatürlichen Schall in dem weitläufigen Laden zu erzeugen. Kurz darauf ist wieder alles still. Stattdessen beginnt das Kassenband nun zu dampfen, als wäre es tiefgefroren worden und nun dabei wieder aufzutauen. Aber der Dampf ist nicht weiß, wie man es von Eis oder etwas sehr Kaltem erwarten würde, er hat vielmehr eine lila schimmernde Farbe. Wie erstarrt blicken die Trainer und die inzwischen verstummte Fähe auf die Wolke. Langsam steigt sie auf, verdichtet sich. In ihrem Zentrum ist sie allerdings weit dunkler und wirkt irgendwie greifbarer. Du kämpfst um dein Leben Mit einem Mörder Thriller heute Nacht, ja! „Was zum Henker is‘ das?“, fragt Bromley schließlich und scheint so die Aufmerksamkeit der gasgleichen Wolke auf sich zu ziehen. Diese wabert daraufhin einmal um die eigene Achse. Im dunklen Zentrum werden kleine, weiße Spitzen sichtbar, die Manuel irgendwie an Zähne erinnern. Ehe er jedoch seine Befürchtung aussprechen kann, erscheinen plötzlich übergroße Augen in der Gaswolke. Lachend reißt das Geister-Pokémon den Mund auf und steckt ihnen die lange Zunge heraus, macht sich regelrecht lustig über sie. „Ich – ich glaube, das ist ein Nebulak...“, entkommt es Kukui unsicher. Als wolle der Gasball seine Aussage bestätigen, beginnen dessen große Augen schlagartig rot aufzuleuchten. Der Horrorblick trifft die Truppe vollkommen unvorbereitet, sodass sie alle für einige Sekunden völlig in ihrem Schreck erstarren. Du hörst die Tür zuschlagen Und merkst, dass du nirgends mehr hinrennen kannst Du spürst eine kalte Hand Das Nebulak amüsiert sich darüber köstlich und lässt wieder sein unheimliches Lachen erklingen. In der Zwischenzeit fangen sich die vier wieder etwas. „Wolwerock, versuch es mit Ruckzuckhieb zu vertreiben!“, befiehlt Manuel dem Wolf. Dieser schüttelt sich den letzten Rest des Horrorblicks ab und sprintet dann im Zickzack auf das Förderband zu. Im letzten Moment setzt die Fähe zum Sprung an, um den Geist zu rammen. Allerdings geschieht das nicht. Für den Bruchteil einer Sekunde wird der Gasball durchschimmernd und Wolwerock schlittert ungehalten über das Kassenband hinweg. Gebremst wird sie erst, als sie auf der anderen Seite der Kasse zu Boden stürzt und gegen die Wand des Ladens knallt. „Um Himmels willen!“, platzt es aus dem Brillenträger heraus, als er den unsanften Knall vernimmt, mit dem sein Pokémon gegen den Stein schlägt. Im selben Moment könnte er sich für seine Dummheit selbst ohrfeigen. Ruckzuckhieb unterliegt dem Typ Normal und dagegen sind Geister-Pokémon vollständig immun! Dennoch scheint das Nebulak verschwunden zu sein und so eilt Kukui besorgt zu dem Vierbeiner hinüber, der taumelnd wieder auf die Beine kommt. Und es würde mich wundern, Wenn du jemals wieder die Sonne siehst 6 Der erste Schreck ist somit überstanden und die Jungs entscheiden sich zum Weitergehen – etwas anderes bleibt ihnen auch nicht übrig, da die Geister sie hier überall angreifen können und ihnen keine Möglichkeit zum Verstecken bleibt. Das Nebulak hat sich zwar verzogen, doch die beiden sind sich darin einig, dass dies erst die Spitze des Eisbergs war und sie in den endlosen Stunden dieser Nacht noch weit Schlimmerem ausgesetzt sein werden. Daher versuchen sie so mutig wie irgend möglich zu sein, damit sie nicht hinter der nächsten Ecke von einem lähmenden Schock getroffen werden. Aufgeben steht hier noch weniger in Frage, als bei allen Prüfungen zuvor, denn diese Hölle wollen sie ganz sicher kein zweites Mal auf sich nehmen, nur um zu bestehen. Du schließt die Augen Und hoffst, dass das alles nur Einbildung war Aber die ganze Zeit Hörst du eine Kreatur hinter die her kriechen Von daher schlängeln sie sich zwischen den Kassen durch, wo sie von der Gaskugel überrascht worden sind und bewegen sich an der Wand des Ladens entlang zur linken Ecke. Dort können sie die Warenannahme sehen, die sie schon von außen erblickt haben, die aber mit Kartons versperrt ist. Hier geht es also nicht weiter, weshalb sie gezwungen sind weiter ins Innere des Ladens vorzudringen. Kaum, dass sie sich dafür entschieden haben, taucht vor ihnen eine Warenauslage auf. Daneben liegen einige Kartons verstreut, gleichsam ihrem Inhalt, der sich über den Boden verteilt. Auf der Auslage liegt ein Einkaufswagen auf dem Kopf, sodass er wirkt wie eine Art Käfig. Fein säuberlich aufgestapelt befinden sich hinter seinen Stäben Konserven, kleine Schachteln und andere Gegenstände. Auf beiden Seiten neben der Auslage ist genug Platz zum Vorbeigehen, doch die Jungs müssen sich für eine Seite entscheiden, da dahinter ein großes Regal folgt, das sie für unbestimmte Zeit voneinander trennt, wenn jeder von ihnen einen Gang wählen würde. In der schummerigen Dunkelheit der Kerzenflammen sind auf der rechten Seite in der Ferne Kartons zu erkennen, auf der linken Seite scheint der Weg jedoch weiter frei zu sein, weshalb sie diesen wählen. Du bist verloren, Denn das ist ein Thriller Thriller in der Nacht Mit einem mulmigen Gefühl bewegt sich die Truppe zügig an der Auslage vorbei, da sie ihnen irgendwie verdächtig gestellt vorkommt. Diese Vermutung wird auch augenblicklich bestätigt, als hinter ihnen ein seltsames Geräusch erklingt, das sich anhört, als würde jemand mit etwas Metallischem gegen ein Gitter schlagen. Die Trainer halten angespannt die Luft an und wenden sich langsam um. Unschlüssig tritt Wolwerock vor sie und versucht sich der möglichen Gefahr zu stellen. Perplex beobachten sie alle, wie eine der Konserven unter dem Einkaufswagen herumschwebt und dann rhythmisch gegen die dünnen Streben zu schlagen beginnt. Das Ganze wiederholt sich ein paar Mal, als wolle sich jemand mit Morsezeichen verständigen und dabei fangen immer mehr Gegenstände unter dem Wagen an zu schweben. „Wir – wir sollten schnell weg hier...“, presst Kukui erstickt hervor und klammert sich am Arm seines Partners fest. „Is‘ nich‘...