Crazy like a skull von RaoulVegas (Das Paradies hat einen Haken) ================================================================================ Welcome to the jungle! ---------------------- 1 In der Zwischenzeit sind vier anstrengende Monate vergangen. Den beiden Trainern ist es gelungen den Weg nach Lili‘i unbeschadet zurückzufinden und dort gegen Inselkönig Hala anzutreten. Es war ein harter Kampf, das muss man schon sagen. Mittlerweile haben die Jungs aber ein ziemlich gutes Verhältnis zu ihren Pokémon aufgebaut und auch gegenseitig können sie sich blind vertrauen. Bromley‘s Kraft und Ausdauer gepaart mit Manuels analytischem Denken ergeben zusammen eine sehr gute Mischung, die es ihnen ermöglicht hat, Hala zu besiegen. Zudem haben sie den Z-Kristall vom Typ Kampf von dem rundlichen Mann bekommen und einen Stempel in ihrem Trainerpass, der es ihnen gestattet nach Akala, der zweiten Insel auf ihrer Wanderschaft, zu reisen. Akala ist um einiges größer als Mele-Mele. Mehrere Dörfer finden sich hier und eine ausgeprägte Natur, mit viel Grün, endlosen Routen, Tunneln, Bergen, einer Farm und sogar einer Hotelanlage mit eigenem Strand für die zahlreichen Touristen aus anderen Regionen. Am Eindrucksvollsten ist aber wahrscheinlich der gewaltige Vulkan im Norden der Insel. Sein Anblick prägt die Gegend und spuckt er Feuer, kann man dies von jedem Fleck in Alola aus betrachten. Wegen der Größe der Insel gibt es auf Akala auch gleich drei kleine Prüfungen, die man bestehen muss, ehe man gegen die Inselkönigin antreten darf. Sie richten sich dabei an den vorherrschenden Elementen aus, sodass man hier Z-Kristalle vom Typ, Wasser, Feuer und Pflanze bekommt und als Abschluss von der Inselkönigin den vom Typ Gestein. Doch von der Königin und ihrer großen Prüfung sind die zwei noch weit entfernt. Dennoch fühlen sie sich heute für ihre dritte und letzte kleine Prüfung bereit. Ihre erste Prüfung war vom Typ Wasser und daher eine echt harte Herausforderung für Wuffels, doch gemeinsam haben sie sie gemeistert. Die zweite Prüfung fand auf dem mächtigen Vulkan statt und bildete damit ein extremes Gegenteil zur vorherigen Prüfung, sodass diesmal Reißlaus ihre liebe Mühe damit hatte. Die letzte Prüfung soll nun im Schattendschungel neben dem Vulkan im Norden Akalas stattfinden. Der Weg dahin war schon mal alles andere als leicht und zudem sehr weit. Doch nun stehen sie am Eingang dieses natürlichen Irrgartens und fragen sich, was sie diesmal wohl erwarten wird. Wissen tun sie nur, dass hier hauptsächlich Pflanzen-Pokémon heimisch sind. Gegen diesen Typ hat sowohl Reißlaus eine gewisse Schwäche, wie auch Wuffels, obwohl es für den Welpen heftiger ausfällt. Ein Vorteil ergibt sich jedoch für Kukui, da die kleine Hündin ja Feuerzahn beherrscht und so den aufdringlichen Pflänzchen ordentlich versuchen wird einzuheizen. Sweethearts Wasserdüse ist hingegen eher eine Wohltat für die Gewächse und somit nahezu unbrauchbar. Die zwei Trainer müssen sich also etwas einfallen lassen, um ihre Nachteile in Vorteile umzuwandeln. Die Pokémon an sich sind aber nicht ihr einziges Problem. Die kleinen Prüfungen bestehen ja nicht nur aus einem schlichten Kampf um den Z-Kristall, wie die große Prüfung gegen das Oberhaupt der Insel, sondern aus Aufgaben und Rätseln, die erst erledigt und gelöst werden müssen, ehe das Herrscher-Pokémon überhaupt auftaucht und damit der eigentliche Teil der Prüfung beginnen kann. Denn erst, wenn es den Trainern gelingt die Aufmerksamkeit dieses äußerst starken Pokémon auf sich zu lenken, besteht überhaupt die Chance die Prüfung zu bestehen. Hat das Herrscher-Pokémon keine Lust zu kämpfen, müssen die Anwärter wohl oder übel aufgeben und es zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal versuchen, in der Hoffnung, dann den Herrscher für sich gewinnen zu können. Soweit wollen es die beiden aber ganz sicher nicht kommen lassen! 2 Mit einer gewissen Ehrfurcht betreten die beiden Trainer mit ihren Pokémon schließlich den Dschungel. Hier reihen sich verschiedenste Pflanzen dicht an dicht. Hohes Gras, üppige Büsche und dichte Bäume dominieren den Blick und lassen das ganze Areal in einem mystischen Spiel aus Schatten und Licht verschwimmen, was dem Dschungel auch seinen Namen verleiht. Zwischen dem schier undurchdringlichen Bewuchs schlängeln sich schmale Pfade und Wege ins ungewisse Innere dieses Irrgartens, führen einen im Kreis oder völlig in die Irre. Wenn man sich hier nicht auskennt, verliert man schnell die Orientierung und ist im schlimmsten Fall den hier lebenden Pokémon hilflos ausgeliefert. Doch das wird der Captain, der für die Prüfung zuständig ist, ganz sicher nicht zulassen. Wie aufs Stichwort kommt dieser auch schon aus dem dunklen Unterholz hervor, als die zwei den Eingangsbereich betreten. Oder besser gesagt, sie kommt hervor, denn bei dem Captain handelt es sich um eine etwa fünfzehnjährige Blondine, die die beiden Jungs und ihre Pokémon aufmerksam mustert. „Na, habt ihr zwei euch verirrt oder seid ihr hier, um meine Prüfung zu machen?“, scherzt sie etwas und lässt sich dann die gesammelten Z-Kristalle zeigen, um festzustellen, ob die Jungs schon an ihrer Prüfung teilnehmen dürfen oder nicht. Da Manuel und Bromley die Kristalle vom Typ Wasser und Feuer aber haben, nickt sie nur zufrieden und führt die beiden dann zur ersten Weggabelung im dichten Grün. „In Ordnung. Um das Herrscher-Pokémon anzulocken, müsst ihr ihm eine Opfergabe darreichen. Diese besteht aus vier bestimmten Beeren – Magobeeren um genau zu sein-, die ihr hier im Dschungel suchen müsst. Sie sind recht selten und somit nicht so leicht zu finden. Die hier heimischen Pokémon sind ganz vernarrt darin, weswegen sie euch nicht einfach so gestatten werden, sie mitzunehmen. Macht euch also auf einen heftigen Angriff gefasst. Wichtig ist außerdem auch, dass das Herrscher-Pokémon sehr wählerisch ist. Ihr müsst also sehr gut darauf aufpassen, dass ihr die Beeren unbeschadet hierherbringt, sonst wird es nicht auftauchen.“, erläutert die Blondine die Prüfung. „Kannste uns auch sagen, wo wa‘ die Beeren finden könn‘?“, hakt der Schwarzhaarige nach, da er weit und breit keinen Beerenbaum entdecken kann. Das Mädchen legt ein schelmisches Lächeln auf. „Nein, das kann ich nicht. Sie sind im ganzen Dschungel verteilt. Allerdings wachsen sie sehr langsam, weshalb ihr höchstens eine Beere pro Baum finden könnt. Ein Grund mehr, weshalb die Pokémon sie streng bewachen. Ihr könnt euch also nur auf den Weg machen und versuchen euch nicht zu verlaufen. Ich warte hier auf euch und versuche herauszufinden, ob das Herrscher-Pokémon gute Laune hat.“, grinst sie keck und deutet dann in die schattige Düsternis des Dschungels. Das Mädchen scheint auf jeden Fall Gefallen daran zu haben, die beiden zu verunsichern, doch so leicht machen es ihr die Trainer nicht. Mit entschlossenem Blick betrachten sie sich gegenseitig und dann ihre Pokémon, ehe sie sich gemeinsam auf die Suche begeben. 3 Die zwei versuchen sich die Tatsache, dass sie etwas überfragt sind, wie sie das Ganze anfangen sollen, nicht anmerken zu lassen – zumindest, bis die Blondine außer Sichtweite ist. „Haste irgend ‘ne Idee, wie wa‘ das anstellen sollen?“, fragt Bromley schließlich, als sie hinter einer Abzweigung stehenbleiben. Nachdenklich rückt sich Manuel seine Brille zurecht und sieht sich um. Um sie herum ist alles grün, durchzogen von einem schmalen, ausgetretenen Pfad. Büsche und Bäume drängen sich aneinander und konkurrieren um jeden noch so kleinen Sonnenstrahl. Wabernde Lichtpunkte durchkreuzen die vorherrschenden Schatten in einem seichten Lüftchen. Zudem raschelt es an unzähligen Stellen, wo sich scheinbar Pokémon aufmerksam durchs Unterholz bewegen und sie ganz sicher auch beobachten. „Naja, ich weiß zumindest wie so eine Magobeere aussieht und wenn wir eine hätten, dann könnte Wuffels ganz sicher danach schnüffeln. Fragt sich nur, wie lange das in diesem Riesengebiet dauern wird...?