Die Leute von Millers Landing von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 6: Ritter in schimmernder Rüstung ----------------------------------------- Als Kathryn erwachte, stellte sie fest, dass Tiny nicht mehr neben ihr lag. Da sie als Erste auf war, fütterte sie zunächst die Tiere und begann dann, das Frühstück vorzubereiten. Nach und nach versammelten sich alle, außer Joe und Tiny um den großen Tisch. Beim Essen wurden, wie jeden Tag die Aufgaben und fälligen Arbeiten des Tages besprochen und verteilt und irgendwann fragte Regine: „Wo sind eigentlich unsere beiden Männer? Die wollen sich doch wohl nicht vor der Arbeit drücken?“ Margarete fügte besorgt hinzu: „Ja, das ist merkwürdig. Solange ich ihn kenne, war Tiny immer einer der Ersten hier unten. Ich werde gleich mal hinaufgehen und nachsehen, ob er krank ist.“ „Nein!“ schaltete sich nun Kathryn geistesgegenwärtig ein, weil sie verhindern wollte, dass Margarete möglicherweise in einem entscheidenden und unpassenden Moment dort hineinplatzte, also behauptete sie: „Von Tiny weiß ich, dass er etwas Wichtiges mit Joe besprechen wollte. Die beiden sind sicherlich gleich bei uns.“ Wie aufs Stichwort waren tatsächlich in diesem Augenblick von oben die Stimmen und ein ausgelassenes Lachen der beiden Männer zu vernehmen. Als Tiny und Joe fröhlich die Küche betraten, blickten alle Frauen sie aufmerksam an und Margarete bemerkte: „Eurer blendenden Laune nach muss das ja ein tolles Gespräch gewesen sein.“ Erschrocken schnellte Tinys Blick zu Kathryn hinüber: „Wie, bitte!“ fragte er nervös. Kathryn antwortete rasch und gespielt leichthin: „Ja! Margarete wollte schon einen Suchtrupp nach euch beiden losschicken. Da habe ich gesagt, dass du mit Joe noch eine Kleinigkeit besprechen wolltest. Und da seid ihr auch schon!“ Sie zwinkerte ihrem Freund zu und fuhr fort: „Wie wär`s mit Pfannkuchen? Ich habe welche gemacht.“ Tiny entspannte wieder ein wenig. “Pfannkuchen klingen wunderbar! Gern!“ antwortete er aufatmend. Während er und Joe frühstückten, verließen die Anderen sie nach und nach, um ihren täglichen Pflichten nachzugehen. Nur Kathryn blieb zurück und ließ Tiny nicht aus den Augen, sondern belauerte ihn, wie eine Katze eine Maus. Anstandshalber ließ sie ihn gerade noch den letzten Bissen herunterschlucken, bis sie den Sitzenden von hinten umarmte und ihm ins Ohr flüsterte: „Ich will einen genauen Bericht. In zehn Minuten in meinem Zimmer!“ Tiny saß auf Kathryns Bett und hielt sich schützend ein Kissen vor den Bauch. An seiner Seite saß eine ungeduldige Kathryn, welche die Spannung kaum noch aushielt. „Wie detailliert möchtest du denn deinen Bericht? Denn ehrlich gesagt möchte ich dir irgendwie nicht alles erzählen.“ Kathryn schmunzelte: „Das bedeutet dann wohl, ihr seid euch...wie soll ich es sagen... einig geworden?“ Tiny nickte und grinste schüchtern: „Ja, so könnte man es wohl ausdrücken.“ Kathryn blickte Tiny forschend an und fragte sanft: „Und? War es schön, mein Lieber?“ Tiny hielt die Augen niedergeschlagen, lächelte verlegen und bestätigte: „Es war wahnsinnig schön! Ich denke, ich habe mich verliebt!“ Schüchtern blickte er zu Kathryn auf, welche über das ganze Gesicht strahlte, vor Freude wie ein Kind auf dem Bett leicht auf und ab hüpfte und in die Hände klatschte: „Wie wunderbar! Ich freue mich so für dich, Brüderchen.