Von Katzen und Fledermäusen von abgemeldet ================================================================================ Prolog: -------- When the cats come out The bats come out * Hashiramas Handy vibrierte. Er drehte sich auf der Couch zur Rückenlehne um und versuchte im ersten Moment, die Vibration zu ignorieren. Etwas traf ihn am Kopf und er zuckte zusammen. Seine Wimpern lösten sich voneinander und er blinzelte einige Male, bevor er sich aufrichtete und nach seinem Handy schnappte, um es zum Schweigen zu bringen. Sein Bruder Tobirama hatte nach ihm zerknülltes Zeitungspapier geworfen, das nun vor der Couch auf dem Teppich lag. „Steh auf“, sagte sein Bruder im Vorbeigehen. Er trat ans Fenster und schob die schweren, blickdichten Vorhänge auseinander. Dann zog er die Jalousie hoch. Die Sonne war untergegangen; es war Zeit zum Aufstehen. „Du warst wieder viel zu lange unterwegs“, stellte sein Bruder fest, ohne sich umzudrehen. Tobiramas rote Augen inspizierten die von künstlichem Licht illuminierte Straßen und Gebäude. Sie waren hier im sechsten Stockwerk. „Du weißt ganz genau, dass das Sonnenlicht uns schwächt und wir dadurch dann eine längere Regenerationszeit haben. Das war, wieder einmal, töricht, Hashirama. Du musst bei vollen Kräften sein, wenn es Abend wird.“ Glaubte man, dass Hashirama der jüngere Bruder war, der vom Älteren gerügt wurde, irrte man sich. Tobirama war vier Jahre jünger als sein Bruder. Hashirama schwang die Beine über die Couch und  fuhr sich durch das lange dunkelbraune Haar. „Es tut mir leid, Tobirama. Du hast ja recht.“ Tobirama seufzte. „Ich weiß, du magst diese Menschenfrau. Aber es ist verboten, Gefühle zu Menschen zu haben. Das weißt du auch. Das Gesetz ist Jahrhunderte alt.“ Hashirama gefror an Ort und Stelle. Er war davon ausgegangen, dass Tobirama nichts davon wusste. Dass sein jüngerer Bruder nichts davon wusste, wie er sich noch Stunden nach Sonnenaufgang draußen aufhielt und Sakura Haruno zur Arbeit begleitete, obwohl ihr keine Gefahr seitens der Katzen drohte. Die Fledermäuse hatten sich nur um das zu kümmern, was nachts geschah; tagsüber schliefen sie und sammelten Energie für die Nacht. „Dennoch gibt es unter uns welche, die dieses Gesetz ignoriert haben“, sagte Hashirama vorsichtig. „Das stimmt“, erwiderte Tobirama sofort. „Und was hatten sie davon? Sie wurden verstoßen. Bekamen durch Beischlaf mit Menschen Kinder mit Sonnenallergien, die tagsüber das Haus nicht verlassen und kein normales Leben führen konnten, von denen einige sogar Zustände der arktischen Hysterie erlebten. Ein Glück, dass in den letzten zwei Jahrhunderten keine Fälle solcher Art gemeldet worden sind.“ Tobirama schüttelte den Kopf. „Du solltest die Frau aus deinem Kopf bekommen und dich lieber unter unseresgleichen umsehen. Es gibt genug schöne Fledermausfrauen.“ Nichts anderes hatte Hashirama aus Tobiramas Mund erwartet. Er wusste, dass Tobirama recht hatte. Tobirama hatte sogar verdammt recht, aber Hashirama war nun einmal verliebt. Verliebt in Sakura Haruno, die zwei Häuser weiter wohnte. Manchmal träumte er von ihr und wünschte sich, er wäre ein Mensch. „Mach dich fertig, dann brechen wir auf.“ Hashirama erhob sich und ging ins Bad. Eine halbe Stunde später standen die beiden Brüder auf dem Dach des Gebäudes, in dem sie lebten, gekleidet wie gewöhnliche Menschen, aber komplett in Schwarz, bereit, sich in Fledermäuse zu verwandeln. Es war Freitagabend. Das bedeutete, dass viele Menschen unterwegs sein würden. Es bedeutete aber auch, dass an jeder Ecke Katzen lauern konnten. Kapitel 1: ----------- [center"]* Als Sakura das Gebäude verließ, in welchem sich ihre Zweizimmerwohnung befand, hörte sie ein merkwürdiges Geräusch, das sie mit den letzten Lauten einer sterbenden Katze assoziierte. Eigentlich musste die junge Frau sich beeilen, um die Bahn zur Arbeit zu kriegen, falls sie um acht da sein wollte, doch sie konnte unmöglich weitergehen, wenn sich in der Nähe eventuell ein sterbendes Tier befand. Die Geräusche kamen eindeutig aus den noch grünen Büschen, die um das Haus gepflanzt worden waren, um der ganz in Grau und Braun gehaltenen Gegend etwas Lebendigkeit zu verleihen. Es gab keinen Zaun, weswegen Sakura nahe an die kniehohen Büsche herantreten und schauen konnte, wo genau die Quelle dieses schrecklichen Gejammers lokalisiert war. „Ah“, kam es über ihre Lippen, als sie etwas Pechschwarzes entdeckte. Es war eine komplett schwarze Katze, die kraftlos auf der Erde lag, die Augen halb geschlossen. Ihr Fell war schmutzig und verklebt. Sakura konnte schwören, dass es Blut war. „Hey, Kleiner“, sagte sie mit leiser Stimme, woraufhin sich die Augen der Katze weit öffneten und sie ihren Schweif einmal kurz auf die Erde niedersausen ließ wie eine Peitsche. Feindlich wurde Sakura aus zwei grünen Katzenaugen angesehen, die eine zerkratzte Nase flankierten. „Ich tue dir nichts, keine Sorge. Du Ärmster.“ Sakura suchte in der Tasche nach ihrem Handy. Eine Freundin von ihr arbeitete in einer Tierarztpraxis in der Nähe. Die konnte dem kleinen Racker sicher helfen. „Hallo, Ino? Ich habe eine verletzte Katze gefunden. Kann ich sie ganz schnell zu dir bringen?“ In diesem Augenblick rappelte sich die Katze auf und humpelte in die linke Richtung, Sakura folgte ihr vorerst mit den Augen. „Ja? Super, dann bin ich gleich da!“ Eilig legte Sakura auf und folgte der Katze, von der sie nun offenbar vollkommen ignoriert wurde. „Warte doch! Ich bringe dich zum Tierarzt.“ Klasse, Haruno, dachte Sakura sich. Jetzt kommunizierst du auch noch mit Katzen. Muss wohl die Folge des vierjährigen Singledaseins sein. Urplötzlich machte die Katze Halt und drehte ihren Kopf zu ihr. Es war, als wollte die Katze Sakura mit ihrem Gesichtsausdruck zu verstehen geben, dass sie sie in Ruhe lassen sollte. Aber Sakura dachte gar nicht daran, das Tier seinem Schicksal zu überlassen. Vorsichtig, in geduckter Haltung und mit einem ausgestreckten Finger, näherte sie sich der Katze, die wahnsinnig erschöpft aussah. Der Erde so nahe, konnte Sakura die unterschiedlichsten Gerüche ausmachen, zu denen ein süßliches Männerparfüm gehörte, was, so seltsam es auch klang, von der Katze auszugehen schien. Sakura glaubte nun, dass die Katze sich von ihr einsammeln lassen würde, da sie ruhig blieb; doch das Tier holte mit der Pfote aus und eine Kralle zerrte Sakura ein kleines Stückchen Haut vom Handballen. „Aua!“, machte Sakura und zog die Hand zurück. Die Stelle blutete. Sakura seufzte und sah auf ihre Armbanduhr. Ein Glück hatte sie Gleitzeiten und konnte auch um neun auf der Arbeit sein, auch wenn es bedeutete, dass sie länger machen musste. Aber es kam ihr nicht täglich etwas Pelziges dazwischen. Sie richtete sich langsam, um die Katze nicht zu verschrecken, auf und entledigte sich ihres Mantels. „Ich werde dich zum Tierarzt bringen“, erklärte Sakura, und ehe sich die Katze versehen konnte, warf Sakura den weichen Mantel nach ihr. Die Verwirrung des Tieres nutzte Sakura aus und hob es auf. Die Katze fauchte unter dem Mantel, biss und kratzte, doch das Material dämpfte die Bisse und Krallen. Sakura versuchte, die Katze nicht zu sehr an ihren Körper zu pressen, denn sie hatte Angst, ihr wehzutun. Der Weg zum Tierarzt gestaltete sich alles andere als glatt und schnell: Einige Male musste Sakura stehen bleiben und den Mantel zurechtzupfen. Das Tier wollte sich fast den ganzen Weg über nicht beruhigen und es tat Sakura wahnsinnig leid, eine verletzte Katze so zu behandeln. Aber es war besser, das Tier mit Ach und Krach zum Tierarzt zu bringen, als es draußen sterben zu lassen. Sakura hatte kein Halsband entdecken können. Die Katze hatte alles andere als einen zutraulichen Eindruck gemacht, und da sie sich offensichtlich mit einem anderen Tier, höchstwahrscheinlich ebenfalls eine Katze, derart angelegt hatte, glaubte Sakura, dass sie eine Straßenkatze in den Armen hielt. An einem Punkt bekam Sakura das Gefühl, dass sie verfolgt wurde, doch als sie stehenblieb und sich umsah, konnte sie niemanden entdecken. Nur ein Pärchen auf der anderen Straßenseite, das mit sich selbst beschäftigt war. Erstaunlicherweise wurde die Katze in ihren Armen ruhig, fing aber wieder an zu zetern, als Sakura die Füße in Bewegung brachte. In der Tierarztpraxis angekommen, musste Sakura ihrer blonden Freundin das Tier anvertrauen. Ein Glück war Ino heute nicht alleine in der Praxis, denn bereits bei der Übergabe des verletzten Tiers konnte man erahnen, dass es kein Leichtes werden würde, es auf den Untersuchungstisch zu bekommen. Es wurden schnell Handschuhe organisiert und Sakura bekam ihren Mantel zurück, der voller Katzenhaare war. Sie verabschiedete sich eilig von Ino und hoffte, dass sie und die tiermedizinische Fachangestellte alleine mit der Katze klarkommen würden. Sakura meinte, dass es sich um einen Kater handelte, war sich da aber nicht sicher. Sie hatte keine günstige Gelegenheit gehabt, es zu überprüfen. Als sie die Tierarztpraxis verließ und kurz überlegte, welche Bahnhaltestelle sie von hier aus am schnellsten erreichen konnte, bekam sie wieder das merkwürdige Gefühl, verfolgt zu werden. Doch egal wohin sie sah, sie konnte niemanden ausmachen. Ich arbeite nicht zu viel, dachte sie bei sich und stieg die drei Treppen herunter, die zum Eingang in die Praxis führten. Ich schlafe auch gut und außer der Tatsache, dass ich seit gefühlter Ewigkeit ohne Kerl dastehe, geht es mir gut. Mental zuckte sie die Schultern und beschleunigte ihre Schritte. Es war Einbildung, nichts als Einbildung. * Als Sakura ihre Arbeitsstelle verließ – sie arbeitete als Bürokauffrau in einer Firma, die Software für Ärzte herstellte –, schaute sie auf ihr Handy und entdeckte zwei verpasste Anrufe von der Tierarztpraxis. Besorgt um die verletzte Katze, hoffend, dass nichts schiefgelaufen war, rief Sakura zurück und telefonierte mit der Angestellten – Ino war in dem Moment wohl nicht zu sprechen. Wie es aussah, hatte die Katze sich vor etwa zwei Stunden aus dem Staub gemacht. Wie genau das passieren konnte, wusste scheinbar keiner. Sakura seufzte. Katzen konnten manchmal furchtbar einfältig sein. Von wegen intelligente Tiere. „Gut, danke Ihnen für die Auskunft. Vielleicht lässt sich die Katze ja noch einmal in der Nachbarschaft blicken. Ich werde Sie oder Frau Yamanaka dann sofort kontaktieren. Gut, alles klar. Auf Wiederhören.