“, entkommt es dem Brünetten zweifelnd. „Wie sieht‘n so‘ne Beere aus? Hab‘ noch nie welche geseh‘n.“ „Sie ist knallrosa, ziemlich rund und hat einen geschwungenen, gelblichen Fortsatz am unteren Ende.“, erläutert der Ältere sachlich und deutet mit den Fingern die ungefähre Größe an. „So wie die da hinten?“ Stirnrunzelnd deutet der Schwarzhaarige in eine schmale Abzweigung neben ihrem Weg, an deren Ende sich ein kleiner Baum befindet. Überrascht dreht sich Kukui in die angedeutete Richtung. Als sein Blick auf die leuchtendhelle Beere fällt, die in all dem Grün regelrecht zu schreien scheint, klappt ihm ungläubig der Mund auf. Er macht ein paar Schritte in die Richtung. „Ja! Das ist tatsächlich eine Magobeere! Kaum zu fassen!“, entkommt es ihm begeistert. „Das wa‘ ja leicht...“, kommentiert der Jüngere schulterzuckend und schiebt sich an ihm vorbei. „Was machst du?“ „Na, die Beere holen, was sonst?“ Erschrocken sieht ihn Manuel an. „Nein, warte! Was, wenn da ein Pokémon lauert?“ „Na und? Wir brauchen sie und wenn da was is‘, dann is‘ es halt so. Wir machen alles platt, was uns zu nahekommt!“ Siegessicher streckt er seine Hand nach der Beere aus, während Kukui fast das Herz stehenbleibt. Aufmerksam hat er die Augen nach allen Richtungen gewendet und versucht dabei herauszufinden, wann und von welcher Seite sie angegriffen werden. Doch entgegen seiner Panik passiert gar nichts. Vorsichtig löst Bromley die Beere vom Ast und kommt zu ihm zurück. „Siehste?“, meint der Größere nur und reicht ihm die rosa Frucht. Mit einem mulmigen Gefühl sieht sich der Brünette noch einmal um, doch alles ist ruhig, nicht einmal Wuffels oder Reißlaus scheinen die Anwesenheit eines anderen Pokémon zu bemerken. Langsam entspannt er sich wieder und nimmt die erste Beere in Empfang. Akribisch prüft er sie, aber sie ist unversehrt. „Ok, das hätten wir. Aber sei nicht so leichtsinnig! Das hätte auch ins Auge gehen können.“, mahnt Kukui ihn halbherzig. Der andere verdreht nur leicht die Augen. „Mach dir nich‘ gleich ins Hemd. Zeig lieber Wuffels das Ding, damit wa‘ weitermachen könn‘.“ Etwas unschlüssig mustert Manuel seinen Freund, dann seufzt er schwer und beugt sich zu der Hündin hinab. Schwanzwedelnd schnüffelt sie an der großen Frucht. Ehe sie jedoch gierig hineinbeißen kann, zieht ihr Trainer sie wieder weg. „Glaubst du, du kannst noch so eine finden?“, fragt er das Gesteins-Pokémon stattdessen. Etwas irritiert legt der Welpe den Kopf schief, steht auf und drückt die Nase auf den Boden. Laut saugt sie die Luft ein und setzt sich dann langsam in Bewegung. „Ich hoffe, sie findet eine Spur...“ „Ach, wird schon!“, meint Bromley grinsend. Gemeinsam mit Sweetheart folgen sie Wuffels tiefer in den Dschungel hinein. Schnell verlässt die junge Hündin jedoch den ausgetretenen Pfad, schlüpft durch ein kleines Grasfeld und landet dann auf einem anderen Weg, der sie Richtung Osten führt. Die vier folgen diesem Pfad eine ganze Weile, dann entdecken sie neben dem Weg einen Haufen Steine, die zu einem Haufen aufgetürmt sind. Die Steine wirken hier irgendwie fehl am Platz und dennoch sehen sie nicht so aus, als hätte sie jemand hergebracht und wenn, dann ist dies schon sehr lange her. Sie fügen sich perfekt in die Umgebung ein und doch wieder nicht. An ihnen kommen die vier aber leicht vorbei. Allerdings ist das nicht der einzige Haufen Steine, wie sie hinter der nächsten Biegung feststellen müssen. Diesmal versperren die Brocken den ganzen Weg. Ein Vorbeikommen ist völlig unmöglich. Neben den Steinen ist die Vegetation so dicht, dass nicht einmal die Pokémon daran vorbeikommen würden, ohne sie zu zerstören oder sich im schlimmsten Fall zu verletzten. Wuffels ist jedoch der festen Überzeugung, dass sich eine zweite Beere auf der anderen Seite des Haufens befindet. „Und jetzt?“, fragt der Brillenträger, während er beobachtet, wie sein Pokémon aufgeregt vor den Felsen hin und her läuft. Prüfend tritt Bromley kräftig gegen die Steine. Es rührt sich nichts. „Klettern wa‘ einfach drüber.“, meint er trocken und setzt auch schon dazu an, seine Worte in die Tat umzusetzen. Unschlüssig betrachtet Kukui das Vorhaben. „Das sieht nicht sehr stabil aus...“, meint er schließlich. „Sei doch nich‘ immer so‘n Weichei! Ich bin größer und schwerer als du und wenn‘s mich aushält, hält‘s dich auch aus.“ Und schon ist der Schwarzhaarige oben angekommen. Feine Krümel Sand und Steine rieseln den Haufen hinunter, doch die Brocken bewegen sich nicht. Dann reicht der Jüngere ihm die Hand. „Nun komm endlich!“, fordert er ihn auf. Mit einem Seufzen ergreift Manuel seine Hand und lässt sich von ihm hochhelfen. Auf der anderen Seite rutschen sie wieder zu Boden und sehen sich um. In der Ferne ist tatsächlich ein weiterer Beerenbaum zu sehen, an dem sogar gleich zwei der kostbaren Früchte hängen. Damit müssten sie also nur noch eine weitere finden. Bevor sie jedoch die Beeren einsammeln, wird Kukui eines klar. „Wir haben Wuffels und Reißlaus vergessen!“, sein Tonfall klingt, als würde er sich für diese Dummheit jeden Moment selbst ohrfeigen wollen. „Die schaffen das schon.“, meint Bromley nur und ruft nach der Assel. Auf der anderen Seite des Haufens ertönen die Stimmen der beiden Pokémon. Kurz darauf erscheint Wuffels auf der Kuppe, flitzt dann aufgeregt herab und auf die Beeren zu. Reißlaus folgt einen Augenblick später, verweilt allerdings erschrocken auf den Steinen. Scheinbar hat sie ein ungutes Gefühl. Derweilen springt die Hündin aufgeregt vor den Beeren herum und fängt an zu bellen, um die Aufmerksamkeit ihres Trainers zu bekommen. Immerhin hat sie gefunden, was er verlangt hat und hätte somit gern ein Lob. „Ist ja gut! Das hast du toll gemacht!“, lobt Manuel den Welpen und tritt näher heran. Bromley beobachtet jedoch besorgt das Verhalten des Käfers, der sich immer noch nicht recht traut, von dem Haufen herunterzukommen. „Warte! Diesmal stimmt was nich‘...“, informiert er seinen Begleiter. Doch Kukui hat schon eine der Beeren in der Hand. „Was hast du gesagt?“, fragt er stattdessen verwundert. Ehe der Schwarzhaarige noch eine Warnung aussprechen kann, schießt auf einmal ein Schatten aus dem Unterholz hervor und entreißt dem überrumpelten Brillenträger die Beere. Das erschienene Imantis gibt ein wütendes Zischen von sich und versucht mit der Beere abzuhauen. „Na warte, du Biest! Sweetheart Wasserdüse!“, entkommt es Bromley verärgert. Von dem Steinhaufen jagt ein heftiger Strahl auf das Pokémon zu. „Das bringt nichts. Es ist vom Typ Pflanze!