Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 41: … bin lebendig -------------------------- TEIL 2 __________________________________________   wagen zu lieben   über den Schatten der Angst springen in ein Nichts   wohl ahnend daß es trägt   wohl wissend um die Angst   © Anke Maggauer-Kirsche   __________________________________________           Ich schaute nur auf das, was ich erreicht hatte, ich schaute nicht zurück, um das zu vermissen, was ich zurückließ.   Seine Finger schwebten über meinen Bauch und tasteten über Muskeln und Sehnen und Gänsehaut kletterte darüber. Sein Atem hing über meinem Ohr, während sein Oberkörper gegen meinen presste und seine Lippen gegen meinen Hals. Ich wollte ihn wegstoßen und drückte ihn gleichzeitig an mich, griff mit meinen Händen in den Stoff seines Hemdes und zog ihn näher. Seine Hand streifte den Bund meiner Boxershorts, wo Ameisen meine Leiste hinabkletterten. Unsere Atemstöße erfüllten die Stille des Büros. Sein Haar stand ab, seine Lippen geschwollen. Ich zog seine Krawatte vom Hals, ließ sie auf den Boden fallen, obwohl ich mir sicher war, dass es keinen Boden mehr gab. Meine Füße berührten nichts, wir schwebten mitten im Raum. Seine Gegenwart verdrängte alles andere. Die Finger wanderten unter mein Shirt, streiften die Seiten, wo sie mich kitzelten, und über meinen Brustkorb. Ich schob sein Hemd auseinander, über die Schultern, ließ es hinabgleiten und lehnte mein Gesicht an seine Haut, atmete tief ein und füllte meine Lungen mit Wärme und seinem Aftershave. Seine Hitze flammte überall dort auf, wo er mich berührte, auf meinem Bauch und meiner Brust, meinem Po, meinen Schenkeln. Sein Penis berührte mein Bein durch seine Stoffhose. Ein elektrischer Schlag. Er ächzte und ich seufzte auf. Ein Zittern jagte durch meinen Körper. Seine Fingerkuppen wanderten hinab, dehnten den Bund meiner Boxershorts und tasteten durch mein Schamhaar. Ich krallte meine Finger in seine Schulter, während Hitze durch meine Beine walzte und jeden Gedanken auslöschte. Atem, Finger, Haut, Hitze, Lippen, Blau. Ich versank in seiner Nähe. Gierte nach mehr. Als hätte ich etwas gekostet, das ich nun verschlang. Etwas, das mich nicht erfüllte, sondern nur noch hungriger zurückließ. Mit dem Versprechen nach mehr. Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Nur dieser Moment, in dem alles in meinen Adern nach mehr schrie, weil ich lebte. Jetzt, in diesem Augenblick.   Meine Finger flogen über seine Haut, über die Brust, über den Bauch, mit einem klaren Ziel, das ihm den Atem stocken ließ. Ich fummelte an seinem Gürtel, riss ihn auf und fuhr unter seine Stoffhose, fühlte einen weichen Haaransatz und zögerte, hob mein Gesicht und schaute in seines. »Hast du Angst, Wheeler?«, murmelte er. Röte auf den Wangen. Seine Augenlider halb geöffnet. Sein Atem schwer, als wäre er einmal von unten wieder hoch in sein Büro gerannt. Seine Stimme jagte Wellen aus Elektrizität durch meine Adern, zwangen meine Härchen an Armen und Nacken nach oben. Da war Provokation und Herausforderung. Zwischen den Worten hingen Möglichkeiten. Wenn ich mich traute, seiner Stimme zu folgen. Mit einem Schnauben drückte ich meine Hand tiefer in seine Shorts, strich über seine Haut dort, tastete über weiches Haar und – Erstarrte. »Seit wann denkst du so viel?«, murrte er. »Seitdem du damit aufgehört hast«, murmelte ich, wankte zwischen Faszination und Beklemmung. Ich war ihm noch nie so nahe gewesen. Ich könnte seine Mauern einreißen und ihn in die Knie zwingen. Ich könnte ihm zeigen, dass ich ihm ebenbürtig war. Ich könnte ihn dazu bringen, meinen Namen zu stöhnen. Er bewegte seine Finger, streichelte über meine Hüfte und glitt tiefer. Mein Atem stockte und ich schloss die Augen, spürte seine Berührung, hörte seinen Atem nahe meines Ohres und seine Haut auf meiner. Seine Lippen strichen über meine Ohrmuschel, seine Finger vergruben sich in meinem Schamhaar, dann zog er seine Hand zurück, seufzte, streichelte über meinen Bauch und drückte mich eine Handbreit von seinem Körper, als müsste er sich dabei konzentrieren. Ich glühte und rührte mich nicht, hörte nur meinen Atem und spürte das Zittern in meinen Beinen, während er nach seinem Hemd auf dem Boden angelte und es überstreifte, dann seine Hose hochzog, den Gürtel schloss. Er griff nach der Krawatte, bückte sich und ich starrte seinen Arsch an, dann schoss mein Blick gen Decke. Meine Boxershorts kniffen. Alte Oma, Tris, als er sich übergeben musste – »Ich hoffe, du erwartest nicht, dass ich dir beim Anziehen helfe.« »Pfff«, machte ich, »ist ja nicht so, als wärst du unschuldig dran, dass ich‘s muss.« Er drückte mir meine Sommershorts gegen die Brust und mein Blick flog zu ihm. Sein Haar ein Chaos. Seine Wangen noch immer gerötet und die Lippen geschwollen. Seine Hand ruhte auf meiner Brust, nur durch den Stoff meiner Shorts getrennt. Unsicher, ob er sie dort beließ, um mich zu fühlen oder Distanz zu wahren. Sein Gesicht schwebte vor meinem. In seinen Augen tobte das Meer. »Erwarte nicht mehr Hilfe von mir«, flüsterte er, »ich garantiere nicht für deren Zweckmäßigkeit.