Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 42: … bin am Ertrinken ------------------------------   __________________________________________   Es ist niemand da, dem man die geballte Macht seiner Seele reichen kann, wenn man das Gefühl hat, daran zu ertrinken. © Damaris Wieser    __________________________________________           Ich war schon lange kein Kind mehr. Dafür hatten meine Eltern gesorgt. Aber manchmal tat ich so, als hätte ich das vergessen.   »Was soll das heißen, er ist gegangen? Nein, er ist nicht bei mir!« Ich fuhr hoch und starrte auf meine Füße. Die Stimme der Frau am Apparat klang, als käme sie aus einem Traum. Ihre Worte ergaben keinen Sinn und ich öffnete den Mund, schloss ihn wieder, ballte meine Hände, um das Gefühl in meinem Magen unter Kontrolle zu bekommen. Aber die Lava ätzte durch meinen Bauch. Ich wollte mich übergeben. »Das letzte Mal sagt man mir sozusagen, er ist am Abkratzen und jetzt haut er ab oder was? Kann er das überhaupt? Ich mein –« »Ich verstehe Ihre Aufregung. Der Gesundheitszustand Ihres Vaters war weiterhin kritisch. Allerdings schlugen die Medikamente an und dank der Operationen«, wann hatte er Operationen?, »konnte die verbrannte Haut –«, es war mir egal, warum rief sie mich überhaupt an? Sollte er doch gehen und nicht mehr auftauchen. Sollte er doch abhauen und nie wieder kommen. »Wir verständigen sofort die Polizei, allerdings wollten wir sichergehen, dass er sich nicht einfach nach Hause begeben«, ich hatte kein Zuhause mehr. Wo sollte dann er hin? Ich nickte, obwohl ich bemerkte, dass die Frau das nicht sehen konnte. »Wir benachrichtigen Sie sofort, wenn wir neue Informationen erhalten.« Ich wusste, dass man sich normalerweise verabschiedete oder bedankte oder irgendetwas sagte. Aber mir kam keine Silbe über die Lippen, die ich zusammenpresste, deswegen blieb ich still und als sich die Frau verabschiedete, kappte ich die Verbindung, indem ich auf den roten Hörer drückte. Stille. »Ich sollte –« Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es war mitten in der Nacht und es gab so viele Sachen, die ich klären wollte. Mein Vater stand nicht einmal auf der Liste drauf und trotzdem ging er mir nicht aus dem Kopf. »Verdammte Scheiße«, knurrte ich und wollte auf etwas einschlagen, das nicht nachgab. Kaibas Blick brannte sich in meinen Nacken, aber ich sah nicht zu ihm. »Mein alter Herr ist aus dem Krankenhaus abgehau'n«, erklärte ich, obwohl ich mir sicher war, dass Kaibas brillanter Verstand das längst verarbeitet hatte. »Dabei gibt's nicht mal nen Ort, wo er hin könnt. Außer die Bar, ein paar Bars – von unserer verkohlten Wohnung mal abgeseh'n«, spie ich aus. »So ein dummer –« »Lass uns gehen.« Kaiba schlug es nicht vor, er ordnete es an. Ich wollte ihm den Vogel zeigen, aber sein Blick hielt mich davon ab. »Wir fahren die Orte ab, wenn er dort nicht ist, dann –« Ich schnaubte. »Es geht mir am Arsch vorbei, wo er ist oder nicht«, knurrte ich. Ich wollte verschwinden, mein Atem ging, als wäre ich einmal durch mein altes Viertel gejoggt, während ich von einer Bande Jungs mit Messer verfolgt worden wäre. »Ja, genau so wirkst du. Völlig gleichgültig«, spöttelte Kaiba und schritt in den Flur, zog sein Phone aus der Hosentasche und gab jemandem Bescheid, dass es sich um einen Notfall handelte und Mokuba eine Aufsicht benötigte. Keine Viertelstunde später stand Roland in der Tür, in Anzug und Krawatte, und deutete eine Verbeugung an. Trotz der Situation konnte ich nicht anders als ihn anstarren. Hatte der Mann kein Leben? Kaiba ließ mir keine Gelegenheit, die Frage zu stellen. Er stieß mich vor und drückte sich dann an mir vorbei Richtung Garage.   »Wo glaubst du, würde er als erstes hingehen, Wheeler?