“, wirft Manuel ein und blickt dabei auf den Pokédex. So etwas hat sich der Größere schon fast gedacht, dennoch verfehlt die Attacke ihre Wirkung nicht. Das Imantis lässt sich davon zwar nicht beeindrucken, doch der harte Strahl trifft es mitten im Rücken, sodass es die Beere überrascht fallenlässt. Wütend zischend dreht sich das kleine Pokémon herum. Seine rötlichen Augen leuchten bedrohlich auf. Dann hebt es seine blattartigen Arme. Daraus hervor jagt ein Sturm aus messerscharfen Blättern, die alles in ihrer Nähe zerschneiden, gleich einer Schere, die man durch ein dünnes Stück Papier zieht. Das geschossgleiche Grün zerfetzt die Vegetation in der Nähe, schlägt krachend in die Steine ein, wühlt den Boden auf und zerreißt sogar etwas die Sachen der Jungs. Schützend kauern sich die zwei zusammen. Reißlaus zieht sich auf die andere Seite der Felsen zurück. Wuffels drückt sich erschrocken auf den Boden, bis eines der Rasierblätter über ihren Rücken schrammt. Schmerzlich jault die Hündin auf. Doch so lange ihr diese Geschosse um die Ohren fliegen, kann sie nichts tun, ohne selbst Schaden zu nehmen. Zum Glück endet die Attacke kurz darauf und das Imantis setzt dazu an, die Beere wieder einzusammeln und abzuhauen. Darauf hat der Welpe nur gewartet. Wütend beginnt Wuffels tief in der Kehle zu knurren und dann sprintet sie mit gebleckten Zähnen auf die Pflanze zu. Noch ganz im Schmerz und Schock gefangen, sehen die beiden Trainer mit an, wie die Zähne der Hündin Flammen bilden. Der feurige Biss des Vierbeiners trifft das Imantis vernichtend. Die kläglichen Schreie des verkohlten Pflanzen-Pokémon schallen durch den Dschungel, ehe es ihm gelingt sich loszureißen und die Flucht anzutreten. Mit wütendem Bellen und Knurren läuft Wuffels ihm ein Stück hinterher. Dann scharrt sie erhobenen Hauptes etwas Sand auf und kehr zu ihrem Trainer zurück. Noch ganz überrascht trennen sich die beiden Jungs voneinander und sehen sie an. „Du meine Güte! – Das hast du ganz wunderbar gemacht!“, entkommt es Manuel noch etwas fassungslos. Freudig springt ihm der Welpe in den Schoß und leckt ihm das Gesicht, reibt seinen Steinkragen an der Wange des Jungen. „Ist ja gut!“, versucht er sie wieder zu beruhigen. Das steinartige Fell um den Hals der Hündin kratzt schmerzlich über seine Haut, dennoch hat Kukui das Gefühl, dass er sich langsam an diesen Ausdruck ihrer Zuneigung gewöhnt. Bei den ersten Malen hat es immer noch angefangen zu bluten, wenn sie so stürmisch war, doch jetzt kratzt er einfach nur noch. „Verdammt...“, ertönt es plötzlich von Bromley, der während Manuels Kuschelstunde aufgestanden und zum Beerenbaum hinübergegangen war. „Was hast du?“, fragt der Brillenträger verwundert. „Alles umsonst, Mann! Das Biest hat mit seinen dämlichen Blättern die Beere plattgemacht!“, platzt es aus ihm heraus. Nun sieht es auch Kukui. Die zweite Frucht, die noch am Baum hing, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Kaum mehr als der Stiel und ein feuchttropfender Klumpen Fruchtfleisch sind mehr übrig. Von der Beere, die das Imantis mitnehmen wollte, fehlt zudem auch jede Spur. „So‘ne verdammte Scheiße!“, entkommt es dem Schwarzhaarigen zornig. Kraftvoll ballt der die Fäuste und schlägt gegen den Stamm des Beerenbaums. Mitleidig betrachtet ihn der Kleinere. Er sucht nach aufmunternden Worten, auch wenn er sich sicher ist, dass Bromley sie nicht hören will. Unschlüssig, ob er sie doch aussprechen soll, sieht er plötzlich, wie Reißlaus an ihm vorbeihuscht. Ein Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht. Der Käfer kommt neben seinem aufgebrachten Trainer zum Stehen und gibt ein Fiepen von sich. Kraftlos geht der große Junge neben ihr in die Hocke. „Na, wenigstens biste wieder da...“, bringt er missmutig hervor. Als er der Assel über den Panzer streichen will, weiten sich schlagartig seine Augen. „Was zum...?“, entkommt es ihm erstaunt. Auf dem platten Schwanz des Käfers liegt die Magobeere, die das Imantis mitnehmen wollte – auch noch vollkommen unversehrt! „Na, wenn das keine Trumpfkarte war, dann weiß ich auch nicht!“, meint Kukui schließlich. Grinsend zieht Bromley sein Pokémon in die Arme und drückt es stolz an sich. „Bist einfach die Beste!“ Lachend vor Glück und Erleichterung verweilen die vier noch einen Moment, ehe sie sich wieder auf den Weg machen. 4 Die vier entscheiden sich dafür den Weg neben dem Beerenbaum weiterzugehen, anstatt wieder über die Steine zu klettern. Diese haben unter dem Angriff des Imantis doch ziemlich gelitten und wirken nun wirklich nicht mehr so, als könnten sie das Gewicht der Jungs tragen. Doch Manuel ist zuversichtlich, dass Wuffels den richtigen Weg finden und sie wieder nach draußen führen wird. Nach einer Weile erreicht die kleine Truppe ein Art Moos bewachsene Steintreppe. Unten angekommen stellen sie erstaunt fest, dass sie wieder ganz am Anfang sind. Der blonde Captain kommt ihnen grinsend entgegen und betrachtet sie etwas belustigt. „Ihr habt dahinten aber einen ganz schönen Aufstand gemacht, was? Und? Gebt ihr auf?“, fragt das Mädchen in einem etwas herablassenden Ton. „Kannste knicken, Püppchen!“, entgegnet ihr Bromley frech und drückt ihr die beiden Beeren in die Hand, die sie schon gefunden haben. Etwas überrascht betrachtet die Blondine die großen Früchte, scheint sie doch gedacht zu haben, dass die zwei die Prüfung nicht schaffen. Dennoch vergeht ihre Überlegenheit nicht. „Gut, aber eure Prüfung ist ja noch nicht vorbei. Das Schlimmste kommt erst noch!“, ruft sie ihnen nach. Aber die beiden Trainer sind zuversichtlich auch noch den Rest zu schaffen, denn diese Genugtuung wollen sie ihr keinesfalls geben. So macht sich Wuffels wieder daran die Fährte einer weiteren Beere aufzunehmen. Nach kurzer Zeit erreichen sie die Stelle, an der sie durch Zufall die erste Beere gefunden haben. Diesmal ignoriert die Hündin aber das kleine Grasfeld, durch das sie vorhin gegangen sind und folgt stattdessen einfach dem ausgetretenen Pfad weiter Richtung Westen. Es dauert nicht lange, dann erreichen sie ein eher kleines Areal, das eng umgrenzt von der Vegetation daliegt. Etwa im Zentrum des Bereichs befindet sich ein einziger Baum, der von einer schmalen Grasfläche umrundet wird. Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen Beerenbaum, wie die vier schnell feststellen. Doch das macht überhaupt nichts, da Wuffels den richtigen Baum etwas weiter hinten am Rand der Vegetation findet. Bellend und mit wedelndem Schwanz steht sie davor und wartet darauf, dass ihre drei Begleiter zu ihr kommen. Etwas ernüchternd stellen die Jungs fest, dass an diesem Baum nur ein der begehrten Früchte wächst. Wenn sie diesmal also wieder von einem Pokémon angegriffen werden – was jetzt doch sehr wahrscheinlich ist, das Imantis hat ganz sicher seinen Freunden Bescheid gegeben – dann müssen sie verflucht aufpassen, dass der Beere nichts passiert. Etwas unschlüssig nähern sich die zwei dem Baum. Wuffels hat sich inzwischen etwas beruhigt und sitzt nun schwanzwedelnd auf dem Boden. Doch ihr vorheriges Bellen hat mit Sicherheit ausgereicht, um sämtliche Pokémon im Schattendschungel zu informieren. Ehe einer der beiden die Beere pflücken kann, besehen sie sich ihre Partner ganz genau. Die Hündin scheint noch zu sehr mit ihrem Stolz beschäftigt zu sein, einen weiteren Erfolg erzielt zu haben. Reißlaus hingegen wirkt schon wieder angespannt und sie soll mit ihrer Vorahnung auch recht behalten. Sie stoppt wie angewurzelt mitten auf dem Weg und nun wird auch der Welpe aufmerksam. Mit aufgestellten Ohren betrachtet sie den Käfer genau – inzwischen hat sie gelernt, was das Verhalten ihres Gegenüber alles bedeuten kann. Der Blick der Assel gefällt ihr nicht, noch weniger das nervöse Zucken der langen Fühler. Plötzlich springt der Vierbeiner auf, schnüffelt angestrengt in Richtung des Baumes und fängt dann an zu knurren. Förmlich im selben Moment springt ein Imantis aus dem Unterholz und kaum eine Sekunde später ein weiteres. „Scheiße, gleich zwei!“, entkommt es dem Schwarzhaarigen. Die beiden Pflanzen-Pokémon wirken weit weniger geduldig, als das vorhin. Vermutlich erst recht, weil sie ihren verletzten Artgenossen gefunden haben, der ihnen von den miesen Eindringlingen berichtet hat. Daher fackeln sie nicht lange. Ihre glühenden Augen durchbrechen die Schatten und kurz darauf fliegen den Fremden die scharfgeschliffenen Blätter nur so um die Ohren! Hilflos kauern sich die beiden Jungs hinter ein paar Büschen zusammen, doch es hilft nur bedingt. Ihre zwei Begleiter versuchen sich derweilen mehr oder minder mutig in den Kampf zu stürzen. „Wir müssen versuchen ihre Treffsicherheit zu senken, damit wir irgendwie an ihnen vorbeikommen...