Was wir sind von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 14: … ist ignorant -------------------------- __________________________________________ Ein Ignorant, wer Fröhlichkeit verachtet;  ein Narr, wer meint, es gebe fröhliche Erklärungen. © Dr. phil. Michael Richter (*1952) __________________________________________ Seto Kaiba schien unerreichbar. Wenn ich seine Auftritte im Fernsehen sah – ein Sechzehnjähriger inmitten von alten Knackern – dann ahnte ich, dass er kein normaler Teenager war. Seine Sprache, seine Haltung – alles an ihm war anders als an mir. Wenn er in meinem Rücken saß – in der letzten Reihe der Klasse, dann wirkte er irgendwie normaler. Und trotzdem war er keiner von uns. Er interessierte sich nicht für uns Normale. (Er würde uns wohl eher als Idioten bezeichnen.) Für die, die keine Millionen machten mit einem Meeting, die, die keine Ahnung von Aktien und Wörtern wie liquid und eloquent hatten, die, die vor seinem Wissen abschnitten wie kleine Kinder, die sich in ein Forschungszentrum verirrt hatten. Er tat so, als hätten wir nichts gemein. Ihm waren wir egal. Er bemerkte uns nur, wenn wir ihn auf seinem rabiaten Aufstieg behinderten. Vielleicht konnte ich deswegen leicht so tun, als wäre es mir egal, was er von mir dachte. »Was willst du, Wheeler?« Ich öffnete den Mund, nur um ihn wieder zu schließen, fuhr mir durchs Haar und lehnte neben Kaibas Laptoptasche am Tisch mit meinem Hintern halb auf der Platte. Kaiba verstaute die Tasche im Aktenkoffer und schob sich am Tisch vorbei. »Kaiba, warte ich – wollte nur –« Er blieb im Laufen stehen, schaute sich nicht zu mir um, aber ich wusste, er wartete auf meinen nächsten Satz. »Joey! Wo bleibst du?« Tristans Stimme drängte uns aus der Starre, ließ den Moment vorbeischießen und mich vom Tisch abstoßen. Kaiba verließ den Klassenraum ohne einen Blick zurück. Das Essen in der Mensa war Spaghetti Bolognese. Es sah zumindest so ähnlich aus. Tristan schnüffelte misstrauisch an seinen Nudeln, während Yugi das Zeug mit Gottvertrauen aß. Meine Gedanken waren ganz woanders. »Ich mein – er tut so, als hätte ich Scheiße gebaut! Ich mein, seit wann –« Tristan seufzte. »Schon wieder das Thema? Frag lieber, wann du es nicht tust«, murmelte er und ich verengte meine Augenlider, woraufhin er abwehrend seine Hände hob. »Seit wann bist du auf der Seite von Kaiba, hä?« Er zuckte mit seinen Achseln und steckte sich nun doch eine Gabel voller Spaghetti in den Mund, während ich lustlos darin herum stocherte. »Du hast ihn am Kragen gepackt, Joey, das ist nicht gerade – nett. Ich mein, nicht, dass es ihm schaden würde, aber was für nen Grund hattest du'n?« »Aber er hat – er hat –« Die Präsentation fertig gestellt. Stillschweigen über die Sache mit meinem Vater bewahrt. Mich beinahe tagtäglich zu Hause bei sich empfangen. Mich zum Abendessen wie selbstverständlich dabei gehabt. Mich immer wieder nach Hause gefahren. Meine Beleidigung blieb mir im Halse stecken. Mit einem Schnauben wandte ich mein Gesicht von meinen beiden Freunden ab. »Er ist so ein arroganter Arsch«, raunte ich. »Und du ein beleidigter«, entgegnete Tristan. Ehe ich ihm den Kommentar entgegen schleudern konnte, der durch meine Gedanken blitzte, legte Yugi eine Hand auf meinen Arm. »Du hast mich mal gefragt, ob wir alle nicht so eine Art Rolle annehmen, weißt du noch? Dass wir uns gegenseitig beeinflussen und uns je nach dem wie andere uns sehen, vielleicht auch unterschiedlich verhalten.« Ich brummte, um ihm mitzuteilen, dass ich mich erinnerte. Wenn uns andere Menschen als hilfsbereit einschätzen, dann fragen sie nach unserer Hilfe und wenn wir zusagen, dann sehen sie die Annahme als bestätigt. Aber vielleicht werden wir erst durch die Gelegenheit, hilfsbereit zu sein, hilfsbereit. So oder so ähnlich hatte Yugi die Sache gesehen. Aber was hatte das alles mit dem Ganzen jetzt zu tun? »Wenn ich für dich ein Referat gemacht hätte, wärst du dann dankbar gewesen für meine Hilfe?