Paracetamol von CUSS (MSTing zu "Schmerz") ================================================================================ Kapitel 6: Die schmerzhafte Wahrheit ------------------------------------ Ben streckte sich und gähnte herzhaft. Seine Haare waren zerzaust. Noch immer ein wenig desorientiert, rappelte er sich auf. „Ist die Folge endlich vorbei?“ „Das war sie schon vor einer Weile.“, seufzte Liz. „Aber weil du beschlossen hattest, Sams Schoß als Kissen zu missbrauchen, mussten wir noch zwei weitere anschauen.“ „Gib‘s zu, eigentlich wolltest du dich nur nicht von Sams heißen Lenden lösen!“, lachte Spirit und versuchte so seinen Ärger darüber zu überspielen, dass Ben nicht neben ihm eingeschlafen war. Ben ging nicht auf die Stichelei ein, sondern blinzelte nur weiter schläfrig vor sich hin. Sam und Liz lachten auch nicht mit, ganz im Gegenteil, ihre Stimmung schien sich zu verfinstern. Wie so oft hatte Spirit das Gefühl, etwas verpasst zu haben. „Bringst du jetzt das Buch zurück?“, gähnte Ben. „Sicher.“, seufzte Spirit. „Ihr seid ja alle solche Langweiler!“ Liz stand auf und streckte sich. „Wenn es dir so wichtig ist, dann lies es doch alleine.“ „Ich dachte ja nur, es wäre eine nette Teambuilding-Aktivität.“ „Das dachtest du dir nicht. Du dachtest es sei wertvoll.“ „Mensch, Liz, du kannst so überkorrekt sein. Erst dachte ich, dass es wertvoll sei – dann dachte ich, dass es verdammt lustig werden könnte.“ Liz öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, da ertönte ein panischer Schrei. Sam sprang auf. „Andy?“ Aber es war kein Laut mehr zu hören, außer der Heizung. „Sie hat sicher nur gelesen, dass Justin Bieber seine Deutschlandtour abgesagt hat.“ „Andy?“, rief Samuel noch einmal und eilte in den Flur. Ben eilte hinterher. „Andrea?“ Liz schüttelte missbilligend ihren Kopf. „Große Brüder ticken beim kleinsten Geschrei aus.“ „Vollkommen übertrieben.“, stimmte Spirit ihr zu. „Erinnerst du dich an damals, als ich dir die Hälfte deiner Haare ausgerissen habe? Du hast geschrien wie am Spieß und niemand hat sich darum gekümmert.“ „Ich weiß nicht genau, was du mir damit sagen willst.“ „Das waren gute Zeiten. Wir waren ein tolles Team.“ „Du warst damals noch größer und stärker als ich. Du hast mir die Hälfte meiner Haare ausgerissen.“ „Ich denke immer noch gerne daran. Ich habe diese Zeit geliebt.“ „Apropos lieben-“ „Andrea?“, brüllte Samuel, als er die Treppe hinauftrampelte. Ben kam zurück ins Wohnzimmer. „Hey, ihr habt das doch auch gehört, oder? Der Schrei kam hundertprozentig aus der Küche.“ „Ja.“, sagte Liz. „Keine Ahnung.“, sagte Spirit. Sam polterte die Treppe runter und rief: „Sie ist nicht da.“ „Sie muss da sein!“, rief Ben zurück. „Alle Türen sind zu!“ „Vielleicht hat sie ja einen Schlüssel mitgenommen.“, schlug Liz vor und wunderte sich über die Blödheit ihrer Freunde. „Aber sie kann nicht durch die Haustür raus sein, das hätten wir gehört.“ „Vielleicht ist sie ja wegen ihrem Kontrollfreak von Bruder aus dem Fenster geklettert.“, grinste Spirit. „Nein, verdammt, irgendwas stimmt nicht! Ständig passieren komische Dinge und jetzt ist Andy nicht mehr da!