“ Sakura legte auf und ging zur Bahnhaltestelle. Sie achtete auf ihr Gefühl, doch ihr Inneres fühlte sich weder von etwas Unsichtbarem bedroht noch verfolgt. Vielleicht  hatte sie diese ganze Katzenaktion einfach durcheinandergebracht. Montage waren stressig und manchmal kaum zu ertragen. Aus diesem Grund hatte Sakura sich eine Montags-nach-der-Arbeit-Routine zurechtgelegt: Sie kam nach Hause, legte eine Schallplatte auf, ließ Wasser in die Wanne ein, schaltete Kerzen an, goss sich einen teuren Wein ein und entspannte in der Badewanne, umgeben von duftenden Kerzen und schwimmenden Rosenblättern. Nicht nur das Entspannen in der Wanne an sich war gut; die Vorfreude auf die Entspannung an sich machte einen Montag ein wenig erträglicher. Eine gute Taktik, wie Sakura fand. Sie erledigte den obligatorischen Montagseinkauf im örtlichen Discounter, und das Erste, was sie tat, als sie nach Hause kam, war es, die Katzenhaare mit dem eingekauften Fusselroller von ihrem Mantel zu entfernen. Es gab Menschen, die die Ansicht vertraten, dass man ohne Katzenhaare auf der Kleidung nicht richtig angezogen war; doch obwohl Sakura Katzen durchaus etwas abgewinnen konnte, mochte sie keine Katzenhaare. Weil sie irgendwann überall waren – auf dem Bett, in der Suppe, einfach überall. Sakura hängte den Mantel sorgfältig im Flur an einen Haken auf und öffnete das Fenster in der Küche auf Kipp, während sie alles einräumte, fröhlich vor sich hin summend. Als sie ein Miauen hörte, hielt sie inne und lauschte in die Stille ihrer Wohnung hinein. Da sie nichts hörte, glaubte sie, sich verhört zu haben, und machte mit dem Einräumen weiter. Doch dann erklang wieder ein Miauen, dieses Mal in einer etwas anderen Tonlage, und Sakura sah zum Fenster, da der Laut definitiv von da gekommen war. Die Katze von heute Morgen saß wie selbstverständlich auf der Fensterbank und starrte sie an. Sakura begann zu lachen, so unglaublich fand sie das Ganze. Sie schloss das Fenster, machte es dann ganz auf und ließ die Katze herein, die auf den Stuhl vor dem Fenster hüpfte und beschloss, dort erst einmal zu kauern. Sakura lebte im Erdgeschoss und es war der Katze nicht schwer gefallen, an ihr Fenster heranzukommen. „Du siehst viel besser aus als heute Morgen“, sagte Sakura. Deutlich gepflegter und gesünder. Es war wohl nicht das eigene Blut gewesen. Sie hätte das Tier gerne gestreichelt, doch das Pflasterchen an ihrer Hand, das ihr Ino übergeben hatte, erinnerte sie daran, dass die Katze jederzeit skrupellos ihre Krallen wieder ausfahren könnte. „Ich werde dir mal Milch verdünnen, ja?“, sprach sie zu der Katze. „Hm. Ich frage mich echt, ob du männlich oder weiblich bist.“ Ein wenig verunsichert ging Sakura vor dem Stuhl in die Hocke und erschnupperte das gleiche Männerparfüm wie heute Morgen. Die Stirn runzelnd, betrachtete sie das Tier vor sich. „Jep, ich spinne wohl“, meine sie dann, stand auf und klatschte in die Hände. Sie würde der Katze verdünnte Milch zu trinken geben und dann weitersehen. Es musste entschieden werden, was mit dem Tier als Nächstes passieren würde. Wahrscheinlich würde es noch einmal zum Arzt gebracht werden, bevor es dann im Tierheim landen würde. Sakura tat es leid. Doch sie konnte die Katze aus unterschiedlichsten Gründen nicht behalten. Sobald das Katerchen – Sakura bekam seine Bälle zu sehen – die Milch ausgetrunken hatte, kletterte es auf den Stuhl am Fenster, putzte sich ab und legte sich schlafen. Da mit ihm alles in Ordnung zu sein schien, wollte Sakura nicht auf ihr Bad verzichten, weswegen sie alles für ihr Montagsritual vorbereitete und bedenkenlos in das herrlich-warme Wasser stieg. Auf dem breiten Rand links stand ein Weinglas, das sie in der nächsten Viertelstunde gemächlich leerte, während sie der alten Musik lauschte, die der Plattenspieler in Wohnzimmer erzeugte. Sakura wünschte sich, dass jemand sie nach so einem schönen Bad massierte, mit reichlich Öl und großen Händen. Sie hatte zweieinhalb Jahre lang das Singledasein genossen, doch seit ihrem sechsundzwanzigsten Geburtstag tat sie es nicht mehr. Einen Mann kennenzulernen, während man als eher gesichtslose Kauffrau für Büromanagement arbeitete, war schwierig. Diskotheken und Clubs mied Sakura seit ihrem neunzehnten Lebensjahr komplett, und weder Restaurants noch Cafés, in denen sie sich mit ihren Freundinnen zu treffen pflegte, schienen von Typen besucht zu werden, die Interesse an ihr hatten. Sakura war nicht einmal dreißig, fühlte sich aber deutlich älter. „Hn“, machte sie, als sie in der Badewanne aufstand. Mir kann ja der Kater Milchtritte geben, das ersetzt eine Massage, dachte sie scherzhaft bei sich, obwohl sie es stark bezweifelte, dass so ein Bursche das machen würde. Andererseits… Andererseits war er einfach in ihre Küche gehüpft. Vielleicht war er am Ende zutraulicher, als sie es annahm. Es klingelte an der Tür, und Sakura nahm den langen Bademantel von der Badezimmertür, ehe sie sich in den Flur beeilte. „Oh, guten Abend“, begrüßte sie ihre ältere Nachbarin, die gekommen war, um nach Mehl zu fragen. „Natürlich, bitte warten Sie einen Moment. Wie viel brauchen Sie?“ Als Sakura die in Licht der untergehenden Sonne getränkte Küche betrat, stellte sie fest, dass die Katze weg war. Das Fenster hatte sie wieder geschlossen, also musste sich der Kleine noch in der Wohnung herumtreiben. Sie würde sich darum kümmern, sobald sie ihrer Nachbarin dreihundert Gramm Mehl übergeben hatte. „Schönen Abend noch!“, wünschte Sakura ihrer Nachbarin und schloss die Tür. Dann begab sie sich auf die Suche nach der Katze, schaute nochmal überall in der Küche, im Bad und im Wohnzimmer nach. Er muss im Schlafzimmer sein, ging es ihr durch den Kopf. Das Schlafzimmer stand einen Spaltweit offen und Sakura wurde ganz eigen, als sie die Finger um die Klinke schloss. Ohne jeglichen Grund begann ihr Herz zu rasen, so als wollte ihr Körper nicht, dass sie die Tür ins eigene Schlafzimmer öffnete. Doch Sakura machte die Tür auf. Auf ihrem bezogenen Bett lag, wie ein reicher Römer beim opulenten Mahl, ein Mann mit langen schwarzen Haaren. Die Augen hielt er geschlossen, sein Kinn ruhte in seiner Hand, der Ellbogen versank im weichen Kissen. Und er war nackt. Splitterfasernackt. Kapitel 2: ----------- * Das Telefon klingelte. Ino nahm den Topf von der Herdplatte, bevor sie ins Wohnzimmer ging. Das leuchtende Display verriet ihr, dass Sakura anrief. Ino drückte die grüne Taste, hielt sich den Hörer ans Ohr und musste ihn nur einen Lidschlag später weg halten, denn Sakura brüllte regelrecht ihren Namen in den Hörer. „Um Gottes Willen, was ist los?“ „Ino, Ino, da liegt ein nackter Mann in meinem Bett!“, kam es panisch von Sakura. Ino sagte erst nichts. Da von Sakura auf ihre Stille hin ebenfalls nichts kam, sagte sie: „Wo genau ist das Problem?“ „Das Problem ist, dass ich den Typen nicht kenne!“ Auf der anderen Seite der Leitung fasste Sakura sich an die Stirn und atmete tief durch. „Ich stehe gerade auf dem Etagenflur. Ich... Ich traue mich gar nicht, reinzugehen. Ich habe bereits die Polizei gerufen und warte, dass sie kommen. Oh Gott. Oh Gott! Ein wildfremder nackter Mann in meinem Schlafzimmer!“ „Bist du sicher, dass du heute nicht einfach zu viel Wein getrunken hast?“, fragte Ino langsam nach. „Unsinn“, erwiderte Sakura wütend, wütend darauf, dass Ino ihr nicht glauben wollte. „Genau ein halbes Glas, wie immer.“ Sakura überlegte. „Fenster waren geschlossen und durch die Tür kann er unmöglich gekommen sein. Gott, warum passiert mir sowas.“ Ino fiel es schwer, Sakura zu glauben. Das sagte sie ihr nicht, da Sakura zu durcheinander wirkte. Wie war es möglich, dass sich ein wildfremder Kerl in die Wohnung stahl und nackt auf dem Bett dalag? Ein Dieb ging sicher nicht so vor. … Vielleicht einer von diesen Perversen, von denen man sonst nur in der Zeitung las? Inos Kopf schmerzte. „Die Polizei wird gleich eintreffen, meintest du, nicht wahr?“, richtete sie das Wort an Sakura. „Warte am besten draußen auf sie und lass sie als Erste reingehen. Und halt mich bitte auf dem Laufenden, okay? Es wird alles gut.“ Sakura legte auf und blickte ängstlich auf die Eingangstür, bevor sie das Gebäude verließ. Ein dunkelgrauer Himmel thronte über ihr. Bald würde es vollständig dunkel werden. Die Fenster blieben weiterhin alle zu. Nichts schien sich in ihrer Wohnung zu regen. Ein sonderbares Ekelgefühl kam in ihr hoch, das Sakura Gänsehaut bescherte. Ein wildfremder Mann auf ihrem gemachten Bett. Wer wusste schon, wer das war? Sakura hatte sich nicht einmal die Zeit genommen und ihn genau angesehen. Wieso hätte sie das auch tun sollen?   Die Polizei – zwei Männer – kam fünf Minuten später und Sakura übergab einem von ihnen den Schlüssel. Mit in die Wohnung wollte sie nicht, obwohl ihr kalt war – schließlich hatte sie sich nicht umziehen können. Gut, dass der Bademantel lang und warm war; gut, dass sie sich heute die Haare nicht gewaschen hatte, sonst würde sie hier nun als jemand, der ungerne einen Föhn verwendete, mit nassen Haaren herumstehen. Sie hörte von draußen, wie die Polizisten ihre Wohnung betraten. Überall gingen nacheinander Lichter an. Dann war es lange still und schließlich verließen die zwei Uniformträger das Gebäude. Entgegen Sakuras Erwartungen hatten sie niemanden im Schlepptau, weswegen sie den Männern stirnrunzelnd und mit gekreuzten Armen entgegenkam.   „Wir haben in Ihrer Wohnung niemanden gefunden“, sagte ihr einer der Polizisten, der sich zu dem Gebäude umwandte und zum Dach hinaufspähte. „Im Treppenhaus schien auch keiner zu sein. Aufs Dach konnte der sich nicht verirrt haben, nicht wahr?“ Sakura schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich, man kommt vom Treppenhaus aus nichts aufs Dach.“ Der andere Polizist rieb sich den Nacken und meinte zu ihr: „Sie können jedenfalls wieder in Ihre Wohnung. Falls Sie jemanden Verdächtiges sehen…“ Sakura hörte gar nicht mehr zu. Es war für sie vollkommen unverständlich, wie dieser Kerl in ihre Wohnung gekommen war und wie er sich davongemacht hatte. War der nackte Mann etwa Einbildung gewesen? War sie verrückt geworden? Verrückt, total verrückt? „… Ihre Katze.“ Sakura nickte bei dem Wort Katze. Den Kater hatte sie ganz vergessen. „Schönen Abend noch.