Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 16: … ist sorglos ------------------------- __________________________________________ Sorgenlos sein ist ein Glück, sorglos sein ein Unglück. Verfasser unbekannt __________________________________________ Seto Kaiba führte seine eigene Firma. Er war unglaublich reich, intelligent und gutaussehend. Er hatte keine Sorgen. Mit sechzehn Jahren hatte er geschafft, wovon andere ihr Leben lang träumten. Er hatte seine Karriere bereits als Jugendlicher mit Erfolg durchgezogen und hätte sich mit siebzehn in den Ruhestand setzen können – irgendwo in der Südsee einem Luxusleben frönen, mit Strand, Cocktails und ohne seinen bescheuerten Laptop. Aber vor allem weit weg von mir. Wir saßen im Auto, nachdem Mokuba mich umarmt und mir das Versprechen abgerungen hatte, dass ich bald mal wieder vorbeischauen würde. Ich wusste nicht, wie ich das Versprechen einhalten sollte, denn Kaiba und ich – das war halt so eine Sache. Am Autofenster zogen Bäume vorbei, die umzäunt waren, blitzblanke Hausfassaden, die sich in gepflegte Hauswände wandelten, statt Vorgärten zogen bald Garagen vorbei, statt Garagen bald Parkplätze. Meine Wohngegend war wirklich nicht die letzte. Klar, sie galt als sozialer Brennpunkt und ein paar Gestalten sollte man lieber nicht alleine nachts begegnen, aber eigentlich war es gar nicht so schlimm. Ein paar Kids hingen noch draußen herum, obwohl es schon dunkel war, und wahrscheinlich wirkten sie auch nur deswegen so zwielichtig. In Wirklichkeit waren es nur gelangweilte Jugendliche, die ein Bier tranken und coole Sprüche klopften. Irgendwie erkannte ich mich in ihnen wieder. Kaiba hielt und ich schnallte mich ab, warf den drei Teenagern einen Blick zu, sie mussten jetzt so vierzehn Jahre sein. Obwohl ich nur knapp zwei Jahre älter war, kam es mir so vor, als hätte ich schon viel mehr erlebt als sie – als wäre ich in der Lage ihnen Ratschläge zu erteilen und zu sagen: »Wenn ihr erst einmal so alt seid wie ich –« Dabei war ich selber noch ein halbes Kind. Kaiba dagegen – Mein Blick schnellte zurück zu ihm, als er mich fragte, ob ich vergessen hatte, wie man eine Autotür öffnete. Zur Antwort schnaubte ich und verzog meinen Mund. »Oder hast du Angst vor denen?«, sein Kopf ruckte in die Richtung der Jugendlichen, die auf der Bank herumlungerten. Ich verdrehte die Augen. »Ich kenn die. Das sind nur Kids aus der Nachbarschaft.« »Gerade deswegen«, entgegnete er und warf mir einen vielsagenden Blick zu, den ich irritiert erwiderte. Er zog mich nur auf, also schenkte ich mir eine Antwort und kam gleich zum Punkt, weswegen ich gezögert hatte. »Ich – wollte mich«, das Wort klebte an meinem Gaumen, »bedanken.« »Und deswegen hältst du mich davon ab, Sinnvolleres zu tun, als meine Zeit hier im Auto zu vergeuden?« Obwohl seine Worte scharf klangen, war es sein Ton nicht, so, als sagte er das rein aus Gewohnheit. »Ich mein – nicht nur für heute. Auch – also für alles und so. Auch den Vortrag und dass du nichts wegen meinem – also wie auch immer. Danke«, plapperte ich und verhaspelte mich, weil ich eigentlich so vieles hatte aussprechen wollen, was mir dann doch nicht über die Lippen kam, weil wenn ich es sagte, dann war es – Wirklichkeit. Kaiba bedachte mich mit einem Blick, den ich nicht einzuschätzen wusste. Als er nickte, nickte ich einfach zurück und dann stieß ich die Tür auf und stieg aus dem Auto. Er brauste davon und ich stand da, schaute dem Auto nach, als hätte ich etwas vergessen, dann riss ich mich davon los, schlappte bei den Jugendlichen vorbei und verscheuchte sie mit den Worten: »Macht, dass ihr nach Hause kommt, Leute! Peter, Yukiko, Jerry! Morgen ist Schule!« Sie warfen sich Blicke mit hochgezogenen Augenbrauen zu. »Meine Eltern juckt's eh net!