« Ich wollte ihn näher ziehen, aber wich seinem Blick aus. Ihn spüren, mich an ihn klammern und die Hitze überall im Körper fühlen, das Prickeln, wenn seine Finger über meine Schenkel waberte, als suchten sie etwas, sein Blick mit der Mahnung, mich zu verschlingen. Ich zog hastig meine Hosen drüber.   Wüsste Tris davon, was würde er sagen? Sein Grinsen am Schulfest spukte durch meinen Kopf. Die Worte in meiner Erinnerung. Erwartete er so etwas zwischen Kaiba und mir? Ich stand in Kaibas Büro und fühlte mich auf einmal fehl am Platz. Was zur Hölle war nur in mich gefahren? Ich war nicht einmal schwul. War Kaiba schwul? Wir hatten uns geküsst. Irgendwie. Aber das war doch irgendwie aus der Situation heraus irgendwie passiert. Irgendwie. Meine Gedanken stolperten übereinander. Wann zur Hölle war aus Kaiba, der, den ich am liebsten ins Gesicht schlagen würde, Kaiba, der den ich am liebsten – »Will ich wissen, was du dir zusammenfantasierst?« Kaibas Blick fuhr über mein Gesicht. Die Hitze kroch über meinen Nacken. Verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen. Er beäugte mich mit einem Seufzen und schaute dann auf die Uhr an der Wand. »Das Foto wird in einer halben Stunde gemacht.« Ich stand einfach da und nickte, als spräche er mit mir in einer unbekannten Sprache. »Du solltest dich vorher anziehen«, bemerkte er trocken und ich verdrehte die Augen, schnappte mein Shirt und zog es drüber.   Wie war das geschehen? Wann war das passiert? Hätte ich es kommen sehen müssen? Was, wenn Tris Recht hatte? Was, wenn Kaiba dachte, es wäre ein Date gewesen? Wann wusste man, dass es so war? Machte man das nicht vorher aus? Jo, Kaiba. Lass uns ein Date haben. Bis denn. Klärte man die eigentlich wichtigen Sachen nicht irgendwie? Hey, ich komm dann vorbei. Genau, lass uns danach in deinem Büro herummachen. Oder wusste man es einfach? Gab es da einen geheimen Code, den ich absolut nicht raffte?   Kaiba rückte seine Krawatte zurecht und schritt an sein Schreibtisch, wo er in der Schublade wühlte. »Wegen – ich mein wegen Tris – also nicht wegen Tris, sondern dem Schulfest und –« »Wheeler –«, brummte er. »Ich mein, das war doch kein – oder? Aber wärst du nicht du und ich nicht ich –« »Wheeler, du hast vor wenigen Minuten beinahe nackt in meinem Büro gestanden. Und du willst über das Schulfest reden?« »Ja«, erwiderte ich langsam, wusste nicht ob ich ersterem, letzterem oder beidem zustimmte und Wärme prickelte über meinen Nacken. Er schwieg. Wenn ich ihm hinter den Schreibtisch folgen und seinen Körper an mich ziehen würde, würde er mich gegen die Tischplatte drängen? Ich könnte ihn gegen den Aktenschrank pressen. Meine Lippen auf seinen Hals und – »Okay – also –«, räusperte ich mich und dehnte das Wort drei Sekunden, knetete meine Hände. »Es ist mir völlig gleichgültig, was deine Freunde sagen. Wenn das dann geklärt wäre, dann können wir zu der für dich eigentlich wichtigen –«, erwiderte er. Es war für mich keineswegs geklärt, starrte ihn an, »Sache kommen.« Ich riss die Augen auf. Hitze brannte auf meinen Wangen. »Willst du nachher essen?« Mit einem tiefen Atemstoß fuhr ich mir durchs Haar und kniff die Augen zusammen. »Ist das dein Ernst?« Wie schaltete er von Kaiba, der mit dem Sturm in den Augen zu Kaiba, der das Abendessen besorgte? In einer Sekunde zur nächsten. Ich stand da, als hätte mir jemand eine mit einer Pfanne drüber gebraten. »Mokuba wartet sicherlich zu Hause. Was –« »Lasagne«, unterbrach ich ihn belämmert und er zog sein Smartphone hervor, als wäre das alles ganz normal.   Zwanzig Minuten später laberte der Fotograf über das Fotomotiv. Ich versuchte ihm zuzuhören, aber mein Blick wanderte immer wieder zu Kaiba. Sein Haar ordentlich, seine Augen kühl, seine Hemd glatt gestrichen. Da war nichts mehr von all den Möglichkeiten, die zwischen seinen Worten gehangen hatten. Da war der Businessmann, der seine Geschäfte ohne Verluste abschloss, ohne je die Kontrolle zu verlieren, ohne Gefühle durch die Maske sickern zu lassen. Aber ich wusste es besser. Ich hatte den jungen Mann unter dieser Fassade gekostet. »Oder sie spielen eine Runde DuelMonsters. Das wäre ein realistisches Szenario. Authentisch.« Ich unterdrückte, in Lachen auszubrechen. Das Szenario wäre alles andere als authentisch. Kaibas Blick verdüsterte sich. Der Fotograf sollte vielleicht ein Bild von uns machen, während wir uns stritten – oder – Ich schluckte und verdrängte den anderen Gedanken. »Sie haben noch fünf Minuten für das Foto. Schießen Sie es endlich. Ich habe nicht den ganzen Tag für so einen Unsinn Zeit«, knurrte Kaiba. Der Fotograf nickte und hob beschwichtigend die Hände. »Wie Sie wünschen.« Also machte er ein Foto von Kaiba hinter dem Schreibtisch, ich saß ihm schräg gegenüber und schaute zurück in die Kamera. Die Tränen des unterdrückten Lachens noch immer in den Augen und das Grinsen zwischen den Wangen.   