“ Und am Ausdruck von Kathryns Augen konnte er erkennen, dass wahrere Worte wohl nie gesprochen worden waren, denn da war etwas, dass er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr an ihr gesehen hatte: Lebendigkeit! Das machte sein eigenes Glück nun wirklich vollkommen. Schon seit geraumer Zeit machte er sich Sorgen, dass Kathryn sich möglicherweise niemals von Elizabeths Tod erholen könnte, doch die Frau, die ihm in diesem Augenblick gegenüber saß, war Kathryn, wie er sie von früher kannte und er lächelte. Dann fiel Tiny etwas ein, was ihn wieder ernst werden ließ: „Da ist aber noch eine Sache:“ begann er: „Joe war heute Morgen draußen. Es war kurz nach Sonnenaufgang. Er war im Begriff uns zu verlassen, denn er hatte meinen Rückzug nach seinem Kuss falsch interpretiert und gedacht, ich wollte, dass er verschwindet. Ich vermute, dass niemand ihn gesehen hat, doch wir können nicht sicher sein. Was meinst du sollten wir nun unternehmen?“ Kathryn blickte ihn ernst an: „Bist du schon bereit, dein Glück mit den Anderen zu teilen?“ fragte sie: „Denn ich denke, das ist ein Fall für den Familienrat!“ Als alle Erwachsenen in der Küche versammelt waren, begann Kathryn knapp: „Joe war heute Morgen außerhalb des Hauses. Wir hoffen, dass niemand ihn gesehen hat, aber falls doch, müssen wir uns überlegen, wie wir ihn schützen können. Was sagt ihr dazu? Was können wir tun?“ Die Frauen begannen, wild durcheinanderzureden und nicht alles war zu verstehen. Kathryn konnte folgende Sätze aus dem Tumult heraushören: „Bist du denn verrückt geworden, Junge?“ Das war Melody: „Willst du uns alle in Gefahr bringen?“ Kam von Regine und Molly fast aus einem Munde und Margarete meinte: „Ich finde, Joe muss für eine Weile verschwinden! Er kann dann ja später zu uns zurückkehren.“ An diesem Punkt schaltete sich Kathryn energisch ein: „Ruhe!“ Befahl sie und tatsächlich stellten die Frauen das Reden sofort ein und blickten sie an; überrascht über ihren herrischen Tonfall. Milder fuhr Kathryn fort: „Wir werden Joe nicht fortschicken, denn er ist ein Teil dieser Familie geworden. Falls ihr euch jedoch zu sehr um eure Sicherheit sorgt, dann wird Joe nicht allein gehen. Tiny wird ihn begleiten wollen. Und falls sie mich dabei haben wollen, würde ich mich ihnen anschließen.“ Tiny war dankbar für Kathryns parteiische Intervention. Die Frauen waren unterdessen in ein verblüfftes Schweigen gefallen. Sie blickten von Tiny zu Kathryn und wussten scheinbar nichts zu sagen. Da meldete sich Tiny leise zu Wort: „Joe und ich sind uns in den letzten Wochen sehr nahe gekommen. Ich lasse ihn nicht allein!“ sagte er und nahm den jungen Mann bei der Hand. Dieser hatte mittlerweile ein verdächtiges Glitzern in den Augen und legte seinen Kopf auf der Schulter des Älteren ab. Den Gesichtern der Frauen war anzusehen, dass sie verstanden, was vor sich ging, doch keine schien recht zu wissen, was sie sagen sollte. Schließlich war es ausgerechnet Margarete, die erklärte: „In Ordnung! Niemand geht! Diese Familie wird nicht auseinandergerissen. Sind alle damit einverstanden?