Zwei Seiten einer Medaille von Shino-Tenshi ================================================================================ Kapitel 40: ------------ Gegenwart: Der Schultag war sehr schnell vorbei, obwohl ich es kaum erwarten kann zurück zu Luzifer zu fahren. Dieser Welt voller Schein zu entkommen und endlich frei zu sein. Nicht mehr falsch lächeln zu müssen und das Gefühl zu haben, dass es endlich bergauf gehen kann. Ich weiß, dass es lächerlich ist, wie ich denke, doch so ist meine Welt nun einmal. Den ganzen Tag ignoriere ich schon die merkwürdigen Blicke wegen der Reisetasche, die ich mit mir herumtrage. Auch Amber sieht immer wieder verstohlen zu mir und hat es noch nicht gewagt etwas dazu zu sagen. Sie war auf dem Schulweg extrem ruhig, doch mir war es ganz recht. Ich will darüber nicht reden. Sie würde es eh nicht verstehen. Schließlich stehen wir vor dem Schultor. Melody und Amber sehen mich mit großen Augen an und sagen nichts. Kurz bleibe ich stehen. Warte auf irgendeine Reaktion, bevor ich dann meine Hand hebe. „Man sieht sich. Macht es gut.“ Ich will gehen, doch die Stimme von Amber stoppt mich: „Wo willst du hin? Du kannst doch nicht einfach gehen!“ „Was wird aus der Schule, Nath? Die kannst du doch nicht vernachlässigen.“ Dieses Mädchen kennt wirklich kein anderes Thema, oder? Es gibt so viel mehr im Leben. Sieht sie das nicht? „Doch kann ich. Vater will mich nicht mehr da haben. Ich werde zu einem Freund gehen und die Schule werde ich schon irgendwie beenden.“ Ich schultere die Tasche noch einmal besser und gehe dann weiter, doch erneut werde ich gestoppt. Ambers Hand legt sich um meinen Arm und als ich zurück sehe, erkenne ich direkt Tränen in ihren Augen und sie tut mir für einen kurzen Moment Leid. „Bitte, geh nicht.“ Ihre Stimme zittert leicht und plötzlich ist dort wieder diese Verbindung, die ich seit Jahren vermisse. Dieses Wissen, dass man verwandt ist und einander irgendwie braucht, doch es ist zu spät. Sie hat zugesehen. So lange. Ich kann dorthin nicht zurück und ich will es auch nicht. „Es hat keinen Sinn mehr, Amber. Ich kann mit ihm nicht unter einem Dach leben. Nicht mehr. Er sieht es nicht ein und ich will es nicht mehr ertragen.“ Sanft löse ich mich aus ihrer Umklammerung. „Es ist doch gar nicht so schlimm.“ Sie greift sofort nach und lässt mich nicht gehen. Ihr Blick haftet an mir und fleht um ein Umentscheiden, doch ich kann nur schmerzlich lachen. „Doch war es und wird es immer sein.“ „Es muss doch einen anderen Weg geben.“ Melody geht auf mich zu und ich sehe ihr an, wie sehr sie mich auch aufhalten will. Festhalten und somit dazu zwingen hier zu bleiben. „Du kannst doch erst einmal bei mir unterkommen. Vielleicht sieht es in ein paar Tagen schon ganz anders aus.“ „Das wäre nicht okay. Wir kennen uns kaum und haben nur wegen schulischen Dingen miteinander zu tun. Ich hätte kein gutes Gefühl dabei, wenn ich mich bei dir einquartiere.“ Bald wird mein Zug fahren. Ich muss endlich von hier weg sonst verpasse ich ihn noch. Warum lassen sie mich nicht gehen? Ich war ihnen doch sonst auch egal! „Nath, bitte.“ Sie umfasst sanft meine Hand und plötzlich muss ich an die Worte von Luzifer denken. Kann es sein? Hat er damit Recht? Steht Melody auf mich? Wieso? Seit wann? Wie konnte ich es all die Zeit über ignorieren? „Es tut mir Leid. Ich muss jetzt los. Bis irgendwann.“ Ich löse mich erneut aus ihren Griffen und eile davon. Ignoriere ihr Rufen und sehe nicht mehr zurück. Diese Stadt. Dieses Leben. Ich will es nur noch hinter mir lassen und einen Neuanfang wagen. Alleine der Gedanke, dass ich bald Luzifer wieder sehen werde, lässt mich schneller laufen. Meine Zukunft verspricht großartiges. Eine Zeit, in der ich endlich aufblühen kann. Endlich der Mensch werden kann, der ich schon immer sein will. Niemand wird mich mehr unterdrücken. Ich muss keinem mehr gefallen. Endlich bin ich frei. „Du willst also wirklich verschwinden.“ Es ist eine Stimme, die ich schon lange nicht mehr gehört habe und so lässt sie mich gänzlich stocken. Ich sehe das Gebäude des Bahnhofes vor mir. Nur noch wenige Meter und ich würde im Zug sitzen. Nie wieder zurück sehen und vielleicht vergessen was hier all die Jahre geschah. Doch ich kann mich nicht mehr bewegen. „Wie stellst du dir dein Leben jetzt vor? Wohin willst du gehen?