“, meint Manuel, während die rasiermesserscharfen Blätter der Imantis ihre Deckung schon fast völlig zerlegt haben. „Klingt nach ‘nem Plan.“, erwidert Bromley und steht vorsichtig auf, um einen Blick auf die Pokémon zu werfen. Der Angriff der Pflanzen-Pokémon ist zu flächendeckend, sodass sich Reißlaus und Wuffels mit Ausweichen und Verstecken beschäftigen, jedoch keinen Schritt näher an sie herankommen. „Sweetheart, setzt Sandwirbel ein!“, ruft er der Assel über das Getöse hinweg zu. Ruckartig zucken die Fühler des Käfers in seine Richtung und deuten ihm damit an, dass sie seinen Befehl gehört hat. In Windeseile huscht sie von einem Busch zum nächsten und feuert dann eine Ladung Sand auf die Imantis ab. Diese beenden getroffen den Angriff und versuchen sich den Staub wieder abzuschütteln, doch ganz gelingt es ihnen nicht und so blinzeln sie etwas skeptisch über das Kampffeld. „Sehr gut!“, entkommt es Kukui und er steht ebenfalls auf, um besser sehen zu können. „Wuffels, versuch die zwei mit deinem Feuerzahn außer Gefecht zu setzen!“, befiehlt er der Hündin. Diese erhebt sich etwas mühselig, schüttelt sich Sand und Blätter aus dem Fell und stürmt dann auf die Imantis zu. Diese sind von ihrer Sichtbehinderung ganz und gar nicht begeistert, weshalb sie nun nur noch wütender werden. Ihre blattartigen Arme beginnen plötzlich rot zu glühen und so stürzen sie sich dem Welpen entgegen, der mit brennenden Zähnen auf sie zu hechtet. „Ist das...“, setzt Manuel überrascht an. „Yo, Zornklinge. ‘ne Käfer-Attacke, die mit jedem Treffer stärker wird...“, ergänzt der Schwarzhaarige, was den anderen Jungen beunruhigt. Wenn Bromley von etwas Ahnung hat, dann von Käfer-Pokémon. Wuffels hat eine gewisse Schwäche gegen Angriffe vom Käfer-Typ, doch Reißlaus lässt das Ganze eher kalt. Allerdings steht die Assel im Moment auch nicht auf der Abschussliste der Pflanzen-Pokémon. Und genau diese Tatsache versucht Bromley jetzt auszunutzen. „Sweetheart, hol die Beere, schnell!“, verlangt er nachdrücklich. Das überaus flinke Insekt huscht fast wie ein Schatten durch das zerpflückte Unterholz und nähert sich dem Beerenbaum dabei unaufhaltsam und insbesondere ungesehen. Wuffels hingegen hat Glück, dass der Sandwirbel die beiden Imantis geschwächt hat und so fällt es der agilen Hündin nicht schwer, ihren Angriffen auszuweichen und den Abstand immer weiter zu verringern. Schließlich rammt sie knurrend ihre glühenden Zähne in eines der Gegner, welcher hilflos zu schreien beginnt, als sich das Feuer und der Schmerz über seinen sensiblen Körper ausbreiten. Allerdings kann der Welpe mit seinem Angriff immer nur ein Ziel attackieren und so kommt es, dass das zweite Imantis seinem Kollegen zur Hilfe eilt. Mit einem hefigen Schlag treffen seine Zornklingen Wuffels mitten im Rücken und schleudern sie zur Seite. Schwer getroffen rutscht der Vierbeiner über den Untergrund und prallt dann hart gegen den Stamm eines Baumes. Ein klägliches Jaulen entspringt ihrer Kehle und sie bleibt erschöpft liegen. „Oh nein! Wuffels, steh wieder auf, bitte!“, fleht der Brünette und geht auf sie zu. Doch da hat er die Rechnung ohne das wütende Imantis gemacht. Dieses setzt erneut Rasierblatt ein, um die Jungs auf Abstand zu halten und es gelingt Bromley gerade noch im letzten Moment, seinen Freund aus der Schussbahn zu zerren. „Nein, ich muss Wuffels helfen!“, protestiert er verzweifelt, doch der Größere hält ihn zurück. „Du hilfst ihr aber nich‘, wenn‘s dich selbst in Stücke reißt!“, schnauzt er sein Gegenüber kalt an. Kraftlos versucht der Welpe in der Zwischenzeit wieder auf die Füße zu kommen. Gerade, als sie es schafft halbwegs sicher zu stehen, treffen sie erneut die Zornklingen und strecken sie endgültig nieder. Doch damit gibt sich das Pflanzen-Pokémon nicht zufrieden – es sinnt nach Rache! Stattdessen setzt es wieder zum Angriff an. Ehe der wehrlose Vierbeiner jedoch weiteren Schaden nehmen kann, stürmt Reißlaus fest entschlossen heran. Ihr Käfertrutz reißt das Imantis von der Hündin weg. Obwohl das Pflanzen-Pokémon selbst eine Käfer-Attacke beherrscht, reagiert es dennoch ziemlich empfindlich auf diesen Typ. Nach diesem Angriff hat es erst mal die Nase voll. Etwas schwerfällig gelingt es ihm seinen Kollegen zu erreichen und sich dann mit ihm ins Unterholz zu verziehen. „Was zur Hölle...?“, entkommt es Bromley überrascht. Der Angriff seiner Assel war so schnell und heftig, dass er es kaum begreifen kann. Manuel hingegen hat nur Augen für sein verletztes Wuffels. Grob schiebt er sich an dem Schwarzhaarigen vorbei und läuft zu seinem Pokémon. Reißlaus hockt neben dem Welpen, der langsam wieder aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht. Besorgt und liebevoll anmutend gleiten die langen Fühler des Käfers über den Kopf der Hündin. Mit müden Augen blickt sie zu ihrer Kollegin auf und wedelt schwach mit dem Schwanz. Die Assel legt die Magobeere, die sie erfolgreich vom Baum stibitzt hat, vor ihrer Schnauze ab und stupst sie näher heran. Dankbar streckt sich Wuffels etwas und drückt ihre Zähne in das süße Fruchtfleisch. Der energiereiche Saft durchströmt ihren Körper und ein Teil ihrer Kraft kehrt wieder zurück. Mit Tränen in den Augen steht Kukui vor den beiden und betrachtet diese hingebungsvolle Szene sprachlos. Dann lässt er sich auf die Knie fallen und zieht den Welpen in seine Arme, drückt sein feuchtes Gesicht in den harten Steinkragen hinein. „Oh Himmel, ich hatte solche Angst um dich! Es tut mir so leid...“, wimmert er stockend. Schon wieder etwas fitter, erwidert Wuffels die Zuneigung ihres Trainers und leckt ihm über die tränennassen Wangen. Inzwischen ist auch Bromley hinübergekommen. Langsam hockt er sich hin. Mit gewissem Wehmut betrachtet er die Reste der hart erkämpfen Beere, doch er ist schon froh, dass es der Hündin wieder halbwegs gutgeht. Er kann es absolut nicht ertragen, Manuel so verzweifelt zu sehen. Plötzlich stupst ihm Reißlaus jedoch gegen die Hand. Geistesgegenwärtig streicht er ihr über den Rücken, doch das Stupsen bleibt. „Is‘ ja gut. Haste wirklich klasse gemacht...“, nuschelt er und blickt sie dann an. Schlagartig versteht er, was sie ihm scheinbar mitteilen wollte. Auf ihrem flachen Schwanz liegt eine weitere Magobeere, völlig unversehrt! „Scheiße, wo haste die denn her?“, entkommt es dem Schwarzhaarigen fassungslos. Nun wird auch Kukui auf das Ganze aufmerksam. „Aber wie?“, setzt er ebenso verwirrt an. Sweetheart dreht sich fröhlich mit der Beere auf dem Schwanz im Kreis und überreicht sie dann ihrem Trainer. „Die Beere muss tief im Geäst verborgen gewesen sein, sodass wir sie nicht sehen konnten. Doch als Reißlaus die eine geholt hat, muss sie die zweite entdeckt haben...“, versucht es sich der Brünette herzuleiten. „Dann wurde Wuffels ja doch nich‘ umsonst plattgemacht!“, grinst der Größere. Erleichtert über diese Tatsache, päppeln die beiden Trainer ihre Pokémon wieder auf und machen sich nach einer ausgiebigen Pause auf die Suche nach der letzten Beere. 5 Sie verlassen das Areal und kehren wieder zu dem kleinen Grasfeld am Anfang zurück. Diesmal führt Wuffels sie wieder hindurch, doch dann den Weg entlang nach Norden, statt nach Osten. Nach einem kurzen Fußmarsch erreichen sie erneut ein abgeschlossenes Areal. Dieses ist jedoch um einiges größer, als das eben und fast völlig von mannshohem Gras überwuchert. Nur eine Handvoll Bäume strecken sich aus dem grünen Teppich heraus. „Du meine Güte, wie sollen wir hier denn eine Beere finden?“, kommt es zweifelnd von dem Brillenträger. „Ich würd‘ mir eher Gedanken machen, was uns diesmal plattmachen will.“, kontert der Größere. Mit gerunzelter Stirn betrachtet ihn der Kleinere. „Der Logik nach müssten es drei Imantis sein.