« Kaiba lenkte seinen Sportwagen durch die leeren Straßen des Viertels, während ich abwog, ob ich Yugi anrufen sollte. Aber was könnte er mehr tun als wir eh schon taten? »Unsere alte Wohnung«, brummte ich und sträubte mich gleichzeitig gegen die Worte. Ich wollte nicht dorthin. Wir fuhren die Nacht durch Domino, mehrmals an den Blöcken meines alten Viertels vorbei, die dort standen wie Mahnmale, klapperten einige Bars ab, kreisten durch die Straßen, aber wir fanden nur Obdachlose, Katzen und Schichtarbeiter. Ich starrte aus dem Fenster des Autos, tief in den Sitz gesunken, die Arme ineinander verschränkt und lauschte dem Fahrgeräusch. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich meinen Vater finden wollte. Ich wusste nicht, ob ich seine Gegenwart ertrug. Es war leichter, alles zu ignorieren. »Ich fahr dich zu Yugi.« Mein Blick schnellte zu Kaiba, der seine Augen nach vorne auf die Straße gerichtet hatte und mit beiden Händen das Lenkrad hielt. Ich seufzte und rieb mir über die Augen. »Nein«, meinte ich gedehnt. »Fahr zu dir.« Er schwieg, aber widersprach nicht.   Obwohl ich mich dafür verabscheute, legte ich mein Handy auf seinen Nachttisch und streckte immer mal wieder meinen Arm danach aus, um zu überprüfen, ob ich einen Anruf verpasst hatte. Aber der Bildschirm zeigte an, dass dem nicht so war. »Wheeler, schlaf. Sie werden dich nicht schneller benachrichtigen, wenn du dauernd auf das Handy starrst.« Ich brummte. Was, wenn mein Vater tot war? Überfahren? An seinen Schmerzen eingegangen? Irgendwo in einer Ecke verreckt? Ich wiederholte in meinen Gedanken, dass es mir egal war. Aber sich selbst anzulügen war wie mit dem Spiegelbild zu diskutieren. Man verlor. Ich starrte an die Decke von Kaibas Schlafzimmer, lag in Shorts und einem T-Shirt da, das mir viel zu groß war und an dessen linker Brusttasche ein KC gestickt war. Ich wollte einen trockenen Scherz loslassen, aber der blieb mir im Halse stecken. Stattdessen lauschte ich Kaibas Atemzügen und beobachtete immer mal wieder sein Profil. Obwohl ich es nur wie einen Schatten erkannte, sah ich sein Gesicht vor mir. Die Stille klatschte mir meine Lügen um die Ohren. Das Gefühl, darin zu ertrinken, überrannte mich. Es war mir nicht egal. Und in diesem Gedanken sprudelte die Hilflosigkeit. Mein Vater war ein Arsch. Er war schwach und zerrüttet. Aber was, wenn er tot war? Das Gefühl von Einsamkeit ergoss sich über die Hilflosigkeit. »Kaiba«, raunte ich und drehte mich seitlich zu ihm, »schläfst du schon? Geldsack?« »Flohschleuder, halt die Klappe! Wir haben nur noch zwei Stunden!« Über meine Lippen zuckte ein schwaches Lächeln. »Mehr brauch ich nicht.« »Ich würde eher auf zehn Minuten tippen.« »Arsch«, brummte ich, streckte meinen Arm ein bisschen, was meine Nerven entflammte, berührte etwas, von dem ich glaubte, dass es sein Arm war, der zurückzuckte. Es jagte mir eine Gänsehaut über den Nacken und alle Härchen stellten sich auf. Er war mir so nah. Die Einsamkeit ertrank in dem Gefühl von Möglichkeiten. »Kaiba«, raunte ich wieder und fiel beinahe vor Schreck aus dem Bett, als er sich mit einem Ruck zu mir drehte und mir direkt in die Augen sah. »Alter!«, knurrte ich und schnaubte, nur um das Schlucken zu verschleiern. »Wheeler, schlaf endlich oder ich schmeiß dich aus dem Zimmer.« »Ich wollte nur –« Ich wollte nur sichergehen, dass er neben mir lag. Dass er wirklich, wirklich da war und das Gefühl in meiner Brust, das mir den Atem nahm, nur von meinem Kopf kam. Ich presste meine Lippen zusammen, drehte mein Gesicht weg, verkreuzte die Arme hinter meinem Kopf, bettete ihn drauf und starrte wieder an die Decke. »Du hast mir nicht mal meine Frage beantwortet«, flüsterte ich. »Umso interessanter, dass du jetzt hier neben mir liegst.« Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Mir wollte einfach nichts darauf einfallen. Also drehte ich ihm den Rücken zu und schwieg. Mein Blick fiel auf den Nachttisch und ich stierte ihn so lange an, bis mir die Augen zuklappten.   »Wach auf, Wheeler.