Die Tür fiel ins Schloss, Kaiba tippte auf seiner Tastatur und stierte in den Bildschirm. Hinter ihm strahlte die Sonne durch das Fenster und rückte in mein Bewusstsein, dass Sommer war, dass ich jetzt Eis essen sollte und faul am Weiher liegen und mit Tris Yugi ins Wasser werfen, stattdessen stand ich unschlüssig vor Kaiba und starrte auf seine Lippen, dann auf seine Hände und dann wieder aus der Fensterfront. »Und das ist ein normaler Arbeitstag für dich?«, fragte ich. Obwohl es nach einem Scherz klingen sollte, schmeckte es nach mehr. Nach Fragen, die ich nicht stellte. »Wheeler. Ich muss arbeiten.« »Ah. Ja.« Ich wusste nur nicht, welche Fragen. Ich senkte meine Schultern, ließ mich auf den Stuhl ihm gegenüber, griff nach dem Ordner mit den Skripten und blätterte darin herum, obwohl ich es nicht las. Meine Gedanken sprangen zu Kaibas Berührungen. »Du kannst gehen.« Ich zuckte zusammen. Kaiba schaute mich nicht einmal an, unterbrach nicht sein Getippe. »Ich hole dich heute Abend ab. 18 Uhr.« »Jo, ähm – also. Dann – noch viel – Spaß.« Kaiba erwiderte nichts, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Ich verzog mein Gesicht und verdrehte die Augen, sagte aber nichts, schlenderte hinüber zur Tür, warf einen Blick zurück, legte meine Hand langsam auf die Türklinke, drückte sie hinunter, schaute wieder zurück und fragte mich, warum Kaiba so ein Arsch, warum alles so kompliziert war und seit wann, drückte ein bisschen weiter, öffnete die Tür und ging. Im Aufzug überrollte mich ein Gedanke. War das ein Date?   Ich betrat den Laden, rief ein Hallo und Yugis Großvater begrüßte mich mit einem breiten Lächeln hinter dem Tresen, dann vertiefte er sich wieder in das Gespräch mit einem der Nachbarn. Ich trottete nach oben, rief nach Yugi, aber der war nicht da, also ging ich nach hinten und schaute aus der Glastür, wo ich wie angewurzelt stehen blieb. Yugi und Thea lungerten im Garten hinter dem Spielladen, lagen unter dem Apfelbaum und hielten Händchen. Er lachte, sie beugte sich zu ihm, legte ihre Hand an seine Wange. Ich wollte wegschauen, aber konnte es nicht. Es war wie bei einem Unfall. Etwas in meinem Magen verknotete sich. Yugi strahlte. Müsste ich das nicht auch? Es schaute bei ihm so leicht aus. Glücklich zu sein. Yugi schaffte es trotz aller Widrigkeiten in seinem Leben, diesen Glanz nicht zu verlieren. Diese Zufriedenheit. Früher hatte ich gedacht, er wäre ein Schwächling. Er brachte Thea zum Kichern. Sie hielt sich den Bauch und lehnte sich zu Yugi. Kaiba und ich hatten dort gesessen. Seine Hitze sprudelte noch in meinem Bauch, aber durch seine Augen zog Kälte. Warum war Kaiba so kompliziert? Ich hatte gedacht, Yugi wäre unauffällig, so ein Durchschnittstyp, das Gegenteil von Kaiba. Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und schaute zur Seite. Aber wer behauptete, es wäre nicht gut, das Gegenteil von Kaiba zu sein? Yugis Sanftheit, seine Aufrichtigkeit, seine Zuneigung. Ich hielt den Atem an. Zwischen Kaiba und mir würde es nie leicht sein. Wir – die Erkenntnis zuckte durch mein Bewusstsein wie ein Stromschlag – wären immer wie ein Kampf. Wir würden uns fertig machen, küssen, streiten, nahe sein und gleichzeitig in verschiedene Richtungen stoßen. Thea schaute auf, drehte sich zu Yugi, näherte sich seinem Gesicht. Sie strahlten. Kaiba sah mich nie so an. Selbst, wenn ich ihm nah war. Was war das zwischen uns? Ich war nicht einmal schwul. Ich wandte meinen Blick ab. Dann straffte ich meine Schultern und polterte durch die Tür in den Garten.   Sie schauten auf, als hätte ich sie ertappt. Auf Yugis Wangen lag Röte und Thea erwiderte meinen Blick, als könnte sie sich nicht zwischen Ärger und Verlegenheit entscheiden. Es war mir egal. »Hey, Yugi. Kaiba hat mir die Skripte gegeben wegen den Dreharbeiten.« Ich streckte ihm den Ordner entgegen, während er mich zaghaft anlächelte. Mein Blick schweifte über Thea, aber ich begrüßte sie nicht explizit, nickte nur in ihre Richtung. »Joey, Tris kommt gleich vorbei«, informierte mich Yugi, »wir wollten an den Weiher. Kommst du mit?« Mein Blick wanderte zu Thea und in mir brodelte die Möglichkeit, abzulehnen. Aber in dem Moment rief Tris meinen Namen durch den Garten, ich schaute zu ihm, während er quer durch den Garten stapfte und murmelte meine Zustimmung. Als ich Tris ein Set der Skripte überreichte, erhoben sich Thea und Yugi. Wir ließen den Ordner erst mal in Yugis Zimmer und fuhren mit unseren Fahrrädern an den Weiher. In der Ferne thronte das Gebäude der Kaiba Corporation. Kaiba würde nie im Leben mit dem Fahrrad an einen Weiher fahren. In meinem Magen wandte sich eine Schlange.   Ich lehnte das Rad an einen Baum und beobachtete, wie Thea mit Yugi Hand in Hand an das Ufer spazierte. Sie trug einen blauen Bikini. Ihr Bauch war flach und ich Po war straff. Sie musste oft trainieren, irgendeinen Sport machen. Nicht, dass es mich interessierte, was sie trieb. »Alter. Alles okay bei dir?«, fragte Tristan und ich nickte. Thea kreischte, als Yugi sie mit Wasser vollspritzte, während er lachte. Er war fast einen Kopf kleiner als sie, eher schlank, aber nicht dürr. Seine Arme waren dünn und sein Bauch flach, aber nicht muskulös. Ich war nicht schwul. »Warum machste dann so’n Gesicht?