“, erwidert Bromley trocken und starrt wie gebannt auf die Auslage. Es gibt keine zweite Chance Gegen das Ding mit den vierzig Augen Manuel will schon fragen, was mit ihm nicht stimmt, doch dann sieht er es auch. Nun schwebt der ganze Einkaufswagen empor, dreht sich in der Luft mehrmals um die eigene Achse und knallt dann krachend zu Boden. Das Geräusch ist so laut und durchdringend in der erdrückenden Stille des Ladens, dass die kleine Truppe heftig zusammenzuckt und einen Aufschrei nicht verhindern kann. Mit eingezogenem Schwanz beginnt die Fähe zu knurren, doch es hat nichts Mutiges an sich, vielmehr klingt es in die Ecke getrieben und hilflos. Dennoch steht sie weiterhin vor den Jungs und versucht sie zu beschützen. Dies ändert sich nun allerdings schlagartig, als die Konserven erneut zu schweben anfangen und dann wie Geschosse auf sie zufliegen. Erschrocken springt der Wolf zur Seite, kann es aber nicht verhindern, dass ihn eine der Dosen hart an der Stirn trifft. Mit einem schmerzlichen Aufheulen geht die Fähe zu Boden, noch während sie von einer zweiten Konserve am Kopf getroffen wird. Thriller Thriller in der Nacht Schockiert können die beiden Trainer das Ganze nur mit ansehen. Als Kukui seinem Pokémon zu Hilfe eilen will, taucht ihr Angreifer direkt vor ihm auf. Der Brünette lässt einen erstickten Schrei hören. Eine lila Gestalt schwebt vor ihm, blickt ihm direkt in die Augen. Der Geist scheint nur aus einem struppigen Kopf zu bestehen und zwei freischwebenden Klauenhänden. Das Alpollo verzieht das Gesicht zu einem fiesen Grinsen, dann öffnet es den Mund und lässt seine lange Zunge heraushängen. Noch ehe einer der Anwesenden sich rühren kann, leckt das Geister-Pokémon Kukui einmal quer über das ganze Gesicht! Giftiger Speichel überzieht die Haut des wehrlosen Jungen und zeigt kurz darauf seine Wirkung. Wäre Manuel ein Pokémon, hätte er diesen Angriff vielleicht wegstecken können oder nur geringen Schaden erlitten. Doch auf Menschen haben dergleichen Angriffen eine andere, oftmals viel schlimmere Wirkung. Nach getaner Arbeit grinst das Alpollo wieder hämisch und löst sich dann in Luft auf. Der Brillenträger hingegen bricht reglos zusammen. Du kämpfst um dein Leben Mit einem Mörder Thriller, heute Nacht „Scheiße!“, entkommt es Bromley fassungslos und er stürzt zu seinem Kollegen hin. Dieser liegt vollkommen bewegungslos auf dem Boden, gleich einer lebensgroßen Puppe. Seine Augen sind weit aufgerissen, der Mund steht ihm offen, doch er atmet nicht! Hilflos fängt der große Junge an zu zittern. Was soll er nur tun? Die Schlecker-Attacke des Geistes hat Manuel völlig paralysiert. Wenn ihm nicht schnell etwas einfällt, wird er wohlmöglich ersticken. Sein Zittern veranlasst Reißlaus dazu ihren Kopf aus seinem T-Shirt zu schieben, um zu sehen, was mit ihrem Trainer los ist. Mit Entsetzen stellt sie fest, dass er völlig apathisch dasitzt, während ihm heiße Tränen der Verzweiflung über die Wangen laufen. Fiepend versucht sie seine Aufmerksamkeit zu bekommen, doch es bringt nichts. Schließlich schlüpft sie aus dem Hemd heraus und krabbelt unschlüssig auf den reglosen Körper des Brünetten. Bromley’s Blick ist glasig und leer, erscheint vollkommen abwesend. Wolwerock ist noch immer ausgeknockt, wie die Assel feststellt. Fieberhaft überlegt der Käfer, was er jetzt tun soll, als auf einmal eine Konservendose direkt vor seinem Gesicht vorbeifliegt. Nächtliche Kreaturen rufen Die Toten beginnen in ihrer Maskerade zu laufen Es gibt diesmal kein Entkommen aus den Klauen der Aliens Erschrocken zuckt Sweetheart zusammen und sieht sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Eine weitere Dose kommt geflogen und verfehlt ihren Trainer nur ganz knapp. Die Assel wendet den Blick in die Richtung und entdeckt wieder das Alpollo, das es scheinbar unglaublich witzig findet sie zu bewerfen. Panik kommt in dem kleinen Pokémon auf. Dann plötzlich wird dieses nagende Gefühl durch ungeahnte Entschlossenheit vertrieben. Der Käfer bäumt sich auf, hebt fauchend den Schwanz und feuert dann seinen Käfertrutz auf den Geist ab. Die Attacke trifft ihr Ziel ziemlich unvorbereitet. Zwar sind Geister-Pokémon fast unempfindlich auf Käfer-Attacken, doch es reicht, um Alpollo den Spaß zu verderben. Schmollend macht es sich erneut unsichtbar und verschwindet. In der Zwischenzeit kommt Wolwerock wieder zu sich und steht taumelnd auf. Als sie ihren Trainer am Boden sieht, läuft sie aufgebracht zu ihm und stupst ihn an, doch er regt sich nicht. Das ist das Ende deines Lebens Sie werden dich holen Auf jeder Seite schließen sich Dämonen an Bromley ist ebenfalls vollkommen neben sich, zumindest bis Reißlaus ihn mit kaltem Wasser bespritzt. Erschrocken zuckt der Junge zusammen und starrt auf die beiden Pokémon, die ihn hilfesuchend ansehen. Plötzlich realisiert er wieder, dass es Kukui schlecht geht und, dass er nicht viel Zeit hat. Dann hat er die Idee. Wenn Pokémon unter Paralyse leiden, gibt es eine Medizin dagegen. Vielleicht hilft sie auch Manuel? Hecktisch kramt er in seinem Rucksack herum, bis er das Richtige findet. Mit zitternden Fingern richtet er den Zerstäuber des Para-Heilers auf den Brillenträger und drückt ab. Unter den wachsamen Augen der Pokémon verteilt sich der feine Nebel auf Manuels Gesicht und neutralisiert den Speichel des Geistes. Abwartend betrachten alle den reglosen Jungen. Winselnd stupst die Fähe ihn schließlich mit der Nase an und leckt ihm über die Wange – nichts. „Scheiße...“, entkommt es dem Schwarzhaarigen in Tränen erstickt. Die Paralyse scheint besiegt, doch es kam zu spät... Sie werden dich besitzen, Es sei denn, du änderst die Zeit auf dem Zifferblatt Verzweifelt denkt der Schwarzhaarige weiter nach. Ahnung von Erster Hilfe hat er keine, war er es doch immer selbst, der ohnmächtig oder dergleichen war. Dennoch regt sich so eine Art Instinkt in ihm. Vorsichtig legt er den Kopf auf Manuels Brust und lauscht nach dessen Herzschlag, während er aufmerksam von den beiden Pokémon betrachtet wird. Im ersten Moment hört Bromley jedoch nur seinen eigenen, hektischen Atem. Er muss die Luft anhalten und sich konzentrieren und dann ist da dieses Pochen – langsam, aber kraftvoll. Das ist schon mal viel wert, dennoch atmet Kukui nicht. Wahrscheinlich sind seine Lungen durch die Paralyse noch irgendwie verkrampft? Dunkel kommt ihm der Gedanke, dass er Luft hineinblasen muss, damit Manuel wieder selbstständig atmen kann. Also drückt er seine Mund auf den des Brünetten und pustet nachdrücklich Luft in ihn hinein. Dabei merkt er unweigerlich wie kalt die Lippen des Kleineren inzwischen sind. Jetzt ist die