« Ich zog die Decke über meinen Kopf. »Wheeler, das ist absolut kindisch.« »Is'mir egal«, nuschelte ich mit geschlossenen Augen. Es war warm und weich und das war jede Kinderei wert. »Wheeler, ich habe keine Zeit für so einen Unfug. Meine Firma –« Er zog mir die Decke weg und ich schnappte nach Luft, klammerte mich um meine Beine in dem Versuch, die Wärme einzufangen. »– wartet nicht, bis sich das Hündchen aus seiner Hütte bequemen möchte.« »Is'mir auch egal.« Ich tastete nach der Decke, fand einen Zipfel, riss sie zu mir und ächzte, als etwas viel Schwereres auf mir landete. »Wheeler!«, knurrte Kaiba und ich blinzelte. »Warum lässt du auch nicht einfach los, Idiot«, murmelte ich und sah mich zwei glühenden Eiszapfen gegenüber. Kaiba hing halb mit der Decke über dem Bett, stützte sich mit einem Arm ab und schwebte nur einen halben Arm von mir entfernt. »Köter«, begann er und in seiner Stimme lauerte eine Lawine. »Nur zehn Minuten?«, wagte ich zu fragen, grinste ihn an und zog ihn an seinem Shirt ein bisschen näher. Das verschlug ihm für einen Moment die Stimme. Ich strich durch die Strähnen, die in sein Gesicht fielen. Und da zuckte etwas durch seine Augen. Ein Feuer, das sich durch das Eis seines Blickes fraß. »Geh duschen«, brummte er und befreite sich mit einem Ruck aus meiner Gegenwart. In dem Moment droschen die Fragen, die Gedanken und die Gefühle von letzter Nacht wieder auf mich ein. Ich verzog mein Gesicht. Es war so schön leicht, das alles in seiner Gegenwart zu ertränken.   »Iss«, befahl er, als ich mein Brötchen anstarrte, während wir zu dritt am Frühstückstisch saßen. Normalerweise schenkte ich mir das Frühstück für ein paar Minuten mehr im Bett, aber das war nicht der Grund, warum sich mein Magen anfühlte, als traten Beine von innen dagegen. Mokuba schmatzte neben mir. Mir war danach, mich wieder ins Bett zu legen. »Joey, geht's dir nicht gut?«, fragte Mokuba, zog seine Augen zusammen und betrachtete das Brötchen vor mir. Oder mich zu übergeben. »Alles gut«, log ich und ich glaubte mir nicht einmal selbst. Mokuba suchte Kaibas Blick, aber sie schwiegen beide. Ich war kurz davor aufzustehen und Yugi anzurufen, aber was hätte es gebracht? Nur mehr Personen, die nichts ausrichten konnten und sich verrückt machten. Also ließ ich es. Stattdessen starrte ich immer wieder auf das Handy. Nichts.   Wir fuhren in die Kaiba Corporation, wo mich Kaiba Sarah überließ. Nicht ohne mir einen Blick zuzuwerfen. Als würde er ein unartiges Kind am liebsten an die Leine nehmen. Ich blähte vor Trotz die Wangen und er hob die Augenbrauen, sagte aber nichts. Sarah lächelte und dirigierte mich in ihr Büro. Dort herrschte wie immer organisiertes Chaos und ich setzte mich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch, bei dem ich mich wunderte, dass er nicht zusammenbrach, während ich meine brennenden Augen rieb. Sarah knipste den Beamer an und tätschelte meine Schulter, während sie am Schreibtisch lehnte und die Animation betrachtete, die mir einen Stein in den Magen warf. »Joey«, sagte sie, »du kannst wirklich stolz auf dich sein!« Ich nickte, aber von dem Stolz spürte ich nichts, als ich auf einer Projektionsfläche meine animierten Zeichnungen sah. Der Drache schlängelte sich. Die Karte drehte sich. Die Buchstaben bewegten sich, doch alles, was ich vor mir sah, war mein Vater im Krankenbett. Es war, als verlor ich das Gefühl in meinen Füßen. Ihr Telefon klingelte, sie hob an und gleichzeitig ihre Brauen. »Ja, alles in Ordnung, Schätzchen. Wir arbeiten. Ob du es glaubst oder nicht. Auch andere Leute in diesem Haus arbeiten ab und zu. Ja, wunderbar. Bis dann!« Sie legte auf und schüttelte den Kopf, dann wandte sie sich wieder mir zu und ein Lächeln spannte sich über ihre Lippen. »Wo waren wir? Ahja, hier ein Poster, hier ein Flyer, und so wird das Plakat aussehen. Überall dein Kunstwerk!