“ Nun legt der Schwarzhaarige die Stirn in Falten. „Wär‘ viel zu offensichtlich, meiste nich‘?“ Manuel zuckt mit den Schultern. „Vielleicht, aber was könnte hier denn sonst noch lauern?“ „‘n andres Pflanzen-Pokémon?“, stellt Bromley in den Raum. „Schon möglich. Auf jeden Fall müssen wir sehr vorsichtig sein...“, erwidert Kukui und deutet der Hündin an, die Suche fortzusetzen. Mit der Nase auf dem Boden verschwindet sie im hohen Gras. Die Jungs folgen ihr so gut es geht. Dennoch dauert es eine Ewigkeit, ehe sie den Beerenbaum tief versteckt zwischen all dem Grün entdecken. Neben dem Baum scheint ein riesiger Pilz zu wachsen. In den vorherrschenden Schatten schimmert seine Oberfläche rötlich und ist durchzogen von vielen langgestreckten, gelben Flecken. „So einen großen Pilz habe ich ja noch nie gesehen...“, staunt der Brünette. „Yeah, damit kann man einige Mäuler stopfen.“, scherzt der Jüngere. In diesem Moment beginnt sich der Pilz zu bewegen! Überrascht weichen die vier zurück. „Der Pilz lebt?!“, kommt es überfordert von Manuel. „Is‘ kein Pilz, sondern ‘n Parasek!“, bringt Bromley schließlich hervor. Der vermeintliche Pilz dreht sich herum. Nun kommen die keulenartigen Arme, die krebsartigen Beine und die leeren, weißen Augen des Mischtypen zum Vorschein. Das Parasek wirkt alles andere als glücklich über die Störung, weshalb es nicht lange fackelt und seine Zornklingen gegen die Eindringlinge einsetzt. Geschwind ziehen sich die vier ins hohe Gras zurück, um dem Angriff auszuweichen, zumindest so lange das Gras noch steht. Sie nutzen ihre Deckung jedoch für einen Gegenangriff. „Sweetheart Wasserdüse!“ Der große Parasit wendet sich schnell in die Richtung, aus der er die Stimme vernommen hat und geht in Abwehrhaltung. Allerdings hat er nicht mit einem Hinterhalt gerechnet, denn Reißlaus befindet sich gar nicht neben Bromley. So trifft ihn der harte Wasserstrahl in die linke Flanke. Durch den Druck wird Parasek ein Stück zur Seite geschoben, mehr jedoch nicht. Der Pilz auf seinem Rücken beginnt stattdessen zu leuchten und dass vergossene Wasser saugt sich förmlich in seinen Körper hinein, wie bei einem Schwamm. Seine leeren Augen nehmen einen schon fast schadenfrohen Ausdruck an. „Was is‘ ‘n das für‘n Scheiß? Es is‘ doch vom Typ Käfer und Pflanze, also müsste Wasser ihm doch ‘was ausmachen...!“, fragt der Käfer-Trainer irritiert. Manuel taucht neben ihm auf. „Laut Pokédex hat es wahrscheinlich die Fähigkeit Trockenheit...“, meint er. „Was soll‘n das heißen?“, erwidert der Größere verärgert. „Das bedeutet, dass Wasser-Attacken ihm nichts anhaben können, es sogar wieder aufladen...“, setzt Kukui an, kann den Text aber nicht mehr zu Ende lesen. Denn in diesem Augenblick hat Parasek herausgefunden, wo sich Reißlaus aufhält! In die Ecke getrieben, gelingt es dem flinken Käfer nicht mehr auszuweichen. Der Parasit kreuzt seine keulenartigen Arme und greift dann mit einer schneidenden Bewegung an. Die Assel wird zur Seite geworfen und bleibt in einer lilafarbenen Wolke am Boden liegen. „Das war Giftstreich!“, ruft Manuel. „Nein!“ Panisch schubst Bromley den anderen Jungen zur Seite und rennt zu seinem Pokémon. Sweetheart rührt sich nicht, während die lila Wolke in ihren Körper eindringt und sie noch mehr schwächt. Der Käfer hat eine ausgemachte Schwäche gegen Gift-Attacken. Hinter sich hört der Schwarzhaarige den Parasiten herannahen. Wutentbrannt springt der Junge auf und versucht sich auf den wandelnden Pilz zu stürzen. Mit tiefem Schrecken kann Manuel nicht mehr rechtzeitig eingreifen. „Du Miststück hast meinen Käfer vergiftet! Dafür mach‘ ich dich so dermaßen platt!“, schimpft der große Junge. Das Parasek lässt sich davon jedoch nicht sonderlich beeindrucken und schlägt mit seinen Zornklingen nach dem vermeintlichen Angreifer. Die Attacke wirft den jungen Trainer heftig zu Boden, sodass er reglos neben seiner Assel zum Liegen kommt. „Bromley, nein!“, keucht Kukui erschrocken. Verzweiflung macht sich in ihm breit, was soll er nur tun, um seinen Freund zu beschützen? Fieberhaft denkt er nach, bis sich Wuffels Nase besorgt gegen sein Bein drückt. „Wir müssen das Parasek von den beiden weglocken, bis mir eine Lösung einfällt...“, erläutert er der Hündin, die ein zustimmendes Bellen von sich gibt. „Ok, setz Steinwurf ein, aber pass auf, dass du nur das Parasek triffst.“, weist er sie an. Der junge Hund nickt entschlossen und bringt sich in Position. Knurrend sammelt sie ihre Kraft und stampft dann mit aller Wucht auf den harten Boden. Kleine Steinbrocken brechen heraus. Mit Hilfe ihrer Konzentration lässt Wuffels sie schweben und dann auf den Parasiten zufliegen. Wie es sich Manuel erhofft hat, reagiert der wandelnde Pilz ziemlich empfindlich auf Gesteins-Attacken. Allerdings hat es noch längst nicht genug, aber zumindest gilt seine Aufmerksamkeit nun der Hündin. „Sehr gut! Lock es mit Tackle noch etwas weiter weg!“ Bellend setzt der Welpe wieder zum Angriff an und treibt den Parasiten damit in die gewünschte Richtung. Derweilen kommt Bromley wieder zu sich. Verzweifelt stellt er fest, dass das Ganze doch kein Traum war, Reißlaus wirklich vergiftet und geschlagen ist und Kukui alle Hände voll zu tun hat, dieses Biest in Schach zu halten. Auf einen Schlag kommt sich der Schwarzhaarige unglaublich nutzlos vor. Leise, dann immer lauter ertönt plötzlich die Stimme seines Vaters in seinem Kopf. Erschrocken zuckt der Junge zusammen. ‚Bromley! Was treibst du denn da?‘, hallt es durch jede Windung seines Denkens. Die Worte sind so herrisch, kraftvoll und einschüchternd; so sehr von qualvollen Erinnerungen und Schmerz begleitet, dass der wehrlose Junge den Mund öffnet und sie wie ein tödliches Mantra im selben Moment ausspricht, indem sein Vater sie durch seinen Kopf wandern lässt. Es ist, als würde dieser brutale Mann direkt neben ihm stehen und ihn für etwas bestrafen wollen, dass er seiner Meinung nach falsch gemacht hat. Sein Vater war nie ein Mann großer Worte, wer würde sich auch mit so etwas Billigem zufriedengeben? Aus Fehlern soll der Bengel immerhin lernen und was ist da wirkungsvoller als Schmerz? Oh ja, er hat noch alles in diesen unnützen Bastard hineingeprügelt bekommen! Allerdings ahnt er nicht, was er seinem Sohn damit angetan hat. Die sichtbaren Wunden sind stets früher oder später verschwunden, doch sein Denken, sein ganzes Selbst hat darunter weit mehr gelitten und ihn zu etwas gemacht, dass er nicht mehr kontrollieren kann. Es hat Bromley aggressiv, selbst überschätzend, selbst verletzend, schizophren, unkontrollierbar; abgestumpft, uneinsichtig, langsam und zerstörerisch gemacht. Er lebt förmlich in einer ganz anderen Welt, die er versucht mit seiner Größe und Kraft zu formen. Die tiefsitzende Angst vor seinem Erzeuger bestimmt sein gesamtes Leben. Wenn er die Augen schließt, dann sieht er ihn vor sich, wie er langsam den Golfschläger aus der Tasche zieht und dann damit auf ihn losgeht. Ihn verprügelt, bis er sich nicht mehr rühren kann. Dieser Mann hat eine ungeahnte Macht über ihn, sodass er nicht nur die Worte, die er in seinem Kopf sagt, laut ausspricht, sondern ihn auch dazu bringt, sich stellvertretend für ihn selbst zu verletzten! Wie ferngesteuert ergreift der Schwarzhaarige einen faustgroßen Stein von Wuffels‘ Angriff, umklammert ihn ganz fest. Von weitem kann Manuel seinen Freund am Boden kauern sehen, den Stein in der Hand. Er hat dieses seltsame Verhalten schon einmal erlebt, kann dennoch nicht nachvollziehen, was für einem Zweck es dienen soll und doch konnte er damals nicht verhindern, dass sich Bromley selbst verletzt hat, als er einen Kampf gegen einen anderen Trainer verloren hat. Es war unheimlich und schrecklich