Zeit Für dich und mich, um uns eng aneinander zu kuscheln Die ganze Nacht lang Während der Schwarzhaarige sich so hoffnungslos bemüht, merkt er nicht, wie ein kaum spürbares Zucken durch den schmächtigen Körper unter ihm geht. Langsam kommt Kukui wieder zu sich. Plötzlich merkt er, dass sein Kollege ihn küsst! Manuel wird ganz schwindlig bei diesem Gedanken, hat er sich das doch schon einmal vorgestellt. Er weiß überhaupt nicht, was los ist und warum sich diese Berührung so gut anfühlt, doch er möchte sich so gern darin verlieren. Ein kleiner Teil von ihm sagt, dass das nicht richtig ist, dass Jungs keine anderen Jungs küssen dürfen, doch er ignoriert ihn vehement. Wenn sich etwas so gut anfühlt, kann es gar nicht falsch sein! Dann jedoch spürt er, wie Bromley ihm angestrengt Luft in die Lungen bläst und da kommt ihm die Erkenntnis. Das Ganze ist gar kein Kuss. Nachdem Alpollo ihn paralysiert hat, ist er zusammengebrochen, daran kann er sich noch erinnern. Der Jüngere muss versucht haben ihm zu helfen, aber es hat wohl nicht so ganz funktioniert, weshalb er ihn jetzt versucht zu beatmen. Eine gewisse Enttäuschung schwingt in ihm, doch er kann sich ihr nicht wirklich hingeben, da seine Lungen wieder zu arbeiten beginnen und er nun husten muss. Ich werde dich vor dem Terror retten Ich werde es dich nicht sehen lassen Das ist ein Thriller Überrascht trennt sich Bromley von seinem Partner. Schwerfällig dreht sich Manuel auf die Seite und hustet weiter. Noch ehe er wieder ganz zur Ruhe gekommen ist, schmiegen sich Wolwerock und Reißlaus freudig gegen ihn und drücken ihn fast wieder zu Boden. „Hey – ich freue mich ja auch...“, gibt er erschöpft von sich. Ziemlich grob anmutend schupst der Käfer-Trainer die beiden von ihm weg und zieht Kukui ungehalten in seine Arme. Dem Brillenträger bleibt fast wieder die Luft weg, doch seine Freude ist mindestens genauso groß wie die seines Kollegen. „Scheiße Mann, mach nie wieder so’n Scheiß!“, kommt es in Tränen aufgelöst von dem großen Jungen. Kraftlos erwidert Manuel die Umarmung. Den anderen weinen zu sehen, ist für ihn etwas völlig Unwirkliches, obwohl er es inzwischen mehrfach erlebt hat. Dennoch will es einfach nicht in sein Bild von diesem vorlauten, toughen Jungen passen. „Ja, versprochen...“, haucht er dem anderen zu und drückt ihm sanft einen Kuss aufs Ohr. Thriller in der Nacht, Weil ich dich noch mehr erschrecken kann 7 Nach diesem heftigen Erlebnis sind sich die beiden doch ziemlich unschlüssig, ob sie weitergehen sollen oder nicht. Der Gedanke, Aufzugeben rückt immer weiter in den Hintergrund, denn so etwas will keiner von ihnen jemals wieder durchmachen müssen. Also bleibt nur Durchhalten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es sinnvoll wäre an Ort und Stelle auszuharren oder weiterzugehen und ein mögliches Versteck zu finden? Egal, wofür sie sich auch entscheiden, die Geister-Pokémon finden sie so oder so. Während sie verschnaufen, entscheiden sie sich letztendlich dafür, den Weg zur Eingangstür anzutreten, um sich dort in der Nähe niederzulassen. Sie wollen zwar nicht frühzeitig abbrechen, doch die Sicherheit des Notschalters soll ihnen wenigstens ein besseres Gefühl geben. Erst recht in Anbetracht der Tatsache, dass einer von ihnen wohlmöglich wieder von einem Pokémon ausgeknockt werden könnte. Schwankend kommt Kukui wieder auf die Füße und gemeinsam wenden sie sich um, um an der Auslage vorbei zurück zum Kassenbereich zu kommen. Doch dort werden sie heute nicht mehr ankommen! Dann wird kein Ghoul es wagen dich zu holen Also lass mich dich festhalten Und die Angst mit dir teilen Plötzlich ertönt das irre Lachen der beiden Geister-Pokémon, gemischt mit einer dritten, viel bedrohlicheren Stimme. Im selben Moment beginnen sämtliche Gegenstände in der Umgebung zu schweben. Doch keinesfalls nur Konserven und Kartons – mit Nichten, es fliegt alles umher. Ganz Regale erheben sich in die Lüfte, als würden sie überhaupt nichts wiegen. Auslagen und Einkaufswagen folgen. Mit einem gewaltigen Krachen und einer dicken Staubwolke landen die ganzen Sachen wieder auf dem Boden. Die Druckwelle hat die Kerzenflammen erstickt, doch als sich die Staubwolke lichtet, entfachen sie neu und zeigen das Ausmaß des Chaos an. Der ganze Laden ist einmal komplett von den Geistern umgeräumt worden, sodass nichts mehr an seinem Platz steht. Der Weg zur Tür ist völlig von Regalen und Kartons versperrt und somit bleibt den Jungs nur der Rückzug in den hinteren Teil des Ladens – ins Unbekannte. Das schallende Lachen der Gaswesen hallt noch einen Augenblick nach, dann ist alles wieder still. „Himmel, sie lassen uns nicht gehen, selbst wenn wir es wollten...!“, kommt Kukui die ernüchternde Erkenntnis. „Yo. Bestimmt is‘ der Herrscher auf uns aufmerksam geworden und hat’s ihnen befohlen, checkstes?“, entgegnet ihm der Schwarzhaarige schnaubend. Ich werde dich heute Nacht erschrecken Mit einem tiefen Seufzen wenden sich die Jungs mit ihren Pokémon um und blicken in den hinteren Teil des Ladens. Bei der Umräumaktion haben sich auch die Standpunkte einiger Kerzen verändert, sodass sie ihr Licht nun an der hinteren Wand konzentrieren. Ungläubig starren die Trainer dorthin. „Ist das – ist das eine Tür?“, fragt Manuel unsicher. „Yo, doch ich will nich‘ wissen, was da hinter is‘. Du etwa?“ „Nicht wirklich...“ Innerlich vermuten die zwei, dass es sich dabei wohl um den Herrscher-Bereich handelt. Unschlüssig verweilen sie einen Moment, dann beginnen auf einmal wieder Gegenstände zu schweben. Diesmal jedoch keine Regale oder harte Konserven, sondern Plüschpuppen. Sie sind dick mit Schimmel überzogen und an vielen Stellen aufgeplatzt, sodass die Watte herausbricht. Es ist unmöglich zu sagen, was sie einmal dargestellt haben. Wie sich herausstellt ist das auch völlig egal, denn sie dienen nur als Ablenkung. Die Dunkelheit fällt über das Land Die Mitternachtsstunde ist in der Nähe Schlagartig fallen die Puppen zu Boden und an ihre Stelle tritt das dritte und letzte der Geister-Pokémon und vervollständigt die Entwicklungslinie damit. Rotglühende Augen betrachten die Jungs voll ausgelassenem Übermut. Gengar grinst über das ganze Gesicht finster zu ihnen hinüber. Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern hat es einen vollständigen Körper, was es aber nicht weniger unheimlich macht. Denn es hat den Ruf sehr ungehalten und brutal zu sein. Dies stellt es auch gleich mal zur Schau und holt mit der Faust aus. Es wirkt allerdings so, als würde es nur einen unsichtbaren Gegner in der Luft angreifen. Doch die Attacke kommt aus dem Hinterhalt, wie die überrumpelten Trainer nun feststellen müssen. Auf einmal taucht Gengars Faust hinter Reißlaus auf, ohne das sie eine sichtbare Verbindung zu dem Geist zu haben scheint. Der Käfer versucht noch auszuweichen, doch die Faust folgt ihm. Der Schlag trifft sie hart und stampft sie schon fast in den Boden hinein. Eine zweite Finsterfaust taucht aus dem Nichts auf und schlägt Wolwerock mit einem kräftigen Hieb nieder. Kreaturen kriechen auf der Suche nach Blut umher, Um die Nachtbarschaft zu terrorisieren Die zwei Trainer können es gar nicht fassen. Das Ganze war so unglaublich unwirklich, dass es einfach nicht in ihre Köpfe hineinwill. Schwerfällig versuchen die angeschlagenen Pokémon wieder auf die Füße zu kommen, während die Jungs fieberhaft überlegen, was sie nun tun sollen. Hinter ihnen ruht die fremde Tür, wie eine verlockende Falle. Ehe sie sich für etwas entscheiden können, setzt Gengar zum nächsten Angriff an. Seine roten Augen werden plötzlich weiß und damit fixiert es die beiden Jungs. Sie versuchen sich diesem durchdringenden Blick zu entziehen, aber es gelingt ihnen nicht. Sekunden später erliegen sie der Hypnose und brechen tief im Schlaf gefangen zusammen. Ein abgrundtief böses Lachen ertönt von dem großen Geist und er stapft siegessicher auf die zwei führerlosen Pokémon zu, die hilflos versuchen ihre Trainer wieder aufzuwecken. Und wer auch immer gefunden werden wird Muss stehenbleiben und den Hunden der Hölle gegenübertreten Die blanke Furcht steht der Assel und dem Wolf ins Gesicht geschrieben und dennoch können sie nichts tun. Verzweifelt tritt Wolwerock vor und beginnt damit Gengar mit Steinen zu bewerfen. Der große Geist lässt sich davon nur minder beeindrucken, stattdessen stößt er einen Ruf aus. Kurz darauf erscheinen Nebulak und Alpollo auf der Bildfläche. Überfordert weicht die Fähe zurück, doch Reißlaus überkommt ein Funken Mut und sie stürzt nach vorn und feuert ihren Käfertrutz auf die drei Geister ab. Dies setzt der Bande nun wirklich nicht nennenswert zu, dennoch hält es sie etwas auf Abstand. Und so gelingt es dem Wolf endlich Manuel und Bromley wieder aufzuwecken. Völlig desorientiert starren sich die beiden an, ehe sie den aussichtslosen Kampf von Sweetheart bemerken. Die drei Geister rücken immer näher und treiben die Assel zurück, die vehement weiterfeuert, obwohl sie deutlich von Erschöpfung gezeichnet ist. Und in der Leiche einer Leiche werden wir verfaulen Der übelste Gestank liegt in der Luft Der Funke von vierzigtausend Jahren „Wolwerock, du musst ihr helfen, schnell!“, befiehlt Kukui aufgebracht. Die Fähe stürmt zu einem Angriff nach vorn, doch ausführen kann sie ihn nicht mehr. Plötzlich ein lauter Knall hinter den Jungs. Die fremde Tür ist aufgesprungen. Gleißendes Licht dringt daraus hervor und verjagt damit die drei Geister schlagartig. Allerdings ist es damit noch nicht vorbei. Das Licht erlischt, doch dafür schlängeln sich auf einmal düstere Schatten über den Boden und packen die vier, als wären es Tentakeln eines riesigen Monsters. Mit unsagbarer Kraft zerren sie die wehrlosen Jungs mit ihren Pokémon durch die Tür ins Unbekannte. Mit lautem Knall schlägt sie wieder zu und beendet alles! Und schreckliche Ghoule steigen von jedem Grab auf, Um dein Schicksal zu besiegeln 8 Die vier finden sich in einem winzigen Raum wieder. Er ist vielleicht ein mal zwei Meter groß und wirkt damit unglaublich erdrückend. Zusammengekauert versucht die kleine Truppe nicht in Panik zu verfallen, was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Obwohl es im Laden selbst ziemlich dunkel ist, scheint ein heller Lichtstrahl unter der Tür hindurch und erleuchtet den engen Raum somit zumindest etwas. Vorsichtig blicken sich die beiden Trainer um. Der nackte Beton des Bodens ist von großen Rissen durchzogen, die sich die Wände hinaufschlängeln. Es gibt keine Fenster und die Decke liegt in tiefer Dunkelheit, sodass man unmöglich sagen kann, wie hoch sie ist. Doch die Wände sind nahezu tapeziert mit Bildern. „Um Himmels willen, sieh dir das an!“, entkommt es Kukui stockend. „Scheiße...“, ist alles, was sein Partner erwidert. Mit offenem Mund starren sie die Bilder an. Dabei handelt es sich um Buntstiftzeichnungen eines kleinen Kindes, oder zumindest wirken sie so. Allerdings könnte wohl kein Kind so schaurige Dinge malen, wie sie dort zu sehen sind, wobei verstümmelte Pokémon noch das Harmloseste sind. Und obwohl du kämpfst, um am Leben zu bleiben Beginnt dein Körper zu zittern Die zwei haben den schaurigen Anblick noch gar nicht verarbeitet, da passiert wieder etwas. Der ganze Raum scheint sich auf einmal zu bewegen. Er wabert herum, als würde er nur aus Wasser bestehen und dann bläst er sich auf. Aus dem winzigen Zimmer wird ein gewaltiger Raum, der vermutlich nicht einmal in dem verlassenen Laden Platz finden würde. Die vier kauern sich eng zusammen und finden sich schließlich in der Mitte dieses neuen Zimmers wieder – mitten auf dem Präsentierteller. Sie richten ihre Augen nach allen Seiten aus und stellen dann mit Erschrecken fest, dass die Tür verschwunden ist! Wo auch immer sie sich hier befinden, sie sind eingesperrt und dem hilflos ausgeliefert... Denn kein Sterblicher kann dem Bösen des Thrillers widerstehen! Einen Moment lang herrscht Stille und nichts passiert mehr. Ein Funken Erleichterung lässt die Jungs durchatmen, doch sie wissen, dass es nur von kurzer Dauer sein kann. Und damit haben sie auch recht. Eine Bewegung wird sichtbar. Ein unförmiges Etwas huscht lautlos über den Boden und kommt vor den vieren zum Stillstand. Verwundert betrachten sie den wandelnden Haufen Lumpen, der sie an ein anderes Pokémon erinnert. „Was zum Henker...?