« Sie strahle, ihre Armketten klimperten, während sie sich zu mir beugte und eine Hand auf die Schulter legte, setzte sich auf den Bürostuhl und legte ihre Finger aneinander, nahm einen Schluck Kaffee und nötigte mich, es ihr gleich zu tun. Also saß ich ihr gegenüber, trank Kaffee, der für mich viel zu schwarz war und schwieg sie an. »Erzähl, Joey.« Ich sah auf, stellte die Frage ohne Worte, woraufhin sie ihr Lachen hören ließ. »Was hast du angestellt?« Ich runzelte die Stirn. »Wie kommst du drauf?«, wollte ich wissen und mein Blick verdüsterte sich. Natürlich war ich der Schuldige, der, der etwas vermasselt hatte und nie jemand anderes. Die Müdigkeit wich Zorn. Ich blähte meine Wangen und ballte die Hände, doch ihre nächsten Worte saugte die Luft aus meinem Brustkorb. »Seto hat vorhin angerufen, um sich zu erkundigen, wie es dir geht.« »Oh.« Sie fixierte mich, hob ihre Kaffeetasse wieder an die Lippen und nahm einen Schluck, als säße sie in feiner Gesellschaft, mit abgespreiztem kleinem Finger. Ich betrachtete ihn, damit ich ihrem Blick nicht begegnen musste. Ich fürchtete, sie würde in meinem zu viel lesen. Ich konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Ich würde darin ertrinken. »Schön«, behauptete sie und stellte die Tasse zur Seite. »Ich glaube, ich weiß, wie ich dich wach bekomm und ein bisschen aufmuntern kann.« Ich bezweifelte es, aber als sie mich am Arm packte und mitzog, wehrte ich mich nicht. Wir rauschten durch den Gang mit weißen Wänden und Glasfronten, bis wir vor einer Automatiktür stehen blieben, an deren Seite Sarah einen Code eingab. Die Tür glitt auf und meine Augen weiteten sich. »Willkommen, Joey!« Sie klopfte mir auf die Schulter und ich machte mit ihrem Klaps einen Schritt hinein. Anders als der Teil der Kaiba Corporation, den ich schon kannte und mich eher an Zahnärzte erinnerte, herrschte in diesem Geschoss buntes Durcheinander. »Das hier ist das Kaiba Animation Studio«, erklärte sie, »und diese wunderbaren Menschen hier hauchen allerlei Zeichnungen Leben ein.« Menschen saßen sich an Tischen gegenüber, PCs und Laptops dazwischen. An den Seiten standen Zeichenbänke, auf sich denen Papiere, Rollen, Skizzen, Blöcke und Stifte stapelten. Gespräche schwebten über den Arbeitsplätzen, Kaffeetassen standen auf den Tischen und Kopfhörer steckten in dem einen oder anderen Ohr. Die Atmosphäre erinnerte mich an geschäftige Pause. Statt Anzügen kamen mir Sweatshirts und Tops entgegen. »Du siehst ziemlich verloren aus. Mach dir nichts draus, Schätzchen. Du wirst dich daran gewöhnen. Schneller als dir lieb ist. Seto war anfangs auch ziemlich schüchtern.« Mein Blick fuhr zu ihr, während ich versuchte, nichts zu verpassen. Es war als hätte mich jemand in einen Laden gestellt, an dem draußen stand Schulbedarf und innen die Regale voller Süßigkeiten überquollen. »Schau mich nicht so ungläubig an! Er war aber auch erst vierzehn, als er das alles hier aufbaute. Kannst du dir vorstellen, wie sich manch feiner Herr benommen hat, als Seto ihm eröffnete, dass statt Kriegsmaschinerie ab sofort hier Kinderspielzeug geplant wird? Statt Kriegstechnik, High-Tech-Spielzeug?« Nein, konnte ich nicht. Ich konnte mich ja schon gegen Tris manchmal nicht durchsetzen. Wie hatte Kaiba das gemacht? »Gut, schüchtern ist vielleicht der falsche Begriff«, fuhr Sarah nach ein paar Schritten fort. »Arrogant und von sich selbst überzeugt?«, schlug ich vor und unterdrückte ein Gähnen. Ein Grinsen zuckte über ihre Lippen. »Äußerlich«, gab sie zu, »aber innerlich?« Ich beantwortete die Frage nicht, weil sie nicht so einfach zu beantworten war und weil Sarah mir bedeutete an einem der Tische mit PCs zu warten, während sie von hinter an den Mann trat, der mit riesigen Kopfhörern auf dem Drehstuhl saß und immer wieder mitsang und dabei jeden Ton vergeigte. Sein Haar grün gefärbt und lockig, hätte ich ihm keine Silbe davon geglaubt, bei der Kaiba Corporation zu arbeiten. Er schob den Kopfhörer vom Kopf auf die Schulter, drehte sich um und blinzelte, während er einen Stift aus dem Mund nahm und dann breit grinste. »Sarah, schickt dich der Chef oder flüchtest du vor der Langeweile in deinem Büro?