«, hakte er nach. »Ja, klar.« »Und wer sagt, dass ich dir hatte helfen wollen?« Er sah mich mit seinen großen Augen vielsagend an, aber was er mir damit sagen wollte, ging in meinem Kopf unter. »Na, weil du – weil du – warum sollte es keine Hilfe sein?« »Weil ein Seto Kaiba ein arroganter Arsch ist, der unmöglich jemandem helfen würde?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen und ich zuckte bei seiner Wortwahl zusammen. Das war meine Ausdrucksweise – nicht Yugis. Aus seinem Mund hörte sich das so unpassend an. »Vielleicht beeinflusst nicht nur das Verhalten von jemandem dessen Verhalten – vielleicht sieht dasselbe Verhalten auch ganz unterschiedlich aus, je nach dem wie wir die Person, die sich so verhält, einschätzen.« Ich lehnte mich nach vorne, verschränkte meine Arme vor mir auf dem Tisch und schob damit gleichzeitig den kaum angerührten Teller vor mir weg, schaute Yugi von unten her in die Augen. (Wie ungewohnt, wo er doch eineinhalb Köpfe kleiner war als ich.) Und erwiderte, was mir aufgrund seiner Aussage durch den Kopf ging. »Hä?« Tristan fuhr sich mit der Hand über die Augen, als hätte ich den größten Unsinn von mir gegeben. Doch Yugi lächelte mich unbeirrt an. »Wäre es nicht Kaiba gewesen, der die Präsentation gemacht hat, sondern ich – was hättest du gedacht?«, meinte er bloß und ich überdachte seine Worte mit einem Schlucken, das den Klos in meinem Hals nicht verjagen wollte. Ich belagerte ihn. Anders konnte man es nicht ausdrücken. In der Pause setzte ich mich ihm gegenüber, mit der Stuhllehne an meinem Bauch und sprach mit Kaiba – eigentlich sprach ich eher mit der Rückseite seines Laptopbildschirms, aber von solchen Details ließ ich mich natürlich nicht beirren. Vor dem Unterricht – ich kam extra pünktlich deswegen vor dem ersten Gong – lehnte ich an dem Tisch, neben den er sich gewöhnlich hinsetzte. »Kaffee«, teilte ich ihm mit, um ihn dazu zu zwingen, mir Aufmerksamkeit zu zollen und hob die Pappbecher an – einen für ihn, einen für mich – als würde das alles erklären. Er schaute kaum auf. Ehrlich gesagt hatte ich etwas Spott erwartet, einen Kommentar über meine Frisur am Morgen oder meine unerwartete Pünktlichkeit oder welcher geistigen Umnachtung ich erlegen wäre, um gerade ihn anzusprechen. Stattdessen packte er seinen Laptop aus und ignorierte mich. In den Stunden schrieb ich Zettel, die ich ihm auf seine Tastatur warf. Nach dem Unterricht ging ich mit ihm bis zu seiner Limousine, wo sein Bodyguard-Butler/sklavenähnlicher Diener mir die Tür vor der Nase zuschlug. Seine Ignoranz entmutigte mich nicht. Im Gegenteil. Sie ließ mich zur Höchstform auflaufen. »Was ist das?«, fragte ich, als Tristan einen Zettel durchging, während wir in der Mensa saßen, Yugi eine Cola schlürfte und ich mir eine pizzaähnliche Schwabbelei in den Mund drückte. »Das sind die Prognosen.« »Pro- was?« »Vorschläge, was als nächstes kommt.« Um Tristans Geschnörkel entziffern zu können, reckte ich meinen Hals. »Wofür?« Er grinste mich an, was mich endgültig misstrauisch das Gesicht verziehen ließ. Also schnappte ich ihm das Papier vor der Nase weg und las es. Meine Augen wurden größer mit jeder Zeile, die ich da dechiffrierte. »Blumen? Kaffee? Ein Liebesbrief? Eine Anklage? Eine Giftattacke? Mysteriöses Verschwinden? Was soll das sein?« Die Überschrift lautete: Wheeler vs. Kaiba. »Ganz einfach. Das hier sind Mutmaßungen, was du als nächstes tun wirst«, Tristan deutete auf die Spalte mit Blumen, Kaffee, Liebesbrief, »und das hier sind Kaibas Reaktionen, die die, die wetten, vermuten.