«, behauptete Peter und zog die Rotze hoch, aber als ich mein Handy zückte mit den Worten, dass ich das seine Eltern gerne persönlich fragen würde, hob er abwehrend die Hände. »Is ja gut, Kumpel.« »Wer war'n das eigentlich?«, fragte Yukiko und spielte mit einer bunt gefärbten Haarsträhne. »Dein Freund?« Ihre beiden Kumpels lachten auf. »Niemand, für den ihr euch interessieren braucht und jetzt zieht ab.« Sie verdrehte die Augen, zog aber Jerry an der Hand mit sich. »Joey, du wirst echt wie so n Knacker, voll die Spaßbremse«, maulte er und ich zuckte die Schultern, wandte mich um und trottete Richtung Haustür. Ein Stirnrunzeln lief über meine Stirn. Vielleicht wurde ich allmählich wirklich alt? Sechzehn und von Vierzehnjährigen als Spaßbremse beschimpft. War ich nicht früher genauso sorglos gewesen wie sie? Oder war das Dummheit? Es war kein Herbst mehr. Langsam bemerkte man es nicht nur am Kalender, sondern auch am Wetter. Dass Frühling war, erkannte man nämlich daran, dass man plötzlich mitbekam, dass die Nachbarn nicht heimlich ausgewandert waren. Dass draußen auf einmal Menschen die Straße entlang gingen und dich grüßten (»Jo, Joey, Alter. Was geht?«). Und daran, dass es länger hell blieb. Morgens, wenn ich aufstand, lugte die Sonne über die Dächer und gegen Abend, wenn ich heim kam, schlenderte ich in ein paar Sonnenstrahlen – wenn es nicht gerade regnete. »Oh, Mann«, seufzte ich und beobachtete die Regentropfen, die das Fenster entlang rannen voller Missmut. »Joey, du machst mich noch verrückt mit deiner Seufzerei!«, rügte mich Yugis Großvater und drückte mir eine Kiste mit neu angelieferter Ware gegen die Brust. »Außerdem macht es das Wetter nicht besser.« »Ja, ich weiß«, stimmte ich niedergeschlagen zu und verräumte die Kiste, unterdrückte den Seufzer, der mir schon wieder zwischen den Lippen entfliehen wollte und rannte beinahe Yugi um, der gerade zur Tür hereintrat und den Regenschirm zusammenfaltete. »So ein Sauwetter«, fasste er zusammen, aber trotz der Worte klang es kein bisschen verärgert, sondern eher amüsiert. Ich beneidete Yugi manchmal um seine Unbekümmertheit. »Nicht du auch noch«, meinte sein Großvater und drückte ihm ebenfalls eine Kiste in die Hände, woraufhin er mir einen fragenden Blick zuwarf. Ich zuckte verlegen die Schultern und grinste. Gewöhnlich saßen wir nach der Arbeit noch zusammen, wobei es Yugis Großvater nach einigen Minuten wieder in den Verkaufsraum zog, während es sich Yugi und ich in dessen Zimmer bequem machten. Ich lungerte in Yugis Bett und er lehnte sich an meine angewinkelten Beine, sortierte seine Karten oder blätterte durch Zeitschriften mit den neuesten Video- und Gesellschaftsspielen. »Joey, was willst du eigentlich später mal werden?« Er schlug eine weitere Seite um, blinzelte dann aber zu mir hoch. Ich stutzte erst, weil es mir so vorkam, als passte die Frage nicht zu uns. Wir waren Freunde, die die Zeit jetzt genossen, Spaß hatten, sich durch Turniere zockten, aufeinander verlassen konnten. Aber wie würde das Ganze in der Zukunft aussehen? Würde es immer so bleiben? »Mmmh – superreich und glücklich?«, frotzele ich und lehnte mich zurück, starrte an die Decke und nickte ihr zu. »Das wär's.« »Bist du das nicht schon?«, hakte Yugi nach, woraufhin ich meine Taschen tätschelte, deren Inneres hinaus zog und meinte: »Für superreich sind meine Taschen noch zu leer.« »Ich meine doch das mit dem glücklich.« Yugi lächelte mich an. Nachdenklich schob ich meinen Mundwinkel zur Seite. War ich nicht schon glücklich? Was wollte ich verändern, um noch glücklicher zu werden? Machte Geld glücklicher? »Also – joar. Unglücklich bin ich schon mal nicht«, wog ich ab, »aber ich könnte glücklicher sein. Aber vielleicht kann man immer noch glücklicher sein, noch reicher, noch besser, noch – toller.« Während ich mit den Achseln zuckte, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. »Ist es nicht unheimlich schwer«, begann ich, »wenn man schon als Teenager superreich ist und so – was will man dann noch in seinem Leben machen?