The Cookie Jar von CaptainMoek (YGO-One Shots, PWP, Smut & Kurzgeschichten) ================================================================================ Kapitel 16: Das Sterben kann noch warten - Part 1 ------------------------------------------------- „In Ordnung, Miss...Bakura.“   Die Vorhänge des Raumes waren wie immer halb zugezogen, was angesichts des miserablen Wetters noch weniger Licht hineinließ, als sonst. „Ich möchte nun, dass Sie mir eine Situation aus der vergangenen Woche beschreiben, die Sie in einen Angstzustand versetzt hat.“   Eine ältere Dame mit kurzen, grauen Haaren und adretter Kleidung hatte ihre Hände über ihrem Schoß gefaltet und blickte das Mädchen mit einem auffordernden Lächeln an. Amane vermied es, sie direkt anzusehen.   Diese Frau wusste sowieso schon viel zu viel. Von Anfang an hatte Amane sich ihr offenbaren müssen – angefangen von ihrer Geburt in England und dem Leben gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder. Das Verhältnis zu ihrem Vater, der aufgrund seines Berufs praktisch getrennt von der Familie lebte. Und dann der Tag, der Amanes Leben für immer verändert hatte. Der Tag des Unfalls. Ihr Bruder und ihre Mutter, die in den Tod gerissen wurden. Die Trauerfeier, die unzähligen Menschen, die versucht hatten, ihr Mitleid auszudrücken. Ihr eigener Umzug nach Domino City, um fortan bei ihrem Vater zu leben. Einen Menschen, den sie kaum kannte. Die Therapeutin, die ihr Vater für sie rausgesucht hatte, damit es ihr „besser ging“, hatte sie all das noch einmal durchleben lassen. Und sie mit irgendetwas diagnostiziert.   Manchmal fragte Amane sich, ob es nicht besser gewesen wäre, sie wäre an Ryous Stelle in diesem Auto gewesen.     „Wenn du später nachhause kommst, warte nicht mit dem Essen auf mich. Aber geh noch nicht sofort schlafen. Ich habe noch etwas für dich. Dad.“ Die Nachricht, die sie noch schnell auf dem Display ihres Mobiltelefons las, bevor sie ihren Regenschirm aufspannte und zur U-Bahnstation lief, war ein typisches Beispiel für Konversationen zwischen ihr und ihrem Vater. Kurz, neutral, auf das Wichtigste fokussiert. Ihr Vater war so, wie die Dinge, mit denen er sich beruflich beschäftigte. Analytisch. Messbar in Zahlen und Fakten, nicht in Emotionen. Die Qualitäten eines liebenden Elternteils besaß er nicht. Und darum antwortete Amane ihm auch in der gleichen Manier, bevor sie das Handy in der Jackentasche verschwinden ließ und den U-Bahnschacht betrat, das dumpfe Dröhnen eines einfahrenden Zugs bereits aus der Entfernung vernehmend.         Lustlos kaute Amane auf einem Bissen Reis herum, während sie im Fernsehen irgendeine Sendung verfolgte, die sie weder kannte, noch interessierte. Eines ihrer Schulbücher lag aufgeschlagen auf dem Wohnzimmertisch, doch sie hatte es bisher weder angesehen, noch versucht zu begreifen, mit was es sich beschäftigte. Normalerweise würde sie nicht einmal hier im Wohnzimmer sitzen, sondern in ihrem Zimmer darauf warten, dass es spät genug war, um endlich ins Bett zu gehen, doch da ihr Vater ihr wohl irgendetwas überreichen wollte, zwang sie sich dazu, hier auf ihn zu warten. Der Regen prasselte immer noch leise gegen die geschlossene Fensterscheibe und erinnerte Amane an ihre alte Heimat, England. Es hatte dort oft geregnet. Auch an jenem Tag, an dem ihre Mutter die Kontrolle über den Wagen verloren hatte und sie sich mehrfach überschlagen hatten, bevor der Aufprall ihr und Ryou schließlich das Leben ausgehaucht hatte, hatte es geregnet. Amane trat an das Fenster und blickte wie schon unendliche Male zuvor hinaus, auf das Lichtermeer von Domino City, die Tropfen an der Fensterscheibe und den nassen Asphalt. Das Wohnzimmerfenster ließ sich nicht öffnen, aber wenn sie hinaus auf die Dachterrasse gehen würde...wie lange würde ihr Vater wohl brauchen, um zu realisieren, dass sie fort war?   