“ Sie blickte fragend in die Runde. Die Anwesenden drückten nickend ihre Zustimmung aus und so fuhr Margarete fort und stellte die Frage: „Aber was können wir sonst tun, um für Joes und unser Aller Sicherheit zu sorgen?“ Nun meldete sich Shy zu Wort, welche sich bislang herausgehalten hatte: „Ich habe eine Idee. Es ist nicht die beste Idee aller Zeiten, aber immerhin besser als nichts.“ sprach sie, erhob sich, stellte den Wasserkessel auf den Ofen und verschwand, nur um nach einer Weile mit einer Schale zurückzukehren, welche gefüllt war mit einem mysteriösen Kräuterpulver. Über dieses goss sie nun das heiße Wasser, so dass ein erbärmlich stinkender Brei entstand. „Du willst jetzt aber nicht zaubern, oder?“ fragte Molly naiv. „Was glaubst DU denn, weißes Mädchen? Dass ich irgendeinen Indianer-Hokuspokus anstelle und unser kleiner Joe plötzlich unsichtbar wird, oder so? Schön wär` s!“ erwiderte sie lachend: „Nein, dass hier soll lediglich sein Aussehen verändern.“ An Joe gerichtet fuhr sie fort: „Dein blondes Haar ist wirklich schön, aber auffällig, wie ein Leuchtfeuer in finsterer Nacht. Wie gefällt dir meine Haarfarbe? Ohne dieses Zeug hier…“ sie wies auf die Schale „…wäre ich schon seit Jahren grau wie ein Esel.“ Dieses Bekenntnis brachte die Freundinnen am Tisch zum lachen. Joe hingegen blickte ein wenig verunsichert drein, ließ es dann aber dennoch geschehen, dass Shy ihm nun die angekündigte Typveränderung zukommen ließ. Als sie schließlich fertig war, hatte er tatsächlich dieselbe dunkelbraune Haarfarbe, wie seine Friseurin. „Oh mein Gott!“ rief er aus, als er einen Blick in den herbeigeholten Spiegel warf. Er schaute nervös zu Tiny hinüber, doch dieser versicherte lächelnd: „Also mir gefällt` s!“ Nun befahl Shy noch einmal streng: „Aber ab jetzt gibt es keine Spaziergänge mehr an der frischen Luft, hast du verstanden, Junge?“ Molly kommentierte ungewohnt frech: „Naja, ich vermute, er und Tiny werden in den kommenden Wochen ohnehin nicht sehr viel mehr, als die Wände ihres Schlafzimmers zu sehen bekommen, richtig?“ und versetzte damit ihre Freundinnen in schallendes Gelächter. Joe verbarg vor Scham sein Gesicht hinter seinen Händen und Tiny errötete deutlich unter seiner braunen Haut, bis Kathryn schließlich Mitgefühl mit den beiden hatte und streng forderte: „Genug jetzt, ihr albernen Gänse! Lasst die Jungs in Frieden!“ Der Familienrat löste sich auf und alle gingen nun wieder ihren Verrichtungen nach. Die Frauen dachten jede auf ihre Weise über die neue und ungewöhnliche Paarbildung im Haus nach. Einig waren sie sich alle in der Freude darüber, dass Tiny nach den vielen Jahren der Einsamkeit endlich jemanden gefunden hatte, doch darüber hinaus gingen die Standpunkte auseinander. Regine, deren ältester Sohn Sam vierzehn Jahre alt und damit gar nicht so viel jünger war als Joe, fühlte sich gegen ihren Willen ein wenig unbehaglich angesichts des großen Altersunterschieds zwischen den beiden Männern. Mollys Unbehagen war anderer Natur: Sie hatte niemals Schwierigkeiten mit der Beziehung zwischen Kathryn und Elizabeth gehabt. Im Gegenteil konnte sie nur allzu gut verstehen, warum eine Frau sich lieber mit einer anderen zusammentat, angesichts der Erfahrungen, die sie in ihrer Ehe gemacht hatte. Doch dies hier war irgendwie etwas anderes für sie. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie es gewohnt war, dass Männer sexuell auf sie reagierten und ganz gleich, ob sie selbst interessiert war oder nicht, so spielte sie doch mit dieser Anziehungskraft und nutzte sie auch mal zum Vorteil, wenn nötig. Diese neue Situation war nun erst einmal gewöhnungsbedürftig. Melody nahm die Neuigkeit sehr gelassen auf. Scharfsichtig wie sie war, hatte sie längst geahnt, was vor sich ging. Margarete fühlte eine kleine Traurigkeit, denn nun musste sie sich eingestehen musste, immer schon Gefühle für Tiny gehabt zu haben, was ihr zuvor nur vage bewusst gewesen war. Doch sie war klug genug um zu wissen, dass zu lieben bedeutete, dass Beste für den Anderen zu wünschen, selbst dann, wenn es nicht das Beste für einen selbst war. Schließlich war da noch die abgeklärte und ein wenig zynische Shy, die nicht an die Liebe glaubte. Natürlich wünschte sie Tiny das Beste, doch im Grunde konnte sie nicht wirklich nachvollziehen, was das ganze Theater um die großen Gefühle sollte. Am Nachmittag desselben Tages ging Kathryn in den Ort, um ein paar Einkäufe zu erledigen. Als sie durch die Gänge des Gemischtwarenladens ging, spürte sie plötzlich fremde Blicke auf sich, die sie beobachteten. Es war Gretchen Schultz, die Frau des Reverends, in Begleitung ihrer Entourage gottesfürchtiger Schwestern. Die Frauen steckten die Köpfe zusammen, tuschelten, zeigten auf Kathryn und kicherten albern dazu. Kathryn wünschte in diesem Moment, sie hätte die Hosen heute im Schrank gelassen und ein Kleid angezogen, doch das hätte vermutlich auch nichts verändert. Zunächst verfolgte sie nun die Strategie, diese lästigen, boshaften Frömmlerinnen ganz einfach zu ignorieren und setzte ihre Besorgungen fort. Das es einen weiteren Beobachter gab, der sich weiter hinten, in einer dunklen Ecke des Geschäfts hinter einem Regal mit Konserven verbarg, hatte Kathryn bislang noch nicht entdeckt. James lebte zur Miete in einem möblierten Zimmer bei der Witwe Meyer, seit er hier in Millers Landing angekommen war. Da die alte Dame nicht mehr in der Lage war zu kochen, hatte James beschlossen, diese Kunst selbst zu erlernen und mittlerweile, nach ein paar kleineren Fehlschlägen klappte es auch schon ganz gut. Immerhin hatte er seiner Mutter als Kind häufig geholfen, oder ihr zugeschaut und hatte dabei einiges mitbekommen. Aus diesem Grund befand er sich an diesem Nachmittag in dem Gemischtwarengeschäft um für das Abendessen für sich und seine Vermieterin einzukaufen. Von seinem Standort aus weit hinten im Geschäft wurde er Zeuge einer Szene, in dessen Mittelpunkt sich eine ärgerlich und angestrengt wirkende Kathryn Levroux befand. Jene Frauen, die sich da zusammengetan hatten, um der Frau das Leben schwer zu machen, erkannte er als die Kirchenkreisdamen, welche er bei früherer Gelegenheit bereits kennengelernt und allesamt spontan als unangenehm empfunden hatte. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben fragte sich James, wieso angeblich gottesfürchtige Menschen häufig so bitter und freudlos wirkten und auf andere Leute mit dem Finger zeigten, anstatt ihnen mit Freundlichkeit und Mitgefühl zu begegnen, wie es doch eigentlich Christenpflicht wäre. James belauschte die Szene, konnte zwar nicht alles verstehen, jedoch konnte er deutlich hören, wie Madame Levroux unter anderem als die „Hure von Babylon“ betitelt wurde. Überdies echauffierten diese Damen sich natürlich über die Hosen, welche Kathryn Levroux trug. Die derart Geschmähte versuchte sich nun zur Kasse vorzudrängen, was die Damen ihr jedoch dadurch erschwerten, indem sie ihr provokativ den Weg verstellten. Als Kathryn nun unmittelbar vor Gretchen Schultz stand, hörte der Deputy, wie diese Kathryn ins Gesicht zischte: „ Du solltest dich schämen, Dirne!“ Nun hielt James nichts mehr in seiner Ecke. Kühnheit war nicht unbedingt einer seiner Wesenszüge, weswegen er auch selbst nicht begriff, was er nun tat. Er trat energisch vor, walzte ein wenig rüde mitten durch das Grüppchen, wobei er sich grüßend an seinen Hut tippte und forsch sagte: „Meine Damen!“ Dann wandte er sich lächelnd an Kathryn: „Madame Levroux! Wie angenehm, sie wiederzusehen. Wenn sie erlauben, werde ich ihnen bei ihren Einkäufen helfen.“ Ehe die Angesprochene etwas erwidern konnte, hatte der Deputy ihre Taschen bereits ergriffen. Sprachlos bezahlte Kathryn ihre Einkäufe und auch den Damen fiel zunächst lediglich die Kinnlade herunter und keine wusste etwas zu sagen. Das Gesicht von Gretchen Schultz war eine bleiche wächserne Maske der Verärgerung: „Deputy, sie sollten ihre Freunde in diesem Ort mit größerer Klugheit wählen. Diese Frau ist eine Hure und wahrscheinlich gar Schlimmeres!“ schnappte sie säuerlich: „Das war Maria Magdalena auch, richtig?“ erwiderte James schlagfertig und an Kathryn gewandt fragte er: „Wollen wir dann gehen?“ Kathryn war immer noch vollkommen perplex über diese Hilfe von unerwarteter Seite. Zum Abschied lächelte sie den Damen mit falscher Freundlichkeit zu und wünschte süßlich einen schönen Tag. Draußen sagte sie an James gewandt: „Wissen sie, Deputy, Ms. Schultz hat recht! Es war sicherlich keine kluge Entscheidung, dass sie für mich auf diese Weise eingetreten sind.“ Dann fügte sie jedoch mit einem warmen Lächeln hinzu: „Dennoch ist es sehr edel von ihnen, es dennoch zu tun und ich danke ihnen dafür!“ James erwiderte schüchtern ihr Lächeln: „Nein, klug war es wohl nicht und doch war es mir ein besonderes Vergnügen!“ entgegnete er und zwinkerte ihr mit seinen lebhaft grünen Augen zu. Kathryn machte Anstalten, ihm die Taschen wieder abzunehmen und verkündete: „Haben sie jedenfalls vielen Dank, aber ich glaube, den Rest des Weges schaffe ich es schon.“ Der Deputy ließ jedoch die Taschen nicht los und antwortete: „Erlauben sie mir, ihnen das nachhause zu tragen. Ich habe Zeit und es wäre mir eine Freude.“ Kathryn fiel kein höflicher Weg ein, ihren Retter loszuwerden und so ließ sie ihn zunächst gewähren, während sie gleichzeitig nervös darüber nachdachte, wie sie verhindern sollte, dass der Deputy zuhause zufällig auf Joe traf. Beim Wohnhaus eingetroffen, hatte sie schließlich einen Plan gefasst. Entschlossen nahm sie dem jungen Mann nun doch noch die Einkäufe ab und bedeutete ihm, sich auf die Bank auf der Veranda zu setzen: „Wenn sie noch Zeit haben, dann mache ich uns rasch einen Kaffee?“ bot sie an. Der Gesetzeshüter nickte und so verschwand Kathryn im Haus. In der Küche traf sie auf Tiny, welcher gerade das Abendessen zubereitete. Aufgeregt eilte sie zu ihm und flüsterte: „Vor der Tür sitzt unser neuer Deputy. Sorge unbedingt dafür, dass Joe sich nicht blicken lässt und dass alle gewarnt sind. Ich mache derweil für ihn und mich Kaffee auf der Veranda.