« »Redest du von Kaiba?« Yugis Augenbrauen berührten seine Ponysträhnen, während er mir das nächste Magazin reichte und sich einem weiteren zuwandte. »Was? Nein, wie kommst du ausgerechnet auf den? Ich meine nur – so allgemein.« Natürlich hatte ich an Kaiba gedacht. Wahrscheinlich wusste das auch Yugi, aber er vertiefte das Thema nicht weiter. »Ich glaube – im Leben geht es nicht nur um Geld. Es geht darum, etwas zu bewirken, zufrieden zu sein und seine Träume zu verwirklichen. Und wenn es nur bedeutet, mit einem anderen Menschen eine Familie zu gründen und glücklich zu leben. Oder – in ein fremdes Land zu reisen oder – Medizin zu studieren.« »Mh, ja, bestimmt hast du recht.« Wir schwiegen. »Was willst du mal später machen, Yugi?« »Ich – weiß nicht – also ich bin mir nicht sicher, ob – ich das schaffe und – naja«, stammelte er, wie in einer Prüfung, für die er nicht genug gelernt hatte. »Moment. Wie bist du auf Medizin studieren gekommen? Willst du etwa –?« Mit meinem Finger zeigte ich auf ihn, als könnte er mir dadurch nicht entkommen. »Ich – also – vielleicht?« Er schaute mich an, als erwartete er, dass ich ihn auslachte oder diese Idee für Unsinn hielt. Ich ließ meinen Finger sinken. Wann hatte ich ihn das letzte Mal so behandelt? Bevor wir Freunde wurden – okay, das war aber eine andere Zeit gewesen irgendwie. Mir kam es vor, als wäre ich damals ein anderer Mensch gewesen. Aber vielleicht steckte die Erinnerung solche Erfahrungen nicht einfach weg. Ich legte Yugi meine Hand auf die Schulter und forderte ihn so auf, mir nicht mit seinem Blick auszuweichen. Natürlich war es ein Plan, der mich überraschte, denn ich hatte mir Yugi irgendwie immer als Spieleerfinder/professionellen Gamer vorgestellt, der auch noch mit Mitte Dreißig als Champion auf Weltturnieren antrat. Aber wahrscheinlich wollte auch Yugi irgendwann erwachsen werden. Und hatte ich nicht schon vor langer Zeit festgestellt, dass Menschen die unterschiedlichsten Facetten auslebten? Dass sich Menschen veränderten und verschiedene Interessen in sich vereinten? Yugi als Arzt. Ich versuchte es mir vorzustellen und wenn ich es recht bedachte, dann konnte ich es mir sogar gut vorstellen. Yugi war schon immer eine Person gewesen, die sich für andere aufopferte, die niemals tatenlos daneben stand, auch wenn die Herausforderungen für so einen kleinen Jungen überwältigend schienen. »Ich glaube, du wärst ein verdammt guter Arzt«, teilte ich ihm überzeugt mit. Yugis funkelnder Blick sagte mir, dass das die einzig richtige Antwort war. »Und wie stellst du es an?«, hakte er nach, lehnte sich wieder gegen meine Beine und blätterte weiter in der Zeitschrift. »Hä? Was meinst du?« »Na, die Sache mit dem Superreichwerden? Hast du schon einen Plan?« Ich war mir unsicher, ob er das ernst meinte. Letztlich musste Yugi wissen, dass mir die Sache mit dem Reichtum gar nicht so wichtig war. Aber ich wollte etwas erreichen, das andere in Staunen versetzte, mit dem ich ihnen ins Gesicht lachen konnte und vorhalten:»Ha! Ich hab's doch geschafft! Ihr könnt mir gar nichts!« Stattdessen jedoch hing ich hier auf Yugis Bett herum, durchblätterte ältere und neuere Zeitschriften voller Spiele und Neuigkeiten auf dem Gamers-Markt und war planlos, was mein Leben anging. »Ich hab keine Ahnung, was ich nächstes Jahr machen soll«, gab ich zu und seufzte. Er schlug das Heft zu und reichte es mir. »Mh, vielleicht könntest du dir ja Ideen von jemandem holen, der sich damit auskennt?