“ Die Polizisten stiegen in den Wagen und Sakura kehrte in ihre Wohnung zurück. Sie fühlte sich nicht wohl, musste den Polizisten jedoch glauben, dass nun alles in bester Ordnung war, ob da nun tatsächlich ein nackter Mann auf ihrem Bett gewesen war oder nicht. Ich kann mir das unmöglich eingebildet haben, dachte sie sich, als sie das Schlafzimmer betrat. Sie musste über die schwarze Katze schmunzeln, die elegant wie eine Sphinx dalag. „Ich mag es nicht, Tiere in meinem Bett zu haben. Runter da, Kleiner“, sprach sie zu dem Tier, das recht desinteressiert wirkte und nicht den Eindruck machte, auch nur eine Pfote rühren zu wollen. „Nun komm schon.“ Sakura wollte auf das Bett klettern, um den Kater herunterzuscheuchen, als ihr Folgendes auffiel: Die Bettdecke wies zu viele und zu lange Falten auf. Eine kleine Katze konnte das alles unmöglich zustande gebracht haben. Sakura hätte das Ganze noch einmal überdacht und wäre krampfhaft zu einer anderen Konklusion gekommen, um sich selbst nicht für verrückt zu erklären; aber da roch sie wieder dieses Männerparfüm, und ihr wurde bis auf die Knochen unwohl. „Doch“, flüsterte sie geschockt. „Ich habe es mir nicht eingebildet. Er war hier. Keine Frage.“ Sakura rauschte aus dem Zimmer zum Telefon, griff danach und kehrte, ihre Kontakte nach Ino durchsuchend, ins Schlafzimmer zurück. „Du magst keine Tiere in deinem Bett? Bei Männern scheint es nicht anders zu sein.“ Sakura fiel das Telefon aus der Hand. In der gleichen Pose wie vorhin lag der Mann mit den langen schwarzen Haaren da; nur hatte er jetzt die Augen offen und der Blick seiner schwarzen Iriden ruhte unbegeistert auf ihr. Sakura wurde heiß, dann kalt, dann wieder heiß. Ihr Körper schien nicht zu wissen, wie er auf diese grauenhafte Überraschung angemessen reagieren soll. Sie wurde blass, der Kopf leerte sich, sodass sie nichts weiter tun konnte, als den Mann vor sich zu betrachten: Wie ein Gott lag er da, vollkommen nackt, seinen athletischen Körper präsentierend. Auf seiner Nase befand sich ein Kratzer und Sakura konnte nicht glauben, dass die Kratzspur genau an derselben Stelle war wie bei dem Kater. Unmöglich. Nein. Menschen konnten sich nicht nach Belieben in Tiere verwandeln, in Büchern ja, aber nicht in der Realität. Das Herz hämmerte unkontrolliert gegen ihren Brustkorb. Sie öffnete den Mund, blinzelte gezwungen, weil ihre Augen schmerzten, und fragte heiser und langsam: „Wie bist du reingekommen?“ „Erinnerst du dich nicht?“, fragte der Mann. „Du hast mir das Fenster aufgemacht.“ Sakura bewegte ihren Kopf verneinend hin und her. „Das kann nicht sein. Nein. Das habe ich nicht gemacht. Was machst du hier? Wieso bist du nackt? Ich werde die Polizei rufen, wenn du…“ „Wenn es dich so sehr stört, dass ich nackt bin, werde ich mir etwas anziehen.“ Sakura schrie laut auf und wollte einen Schritt zurücktreten, als er aufstand. Sie stolperte über ihre eigenen Füße, landete auf ihrem Gesäß und stöhne auf vor Schmerz, während der Fremde sich zu ihr umdrehte und sie seinen muskulösen Hintern sehen ließ. Schwer atmend wandte sie den Blick ab und griff schnell nach dem Telefon, als sie es auf dem Boden entdeckte. „Scheiße“, zischte sie. Das Gerät  musste sich beim Aufprall ausgeschaltet haben, und egal, wie oft sie auf die Knöpfe drückte, es passierte nichts. Ein nackter Fremder in meiner Wohnung, ein nackter Fremder in meiner Wohnung!, ging es ihr immer wieder durch den Kopf. Ihre Fingerkuppen schmerzten schon von dem vielen Knöpfedrücken, als der Fremde, nun in ein Laken gewickelt, vor ihr in die Knie ging und das Telefon an sich nahm. Sein Duft nahm sie ein, nahm sie vollständig ein, und sie hielt den Atem an, als sie einander ansahen. Sakura hatte Angst. Er wirkte wie ein Dämon in Menschengestalt. Plötzlich waren seine Nacktheit und die Tatsache, dass er ein ihr fremder Mensch war, nebensächlich. „Was willst von mir?“, krächzte Sakura verzweifelt. „Nicht sehr viel“, antwortete der Mann und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Er war etwa einen Kopf größer als sie. „Lass mich für einige Tage bei dir wohnen.“ „W-Was?“, presste Sakura mühsam hervor. Hatte sie das eben richtig verstanden? Er wollte, dass sie ihn einige Tage bei sich wohnen ließ? „Du hast schon richtig verstanden“, antwortete er, so als hätte er ihre Gedanken gelesen, und sie zog die Lippen in den Mund. Das war sicher alles nur ein Traum. Vielleicht war sie in der Wanne eingeschlafen und träumte nur. „Wach auf, Sakura. Wach auf!“, sagte sie zu sich selbst, kniff sich in den Arm und verpasste sich sachte eine Ohrfeige. „Wach auf!“ Der Fremde lachte dunkel, bevor er einfach aus dem Schlafzimmer ging.   Wenige Augenblicke später wurde die Dusche aufgedreht. Das alles war viel zu verrückt, um es alleine zu verarbeiten. Sakura erhob sich mühevoll und schluckte schwer, ehe sie nach ihrem Handy zu suchen begann. „Ino“, flüsterte sie in ihr Handy, sobald ihre Freundin abgehoben hatte, „bitte, komm so schnell du kannst du mir. Bitte.“ Erleichtert darüber, dass Ino zugestimmt hatte, fuhr sich Sakura durch das Haar. Obwohl der Fremde sie bis jetzt keinmal bedroht hatte, fühlte sie sich alles andere als sicher in ihren vier Wänden. Die Polizei wollte Sakura nicht noch einmal rufen. Etwas sagte ihr, dass es sinnlos war, dass er sich wieder in Luft auflösen würde, wenn er mitbekäme, dass die Polizei vor der Tür stand. Auf Zehenspitzen spazierte sie am Bad vorbei in die Küche und öffnete die Schublade, in der sämtliche Messer untergebracht waren. Sie würde für die nächste halbe Stunde für ihre eigene Sicherheit zuständig sein. Als der Mann, ein Handtuch um die Hüfte, das Bad verließ, versteckte sie das lange und scharfe Messer hinter ihrem Rücken. Sie trafen im kurzen Gang aufeinander und betrachteten sich gegenseitig, ohne etwas zu sagen. Schließlich durchbrach der Fremde die Stille. „Das Ding hinter deinem Rücken ist sehr gefährlich, weißt du das?“, fragte er und nahm eine Strähne seines nassen Haars zwischen die Finger. Seine Stimme war wie Eis und er legte den Kopf leicht schräg. „Ich würde dir nicht empfehlen, damit herumzulaufen.“ Sakuras Gemüt wurde von Wut und Verzweiflung eingenommen. Dieser Mensch war nicht normal. Er konnte nicht normal sein. Das unerwartete Surren der Türklingel erschreckte Sakura so sehr, dass sie das Messer beinahe fallen gelassen hätte. Ino[/], ging es ihr durch den Kopf und sie warf sich aufgeregt und glücklich in den Flur, um ihre Freundin zu empfangen. „Was ist denn los?“, wollte Ino wissen, als sie sich ihrer Schuhe entledigte. „Ich habe Sai darum gebeten, mich zu fahren, sonst hätte ich länger gebraucht. Du weißt ja, Auto ist in der Werkstatt. Wieso um alles in der Welt läufst du mit diesem Messer herum? Bereitest du etwas zu?“ „Da, da ist er! Dieser nackte Typ!“, rief Sakura im Gang und deutete mit dem Messer geradeaus. Kurz hatte Sakura die Angst gehabt, dass sie auf einen schwarzen Kater am anderen Ende des erleuchteten Ganges zeigen würde. Doch da stand der Mann mit den langen schwarzen Haaren und sah sie unbeeindruckt an. Es stimmte Sakura gewissermaßen froh, ihn dort stehen zu sehen, da sie sonst an ihrem Verstand gezweifelt hätte. „Oh“, machte Ino und sah von dem Mann zu Sakura und wieder zurück. Da sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte, fügte sie hinzu: „Guten Abend.“ „GUTEN ABEND?!“, rief Sakura. „Hast d-“ „Sie müssen eine Freundin von Sakura sein“, unterbrach der Fremde Sakura mit einem ausdruckslosen Gesicht. „Mein Name ist Madara.“ Er setzte seine Füße in Bewegung und Sakura wich reflexartig zurück, das Messer nach Madara ausstreckend. Sie wusste nicht, was vor sich ging, sie wusste es wirklich nicht, doch Ino schien die Situation überhaupt nicht einschätzen zu können. Sie lächelte, als sie Madara die Hand reichte. Aber sie wirkte anders als sonst, ein wenig neben sich stehend, so als wäre sie eine lebendige Marionette. Daneben schien es sie überhaupt nicht zu stören, dass Madara nur mit einem Handtuch bekleidet war, das ihm jeden Moment von den Hüften zu rutschen drohte. Madara schaffte es, dass Ino Platz im Wohnzimmer nahm. „Was hast du mit ihr gemacht?“, zischte Sakura. „Nichts Besonderes“, antwortete Madara lakonisch. „Sakura Haruno. Ob es dir gefällt oder nicht: Ich bin gerade geschwächt und auf deine Hilfe angewiesen. Ganz egal, an wen du dich wendest, ganz egal, wem du es auch erzählst: Niemand wird dir glauben. Niemand wird dir glauben, dass ein wildfremder Mann in deiner Wohnung aufgetaucht ist, der sich in einen Kater verwandeln kann.“ Er ließ sie alleine, verwirrt und mit allem überfordert auf dem Gang zurück und verschwand in ihrem Schlafzimmer. Kapitel 3: ----------- [center"]* Ino war gegangen. Sakura saß nun alleine im Wohnzimmer und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wollte daran glauben, dass das alles ein blöder Traum war und sie jeden Augenblick erwachen würde – in ihrem Bett und alleine. Doch so oft sie sich auch zwickte, sie wachte nicht auf. Sie wachte nicht auf, weil sie bereits wach war. Dieser Mann, der sich in einen Kater verwandeln konnte, besaß offenbar die Fähigkeit, Menschen zu manipulieren. Anders konnte sie sich Inos Verhalten in den letzten zwanzig Minuten nicht erklären. Von dem, was Sakura ihr erzählt hatte, hatte sie nämlich gar nichts für wunderlich, merkwürdig oder angsteinflößend befunden. Im Gegenteil, sie fand Madara äußerst sympathisch und hatte Sakura dazu animiert, ihm näherzukommen. Wer war er? Er war kein Mensch. Kein wissenschaftlicher Fortschritt dieser Welt vermochte einen Menschen in eine Katze verwandeln zu lassen. Sakura schluckte und erhob sich. Mit dem Entschluss, in Erfahrung zu bringen, was dieser Mann war und was er wollte, ging sie in ihr Schlafzimmer – ohne geklopft zu haben, schließlich war es ihre Wohnung, in die er da eingedrungen war. Madara lag auf ihrem Bett. Er hatte die Augen geschlossen und sie fragte sich, ob er wirklich schlief. Sakura trat an das Bett heran und betrachtete ihn. Wie schamlos er doch war, seinen Körper mit ihrer schönen Decke zu bedecken, sein nasses Haar einfach auf ihrem Kissen auszubreiten und sich generell auf ihrer Liegestatt derart breit zu machen, als wäre es seine eigene. „Habe ich dir nicht gesagt, dass die Dinger gefährlich sind?“ Madara drehte den Kopf zu ihr und machte ein Auge auf. Sakura lächelte verkrampft und schloss die Finger noch fester um den Griff des Messers hinter ihrem Rücken. Madara schloss sein Auge wieder und wandte den Kopf ab. „Ich tue dir nichts. Lass mich schlafen.“ Neben der Kommode stand ein Stuhl, auf den Sakura sich nur wenige Sekunden später setzte, das Messer auf ihren Schoß legend. „Wer bist du?