« »Weder noch«, erwiderte sie und deutete auf mich. »Ich habe dir versprochen, ihn dir vorzustellen, Mailo. Hier ist er: Joey Wheeler.« Mailos Blick wanderte zu mir, seine grünen Augen kniffen sich kurz zusammen, dann rollte er mit dem Stuhl zu mir und statt mir die Hand zu reichen, streckte er mir die Faust entgegen. »Ja, ey, Joey! Das freut mich! Wird auch mal Zeit, dass du dich hier blicken lässt. Hoff, die alten Säcke da oben haben dich noch nicht versaut.« Er tippte mit dem Stift an seinen Kopf und ich war wie erschlagen, was ich auf den Schlafentzug schob. »Die gehen in deinen Kopf und saugen dir alle Ideen raus, ehrlich. Vor lauter Standardisierung und Geld und Scheißdreck«, raunte er. Sarah verdrehte die Augen, aber widersprach nicht. Er lachte. Sein Lachen war tief und brummte in meinem Bauch. Er öffnete ein paar Dokumente auf seinem PC und ich schaute auf meine Zeichnungen, koloriert, verschiedene Perspektiven und dann einige Animationen, für die mein Zeug als Vorlage gedient hatte. »Die Sache hier zieh'n wir mal traditionell auf. Kein 3D-Wahn. 2D-Zeichnungen, aber 3D-Effekt. Himmelweiter Unterschied. Wird mal Zeit, dass wir den Kids von heute gutes Material bieten.« Er grinste mich an und ich hatte das Gefühl zu schweben. Mein Zeug gleich gutes Material? »Wunderbar. Joey, ich sehe, du bist in guten Händen. Ich gehe dann wieder in mein langweiliges Büro.« Sie warf Mailo einen Blick zu, der daraufhin nur mit der Schuler zuckte, grinste und am Stiftsende knabberte. »Wenn was ist, dann –« »Er wird keine Sekunde bereuen, hier zu sein, dafür sorg ich schon«, behauptete Mailo und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Sarah seufzte.   Wenn ich an die Kaiba Corporation dachte, spukten Konferenztische und Schlipsträger in meinem Kopf. Sekretärinnen, die mich nur mit einem Zähneknirschen vorbei ließen, Bodyguards, die mich argwöhnisch beobachteten und Kaiba, der hinter seinem Schreibtisch thronte, Domino zu seinen Füßen. Was ich dabei vergaß war, dass hinter den ganzen Spielen, der Technik und Werbung viele Köpfe steckten. Und nicht alle zwängten sich durch Krawatten. Ich hatte das Gefühl ein Kind zu sein, das im Spielzeugladen ausgesetzt worden war.   Mailo wies mir einen der Tische zu, auf denen Zeichenutensilien verteilt lagen, Skizzen hingen an den Wänden und Blöcke zeigten kolorierte Versionen. »Hey, ich bin Tai«, begrüßte mich ein Mann einen Tisch weiter rechts und schüttelte meine Hand. Er lächelte, während er die Strähnen, die unter der Mütze hervorlugten, aus seiner Stirn strich. Es war eine Wollmütze, wie man sie im Winter trug, und es war wohl so eine Künstler-Macke, die ihn damit im Sommer rumlaufen ließ. »Joey«, entgegnete ich und lächelte. »Was arbeitest du?« Meine Augenbrauen sprangen nach oben. »Ähm. Ich bin noch in der Schule.« Tai lachte auf. »Ich meinte, woran du hier arbeitest.« »Oh.« Ich kam mir vor wie ein Idiot. »Ähm – also –« In dem Moment ließ sich eine Frau einen Tisch weiter links auf den Stuhl fallen und stöhnte genervt, während sie ihre Hände vors Gesicht schlug. »Einen Weißen Drachen, der singt«, brabbelte sie vor sich hin, »ein Weißer Drache, der mit einem Kleinkind singt! Sie glauben echt, das spricht Kleinkinder an!« »Hey, Maya, was los?«, fragte Tai und grinste mich an, dann schaute er wieder zu der Frau, die sich in ihr rotes Haar griff und stöhnte. »Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Der Song, den sie dafür komponiert haben oder die Idee an sich«, brummte sie. »Ich hab's satt Weiße Drachen zu zeichnen! Weiße Drachen Plüschtiere, Weiße Drachen als Actionfiguren. Schön und gut! Aber Der Weiße Drache geht zum Zahnarzt? Der Weiße Drache geht in die Schule? Weiße Drachen, die singen. Was kommt als nächstes? Jedes Mal werden die Ideen schlimmer!