« Das Cover des Magazins bildete Seto Kaiba ab. Ich lebte in den Tag hinein, freute mich, wenn es etwas zu freuen gab, ärgerte mich über Ärgerliches, war stolz, wenn es etwas gab, worauf ich stolz sein konnte, fürchtete mich vor Sachen, die zum Fürchten waren. Ich war nicht der Typ, der sich einen großen Plan zurecht legte und dann danach arbeitete – das hatte mir in der Schule schon ein paar Mal die Füße gestellt, aber irgendwie hatte ich es immer hinbekommen. War das das Problem? War ich zu sorglos? Kaiba würde sicherlich nie denken: klappt schon. Er dachte bestimmt: A und dann muss ich B machen und wenn A nicht klappt, mach ich C und dann D. Wie schaffte Kaiba das alles nur? War er nicht auch sorglos? Aber nur deswegen, weil er immer einen Plan hatte? Ich hatte das Gefühl, dass mir alles über den Kopf wuchs. Die zehnte Klasse neigte sich bald dem Ende und ich hatte keinen Plan, was ich machen sollte oder überhaupt wollte. Um mich herum posaunten meine Mitschüler heraus, was sie für tolle Pläne hatten in den Sommerferien. Mir grauste schon jetzt vor der Zeit danach. Oberstufe. Sollte ich nicht lieber die Sache sausen lassen und eine Ausbildung machen? Ich war wohl kaum der klassische Typ für ein Studium. Wenn man es recht bedachte, dann konnte ich es mir eh nicht leisten. Aber was für eine Ausbildung? Würde mich überhaupt jemand übernehmen? Meine Noten waren – naja. Mit einem Seufzen lehnte ich mich zurück und kippelte mit meinem Stuhl. Ich mochte Kinder. Ich konnte eine Ausbildung zum Kindergärtner machen. Aber immer mit so kleinen Nervensägen? Hatte ich dafür genug Geduld? Ich mochte Tiere! Vielleicht gab es etwas in die Richtung? Ich konnte gut mit – »Da ich wahrscheinlich in die Verantwortung genommen würde bei unterlassener Erster Hilfe, wirst du jetzt aufhören, dir jedes Mal beinahe deinen Kopf aufzuschlagen, verstanden, Wheeler?« Mein Blick huschte zu ihm, ich zuckte die Schultern und runzelte die Stirn, ließ die vorderen beiden Stuhlbeine zurück auf den Boden sinken. »Sag mal, Kaiba«, ich lehnte mich vor, ihm zugewandt, mit einem Arm auf der Stuhllehne, »was willst du später eigentlich mal werden?« Er starrte mich einen Augenblick lang an, in dem er abzuwägen schien, ob ich das realsatirisch meinte – oder eben nicht. Jedenfalls fasste er sich dann an die Stirn, strich sich seinen Pony zur Seite, als hätte er Kopfschmerzen und warf mir einen Blick zu, der mir mitteilte, dass ich ein verdammter Idiot war. Doch statt einer Antwort auf meine Frage, drehte er sein Gesicht erneut seinem Bildschirm zu und tippte auf seinem Laptop. »Wenn du weiter auf dem Stuhl herumturnen möchtest, dann setze dich neben deine Freunde und schlag dir neben ihnen deinen Kopf auf«, meinte er, ohne mich anzuschauen. Ich schnaubte und kippelte weiter. Kaiba wusste zu neunundneunzig Prozent schon, was er einmal in zwanzig Jahren machen würde – irgendwo hatte er bestimmt so einen Superplan, den er Jahr für Jahr abarbeitete und den er befolgte. »Hast du keinen – Plan, was du nach der Schule mal machen willst?«, hakte ich nach. Wahrscheinlich dachte Kaiba, er würde mich nach einer Antwort schneller loswerden, als wenn er es mit Ignoranz herauszögerte. »Ich leite bereits eine Firma, Köter«, erwiderte er wie nebenbei, doch ich ließ nicht locker. »Also gründest du eine zweite?« Stille. So eine, in der mir bewusst wurde, dass Kaiba ein arroganter Arsch war. Und was für einer. Und er mich für einen Köter hielt, der nichts begriff, weswegen er erst gar nicht zu einer Antwort ansetzte. »Warum sitzt du überhaupt hier, Wheeler?« Wahrscheinlich wüsste ich nicht einmal mit so einem Plan, was ich nächste Woche machen sollte. Vielleicht lag Kaiba also gar nicht so falsch mit der Annahme, dass ich nichts begriff. »Yugi hat gemeint – also – irgendwie hast du doch«, ich stoppte mich selbst und begann nochmal von vorne. »Du bist doch reich, Geldsack. Bist du deswegen glücklich?« So oder so ähnlich hatte Yugi es gesagt, nicht? »Du bist es nicht, Hündchen. Bist du deswegen glücklich?