“, fragte sie langsam. „Sag mir, wer du bist. Was du bist. Ich… möchte es wissen. Wieso kannst du dich in eine Katze verwandeln und was hast du mit Ino gemacht? Ich weiß ganz genau, dass du etwas mit ihr angestellt hast. Sie war vorhin nicht sie selbst.“ Madara runzelte die Stirn. Er war sichtlich genervt, und obwohl Sakura Angst hatte, dass er ihr etwas antun konnte, wollte sie die Wahrheit wissen, wollte sich davon überzeugen, dass sie nicht in die Geschlossene gehörte. „Wenn ich es dir jetzt erzähle, lässt du mich dann in Frieden weiterschlafen?“, wollte Madara schlecht gelaunt wissen. „Ja“, antwortete Sakura zögernd. Jetzt hatte sie ihm auch noch die Erlaubnis gegeben, sich in ihrer Wohnung für die nächsten Tage breitzumachen. Madara richtete sich im Bett auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann begann er zu erzählen. * Hashirama sorgte sich. Zwei Tage hintereinander hatte Sakura Haruno ihre Wohnung nicht verlassen. Anfangs hatte er vermutet, dass sie sich Urlaub genommen hätte, doch die Sorge um diese Menschenfrau wollte nicht verschwinden, und Hashirama vertraute auf sein Gefühl. Er hatte Sakura den einen Tag dabei beobachtet, wie sie die verletzte Katze aufgesammelt und zum Tierarzt gebracht hatte. Die Fledermäuse waren in der Lage, die Präsenz von Katzen zu fühlen, und da Hashirama nichts gespürt hatte, war er davon ausgegangen, dass es sich um eine gewöhnliche Katze gehandelt hatte, von der keinerlei Gefahr für Sakura ausging. Es war später Abend. Hashirama war ausnahmsweise alleine unterwegs, denn Tobirama hatte sich bei einem Kampf mit einer Katze schwere Verletzungen zugezogen. Sie waren allerdings nicht lebensgefährlich und Tobirama würde bald wieder fest auf den Beinen stehen können. Die Hände in den Jackentaschen vergraben, bewegte Hashirama sich durch die künstlich erleuchteten Straßen und blieb vor dem Gebäude stehen, in dem Sakura Haruno lebte. Selbst wenn dieser Ort nicht zu dem Gebiet gehört hätte, über das er zu wachen hatte, würde er jeden Abend hierherkommen in der Hoffnung, Sakura zufällig zu begegnen. Die Vorhänge waren hinter allen Fenstern zugezogen. Gedämpft drang Licht durch eines der Fenster und er sah einen Schatten daran vorbeiziehen. Es war Sakura, kein Zweifel. Hashirama senkte den Kopf. Er blieb länger auf, um Sakura kurz zu Gesicht bekommen zu können. Doch hier, um diese Uhrzeit, konnte er nicht länger verharren. Wenn er lange aufblieb, dann spürte er es am eigenen Leibe und niemand sonst wurde verletzt. Wenn er aber hier Wurzeln schlüge, so würde irgendwo ein Mensch seinetwegen leiden. Während die Fledermäuse sich von gewöhnlicher Menschennahrung ernährten, brauchten die Katzen menschliche Energie, um zu überleben. Die Art und Weise, wie sie an menschliche Energie herankamen, unterschied sich von Individuum zu Individuum: Manchmal wurde die Menschen in einen hypnoseartigen Zustand versetzt und erinnerten sich später an nichts, manchmal wurden sie in die Ohnmacht getrieben. Das Resultat war letztendlich das gleiche: Die Menschen wurden für ein paar Tage mit einem Schwächegefühl ausgestattet, bei welchem es ihnen sogar schwerfallen konnte, Besteck hochzuheben.   Einige der Katzen waren vor Jahrhunderten zu weit gegangen und auch heute noch gab es viele Katzen, die den Menschen mehr Energie aussaugten, als sie brauchten. Das führte meist zum Tod. Genau so etwas mussten die Fledermäuse vermeiden, denn die allermeisten Katzen interessierten sich nicht für die Gräueltaten ihrer Leute.   Traurig wandte sich Hashirama von dem Gebäude ab und ging weiter. In diesem Augenblick öffnete sich die Eingangstür und Sakura kam hinaus. Sie eilte die Treppen hinunter und bog dann nach links ab. Sie wollte in die gleiche Richtung wie Hashirama. Hashirama wusste erst nicht, wie er reagieren sollte. Doch dann fasste er seinen Mut zusammen. Tobiramas Worte hallten in seinem Kopf wie ein Echo wider, als er zu Sakura trat, die stehen geblieben war, um den Inhalt ihrer Tasche zu überprüfen. Sie erschreckte sich vor seinem plötzlichen Auftauchen und Hashirama hob beschwichtigend die Hände. „Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken“, meinte er zu ihr. Leider hatte er sich keinen Plan zurechtgelegt und wusste nicht, was er noch sagen sollte, weswegen die beiden einander schweigend im Licht der Straßenlaterne ansahen. Die Senju waren mit einer sonderbaren Gabe beschenkt worden: Sie versprühten positive Energie, Wärme und Vertrauen, wofür vor allem Menschen empfänglich waren. Deshalb hatte Sakura keine Angst, als sie vor ihm stand. Das irritierte sie, schließlich war er, ein wildfremder Mann, urplötzlich vor ihr aufgetaucht. „Es ist um diese Zeit für eine Frau gefährlich, alleine herumzuspazieren“, sagte Hashirama schließlich und sah Sakura eindringlich an. „Ich bin ein anständiger Mann. Ich werde Sie begleiten, aber auch nur, wenn Sie es wünschen.“     Sakura sah zu dem Gebäude, aus dem sie gekommen war, und Hashirama folgte langsam ihrem Blick. Nachdenklich wurde das Wohngebäude von ihr gemustert, bevor sie Hashirama ansah und langsam nickte. Hocherfreut lächelte Hashirama Sakura an, und nur wenige Augenblicke später spazierten sie, angemessenen Abstand voneinander haltend, über die Straße. Er hatte nicht gefragt, wohin sie wollte, doch es machte den Eindruck, als wollte sie zum Discounter gehen; Sakura nahm immer genau diese Route, wenn sie einkaufen ging. Ein wenig merkwürdig kam sich Hashirama schon dabei, ganz genau zu wissen, wohin Sakura meist ging und wie genau sie zu ihrem Ziel gelangte. Aber er sagte sich selbst, dass seine Absichten nicht von böser Natur seien. Sakura wusste nicht, weshalb, doch sie vertraute dem Mann, der neben ihr schritt. Er schien Wärme abzugeben, ganz anders als das Wesen, das sich garstigerweise bei ihr eingenistet hatte. Nach nur zwei Tagen hatte sich Madara endgültig eingelebt und betrachtete Sakura als eine Art Dienstmädchen. Wenn sie nicht das tat, was er wollte, drohte er ihr. Seine Drohungen waren jedes Mal äußerst innovativ: Mal drohte er ihr mit Folter, mal mit physischen Bestrafungen, aber er war ihr kein einziges Mal zu nahe gekommen. Madara wiederholte immer, dass er geschwächt sei, doch Sakura konnte keine physischen Wunden ausmachen – und nackt hatte sie ihn nicht nur einmal zu Gesicht bekommen – und sie hatte den Eindruck, dass er beschlossen hatte, für immer in ihren vier Wänden zu bleiben und sie als seine menschliche Sklavin dazuhaben. Sakura wollte in der Tat einige Besorgungen erledigen. Vor dem Eingang in den Discounter hielt Hashirama an und gab vor, nach seiner Zigarettenpackung zu suchen. Sakura nickte ihm lächelnd zu und betrat den Discounter. Kaum hatten sich die Türen hinter ihr geschlossen, runzelte sie die Stirn und etliche Fragen hagelten auf ihr Gehirn nieder. Wieso um alles in der Welt war dieser Mann ihr begegnet, wieso hatte er sie tatsächlich verfolgt? Würde er nachher auf sie warten? Jetzt, da zwischen ihnen räumliche Distanz herrschte, verspürte Sakura nicht mehr die Wärme und Sicherheit, die von Hashirama ausgegangen war.   Die junge Frau atmete tief durch und beschloss, sich beim Einkaufen Zeit zu lassen. Auf ihre Frage hin, wovon Madara sich ernähre, hatte er Energie geantwortet. Sakura hatte lange gegrübelt, was er damit gemeint haben könnte. Als sie gemerkt hatte, wie sie lustlos und träge sie wurde, hatte sie begriffen, dass Madara und seinesgleichen sich von menschlicher Energie ernährten. Sakura holte Katzenmilch und Katzenfutter, was sie Madara vorsetzen würde, und eine Tiefkühlpizza für sich selbst. Sie hatte keine Lust zu kochen und machte dafür Madara verantwortlich. Sakura hatte für die gesamte Woche Urlaub genommen und wusste nicht, wie es mit ihr weitergehen würde.     Hashirama war nicht an Ort und Stelle, als sie in die Abendluft hinaustrat. Einerseits war sie darüber ziemlich erleichtert, andererseits befiel sie auf dem Weg immer wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Sakura drehte sich trotzdem kein einziges Mal um und war überglücklich, als sie ihre Wohnungstür hinter sich schloss. Das Fenster in der Küche stand offen. „Madara?“, fragte sie laut in die Wohnung hinein. Hatte er sich durch das Fenster aus dem Staub gemacht? Sakura lächelte. Hoffentlich für immer, hoffentlich war Madara nun auskuriert. Sie räumte die Einkäufe ein, ließ eine Packung Katzenmilch auf dem Küchentisch stehen. Sakuras Lächeln verblasste, als sie Madara in seiner Katzengestalt hinter dem Fenster sitzen sah. Und schon ist die gute Laune weg, ging es Sakura durch den Kopf. „Warst wohl dein Geschäft verrichten.“ Widerwillig öffnete sie das Fenster. Madara sprang auf den Küchenboden und entdeckte sogleich die Katzenmilch. Sakura stellte ein Schälchen bereit, in das sie zur Hälfte die Milch hineingoss. „Hier, probier das“, sagte sie zu Madara, als sie das Schälchen auf den Boden stellte. Madara, noch immer in der Gestalt einer schwarzen Katze, roch erst skeptisch an dem, was Sakura ihm da vorgesetzte hatte, tunkte seine Zunge hinein und trank dann gierig das Schälchen leer. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte Sakura gegen den Küchentisch und beobachtete fast schon zufrieden, wie der Kater mehrere Male mit der Zunge über sein Mäulchen fuhr, bevor er damit anfing, sich ausgiebig zu putzen. „Gefällt dir das?“, wollte Sakura wissen. „Wenn es dir schmeckt, dann werde ich dich gerne mit katzentypischer Nahrung versorgen. Gewöhn es dir ab, dich von meiner Energie zu ernähren.“ Der Kater hielt kurz in seiner Putzaktion inne, schaute Sakura fragend an, bevor er mit seinem Tun weitermachte. „Du hast doch gesagt, es gibt neben den Katzen die Fledermäuse.“ Nachdenklich blickte Sakura auf Madara herab, der sich in seiner Katzenform offensichtlich mehr als wohl fühlte. „Ich glaube, ich bin einer begegnet. Einer Fledermaus, meine ich. Ich bin mir nicht sicher.“ Die letzten Worte hatte sie genuschelt. Madaras linke Pfote schwebte in der Höhe und seine Zunge hing heraus. Sakura blinzelte, und er stand in seiner Menschengestalt vor ihr. Und natürlich war er nackt, wie sollte es auch anders sein! Mittlerweile hatte sie sich daran fast schon gewöhnt. Sie versuchte nur stets, ihre Augen nicht zu weit nach unten wandern zu lassen. „Halt dich von ihm fern“, sagte Madara zu ihr. „Woher weißt du, dass es ein Mann war?“, fragte Sakura irritiert. Madara antwortete nicht und Sakura wollte nicht nachhaken. Stattdessen sagte sie: „Ich sollte wirklich dafür sorgen, dass du mir in dieser Gestalt nur noch bekleidet unter die Augen kommst.