Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 44: … bin ein Idiot --------------------------- __________________________________________     Wenn der Weise auf den Mond zeigt, sieht der Idiot nur den Finger. Aus China     __________________________________________           Ich dachte zu wenig. Ich dachte nicht an die Sachen, die passieren konnten, bevor sie passierten. Ich war kein Schachspieler mit Angestellten, Medien und Presseleuten, Wirtschaftsexperten und Geschäftspartnern als Schachfiguren. Ich stolperte von einer Woche in die nächste. Ich war ein ganz normaler Teenager mit einer zu großen Klappe.   »Ich meinte nicht«, ruderte ich zurück, »damit wollte ich nicht sagen – also –« Im ersten Moment hämmerte mir sein Blick den Gedanken aus dem Kopf, was ich hatte sagen wollen. Ich wusste nur: Da hatte es sich noch wie eine Beleidigung angehört. Kaiba stand einfach im Türrahmen und ließ mich an meinen Worten zappeln wie ein Hund an der Leine. »Doch, also ich wollt sagen, dass –« Warum verhedderten sich meine Gedanken immer auf meiner Zunge? Ich wollte ihm den Mittelfinger zeigen, tat es aber nicht. Sein Blick hypnotisierte mich. Und wie machte Kaiba das? Ich verengte meine Augen. Kaiba kräuselte seine Lippen. Er stieß sich vom Türrahmen ab und schlenderte auf mich zu. Mein Instinkt drängte mich dazu, einen Schritt zurück zu machen, aber ich tat es nicht. Nicht bei Kaiba. Erst recht nicht. Ich reckte mein Kinn. »Du glaubst doch nicht, ich würde einen Straßenköter bei mir aufnehmen? Glaubst du wirklich, das ginge gut?«, wollte er wissen und ich wusste, dass er wusste, welche Knöpfe er drücken musste, um dieses Gefühl meine Wirbelsäule hinauf wandern zu lassen. Das Gefühl, das meine Haut entlang brannte und meine Hände zu Fäuste ballte. Er war so nah, es versengte mich. Die Wärme, die er ausstrahlte, die ich greifen konnte, widersprach der Kälte in seiner Mimik. »Ich bin kein Straßenköter, Geldsack«, knurrte ich und zog meine Augen zusammen, stierte ihn an und hörte das Hämmern in meinen Ohren. Wie oft hatte er es mir schon an den Kopf geworfen? Wie oft ich widersprochen? Es hatte mich nicht gekümmert. Doch. Nicht. Ja. Selbst ich hörte, dass meinen Worten der echte Ärger auf ihn fehlte. Er hob seine Augenbraue. Wie jemand so viel Herablassung allein in eine Bewegung der Augenbraue packen konnte, war ein Mysterium. Das Gefühl, das in mir das Verlangen weckte, ihm – »Ich könnte dir deine Krawatte manchmal in den Mund stopfen«, murrte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Als könnte ich mich so vor ihm schützen, als könnten seine Worte nicht durch sie hindurchschneiden und mich dort treffen, wo es wehtat. Er machte einen Schritt und ich machte keinen zurück. Also standen wir fast Nase an Nase da und er rieb mir die Zentimeter drunter, die er mich überragte, während er auf mich hinabschaute – in jedem Sinn. Hitze tanzte über meinen Nacken. »Schau mich nicht so an, Wheeler.« Sein Atem streifte meine Wange. Sein Blick erwiderte meinen. Etwas glitzerte in dem Blau. Provokation? Wut? Weswegen? Worauf? Du brauchst mich nicht so anschauen, Joey. »Glaubst du wirklich auch nur einen Moment, es würde gut gehen?« Ich öffnete den Mund, aber Kaiba kam mir zuvor. Und als er sprach, obwohl die Kälte in seinen Augen wie Eis glitzerte, obwohl seine Mimik so ruhig wirkte, hörte ich ein Zittern. Es stachelte meinen Zorn an. »Was willst du, Wheeler? Dich weiter hinter deiner pathetischen Kindheit verstecken?