Oh Shit. von m0nstellar ================================================================================ Kapitel 3: Zwischen Stoff und Schuh ----------------------------------- Clayton beherbergte in seinem Zentrum ein regelrechtes Shopping-Paradies. Es war nicht viel mehr als eine Fußgängerzone, vollgefüllt mit unzähligen, aneinander gereihten Geschäften; aber das eine ganze Meile lang.  Von Drogerien über Kleiderboutiquen zu Lebensmittelhändlern und Schmuckgeschäften; Von Spielwarenhändlern über Elektronikfachgeschäften und Parfümerien; Sogar Fast Food Restaurants und Cafés fügten sich ein. Ob Sucher oder nicht – Hier wurde ausnahmslos jeder zum Finder. Deshalb zählte sie besonders bei jungen Menschen zu den beliebtesten Treffpunkten der Stadt.   Die U-Bahnstation zur Einkaufsmeile, an der sie sich verabredet hatten, erreichte Dylan zu seinem eigenen Erstaunen überpünktlich. Normalerweise nahm er es mit Uhrzeiten zu Treffpunkten nicht allzu genau und eigentlich konnte er sich für diesen Nachmittag etwas Besseres vorstellen, als mit dieser Göre dort einkaufen zu gehen. Doch es half nichts. Seinen Fehltritt von gestern musste er wiedergutmachen, unbedingt. Wirklich: Er hatte ihr nur mit dem BH helfen wollen. Dass seine Hilfe letztendlich darin resultierte, dass das doofe Ding den Geist aufgab und sie halbnackt dastand, war wirklich nicht seine Intention gewesen. Gott, sie hatte ihm so unendlich leid getan … Diese sonst so harte, schlagfertige Frau hatte vor ihm gestanden wie ein fallen gelassenes, verrotztes Taschentuch – und das war allein seine Schuld. Dieses Schuldgefühl lastete wie ein Amboss auf seinen Schultern, auch wenn es ein Unfall gewesen war. Er konnte ihre Wut auf ihn gut verstehen. Vermutlich wäre er an ihrer Stelle genauso sauer auf sich. Umso wichtiger war es ihm, ihr nun zu beweisen, dass er durchaus einen guten Kern besaß und dazu in der Lage war, sich Fehler einzugestehen und diese wiedergutzumachen. Selbst wenn das bedeutete, dem Grauen ins Auge zu sehen und dem Drachen neue Kleider zu kaufen. Auf den Drachen musste er nicht lange warten. Auch Stellar war pünktlich eingetroffen und nach einer kühlen Begrüßung – beide nickten sich schweigend zu – ließen sie sich von der Menschenmenge mittreiben, die vom U-Bahnaufgang in die Straße strömte. Der Deal für den heutigen Tag war einfach: Stellar entschied darüber, in welchen Läden sie sich ihre Klamotten aussuchte und Dylan holte auf Kommando den Geldbeutel heraus und bezahlte.  Viel redeten sie währenddessen nicht, nur das absolut Nötigste. Deshalb machte sich bei Dylan schnell Langeweile breit. Um sich bei Laune zu halten und um sich die Zeit zu vertreiben, blieb er immer wieder an den Sonnenbrillen- und Hutständern stehen, setzte sich eines nach dem anderen auf, manchmal auch beides zusammen, und stöberte für sich selbst ein wenig bei den Kleiderstangen herum. Doch nach fast zwei Stunden konnte auch das die Zeit nicht schneller vertreiben oder gar spannender gestalten. Wenn sie wenigstens ab und zu nach seiner Meinung fragen würde … Er wusste, dass sie darauf nicht sonderlich viel Wert legte, trotzdem war er davon überzeugt, dass es ihnen beiden helfen würde. Jedenfalls könnte er ihr so die Bestätigung für ihre Kleiderwahl geben, die sie zu brauchen schien.  