“ Kapitel 4: ----------- * Madara lag auf ihrem Sofa und schaute fern, als sie nach Hause kam. Es war das erste Mal, dass sie ihn alleine für so einen langen Zeitraum zurückgelassen hatte. Sakura war heute Morgen beim Verlassen ihrer Wohnung alles andere als wohl gewesen. Aber sie wollte sich nicht mehr krankschreiben lassen; sie hing schließlich an ihrem Job. „Du warst lange weg“, kommentierte Madara, ohne den Blick vom Fernseher zu lösen. Er trug Hosen, die sie ihm gekauft hatte. Bei der Größe und Länge hatte sie ins Schwarze getroffen.   Sakura reagierte nicht, sondern inspizierte erst einmal ihre gesamte Wohnung nach möglichen Schäden. Zu ihrer Verblüffung stellte sie fest, dass alles an seinem Platz und heile war. „Ich war eben arbeiten“, ging sie verspätet auf seine Worte von vorhin ein. Kühl fügte sie hinzu: „Etwas, das du überhaupt nicht kennst.“ Madara schaltete den Fernseher aus und richtete sich auf dem Sofa auf. „Hast du etwas zu essen mitgebracht?“ Etwas Positives hatte Sakura zu berichten: Madara hatte so einen großen Gefallen an Katzennahrung gefunden, dass er ihr keine Energie mehr abzapfte. Er verzehrte das Essen und die Katzenmilch stets in seiner Katzenform – wahrscheinlich, weil es ihm selbst komisch vorkam, es in seiner Menschengestalt zu tun. „Ja“, antwortete Sakura, „es wird dir gefallen.“ Schließlich ist das Zeug verdammt teuer, ging es Sakura durch den Kopf. Sakura hatte sich der bedingungslosen Kooperation verschrieben in der Hoffnung, dass Madara sich, sobald bei vollen Kräften, komplett aus ihrem Leben entfernen würde. Sie wollte nicht täglich nachfragen, wann es denn so weit sei; Madara ließ sich gelegentlich über Menschen aus und gab ihr zu verstehen, dass er sich überhaupt nicht an ihrer Nähe erfreute. Sakura ging in die Küche und bereitete das Essen für Madara vor, der, kaum dass sie den Teller auf dem Boden abgestellt hatte, sofort in seiner Katzenform angelaufen kam. Während sich Madara genussvoll seinem Essen hingab, beschloss Sakura, ein Bad zu nehmen. Sie hatte nach all der Zeit ein wenig Entspannung nötig. Auf Musik verzichtete sie an diesem Abend und schloss die Tür zum Bad ab, damit Madara sie nicht überraschen konnte. Sie hatte sich bereits Kleidung zurechtgelegt, um sie gleich nach dem schönen Bad anzuziehen. Seufzend stieg Sakura in die Wanne, versank im Wasser, bis es ihre Brüste bedeckte, und lehnte ihren Kopf nach hinten. Sie öffnete die Augen und sah auf die Decke. Sakura dachte an den Mann, dem sie an jenem Abend begegnet war. Sie hielt ihn nach wie vor für eine Fledermaus; Madara gegenüber erwähnte sie allerdings, dass sie den mysteriösen Fremden am Tag getroffen hatte. Es war natürlich eine Lüge. Aber sie hatte gemerkt, dass Madara seitdem entspannter war. Sakura zuckte erschrocken zusammen, als sie ein Miauen hörte. Langsam drehte sie ihren Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und blickte auf Madara, der auf der Waschmaschine neben dem Waschbecken saß und sie musterte. „Um Gottes willen!“, schrie Sakura auf und bedeckte ihre Brüste. „Wie zum Teufel bist du hier reingekommen?!“ Sie blinzelte, und Madara stand in seiner Menschengestalt vor ihr. Er war nicht nackt – dafür war sie es. „Du unterschätzt die Schnelligkeit einer Katze.“ „Raus!“, schrie sie. Aber Madara dachte gar nicht dran. Er entledigte sich seiner Hose, und Sakura bedeckte beschämt und verängstigt gleichermaßen ihre Augen. Er machte sich komplett nackt, sammelte sein Haar zu einem prächtigen, unordentlichen Dutt und sagte ihr, sie solle ihre Beine einziehen. „Nein!“, schrie Sakura aufgeregt. „Nein, nein, nein! Du wirst nicht in die Wanne steigen!“ Als sie seinen Fuß im Wasser spürte, zog sie ihre Beine reflexartig an ihre Brust. Ihr Körper zitterte und sie schlang die Arme um ihre Knie. Die Augen blieben geschlossen. In diesem Moment war ihr nach weinen zumute. Sie wollte das nicht. „Kein Angst“, sagte Madara, als er sich ins Wasser niederließ. Seine Anwesenheit trieb den Wasserpegel weit nach oben. „Du hast nichts an dir, was ich nicht an anderen Frauen gesehen habe, und ich bin nicht darauf aus, mit dir Geschlechtsverkehr in der Badewanne zu haben.“ „W-Wenn du ein Bad nehmen willst, dann kann ich dir separat eins einlassen. Steig bitte aus“, flehte Sakura nun. „Wieso hast du keinen Mann?“, wollte er wissen, und in seiner Stimme lag deutliches Interesse. „Was geht dich das an?“ Madara sagte nichts. „Ich habe einfach keinen“, zischte Sakura ungehalten. Sein Schweigen provozierte sie. „Ich weiß nicht, wie es bei euch ist – aber der eine oder andere Mensch gibt sich irgendwann damit ab, dass er für den Rest seines Lebens Single bleiben muss. Auch wenn er es nicht unbedingt so haben möchte.“ Trotz der Situation durchbohrte Sakuras Brust ein Schmerz, den sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Sie sah nicht, wie Madara die Augen verengte. Er spürte diesen Schmerz, senkte den Blick und erfasste mit seiner Hand ein im Wasser schwimmendes Blütenblatt. „Keine Katze bleibt alleine“, sagte er dann. „Wir schätzen die Liebe in allen ihren Formen – die Liebe zur Familie, die Liebe zum Freund, und am meisten die Liebe zu seiner zweiten Hälfte. Wer seine zweite Hälfte nicht findet, gilt als verloren.“ „Ich fände es wirklich toll, wenn ich dich jetzt sehen könnte“, sagte Sakura. „Solche tiefgründigen Dinge kannst du doch nicht mit mir besprechen, wenn wir in der Badewanne sitzen und ich die Augen geschlossen habe.“ „Dann mach die Augen auf. Du wirst nichts sehen, was dich empören könnte.“ Sakura schluckte. Sie hatte ihn zwar schon hinreichend nackt gesehen, so ganz wohl dabei war ihr aber nicht. Nahe war er ihr ebenfalls oft genug gekommen, aber so nahe noch nie. Andererseits berührten sich ihre Körperteile nicht. Sakura schüttelte mental den Kopf. Nein, nein und nochmals nein! Versuchte sie gerade, die Situation allen Ernstes zu legitimieren? Seit dieser Mann, dieser Kater in ihr Leben getreten war, fühlte sie sich wie eine Gestörte. Er war attraktiv. Jawohl, er war es! Das war objektiv, nichts, was sie bestreiten konnte. Sakura hatte dennoch kein Interesse daran, seinen Körper und besonders seine Männlichkeit zu erkunden. Er war zwar attraktiv, aber sein Charakter war schäbig. Madara nutzte sie aus und würde sie hoffentlich bald fallenlassen wie eine heiße Kartoffel. Das war Sakura viel lieber, als dauerhaft teure Katzennahrung zu kaufen und ihn mit Erzählungen über ihr Leben bei Laune zu halten. Eine Bewegung zog mannigfaltiges Plätschern nach sich. Sakura horchte auf. Ein Schauer jagte ihren Rücken hinab. Für einen kurzen Moment hatte sie den Eindruck, dass er sich ihr näherte, doch dann merkte sie, dass Madara aus der Wanne stieg. Erleichtert entspannte Sakura sich. Sie hörte, wie Madara sich mit einem Handtuch abtrocknete, das eigentlich sie benutzen hatte wollen, und hörte kurz darauf, wie er in seine Hose schlüpfte. „Du bist angezogen, ja?“, vergewisserte Sakura sich. Madara bejahte. Er war zwar angezogen, aber das Bad verlassen wollte er nicht. „Steig aus der Wanne aus.“ Sakura lachte gekünstelt auf. „Nie und nimmer.“  Sie öffnete die Augen und sah zu Madara. „Denkst du, nur weil ich dich schon so oft nackt gesehen habe, muss Gleichberechtigung vorherrschen? Schließ die Augen und dreh dich um, wenn du dich schon nicht aus dem Bad trollen willst.“ Zu ihrer Verwunderung tat Madara, wie ihm geheißen. Er schloss erst die Augen und drehte sich um. Der Kerl verhielt sich an diesem Tag wirklich sonderbar. Sakura wusste nicht, ob ihr das gefiel oder ob es ihr Sorgen bereitete. Was war nur los mit ihm? Langsam erhob sie sich in der Wanne, ohne den Blick von Madara zu lösen. Er dachte offensichtlich nicht daran, nach ihr zu spähen. Sakura nahm erst den einen Fuß, dann den anderen aus dem Wasser und ärgerte sich darüber, dass er ihr Handtuch benutzt hatte. Sie nahm es an sich und fand einige trockene Stellen vor, mit denen sie immerhin ihre Arme abtupfen konnte. Sie schreckte auf, als Madara sich in Bewegung setzte, das Bad öffnete und verschwand. Er kam nur wenige Sekunden später wieder. Beim Betreten des Bads hielt er die Augen geschlossen, reichte ihr wortlos ein Handtuch und kehrte ihr wieder den Rücken zu. Sakura war nun etwas kalt, weshalb sie keine Zeit hatte, über seine Tat zu staunen. Sie trocknete sich rasch ab und zog sich an. „Ich lasse das Wasser ab“, setzte sie ihn in Kenntnis, ohne zu wissen, wieso. Schätzungsweise verunsicherte sie die Stille zu sehr. „Wer seine zweite Hälfte nicht findet, gilt als verloren“, griff sie seine letzten Worte zum Thema Partnerschaft auf. Madara ging aus dem Bad raus und Sakura folgte ihm. „So ist es“, sagte Madara, als er sich in der Küche auf einen Stuhl niederließ. „Hast du deine zweite Hälfte gefunden?“, fragte Sakura vorsichtig nach. Madara legte den Kopf schief, fixierte sie mit seinem Blick und verneinte dann. „Ich werde nicht mehr lange hier bleiben“, sagte er. „Gut. Also kommst du langsam zu Kräften?“ Ihr fiel auf, dass er ihr nie erzählt hatte, was genau vorgefallen war, dass sie ihn so entkräftet vorgefunden hatte. Mit einem Mal hatte sie wieder vor Augen, was für ein gefährlicher Mann er eigentlich war, obwohl er ihr bisher kein Haar gekrümmt hatte. Er empörte sie, brachte sie zum Schreien, aber er hatte ihr nie wehgetan oder tatsächlich versucht, sie unsittlich zu berühren, ob am Tag oder bei Nacht. Madara nickte. Die Stimmung zwischen ihnen war seltsam. „Ich werde vor dem Bett gehen noch etwas lesen“, sagte Sakura und stand auf. Madara begleitete sie mit seinem Blick und sah dann zu dem Fenster, durch das er immer in die Küche gelangte. Morgen würde er wieder bei vollen Kräften sein. Durch diese Menschenfrau hätte er beinahe sein Ziel aus den Augen verloren: Es galt, den Fledermausmann wieder ausfindig zu machen, der seinen Bruder auf dem Gewissen hatte. Das letzte Mal hatte Madara Tobirama schwer verletzt. Dieses Mal würde er ihn töten. * Sakura wachte vor dem Klingeln ihres Weckers auf und spürte etwas Warmes am Bein. Ihr erster Gedanke war sofort Madara, und als sie für Licht sorgte, entdeckte sie tatsächlich den schlafenden Kater-Madara zusammengerollt auf ihrer Decke. Sie musste zugeben: In seiner Katzengestalt war er ungeheuerlich süß. Sie hatte noch nie versucht, ihn in diesem Zustand zu streicheln. Alleine der Gedanke daran war einfach merkwürdig gewesen. Jetzt aber streckte sie die Hand aus und streichelte Madara über das weiche Fell im Nacken. Madara schlief weiterhin. Er schien sich hier wohlzufühlen, und in diesem Moment bedauerte Sakura, dass er bald nicht mehr da sein würde. Sie hatte mit ihm sowohl einen Mann als auch ein Haustier gewonnen – auch wenn es nicht ihr Mann und ihr Haustier gewesen war. Sakura blinzelte, und Madara lag in seiner Menschengestalt neben ihr auf dem Bett. Sie erschreckte sich und sah ihn erbost an. Madara schlief gar nicht. Er hob die Lider und sah sie mit seinen kohlefarbenen Iriden an. „Du wirst dich gleich für die Arbeit fertigmachen.