“ „Deine Schwester ist 14. Sie wird doch wohl mal das Haus verlassen dürfen.“ Spirit dachte nicht mit. „Und wieso“, fuhr Sam ihn an. „Sollte sie dann kurz bevor sie verschwindet lauthals schreien?“ „Ich sage dir, das liegt an dem Buch.“, sagte Ben und es klang, als hätte er es Samuel schon zuvor in der Küche gesagt. „Was soll das Buch denn gemacht haben?“, seufzte Liz. „Wir hatten alle komische Erlebnisse, okay. Aber können wir mal rational bleiben?“ „Rational gesehen hat Spirit Sachen gesagt, die er nicht sagten wollte. Du hattest dieses Déjà-vu und Sam hatte einen heftigen Albtraum in dem auch etwas passiert ist, was im Buch stand.“ „Da fällt mir ein … was hast du gesagt als du das Buch hattest?“, wand sich Sam an Spirit. „Ich will es nicht mehr?“ „Nein, was wurde dir aufgedrängt?“ „Oh, das war sowas wie: ‚Ich liebe dich einfach … Du kannst mich abweisen, aber ich werde ... Ich werde dich trotzdem immer lieben … To be continued‘.“ „Klingt verdächtig nach unserer Lieblingslektüre.“ „Natürlich! Da muss etwas daran faul sein.“ Liz verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Sorry, Jungs, aber ist euch überhaupt bewusst, was ihr da sagt? Ein Buch greift in unser Erleben ein und jetzt hat es auch noch Samuels Schwester entführt.“ „Naja, sie liebt diese Geschichten, sie hat gestern den ganzen Tag in diesem Buch gelesen. Wir haben immer nur ein Kapitel am Stück gelesen, aber sie-“ „Stopp!“ Liz‘ Hand zischte hoch. „Ich will nichts mehr von diesem bescheuerten Buch hören. Spirit, du bringst es jetzt sofort zurück.“ „Wo ist das Buch eigentlich?“, fragte Ben. Liz rollte mit den Augen. „Habt ihr euch eigentlich abgesprochen? Sitzt Andra hinter der Tür und lacht? Das Buch ist auf dem Küchentisch. Dort, wo wir es liegen gelassen haben.“ „Was? Ich dachte ihr habt es woanders hingetan, während ich schlief. Es ist nicht in der Küche.“ „Verarscht mich doch!“, fuhr Liz ihn an und stampfte aus dem Wohnzimmer. Ihre Freunde dackelten hinterher. „Hey.“, flüsterte Spirit Sam zu. „Das ist doch ein Scherz, oder? Ihr wollt Liz einen Schreck einjagen.“ „Ich würde nie darüber Scherze machen, dass meine kleine Schwester verschwunden ist.“, zischte Sam zurück. Er war heute wirklich schlecht drauf, befand Spirit. Das Buch lag nicht auf dem Küchentisch. Es war auch nicht auf den Boden gefallen und auch nicht unter den Teppich gerutscht. „Findet ihr das etwa lustig?“, beschwerte sich Liz. „Nein!“, fauchte Sam. „Irgendwas stimmt hier nicht.“ „Okay, entspannt euch. Wir suchen es einfach, irgendwo muss das Buch ja sein. Und Andy.“, versuchte Spirit die Wogen zu glätten. „Vermutlich hat sie sich damit in ihrem Kleiderschrank versteckt.“ Also durchsuchten sie das Haus. Samuel hektisch und in Sorge, Liz stinkwütend und Spirit war immer noch davon überzeugt, dass dies ein Witz war. Ben fand das Buch schließlich, er rief seine Freunde in die Küche zurück. „Also, wo ist es?“, grummelte Liz, die von dem ganzen Theater schon ab der ersten Minute genug gehabt hatte. „Da draußen. Eigentlich komisch, dass wir es vorhin übersehen haben. Andrea muss es rausgeworfen haben.“ Er deutete aus dem Fenster. In der Tat, das Büchlein lag im ehemaligen Rosenbeet. „Was ist da passiert?