« Das Gefühl, das in mir das Verlangen weckte, ihm das gehässige Grinsen von den Lippen zu – Ich zitterte, meine Finger ballten sich zu Fäusten, die ich in meinen Hosentaschen versenkte. Ich habe meine Kinder nie geschlagen. Er schaute mich an und in seinem Blick stand etwas Seltsames, als wüsste er etwas, das ich wissen müsste, aber offensichtlich nicht wusste. Das Gefühl in mir riss den Rachen auf und drohte mich zu verschlingen. »Es wird Zeit, dass du dich entscheidest.« Vielleicht können wir uns mal unterhalten. Wieso schaffte er es, seine Gedanken so akkurat wiederzugeben? Und schaffte er das? Ich wandte meine Augen ab, starrte dorthin, wo er nicht war. Denn alles an ihm schrie mich an, ihm eine zu verpassen. Ich krallte meine Finger in den Innenstoff der Hosentasche, öffnete den Mund, aber in meinem Kopf wirbelten nur ihre Worte. Dann drehte ich mich um. Er hielt mich nicht auf, obwohl ich spürte, wie sein Blick mir im Rücken brannte. Als die Eingangstür hinter mir zufiel, atmete ich tief aus, dann sprintete ich los. Ich rannte und rannte und rannte und irgendwann stand ich an einer Ecke und keuchte und stützte meine Hände auf meinen Oberschenkeln ab und fluchte. Eine Frau machte einen Bogen um mich und ich konnte es ihr nicht verdenken. Meine Seite stach von innen und mein Brustkorb war viel zu eng und mein Kopf explodierte und der Zorn überwältigte und ich fluchte nochmals. Egal, wie schnell ich rannte, die Worte folgten mir. Ich bin kein Monster, Joey. »Idiot! Idiot, Idiot, Idiot!« Ich redete mir ein, zu wissen, wen ich beschimpfte.   »Er ist ein Idiot«, spie ich aus und lag auf der Matratze, während mein Arm über meinen Augen hing und ich Yugi seufzen hörte. Er senkte das Drehbuch in seinen Händen. »Er hat es sicherlich nur –« Ich funkelte ihn unter meinem Arm hindurch an und Yugi verkniff sich das Ende des Satzes und starrte wieder auf das Drehbuch, wo die Sätze standen, die irgendwelche schlauen Männer in Anzügen geschrieben hatten und uns beide höchstens vom Sehen kannten. Ich antwortete gelangweilt, nachdem Yugi seinen Satz aufgesagt hatte. »Ein bisschen mehr Freude, Joey«, ermunterte er mich. »Oh ja! Das Feeling! Als wären es echte Monster!«, versuchte ich es nochmal und Yugi prustete los, presste sich eine Hand auf den Bauch und brachte zwischen schweren Atemzügen hervor: »Und jetzt nochmal so, als würdest du Seto Kaiba nicht verwünschen.« Ich verdrehte die Augen, aber das Grinsen setzte sich in meinen Mundwinkeln fest. »Oh ja! Das Feeling! Als wären es echte Monster!«, wiederholte ich und sah das Funkeln in seinen Augen, was mich ihm die Zunge herausstrecken ließ. Sein Grinsen prickelte über meine Lippen und ließ mich selbst lächeln. Yugis Talent. Yugis wahres Talent. »Als wäre man selbst mitten im Duell!«, führte er weiter. Ich seufzte. Mit Kaiba war man dauernd im Duell. Auf Yugis fragenden Blick, winkte ich nur ab und wir begannen nochmals von vorne, bis wir irgendwann unter dem Dachfenster lagen und hinauf in den Sternenhimmel schauten. Von draußen waberte die warme Brise über meinen Arm. Yugi schwieg. Er hat es sicherlich nur gut gemeint. Natürlich. Kaiba war ja berühmt. Für sein Mitgefühl. Nicht. Er hat es sicherlich nicht so gemeint, wie er es gesagt hat. Natürlich. Weil Kaibas Worte nicht genau so trafen, wie er es wollte. Selbst Yugi musste es klar sein. Warum nagte in meiner Brust dann dieses Gefühl? »So ein Scheiß«, fluchte ich gedämpft, drehte mich um und erstickte die Aneinanderreihung dieses Wortes im Kissen. Die Begegnungen der letzten Tage brachen in der Stille der Nacht über mich ein und ich atmete tief durch, aber mein Brustkorb war zu eng. Zu viele Gedanken wimmelten in meinem Kopf und Yugi drückte meine Schulter. Ich atmete nochmals durch und auf meiner Zunge formten sich endlich die Worte, die ich die ganze Zeit nur wirr gedacht hatte. »Kurz vor der ganzen Scheiße hatte ich mir so fest vorgenommen, dass ich mein verdammtes Leben endlich selbst in die Hand nehme. Ein Zimmer mieten oder so die Kampagne zu einem verdammten Riesenerfolg mache. Ich hatte – ich wollte –« Yugis Hand lag wieder auf meiner Schulter. Ich atmete zittrig ein. »Und plötzlich taucht diese alte –« Und schluckte das Bitch herunter. »Kommt die und alles ist wieder dieser große Misthaufen.