“ „Runter von meinem Bett“, sagte sie. „Nein“, erwiderte Madara. „Ich werde hier weiterschlafen, wenn du weg bist.“ Sakura verdrehte die Augen. Hab ein wenig Geduld, Haruno, sprach sie zu sich selbst. Schon sehr bald wirst du diese Probleme nicht mehr haben. Während Sakura sich für die Arbeit vorbereitete, machte es sich Madara auf ihrem Bett bequem, sank in ihre Kissen, in ihren Duft und dachte nach. Seine Gedanken waren durcheinander und er versuchte, sie zu ordnen. Dabei stellte er fest, dass es hauptsächlich Sakura Haruno war, die für das Chaos in seinem Kopf verantwortlich war. Madara hielt nicht sehr viel von Menschen. Aber er fühlte sich aus irgendeinem Grund zu Sakura hingezogen, und er versuchte beinahe schon verzweifelt zu elaborieren, was es war, das ihn so fühlen ließ. Die Katzen hatten kein Gesetz, das ihnen verbot, sich mit Menschen zu vermischen; die Nachkommen einer Katze und eines Menschen hatten nicht mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie die Nachkommen einer Fledermaus und eines Menschen. Trotzdem war es selten zu solchen Verbindungen gekommen. Das rührte daher, dass Fledermäuse menschenaffin waren. Madara runzelte die Stirn. Es war zutiefst widersprüchlich, dass gerade die Katzen, die kollektiv nicht besonders viel von Menschen hielten und sie als niedere Substanz wahrnahmen, gesunde Nachkommen zu zeugen vermochten, während die Kinder von Menschen und Fledermäusen qualvolles Leid erfuhren. Sakuras Stimme brachte ihn in das Hier und Jetzt zurück. „Ich bin dann weg.“ Madara drehte den Kopf zur Tür. „Geh.“ Als Sakura ihre Wohnung verließ, drehte Madara sich auf die Seite. Er würde schlafen. Wenn Sakura nach Hause kommen würde, würde er nicht mehr da sein. Kapitel 5: ----------- * Tobirama machte Liegestütze mit einem Arm, als Hashirama eintrat. Er positionierte nun auch die zweite Hand auf den Boden und sprang auf seine Füße. Tobirama war wieder bei vollen Kräften. Endlich konnte er wieder Katzen jagen gehen. Im Gegensatz zu Madara war Tobirama nicht darauf aus, Madara aufzusuchen und ihn in Stücke zu reißen. Tobirama würde seinen Pflichten nachgehen, und wenn Madara zu ihm kommen würde, um den Tod seines übereifrigen jüngeren Bruders zu rächen, dann würde Tobirama dem Kampf nicht ausweichen. „War etwas Besonderes?“, wollte er von seinem Bruder wissen. „Nein, heute überhaupt nicht“, antwortete Hashirama und zog sich seine Jacke aus. Er war rechtzeitig zurückgekommen, also hatte er Sakura Haruno heute nicht zum Arbeitsplatz begleitet. Tobirama war stolz auf seinen Bruder – Hashirama schien sich seine Ratschläge und Warnungen zu Herzen genommen zu haben. „Gut.“ Die Dachhasen hatten den Verstand verloren. Dass Katzen nicht viel von Menschen hielten, war bekannt; aber in den letzten Tagen waren zwei Menschen umgekommen, weil man ihnen ihre gesamte Energie ausgesaugt hatte, und dutzende mussten gegen Schwächegefühle kämpfen, die sie selbst beim Verrichten alltäglicher Dinge behinderte. Irgendwelche Katzen hatten ihnen viel zu viel Energie geraubt. Tobirama fand diese Entwicklung gar nicht gut. In der Zeit, in der seine Verletzungen geheilt waren, hatte Hashirama ihn mit Neuigkeiten und den letzten Befehlen von oben versorgt. Ab heute hatte man jeder Fledermaus ein Gebiet zugeteilt, das sie unter keinen Umständen verlassen durfte; die Sicherheit der Menschen, die in diesen Gebieten lebten, hing davon ab. Hashirama war Sakuras Wohngegend zugeteilt worden. Tobirama fand auch das nicht gut. Er glaubte, um Gottes willen, nicht, dass Hashirama mit Sakura flirten würde, während in seinem Rücken Menschen starben. Aber er befürchtete, dass Hashirama dann und wann abgelenkt sein könnte. Sogar eine einzelne Sekunde der Unachtsamkeit konnte fatale, wenn nicht letale Folgen nach sich ziehen. „Hashirama.“ Tobiramas Stimme und Blick waren ernst, sehr ernst. „Wenn wir spä-“ „Ich weiß“, unterbrach Hashirama ihn, weil er wusste, was Tobirama zu sagen hatte. „Ich weiß. Mach dir bitte keine Sorgen. Lass uns schlafen.“ Tobirama betrachtete seinen Bruder schweigend und ging dann an ihm ins Bad vorbei. Hashirama warf sich auf die Couch und holte sein Handy hervor. Wenn er wenigstens Sakuras Nummer hätte, wenn er wenigstens auf diesem Weg ab und an Kontakt zu ihr aufnehmen könnte… Er wollte keine Fledermausfrau. Er wollte Sakura Haruno, und er schien diese Frau jeden Tag mehr und mehr zu wollen, selbst wenn er sie nur kurz oder überhaupt nicht sah. * Ihre Wohnung war leer. Sie musste sich nicht einmal umsehen, um sich dessen sicher zu sein. Madara war fort. Sakura entledigte sich ihres Mantels und ihrer Schuhe und spazierte langsam durch die Wohnung, so als wollte sie nach seinen Überbleibseln suchen. Aber er hatte nichts hinterlassen, außer Katzenhaaren und seinem Geruch, der ganz schwach zu vernehmen war. Sakura presste die Lippen aufeinander. Sie glaubte wirklich nicht, dass er sein Geschäft verrichten war. Dafür verspürte sie ein zu starkes Gefühl der Endgültigkeit. Sakura legte ihre Tasche auf das Sofa im Wohnzimmer ab. Sie war traurig. Madara war ein schäbiger Kerl. Aber sein Verschwinden hatte ein Loch in ihrer linken Brust geschaffen. „Ich habe ihm sogar dieses Mal Kaninchenfleisch gekauft“, murmelte Sakura bitter lächelnd. „Das mochte er am meisten.“ Reiß dich zusammen!, fuhr sie ihre eigene Person an. Sieh es positiv: Keine nackten Überraschungen mehr, kein Geldausgeben für Katzenfutter… Und kein Kerl. Madara war tatsächlich liebenswürdiger gewesen als ihre zwei letzten Partner, wenn sie darüber nachdachte, und ja, seine Nacktheit hatte sie manchmal angesprochen. Zum Teufel mit den Männer. Auch mit diesem Katzenmann! Sakura plumpste auf das Sofa und bedeckte ihre Augen mit den Händen. Nur wenige Augenblicke später wurde ihr Körper von einem Schluchzer nach dem anderen erschüttert. „Verdammter Mistkerl“, schimpfte Sakura unter Tränen. Als Sakura sich beruhigte und einigermaßen wieder zu sich gekommen war, sah sie aus dem Fenster. Draußen war es dunkel. Ihre Hände ballten sich nach einiger Zeit zu Fäusten und in ihr Gesicht trat Entschlossenheit; dann Unsicherheit, dann wieder Entschlossenheit. Sakura warf sich ihren Mantel über und verließ ihre Wohnung. Zu ihrer Verblüffung traf sie auf Hashirama. Im ersten Moment zuckte sie erschrocken zurück, doch dann erfasste sie ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Er strahlte diese Dinge aus. Dieses Mal zauderte Hashirama nicht. Das konnte er sich unter den Bedingungen nicht erlauben. Er ging auf Sakura zu und begrüßte sie freundlich. „Sind sie zum Spazieren hinausgegangen?“, fragte er und bemühte sich um einen unaufdringlichen Tonfall. Er hatte es sich vorgenommen, mehr über Sakura in Erfahrung zu bringen. Hashirama musste solche kostbaren Gelegenheiten prompt beim Schopfe packen, wenn es so ruhig war wie jetzt gerade. Sakura verlor sich in seinen Augen, die selbst in dieser kühlen Nacht Wärme ausstrahlten. Ihre Zunge lag schwer in ihrem Mund wie nach mehreren Gläsern Alkohol. „Eigentlich…“ Eigentlich war sie hinausgegangen, um nach Madara zu suchen. Aber jetzt fiel ihr das überhaupt nicht mehr ein. Hätte Hashirama nicht den Blick von ihr genommen, wäre sie damit fortgefahren, ihn weiterhin anzustarren wie verzaubert. „Ich denke schon“, sagte Sakura geistesabwesend. Wie auch letztes Mal begleitete er sie ein Stück, wobei Sakuras Füße sich selbständig gemacht hatten. Er fragte sie nach ihrer Gemütsverfassung, fragte sie auch nach ihrem Namen und nannte ihr den seinen. Der örtliche Discounter mit seinem gelben, leuchtenden Schriftzug über dem Eingang erinnerte Sakura daran, was sie ursprünglich vorgehabt hatte. Es galt, Hashirama abzuwimmeln. Er schien nett zu sein und keine bösen Absichten zu verfolgen – er war ihr keinmal zu nahe gekommen und verhielt sich zurückhaltend. Aber Sakura wollte Madara finden. „Ich werde einkaufen gehen“, log sie Hashirama an und hielt an der Einfahrt zum Parkplatz. Damit Hashirama nicht auf die Idee kam, dass sie ihn loswerden wollte – was ihn wahrscheinlich kränken würde – streckte Sakura zum Abschied ihre Hand aus und fügte lächelnd hinzu: „Hat mich gefreut.“ „Mich ebenso“, sagte Hashirama und ließ sie widerwillig ziehen. Sakura bewegte ihre Füße bis zum Ende des Discounters und blieb vor den Kühlregalen stehen. Sie suggerierte den Eindruck, die Joghurtbecher vor sich zu betrachten. In Wirklichkeit dachte sie über Hashirama nach. Er war eine Fledermaus, zweifelsohne. Die Aura, die von ihm ausging, kongruierte mit Madaras Beschreibungen über diese Wesen. Hatte Madara den einen Tag vielleicht gegen Hashirama gekämpft? War es möglich? War sie vor wenigen Minuten vielleicht mit Madaras Feind Seite an Seite spazieren gegangen? Schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit und sie erinnerte sich an Madaras drohende Worte, sie solle sich von dem Fledermausmann fernhalten. Der ist eh nicht da, dachte Sakura verärgert. Es interessierte sie aber, was Hashirama von ihr wollte. Wusste er vielleicht, dass Madara sich bei ihr eingenistet hatte? Diesen Gedankengang schleuderte Sakura sogleich aus dem Kopf. Nein. Das konnte nicht sein. Der Fledermausmann hätte schon längst zugeschlagen, womöglich in ihrer Abwesenheit. Sakuras Kopf schmerzte. Zu viele Fragen. Sie konnte vieles ausschließen, doch vieles musste fürs Erste, wenn nicht für immer, unbeantwortet in ihrem Kopf verweilen. Sakura beschloss, vorsichtshalber ein wenig länger zu warten. Hoffentlich würde sie ihm nicht gleich in die Arme laufen. Zehn Minuten vergingen. Sakura wartete noch ein paar Minuten, vertrieb sich die Zeit mit der Inspektion der aktuellen Angebote und begab sich dann zu den Kassen. Hashirama war zu Sakuras Erleichterung nirgendwo zu sehen. Sie verfiel in Nachdenklichkeit. Was würde sie zu Madara sagen, wenn sie ihn finden würde? Was war