und das Schlimmste daran war, dass er nicht zu ihm durchdringen konnte, bis es zu spät war. Nun sieht es so aus, als würde es wieder passieren und wieder kann er ihm nicht helfen, zu sehr ist er in den Kampf mit Parasek verstrickt und die Entfernung zu Bromley inzwischen zu groß. Fassungslos wendet er den Blick von ihm ab, als der große Junge dazu ansetzt sich den Stein gegen seinen vernebelten Kopf zu knallen. Er kann das einfach nicht wieder mit ansehen. Stattdessen befiehlt er Wuffels einen neuen Angriff. Der Schwarzhaarige hingegen stoppt seine selbstzerstörerische Attacke im letzten Moment, als sein Blick auf den Pokédex fällt, den Kukui in der Hektik des Kampfes wohl hat fallen lassen. Der kleine Computer zeigt immer noch vorbildlich den Absatz über die Fähigkeit Trockenheit an. Allerdings steht dort weit mehr, als der Brünette vorlesen konnte. Die Fähigkeit bewirkt nämlich nicht nur eine Immunität gegen Wasser, sondern erhöht außerdem die Angriffskraft von Feuer-Attacken um fünfundzwanzig Prozent! Als Hybrid aus Käfer und Pflanze ist Parasek schon unter normalen Umständen sehr empfindlich auf Feuer, doch seine Fähigkeit lässt ihn jede noch so kleine Flamme wie ein tosendes Inferno empfinden! Ein Blick zum Kampfgeschehen verrät Bromley, dass es langsam brenzlig wird und Manuel immer noch keine Lösung eingefallen ist. Entschlossen steht der große Junge auf, doch anstatt sich mit dem Stein in seiner Faust selbst den Schädel einzuschlagen, wirft er ihn nach dem Parasiten. Zum ersten Mal in seinem Leben wendet er sich somit gegen ein Käfer-Pokémon, um jemanden zu beschützen, der ihm inzwischen mindestens genauso wichtig geworden ist. Irritiert wendet sich Parasek herum und starrt den Trainer zornig an. „Yo, du hässliches Mistvieh! Findest es also komisch, dich an Schwächeren zu vergreifen, wie? Dann pass auf, wenn wa‘ dir jetz‘ Feuer unterm Hintern machen!“, brüllt er hinüber. Verwundert betrachtet ihn der Brünette. „Bist du jetzt völlig verrückt geworden?“, fragt Kukui ihn eingeschüchtert. „Nee, geht wieder. Fackel das Biest endlich ab, Mann! Trockenheit verstärkt Feuer-Attacken, verstehste?“ So ganz begreift der Brillenträger noch nicht, was sein Freund ihm sagen will. Dann jedoch fällt ihm ein, dass er den Absatz über die Fähigkeit gar nicht zu Ende lesen konnte, weil Reißlaus vorher niedergestreckt wurde. Allerdings muss Bromley dies inzwischen getan haben und das anstatt sich selbst zu verletzten, was ihm eine riesige Last von der Seele nimmt. Entschlossen nickt er dem anderen Jungen zu und befiehlt der Hündin dann den alles entscheidenden Angriff. Mit flammenden Zähnen stürzt sich Wuffels auf das überraschte Parasek und gibt ihm damit imposant den Rest. Besiegt bricht der wandelnde Pilz augenblicklich zusammen und macht so den Weg zu der letzten Beere frei. 6 Nachdem sie Reißlaus mit einem Gegengift versorgt und beide Pokémon wieder aufgepäppelt haben, machen sich die jungen Trainer auf zur letzten Etappe der Prüfung. Mit den Beeren in der Tasche betreten sie ein letztes Mal den Eingangsbereich des Schattendschungels, wo der Captain schon auf sie wartet. Erneut ist die Blondine überrascht, dass es den Jungs gelungen ist, die Früchte einzusammeln. Nach dem Lärm zu urteilen, der durch die Vegetation zu ihr gedrungen ist, hätte sie es nicht wirklich für möglich gehalten. Allerdings waren das alles nur Peanuts im Vergleich zu dem, was sie nun erwarten wird. Das Herrscher-Pokémon wird ihnen schon den Marsch blasen und dann ist Ende im Gelände! „Was jetz‘?“, fragt Bromley, nachdem er dem Captain die Beeren gegeben hat. Das Mädchen entfernt sich ein Stück und platziert die Früchte dann auf einem sonnigen Fleck auf dem Boden. Im Gegensatz zum Rest des Dschungels ist der Eingangsbereich und somit auch der sogenannte Herrscher-Bereich deutlich heller. Nur wenige Blätter trügen den Sonnenschein und das aus gutem Grund. „Nun legen wir dem Herrscher-Pokémon die Beeren als Opfer dar und warten, wie es sich entscheidet. Wenn es euch für würdig hält, wird es auftauchen und einen Kampf mit euch führen. Wenn nicht, seid ihr durchgefallen und müsst die Prüfung zu einem anderen Zeitpunkt wiederholen.“ Von ehrfürchtigem Schweigen überkommen, verharren die Trainer mit ihrem Pokémon reglos und lauschen auf ein Zeichen des Herrschers. Die Minuten verstreichen und nichts passiert. Nervosität macht sich allmählich in ihnen breit. Dann durchbricht die herablassende Stimme der Blondine die Stille. „Tja Jungs, ich fürchte, das Herrscher-Pokémon hält nichts von euren Bemühungen. Von daher erkläre ich die Prüfung hiermit offiziell für be...“, sie kann den Satz nicht mehr zu Ende führen, da wird auf einmal ein Rascheln laut. Überrascht wenden sich alle in die Richtung um und dann teilt sich plötzlich der Dschungel vor ihren Augen und ein riesiges Pokémon tritt daraus hervor. Sein an die drei Meter großer, hauptsächlich rosa und weißgefärbter Körper erinnert stark an eine Gottesanbeterin, dennoch hat dieses Wesen nichts mit einem Insekt gemeinsam, sondern trägt ausschließlich den Pflanzen-Typ. Nahezu elegant anmutend tritt das Mantidea ins Sonnenlicht hinein und blickt sich mit seinen großen, rötlichen Augen genau um. Schließlich fixiert es die Beeren, spießt sie mit seinen langen, sichelartigen Armen auf und verschlingt sie mit einem einzigen Happs. Mit offenem Mund betrachten die Jungs das gewaltige Pokémon, während der Pokédex ungehört einige Daten herunterrattert. „Na, so was! Da habt ihr wohl noch mal Glück gehabt, was? Aber seid gewarnt, Mantidea ist sehr launisch und wird alles daransetzen, euch fertigzumachen. Einen Tipp bekommt ihr allerdings von mir. Seine Herrscher-Aura sorgt dafür, dass seine Geschwindigkeit enorm zunimmt. Also, viel Spaß!“, erläutert der Captain und zieht sich dann in sicherer Entfernung zurück. „Heilige Scheiße...“, gibt Bromley von sich und blickt zu seinem Mitstreiter. Kukui schluckt schwer und schiebt sich dann die Brille zurecht. „Ok. – Das ist wirklich heftig. Doch es ist ein reiner Pflanzen-Typ, von daher ist es empfindlich auf Käfer- und Feuer-Attacken. Dürfte also ein Vorteil für uns sein...“, erwidert der Brünette sachlich, doch es klingt unglaublich unsicher. Der Herrscher, der bis eben noch reglos dagestanden und die Jungs betrachtet hat, setzt sich nun in Bewegung und kündigt damit den Beginn des Kampfes an. Das Pokémon hebt seine langen Sichelarme, sodass sie schon die Unterseite der Baumkronen streifen. Dann überkreuzt es sie und mit einem grünen Leuchten benutzt es diese Kreuzscheren, um die Vegetation in einem großen Radius fast bis auf den Boden herunterzustutzen. In einer gewaltigen Wolke fliegen überall Blätter und Äste herum. Doch dies sollte kein Angriff sein, wie die beiden Trainer schnell feststellen. „Was zur Hölle wird‘n das?“, will der Schwarzhaarige wissen. Eilig blickt Manuel auf den Pokédex, während das Mantidea ein Sonnenbad zu nehmen scheint. „Hier steht, dass es das Sonnenlicht sehr liebt. Sein ganzer Körper und auch seine Kampftechnik sind darauf ausgelegt vom Licht der Sonne zu profitieren. Es hat sich also gerade seine eigene Wohlfühlzone eingerichtet, um sich einen Vorteil zu verschaffen.“ In diesem Moment wird das Pokémon von einem kräftigen, roten Schleier eingehüllt – seiner Herrscher-Aura – die es noch imposanter erscheinen und seine Geschwindigkeit ins schier Unermessliche steigen lässt. Dann verharrt es wieder ruhig und wartet auf den ersten Angriff der Trainer. „Na dann, machen wa‘ dieses Unkraut platt!