Zwei Stunden waren eine lange Zeit, um sie zu beobachten und je länger er es tat, desto sicherer war er sich, dass sie eine zweite Meinung suchte – und auch dringend brauchte. Allein der Kauf der Sport-BHs zeigte ihm das mehr als deutlich. Die Farbgestaltung dieser teuren Stofffetzen war so zum Himmel schreiend grässlich, dass er sich ernsthaft fragte, warum sich eine attraktive, junge Frau wie Stellar derart abscheuliche Unterwäsche kaufen wollte. Ohne es zu wissen lieferte sie ihm damit jedenfalls einen Grund, für sie auf Kleidersuche zu gehen. Er hatte eine ungefähre Vorstellung, wonach er suchte. Es sollte weiblich sein, vom Stil her vielleicht etwas mutiger als bisher, aber keinesfalls bieder oder wie eine graue Maus. Es sollte sie so selbstbewusst zeigen, wie sie war, aber auch nicht so übertrieben, dass es nach Unantastbarkeit aussah … Und wie durch Zufall fand er es. Es war an der SALE-Kleiderstange lieblos dazwischen gestopft worden und womöglich sogar das letzte Exemplar. Zumindest hatte er es kein zweites Mal gesehen. Sofort suchte er den Laden nach der kleinen Blondine ab und entdeckte sie am Wühltisch. Mit viel Glück hatte es genau ihre Größe und mit sehr viel Glück probierte sie es sogar an. Er nahm das Kleidungsstück vom Haken, versteckte es hinter seinem Rücken und schlich sich von hinten an Stellar ran.  »Sag mal … ich will dich ja nicht nerven, aber – « »Dann halt die Klappe und komm erst wieder, wenn ich dich rufe«, unterbrach sie ihn, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und hielt sich eines der Shirts vom Wühltisch an den Körper. Kurz biss sich Dylan auf die Zunge, hielt die Luft an, damit ihm nicht doch noch ein fieser Spruch rausrutschte. Den Ärger runtergeschluckt startete er einen neuen Versuch: »Wie wäre es, wenn ich dir mal was raussuchen würde?« Ungläubig sah sie über die Schulter zu ihm. »Und was soll das sein? Minirock, bauchfrei, Nuttenstiefel und neonfarbene Netzstrumpfhose oder was?« Dylan schürzte die Lippen. »Wahnsinnig witzig. Also, würdest du etwas von mir anprobieren, ja oder nein?« Stellar wandte sich wieder dem Wühltisch zu und mimte nach alter Gewohnheit die Eisprinzessin. »Kommt drauf an.« »Und worauf?« »Na, was es ist, das du mir da anschleppst.« Gut. Es war immerhin schon mal kein grundsätzliches Nein.  »Was hältst du dann davon?«, fragte er, zog seine Wahl hinter seinem Rücken hervor und präsentierte es ihr, breitete es vor sich aus. Sie seufzte genervt auf, ehe sie sich umdrehte, und hob dann überrascht die Augenbrauen. »Ein Kleid?« »Ganz genau. Ein Kleid.« »Ein sehr kurzes Kleid«, ergänzte sie. Mit zwei Fingern ergriff sie den Saum und musterte es skeptisch. »Ich trage nie Kleider.« Diese Reaktion hatte er erwartet. »Denkst du nicht, dass Chris in dir erst dann mehr sieht, wenn du das auch zeigst?« Als Chris’ Name fiel, ließ sie es sofort los. Die Röte in ihrem Gesicht verriet ihm, dass es ihr peinlich war, dass er ihn angesprochen hatte.  »Sollte er mich nicht so mögen, wie ich bin?«, fragte sie kleinlaut und strich sich ihren Pony hinters Ohr. Armes Mädchen. Sie hatte die richtige Einstellung, aber den falschen Ansatz. Dylan raffte das Kleid zusammen, legte es ihr über die Schulter und beugte sich zu ihr auf Augenhöhe herunter.  »Ein kleiner Tipp, von Mann zu Frau: Wie soll er sehen, was du zu bieten hast, wenn du es nicht zeigst, hm?« Lächelnd zwinkerte er ihr zu, gab ihr einen Moment, um darüber nachzudenken. »Manchmal schadet es nicht, wenn man uns auf die Sprünge hilft.