“ Tiny riss erstaunt die Augen weit auf und flüsterte zurück: „Bist du übergeschnappt, uns Besuch aus dem Sheriffsdepartment einzuladen? Ausgerechnet jetzt? Was denkst du dir nur dabei?“ „Ich hatte leider keine große Wahl“ gab sie zurück: „Und nun kümmere dich bitte um alles und ich beschäftige solange den Burschen da draußen. Würdest du uns den Kaffee bringen, wenn er fertig ist? Ich erkläre es dir später, O.K?“ Tiny antwortete mit einem genervten Nicken und Kathryn ging wieder hinaus, um sich neben Deputy Chester zu setzen: „Und? Wie gefällt es ihnen denn nun in unserem kleinen Städtchen?“ wollte sie wissen. Der junge Mann überlegte kurz und antwortete: „Ich bin mir nicht sicher. Bislang habe ich hier sehr unterschiedliche Menschen getroffen und nicht alle waren mir angenehm. Nehmen wir zum Beispiel diese Damen von vorhin: Wie können Menschen im Namen Gottes so hässlich über andere Menschen sprechen. Ich meine…“ er zögerte kurz und errötete leicht: „ ...wahrscheinlich kennen diese Frauen sie doch gar nicht richtig, stimmt` s“ Nach seinem mutigen und forschen Auftreten vorhin im Geschäft, klang der Deputy nun sehr jung und naiv, doch was er sagte, rührte Kathryn ein wenig. Das jemand außerhalb ihres kleinen Zirkels bereit war, sie unvoreingenommen kennenzulernen war etwas, dass sie beinahe nie erlebte. Und für gewöhnlich hatten Männer, die freundlich zu ihr waren im nächsten Moment auch schon die Hand auf ihrem Hinterteil. In diesem Augenblick trat Tiny mit dem Kaffee und zwei Bechern zu ihnen an den Tisch und schenkte ihnen ein: „Ich wusste nicht, dass sie Hausangestellte haben.“ bemerkte der Deputy. Tiny ließ die Blechkanne mit einem lauten „Rumms“ auf den Tisch knallen und nahm ihn eisig ins Visier. Der junge Mann merkte sofort, dass er gewaltig ins Fettnäpfchen getreten war, obwohl Tiny kein Wort sagte und versuchte nun zurück zu rudern: „Ich meine...Entschuldigung! Ich wollte niemanden kränken!“ stotterte er mit ängstlichem Blick auf den großen schwarzen Mann. Kathryn, die sich bei dieser ganzen Szene ein Lachen verbeißen musste, schaltete sich nun ein und erklärte: „Nein Deputy, bei uns gibt es keine `Hausangestellten´. Alle die hier in diesem Haus leben sind einander gleichgestellt. Der einzige Unterschied zwischen mir und den Anderen ist, dass auf der Besitzurkunde für das „Yasemines“ mein Name steht, doch das ist nur eine Formalität, die für unser Zusammenleben keine Bedeutung hat.“ James Chesters Gesicht verfärbte sich zunächst leicht rosa und wechselte seine Farbe schließlich zu einem ungesunden dunkelrot, als er es noch einmal wagte, zu Tiny aufzublicken, um unglücklich zu wiederholen: „Es tut mir wirklich sehr leid, ähm...Sir!“ Tiny, starrte den jungen Deputy weiterhin mit einem finsteren Blick nieder und sagte noch immer kein Wort. Irgendwann kehrte er ihnen dann den Rücken zu und stapfte mit energischen Schritten zurück ins Haus. Als er fort war, sagte Kathryn lächelnd: „Machen sie sich darüber bitte keine Gedanken. Tiny beruhigt sich schon wieder.