“, posaunt der Größere und schickt Reißlaus mit dem ersten Angriff in den Ring. Die flinke Assel nimmt all ihren Mut zusammen und landet mit ihrem Käfertrutz einen Volltreffer. Allerdings war dies auch nicht sonderlich schwer, denn Mantidea hat sich nicht einen Millimeter bewegt. Scheinbar möchte es erst austesten, mit wem sie es hier zu tun hat. So lässt der Herrscher es auch zu, dass Wuffels ihn mit ihrem Feuerzahn erwischt. Die riesige Pflanze zuckt leicht zusammen, als die Flammen sie verbrennen, aber beeindruckt wirkt sie deswegen kein bisschen. Nun allerdings setzt sie zum Gegenangriff an! Die langen Sichelarme kreuzen sich erneut, dann prescht das Pokémon hervor und lässt seine Attacke gegen Reißlaus los. Die Geschwindigkeit, mit der es sich dabei fortbewegt, ist einfach nur unglaublich. Trotz seiner gewaltigen Größe ist von ihm kaum mehr als ein rosaroter Schleier sichtbar. Die Kreuzscheren durchschneiden dabei die Luft mit einer solchen Wucht, dass es sich anhört, wie ein startender Jet. Man erwartet förmlich, dass ein Stück der Wirklichkeit einfach so zu Boden fällt und ein düsteres Loch in der Realität erscheint. Doch nichts dergleichen passiert. Stattdessen rasen die Sichelarme Richtung Boden und schlagen dort mit einem Knall auf. Sand und kleine Steine fliegen durch die Luft und ein schmerzliches Fiepen gleitet wie ein Pistolenschuss über das Kampffeld hinweg. Erst, als sich der Staub wieder legt, erkennen die Jungs, dass Reißlaus von den Kreuzscheren getroffen wurde. Nur ihrer eigenen Flinkheit hat sie es allerdings zu verdanken, dass es nur ihren Schwanz erwischt hat. Hätte Mantidea aber wirklich getroffen, wäre es jetzt wohl um den Käfer geschehen. „Was zum...?“, kommt es fassungslos von Bromley und auch Manuel steht wieder der Mund offen. Der Captain sagte zwar, dass der Herrscher schnell ist, aber das eben gleicht einer ganz neuen Definition des Wortes! Und es ist noch längst nicht vorbei, denn schon setzt die Riesenpflanze zum nächsten Angriff an. Diesmal reckt sie ihre langen Arme gen Himmel und sammelt das Sonnenlicht damit ein. „Das – das sieht aus wie – Solarklinge...“, kommt es stockend von dem Brillenträger. Die beiden Trainer blicken sich etwas entsetzt an. Ihre Begleiter haben eine gewisse Schwäche gegen Pflanzen-Attacken und das hier ist wohl einer der vernichtensten Angriffe, die ihnen unterkommen kann. Aber die Attacke hat den Nachteil, dass sie etwas Zeit zum Aufladen braucht und den Jungs somit noch ein Moment zum Nachdenken bleibt. So dachten sie jedenfalls. Eine Sekunde später jedoch, schwebt eine gewaltige Kugel aus purem Licht über Mantidea, die sich in eine alles zerschneidende Klinge verwandelt. Diese wirft der Herrscher jetzt auf seine überrumpelten Gegner. „In Deckung!“, ruft Kukui noch atemlos, ehe der ganze Dschungel in grelles Licht getaucht wird. Ein gewaltiger Knall folgt, der einen weiteren Teil der Vegetation zu Grunde richtet. Doch die Pokémon hier im Dschungel werden sich darum kümmern, alles wieder zum Wachsen zu bringen, wenn diese Störenfriede endlich weg sind. Als sich der Staub legt, wird jedoch erst einmal das Ausmaß des Ganzen sichtbar. Die Umgebung wirkt, als wäre sie gerodet worden. Kaum ein Stein liegt mehr auf dem anderen. Die beiden Trainer können von Glück sagen, dass sie sich etwas abseits befunden und so nur einige Schrammen abbekommen haben. Reißlaus ist es ebenfalls in letzter Sekunde gelungen sich unter einen umgestürzten Baum zu flüchten, weshalb sie kaum Schaden davongetragen hat. Ganz anders sieht es jedoch bei Wuffels aus. Der kleinen Hündin ist es nicht mehr gelungen, irgendwo rechtzeitig Schutz zu suchen und so hat sie die volle Wucht des Angriffs abbekommen. In einem Krater aus aufgewühlter Erde liegt der Vierbeiner reglos am Boden, während feiner Qualm von ihrem Fell aufsteigt. „Himmel, nein!“, kommt es entsetzt von Manuel und er rennt zu seinem Pokémon hinüber. Wuffels ist vollkommen K.O. Der Schwarzhaarige wirft einen schnellen Blick zum Herrscher hinüber. Mantidea badet wieder in der Sonne. Diesmal glüht ihr Körper jedoch hell auf. Scheinbar benutzt sie Synthese, um die wenige Energie, die sie bisher verbraucht hat, wiederherzustellen. Das verschafft ihnen wenigstens etwas Zeit. Eilig läuft er zu seinem Freund hinüber, der mit tränenfeuchten Wangen versucht, sein Pokémon wieder auf die Beine zu bekommen. „Wuffels, sag doch etwas...“, schluchzt er und verabreicht der Hündin eine Flasche Medizin. Bromley geht neben ihm in die Hocke. „Yo, wie sieht‘s aus?“, fragt er sorgenvoll. Manuel schenkt ihm ein schwaches Lächeln, als der Vierbeiner langsam die Augen öffnet und sich in seinen Armen zu regen beginnt. „Ich denke, es geht wieder. Aber das war unsere letzte Möglichkeit, die beiden wieder aufzupäppeln. Wir haben kein einziges Item mehr...“, meint der Brünette kummervoll. „Das is‘ nich‘ gut...“, murmelt der Größere und wirft einen Blick über die Schulter. Mantidea scheint immer noch mit ihrer Synthese beschäftigt zu sein. Also bleibt ihnen noch etwas Zeit eine Lösung zu finden, aber es muss schnell gehen. „Nein, das ist überhaupt nicht gut. – Denkst du, wir sollten aufgeben und es später noch einmal versuchen?“, fragt der Brillenträger und stellt Wuffels wieder auf die Füße. Die kleine Hündin streckt sich und schüttelt dann ihr Fell. Sie wirkt wieder putzmunter, was Kukui irgendwie immer erschreckend und beruhigend zu gleich findet. „Spinnste? Aufgeben tun nur Feiglinge und Muttersöhnchen! Biste etwa einer davon?“, fährt Bromley ihn plötzlich grob an. Etwas erschrocken wendet Manuel ihm den Blick zu. „Nein, ich denke nicht. – Aber, was sollen wir denn machen? Wenn Mantidea wieder Solarklinge gegen uns einsetzt, sind wir erledigt...“ „Wir brauchen ‘n ultimatives Finale! Schluss mit lustig, verdammt noch mal! Mit Kameradschaft bekommen wa‘ das schon hin, verstehste?“, grinst der Schwarzhaarige ihm entgegen. Verdutzt betrachtet ihn der Kleinere. Normalerweise findet es Bromley ziemlich nervig, wenn sein Mitstreiter in Attacken-Namen redet, um etwas Grundlegendes auszudrücken. Erstaunlicherweise macht er es nun selbst, um Kukui aufzumuntern und ihn zum Durchhalten zu animieren. Der Brünette kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und wischt sich die letzten Tränen von den Wangen. „Verstehe. Aber wie sollen wir das anstellen?“ „Die einzige Möglichkeit is‘ ‘ne verfluchte Z-Attacke, Mann. Ich würd‘s ja selbst machen, wenn ich‘s könnt‘, aber das Biest lacht nur, wenn ich‘s mit Wasser begieße. Uns bleibt nur Feuer.“ Manuel zuckt leicht zusammen. „Das klingt ja alles vernünftig, aber du weißt selbst, dass es mir erst einmal gelungen ist, eine Z-Attacke einzusetzen und das war mehr Zufall, als alles andere. Seitdem hat es kein einziges Mal mehr funktioniert, egal wie sehr Wuffels und ich uns bemüht haben. Zudem konnten wir bis jetzt auch nur den Hyper-Sprintangriff üben. Vom Feuer sind wir noch sehr weit entfernt...“, betrübt senkt er den Kopf, bis Bromley ihm die Hand auf die Schulter legt. „Weiß ich doch alles. Aber wir ham einfach keine andre Wahl, Kumpel. Jetz‘ oder nie! Wenn wa‘ das Biest nich‘ auf einen Schlag plattmachen, macht es uns platt und das is‘ viel schlimmer, als alles andre. Denkste nich‘, dass Wuffels nich‘ auch ‘ne Scheißwut auf dieses Unkraut hat, wo‘s so mies plattgemacht wurde? Da könn‘ eure Gedanken gar nich‘ dichter beisammen sein, als jetz‘!“ Einen Moment betrachtet Kukui die kleine Hündin, die fest entschlossen zu ihm aufblickt und mit dem Schwanz wedelt. Dann sieht er zu Bromley, der mindestens genauso entschlossen wirkt. Seine schiefergrauen Augen sehen dadurch viel dunkler aus und so klar, wie Manuel es selten mitbekommen hat. Zuletzt schaut er hinab zu Reißlaus, die neben ihrem Trainer hockt und ihn mit großen Augen anstarrt. Als sich ihre Blicke treffen, hebt sie wackelnd ihren platten Schwanz und fiept. Die Wunde, die Mantideas Kreuzschere daran hinterlassen hat, ist noch deutlich zu sehen und bereitet der Assel mit Sicherheit Schmerzen, doch sie lässt es sich nicht anmerken. Etwas sicherer mit seinen Gedanken, ballt Manuel die Hände zu Fäusten. „Ok, versuchen wir es. Wird schon schiefgehen. – Kannst du Mantidea ablenken, bis wir soweit sind?