“ Diese Nüchternheit nimmt mir sämtlichen Wind aus den Segeln, doch ich stemme mich gegen die Machtlosigkeit, die sich langsam in meinem Herzen ausbreitet. „Ein guter Freund wird mich aufnehmen und dann sehe ich weiter. Vielleicht mache ich meinen Abschluss via Fernstudium. Vielleicht gehe ich auf eine andere Schule. Vater will mich nicht mehr. Er hat mich rausgeschmissen.“ Trotzig sehe ich in das emotionslose Gesicht meiner Mutter, die nur eine Armlänge von mir entfernt stehen bleibt. „Selbst wenn nicht. Du wärst in wenigen Wochen von alleine verschwunden. Das hast du selbst gesagt. Wann wolltest du uns das mitteilen?“ Sie verschränkt die Arme vor der Brust und ich spüre, wie mir die Zeit davon läuft. Ich muss diesen Zug erwischen. Der nächste wird erst in ein paar Stunden fahren und solange will ich nicht warten. „Das ist jetzt unwichtig. Ich muss los, Mutter.“ Ich umschließe den Gurt der Tasche fester und sehe erneut auf die Uhr. Noch habe ich Zeit. Ich kann es noch schaffen. Luzifer. Doch ich kann mich nicht bewegen. Sehe sie nur an und warte auf irgendwas. Vielleicht eine Erlaubnis. „Dein Vater will nur dein Bestes. Vielleicht könnt ihr euch wieder vertragen. Denk doch an Amber und mich. Du wirst uns fehlen.“ Ihre Augen glänzen feucht und ich spüre wie mein Entschluss ins Wanken gerät. Kann ich? Soll ich? Ist es wirklich richtig? „Es tut mir Leid. Ich... ich...“ Meine Stimme versagt und ich spüre, wie ich plötzlich zweifle. Handle ich zu vorschnell? Soll ich ihm noch eine Chance geben? Können wir eine normale Familie werden? Irgendwie wenn ich mich nur besser anstrenge? Ist es wirklich richtig zu Luzifer zu fahren? Plötzlich greift man nach meinem Handgelenk. Ich kenne den Geruch, der mir in die Nase kriecht und erblicke die Überraschung in den Augen meiner Mutter. „Nathy, unser Zug geht. Ich wusste, dass ich dich abholen muss, weil du dich wieder breit schlagen lässt von irgendwem. Sag tschüß zu deiner Mami und dann geht es los.“ „Wer bist du?“ Die Stimme meiner Mutter wird kühler, als sie Luzifer dunkel fixiert, der sofort meine Hand in seine nimmt, als ich von dem Taschengurt ablasse. Ihr Blick fiel auf unsere verschränkten Hände und sie wird ganz blass. „Du?! Bist du? Nein!“ Sie will mich ihm entreißen, doch bevor ich irgendwie reagieren kann, verfrachtet mich Luzifer hinter sich und macht es ihr unmöglich zu mir zu kommen. „Ich bin dein zukünftiger Schwiegersohn. Man sieht sich bestimmt noch einmal. Wir müssen jetzt aber.“ Ich kann gar nicht reagieren, als er mich dann auch schon hinter sich herzieht. Erst nach einigen Metern verschwindet die Schockstarre und ich kann zu Luzifer aufholen, wodurch wir nun nebeneinander laufen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Einerseits kann ich es nicht glauben, dass er wirklich hier ist. Andererseits bin ich ihm unsagbar dankbar dafür. Ich hätte den Zug wohl verpasst und so flüstere ich ihm ein sanftes Danke zu, als wir einsteigen und uns einen Platz suchen. „Kein Problem. Es freut mich, dass mich mein Gefühl nicht getäuscht hat und außerdem dachte ich mir, dass du dich bestimmt über ein wenig Gesellschaft freust.“ Er lässt erneut meine Hand nicht los. Auch nicht als wir schon unserem Platz gefunden haben. Es erinnert mich an unsere erste gemeinsame Fahrt und das Gefühl der Sicherheit kommt zurück in mein Herz. Wir sagen nichts. Sitzen nur nebeneinander und ich spüre, wie ein unsagbar schwerer Stein von meinem Herzen fällt kaum dass der Zug sich in Bewegung setzt. Solange habe ich auf diesen Moment gewartet. Darauf all das hinter mir zu lassen und diese warme, zärtliche Hand, die meine sanft umschließt, macht es noch perfekter. Ich bin wunschlos glücklich und das Lächeln, das mir Luzifer schon vor drei Jahren ermöglicht hatte, kommt zurück auf meine Lippen, um es sich dort erst einmal gemütlich zu machen. Denn ich spüre, dass ich es noch lange behalten werde. Sehr lange. Vielleicht sogar für immer... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)