der gewichtigste Grund für ihre Suche nach ihm? Wollte sie, dass er sie gelegentlich besuchen kam? Sakura war ihren Impulsen gefolgt. Jetzt musste sie sich mit der erwachten Rationalität auseinandersetzen. Wo soll sie überhaupt nach ihm suchen? Er konnte überall sein. Der Gedanke daran, dass er vielleicht nicht einmal mehr in dieser Stadt sein könnte, machte ihr zu schaffen. Madara war einfach verschwunden, ohne ihr zu sagen, dass er noch heute gehen würde. Nicht einmal eine Notiz hatte er hinterlassen. Bedeute ich ihm nichts? Nichts? Dabei hatte sie den Eindruck gehabt, Madara hätte angefangen, sich für sie zu interessieren. Er hatte seine Fragen um ihre Wenigkeit stets nebenbei gestellt, oftmals gänzlich aus dem Kontext heraus, und hatte sie aus dem Konzept gebracht. Er schien sie nicht einfach toleriert zu haben. War sie nach vier Jahren des Alleinseins so verzweifelt, dass sie allen Ernstes dabei war, Gefühle für einen Kerl zu entwickeln, der, ohne nett zu fragen, ihr Eigentum für sich beansprucht und sie als sein Dienstmädchen genutzt hatte? Und, oh, die vielen Katzenhaare! So sehr sie sich der negativen Dinge auch bewusst war – Sakura konnte nicht leugnen, dass seine Präsenz sie glücklich gemacht hatte. Sowohl in seiner tierischen als auch in seiner menschlichen Form. Nach Hause zu kommen und Zweisamkeit vorfinden. Das war es, was sie wollte. Besonders tief in ihre Erinnerungen eingebrannt hatte sich das Geschehen gestern in der Badewanne. Ebenso seine Frage danach, weshalb sie keinen Mann habe. Ihm war bereits recht früh aufgefallen, dass sie Single war. Madara hatte es offenbar irritiert. Viele irritierte das, wenn Sakura ihnen gestand, schon seit längerer Zeit keinen Mann kennengelernt zu haben. Sakura vergrub die Hände in ihre Manteltaschen und zog die Brauen zusammen. Sie würde versuchen, ihn zu finden. Was sie ihm dann sagen würde, das würde sich schon irgendwie spontan ergeben. Wenn sie ihn innerhalb der nächsten Stunden nicht finden würde, würde sie nach Hause gehen. Wenn er von selbst zu ihr kommen würde wie es bei Katzen üblich war, dann würde sie sich freuen. Wenn er sie in den nächsten Tagen nichts, gar nichts von sich wissen lassen würde, dann würde sie versuchen, Madara zu vergessen. Sakura nickte energisch. Ja, so ist es gut. Sie inspizierte die Gegend und beschloss, nach links zu gehen, in die Richtung des Parks, um einem eventuellen Aufeinandertreffen mit Hashirama zu entgehen. Sakura brauchte etwa zwanzig Minuten zu Fuß. Ihre Tasche hatte sie nicht mitgenommen und hatte sowohl Geld als auch Fahrkarte zurückgelassen. Nach Hause gehen, um ihre Tasche zu holen, wollte sie nicht; sie war zu determiniert, Madara ausfindig zu machen und hatte Angst, ihn auf der kommenden Strecke zu verpassen, wenn sie den Heimweg einschlüge. Und außerdem war da noch Hashirama… Neue Fragen kamen auf und Sakura musste sie mühevoll zurückdrängen. Als sie ein Altenheim passierte, hatte sie das Gebiet, über das Hashirama wachte, längst verlassen. Sakura sah bereits die abgeschlossenen Tore des Parks, da erreichte ein Miauen ihre Ohren. Madara!, schoss es Sakura im ersten Moment durch den Sinn. Doch das Miauen unterschied sich stark von den Geräuschen, die Madara in seiner Katzengestalt von sich gab. Sakura sprang zur Seite, als den Büschen zu ihrer Linken ein Rascheln entkam. Eine große schwarze Katze sprang auf den von Straßenlaternen erleuchteten Sandweg. Das war nicht Madara, das erkannte Sakura an den Vorderpfoten, die vom weißen Fell bedeckt waren. War das eine gewöhnliche Katze? Das Tier setzte sich auf den Weg, kratzte sich ausgiebig und sah Sakura an. Auf sie wirkte die Katze vollkommen normal. Sakura war trotzdem skeptisch. Aber wenn Madara ihr nichts getan hatte – was soll schon diese Katze mit ihr machen? Vorsichtig ging Sakura in die Hocke und streckte ihre Hand aus. Interessiert wurde sie von der Katze angesehen. Jetzt erst entdeckte Sakura ein schmales Halsband und lächelte. „Dann bist du also eine ganz normale Katze.“ Die Katze stand auf, kam auf sie zu und ließ sich streicheln. Ein lautes Surren zerschnitt die Luft, gefolgt von einem Gurgeln und einem dumpfen Aufprall. Sowohl die Katze als auch Sakura schreckten hoch; die Katze machte sich sofort aus dem Staub, während Sakura wie erstarrt stehen blieb. Ein Mann mit dunklen Haaren sprang über das Tor und richtete sich langsam zu seiner vollen Größe auf. Sein Kopf flog zu Sakura und seine irren, schwarzen Augen fixierten sie an Ort und Stelle. Sakura bekam Gänsehaut. Die rechte Hand des Mannes war komplett blutverschmiert, was Sakura Panik in die Glieder trieb. Dieser Anblick war es, der sie dazu brachte, sich aus ihrer Starre zu lösen. Sie schrie auf, machte auf dem Absatz kehrt und lief den Sandweg zurück zu der Wohngegend. Der Mann grinste, rannte hinter ihr los und hätte sie beinahe mit seiner blutigen Hand zu fassen bekommen, wenn sie ihm nicht plötzlich wie durch Geisterhand abgetrennt worden wäre. Sakuras Verfolger brüllte auf vor Schmerz und blieb stehen. Sakura wirbelte herum und sah, wie ihr Retter einen langen Stab in den Rücken des am Boden liegenden Mannes bohrte. Der Verletzte spuckte Blut, streckte seine heile Hand heraus und starb. Sakura atmete schwer. „Du…“ Kapitel 6: ----------- * Der Mann, der ihr zur Hilfe gekommen war, war ein Mann mit weißem, in alle Richtungen abstehendem Haar. „Du bist eine Fledermaus. Ich habe ganz genau gesehen, wie du dich verwandelt hast.“ Zwar nur für den Bruchteil einer Sekunde – aber da sie um die Existenz dieser Wesen wusste, zweifelte sie für keine Sekunde an ihrer visuellen Wahrnehmung. Bei dem Stab, den ihr Retter in den Rücken des Mannes gebohrt hatte, handelte es sich um keinen gewöhnlichen Stab; er brachte den Toten nicht nur dazu, Katzengestalt anzunehmen, sondern brannte ihm auch das Fell und das Fleisch von den Knochen nieder. Das Skelett fiel in sich zusammen, und zurück blieb nur etwas Asche. Tobirama verkleinerte den Stab und machte einen Schritt auf Sakura zu, was wiederum bewirkte, dass Sakura reflexartig zurückwich. Nun lernte sie also die andere Partei kennen. „Woher weißt du das?“, fragte Tobirama sie misstrauisch. „Hat Hashirama dir das erzählt?“ Wenn er in Erfahrung bringen sollte, dass Hashirama auch nur ein Wort zu Sakura gesagt hatte, würde er seinen älteren Bruder rügen. Hashirama? Sakura lächelte verkrampft. Die Angst beherrschte sie noch immer. Nichtsdestotrotz war sie fähig zu kombinieren. Hashirama war eine Fledermaus; die Bestätigung hatte sie soeben erhalten. „Nein“, antwortete sie. „Es… ist eine lange Geschichte.“ Sakura blickte auf die Asche zu Tobiramas Füßen, und ein kalter Schauer jagte ihren Rücken hinab. „Was hast du mit ihm gemacht? Das war doch eine Katze.“ „Ich werde nichts sagen, bevor du mir nicht sagst, woher du von unserer Existenz weißt“, erwiderte Tobirama nach kurzem Überlegen. „Dass es eine lange Geschichte ist, tut nichts zur Sache.“ Just in diesem Moment spürte Tobirama das Nahen einer Katze, die sich überhaupt keine Mühe machte, ihre Aura zu unterdrücken. Sie kam ihm bekannt vor. Er ging in Kampfstellung, was Sakura panisch herumwirbeln ließ. Tobirama knirschte mit den Zähnen. Er konnte nicht bestimmen, aus welcher Richtung Madara kam. Ihm war, als hätte Madara sich multipliziert und wäre im Begriff, ihn zu umzingeln. „Verschwinde von hier!“, rief Tobirama plötzlich, zusammenfahrend, aus. „Schnell!” Das Folgende passierte so schnell, dass Sakura es nicht sofort wahrnahm: So schnell wie ein Blitz schlug Madara von hinten zu. Die Kraft seiner bloßen Faust in Tobiramas Rücken ließ ihn einen schmalen Bogen in der Luft beschreiben. Tobirama kollidierte mit dem Parktor und keuchte auf vor Schmerz und Überraschung. Die Waffe fiel ihm aus der Hand und er blieb gegen die kalten Stäbe des Tors gepresst, das sich nach der Kollision nach innen gebogen hatte. Madara war sich Sakuras Anwesenheit überhaupt nicht bewusst. Alles, was er sah, war Tobirama. Der Mann, der seinen Bruder getötet und ihm somit das letzte noch lebende Familienmitglied genommen hatte. Ihn beherrschte der Wunsch nach Rache, und Madara freute sich, Tobirama so schnell ausfindig gemacht zu haben. Mit langsamen, bedrohlichen Schritten kam Madara auf Tobirama zu. Er hatte keine Waffe. Er würde Tobirama mit seinen bloßen Händen töten. „M-Madara, halt!“, rief Sakura, aus ihrer Starre erwachend. Madara hielt abrupt inne und sah zu Sakura, die jetzt erst begriffen hatte, was soeben passiert war. Madara war überrascht, Sakura nur wenige Meter entfernt vorzufinden. Auch Tobirama reagierte überrascht, darüber, dass Sakura den Namen dieser Katze kannte und Madara dazu gebracht hatte, innezuhalten. War sein Gesicht eben noch vor Mordlust zu einer Grimasse verzogen gewesen, waren seine Gesichtszüge jetzt beinahe weich und entspannt. Tobirama verstand sofort, dass die beiden einander kannten. Die Frau war ein Mensch, so viel stand fest. Nur in welcher Beziehung stand sie zu Madara? Wieso hatte er auf sie gehört? „Was machst du hier?“, fragte Madara Sakura und klang erbost. Sakura konnte nicht vergessen, wie Madara Tobirama gegen das Parktor fliegen hatte lassen. Seine Kraft, die sie nun kannte, schüchterte sie ein. „I-Ich wollte…“ Madara wehrte Tobiramas versuchten Angriff mit dem Stab ab. „Ich habe dich nicht vergessen, Tobirama. Keine Sorge.“ Die Berührung mit dem Stab ließ ihn das Gesicht verziehen. Das Material brannte gegen seine Haut, weshalb er kurz das Gesicht verzog und Tobirama gewaltsam mit einem Tritt zurückstieß. Tobirama fand schnell wieder festen Halt unter den Füßen und grinste höhnisch. „Überrascht, Madara? Das ist meine Neuentwicklung.” Sakura sah zwischen den Männern hin und her. Ein gewöhnlicher Mensch wäre nach Madaras Aktion nicht mehr in der Lage gewesen aufzustehen. Diese Wesen verfügten nicht nur über außerordentliche psychische, sondern auch physische Fähigkeiten. „Du kannst mit deinem Zauberstab so viel rumfuchteln, wie du willst. Er wird dir nichts nützen“, meinte Madara. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was hier in letzter Zeit passiert ist, Madara?“, wollte Tobirama von Madara wissen. Madara verengte die Augen. „Nein. Warum sollte es mich auch interessieren?“ „Es sollte dich interessieren. Dein Fellknäuelverein ist durchgedreht. Sie töten Menschen. Mittlerweile nicht nur durch totalen Energieraub, sondern sie fügen Menschen sichtbare Verletzungen zu.