“, keuchte Sam auf. Alle Rosenbüsche waren abgebrannt, die Asche der Blüten ließ die Erde grau erscheinen. Das Buch war wider aller Erwartungen unbeschadet. Liz hatte nun endgültig genug. Doch statt Samuel und Ben anzuschnauzen, dass sie diesen Scherz zu weit getrieben hatten und nun sogar das Rosenbeet hatte dranglauben müssen, beschloss sie mitzuspielen. In furchtsamen Tonfall seufzte sie „Hexerei!“ und riss die Augen weit auf. Spirit griff durch das offene Fenster nach dem Buch. Wie praktisch, dass das Haus in einen Hügel gebaut worden war. Er blätterte es durch, es gab wirklich keine Anzeichen von irgendwelchen Schäden. „Warte mal!“ Ben schnappte ihm das Buch aus den Händen und blätterte es selber noch einmal durch. „Was?“, fragte Spirit. „Es ist mir vorher nie aufgefallen, aber hier sind Anmerkungen.“ Er blätterte weiter. „Blödsinn, da waren nie Anmerkungen drinnen.“, widersprach Liz. Wirklich, wie weit sollte dieser Scherz noch gehen? „Nicht in den ersten Kapiteln, aber hier, ab dem achten Teil fängt es an.“ Ben legte das Buch offen auf den Tisch. Auf der linken Seite war zwischen zwei Worten ein Sternchen gezeichnet. Am Rand stand die Anmerkung dazu: Susi Müller, 30.07.2004. Ben blätterte weiter. Bereits sechs Seiten weiter befand sich die nächste Anmerkung: Jakob Siebenstein, 12.12.2014. Im zehnten Kapitel fanden sie Andys Namen: Andrea Sperling, 15.09.2018. „Tja, das ist heute.“ Liz zuckte ungerührt mit den Schultern. „Und was heißt das jetzt?“ Sam riss das Buch an sich und starrte hilflos den Namen seiner Schwester an. Liz war immer noch entschlossen mitzuspielen: „Vermutlich wurden die Leute an den Daten, die an den Rändern stehen, von dem Buch absorbiert.“ Spirit war sich inzwischen nicht mehr sicher, ob er derjenige war, der hier verarscht werden sollte und Liz eigentlich eingeweiht war. „Meinst du das etwa ernst?“, fragte Samuel mit gerunzelter Stirn. „Sicher.“ Liz strich sich eine lange Haarsträhne zurecht. „Was soll denn sonst hier los sein? Denk doch mal darüber nach: Wie wir alle von dem Buch eingenommen würden – das müssen alles Warnungen gewesen sein. Die Leute, die in diesem Buch stehen, haben nicht auf die Warnungen gehört.“ „Oh mein Gott!“, stöhnte Sam. „Andy hat mir gestern Abend erst erzählt, wie sie träumte für den Mord an ihren Adoptivvater festgenommen wurde.“ „Und? Man träumt manchmal solche Sachen.“, murrte Spirit. „Ihr habt doch gar keinen Adoptivvater.“, murmelte Ben. Spirit wurde das Ganze zu bunt: „Halt, denkt mal kurz darüber nach, was ihr hier redet: Alle Leute, die dieses Buch lesen, werden davon heimgesucht und am Ende in das Buch absorbiert?“ „Es gibt dafür keine andere Erklärung.“, sprach Liz mit vollkommen ernster Stimme. Sie machte sich immer noch über alles lustig und bekam gar nicht mit, dass Samuel bereit war ihr alles zu glauben. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Ben. Selbst in einer Situation wie dieser schaffte er es noch an Essen zu denken und tunkte ein Croissant in seinen kalten Tee. „Na, offensichtlich müssen wir das Buch lesen.