« Als würde ich mitten drin stehen und versuchen, mich freizuschaufeln, während eine Gruppe mich gleichzeitig mit Scheiße bewarf. Ich verzog mein Gesicht und starrte Yugis Profil an. Er schaute unbeirrt nach oben, seine Gesichtszüge von Sternenlicht erhellt. Er wirkte so fremd – und vertraut. Sein Kopf machte einen Ruck, ich zuckte zusammen, als er mich plötzlich anschaute. »Mh. Aber mal ehrlich, Joey. Was willst du eigentlich machen? Auf längere Sicht? Möglicherweise wäre es eine Überlegung wert. Deine –« Ich funkelte ihn an und er seufzte unhörbar. »Ein anderes Mal«, murmelte er und ich wusste nicht, ob es ein Versprechen oder eine Drohung war. »Morgen ist schon der Videodreh. Ich denke, das wird lustig«, fuhr er fort und seine Begeisterung verjagte ein wenig meine Zweifel. Die Kampagne kam noch dazu. Kaibas Blick in meinen Gedanken. Sarah. Und die Armee von Anzugsträgern. Kameras, Anweisungen, Drehbücher. Wie war ich nur in die ganze Situation geraten? Wann hatte das Ganze angefangen? Ich biss auf meine Unterlippe, schwieg und schaute wieder nach oben. Der Himmel war so weit entfernt und die Sterne schienen doch zum Greifen nah.   Wenn ich an Sommerferien dachte, dachte ich an Sonne und Eis und Weiher und freie Stunden. Nicht an Stress und Befehle und gaffende Männer im Anzug. Oder Zicken, die über den besten Kumpel herfielen. Ich saß da auf dem Stuhl und beobachtete im Spiegel, wie Thea mit Yugi abseits stand. Als wären sie im Auge eines Sturms. Yugi stand neben ihr, als wäre er ihr Hund. Er sah fehl am Platze aus. Sie redete auf ihn ein und er hob beschwichtigend die Hände. Ich ballte meine. Was wollte diese –? Was hatte die überhaupt hier zu suchen? »Alles gut, Schätzchen?«, fragte Sarah über meine Schulter und ließ mir keine Zeit zum Antworten. »Meine Güte! Du siehst bezaubernd aus, Joey, Schätzchen! Bezaubernd! Dein Haar ist so – ordentlich!« Ich verzog mein Gesicht. Menschen schwirrten um mich herum, griffen in meine Haare, sprühten irgendwelches Zeug hinein, puderten meine Nase. Ich starrte in den Spiegel und fing Tristans Blick auf, der neben mir saß. Er hob die Augenbrauen. Ich schaute schnell weg, kämpfe gegen das Gelächter, das sich zwischen meinen Lippen sammelte. In dem Moment hörte ich Tristan losprusten. Es riss mich mit. Als sie begannen Tristans Nase zu pudern, streckte ich ihm die Zunge heraus, was mir ein Naserümpfen meiner Stylistin einbrachte. »Oh je«, murmelte Yugi hinter mir und ich schenkte ihm ein Lächeln, als sich unsere Blicke im Spiegel trafen und ein Stylist Yugi auf den Platz neben mir bugsierte. »Ich hätte nicht gedacht, dass Kaiba so einen – ich hätte es mir denken müssen«, unterbrach er sich selbst und lächelte ein Lächeln, das nur Yugi in so einer Situation zustande brachte. Unbeschwert und ehrlich. Es brachte mich zum Grinsen. Ich drehte mein Gesicht zu ihm, was meiner Stylistin ein »Nanananaana!« entlockte und ich wandte mich resigniert zurück zum Spiegel. »Ja, Kaiba halt«, murrte ich. Thea kniff ihre Lippen zusammen, als mein Blick über den Spiegel auf sie fiel. »Seto Kaibas Methoden sind sicherlich außergewöhnlich. Aber er gibt alles. Nimmt das Ganze ernst – uns ernst! Und wir sollten es als Chance wertschätzen«, behauptete sie. Was wusste sie schon von Kaibas Methoden? Und überhaupt? »Oh, bitte«, spöttelte ich und funkelte Thea an, dann ignorierte ich ihren brennenden Blick in meinem Nacken. Genauso wie Yugis Blick von der Seite oder Tristans von der anderen.   