« Er warf mir einen provokanten Blick zu, der mich die Lippen zusammenpressen ließ. »Yugi hat gemeint, dass ich dich deswegen fragen soll – wenn einer Ahnung hat, dann –« »Schön, dass er mich dafür verantwortlich macht, deine Perspektive zu bereichern, aber du störst mich.« »Ich stör dich doch nicht, Kaiba, ich bereichere auch – ähm – deine Perspektive.« Und grinste ihn an. Ich sah, wie sich sein Brustkorb hob, während er tief einatmete, sich an die Nasenwurzel fasste und dann ausatmete. Dann wandte er sich seinem Laptop zu, als hätten wir den Dialog nie geführt. Kaibas Ignoranz lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zurück auf meine eigenen Gedanken. »Entgegen deiner Behauptung: Deine Seufzerei stört mich beim Arbeiten, Wheeler.« »Jaaah, sorry«, seufzte ich. Mein Blick schweifte über die Reihen meiner Mitschüler vor mir. Schnatternde Mädels, ein paar Jungs zielten mit Papierfliegern auf den Mülleimer, Yugi und Tristan diskutierten über irgendetwas. Alle hatten bestimmt irgendeinen Plan für ihre Zukunft. Und ich? Mein Blick wanderte weiter und blieb an blauen Augen hängen, die mich fixierten. Seto Kaiba saß mir mit seinem Oberkörper seitlich zugewandt, die Arme vor der Brust verschränkt, die Beine übereinander geschlagen, schräg auf dem Stuhl – das Verrückte war, dass er erstens nicht tippte und zweitens seine Aufmerksamkeit mir schenkte, ohne, dass ich ihn dazu zwang. »Wie bitte?« Diese zwei Wörter klangen aus seinem Mund, als hätte ich ihn gerade beleidigt. In diesem Augenblick erinnerte ich mich daran, warum es in neunundachtzig Prozent der Fälle gar nicht mal so schlecht war, Kaibas Aufmerksamkeit zu entkommen. In der Klasse lachte jemand laut auf. »Äh? Hä?«, meinte ich und schaute wahrscheinlich so klug, wie ich mich gerade fühlte. Kaiba schnaubte, ehe er sich dazu hinab ließ, zu erklären, was sein Stirnrunzeln verursachte. »Wheeler, was überfordert dein Gehirn dermaßen, dass dir eine Entschuldigung mir gegenüber herausrutscht?« Ich seufzte und wedelte mit einer Hand Richtung der Anderen vor uns. Ein Mädchen quietschte, Jungs riefen etwas und lachten, jemand rannte im Klassenzimmer umher, einige veranstalteten eine Art Wettbewerb im Papierfliegerweitflug. Das ganz normale Chaos eben. »Die anderen Mitschüler stören deine Konzentration, was dich nicht nur nervt, sondern unter Druck setzt, weil du eine große Anzahl von Dokumenten durchgearbeitet haben musst bis in«, er schaute auf die Uhr, »drei Stunden für ein Meeting?« »Was? Wie kommst du –?« »Ach, stimmt ja, das warst nicht du – das war ich«, grollte er und ich verdrehte die Augen. »Ist ja schon gut, hab's kapiert.« Während ich mein Heft in den Rucksack warf und ein Mäppchen, das halb auseinander fiel, fragte er, was das werden sollte. »Ich verzieh mich.« »Gut.« »Ja.« »Schön.« »Denk ich auch.« »Endlich.« »Mh?« »Nach zwei Jahren, in denen wir uns kennen, schaffst du es endlich einmal, zu denken.« Mir fiel eine passende Antwort ein: Ich streckte ihm die Zunge heraus und wandte mich dann um und schritt mit gestrecktem Kinn zu Yugi und Tristan. Erwachsensein war vielleicht nicht meine Stärke. (Weder Pläne, noch Organisation und all der Kram, den ich als erwachsen definierte.) Ich wusste nicht genau, wie meine Zukunft aussehen sollte und lebte trotzdem sorglos in den Tag hinein. Meistens jedenfalls. Öfters als ich sollte. »Jungs, wir müssen mal wieder einen Spiele-Marathon veranstalten, die ganze Nacht durchgezockt«, warf ich mich in ihr Gespräch und wurde von einem grinsenden Gesicht und einem funkelnden Blick empfangen. Yugi zog mich zur Seite, als wir auf dem Weg zur Mensa waren. »Und – weißt du jetzt, wie du superreich wirst?«, fragte er mich lächelnd und da war kein Sarkasmus, sondern nur Zuversicht und Fürsorge in seiner Stimme. »Nö.« Dafür konnte ich mich auf meine Freunde verlassen – und zu denen zählte Seto Kaiba eindeutig nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)