«  Der Zweifel stand ihr ins Gesicht schrieben, aber er nahm ihr ihr Misstrauen nicht übel. »Stellar, es ist nur ein Kleid, keine Schönheitsoperation. Du ziehst einfach nur ein Kleid an.« Bevor sie noch länger im Stillen weiterzweifelte, packte er sie an den Schultern, drehte sie einmal um und manövrierte sie zu den nächstgelegenen Umkleidekabinen. »Du musst es ja nicht kaufen, wenn’s dir nicht gefällt. Anprobieren reicht mir vollkommen.« Man sah ihr an, dass sie mit sich haderte. »… Na schön.« Innerlich feierte er sich selbst, als er ihr dabei zusehen konnte, wie sie in der Kabine ging und hinter dem schweren Vorhang verschwand. Das war ein Triumph, an den er nicht geglaubt hatte.  Warum sie letztlich das Kleid anprobierte, war Dylan egal. Hauptsache, sie tat es und dass sie es tat, war ein großer Erfolg.  Nach einigen vergangenen Minuten Wartezeit sah er ungeduldig auf die Uhr. Wie lange brauchte man, um ein bisschen Stoff anzuziehen? So kompliziert war der Reißverschluss nicht, als dass sie ihn allein nicht hätte schließen können. Im Zweifelsfall hätte er ihr dabei geholfen. Zeit, um mal nachzufragen.  »Und, passt es?« »Nein, nicht wirklich.« »Ist es zu klein oder woran liegt’s?« »Wenn ich mich bücke, schaut mein Arsch raus.« Oh, nette Vorstellung … »Zeig mal her.« »Pf. Vergiss es.« Gott sei Dank konnte sie nicht sehen, dass er die Augen verdrehte. Es war ihm unbegreiflich, wie verklemmt diese Frau war. »Und warum nicht?« »Weil ich mir von dir bestimmt nicht auf den Arsch gaffen lasse, darum.« »Jetzt komm schon raus und lass dich ansehen.« Keine Antwort, keine Reaktion. »Ich gaffe auch nicht, versprochen.« Eine Zeit lang war von ihr nichts zu hören, ehe es leise aus der Umkleide durchdrang: »… Wehe, du lachst.« »Jetzt zeig schon her und hör auf rumzuzicken, sonst dauert das hier noch länger und ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.« Wie in Zeitlupe öffnete sich der Vorhang und als Stellar heraustrat, dachte er nur eines: Wow. Das Kleid, das er ihr rausgesucht hatte, hatte einen offenen Hemdkragen, leichte Puffärmel und schmiegte sich perfekt an ihren Körper. Es sah aus wie eine weiße Bluse, die in einem langen, schwarzen Rock mit hoher Taille steckte und durch einen handbreiten, roten Gürtel zusammengehalten wurde. Dieses Kleid brachte perfekt und im richtigen Maße Stellars Vorzüge zur Geltung: Ihre Sanduhrfigur, ihre Kurven, den Hintern und ihr Dekolleté. Gedanklich musste er mindestens fünf Mal ansetzen, bevor er einen Satz herausbrachte: »Krass. Hätte nicht gedacht, dass sowas in dir steckt.« Sofort drehte sie sich um und wollte zurück in die Kabine, doch ehe sie es hinter den Vorhang schaffte, hielt er sie am Arm zurück.  »Hey, jetzt warte doch mal. Hast du dich mal selbst im Spiegel angeschaut? Du siehst bildhübsch darin aus.« »Ich sehe wie ein Flittchen aus«, entgegnete sie und wagte es nicht, vom Boden aufzuschauen.  Es war unfassbar. Sah sie es wirklich nicht. Mit etwas Nachdruck zog er sie zu sich zurück und stellte sich mit ihr gemeinsam vor den Spiegel. »Schau dich doch mal an!« Mit seiner Hand hob er ihr Kinn an und zwang sie dazu, sich im Spiegel zu betrachten. »Du hast ein bildhübsches Gesicht, tolle Augen, eine hammer Figur, wunderschöne Beine ... Wie soll Chris das in den Latzhosen an dir sehen, hm? Wie soll er in dir eine Frau sehen, wenn du es an dir selbst nicht mal sehen kannst?