“, erklärte Liz. Sie war inzwischen davon überzeugt, dass dies der ursprüngliche Plan von Ben und Sam gewesen sein musste. Sie wollten eigentlich gar nicht aufhören das Buch zu lesen und hatten sich diesen Schwachsinn ausgedacht. Männer. „Wir lassen uns absorbieren und holen dann Andrea und die anderen raus.“ „Glaubst du, dass das wirklich funktioniert?“ Sam starrte sie mit offenem Mund an. „Moment, das alles hier ist kompletter Blödsinn!“, protestierte Spirit. „Andy, jetzt komm‘ endlich aus deinem Versteck! Das ist nicht mehr lustig!“ Er warf Ben und Sam einen finsteren Blick zu. „Genau genommen war das vom ersten Moment an nicht lustig, ihr könnt auch aufhören.“ „Sag‘ mal, hältst du mich für verrückt? Meine Schwester ist gerade verschwunden! Ich drehe gerade durch vor Sorge!“, rief Samuel. „Oh bitte, sie hat kurz geschrien und ist jetzt nicht im Haus zu finden, was ist los mit dir?“, feuerte Spirit zurück. „Mutierst du zum obsessiven großen Bruder oder ist dir dieser Scherz so verdammt wichtig, dass du nicht weißt, wann du aufhören sollst?“ „Meine Scherze sind mit wichtig? Du nimmst nie etwas ernst, ständig deine blöden Witze wann du wen flachgelegt hast! Du bist der einzige, der die lustig findet!“ „Jungs“, versuchte Liz einzugreifen. „Das hilft doch nichts.“ „Oh, deswegen bist du so scheiße drauf! Weil du niemanden abbekommst! Nun, wenn du nicht immer so ein Trauerklos wärst und dich auf Partys so zulaufen lassen würdest, vielleicht würdest du dann endlich mal ein Mädchen abbekommen!“ „Kommt schon, Jungs. Ihr seid ziemlich vom Thema abgekommen.“ „Das ist das Einzige woran du denken kannst, was? Okay, Spirit, Newsflash: Nicht jeder ist so sexversessen wie du! Du bist doch nichts weiter als ein Beziehungsphobiker, der seine Ängste überspielt, indem er dumme Witze reißt!“ „Woher willst du das denn wissen? Du hattest doch noch nie eine Beziehung, mit 20! Das ist sowas von erbärmlich!“ Liz sah unruhig von Spirit zu Sam und wieder zurück. Dieses Gespräch nahm unerwartete Formen an. „Und du weißt über mein Leben so gut Bescheid, weil du ja nie einfach so verschwunden bist! Du weißt genau, was in den zwei Jahren, wo du auf deiner ach-so-tollen Schule in Amerika warst, vorgefallen ist!“ Spirit öffnete den Mund um etwas zurückzuschreien, irgendetwas, damit Sams Worte nicht zu ihm durchdrangen. Sein Mund setzte bereits an eine Beleidigung hervorzuzaubern, aber plötzlich schrie Ben, Liz kreischte, da war Feuer, das Buch brannte. Reflexartig warf Ben das Buch von sich Richtung Fenster, mit einem Schrei duckte sich Liz. Das Buch klatschte gegen das Fenster und fiel in die Spüle. „Bist du verrückt?“, fuhr Liz Ben an, der wie versteinert auf dem Küchentisch saß. Es roch nach verbrannten Haaren. Sam stütze zur Spüle, wo das Buch weiter brannte. Er drehte sich zu Ben um: „Du hast das Buch angezündet! Du hast verdammt noch mal das Buch angezündet! Da war Andrea drinnen!“ Ben erwachte aus seiner Starre und hob abwehrend seine Hände: „Ich habe es nicht angezündet, ich schwöre es! Aber … all die komischen Sachen, die hier passieren … ihr habt euch so gestritten, ihr habt euch noch nie so gestritten …“ „Und da dachtest du dir, es wäre eine gute Idee ein Buch anzuzünden?