“, platzt es aus Bromley heraus. Seine Stimme klingt unglaublich laut und scheint in dem riesigen Zimmer sogar ein Echo zu werfen, doch das seltsame Lumpenwesen weicht nicht davor zurück. Vorsichtig zieht Kukui seinen Pokédex hervor und richtet ihn auf das unbekannte Ding. Das Gerät bestätigt ihm, dass es sich dabei tatsächlich um ein Pokémon handelt. Die Größenangabe in der Auflistung stimmt allerdings nicht mit diesem Exemplar überein, weshalb es sich hierbei wohl wirklich um den Herrscher handeln muss. Doch entgegen der, die sie schon gesehen haben, ist dieser hier doch ziemlich klein, was nicht unbedingt verwunderlich ist, wo das Original gerade mal zwanzig Zentimeter misst und dieser Herrscher es nicht mal auf einen Meter bringt. „Nich‘ dein Ernst!?“, erwidert der Schwarzhaarige das Ganze. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass das hier wirklich ein ernstzunehmendes Herrscher-Pokémon sein soll. „Is‘ ja lachhaft!“, verkündet er. Jegliche Angst und all die Qualen zuvor sind völlig von ihm abgefallen und ein herausforderndes Grinsen schleicht über sein Gesicht. „Wenn ich es doch sage. Im Pokédex steht, dass es ein überaus schreckliches Pokémon ist, das einem einen tödlichen Schock versetzen kann, wenn man seine wahre Gestalt zu sehen bekommt.“ Bromley legt die Stirn in Falten. „So’n Schwachsinn! Das sind alles nur Schisser! Ich werd’s dir beweisen!“, verkündet er nachdrücklich und greift nach einer Ecke des Lumpens. „Nein! Tu es nicht!“, warnt Manuel ihn noch. Das Mimigma versucht sich vehement dagegen zu wehren, dass man ihm unter sein Kostüm blickt, doch der Schwarzhaarige ist zu hartnäckig. „Ich wette, da hockt so’n ganz trauriges Etwas drunter, dass so hässlich is‘, das...“, er kann den Satz nicht mehr beenden, da fällt sein Blick auf das Unbekannte unter dem Lumpen. Es gleicht einem Wunder, dass außer Bromley niemand die wahre Gestalt von Mimigma zu Gesicht bekommt, sonst wäre es jetzt um sie alle geschehen. Der Anblick ist so unbeschreiblich und gleichzeitig so entsetzlich, dass ein greller Blitz durch seinen mitgenommenen Schädel jagt und seinem Hirn einen heftigen Schlag verpasst. Der Käfer-Trainer zieht überrascht die Luft ein, zitternd lässt seine Hand den Zipfel los, seine Augen verdrehen sich, bis nur noch das Weiße zu sehen ist und dann bricht er einfach zusammen. Erschrocken beugt sich Manuel über ihn. „Um Himmels willen, Bromley! Sag doch was!“ Er schüttelt den großen Jungen durch, doch er bekommt keine Reaktion. Mit einer Mischung aus Zorn und Angst blickt er das Geister-Pokémon an, als wolle er es dafür strafen, dass es seinem Freund so etwas angetan hat. Das Mimigma macht sich ganz klein, als wäre es schuldbewusst und weicht ein Stück zurück. „Was hast du nur getan?“, fragt er das Lumpenwesen mit brüchiger Stimme, während die ersten Tränen seine Wangen hinabrinnen. Plötzlich leuchten die Augen des Geistes auf. Es sieht sich keiner Schuld bewusst, immerhin hat es versucht ihm zu entkommen. Es ist, als würde sich Mimigma bewusstwerden, dass es hier das Herrscher-Pokémon ist und sich so etwas nicht gefallen lassen muss. Mit einem wütenden Laut bringt es mehr Abstand zwischen sich und die Anwärter. Dies nehmen Wolwerock und Reißlaus als Startschuss auf. Mutig stellen sie sich diesem Ding entgegen. Manuel hält seinen Freund derweil in den Armen und denkt nach, wie er diesen Kampf für sich entscheiden und ihm helfen kann. „Wolwerock, setz Feuerzahn ein!“, ruft er der Fähe zu. Diese lässt ein bedrohliches Knurren hören und sprintet dann mit flammendem Maul auf das Mimigma zu. Das Lumpenwesen ist schnell und huscht lautlos über den rissigen Boden, um dem Angriff zu entkommen. Das hat Kukui schon befürchtet. „Reißlaus, versuch es mit Wasserdüse zu Wolwerock zu treiben!“, harscht er den Käfer an. Zustimmend fiept die Assel und scheißt einen harten Wasserstrahl in Richtung des Geistes. Wie der Brillenträger gehofft hat, weicht Mimigma nun dem Wasser aus und verliert für einen Moment die Aufmerksamkeit für die Fähe. Diese sieht ihre Chance, als sich der Geist von der Nässe entfernt und packt ihn mit ihren glühenden Zähnen. Rasant breiten sich die Flammen auf dem alten Stoff aus und werden ihn jeden Moment vernichten. Erschrocken wird Kukui bewusst, dass auch er dann Mimigmas wahre Gestalt sehen können wird und sodann wie Bromley endet. Doch es ist zu spät. Wolwerock lässt von ihm ab und nun passiert etwas Seltsames. Plötzlich verpuffen die Flammen einfach, die gerade noch das Kostüm verkohlt haben. Der Lumpen leuchtet auf und jetzt kippt auf einmal der Kopf des Wesens auf die Seite, als hätte es sich den Hals gebrochen. Zur gleichen Zeit entspringt Mimigmas Herrscher-Aura in einem rötlichen Schleier. Überrascht stellt der Brünette fest, dass der Geist entgegen seiner Annahme scheinbar keinerlei Schaden durch den Angriff erlitten hat. Fragend blickt er auf den Pokédex hinab. „Das war seine Fähigkeit!? Damit hat es den Angriff einfach neutralisiert...“ Zweifelnd blickt er den Geist an. „So ein Mist. – So einfach werden wir es jetzt sicher nicht mehr erwischen können...“ Die beiden Pokémon wirken mindestens genauso irritiert darüber, doch ihnen bleibt keine Zeit sich zu wundern, da Manuel ihnen schon einen neuen Angriff befiehlt. 9 Tief in Bromley entsteht eine kalte Gewissheit, und diese Gewissheit ist, dass er den Verstand verliert…! Das dies der sichtbare Beginn eines stetig weiterwachsenden Verfalls seiner geistigen Kontrolle ist, ahnt er in diesem Moment jedoch noch nicht und es wird auch das letzte Mal sein, das er sich dieser Gewissheit bewusst ist. Doch der Wahnsinn steckt schon seit seiner Geburt in ihm, hat bis jetzt aber eher friedlich geschlafen und nur manchmal sein bizarres Gesicht an die Oberfläche geführt. Allerdings ist er nun wach und ausgeruht und somit ein fester Bestandteil von Bromley´s Leben, der immer weiter und immer schneller heranwachsen wird, bis zum kritischen Augenblick! Der letzte, klare Gedanke, den er nach dem Blick auf Mimigmas wahres Gesicht hat, bevor sich die Panik wie eine Decke über ihn senkt – oder wie ein Leichentuch-, ist eigentlich ein Bild, das vor seinem geistigen Auge erscheint: Es ist Manuel, der ihn liebevoll anlächelt, ehe das unbekanntes Etwas unter Mimigmas Lumpen ihm vor seinen Augen den Kopf abreißt! Erschrocken presst der Schwarzhaarige die Augen zu und versucht die Wirklichkeit wiederzufinden. Allerdings findet er sie erst wieder, als er die Stimme des Jungen hört, der gerade in seinem Kopf gestorben ist. „Bromley?