« Dylan ließ ihr Zeit, damit sie seine Ansage verdauen konnte. Wahrscheinlich hatte sie sich durch ihre Latzhosen und ihren generell eher burschikosen Stil so noch nie gesehen. Ihr Kleidungsstil passte zu ihr, keine Frage, aber damit konnte man keine Weiblichkeit zeigen und an sich entdecken erst recht nicht.  Als sie ihm durch den Spiegel in die Augen sah, lächelte er sie an. Es brauchte vermutlich ein Bügeleisen, um ihre Sorgenfalten auf ihrer Stirn loszuwerden und Wäscheklammern bis hinter die Ohren, damit sie sein Lächeln erwiderte, aber er war sich sicher: Das, was sie dort im Spiegel sah, war zwar neu und gewöhnungsbedürftig, aber es gefiel ihr. Darauf verwettete er sein letztes, sauberes Hemd – also das, was er anhatte. Dieses Funkeln in ihren Augen … Das konnte sie nicht verstecken, egal wie sehr sie sich auch darum bemühte. »Also, ich weiß nicht … ich habe noch nie Kleider getragen und das hier ist wirklich sehr kurz ... Ist der Ausschnitt nicht auch ein bisschen zu tief?« »Nein, überhaupt nicht.« Da war ein Funkeln gewesen. Sie konnte sagen, was sie wollte, er hatte es genau gesehen.  »Hmm, ich weiß nicht … Ich finde es trotzdem ziemlich … freizügig.« »Glaub mir: von einem Flittchen sind wir meilenweit entfernt und so, wie es ist, ist es vollkommen in Ordnung.« Vorsichtig zog sie an dem Ausschnitt, um ihn etwas höher zu ziehen, was jedoch zur Folge hatte, dass auch der Rock nach oben rutschte. Also zog sie den Rock wieder tiefer – und den Ausschnitt gleich mit. Es war ein Teufelskreis, der sie sichtlich zur Verzweiflung brachte. »Wie soll man das denn anstellen, dass man beim Laufen nicht irgendwann halb nackt dasteht?«  Dylan belächelte ihre Bemühungen, schwieg aber dazu und verkniff sich sämtliche Geräuschkulisse beim Kichern. »Lach nicht so dumm! Ich mein das ernst.« »Stell dich doch nicht dümmer, als du bist! Zieh doch einfach eine Leggins drunter, dann ist das Thema erledigt.«  So überrascht, wie sie ihn ansah, wäre sie wohl nicht auf die Idee gekommen. Sie senkte den Blick und strich sich wieder mal ihren Pony hinters Ohr.  Es war wirklich faszinierend, wie eisern sie es durchzog, sich selbst Steine in den Weg zu legen, nur um ihm nicht Recht geben zu müssen. Und doch bemitleidete er sie dafür.  Behutsam legte Dylan seine Hände auf ihre Schultern, drehte sie zu sich um und suchte ihren Blick. »Sei mal ganz ehrlich zu dir selbst: Dir gefällt es doch, oder?«, bohrte er nach. Das Nicken kam zögerlich, aber es kam.  »Na also. Wo ist dann dein Problem? Nimm es doch, wenn’s dir gefällt.« Keine Antwort, keine Reaktion. Seine Stimme wurde sanfter: »Nochmal: Es steht dir und es gefällt dir. Also nimm es mit. Und davon mal abgesehen bezahl ich doch das Ganze.« Wieder strich sie sich den Pony zurück. »… okay.« Na endlich. »Braves Mädchen.« Zufrieden über ihre Entscheidung zwickte er ihr in die Wange, wie es Großmütter bei ihren Enkeln taten. Sofort riss sie ihren Kopf zur Seite weg. »Hey!« Zunächst kicherte er dunkel, doch dann verstummte er, als ihm ihre Schuhe in der Kabine auffielen. Das Kleid konnte noch so toll an ihr aussehen, wenn sie die gesamte Optik mit Turnschuhen versiebte.  War nicht ein dezentes Schuhsortiment in der Nähe der Kabinen? »Warte mal kurz hier«, sagte er und machte sich sogleich auf die Suche. Keine fünf Minuten später stand er wieder neben ihr mit einem Paar leuchtend roten High-Heels in den Händen. »Hier. Zieh die mal an.