« Offensichtlich die andere Spalte. »Moment. Ihr wettet? Auf mich und Kaiba? Und es wetten welche, dass ich –« Röte schoss mir auf die Wangen. Röte vor Zorn. »Beruhig dich, Joey, die machen sich nur einen Spaß draus.« Yugi lächelte mir zu, was mich wohl ermutigen sollte. »In ein paar Tagen ist das vergessen. Mach dir keinen Kopf.« Er hatte recht. So war das eben in der Schule. Gerüchte und dummes Zeug. An so etwas erinnerte man sich nach ein paar Tagen eh nicht mehr. Ich lehnte mich zurück und setzte meine Apfelsaftschorle an meine Lippen. Es war unwichtig, was andere behaupteten. Solange meine Freunde hinter mir standen. Das war doch eine der Lektionen, die ich mit denen gelernt hatte. Solange – »Auf was hattest du nochmal gesetzt, Yugi?«, ließ mich Tristans Stimme aufsehen. »Ähm – wieder Kaffee.« Mein Blick schoss zurück zu ihm. »Yugi?« Ich dehnte seinen Namen auf mindestens fünf Silben, meine Stimme dunkel vor Warnung. Yugi lächelte mich verlegen an. »Das ist doch nur ein – Spiel«, rechtfertigte er sich. Spielen hatte er noch nie widerstehen können. Zu Hause ließ ich mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen, stützte den Kopf auf meine Hände und seufzte. Ich war ihnen nicht böse. Irgendwie hatten sie sogar recht. Es war spannend. Was würde Kaiba tun? Und was sollte ich machen? Würde er überhaupt irgendwann eine Reaktion zeigen? Bisher hatte er mich erfolgreich ignoriert. Und mir gingen die Ideen aus. Seto Kaiba war ein ignoranter Bastard. Mein Blick wanderte über meinen Schreibtisch, wo kreatives Chaos herrschte, über mein Mathebuch, wodurch wenig kreatives Chaos in meinem Kopf herrschte. Kaiba hätte mir mit einem Blick sagen können, wo der Fehler in meiner Rechnung lag. Seufzend lehnte ich mich zurück, verschränkte die Arme hinter meinem Kopf. Ich starrte die Rolle an, von der ich genau wusste, was sie zeigte, würde ich sie aufrollen. Denn wie oft hatte ich das getan? Kaibas Lächeln und Mokubas treue Augen. Dieser Augenblick, in dem Kaiba wirkte, wie ein – selbst der Gedanke irritierte mich – großer Bruder. Dann, wenn er seine Rolle, die er für die Welt einstudiert hatte, vergaß. Er hatte das Bild eigentlich haben wollen. Ob er es immer noch wollte? Und dann dieses Bild an der Wand. Es zeigte meine Familie. Glücklich. Ob ich auch so dreinschauen würde wie er, wenn ich meine Schwester ansehen würde? Aber alles, was ich gerade sah, war er, wie er es zeichnete. Obwohl ich nie dabei zugeschaut hatte, erahnte ich seine Bewegungen. Bestimmt hatte er dabei seine Augen leicht verengt, das machte er immer, wenn er sich konzentrierte – oder kurz bevor er mich beleidigte. Bestimmt hatte er immer mal wieder seine Lippen aufeinander gepresst, das tat er auch, wenn er besonders schnell auf seiner Tastatur tippte. Sicherlich auch so eine Angewohnheit, wenn er sich auf etwas fokussierte. Er hatte ebenfalls seine Lippen aufeinander gepresst, als ich ihn am Kragen gepackt hatte. Er hatte mich so angesehen und obwohl sich nichts in seiner Mimik bewegt hatte, war sein Blick alles andere als starr gewesen. Ich legte mein Gesicht auf meine Arme. Dafür, dass es ihm nur um die Note gegangen war, hatte er erstaunlich viel für mich gemacht. Die Präsentation fertig gestellt – auch meinen Teil. Stillschweigen über die Sache mit meinem Vater bewahrt. Mich beinahe tagtäglich zu Hause bei sich empfangen. Mich zum Abendessen dabei gehabt, als wäre es keine Sache. Mich immer wieder nach Hause gefahren. Wäre es nicht Kaiba, hätte ich von ihm wie von einem Freund gedacht. Aber er war so – und ich war so – In diesem Moment wusste ich, dass ich nicht besser war als er – im Gegenteil. Und das machte mich verdammt wütend. Es machte mich wütend, dass es mir nicht egal war, was er von mir denken musste. Und noch zorniger machte mich die Erkenntnis, wie ignorant ich selbst eigentlich war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)