“ Langsam kommt er wieder zu sich und wendet Kukui das verschwitzte Gesicht zu und Manuel stellt entsetzt fest, wie erschöpft, bleich und angespannt der Schwarzhaarige doch aussieht. Dieses Gesicht hat etwas Furchterregendes an sich, aber erst sehr viel später,- als sich ihre Wege auf tragische Weise trennen-, wird er begreifen, woran das liegt: Es ist das Gesicht eines Jungen, der an den Rand des Wahnsinns getrieben wurde; eines Jungen, der letztlich vielleicht ebenso wenig in der Lage sein wird, simple Beherrschung an den Tag zu legen, wie sein brutaler Vater… „Was is‘ passiert?“, presst der Käfer-Trainer schwach hervor. Eine Antwort bekommt er nicht, denn Kukui zieht ihn weinend in seine Arme. Etwas überrascht lässt Bromley es zu. Dann vernehmen die beiden Trainer das schmerzliche Aufschreien ihrer Pokémon. Geschockt besehen sie sich das Kampffeld. Schwerfällig stemmen sich Wolwerock und Reißlaus auf die Füße zurück und gehen wieder zum Angriff über. Doch Mimigma hat die Nase gestrichen voll. In Windeseile huscht es davon. Leichtfüßig saust es an einer Wand hoch und blickt zu den vieren hinab. „Wolwerock, Steinwurf!“ „Sweetheart, Wasserdüse!“ Fest entschlossen bringen sich die beiden Pokémon in Position und feuern, doch ehe ihre Angriffe treffen, wehrt der Geist sie einfach ab. Sekunden später leuchten die Augen des Wesens bedrohlich auf und unter seinem Lumpen beginnt sich etwas zu bewegen. Daraus hervor schießen plötzlich zwei Schatten. Sie sehen aus wie Klauen und sind in lilafarbene Energie getaucht. Die Dunkelklauen werden immer länger und schlängeln sich mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit über den rissigen Boden. Ehe sich die Pokémon dem Ganzen überhaupt bewusst sind, werden sie von den Schatten ergriffen, in die Luft gehoben, beinahe bis zum Knochenzerbrechen gedrückt und dann zu Boden geworfen. „Ach du krasser Scheiß, nein!“, entkommt es dem Schwarzhaarigen und er springt auf, um sich um sein verletztes Pokémon zu kümmern. Allerdings lässt Mimigma das nicht zu und schleudert den Jungen mit seiner Dunkelklaue einfach zur Seite. Erschrocken springt auch Kukui auf und erleidet Sekunden später dasselbe Schicksal. Schwer getroffen liegen die Jungs am Boden, während der zornige Geist langsam auf sie zukommt, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen. Im letzten Moment gelingt es aber Wolwerock und Reißlaus dazwischen zu gehen. Fauchend und knurrend versuchen die beiden ihre Trainer zu beschützen. Für einen Augenblick hält Mimigma inne und betrachtet den Mut der treuen Begleiter, kurz darauf entbrennt ein heftiger Schlagabtausch zwischen den dreien, den die Trainer entsetzt verfolgen. Der Wolf und die Assel landen einige Treffer, dennoch müssen sie weit mehr einstecken, als das Lumpenwesen. Schließlich packen die Dunkelklauen sie erneut und heben sie in die Luft, beginnen die letzte Energie aus ihnen herauszuquetschen. „Nein! Hör auf, bitte! Es tut mir leid!“, brüllt Bromley in Tränen erstickt. In seinem Kopf dröhnt es noch immer und er denkt, dass er ganz allein am Schicksal der beiden Schuld ist, weil er so respektlos war und unter den Lumpen geblickt hat. Mimigma wendet ihm den Blick zu und lässt dann die Fähe einfach zu Boden fallen. Jaulend landet sie direkt neben Kukui, der sie versucht wieder auf die Beine zu bringen. Reißlaus hingegen wird auch weiterhin von den Klauen umschlossen und sie drücken immer weiter zu. Der Schwarzhaarige bekommt dadurch nur noch mehr das Gefühl, dass sich das Lumpenwesen rächen will. Es will ihn leiden sehen, ihn brechen und ihm seinen geliebten Partner nehmen. Eine zweite Dunkelklaue schlingt sich um die wehrlose Assel und quetscht sie noch viel weiter zusammen. Ihr markerschütterndes Fiepen brennt sich in Bromley’s Kopf ein und er sinkt schreiend auf die Knie. ‚Bromley, was treibst du denn da?‘, ertönt die Stimme seines Vaters in seinem Geist und veranlasst ihn dazu, die Worte im selben Moment laut auszusprechen. Erschrocken zuckt Manuel dabei zusammen. „Oh, bitte nicht jetzt...“, gibt er erstickt von sich, als sich sein Partner in seinem vernichtenden Mantra verliert und sich wie ein geschlagener Hund zusammenkauert. Das einzig Positive daran ist vielleicht, dass es hier nichts gibt, womit er sich verletzen könnte, was es aber auch nicht besser macht, da er sich so auch nicht gegen einen möglichen Angriff wehren kann. Leicht verwundert blickt Mimigma den Schwarzhaarigen an, dann drückt es noch einmal fest zu und wirft ihm Reißlaus dann direkt vor die Nase. Reglos bleibt die Assel auf dem Rücken liegen, die kurzen Beinchen im Schmerz verkrampft, die Fühler völlig zerknickt. Fassungslos sieht Manuel hinüber, während Wolwerock den Rest ihrer Medizin schluckt. „Oh, heiliges Kapu...“, bringt er schwach hervor und wendet den Blick dann betroffen wieder ab, nicht sicher, ob Reißlaus überhaupt noch lebt. Bromley hebt langsam, wie ferngesteuert den Kopf und blickt auf den reglosen Käfer hinab. Die Stimme seines Vaters hat noch nie so laut in seinem Kopf gebrüllt, wie in diesem Augenblick. Der große Junge beginnt herzzerreißend zu schreien und sich die Haare zu raufen. Heiße Tränen rinnen ungehalten seine Wangen hinab und perlen auf den grotesk eingedrückten Panzer des reglosen Käfers hinab. Mimigma lässt sich davon jedoch weder rühren noch abhalten. Zornig fauchend huscht es näher heran und streckt seine Dunkelklauen nach dem am Boden zerstörten Trainer aus. Wenige Millimeter, bevor ihn die verheerende Attacke treffen kann, beginnt der geschundene Körper von Reißlaus auf einmal hell zu glühen! Erschrocken zieht das lichtscheue Geister-Pokémon seinen Angriff zurück und entfernt sich hastig. Das grelle Licht scheint den ganzen Raum einzunehmen und macht es unmöglich etwas zu erkennen. Als es nachlässt, hockt Bromley noch immer ganz klein zusammengekauert auf dem Boden, während sich jetzt aber ein großer Schatten schützend über ihn erstreckt. Aus dem einstmals hellen Fiepen der Assel ist nun ein bedrohlich zischendes Fauchen geworden, das dem großen Samurai noch mehr Beeindruckendes verleiht. „Ein Tectass? Ich glaube es nicht...