“ Er wirft einen Blick zu dem großen Herrscher-Pokémon hinüber, das in diesem Augenblick seine Synthese abschließt und mit neuer Energie das Kampffeld betritt. „Yo, machen wa‘!“ „Lasst euch aber bloß nicht von ihr erwischen!“, mahnt Kukui und steht auf. „Keine Sorge, wir sind mindestens genauso schnell, wie das Vieh, nich‘ wa‘, Sweetheart?“ Fröhlich fiepend wedelt der Käfer mit dem Schwanz und flitzt um den großen Jungen herum, als wolle sie seine Worte bestätigen. Ein ungeduldiges Fauchen dringt zu ihnen und die riesige Pflanze kratzt mit ihren Sichelarmen über den Boden. Als die vier ihr den Blick zuwenden, fliegen ihnen ein Haufen Rasierblätter um die Ohren, denen sie gerade noch ausweichen können. „Ok, jetz‘ gilt‘s! Lauf so schnell du kannst, Mädchen und setz Sandwirbel ein!“, befiehlt der Schwarzhaarige entschlossen. Mit zuckenden Fühler setzt sich die Assel in Bewegung und nimmt schnell an Geschwindigkeit zu. In einem immer enger werdenden Kreis umrundet sie Mantidea so flink, dass sie kaum zu sehen ist. Das Pflanzen-Pokémon zuckt mit den Augen hinter ihr her und zuerst sieht sie sie auch wirklich noch, doch als sie ihre Sicheln benutzen will, um Reißlaus zu stoppen, fliegt auf einmal ein dichter Haufen Sand aus dem flitzenden Schatten und trifft den Herrscher mitten im Gesicht. Überrascht stoppt die Pflanze den Angriff und schüttelt den Kopf, um den Sand loszuwerden. „Die zwei sind doch echt kaum zu fassen...“, entkommt es dem Captain leise. Dennoch ist sie der festen Überzeugung, dass die Jungs den Kürzeren ziehen werden. Lange wird sich Mantidea so einen Unfug wohl kaum gefallen lassen. Auch Manuel staunt nicht schlecht über den Einfallsreichtum seines Kollegen. Doch nun liegt es an ihm, das Ganze auch zu beenden. Immerhin kann Reißlaus das nicht ewig durchhalten. Von daher muss es ihm unbedingt gelingen mit Wuffels in Einklang zu kommen und die Z-Attacke zu meistern. Tief atmet er ein und aus und blickt dann zu dem kleinen Welpen hinab. Dieser ist schon ganz aufgeregt, wie es scheint und hat sicher auch genug Wut im Bauch, wie Bromley es ausgedrückt hat, um den Herrscher auf die Matte zu schicken. „In Ordnung, Wuffels. Versuchen wir es!“ Die Hündin gibt ein freudiges Bellen von sich, dann stellt sie sich vor ihn und blickt auf das Kampffeld. Dort rennt Reißlaus noch immer in Windeseile im Kreis und bewirft Mantidea jedes Mal mit Sand, wenn dieses einen Angriff starten will. Der Zorn des Herrschers ist dabei deutlich zu sehen und er hat längst aufgegeben das andere Pokémon zu sehen zu versuchen, sondern hackt nur noch blindlinks in den Boden, was es nicht gerade leichter für die Assel macht. Noch einmal atmet Kukui tief durch und schließt dann gemeinsam mit seinem Pokémon die Augen. „Konzentrieren...“, murmelt er vor sich hin, während er sich den Tanz für die Feuer-Attacke ins Gedächtnis ruft. Die beiden blenden alles um sich herum aus, sodass es nur noch sie allein zu geben scheint. Keine Geräusche vom hoffnungslosen Versuch der anderen Pokémon, keine Rufe von Bromley, kein Blätterrascheln, absolut nichts. Die Leere nimmt sie beide allmählich ein und dann, dann tatsächlich können sie einen Gedanken des anderen einfangen – den Gedanken gewinnen zu wollen! Das ist es! Manuel öffnet wieder die Augen, doch er behält das Bild von Wuffels Gedanken in sich, klammert sich fest daran. Hoch konzentriert beginnt er dann damit die einzelnen Bewegungen des mystischen Tanzes aufzuführen, der die Z-Attacke auslöst und damit seine Wünsche, Hoffnungen und Kraft auf sein Pokémon zu übertragen. Die kleine Hündin trägt ihren Teil dazu bei und auf einmal beginnt sie wahrhaftig zu leuchten, als die Energie des Jungen auf sie übergeht. Erstaunt reißt sie die Augen auf. Ihr ganzer Körper beginnt zu kribbeln. Sie fühlt sich, als würde sie jeden Moment abheben oder Bäume einfach so umschubsen können – kurz gesagt unbesiegbar! Der Brünette kann sein Glück kaum fassen, dennoch versucht er seine Gedanken beisammen zu halten, immerhin sind sie noch nicht fertig. Die letzte Pose des Tanzes ist erreicht, die Entschlossenheit in ihrer beiden Gesichter geschrieben. In diesem Moment hat Mantidea endgültig die Nase voll. Sie holt seitlich mit ihrer Sichel aus und fegt Reißlaus damit von den Füßen. Die Assel fliegt in hohem Bogen durch die Luft. Bromley springt entsetzt nach oben und kann sie gerade noch auffangen. Dann werden sie beiden in einen Sturm messerscharfer Blätter verwickelt und gegen den nächsten Baum geschleudert. Hart getroffen rutscht der Schwarzhaarige an der rauen Rinde hinab, fest umklammert er dabei sein verletztes Pokémon. Dieses Bild gibt den letzten, allesentscheidenden Schlag für Manuel und Wuffels. „Dynamische Maxiflamme!“, entkommt es dem Brillenträger mit einer so kraftvollen Stimme, dass er schwören könnte, es wäre nicht seine eigene. Die kleine Hündin spreizt ihre vier Beine weiter auseinander, um einen festeren Stand zu haben, dann gibt sie ein Bellen von sich, das klingt, als würde ein ganzes Rudel hinter ihr stehen. Überrascht wendet Mantidea den Kopf, verharrt in dem Angriff, den sie gerade auf die am Boden Liegenden ausführen wollte. Es ist das Letzte, wozu sie in der Lage ist. Den Bruchteil einer Sekunde später sammeln sich um das kleine Gesteins-Pokémon immer mehr Flammen an. Sie bilden einen gewaltigen Ball, als wäre das Innere der Erde an die Oberfläche getreten. Wuffels reißt das Maul auf und mit einem weiteren, kraftvollen Bellen jagt der riesige Flammenball unaufhaltsam auf das Herrscher-Pokémon zu. Mantidea ist wie erstarrt. Sie kann die Flammen sehen, begreift, dass sie sie vernichten werden, doch sie kann nichts dagegen tun. Ihr Körper, sonst der Inbegriff von Eleganz und Schnelligkeit, versagt ihr vollkommen den Dienst. Es gelingt ihr noch die Sichelarme vor dem Gesicht zu kreuzen, dann wird sie von der Feuerwalze komplett eingehüllt. Die lavafarbene Kugel bläht sich auf, wird grellweiß und dutzende, kleine Explosionen runden den Angriff schließlich ab. Das Ganze ist so schnell und grell, dass die Beteiligten kaum erkennen, was überhaupt passiert, bis sich der Rauch langsam wieder legt. Die ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogene Vegetation ist nun völlig zerstört, überall züngeln kleine Flammenherde. Im Dschungel ist es zum ersten Mal vollkommen still. Als die Sicht wieder klar wird, ist von Mantidea nur noch ein Schatten ihrer selbst übrig. Schwerfällig erhebt sich die versenkte Pflanze ein letztes Mal, macht einen wackeligen Schritt auf Kukui zu und lässt dann zwei Z-Kristalle vom Typ Pflanze vor seine Füße fallen. Ehe der Brünette das Ganze richtig realisieren kann, verschwindet der angeschlagene Herrscher in den Resten seines Dschungels. „Geschafft...“, entkommt es Manuel. Er kann es einfach nicht glauben. Kraftlos sinkt er auf die Knie und beobachtet, wie es Wuffels ganz ähnlich ergeht. Ausgelaugt streckt der Welpe alle viere von sich und sinkt auf seinen Bauch hinab. Mit raushängender Zunge schnappt sie angestrengt nach Luft. Allmählich kommt auch Bromley wieder zu sich, als Reißlaus ihm besorgt über der Wange leckt. „Was is‘?“, kommt es mit belegter Zunge von ihm. Dann lässt er den Blick über das Kampffeld gleiten und traut seinen Augen nicht. Ebenso ergeht es dem Captain. „Das – das war einfach – unglaublich! – Ihr habt – die Prüfung tatsächlich – bestanden...!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)