« Dann fiel ihr Blick auf mich. »Hey. Wer bist du denn? Ich bin Maya! Schön, dich kennen zu lernen! Bist du neu? Ja, offensichtlich. Woran arbeitest du denn?« Sie redete so schnell, dass ich sie mit offenem Mund anstarrte, während sie meine Hand schüttelte und lächelte. »Äh. Joey. Ich bin hier nur –« »Moment! Joey?« Sie ließ meine Hand fallen und starrte mich an. Ihre Stimme bekam etwas Quietschendes. »Aber nicht wie in Joey Wheeler, oder? Joey Wheeler wie in: hat Le vor versammelter Mannschaft in den Boden gestampft. Vor dem Chef! Und seine Idee! 2D-Zeichnungen! Back to the roots, Mann! Sei der, der du sein willst, nicht der, den die anderen in dir sehen! Endlich jemand, der mal den Mund aufmacht! Und die Skizzen: So einfach und genial! Der Stil brillant! Kein Blinkiblinki, keine sprechenden Weißen Drachen, kein Getanze und Gesinge! Der Weiße Drache in seiner anmutigen Stärke! Kein Chibi-Zeug. Kein –« »Ich denke, wir haben's begriffen«, bremste Tai sie und Mayas Mund schnappte zu, doch ihr Blick klebte an mir. »Ähm – ja, doch. Joey Wheeler«, versicherte ich und kratzte meinen Hinterkopf vor Verlegenheit, dann grinste ich, als sie eine Unterschrift verlangte und ich kritzelte meinen Namen auf eine meiner Skizzen, schob sie ihr zu, während sich mein Selbstbewusstsein dehnte und streckte und ich ihr bereitwillig Fragen beantwortete. »Joey Wheeler«, wiederholte sie, »verrückt!« Ich warf Tai einen Blick zu. Wer oder was hier verrückt war hing wohl deutlich vom Standpunkt ab. Tai grinste zurück und zuckte die Achseln. »Hey, Joey!«, rief Mailo über seine Schulter. »Zeichne Yugi Mutos Lieblingskarte und die der anderen Turnierteilnehmer. Und alle gemeinsam auf eine Skizze. In dem Stil. Danach machen wir uns an die Animationen.« Ich hatte das Gefühl, ein neuer Mensch zu sein. Als wäre ich ertrunken und wieder aufgetaucht. Als hätte mich jemand herausgezogen und auf ein Podest gestellt. Hier, deine Chance. Maya war auf ihre Art verrückt, aber sie strahlte etwas aus, das mich behaglich zurücklehnen ließ. Tai verströmte – ganz im Gegensatz zu Maya – Ruhe. Mailo forderte mich und nahm kein Blatt vor den Mund. »Nö, nochmal! Da muss mehr Bewegung rein! Dynamik, Joey! In dem Spiel geht's um Action!« Auf seinen Lippen lag immer ein Lächeln, dazwischen hing ein Stift. In seinen Augen funkelte Anerkennung, selbst, wenn ich es verbockte. Kritik, die mich nicht zerschmetterte, sondern beflügelte. Wir diskutierten über die Skizzen, kritzelten Ideen auf Papier, schritten hin und her und wedelten mit Händen, nickten und schüttelten unsere Köpfe. Die Atmosphäre hing zwischen freundschaftlich und arbeitswütig. Dann befiel Stille das Studio und Mayas Schweigen brachte mich dazu, von meiner Zeichnung aufzusehen. »Hey, was –« Mein Blick folgte ihrem. Ich stützte die Lippen. Die Mitarbeiter verstummten, hielten inne, die Atmosphäre kippte in Anspannung. Seto Kaibas Gegenwart brachte die Arbeit in der Abteilung zum Erliegen. Mit seinem Hemd und der Krawatte passte er hier hinein wie ich mit Shorts und T-Shirt in den Konferenzsaal. Er wirkte wie ein anderer Mensch, als der, der mir heute Morgen die Decke weggezogen hatte. Ich überlegte, woran das lag, aber kam nicht drauf. Mailo schlenderte ihm entgegen. »Herr Williams«, durchschnitt Kaibas Stimme die Stille. »Wie geht es mit der Kampagne voran?« Mailo schüttelte seine Hand und führte ihn dann, unter den Blicken aller, an seinen PC. Maya flüsterte etwas, das ich nicht verstand. Tai zuckte die Schultern. »Warum arbeiten Sie nicht in Ihrem Büro?«, fragte Kaiba und seine Herablassung jagte Falten über meine Stirn. »Ach, bin so allein da«, erwiderte Mailo gelassen und grinste. »Ich bevorzuge meine Kollegen hier.