Wenn ich an Sommerferien dachte, sah ich Freizeit, späte Nächte, späte Tage, Schlaf, Wasser, Eis, Sonne, Freunde. »Und cut!«, rief einer, der besonders wichtig aussah und ich verdrehte die Augen. Was ich nicht sah war Anzüge, Leute, die mir Anordnungen entgegen riefen, Schweiß auf der Stirn, Damen, die um mich herumwuselten, um mein Chaos auf dem Kopf alle Viertelstunde zu bändigen und Drehbücher, die absolut beschissen waren. »Und nochmal!« Wie oft denn noch? Jedes Mal nieste jemand oder verpasste den Einsatz. Oder vergaß Worte. Oder eine Geste. Oder einen Blick. Oder blickte nicht richtig. Es war heiß und wir drehten bereits das fünfte Video am dritten Ort. Ich hasste es. Ich denke, das wird lustig. Lustig mein Arsch. Tristan strich sich durchs Haar. Eine der Stylisten quiekte. Thea schnitt eine Grimasse, als ihr jemand die Wimpern nachtuschierte, während mir zwei Hände durchs Haar fuhren. Nicht meine eigenen Hände. »Und Action!« Ich runzelte die Stirn und drehte mich wieder zu Yugi, der mir gegenüber saß. Wir hielten DuelMonsters-Karten, die nicht uns gehörten, in den Händen. Die Stapel bestanden nur aus Karten, deren Rückseiten so aussahen, als wären es DuelMonster-Karten. »Das Spiel ist einfach super, stimmt's Yugi?« Ich lächelte ihn an und spürte, dass mein Lächeln bescheuert aussehen musste. Genau so, als hätte ich es schon fünf Videos an drei verschiedenen Orten durchstehen müssen. »Es macht viel Spaß!«, stimmte er zu. »Es kann nur noch cooler sein, wenn wir es dort spielen!« Er zeigte auf die Arena hinter sich. Eine echte DuelMonsters-Arena, die die Monster von den Karten dreidimensional im Gelände abbildete. So etwas brachte auch nur Kaiba. »Oh ja! Das Feeling! Als wären es echte Monster!«, erwiderte ich. Fühlten sich die Worte nur auf meiner Zunge so lahm an? Als kaute ich auf einem ausgekauten Kaugummi. »Als wäre man selbst mitten im Duell!«, fügte Yugi an. »Mit allen Freunden! Und der Familie!«, riefen Tristan und Thea hinter uns. »Und cut!« Ich strich mir über die Stirn und meine Stylistin knurrte hinter mir, ich verdrehte die Augen. »So ein Schwachsinn«, murrte ich. »Joey Wheeler«, zischte Thea und baute sich vor mir auf. »Hör auf mit deinem kindischen Benehmen die Arbeit von uns allen zu versauen!« Ihre Augen zogen sich zusammen, als ihr Blick über mich flog. Am liebsten hätte ich ihr die Karten, die meine Finger umklammerten, in den Hals gestopft. Stattdessen ignorierte ich sie und wandte mich um. Unter einem der Schirme sah ich Sarah stehen und mit einem der Männer sprechen. »Warum spielen wir nicht einfach richtig? Das ist doch bekackt«, murrte ich und schmiss die Karten auf den Stapel. »Das nimmt einem doch keiner ab! Ich nehm's mir nicht mal selbst ab!« Tristan brummte zustimmend. Yugi schwieg. Thea musste natürlich wieder ihren Mund aufreißen, als hätte sie irgendjemand gefragt. »Dann streng dich mehr an! Hättest du das geübt –« »Es soll natürlich sein. Der Scheiß hier ist alles andere natürlich!«, unterbrach ich sie. »Hey, Leute. Vielleicht –« Sie ignorierte Tristans Einwand. »Dafür musst du sorgen! Das ist die Herausforderung daran! Die Kunst!« Ich wollte mir ihre Klugscheißerei nicht geben. Was machte sie hier überhaupt? »Ich bin kein verdammter Schauspieler! Wir sollten einfach eine Runde spielen!