«, bohrte Tris weiter. Ich schaute ihn eine Sekunde irritiert an. »Wenn alles okay ist, mein ich«, wiederholte er. Ich zuckte die Schultern. Thea war attraktiv. Solange sie die Klappe hielt. Wenn ich sie nackt sehen würde, wäre mir das sicherlich nicht egal. Ich war nicht schwul. Der Wind strich meine Arme entlang, fuhr durch mein Haar und ich atmete tief ein. Die Sonne im Gesicht, blinzelte und hielt einen Moment den Gedanken fest, dass Ferien waren. Kein Stress, keine Sorgen, keine Fragen. Keine Vergangenheit oder Zukunft. Nur dieser Moment. Tris zog mich in den Schwitzkasten, rubbelte mit seiner Faust über meinen Kopf, bis ich murrte. »‘s tut weh, Idiot.« Er grinste und ich erwiderte es, obwohl ich mir wehleidig den Kopf hielt. Yugis Stimme zog meinen Blick wieder zu ihm. Er zog Thea am Arm, zog sie näher. Würde ich Yugi nackt sehen – Seine lange Badehose verhüllte nur seinen Hintern und einen Teil seiner Oberbeine. Es war nicht so, dass es mich irgendwie reizte. Aber genauso wenig reizte es mich, Thea nackt zu sehen. »Weißte, sie ist gar nicht so übel, Kumpel. N bisschen laut manchmal, aber auch irgendwie ganz lustig und ich glaub, unser Yugi mag‘se echt.« Tristan musterte mich, fuhr sich durch sein kurzes Haar und zuckte die Schultern, während er sein T-Shirt über den Kopf zog. Oder Tristan? Ich stellte mir vor, Tristan zu küssen oder Thea. So wie Kaiba mich geküsst hatte. Wären Tristans Lippen auch so – so? Oder Theas? Thea war immerhin ein Mädchen. Ich verzog das Gesicht. Oder Yugis. Und runzelte die Stirn. »Joey, Alter. Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Tris und klang irgendwie genervt. »Ja, ja.« Ich räusperte mich und zog mein Shirt aus. Heterosexuelle Menschen küssten auch nicht wahllos irgendwelche Leute. Woher wusste man, was einen sexuell anzog? Konnte man das überhaupt wissen? Wirklich wissen? »Ja, du mich auch«, erwiderte er und klatschte seine Hand auf meinen nackten Rücken. Ich verzog meinen Mund, wegen des kurzen Brennens. »Weißte, du bist echt komisch drauf. Wenn das was mit Thea –« »Ich hab mit Kaiba rumgemacht.« Er erstarrte, sein Mund offen, formte erst die stumme Silbe, ehe der Laut folgte. »Oh.« Etwas in mir gefror, als er nichts weiter sagte. Er schaute mich an und ich wich seinem Blick aus. »Is’seltsam, oder? Haste damit ein Problem? Ich mein –« Tristan hob abwehrend die Hände. Musste man es überhaupt wissen? »Ich glaub, vielleicht – hab ich damit ein Problem«, murmelte ich und legte meinen Kopf in den Nacken, starrte in den Himmel, mein Mundwinkel zuckte. Musste ich es mit einem Label versehen? »Alter, Quatsch. Du hast ihn schon abgeknutscht, vergessen? War mir auch egal. Also nicht egal. Und joar, schon irgendwie seltsam. Aber auch weil’s Kaiba war – also ist – verstehste? Dass er ein Kerl ist, ist nur zweitrangig irgendwie. Macht das Sinn?« Mein Blick raste zu ihm. Ich schüttelte den Kopf, dann nickte ich, dann schüttelte ich wieder den Kopf. Tristan beäugte mich, zuckte die Achseln und grinste. Wann machten Kaiba und ich schon jemals Sinn? Ein Grinsen breitete sich auf meinen Lippen aus, das versteinerte. Es machte keinen Sinn. Was erwartete Kaiba? Was wollte er von mir? »Wie üblich, oder?«, sagte Tris und im ersten Moment wollte ich widersprechen. Es war nichts wie üblich. Aber dann nickte er zu Yugi, der mit Thea am Ufer stand, das Wasser bis knapp unter die Knie. »Und wie«, erwiderte ich. Mit einem Schrei rasten wir auf Yugi zu, schnappten uns je einen Arm, zogen ihn mit, stolperten mit ihm ins Wasser und tunkten ihn. Als er japsend auftauchte, lief sein Eyeliner über die Wangen und seine Haare hingen ihm ins Gesicht. »Joey! Tristan!«, brüllte er und brach in Lachen aus.   Ich schaute nur auf das, was ich erreicht hatte, ich schaute nicht zurück, um das zu vermissen, was ich zurückließ. Was gab es da schon zu vermissen?   Von meinen Strähnen tropfte das Wasser, während wir auf Yugis Decke saßen und zu viert Karten spielten. »Gewonnen!«, rief ich, als ich meine letzte Karte auf den Stapel schmiss und streckte Tris die Zunge raus. »Yugi hat schon vor zwei Runden gewonnen«, bemerkte Tris trocken, aber ich zuckte die Schultern, zog Yugi an mich und strubbelte durch sein Haar, das noch immer nass und platt bis auf seine Schulter hing. »Klar, ich meinte ja auch Gewinner nach Yugi, dem sein Gewinnen nicht zählt, weil er immer gewinnt.« Selbst beim Mau-Mau zog er uns ab. Yugi lächelte verlegen. Ich klopfte auf seine Schulter. »Nur weil etwas regelmäßig stattfindet, ist es nicht weniger bewundernswert«, wies Thea zurecht und ich verdrehte die Augen. »Ist schon okay, Joey meint das nur –« »Nein, Yugi, du solltest dein Talent wirklich nicht so herunterspielen. Dadurch bagatellisierst du das Problem, wenn dich Leute nicht ernst nehmen.