“, bringt Kukui stockend hervor, während der Schwarzhaarige langsam aufschaut. Er traut seinen Augen kaum, lag doch eben noch der schwer mitgenommene Körper seiner süßen Assel vor ihm und nun steht dort ein riesiger Krieger-Käfer hinter ihm. „Sweetheart?“, fragt er den Samurai irritiert. Der schwergepanzerte Käfer senkt den Blick, streckt die breite Zunge heraus und leckt ihm sanft über die tränenfeuchten Wangen. Dann hebt sie wieder den Kopf, weil Mimigma lange genug gewartet hat und nun einen weiteren Angriff startet. Die gefährlichen Dunkelklauen halten erneut auf sie zu. Allerdings hat Tectass bei ihrer Entwicklung auch eine neue Attacke gelernt, die sie nun instinktiv einsetzt, um ihren Trainer zu beschützen. Mit den großen, krallenbesetzten Armen stürmt sie nach vorn, durchbricht Mimigmas Verteidigung, überrumpelt das Pokémon somit und landet einen harten Treffer, ehe das Geist seine Attacke einsetzen kann. Schwer vom Überrumpler getroffen schlittert das Lumpenwesen über den rissigen Boden und versteht im ersten Moment nicht einmal, was eigentlich passiert ist. Viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, hat es auch gar nicht, da trifft ihn schon die harte Wasserdüse des Samurai und gibt ihm endgültig den Rest. In einer schwindenden Pfütze bleibt Mimigma reglos liegen, während seine Herrscher-Aura allmählich erlischt und der Kampf damit endlich zu Ende ist. 10 Stück für Stück schiebt sich die Sonne über den Horizont und verwandelt das Meerwasser erneut in ein feuriges Spektakel. Mit einem ratschenden Geräusch öffnet sich langsam der Reißverschluss des Zeltes und der Captain kommt gähnend heraus. Ein prüfender Blick auf seine Uhr verrät ihm, dass es Zeit wird die jungen Trainer von ihren Qualen zu erlösen. Die Nacht hindurch gab es ganz schönes Gerumpel in dem verlassenen Laden, scheinbar haben die Geister-Pokémon den beiden ziemlich zugesetzt. Daher empfindet es der Langhaarige fast schon als Wunder, dass sie die Prüfung nicht abgebrochen haben. Mit gemächlichen Schritten nähert er sich dem Eingang des Ladens und sperrt die Tür wieder auf. Im Schein der aufgehenden Sonne wird das ganze Ausmaß dessen offenbart, was passiert ist. Scharf saugt der Teenager die Luft ein und lässt den Blick schweifen. Nichts, aber auch gar nichts steht noch an seinem Platz. Der ganze Laden wurde praktisch neugestaltet. Leicht schüttelt er den Kopf, doch ein kleines Lächeln liegt auf seinen Lippen. „Da habt ihr euch ja ganz schön ausgetobt.“, richtet er seine Worte an die unsichtbaren Wesen in dem verwüsteten Gebäude. Suchend blickt er sich nach den beiden Trainern um. Hier irgendwo werden sie sich verkrochen haben, doch in dem ganzen Durcheinander wird es nicht leicht sein sie zu finden. Vorsichtigen Schrittes bahnt er sich seinen Weg vorbei an umgestürzten Regalen, verbogenen Einkaufswagen, zerrissenen Kartons, verbeulten Dosen und allerhand mehr. „Jungs? Kommt her, die Prüfung ist vorbei! – Jungs?“ Der Captain lauscht in die bedrückende Stille des Ladens, doch nirgendwo regt sich auch nur das kleinste Bisschen. „Hey, sitzt ihr auf euren Ohren?“, fragt er nun lauter. Der Langhaarige hat schon den halben Laden durchquert und immer noch kein Lebenszeichen von den Trainern erhascht. Allmählich kommt Sorge in ihm auf. Was ist, wenn ihnen tatsächlich etwas passiert ist? Er kennt seine Geister-Pokémon seit sie ganz kleine Gaswölkchen waren und vertraut ihnen, dennoch tragen sie ein schier unberechenbares Wesen in sich, das selbst er nicht einzuschätzen oder zu kontrollieren vermag. Und das vorherrschende Chaos hier verrät ihm ganz deutlich, dass es diesmal nicht besonders sanft zugegangen ist. „Verdammt...“, gibt er gepresst von sich. Zwar hatte er sich eine spektakuläre letzte Prüfung gewünscht, um zufrieden als Captain abdanken zu können, doch er hatte dabei allerhöchstens an nasse Hosen und nicht an verschwundene Kinder gedacht. „Der Inselkönig wird mich umbringen, wenn ich die Bengel nicht finde...“, entkommt es ihm betroffen. „Jungs? Nun kommt endlich raus! Hört ihr nicht?“, versucht er es ein weiteres Mal vergeblich. Allerdings regt sich dann doch etwas. Dummerweise handelt es sich dabei nur um Nebulak. Unsicher schwebt der Gasball zu ihm heran. „Hey, Kumpel. Wo habt ihr die Trainer versteckt?“, fragt der Captain das Pokémon. Der Geist schwebt unschlüssig vor ihm herum und brabbelt etwas in seiner unverständlichen Sprache vor sich hin. Seufzend hört der Langhaarige ihm zu. Er versteht vielleicht nicht, was das Wesen ihm im Einzelnen mitteilen will, doch sein Tonfall gefällt ihm gar nicht. Irgendetwas ist also wirklich vorgefallen. Schließlich tauchen auch Alpollo und Gengar auf. Auch sie wirken etwas bedrückt und unsicher, können ihm aber auch nicht verständlich machen, was passiert ist. Allerdings muss es selbst ihnen Angst gemacht haben, weshalb nur einer dafür in Frage kommt. „Mimigma? Wo steckst du? Lass sofort die Jungs gehen!“, ruft der Captain angesäuert in den schummerigen Laden hinein. Es dauert eine Weile, dann lässt sich der Herrscher tatsächlich blicken. Lautlos huscht das Lumpenwesen heran. „Da bist du ja. Wo sind die Trainer? Was hast du mit ihnen gemacht, um Himmels willen?“, tadelt er den Geist. Dieser druckst etwas herum, als wäre ihm die Antwort unangenehm. „Was hast du getan?“, fragt der Langhaarige nun aufgebracht. Das Geisterwesen blickt ihn plötzlich zornig an, fängt an zu schimpfen und dann huscht es ungehalten auf die offenstehende Tür zu. „Nein! Halt, warte!