« Yugi und ich hatten schon so viele Spiele gespielt. Es ergab keinen Sinn, nur so zu tun. Er war amtierender Landesmeister und ich immerhin sein Kumpel. Wie schwer war es da ein Spiel unter Freunden mit der Kamera aufzunehmen? »Ich denke«, begann sie und ihre Nasenflügel zitterten, »wir sollten –« »Wen interessiert's«, brummte ich. Tristan schlug sich eine Hand resigniert über die Augen, Yugi zuckte zusammen und Theas Mimik verdüsterte sich wie der Himmel bei einem Sommergewitter. Es war mir egal. Mir war heiß und das, was wir hier zusammenstotterten, klang beschissen. »Was macht die überhaupt hier«, rief ich, wandte mich zu Sarah und wedelte mit meiner Hand Richtung Thea. Sarah schaute von einem Mann mit Kamera zu mir, als hätte ich sie in einem Gespräch unterbrochen. Ich zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Sie spricht die Zielgruppe der Mädchen zwischen neun und dreizehn Jahren an«, erwiderte Sarah mit einem Lächeln, als hätte sie kein Wort unserer Unterhaltung zuvor gehört. Thea schaute zufrieden drein. Der Ärger in meinem Magen brüllte. Yugi griff nach meinem Ärmel, aber ich schüttelte ihn ab. Eine Limousine fuhr heran, an den Absperrungen vorbei. »Ich dachte, wir wollen nur meine Freunde und mich für die Kampagne«, sprach ich unbeirrt. Thea ballte die Hände und das Glühen in meinem Bauch ließ alle anderen Gefühle schmelzen. Die Autotür schlug auf. Kaiba stieg aus, strich sich seien Mantel glatt. »Ich denk, wir kommen auch ohne sie klar«, fuhr ich schroff fort. Keine Unsicherheit. Keine Sorgen. Keine Gedanken. Nur dieses Glühen. »Du bist so ein –«, sie suchte nach Worten, atmete zittrig ein, »Idiot!«, rief Thea und stürmte an mir vorbei. In meinen Wangen stach Gelächter, aber meine Mimik versteinerte. Kaibas und mein Blick trafen sich in diesem Augenblick und das Glühen in meinem Magen verlosch. »Was ist hier los?« Es klang weniger wie eine Frage als ein Befehl, ihn aufzuklären. Sarah beugte sich zu ihm und flüsterte ihm hektisch Sachen ins Ohr. Stylisten und Kameraleute, Tonassistenten und Leute in Anzügen, die für mich keine sichtbare Funktion hatten, schauten Thea nach und mich an oder zu Kaiba. Es war mir egal. Ich riss meinen Blick von ihm los und suchte Yugis, aber der starrte Thea nach. Tristan atmete tief durch. Die Stylistin schwieg und behielt zum ersten Mal an dem Tag ihre Hände außer Reichweite meiner Haare. Die Zufriedenheit, die ich bis eben noch bei Theas Anblick gespürt hatte, bröckelte. Yugi schaute mich kurz an, zögerte und dann drückte er seinen Rücken durch, wandte sich von mir ab und folgte Thea. »Oh, shit«, murmelte Tris und packte damit irgendwie alles, was ich dachte, in zwei Silben. Durch meine Adern raste dieses Gefühl. Als hätte mir jemand etwas vor die Nase gehalten und dann weggenommen, ohne, dass ich es wirklich besessen hatte. Als hätte ich ein Versprechen gebrochen, das ich nie ausgesprochen hatte. Mit einem Satz hechtete ich Yugi hinterher, bis –   »Wheeler!« Kaibas Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich spürte Blicke auf mir, ohne sie zu sehen. »Auf ein Wort.« Unsere Blicke verknoteten sich und ich vergaß all die anderen um mich herum, als wären wir die einzigen beiden Personen hier. Er stand da. In einer Hand seinen Aktenkoffer. Mit einem weißen Mantel, der diesen Temperaturen völlig unangemessen war und einem Gesichtsausdruck, der mich schlucken ließ. Ich drückte meinen Rücken durch und reckte mein Kinn und redete mir ein, dass es mir egal war. Ich sah, wie Yugi über Theas Schulter strich und Tristan, der mich anschaute, als wäre alles meine Schuld. »Mittagspause! Los! Eine Stunde! Dann wieder hier!