“ „Es tut mir wirklich wahnsinnig leid. Ich bin noch nicht vielen schwarzen Menschen begegnet und wenn, dann waren sie immer...“ stammelte James unglücklich: „Ich weiß!“ antwortete Kathryn gutmütig: „Vergessen sie es einfach. Tiny ist ein guter Kerl und eigentlich nicht nachtragend.“ „Er ist wirklich sehr groß und...beeindruckend!“ Bemerkte James. Kathryn lachte kurz: „Ja, das ist er! Insbesondere, wenn er sauer ist!“ James stellte fest, dass viel Zuneigung in der Art und Weise mitschwang, wie Kathryn das sagte. Der junge Mann nahm seinen ganzen Mut zusammen, um die folgende Frage zu stellen: „Ist... ist er ihr Ehemann. Madame?“ Kathryn prustete laut lachend so: „Nein, das ist er nicht.“ versicherte sie, als sie sich wieder beruhigt hatte: „Nun habe ich wohl wieder etwas Dummes gesagt?“ fragte der Deputy verunsichert. Kathryn schüttelte den Kopf: „Warum sollte das etwas Dummes gewesen sein? Die Antwort ist Nein! Ich liebe Tiny, doch ich liebe ihn nicht auf diese Weise.“ Und nun erzählte sie ihm eine verkürzte Version ihrer gemeinsamen Geschichte; dass sie seit Kindertagen wie Geschwister gewesen und irgendwann zusammen durchgebrannt sind und seitdem ihr ganzes Leben miteinander verbracht hatten. Sie ließ jedoch alle Informationen darüber weg die verrieten, woher sie ursprünglich einmal gekommen waren, was sie auf ihrer Flucht erlebt hatten und gab nur wenige Details über ihr Leben seit ihrer Ankunft in Millers Landing preis. Kathryn bemerkte, dass sie Sympathie für den jungen Mann entwickelte, doch sie war sich bewusst, dass sie auf unterschiedlichen Seiten standen und war noch weit davon entfernt, ihm zu vertrauen. Dazu müsste sie ihn noch viel besser kennenlernen: „Nun wissen sie Manches über mich Deputy. Wollen sie sich nicht revanchieren und ein wenig von sich erzählen? Wie hat es sie zum Beispiel nach Millers Landing verschlagen?“ Teils steckte hinter der Frage echtes Interesse an seiner Person, doch es war auch Berechnung, um zu erfahren, mit wem sie es zu tun und was sie möglicherweise schlimmstenfalls von ihm zu erwarten hatte, denn so machte sie es heutzutage mit Menschen, welche nicht zu ihrem engsten Kreis gehörten. Das Leben mit all seinen Verletzungen, welches sie bisher geführt hatte, hatte sie vorsichtig werden lassen. Umso beeindruckter war sie nun von der ehrlichen Art, mit der der Deputy ihr antwortete: „Mein Umzug hierher und die Arbeit als Deputy waren die Idee meines Vaters.“ erklärte er: „Ihm war ich immer zu weich oder was auch immer. Er hofft wohl, dass diese Tätigkeit als Gesetzeshüter mich härter machen werden und das tägliche Zusammensein mit einem echten Kerl wie dem Sheriff irgendwie auf mich abfärbt. Manchmal glaube ich, dass es seit dem Tag meiner Geburt keinen Augenblick gegeben hat, an dem mein alter Herr mit dem was ich tat, zufrieden gewesen wäre. Er hat stets versucht, mich und mein Leben nach seinen Vorstellungen zu formen. Ich konnte ihm nie wirklich viel entgegensetzen.“ endete er und lächelte traurig. Gern hätte Kathryn ihm gesagt, dass das, was er heute für sie im Laden getan hatte in ihren Augen einen starken Mann, einen starken Menschen ausmachte; sich über Konventionen hinwegzusetzen, seinen eigenen Standpunkt vor Anderen zu vertreten und sich ohne Rücksicht auf die eigene Stellung für einen anderen einzusetzen, der in diesem Moment der Unterlegene war, doch irgendwie kamen die Worte nicht über ihre Lippen. Unvermittelt erhob sich James: „Ich denke, es wird Zeit, dass ich gehe. Ich habe schon zu viel ihrer Zeit in Anspruch genommen.