“, zischte Spirit. „Und es durch einen Raum voller Menschen zu werfen?“, fügte Liz hinzu. „Ich habe es nicht angezündet. Es hat einfach so zu brennen angefangen! Ich dachte nur, dass alles wegen diesem Buch angefangen hat und wir es schleunigst loswerden sollten und dass ich es einfach nehmen werde und im nächstbesten Holzofen verbrennen werde, da – da hat es von selbst angefangen zu brennen!“ „Du wolltest das Buch, in dem Andrea steckt, verbrennen?“, rief Samuel vollkommen außer sich. „Super, Ben! Jetzt haben wir keine Möglichkeit mehr Andrea da rauszuholen!“ „E-es ist doch nur ein Buch.“, stotterte Ben kleinlaut. Spirit strich sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. Sie waren feucht, er war verschwitzt. „Wenn es ein normales Buch ist …“, begann er. „… Wieso setzt es sich dann selbst in Brand?“, beendete Liz. Sie warf einen Blick ins Spülbecken. Das Buch hatte aufgehört zu brennen. Das gesamte Becken war schwarz gefärbt. Nur das Buch – das Buch war noch vollkommen intakt. Vorsichtig griff sie mit zwei Fingerspitzen danach. Es war kalt. Nicht heiß, nicht Zimmertemperatur, es war kalt. „Hahaha“, begann es donnernd zu lachen. Augenblicklich ließ Liz das Buch los. Am Boden liegend lachte es weiter. „Hahaha, ihr Würmer! Ich bin unzerstörbar!“ „Was zur Hölle!“, brachte Liz hervor und beugte sich zu dem Buch nach unten. Die Jungen hielten einen männlichen Sicherheitsabstand. „Was zur Hölle, indeed!“, grölte das Buch und kam sich dabei mit Sicherheit sehr gewitzt vor. „Ihr könnt mir nichts anhaben!“ Mehr verrücktes Lachen. „Ich bin unzerstörbar! Und deine Schwester wirst du nie wieder sehen!“ „Warum tust du das?“, entfuhr es Ben, dem es am wenigsten auszumachen schien, sich mit einem Buch zu unterhalten. „Warum tust du das?“, äffte das Buch Ben in einem weinerlichen Tonfall nach. „Weil ich es kann!“ Wieder brach es in Lachen aus. „Und was hast du davon?“, harkte Ben nach. „Träume! Leben! Hahaha, all diese verwirrten Kinder wünschen sich nichts sehnlicher als eine Liebe zu erleben, wie die Traumfabrik sie ihnen verspricht, wie sie ihnen weismacht, dass man sie haben muss. Sie wünschen sich fort aus dieser Welt und dann schnappe ich mir ihre kleinen, hilflosen Seelen!“ Das Buch lachte, gab ein paar Schmatzlaute von sich und wurde mit einem Mal still. Ben war der erste, der wieder sprach: „Oho.“ Sam fand sie Sprache als zweites wieder: „Das ist alles nur deine Schuld, Spirit! Wieso klaust du auch einfach so ein Buch?“ Unter anderen Umständen hätte sich Spirit wohl verteidigt, aber er brachte keinen Ton hervor. Liz kniete sich neben das Buch und stupst es an. „Hey.“, zischte sie. „Hey, komm zurück. Das ist nicht lustig.“ „Ich glaube das Buch findest es gerade ziemlich lustig.“, fauchte Sam. „Was machen wir denn jetzt?“ Ben saß mit verschränkten Beinen auf dem Küchentisch und stopfte sich einen Donut in den Mund. Liz hob das Buch hoch und blätterte die Seiten durch. Es war wieder auf Zimmertemperatur aufgewärmt. Die Anmerkungen waren noch da. Sie hatte die Hoffnung gehabt, dass da irgendwo ein Hinweis zu finden sei, wie man gegen den Zauber auf dem Buch vorgehen konnte, aber es gab keine Anleitung und keine Rücktrittsklausel. „Was machen wir denn jetzt?