“, befiehlt der junge Mann, doch es ist bereits zu spät, Mimigma ist nach draußen entflohen und wird sich irgendwo bis zum Sonnenuntergang verstecken. Betroffen blickt er dem Pokémon hinterher und setzt dann seine aussichtslose Suche nach den Anwärtern fort. 11 Von alledem bekommen Bromley und Manuel nicht wirklich etwas mit. Arm in Arm liegen sie noch tief im Schlaf und versuchen das Geschehene der Nacht zu verarbeiten. Langsam beginnt sich jedoch Wolwerock zu regen. Verschlafen gähnt die Fähe und streckt sich dann ausgiebig. Sie wirft einen liebevollen Blick auf die beiden Trainer, die eng aneinander gekuschelt in den schützenden Armen von Tectass träumen. Dann setzt sie sich hin und blickt sich um. Der Raum, in dem sie gestern so erbittert gegen Mimigma gekämpft haben, hat wieder seine ursprüngliche Größe angenommen, weshalb er jetzt ziemlich beengt wirkt, besonders wo aus der kleinen Assel jetzt ein zwei Meter großer Krieger geworden ist. Allerdings findet der Wolf diese Enge ganz angenehm. Es erinnert sie an einen Bau und sie fühlt sich ihrem Rudel so noch viel verbundener. Stillschweigend blickt sie auf den Spalt unter der Tür, der nun um einiges heller ist, als gestern Abend. Sie vermutet, dass inzwischen die Sonne aufgegangen sein muss. Prüfend schnüffelt sie und tatsächlich kann sie frische Luft riechen. Nun mischen sich auch Schritte und Stimmen dazu. Etwas Vertrautes, es klingt wie der junge Mann, der sie hier hereingelassen hat, zudem die Stimmen der drei Geister-Pokémon, die sich ihre fiesen Spielchen mit ihnen erlaubt haben. Beim Gedanken daran schleicht sich ein verstimmtes Knurren die Kehle des Wolfes empor. Jedoch wird es nicht laut, da sich die Geister irgendwie komisch anhören – betroffen, fast schon verschreckt. Die Fähe legt den Kopf schief. Etwas scheint die anderen Pokémon zu beunruhigen und das überträgt sich auch auf den Captain. Nicht lange später beginnt er mit dem Herrscher zu schimpfen, der seinen Fehler jedoch nicht einsehen will und schließlich verschwindet. Schließlich sind nur noch die Schritte des jungen Mannes zu hören und seine Rufe – alle Geister haben sich verzogen. Jegliche Gefahr scheint also vorbei. Gut, dann können sie diesen unheimlichen Ort ja endlich verlassen. Die Fähe wendet den Kopf zu den drei anderen herum. Im Halbdunkeln kann sie sehen, dass sie von Sweetheart angestarrt wird. Es ist schon merkwürdig sie so zu sehen, so groß und imposant, weit entfernt von der schreckhaften Assel, die sie vor wenigen Stunden noch gewesen ist. Dennoch fühlt sich Wolwerock sehr wohl in ihrer Nähe, sind sie doch nun beide erwachsen und können unerschrocken auf die beiden Jungs aufpassen. Als hätte Tectass ihre Gedanken gelesen, schließt sie ihre großen Arme noch enger um die beiden Trainer und raunt der Fähe durch ihre Barten hindurch zu. Das Gesteins-Pokémon nickt zustimmend zurück. Es wäre zwar eine unglaubliche Schande die zwei zu wecken, doch es muss sein. Dies ist kein Ort, an dem man länger als nötig bleiben sollte. Sanft gleitet Wolwerock mit ihrer warmen Zunge über Manuels Wange, bis er sich zu regen beginnt. Gähnend reibt er sich die Augen und richtet seine Brille. „Was...?“, fragt er verschlafen und versucht sich zu orientieren. Er braucht eine Weile, ehe es ihm im Halbdunkeln gelingt. Dann jedoch hört er die nahezu verzweifelten Rufe des Captains und ihm wird klar, dass es Morgen ist und sie sich immer noch in diesem seltsamen Hinterzimmer befinden, nur das es jetzt wieder seine ursprüngliche Größe angenommen hat. Er gähnt noch einmal und dann setzt er sich vorsichtig hin. Tectass öffnet ihre Arme, um ihm Platz zu machen und wird dabei überrascht von dem Brillenträger betrachtet. Schließlich fällt ihm wieder ein, was alles passiert ist und er streicht dem riesenhaften Käfer etwas zaghaft über die gepanzerte Brust. Der Samurai gibt ein fast schon schnurrendes Geräusch von sich und gleitet dann mit seiner breiten Zunge über Bromley´s Wange. Murrend versucht sich der Schwarzhaarige dem zu entziehen, doch dann wird er von Kukui wachgerüttelt. „Du musst aufstehen, es ist schon Morgen.“, teilt er seinem Partner mit und erhebt sich. „Mir doch egal...“, brummt der andere Junge und kuschelt sich enger an das große Pokémon. Dieses leckt ihm wieder über die Wange, wodurch er dann doch die Augen öffnet. „Is‘ ja gut, lass das...“, kommt es mit belegter Stimme von ihm. Dann starren sich die beiden einfach nur an, bis Bromley realisiert, dass Reißlaus nicht mehr da ist. „Geiler Scheiß!“, platzt es aus ihm heraus und er steht auf, um den großen Krieger genauer zu betrachten. Manuel gönnt ihm einen Moment, dann dringt wieder die immer verzweifelter werdende Stimme des Captains in sein Ohr. „Wir müssen los. Man sucht schon nach uns.“, teilt Kukui ihm dann mit. 12 „Das kann doch einfach nicht wahr sein. Wo stecken die Bengel bloß...?“ Die Verzweiflung steht dem jungen Mann deutlich ins Gesicht geschrieben und immer schaurigere Dinge formen sich in seinem Kopf, was Mimigma mit ihnen angestellt haben könnte. „Suchste etwa uns?“, mischt sich plötzlich eine andere Stimme ein. Erschrocken wendet sich der Langhaarige um und traut seinen Augen kaum. „Da seid ihr ja! Um Himmels willen, wo habt ihr denn bloß gesteckt? Ich habe schon den ganzen Laden abgesucht...“, tadelt er die beiden halbherzig. „Wir waren in dem Hinterzimmer und mussten erst einmal wach werden. Daher haben wir dich nicht gleich gehört.“, entschuldigt sich der Brünette. Verwundert mustert sie der Größere. „Hinterzimmer? Hier gibt es gar kein Hinterzimmer...“ „Logo, da drüben. Siehste?“, gehaart Bromley und zeigt auf die Tür. Allerdings ist dort keine mehr. Nichts deutet daraufhin, dass es dort jemals eine gab. „Krasser Scheiß, die is‘ weg...“ Mit erhobener Augenbraue betrachtet sie der Captain. „Ich denke, ihr wart etwas zu lange hier drin, Leute. – Doch egal, es ist Morgen und ihr könnt wieder raus. – Und ich denke, ihr seid dem Herrscher begegnet. Mimigma schein mir ziemlich aufgebracht.“ „Ja, es war wirklich erschreckend. So einen heftigen Kampf habe ich noch nie erlebt, aber wir haben es geschafft.“, erläutert der Brillenträger und zeigt ihm die Z-Kristalle von Typ Geist, die das Lumpenwesen ihnen dagelassen hat. „Habe ich mir schon fast gedacht. – Somit habt ihr die Prüfung bestanden und könnt euch jetzt dem Inselkönig in Po‘u stellen, damit ihr zur letzten Insel – Poni – gehen könnt. Und falls es euch interessiert, der König kämpft mit Elektro-Pokémon. Also viel Glück, Jungs.“ Der Langhaarige versucht sich an einem Lächeln, dennoch macht ihm Sorgen, was in dieser Nacht wohl alles passiert sein mag. Nach außen hin lässt er sich das aber nicht anmerken, ist irgendwie froh, dass es die letzte Prüfung war, die er abhalten durfte und er den Geister-Pokémon somit ihre verdiente Ruhe gönnen kann. Langsam führt er die Jungs zurück nach draußen ins Sonnenlicht und blickt ihnen noch eine ganze Weile nach, als sie den tiefschwarzen Strand zurück zum Dorf der Kapu entlanggehen. Hosted by Animexx e.V. 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