«, rief der Mann mit Anzug in sein Megafon und scheuchte die Crew davon, als handelte es sich um einen Unfallort. Ich konnte auch weder hin- noch wegsehen. Kaiba thronte über allen, obwohl er nur einer von vielen war. Und trotzdem war er es nicht. Das hier war Seto Kaiba, der Geschäftsmann. Alles an ihm schrie, dass er ein arroganter Arsch war, der sich nur für sich interessierte. Einer mit Dollarzeichen in den Augen und zehn Angestellte an jedem Finger. An jedem Haar. Der, der nur unter seinen Bedingungen Verträge schloss, der, dessen Charisma jeden erblassen ließ. Der, den die Presse verfolgte. Und trotzdem sah er nur mich an in diesem Augenblick. Dann wandte er sich um und schritt zu seiner Limo und stieg ein, ohne sich zu versichern, dass ich ihm folgte. Ich folgte ihm zähneknirschend. Als ich die Tür hinter mir zuzog, wies Kaiba Roland an, eine Runde zu drehen und ließ die getönte Scheibe zwischen Fahrer und Kabine hoch, während ich das wohlige Seufzen unterdrückte, weil die Klimaanlage den Schweiß von meiner Stirn kühlte. Kaiba saß neben mir auf der Rückbank der Limo mit überschlagenen Beinen und dem Blick aus dem Fenster, als ignorierte er mich – oder müsste sich ablenken. Draußen schlichen andere Autos auf der Gegenspur und Menschen hasteten über die Ampel. Jemand hupte. Genervt wandte ich mich wieder dem Inneren des Wagens zu und wartete auf einen spöttischen Kommentar, auf Wut oder auf eine Kündigung mit verbalem Mord. Stattdessen schwieg er. Ich wollte ihm den Hals umdrehen. »Was zur – was soll das?«, murrte ich. »Zählst du innerlich bis zehn oder was?« Nur Seto Kaiba schaffte es mit einem Blick, dass ich mich gleichzeitig verteidigen und ihm eine verpassen wollte, nicht kleinbeigeben und abhauen. Glaubst du wirklich, das ginge gut? »Ich bin bei siebenundvierzig«, erwiderte er trocken, was mir ein humorloses »Ha. Ha« entlockte, während er seinen Laptop in aller Ruhe aus dem Koffer zu seiner Seite auspackte, ihn auseinander klappte und anfing zu tippen, dabei nippte er an einem Kaffee in einem Becher-to-go. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete ihn. »Hör auf damit«, knurrte ich. Zuerst glaubte ich, er würde nicht antworten. Mich mit der Limo an den Stadtrand fahren und mich mitten im Nirgendwo aussetzen. Seine steinerne Mimik beruhigte mich nicht wirklich. »Womit?«, fragte er kühl. Er schrieb, nahm einen Schluck aus seinem Becher, tippte weiter. »Damit«, murmelte ich und machte eine Handbewegung, die ihn komplett einschloss. »Ich muss arbeiten, Wheeler. Anders als andere arbeite ich immer für meinen Erfolg und setze nicht auf gelegentliches Glück trotz Inkompetenz.« Meine Gelenke versteiften. Als hätte mir jemand Schrauben in jedes einzelne gedreht. »Arsch«, knurrte ich und drehte mich von ihm weg, schaute nach draußen, aber als er wieder sprach, schnellte mein Blick zu ihm. »Fühltest du dich etwa angesprochen?«, fragte er und in seinen Augen glitzerte der Spott. Ich sah es, obwohl er mich nicht direkt anschaute. Es war etwas um seine Mundwinkel. Kein Lächeln, eher ein grimmiges Zucken. »Was willst du, Geldsack? Was machen wir hier?«, wollte ich wissen und meine Ungeduld zappelte in jedem Wort. Er presste seine Lippen aufeinander und zerstörte damit das Bild des gleichgültig vor sich hin tippenden Geschäftsmannes. Seine Finger erlahmten und dann schaute er zur Seite, mich direkt an. Seine Augenbraue zuckte nach oben, doch ansonsten trug er eine Maske über jedem Muskel seines Gesichts. Mein Blick geisterte darüber und er kam mir so fremd vor, dass ich an seinem Mund hängen blieb und den Gedanken, ihm nahe gewesen zu sein, als witzlosen Witz empfand. »Die Frage ist: Was machst du, Wheeler?« Ich stierte ihn an, bohrte meinen Blick in seinen. »Was meinst du?