In diesem Moment erklang das klackende Geräusch eines Schlüssels aus dem kleinen Flur und Amane stieß ein Seufzen aus, ehe sie sich zurück auf die Couch setzte und unauffällig ihre Schüssel Reis verbarg, um Ärger zu vermeiden. Die Tür zum Wohnzimmer ging auf und ihr Vater stand in seiner typischen Arbeitskleidung vor ihr, eine braune Papiertüte in der Hand, das graue Haar nass vom Regen.   „Hallo Amane. Ich sehe, du tust etwas für die Schule. Wie war deine Therapiesitzung mit Mrs Watanabe?“   Das der Fernseher lief und Amane das Buch nicht einmal in den Händen hielt, schien er entweder nicht zu bemerken, oder er versuchte nur irgendeine Art von Gespräch mit ihr aufzubauen. Sehr wahrscheinlich war eher letzteres der Fall.   „Produktiv.“   Es war eine Antwort, die ihren Vater zufrieden stimmen würde. Und sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Mit einem Nicken fixierte der Archäologe zuerst seine Tochter, dann die braune Papiertüte in seiner Hand. Auch diese schien ein wenig vom Regen mitgenommen zu sein, wie es Amane auffiel, als er sie ihr entgegenstreckte. „Wir haben heute eine Inventur in den Lagerräumen des Museums durchgeführt. Das hier sollte entsorgt werden, aber ich war der Meinung, es könnte dir vielleicht gefallen.“   Ihr Vater schenkte ihr also irgendeinen wertlosen Plunder aus der Mottenkiste eines Museums. Am liebsten hätte Amane ihn gefragt, ob er sich damit über sie lustig machen will.   Doch stattdessen ging sie auf ihn zu, nahm den fremden Gegenstand entgegen und steckte ihre Hand in die Tüte hinein, um herauszuholen, was auch immer sich darin befand. Ihre Fingerkuppen ertasteten etwas glattes, kühles. Langsam, nicht wirklich wissend was sie erwartete – und was sie außer Peinlichkeit eigentlich empfinden sollte – zog sie das Geschenk ihres Vaters aus seiner improvisierten Verpackung. Es war ein Ring. Ein goldener Ring an einer verschlissenen, abgetragenen Schnur. Ein goldenes Auge starrte sie aus seiner Mitte heraus an – und Amane starrte zurück. Was bitte war das denn für ein Geschenk? Es war nicht nur hässlich, es war auch absolut nichts aussagend und passte rein gar nicht zu ihrem Geschmack...   „Danke, Dad.“ „Bitteschön. Ich dachte, es passt womöglich in dein Zimmer. Als Dekoration.“ „Ich gehe dann jetzt schlafen.“ „Gute Nacht, Amane.“   Ihre Schulunterlagen unter den Arm geklemmt und den Goldring in der anderen Hand verschwand Amane aus dem Wohnzimmer und schloss ihre Zimmertür hinter sich. Dieser Tag war einfach von Grund auf beschissen und sie hoffte einfach, dass er bald zu Ende sein würde. Dieser Tag?! Eigentlich war ihr ganzes Leben von Grund auf beschissen.     Es vergingen noch zwei weitere Stunden, in denen Amane in ihrem Bett lag und ziellos auf ihrem Handy durch das Internet surfte. Schlaflosigkeit, sowie das Gegenteil, das erhöhte Bedürfnis nach Schlaf waren Begleiterscheinungen einer Major Depression, wie ihre Therapeutin es ihr erklärt hatte. Den Ring hatte sie vorerst an den Pfosten ihres Bettes gehängt und sich dazu entschieden, morgen darüber nachzudenken, wo sie ihn platzieren sollte. Am besten in irgendeine Schublade, wo sie ihn nicht mehr sehen und auch nicht mehr darüber nachdenken musste, warum ihr Vater eigentlich so ein miserables Elternteil war. Und warum ihr das Schicksal ihre Mutter und ihren Bruder genommen hatte. Und überhaupt alles, was ihr jemals lieb und teuer gewesen ist.   