« Kaiba rümpfte die Nase, sagte aber nichts. Seine Mimik drückte alles aus, was er mit Worten hätte sagen können. »Die neuesten Skizzen sind noch bei – hey, Joey, bring mal die neuen Skizzen her!«, rief Mailo zu mir rüber und ich spürte, wie sich alle Augen auf mich richteten. Mein Hals wurde trocken, als ich nach den Papieren griff und meine Schritte kamen mir zentnerschwer vor unter den ganzen Blicken. »Danke, Joey!« Mailo hatte immer die Zeit, sich zu bedanken. Dann blätterte er die Papiere durch, zeigte sie Kaiba, dessen Mimik unbewegt blieb und klickte sich durch die Animationen und Entwürfe am PC. Wenn er so schaute, war es unvorstellbar, dass er derselbe war, der letzte Nacht neben mir gelegen hatte. Der, dessen Augen entflammten, wenn ich ihm nur nah genug kam. Ich stand neben den beiden, die Blicke der Abteilung im Kreuz, und konnte das Grinsen, das meine Lippen nach oben bog, nicht verbergen. Hitze kribbelte über meine Arme und mit jeder kolorierten Zeichnung und jeder Bewegung der von mir vorgelegten Skizzen, füllte sich mein Bauch mit Wärme. Das Kribbeln, ein Gefühl, als zuckten hunderte Fische in meinem Magen, ließ mich neben Kaiba und Mailo von einem Fuß auf den anderen treten. »Verdammt, Kaiba, ist das nicht echt cool?«, platzte aus mir heraus. Etwas fiel auf den Boden. Ein Geräusch, als zog jemand scharf die Luft ein. Ein Raunen: Oh, Gott, was macht der? Ich hatte das Gefühl, alle hielten ihren Atem an. Und ich vergrub meine Hände in den Hosentaschen und verstand nicht, was los war. Kaibas Blick streifte meinen, dann lehnte er sich zurück und nickte langsam. »Keine schlechte Arbeit«, entgegnete er und drehte sich um, ließ mich hier stehen, während er im Gehen erwähnte: »Dann ist die Abteilung vielleicht doch ihr Geld wert.« Als die Tür hinter Kaiba schloss, brach Hektik in der Abteilung aus, als müsste sie die Bewegungslosigkeit der letzten Minuten wettmachen. »Du hast es drauf, Junge«, behauptete Mailo, schenkte mir ein Lächeln, schlug mit mir ein und drehte sich dann wieder seinen PCs entgegen, während meine Beine zu Wackelpudding wurden. Hinter mir raunten Stimmen irgendwelche Komplimente und ich schritt unter der Aufmerksamkeit viel zu vieler zurück an meinen Tisch. »Was zur – Joey! Wie hast du das gemacht?«, redete Maya sofort auf mich ein und Tai betrachtete mich mit etwas, das ich als Bewunderung identifizierte. »Was meinst du?«, wollte ich verwirrt wissen. »Seto Kaiba taucht hier nie auf«, plapperte sie und ihre Augen tellerrund, »und wenn er es tut, dann feuert er jemanden. Und heute – das war ein Kompliment, oder? Ein echtes Lob!« Sie wandte sich an Tai, um sich zu versichern. Der nickte langsam. »Tja«, machte ich und zuckte die Schultern, grinste und glaubte über ganz Domino zu thronen. Ob sich Kaiba so fühlte, wie ich in diesem Moment?   Wir lachten, zeichneten, hörten Musik, diskutierten. Ich ignorierte mühsam die Kommentare, während ich zur Toilette schlenderte, und die Blicke, die mir folgten. Ob man sich daran gewöhnte? Ich grinste, als mein Handy klingelte und mein Magen zusammenquetschte. Ich ließ es fast fallen, als ich es aus meiner Hosentasche zog und eine unbekannte Nummer auf dem Display erschien. Ich erstarrte und schaute aus der Fensterfront hinunter in die Stadt. Es war als tunkte mich jemand unter, so lange, bis ich keine Luft mehr bekam, bis das Gefühl des Vergnügens dem der Panik wich, weil Wasser in den Mund eindrang und das Gefühl zu ersticken durch den Körper jagte. Ich presste das Phone an mein Ohr. Was, wenn mein Vater tot war? Überfahren? An seinen Schmerzen eingegangen? Irgendwo in einer Ecke verreckt? Wie eiskaltes Wasser, das jemand über mich goss. Ich wiederholte in meinen Gedanken, dass es mir egal war. Aber sich selbst anzulügen war wie mit dem Spiegelbild zu diskutieren. Ich verlor. All die Gefühle und Gedanken der letzten Nacht peitschten durch meine Adern. »Joey?