« Er lachte kurz auf und es klang nach dem Gegenteil von Amüsement. »Du kapierst nicht, dass jeder auf der Welt alleine ist, Wheeler. Aber das ist die Wahrheit. Letztlich bleibst nur du und du musst mit deinem Leben klarkommen. Das kann keiner für dich –« »Und Mokuba?«, fragte ich. »Würdest du ihm das auch sagen?« Sein Mundwinkel senkte sich, während sein Blick nach draußen schweifte. Hochhäuser umsäumten jetzt die Sicht aus dem Fenster. Sie wanderten hinter Kaibas Kopf vorbei. »Wie würdest du bei ihm den jämmerlichen Versuch starten, dein lächerliches Verhalten zu erklären? Oder deinem Bruder? Deinen Freunden?«, flüsterte er, doch jedes Wort schlug mir in den Magen. Ich zuckte bei der Erinnerung an Yugis Miene innerlich zusammen. Ich hatte es verkackt. Ich hatte es echt und so richtig – aber diese verdammte – »Es gibt nur drei Möglichkeiten«, fuhr er fort und klang, als verhandelten wir über ein Geschäft, das ihn nicht interessierte. »Erstens. Die Flöhe auf deinem Kopf verseuchen dein Gehirn. Zweitens. Du fällst in alte Verhaltensmuster. Drittens. Du bist eifersüchtig.« Wenn ich an Sommerferien dachte, sah ich nicht Seto Kaiba vor mir, der mich über meine Gefühlswelt belehrte. Ich blinzelte. »Eifersüchtig«, krächzte ich und konnte nicht fassen, dass Kaiba dieses Wort benutzt hatte. »Ich persönlich tippe auf eine Mischung aller drei Aspekte. Wobei ich den mit den Flöhen favorisiere.« Ich verdrehte die Augen, verlor aber die Lust, ihm den Hals zu verdrehen. Dafür beschlich mich Übelkeit. »Seit wann bist du der Menschenkenner?«, spöttelte ich, aber es klang lahm. Er wandte mir sein Gesicht zu, studierte meines, als suchte er etwas. Verärgert schnaubte ich, doch er ließ sich nicht beirren. »Menschen sind mir zum Großteil gleichgültig, Wheeler.« Er nippte an seinem Kaffee und in seinen Augen glitzerte dieses Mal etwas, das als Belustigung hätte durchgehen können, wäre es nicht Kaiba gewesen. »Hündchen.« Das Wort rollte von seinen Lippen als verspeiste er Eis zum Nachtisch. Ich ballte die Hände. Da war es wieder. Das Gefühl. »Ich bin kein Hündchen!«, brauste ich auf, doch noch ehe ich meine Beleidigungen los wurde, schaffte er es, mich sprachlos zu machen. »Dann hör endlich auf, dich wie eines zu benehmen, Hündchen. Hör auf zu winseln und Yugi hinterher zu laufen. Hör auf, dich hinter ihm zu verstecken. Und bei ihm.« Es wird Zeit, dass du dich entscheidest. Für einige Sekunden starrte ich ihn einfach nur an, den Mund geöffnet. Dann sickerten seine Worte durch die dicke Schicht an Unglaube und Sturheit. Seto Kaiba, der Geschäftsmann. Der, der nur unter seinen Bedingungen Verträge schloss, der, dessen Charisma jeden erblassen ließ. Aber mich nicht einschüchterte. Nicht immer. Nicht Kaiba. Erst recht nicht. »Hast du sie noch alle? Ich lauf ihm nicht – ich –«, brauste ich auf. »Ich hab einfach grade sau viel –« »Deine Ausreden sind lächerlich, Wheeler. Erspar mir deine pathetischen Ausflüchten und fang endlich an, das zu tun, was du wirklich kannst.« Seto Kaiba. Der, der mich mit wenigen Worten mehr verletzen konnte, als eine bewaffnete Gang. »Zu winseln? Herum zu sabbern? Ein Idiot sein? Oder welche beschiss'ne Beleidigung kannst du kaum warten, loszuwerden, du bekackter, arroganter –« Er nippte an seinem Kaffee und wischte nebenbei meine Worte mit einer Bewegung seiner Hand fort, lehnte sich zu mir und ich wollte mich von ihm wegdrehen, aber tat es nicht, weil er mich hypnotisierte. Also saßen wir hier, Seite an Seite auf der Rückbank der Limousine und schauten einander in die Augen, als würde der verlieren, der zuerst blinzelte.   »Nicht der zu sein, den andere in dir sehen«, antwortete er und ich blinzelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)