« Stellar riss die Augen auf. »Was, die soll ich anziehen? Bist du irre? Die sind viel zu hoch!«  »Jetzt mach doch einfach mal das was ich dir sage! Ich will doch nur mal sehen, wie das zusammen aussieht.« Ihrem schweren Seufzen folgten verschränkte Arme vor der Brust. »Dylan, was soll das hier eigentlich? Du schleppst mir hier ein Kleid an, obwohl ich dir gesagt habe, dass ich nie Kleider trage, dann diese völlig übertriebenen Schuhe … Was soll das alles?«  »Ich versuche dir zu helfen, endlich mal wie eine Frau auszusehen und nicht wie Chris’ bester Kumpel!« Schockiert von seinen Worten brachte sie keinen Ton heraus, obwohl sie schon zu einem Konter angesetzt hatte. Sie sah erneut zu Boden, strich sich ihre Haare hinter das Ohr und blieb still.  Vielleicht war das gerade ein bisschen zu hart von ihm … Er versuchte es noch einmal mit Argumentation: »Es bringt nichts, wenn du das Kleid trägst und dann Turnschuhe dazu anziehst. Dann können wir gern weiterhin bei deinen heiß und innig geliebten Latzhosen bleiben, damit wirst du aber niemanden aufreißen. Weder Chris, noch sonst irgendjemanden.« Wieder keine Antwort, wieder keine Reaktion. Nur Schweigen. Sonst hatte sie doch auch eine große Klappe, warum diesmal nicht? Ihr Schweigen war fast noch schlimmer, als ihre Beleidigungen und ihr Gezicke. Dann aber sah sie verlegen zu ihm auf. »Gegenvorschlag: Ich nehme das Kleid und wir suchen nachher gemeinsam nach Schuhen …?« Ihr Genuschel hatte er gerade so verstanden. Er war überrascht, dass sie nach einem Kompromiss suchte. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sie die ganze Aktion über den Haufen warf und einfach ging. »Ähm, na klar. Zieh dich um und dann geht’s weiter.« Froh über diese Einigung lächelte sie ihn dankbar an und zog dann auch schon den Vorhang zu. Dylan lehnte sich mit dem Rücken an die gegenüberliegende Kabine und wartete. Erleichterung machte sich in ihm breit und mit einem überaus großen Seufzer fiel eine enorme Anspannung von ihm ab. Sie machten Fortschritte. Endlich hatte sie verstanden, dass er ihr nur helfen wollte. Doch obwohl sich die Shopping-Tour so positiv entwickelte, blieb er realistisch. Beste Freunde waren sie damit noch lange nicht. Sie ließ sich lediglich darauf ein, sich von ihm helfen zu lassen. Das war ein Anfang, ein Schritt in die richtige Richtung. Und wer weiß, vielleicht verlor sie irgendwann mal all ihre Vorurteile ihm gegenüber. Für den Augenblick aber war es reines Wunschdenken. Plötzlich traf ihn ein Stück Stoff im Gesicht und riss ihn aus seinen Gedanken – das Kleid.  »Du kannst ja schon mal zahlen gehen, bis ich hier fertig bin. Ich komme dann nach.« Dylan aber hatte gar nicht zugehört. Er war abgelenkt. Als sie ihm das Kleid zugeworfen hatte, hatte sich der Vorhang einen Spalt weit geöffnet, sodass er nun durch diesen offenstehenden Spalt zum Spiegel in Stellars Kabine spähen und ihr beim Umziehen zusehen konnte. Dass sie eine tolle Figur hatte, war von ihm nicht nur so daher gesagt. Man hatte es ihr immer angesehen, aber dieser Spalt im Vorhang zeigte die Tatsache weitaus deutlicher und detaillierter als ihre Latzhosen … Als seine neugierigen Augen ihren Rücken hinauf wanderten, war die Begeisterung für sie allerdings tot. Diese unmöglichen Sport-BHs … Irgendwie musste er ihr noch einen anderen BH aufschwatzen, ganz dringend. Es musste ja nichts hocherotisches sein, aber diese Sport-BHs waren genauso sexy wie eine knallig orangefarbene Warnweste für einen Kanalarbeiter. Und genauso funktionierte dieses Ding: man konnte einfach nicht wegschauen. Das aber war sein Fehler, denn er verpasste dadurch den Moment, rechtzeitig von der Kabine zu verschwinden. Fertig umgezogen stand sie – für ihn ganz plötzlich – vor ihm, mit einem dicken Fragezeichen im Gesicht.  »… Ich dachte du bist schon beim Zahlen?«  »Ach, weißt du … Ich habe mir gedacht, du zahlst es. Sollst dir ja auch sicher sein«, erklärte er und drückte ihr mit aufgesetzter Unschuldsmiene Kleid und Geldbeutel in die Hand. Eine Weile musterte sie ihn misstrauisch, ging dann aber schließlich ohne ein Wort zur Kasse. Puh. Das war eine knappe Kiste. Nachdem Stellar bezahlt und sie den Laden verlassen hatten, blieben sie vor dem nächsten Schaufenster eines Schuhgeschäfts stehen.  »Ist da was für dich dabei?«, fragte er, begutachtete aber weiterhin die ausgestellte Ware. Stellar tat es ihm gleich. »Hmm … Weiß nicht. Kann sein, sicher bin ich mir nicht.«  »Dann lass uns da mal reinschauen«, meinte er und steuerte bereits den Eingang an.  Nicht nur das Geschäft war riesig, auch das Sortiment bot für jede Gelegenheit den perfekten Schuh, vor allem für die Damenwelt. Sie nahmen zwei Drittel des Ladens ein, den Rest teilten sich Männer mit Kindern. »Schau dich mal ein bisschen um, vielleicht findest du ja gleich auf Anhieb etwas, was dir gefällt.« Stellar nickte, machte sich gleich im Parallelgang auf die Suche. Er selbst blieb nicht untätig. Trotzdem musste er zugeben, dass er sich die Aktion „Schuhkauf für Stellar“ irgendwie einfacher vorgestellt hatte. Gefiel ihm ein Paar, gab es sie nicht mehr in ihrer Größe. Gefiel ihm ein Paar und waren in ihrer Größe vorrätig, waren sie entweder zu teuer oder ihr gefielen sie nicht. »Oh schau mal, die sind toll!«, rief sie und kam gleich zu ihm geeilt. In ihren Händen hielt sie ein Paar Sneakers. »Die gibt’s sogar in meiner Größe.« Dylan war weniger begeistert, zog eine Augenbraue nach oben. »Ja, wirklich ganz nett. Leider nur die falsche Art von Schuh, die wir suchen.«  Ihr freudiges Lächeln war verschwunden und seufzend legte sie den Schuh wieder zurück. »Müssen es unbedingt High-Heels sein?«, jammerte sie und sah ihn leidig an. Doch er blieb hart mit seinem Entschluss und nickte.  »Es müssen keine Zwanzig-Zentimeter-Treter sein, aber ein Schuh mit Absatz eben schon.« Er sah ihr an, wie schwer ihr diese heutige Veränderung fiel, aber niemand hatte je behauptet, dass Veränderung leicht war. »Und was ist mit denen hier? Gehen die nicht auch?«, fragte sie und deutete auf ein paar rote Ballerinas.  Na ja … Sie waren zwar besser als Turnschuhe, aber nicht das, was er wollte.  »… Behalten wir die mal im Hinterkopf, okay?« Noch wollte er sich nicht mit ihrer Wahl zufriedengeben. Er hatte sich High-Heels zu dem Kleid eingebildet und in diesem verfluchten Laden musste es doch welche geben, die ihr gefielen, in seinem Budget lagen und auch noch in ihrer Größe verfügbar waren … Und wieder, als wäre es vorbestimmtes Schicksal, fand er in diesem Moment das in seinen Augen perfekte Paar. »Hier, guck mal. Wie findest du die hier?« Eine braune Leder-Sandalette mit einem Absatz in passabler Höhe und goldenem Fesselriemchen. Ein wirklich hübscher Schuh. Stellars Begeisterung hielt sich wie zu erwarten in Grenzen. »Ich kann doch nicht mal da drin stehen«, meinte sie und nahm zögerlich den Schuh entgegen.  »Zieh ihn erstmal an, dann kannst du meinetwegen rumjammern.« Widerwillig zog sie ihre Schuhe und Socken aus, setzte sich auf eine der Bänke und schlüpfte in den Schuh.  »Den anderen auch?«  »Du hast doch zwei Füße, oder? Natürlich, den anderen auch.«  Ihm war klar, dass sie nur Zeit schinden wollte, vielleicht auch Mitleid erregen, aber dafür hatte sie sich den Falschen ausgesucht. Er wollte sie in diesen Schuhen sehen und ihm war es auch vollkommen egal, wie lange es dauern würde.  Wieder sah sie ihn unsicher an. »Meinst du nicht, dass Absätze übertrieben sind? Ich habe solche Schuhe noch nie angehabt. Ich weiß ja nicht mal, wie man damit läuft …« »Wie mit jedem anderen Schuh auch«, entgegnete er und reichte ihr seine Hand zur Hilfestellung. »Na los, komm. Aufstehen, hinstellen und einmal in den Schuhen laufen.« Zögerlich legte sie ihre Hand in seine und stützte sich damit ab, als sie aufstand. Es dauerte keine drei Sekunden, da geriet sie schon ins Wackeln. Das Flehen um Gnade stach aus ihren Augen. »Dylan, glaub mir … Das ist ’ne dumme Idee. Wie soll ich bitte darin laufen können, wenn ich noch nicht mal stehen kann?« »Was hast du denn erwartet? Wenn du die Dinger noch nie angehabt hast, dann kannst du auch nicht auf Anhieb drin laufen. Das braucht eben ein bisschen Übung.« »Die sind total unbequem«, murmelte sie, sah auf ihre Füße.  Gerade wollte sie einen Schritt vorwärts machen, da knickte sie um und fiel nach vorn. Hätte Dylan sie nicht aufgefangen, hätte sie unfreiwillig den Boden geküsst.  Sofort kniff sie die Augen zusammen, hielt sich die Hand an ihren Knöchel. Ihm hatte das Umknicken schon beim Hinsehen wehgetan, wie schmerzhaft musste es dann für sie sein? Vorsichtig setzte er sie wieder auf dem Hocker ab.  »Tut’s sehr weh?« Keine Antwort. Stattdessen massierte sie weiterhin mit schmerzverzerrter Miene ihren Knöchel und schluckte jedes Geräusch herunter, das sie vor Schmerz von sich gegeben hätte. Gut, vielleicht verlangte er mit den High Heels etwas, was sie wirklich nicht konnte. Er gab sich geschlagen. »… Ich denke, wir nehmen die Ballerinas, hm?« Hastig nickte sie, öffnete ein Auge und sah zu ihm. »Ich denke auch, bevor sich Chris bei dem Anblick noch zu Tode lacht.«  Dylan kicherte dunkel. »Ah, verstehe. Wir haben also doch Humor.« Er stand auf und ging vor ihr in die Hocke, half ihr, die Schuhe auszuziehen und brachte sie zurück ins Regal. Danach schnappte er sich die roten Ballerinas. »Ich geh mal eben zahlen, dann kannst du dich noch ein bisschen von deinem halsbrecherischen Sturz erholen«, sagte er und ging in Richtung Kasse.  Nach einer Weile in der Schlange stehen wanderten die Geldscheine über die Theke und mit einer Tüte mehr in der Hand kam er zu ihr zurück.  »Geht's wieder?« fragte er und ging erneut vor ihr in die Hocke.  »Geht schon wieder, ja. Solange du mich nicht noch einmal zwingst, diese Horror-Stelzen anzuziehen, sollte ich wieder einwandfrei laufen können.«  Beide grinsten sich an.  »Ich habe ganz schön viel bei dir wieder gut zu machen, stimmt’s?« »Ja, das kann man wohl sagen.« Ihr angedeutetes Lächeln verriet ihm, dass sie ihm das nicht übelnahm. Diese gelöste Stimmung zwischen ihnen war neu, aber angenehm. Er könnte sich wirklich daran gewöhnen.  »Was hältst du davon, wenn wir uns nach dem Shoppen ein wenig abkühlen?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)