« Thea warf ihm einen tadelnden Blick zu und er verstummte. »Leute, ich hab echt Hunger, lasst uns doch –« Doch sie ignorierte Tris total. Ein Auto fuhr an uns vorbei und ich folgte ihm mit meinen Blick, ehe Theas Stimme wieder durch die Luft schnitt. »Er stellt sich nicht gerne Konflikten«, fuhr sie fort, als spräche sie von ihrem Kind – oder Haustier – und vor allem so, als wäre er nicht da. »Aber als zukünftiger Arzt muss er sich mit seinen Schwächen auseinandersetzen.« Sie legte die Karten aufeinander und mischte sie, während sie mich anschaute. »Zieh ihn also bitte nicht so herunter. Yugi ist mein Freund. Wenn es dir im Leben reicht, deine Träume nicht zu verwirklichen und nur zweiter zu sein, wenn überhaupt, ist das –« »Alter, hast du’n Schuss?«, knurrte ich und fuhr hoch. »Joey, sie meint nur, dass –« Yugis Stimme wurde höher, so wie damals, wenn er uns auf ihn lauern sah. Zorn rauschte durch meinen Körper. »Was ich mit meinem Leben mach, geht dich’n Scheiß an«, spie ich Richtung Thea. Ich sprang auf, stülpte mir mein Shirt über den Kopf, zog es mit einem Ruck runter und wollte zu meinem Rad laufen, als Tris mich am Ärmel zurückhielt. »Leute, jetzt atmet jeder mal tief durch«, sagte er, aber ich riss mich von ihm los. »Lass mich«, zischte ich, »ich hab echt keinen Bock auf die Scheiße.« »Joey, sie hat es nicht so gemeint«, behauptete Yugi und blinzelte mich mit seinen großen Augen an. »Doch«, erwiderte ich langsam, »sie hat es genau so gemeint.« »Lass ihn doch, Yugi«, sagte sie, »er hat nur eine große Klappe und sonst nichts zu –« »Jetzt halt mal den Rand«, rief Tris und innerlich jubelte ich, aber in mir brüllte weiter die Wut. »Ja, Thea, das reicht!«, stimmte Yugi mit ein, was mich besänftigte. »Joey ist mein bester Freund!« Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ich wusste, dass du im Ernstfall auf seiner Seite bist!«, warf sie ihm vor und irgendetwas an ihrem Ton streichelte mein Ego. Das Bild, wie sie beide unter dem Apfelbaum lagen, verpuffte. »Natürlich ist er auf meiner Seite. Er ist mein Freund«, rief ich und Tristans Blick schnellte zu mir. Yugi blinzelte. »Was?«, wollte ich irritiert wissen. »Das wird mir zu blöd«, zischte Thea und stieg auf. Sie schnappte sich ihre Handtasche und machte sich auf zu ihrem Rad. Yugi sah mich an, dann Tristan, dann wieder mich. Sein Blick wanderte zu Thea, die schon fast beim Fahrrad angelangt war. Tristan stieß mich mit der Schulter gegen meine. Ich blieb stumm. Er bohrte seinen Finger in die Seite. Ich sagte nichts. Yugis Blick fixierte Thea. Sie stieg auf ihr Rad. Tristan schlug mich auf den Rücken. Ich verharrte. Thea radelte davon und Yugi blieb bei mir. »Super«, stöhnte Tris und atmete tief durch. »Und jetzt?« Ich antwortete nicht, weil sich in meinem Magen eine Schlange wandte. Stille. Yugi wich meinem Blick aus. »Ich hab Hunger«, teilte uns Tris nach wenigen Minuten mit, die sich dehnten wie Kaugummi. »Es ist schon fast halb sieben. Soll’n wir –« »Wir können uns Pizza bestellen«, schlug Yugi vor, doch obwohl er lächelte, klang er niedergeschlagen.   Gemeinsam radelten wir zu Yugi. Vor dem Laden hielt mich Tris zurück, während Yugi die Tür öffnete. »Das hast du ganz schön verkackt«, murrte Tris mir zu. »Weiß nicht, was du meinst«, zischelte ich und drückte mich an ihm vorbei in den Laden. »Ah, Joey. Da bist du ja!«, rief Herr Muto erfreut und ich erstarrte, als ich Kaiba neben ihm bemerkte. »Was machst du hier?«, wollte ich wissen. Ich hatte gerade echt genug Probleme. Auch, wenn ich nicht wusste, warum. Kaibas Augen bestanden aus Eis, als er mich musterte, wie etwas, das man am Türabtreter abstreifte. Meine weiteten sich, als ich mich erinnerte. »Oh.« Betreten schaute ich auf meine Füße, dann zu meinen Freunden, Yugi, der meinem Blick auswich, Tristan, der mich anfunkelte, als würde er mich bei nächster Gelegenheit überfahren, dann zu Kaiba, der mich ansah, als wäre ich ihm nie so nahe gewesen, dass ich ihn meinen Namen hätte stöhnen lassen können, dann an die Wand. Die Wand war okay. Ich räusperte mich, während ich von einem Fuß auf den anderen trat, als wollte ich schnell von hier verschwinden. »Und du hast gewartet?«, wollte ich kleinlaut wissen. Wo war meine große Klappe hin? »Nein«, erwiderte Kaiba kühl und ich runzelte die Stirn. »Warum bist du dann –« »Herr Muto. Wir haben uns übers Geschäft unterhalten.« Natürlich. Kaiba schaute in die Runde und ich war mir sicher, dass er ungefähr so Mokuba ansehen musste, wenn Kaiba wusste, dass sein Bruder etwas getan hatte, was er nicht erlaubt hatte. Ich öffnete meinen Mund, um ihm zu sagen, dass er dann ja gehen könnte. Doch Yugi trat an mir vorbei und ich klappte meinen Mund wieder zu. »Entschuldigt. Ich bin müde und hab Hunger. Tristan kommst du schon mal mit hoch? Dann können wir gleich eine Pizza bestellen.