“, krächzte Spirit, seine Stimme ungewöhnlich weinerlich. Ben stopfte sich einen weiteren Donut in den Mund. „Kannst du mal damit aufhören?“, knurrte Liz. „Dein Gefresse macht mich ganz verrückt!“ „Ich bin ein emotionaler Esser.“, verteidigte sich Ben und griff nach einem weiteren Croissant. „Gott, Ben, ist dir überhaupt bewusst wie viele Kalorien du da gerade in dich hineinschaufelst? Wie viel Zucker und wie viel Fett?“ „Essen beruhigst mich.“ Mit zittriger Hand tunkte er das Croissant in seinen längst kalten Tee. „Haben wir nicht wichtigere Probleme?“ Sam vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Wir müssen Andy da wieder rausholen!“ „Wie sollen wir das denn machen? Wie ist das alles hier überhaupt möglich? Menschen verschwinden nicht einfach so.“ Liz drehte das Buch herum und betrachtete die leere Rückseite. Dort befand sich allerdings kein Schlüssel zum Inneren einer anderen Welt. Spirit setzte sich. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und zitterte am ganzen Leib. Ben bot ihm einen Muffin an, aber er schüttelte nur den Kopf und Ben aß das Gebäck selber. „Ihr seid alle keine Hilfe!“, stöhnte Liz. „Hat irgendjemand schon einmal von sowas gehört?“ Es gab ein gemeinsames Kopfschütteln. Liz begann wieder das Buch nach irgendwelchen Informationen zu durchsuchen. Es war das einzig produktive, was sie jetzt tun konnte und sie musste jetzt etwas Produktives tun. „Meine Mutter ist mit dieser Schamanin befreundet …“, krächzte Spirit schließlich. Seine Stimme war immer noch nicht da. „Und du glaubst, dass die Hippie-Frau uns helfen kann?“ „Verdammt, Liz, irgendetwas müssen wir tun! Mach‘ nicht jeden Plan gleich zu Beginn runter!“, rief Sam. „Ich kenne diese Frau, Sammy. Die schneidet ihre Haare nach dem Mondkalender.“ „Dann lesen wir dieses Buch eben nach dem Mondkalender! Wenn es hilft!“ „Super, toller Plan! Wieso tanzen wir nicht auch gleich eine Art Regentanz, nur für Bücher?“ Ben griff nach dem nächsten Gebäckstück. Er konnte es nicht ertragen, wenn seine Freunde so miteinander sprachen, es stresste ihn ungemein und je mehr sie so miteinander sprachen, desto mehr musste er essen. „Was ist … was ist, wenn wir damit zu einem Antiquitätenhändler gehen? Jemand der sich mit solchen Büchern auskennt?“ Spirit klang noch immer mehr tot als lebendig. „Wer sollte sich mit solchen Büchern auskennen? Ich glaube, jeder der dieses Buch gelesen hat, ist in diesem Buch!“ „Bleiben wir positiv …“, murmelte Sam. „Irgendjemand muss dieses Buch geschaffen haben.“ „Jemand, der offensichtlich nicht genug Kommentare bekommen hat. Und aus Rache dann begonnen hat, die Träume kleiner Kinder zu stehlen.“ Liz rümpfte die Nase. „Vielleicht“ Spirit griff nach dem Buch. „Vielleicht finden wir die Autorin und können mit ihr sprechen.“ Liz riss das Buch aus seinen Händen, nicht allzu besorgt es kaputt zu machen. Sie blätterte nach vorne. „Da steht aber nichts. Keine Widmung, keine Kontaktdaten, kein Verlag!“ „Schau‘ nach, ob hinten eine Danksagung steht.“, forderte Sam auf. Ben sprang auf und rannte ins Bad, um sich zu übergeben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)