Doch es gab eine Möglichkeit, sich das alles zurück zu holen. Das wusste Amane. In ihrer Pyjamahose und einem weiten Schlafshirt zog sie sich still und leise Socken und einen Hoodie an, warf noch einen letzten Blick auf das Display ihres Handys, um sich die Uhrzeit einzuprägen – und auch noch einmal auf den goldenen Ring, dessen Auge sie regelrecht anzuglotzen schien. Sie würde es jetzt beenden. Und endlich wieder mit Ryou und ihrer Mutter vereint sein.   Ihr Vater schien ebenfalls bereits zu Bett gegangen zu sein, denn das Apartment war dunkel und still, als Amane in ihre Schuhe schlüpfte, den Wohnungsschlüssel bewusst dort hängen ließ, wo er war und stattdessen lediglich den Schlüssel für die Dachterrasse mitnahm. Und während sie die Stufen nach oben zählte, fragte sie sich, wie lange es wohl dauern würde, bis man sie auf dem Asphalt finden würde. Ihr Vater hätte sicherlich keine Tränen für sie übrig, doch es gab da ein paar wenige Mitschüler in ihrer Klasse, die vielleicht von der Nachricht ihres Todes geschockt wären. Und sogar weinen würden. Na also. Das Sterben lohnte sich ja irgendwie doch!   Ruhig und gelassen schloss sie die Tür zur Dachterrasse auf und öffnete sie mit einem Lächeln – was ihr augenblicklich wieder versiegte. Durch die offene Tür peitschte ein solcher Regen und eisiger Wind, dass sie prompt die Augen zusammenkniff und die Tür fast automatisch durch den entstandenen Luftzug und mit einem ohrenbetäubenden Knall wieder zuflog. Still und sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht streichend stand Amane auf dem Treppenabsatz und hörte nichts, außer ihrem eigenen Herzschlag und dem Geräusch des Regens auf der anderen Seite der Tür. Als sie sich wieder umdrehte und zurück über Treppen und Flure in Richtung ihres Apartments lief, schoss ihr wieder durch den Kopf, dass sie keinen Wohnungsschlüssel mitgenommen hatte. Mit geschlossenen Augen und sich schuldbewusst auf die Unterlippe beißend drückte sie die Klingel und erwartete die Stimme ihres Vaters durch die Gegensprechanlage.   „Hallo?!“ „Ich bins Dad. Ich habe mich ausgeschlossen.“   Der Summer ertönte kurz und leise und Amane warf ihrem Vater nur einen stummen, beschämten Blick zu, während sie die Wohnung betrat. „Wo bist du denn gewesen?“, fragte dieser sie und seine Stimme klang zur Abwechslung einmal nicht kühl und emotionslos, sondern überrascht. Seine Tochter zuckte mit den Schultern. „Frische Luft schnappen.“ Mich umbringen, ging es ihr sarkastisch durch den Kopf. „Ich gehe wieder ins Bett.“   „Nimm dir beim nächsten Mal einen Schlüssel mit!“, hörte sie ihren Vater ihr noch ein wenig verärgert nachrufen, während sie sich an ihm vorbei zwängte und erneut in ihrem Schlafzimmer verschwand. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, fühlte sie sich auch schon wieder von diesem unsagbar dämlichen goldenen Auge angestarrt, welches noch immer in der Mitte des Ringes an ihrem Bettpfosten baumelte.   „Selbst du hältst mich für eine erbärmliche Versagerin...“, flüsterte sie leise und verärgert in seine Richtung und trat an ihr Bett heran, in das sie sich fallen ließ und ihr Handy wieder zur Hand nahm. Nichts. Nicht eine ungelesene Nachricht, nicht eine Reaktion der Außenwelt. Nichts. Sie sollte sich wirklich dringend mit dem Sterben beeilen. Es gab doch niemanden, der sie vermissen würde! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)