“ verkündete er. Kathryn erhob sich ebenfalls, nahm seine Rechte in ihre beiden Hände, drückte sie ein wenig länger als nötig und blickte ihm geradewegs in die Augen: „Ich danke ihnen für das angenehme Gespräch und natürlich für meine Rettung heute. Ich werde das nicht vergessen. Ich freue mich auf unsere nächste Begegnung.“ „Ja, ich auch!“ entgegnete James schüchtern lächelnd und machte sich auf den Weg. Zurück in der Küche des Hauses wurde Kathryn bereits von Tiny erwartet: „Ein Hausangestellter!“ fragte dieser entrüstet. Kathryn grinste breit: „Ach, nun beruhige dich wieder. Es tat ihm wahnsinnig leid. Und ich muss sagen, der Junge ist wirklich in Ordnung.“ Kathryn gab Tiny einen kurzen Bericht über die Erlebnisse des Nachmittags. Dieser hörte aufmerksam zu, und bestätigte stirnrunzelnd: „Ja, das klingt wirklich so, als sei er ganz in Ordnung.“ Seine Stimmung schlug um und er fragte amüsiert: „Hast du das mitgekriegt: Er hat mich „Sir“ genannt. Das hat noch kein weißer Mann je getan. Da heißt es immer bloß „Junge, tu dies“ oder „Junge, tu das“!“ In diesem Moment kam Joe um die Ecke, der wohl die letzten paar Sätze der Unterhaltung mitbekommen haben musste und schaltete sich frech in das Gespräch ein: „Wenn es Dir gefällt, „Sir“ genannt zu werden, dann werde ich das vielleicht in Zukunft auch tun. Was sagst du?“ fragte Joe grinsend und legte seine Arme um ihn. Tiny erwiderte das Lächeln, zog den jungen Mann fest an sich, küsste ihn auf die Stirn und entgegnete: „Mir wäre es lieber, wenn du das bleiben lässt. Sonst fühle ich mich nämlich noch älter.“ Joe grinste und entgegnete salutierend: „Sehr wohl, Sir!“ Auf dem Heimweg fühlte James sich plötzlich verunsichert. Hatte er sich eigentlich gerade komplett lächerlich gemacht? Als er an die Fehlinterpretation der Rolle dieses Tiny zurückdachte, ließ dies seinen Kopf ein weiteres Mal vor Scham rot anlaufen. Und dann fiel James wieder ein, wie offenherzig er über die Beziehung zu seinem Vater gesprochen hatte. Was musste Kathryn Levroux nun bloß von ihm denken? Wenn er zugab, dass der eigene Vater ihn für einen Schwächling hielt, wie konnte sie dann jetzt noch etwas anderes als das in ihm sehen? Und sein Auftritt in dem Geschäft? Als ob eine starke Frau wie Levroux einen dürren, blassen Burschen wie ihn bräuchte, der ihre Schlachten für sie schlug. Je länger er darüber nachdachte, desto unglücklicher wurde er. Doch dann fiel ihm etwas anderes wieder ein, nämlich die herzliche Art, wie sie zum Abschied seine Hand festgehalten und ihn aus diesen schönen, braunen Augen voller Wärme angeschaut hatte. Beides war ihm durch und durch gegangen. Vielleicht war ja doch nicht alles ganz so furchtbar, wie er befürchtete? Wahrscheinlich war eine Frau wie Kathryn Levroux eine Nummer zu groß für ihn, doch das eine wurde ihm klar: Egal wie unbehaglich er sich dabei fühlte und wie aussichtslos es sein mochte, für einen Rückzug war es zu spät. Er war Hals über Kopf verliebt! Hosted by Animexx e.V. 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