« Tris stimmte zu und folgte Yugi die Treppe nach oben. Ich sah ihnen nach und atmete tief durch, verschränkte die Arme vor der Brust. »Und das alles nur wegen dieser Tusse«, murrte ich. Yugis Großvater und Kaiba wechselten einen Blick. »Ich bin sicher, dass alles wieder in Ordnung kommt«, erwiderte Yugis Großvater mit Zuversicht in den Augen, die ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Er drehte das Schild an der Tür auf geschlossen und wandte sich dann wieder zu uns, lächelte, als wäre es nicht seltsam, als glühte die Luft nicht vor unausgesprochenen Problemen und Fragen. »Ich danke dir, Seto, für das Gespräch und die Hilfe. Wie wäre es mit Pizza?« Wie wir so da standen, in diesem Laden, erinnerte mich an die Woche, als Kaiba und ich hier unser Praktikum absolviert hatten. Hatte es damit begonnen? Oder früher? Später? Ich warf Kaiba einen Blick zu, der schüttelte den Kopf, dankte Herrn Muto aber. Hätte er ihm früher gedankt? »Mokuba wartet.« »Natürlich.« Herr Muto schenkte uns ein Lächeln, als wären wir Kinder von guten Freunden, als bedeuteten wir ihm etwas. Mehr als der Freund seines Enkels, mehr als ein ehemaliger Praktikant, der zufällig das größte Unternehmen in der Umgebung führte und ihm geschäftliche Tipps anbot. Er reichte Kaiba die Hand. »Bis dann, Seto.« Ich fragte mich, wann Kaiba für ihn zu Seto geworden war. Mit einem Lächeln drückte er meine Schulter, dann drehte er sich um. »Für mich eine große Pizza mit Salami«, rief er nach oben, während die Stufen unter seinen Schritten ächzten. Kaibas Blick folgte ihm, bis er um die Ecke bog, dann schnaufte er. »Was hast du angestellt, Wheeler?«, fragte er trocken. Ich öffnete meinen Mund, um ihn anzufahren, wie er darauf käme. Als wäre alles immer meine Schuld, aber in meinem Magen rumorte es und ich blieb stumm. War es falsch gewesen? War es meine Schuld? Und vor allem was? »Was auch immer vorgefallen ist –« »Es ist nicht wichtig«, brummte ich. »Nimmst du mich noch mit oder soll ich mir auch ‘ne Pizza bestell’n?« Er musterte mich einen Moment. »Mokuba wird sich freuen«, erwiderte er schließlich. Ich nahm es als ein Ja, ich nehm dich mit, nein, es gibt Lasagne. »Gut, ich sag nur grad schnell Bescheid.«   Tris sah aus, als würde er mich bei nächster Gelegenheit übers Knie legen, während ich in der Küche auftauchte, wo er gegen den Tisch gelehnt da stand, und verkündete, ich würde bei Kaiba zu Abend essen. Yugi stand an der Theke und trank ein Glas Wasser oder Limonade. Sein Großvater saß auf der Eckbank. »Einen schönen Abend, pass auf dich auf«, sagte Yugi und streifte meinen Blick. Ich nickte, ignorierte Tristans Schnauben und drehte mich zum Gehen.   Wir fuhren an Häusern vorbei und Bäumen, Menschen, die Hunde ausführten oder Kinder an den Händen hielten. Die Sonne stand tief und blendete mich, also klappte ich die Sonnenblende nach unten, während Kaiba um die Ecke bog. Ich drückte den Knopf vom Radio, schaltete es ein und suchte das nächste Programm, hörte einen Augenblick, drückte weiter, lauschte, drückte wieder weiter, hielt inne und drückte weiter. Diese verdammte Zicke. Hatte doch keine Ahnung. Es war richtig gewesen, ihr mal die Meinung zu sagen. »Wheeler. Drück noch einmal weiter und du läufst den Rest.« Ich zweifelte keinen Moment an seinen Worten, also ließ ich es, schob aber meine Mund nach vorne. Vor uns tuckerte einer, der bestimmt nur alle paar Jahre in ein Auto stieg. Genervt verschränkte ich die Arme und verengte die Augen. Und es war ganz sicher nicht meine Schuld, dass sie so eine arrogante Kuh war. »Oh Mann, was für ein Penner«, knurrte ich. Kaiba schwieg. »Warum fährt der so bescheuert?« Ich fluchte. »Hat der seinen Führerschein gewonnen oder was?« Kaiba atmete tief durch. »Wheeler, du hast nicht einmal einen.« »Ich fahr selbst ohne besser als der«, behauptete ich. Er bremste, fuhr wieder an, weil jemand einscherte. Die Straßen vollgestopft mit Autos. »Ich hass solche Idioten!«, murrte ich. »Die, die glauben, sie wüssten alles!« Kaiba schwieg. Dabei war ich mir sicher, dass er eine Menge über Idioten zu berichten wusste.   Mokuba freute sich tatsächlich und schon sein Lächeln entknotete die Schlange in meinem Bauch ein Stückchen. Wir aßen zusammen. Er plapperte, erzählte, als bemerkte er nicht, dass ich in meinem Essen herumstocherte, ohne zu essen – vielleicht bemerkte er es wirklich nicht. Er erzählte, wie cool Tobi mich fand – Kaiba verdrehte an der Stelle die Augen – und dass Lina den Abend voll lustig gefunden hatte. »Morgen können wir im Pool schwimmen, Joey. Kommst du morgen wieder?« Ich warf Kaiba einen Blick zu, doch der schaute auf sein Handy, drückte auf den Touchscreen und zog es an sein Ohr, während er aufstand und aus dem Raum schritt. »Und?«, fragte Mokuba. Ich schaute ihn an. Verwirrung. »Mh?« »Ob du morgen wieder hier bist.« Ich spieß mit meiner Gabel Nudeln auf. »Ich weiß es noch nicht«, murmelte ich und schob mir das Essen in den Mund. »Morgen wird das Wetter richtig gut! Totales Badewetter!«, teilte Mokuba mir mit. Meine Gedanken hüpften zum Weiher und ich starrte düster in meinen Teller, als könnte er etwas dafür. Yugi verdiente jemanden Besseren. Thea war das Letzte.   