«, fragte Maya, aber ich antwortete nicht, dann vernahm ich die Stimme am Apparat. »Herr Wheeler? Ihr Vater befindet sich wieder bei uns im Krankenhaus und ihm geht es den Umständen entsprechend gut.« Ich zwang mich, nicht auf die Knie zu fallen, stützte mich am Glas ab und hinterließ Fingerabdrücke auf der perfekt polierten Scheibe. »Danke«, hörte ich mich sagen, doch das Seltsamste war, dass ich es meinte. Die nächsten Stunden zogen an mir vorüber, als läge ein Schleier über meinen Gedanken. Es war, als schwebte ich, während ich unter Wasser gedrückt wurde. Als atmete ich, ohne Luft zu holen. Ich lachte mit Maya, diskutierte mit Tai, obwohl mir nach Weinen zu Mute war und nach Schweigen. Erleichterung durchströmte meinen Magen, während ich das Gefühl hatte, jeden Augenblick auf dem Boden aufzuschlagen. Ich war über jede Müdigkeit hinaus. Gegen sieben Uhr tauchte Sarah auf und nahm mich mit. Maya umarmte mich, Tai schüttelte meine Hand und Mailo zwinkerte mir zu, während er behauptete, Sarah suchte nur eine Ausrede, um aus ihrem Büro herauszukommen. »Wo ist Kaiba?«, wollte ich wissen, während wir durch den Gang schritten. »Eine Konferenz. Ich glaube, es geht um Spielzeug für den Markt für unter Dreijährige.« Ich nickte, obwohl es mir total egal war, um was es ging. »Ich glaube«, begann ich und in diesem Augenblick überwältigte mich die Erkenntnis, »ich muss ins Krankenhaus.« Sarah stierte mich von der Seite an. »Was hast du, Joey? Hast du Schmerzen? Warum ins Krankenhaus?« Ich schüttelte den Kopf, verhedderte mich in Worten und schnappte nach Luft. »Nein. Ich mein – sag Kaiba, dass alles okay ist! Mein Vater und – alles! Ich muss los! Jetzt!« Sarah hielt mich nicht auf, als ich mit einem Satz lossprintete und sie hinter mir ließ.   Er war ätzend, ein schlechter Vater, einer, der seine Probleme auf mich abwälzte, der mich fertig gemacht und einmal sogar geschlagen hatte. Einmal zu viel. Er war nicht tot. Und entgegen all meiner Gedanken, entgegen aller Vermutungen, breitete sich ein Gefühl in meinem Magen aus, das mich schneller rennen ließ. Ich rempelte jemanden an, stolperte fast über meine eigenen Füße, keuchte, als ich an der Rezeption stand und dort nach meinem Vater fragte. Die Rezeptionistin schaute mich mit diesem Blick an, den ich kannte, aber in diesem Moment, ignorierte ich ihn. Es war mir egal, denn mein Vater lebte.   Vor dem Zimmer atmete ich tief durch. Mein Vater musste nicht einmal auf die Intensivstation. Er lag hier in diesem Zimmer hinter dieser Tür und ich hatte es endlich begriffen. Es würde nicht alles gut werden. Er wäre weiter der Vater, der ätzend war, schlecht, der seine Probleme auf mich abwälzte, mich fertig gemacht und geschlagen hatte. Es ging nicht darum, dass ich das ändern konnte. Die Zeit war rum, in der ich glaubte, er würde irgendwann wieder wie früher. Dass er irgendwann meine Mutter anrufen würde und wir wieder eine Familie wären. Es war vorbei. Es war dieser Gedanke, der mich aus der Tiefe zog, in die Höhe riss und meine Lungen mit Sauerstoff füllte. Es ging darum, was ich ändern konnte. Ich würde mein Leben selbst in die Hand nehmen. Ein Zimmer mieten, die Kampagne zu einem Riesenerfolg machen, ich würde meinem Vater beweisen, dass ich mehr war, als er mir jemals gesagt hatte. Ich würde sein, wer ich sein wollte. Nicht, wer andere in mir sahen. Ich würde leben. Mit dem Gedanken klopfte ich an und riss gleich die Tür auf. Und erstarrte. Mein Lächeln fiel in sich zusammen. Mein Mund klappte auf, dann zu. Meine Lungen geflutet von eiskaltem Wasser. Ich stürzte ab. Jemand tunkte mich und ließ mir keine Zeit zum Atmen. So hatte ich mich das letzte Mal als Kind gefühlt. Ich erinnerte mich noch genau. Ich schnappte nach Luft, als ich die Silben zwischen meinen Lippen herauspresste und stützte mich an der Wand ab.   »Was – machst du hier?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)