Mokuba saß noch eine dreiviertel Stunde später auf seinem Platz, obwohl sein Teller leer war. Meiner war es nicht, aber das würde sich auch in der nächsten Stunde nicht ändern. Theas Worte hallten in meinem Kopf wider. Jemand, der seine Träume nicht verwirklichte. Nur der Zweite. Der sich seinen Schwächen nicht stellte. »Ist bestimmt einer seiner Geschäftspartner«, mutmaßte Mokuba, »dann lässt er sich manchmal stundenlang nicht blicken.« Er stierte auf seinen Teller, die Hände in seine Hosen verknoten. Was wusste diese Tusse schon? Ich schaute auf und meine Gedanken verpufften. Mokubas Blick erinnerte mich daran, als er sagte, er wünschte sich manchmal, die KC würde brennen. Ich seufzte, dann stand ich auf, schnappte mir unsere Teller, ignorierte Kaibas, und stellte sie einfach auf den Küchentresen. Mokuba folgte mir. »Lass uns Popcorn machen«, schlug ich vor, »ist noch was da? Dann machen wir’s und schauen ein paar Filme, na?« Sofort war da wieder dieser große Unterschied zwischen seinen und Kaibas Augen. Sie sprudelten über vor Leben.   Wir schauten irgendwelche Kinderfilme, obwohl Mokuba behauptete, dass er manchmal schon Filme ab sechzehn sehen durfte. »Klar, wenn dein Bruder nicht da ist«, erwiderte ich amüsiert. Er blähte die Wangen auf, widersprach aber nicht, sondern grinste nur. Wir mampften Popcorn und spülten es mit Limo runter. Irgendwann um Mitternacht, ließ sich Kaiba neben Mokuba auf der Couch im Wohnzimmer nieder. »Was du lebst noch? Wir dachten schon, das Handy hätte dich verschlungen«, sagte ich, die Ironie in jedem Wort. Mokuba nickte ernst. Seine Augenlider schwer, die leere Popcorntüte auf dem Schoß, mit dem Kopf an meine Schulter gelehnt. »Und du willst echt mitgucken? Ich weiß nicht, ob du dem Film noch folgen kannst«, plapperte ich mit gespielter Sorge. »Das ist mein Fernseher in meinem Wohnzimmer in meinem Haus«, erwiderte Kaiba und lehnte ein Bein über das andere. »Wenn nötig, schauen wir den Film von vorne.« Die Drohung war nur halb so bedrohlich, wenn sie sich auf einen Kinderfilm bezog. »Damit meint er, dass er gerne mit uns Zeit verbringen will«, sagte Mokuba und gähnte. Kaiba widersprach nicht. Ich grinste und senkte die Schultern. »Also – es geht um nen Löwen, der König werden soll, aber sein böser Onkel –« Ich erzählte und erzählte und Kaiba nickte ab und zu, als würde es ihn wirklich interessieren. Mokuba lauschte und kommentierte immer mal wieder. Irgendwann schwieg er und seine Augen fielen ihm zu. »Er schläft«, flüsterte ich. »Ich weiß.« »Wir können den Film ausmachen.« »Ich weiß.« Keiner von uns bewegte sich. Stattdessen verfolgten wir, wie der Löwe seinen Onkel in der finalen Schlacht besiegte. Ich warf Kaiba einen Seitenblick zu, Mokuba zwischen uns, und irgendwie musste ich daran denken, dass Kaiba und der Löwe einiges gemeinsam hatten. Er hatte dafür gekämpft, dort zu sein, wo er jetzt war. Aber Kaiba war nicht sanft, nicht aufrichtig. Er zeigte seine Zuneigung nur zwischen dem Eis in seinen Augen und hielt jeden auf Distanz. Als der Abspann über den Bildschirm flimmerte, grub Kaiba seine Arme um seinen kleinen Bruder, der murmelte etwas, Kaiba flüsterte zurück und hob ihn hoch. Mokuba schlang seine Arme um dessen Hals. Das Eis in Kaibas Augen schmolz und seine Sanftheit spiegelte sich in der Körperhaltung, so, wie er seinen kleinen Bruder in den Armen hielt. »Nacht, Joey«, nuschelte Mokuba, ohne die Augen zu öffnen. »Gute Nacht«, erwiderte ich und lächelte. Kaiba trug ihn aus dem Raum und ich starrte noch ein paar Minuten auf den Fernseher, hörte die Musik, die während des Abspanns spielte, dann erhob ich mich irgendwann, sammelte die leere Popcorntüte ein, nahm unsere Gläser und Flaschen und ging damit in die Küche. Es war still in der Villa. Draußen zirpten die Grillen, drinnen brummte der Kühlschrank. Wie oft war ich schon hier gewesen? Es fühlte sich merkwürdig vertraut an. Ob Kaiba von diesem Leben geträumt hatte, als er im Waisenhaus Gozaburo geschlagen hatte? Jemand, der seine Träume nicht verwirklichte. Wovon träumte er jetzt? Nur der Zweite. War sein Verlangen, Yugi zu besiegen, sein Traum? Der, der einen über alle Niederlagen trug? Der sich seinen Schwächen nicht stellte. Welche Schwäche hatte Kaiba? Und welche war meine?   »Mokuba ist in seinem Bett.« Ich fuhr zusammen, mein Kopf schnellte herum, als ich schon spürte, dass er hinter mir stand. War ich so in Gedanken gewesen? Ich verharrte, nickte, brummte und starrte wieder aus dem Fenster, schloss die Augen und stellte mir vor, wie es wäre, ihn jetzt zu berühren. Ich lehnte mich versuchsweise zurück, als testete ich, ob er zurückweichen würde. Aber das tat er nicht. Dann drehte ich mich um, mein Hintern gegen den Küchentresen, und schaute Kaiba an. Wenn ich ihm so nah war, bemerkte ich, dass er ein paar Zentimeter größer war als ich. Die machte ich aber locker durch meine große Klappe wett. Ich stellte mir vor, er würde mich so ansehen, wie Yugi Thea und sie ihn. Aber es gelang mir nicht. Sein Oberkörper berührte meinen. Ich machte einen Schritt nach hinten und seine Schenkel berührten meine. Ich spürte Hitze durch meinen Unterleib schießen. Das war dieselbe Hitze, die meine Haut entflammte, wenn seine Hände unter meinem Shirt entlangwanderten. Dabei war ich nicht schwul. Wahrscheinlich.   »Ich fahr dich nach Hause«, raunte er, »es sei denn du möchtest –« »Ich will ganz sicher nicht laufen«, brummte ich. Er musterte mich einen Moment lang. »Ich wollte sagen, hier übernachten.« Und ich glotzte ihn an, stellte mir vor, wie ich mich an ihn presste, seine Lippen berührte und sie wieder so zum Schwellen brachte wie heute Morgen. Ich könnte sie morgen früh wieder dazu bringen. »Das wäre effizienter«, fuhr er fort und klang genervt. »Dann müsste ich dich morgen nicht abholen oder abholen lassen, sondern wir könnten direkt in die Firma fahren.« Sein Haar so chaotisch und das Hemd voller Falten, weil ich es in die Ecke pfefferte. »Wheeler. Hat dein Hirn zu wenig Sauerstoff abbekommen oder –« Ich griff nach seinem Hemd und zog ihn näher. Meine Hände fuhren über seine Schultern, glitten hinab bis zum Hosenbund. Warum wollte ich nicht Tris oder Yugi oder Thea so nah sein? Mein Magen verknotete sich bei dem Gedanken an meine Freunde. Oder irgendeinem anderen Mädchen – oder Kerl? Warum stieß mich seine Kaltschnäuzigkeit, seine Ignoranz und Härte nicht ab? Unser Atem hing in der Luft, unsere Berührungen waberten über unsere Haut. Ich hielt inne und er fixierte mich. In seinem Blick das Meer. Warum jagten Schauer durch meinen Körper, wenn Kaiba mich berührte? Warum stieg Hitze von meinen Zehen in meinen Kopf? Warum fühlte ich mich mit ihm so, als balancierte ich am Abgrund und genoss es? Warum spürte ich mit ihm in jeder Faser, dass ich lebte? Ich hielt inne und ich konnte seinen Blick durch mein T-Shirt spüren. »Kaiba«, begann ich, sein Atem an meiner Ohrmuschel, und wusste nicht, welche Frage ich zuerst und wie ich sie formulieren sollte. Also platzte etwas aus mir heraus. »Bist du – schwul?« Ich erwartete einen spöttischen Kommentar oder während er mich wegschob einen Blick, mit seiner Augenbraue, die er so voller Hohn hob. Oder gar keine Antwort. Stattdessen brachte er mich dazu, meine Augen zu weiten, als im nächsten Moment seine Schultern bebten. Seto Kaiba stand bei mir. Nur eine Hand breit entfernt. Und lachte. Ich drückte ihn weg und gaffte. Wenn Kaiba lachte, dann zog er seine Nase ein bisschen nach oben, so dass sie sich kräuselte. Seine Augen schmal und Fältchen drum herum. Der Ton seines Lachens traf mich in den Bauch. Es war höher als erwartet und vibrierte trotzdem in mir. Er fuhr sich durchs Haar und wandte sich um, aber seine Schultern zuckten noch immer und dazwischen hörte ich sein Schnaufen, sein unterdrücktes Brummen, als könnte er sein Gelächter dazu irgendwie verschleiern. Er stützte sich auf dem Küchentresen ab. Den Rücken zu mir, aber seine Mimik hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt. Da war keine Kälte oder Härte oder Ignoranz. »So dämlich find ich die Frage auch wieder nicht«, murmelte ich und vergrub meine Hände in den Taschen meiner Shorts. Aber wenn solche Fragen ihn so zum Lachen brachten, dann würde ich sie stellen, selbst, wenn sie es wären. Ich stierte auf seinen Rücken, den Nacken und den Hinterkopf und beobachtete, wie seine Schultern irgendwann nicht mehr bebten. »Es war kein Date«, erwiderte er wie aus dem Nichts, das Wort, als wäre es eine Krankheit, und ich runzelte die Stirn. Wo war das eine Antwort auf meine Frage? In welcher Welt erklärte das seine Reaktion? Kaibas Gedankensprüngen konnte niemand folgen. Manchmal sicherlich nicht einmal er selbst. »Hä?« »Das Schulfest.« »Achso. Ja, ich –« »Dates finden freitags gegen Abend statt und nicht auf Schulfesten. Mit kitschiger Musik und gezwungener Atmosphäre.« »Mh.« Stille. Er drehte sich langsam um. Sein Blick kitzelte über meine Haut. »Wheeler. Was –« Es war Zeit für ein paar Antworten. Und ein paar Fragen. Das Klingeln meines Handys ließ mich zusammenfahren. Er starrte meine Hosentasche an, aus der das Geräusch im Sekundentakt die Stille zerschnitt. »Willst du nicht abheben?« Nicht die Frage. Ich wollte nicht, aber sein Gesichtsausdruck drängte mich, also schnaubte ich, zog mein Handy aus der Hosentasche und stierte auf den Display. Die Nummer war unbekannt. Mitten in der Nacht. Wenn das so einer war, der sich verwählt hatte. Oder so ein Scherzanruf, bei dem die Freunde um das Handy versammelt standen und im Hintergrund kicherten. Verärgert presste ich die Taste, um das Gespräch anzunehmen, meinen Blick unverwandt mit Kaibas verschlungen. Als zählte nur die Gegenwart. Als könnte uns die Vergangenheit oder Zukunft nichts. Wir lebten im Moment. Wir schauten nur auf das, was wir erreicht hatten, schauten nicht zurück, um das zu vermissen, was wir zurückließen. Es gab nichts, das ich vermissen würde.   Mit jedem Wort, das in meinem Ohr widerhallte, jedem Wort, das sich in meiner Mimik spiegeln musste, schaute Kaiba aufmerksamer, irgendwie alarmiert, als begriff er mehr als ich, obwohl er die Stimme am Apparat unmöglich verstehen konnte.   »Herr Joseph Wheeler? Es geht um Ihren Vater.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)