“ Tobirama sah Madara eindringlich an und deutete mit dem Kinn zu dem Parktor. „Dort liegt eine Menschenleiche. Sie ist aufs Übelste verstümmelt worden.“ Madara blinzelte nicht einmal in die Richtung, in die Tobirama gedeutet hatte. Ob er ihm glaubte, war seiner Mimik nicht zu entnehmen. „Madara!”, rief Sakura hysterisch aus, als Madara sich plötzlich zu einem weiteren Angriff bereitmachte. „Was hast du vor?” „Ich werde ihn töten“, antwortete Madara eisig, ohne sie anzusehen. Er wollte sie ausblenden, damit er Tobirama endlich zur Hölle schicken konnte. Danach konnte er sich mit dem auseinandersetzen, was in seiner Abwesenheit angeblich geschehen war. „Er hat mir gerade das Leben gerettet“, protestierte Sakura. Trotz ihrer Furcht, trotz dessen, was sie soeben gewahrt hatte, stellte sie sich zwischen die beiden Männer und breitete ihre Arme aus, was Tobirama ungläubig den Kopf recken ließ. Mit unsicherer Stimme sagte Sakura: „Es tut mir leid, aber ich kann nicht zulassen, dass du ihm etwas antust.” In Madara erwachte ein so enormer Groll gegen Sakura, dass er ohne es zu beabsichtigen begann, ihre Energie in großen Mengen aufzusaugen. Sakura spürte erst Schwäche in den Armen, dann in den Beinen und hatte Mühe, aufrecht zu stehen. Madara kam auf sie zu, und mit jedem Schritt wurde sein Haar voluminöser und sein Blick finsterer. Sakura Beine indes zitterten. „Du willst also den Mann schützen, der mir meinen Bruder weggenommen hat? Willst du das, Sakura? Stellst du dich auf seine Seite? Das hätte ich nicht von dir erwartet.“ Sakura war unfähig, ihm zu antworten. Sie bekam keine Luft. Ihr Herz schlug langsam, ihre Sinne begannen zu schwinden. Madara kam zum Stehen, weil er merkte, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Er schaute auf seine Hände und begriff nicht so recht, was geschah. Er konnte über den Prozess der Energieabsorption keine Kontrolle erlangen, nahm immer mehr und mehr Energie in sich auf, die in ihm den Drang nach Hyperaktivität hervorrief. Sakura wurde schwarz vor Augen. Hätte Tobirama sie nicht rechtzeitig aufgefangen, wäre Sakura auf den Erdboden aufgeschlagen; zu paralysiert war Madara durch die Erkenntnis, Sakura in die Bewusstlosigkeit getrieben zu haben. Madaras Aufmerksamkeit hatte sich von Tobirama zu Sakura verschoben. Sein Herz raste vor Energieüberschuss und er konnte nicht glauben, was er ihr angetan hatte. Sakuras Anblick war der Grund, weshalb er nicht den Verstand verlor. „Ich weiß nicht, was diese Frau dir bedeutet“, sagte Tobirama, „aber du hast ihr eben Schaden zugefügt.“ Jetzt, da Sakura sich in Tobiramas Armen befand, wollte Madara Tobirama nicht angreifen. Ein schrecklicher Gedanke kam ihm. „Ist sie tot? Sag es mir, Fledermaus.“ Tobirama erhob sich mit Sakura in seinen Armen. „Nein.“ Madara knirschte mit den Zähnen und balle die Hände zu Fäusten. Schritte und Stimmen ertönten. Tobirama nutzte die Gelegenheit, um zu verschwinden. * Behutsam legte Hashirama Sakura auf ihr Bett ab. Er konnte nicht länger als fünf Minuten hier sein. Dann musste er auf seinen Posten zurückkehren. Am liebsten würde Hashirama den gesamten restlichen Abend und die ganze Nacht bei Sakura bleiben. Tobirama hatte ihm kurz und bündig geschildert, was vorgefallen war; sie würden sich aber erst später ausführlich über den Vorfall unterhalten. Die Katze, die Sakura hatte angreifen wollen, hatte zuvor einen Jugendlichen getötet. Nicht dadurch, dass sie dem Jungen die Energie ausgesogen hatte, sondern getötet, mit der bloßen Hand. Tobirama hatte es nicht verhindern können, aber er hatte bereits eventuelle Zusammenhänge zwischen Energieüberschuss und Mordlust hergestellt und würde nach einem Gespräch mit Hashirama den anderen Fledermäusen Bericht erstatten. Hashirama betrachtete Sakura stumm. Es schmerzte, sie so zu sehen. Er berührte vorsichtig ihre Hand mit seinen Fingern und lächelte leicht. Sie würde es in den nächsten Tagen schwer haben. Hashirama wusste nicht, ob er sie besuchen könnte. Er sah sich kurz in ihrem Schlafzimmer um, bevor er die Wohnung verließ. An einem Laternenpfahl lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt, Toka Senju. Ihre Anwesenheit verwunderte Hashirama. Toka erschien immer dann, wenn etwas Kurzfristiges, Wichtiges überbracht werden musste. Die Fledermausfrau stützte sich vom Laternenpfahl ab. Die beiden kamen einander entgegen und blieben eine Armlänge entfernt voneinander stehen. „Was gibt es, Toka?“, wollte Hashirama wissen, nachdem zwei Passanten an ihnen vorbeigegangen waren. „Es gab Änderungen“, setzte ihn Toka in Kenntnis. „Du solltest heute Nacht bei dieser Menschenfrau bleiben. Dass Madara in irgendeiner Beziehung zu dieser Frau steht, hat die dort oben stutzig gemacht. Wir brauchen Informationen. Und da die Wahrscheinlich da ist, dass Madara Sakura Haruno diese Nacht aufsuchen könnte, hat man beschlossen, ihr Schutz zu geben. Ich werde dein Gebiet heute Nacht übernehmen. Was morgen sein wird, das steht noch nicht fest.“ Toka rieb sich den Nacken. „Wäre schön, wenn es wieder etwas ruhiger zugehen würde in dieser Stadt.“ „Ich habe das dumpfe Gefühl, dass es gerade erst angefangen hat“, gestand Hashirama ihr. Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte. Er konnte Zeit mit Sakura Haruno verbringen, aber die Umstände, die dazu geführt hatten, dass er nun über sie wachen musste, waren alles andere als ein Grund zur Freude. Daneben war sie bewusstlos und konnte ihm weder antworten noch ihn wahrnehmen. Hashirama verabschiedete sich von Toka und vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war oder aus Fenstern spähte. Dann verwandelte er sich in eine Fledermaus und flog durch das gekippte Küchenfenster in Sakuras Wohnung. In der Küche nahm er wieder seine menschlichte Gestalt ein und schnappte sich einen Stuhl, den er ins Schlafzimmer trug. Er schaltete die Nachttischlampe ein und setzte sich. Hashirama hatte tatsächlich keinen einzigen Hintergedanken, während sie so vor ihm lag. Es fühlte sich dennoch komisch an, hier zu sein, während sie bewusstlos war. Er wusste nicht einmal, was besser war: Ihr davon erzählen, dass er die Nacht an ihrem Bett verbracht hatte, oder einfach spurlos verschwinden, wenn der Tag kam? Sicher würde die Ärmste nach dem Aufwachen so einige Fragen haben. Hashirama atmete tief durch und beschloss, seine Gedanken vorerst in andere Bahnen zu lenken. * Ihre Lider kamen ihr schwer wie Blei vor, als sie sie unter Anstrengung hob. Sakura begegnete ihrer Schlafzimmerdecke. Eine Weile starrte sie apathisch vor sich hin, bevor sie sich aufzurichten versuchte. Es gelang ihr nicht. Ihre Augen weiteten sich, als sie sich daran erinnerte, was vor dem Eintreten ihrer Bewusstlosigkeit passiert war. Sakura wäre aus dem Bett hochgefahren, wenn sie nicht Kraftlosigkeit beherrschte. Sie versuchte, sich zu entspannen, schloss die Augen und begann, regelmäßig und kontrolliert zu atmen. Dann versuchte sie abermals aufzustehen. Dieses Mal gelang es ihr. Stück für Stück hievte sie ihren Körper vom Bett hoch und stützte sich dabei mit dem zitternden Arm auf der Matratze ab. Sie schaffte es, auf der Bettkante Platz zu nehmen. Sie war noch nie so fertig gewesen wie jetzt gerade. Madara hatte ihr viel zu viel Energie abgezapft. Sakura hatte seinen Gesichtsausdruck vor Augen, als er sich dessen bewusst geworden war, und sie war felsenfest davon überzeugt, dass er es nicht mit Absicht getan hatte. Seine Wut war dafür verantwortlich gewesen. Dennoch würde sie auf der Hut sein, sollte er hier auftauchen. Was war eigentlich mit Tobirama geschehen? Wie war sie hierhergekommen? Hatte Madara sie hierher gebracht? In ihrer Wohnung regte sich nichts. Sakura wartete, bis die Erschöpfung einigermaßen abgeklungen war, bevor sie den Versuch unternahm, vom Bett aufzustehen. Sie kam sich vor wie eine alte, kranke Frau. Gebeugt und zitternd stand sie nun vor dem Bett und wusste nicht, welche Bewegung sie als Nächstes ausführen sollte. Ein Miauen ertönte. Sakura verlor die Kontrolle und fiel vorwärts auf den Boden. „Ah“, entkam es ihren Lippen. Gott, wie das schmerzte. Sie hatte keine Möglichkeit gehabt, den Aufschlag sanft zu gestalten. Wenigstens war sie nicht mit dem Gesicht auf den Parkettboden aufgeschlagen, sondern war auf ihre Hände gefallen. Abermals hörte sie das Miauen von Madara und biss sich auf die Lippe. Gottverdammt, ging es ihr durch den Kopf. Sie bemühte sich, ihre Tränen zurückzuhalten, musste ihnen letztendlich aber freien Lauf lassen. Sie weinte sich aus, und dann kehrte Stille ein. Wie spät ist es?, fragte Sakura sich. Es war hell. Sofern sie nicht tagelang ausgeschaltet gewesen war, musste es Samstag sein. Sakura nahm die Schmerzen in all ihren Gliedern hin und nahm das kontrollierte, regelmäßige Atmen wieder auf. Oh Gott, ging es ihr durch den Kopf, da ist so viel Staub unter dem Schrank. Sakura riss sich zusammen und versuchte, ihre Hände zu bewegen. Stück für Stück schaffte sie es, an der Tür an ihrem Zimmer anzukommen. Weiter konnte sie vorerst nicht. Sie war zu erschöpft. Außerdem war ihr schwindelig. Sakura wollte dennoch stark sein. Nach einer längeren Pause robbte sie eine Strecke. Dann hielt sie inne, um sich zu erholen. Es dauerte gefühlte Stunden, bis sie in der Küche war. Trotz oder gerade wegen ihrer Lage konnte Sakura nicht anders, als sarkastisch zu denken. Wenigstens habe ich den Boden gewischt. Miau. Miau! Sakura konnte ihren Kopf nicht weit genug bewegen, um zu sehen, wer da hinter dem gekippten Küchenfenster saß. Nach wie vor war sie davon überzeugt, dass es Madara war. Sie hatte sein Gemaunze genug gehört. Tief atmete Sakura durch und versuchte dann, sich mithilfe des Stuhls vor ihrem Gesicht aufzurichten. Es dauerte, aber endlich stand sie auf ihren zittrigen Beinen und erblickte Madara in seiner Katzengestalt. Langsam schob sie ihren Körper zum Fenster, schloss es und öffnete es ganz. Diese Anstrengung war zu viel für sie; in ihrem Körper war keine Kraft mehr nach dieser Tat. Sakura sackte in Madaras Armen zusammen. Er schlang seine Arme um sie und drückte sie sacht gegen seine Brust. Sakura hörte seinen lauten, dumpfen Herzschlag. Sie erwartete, dass die Finsternis sie bei der Hand nahm, doch das trat nicht ein. Stattdessen wurde sie hochgehoben. „Bitte“, presste Sakura hervor. „Nicht wieder auf das Bett.“ Madara, der bisher kein einziges Wort an sie gerichtet hatte, trug sie ins Wohnzimmer und legte sie auf das Sofa ab. Er konnte spüren, dass hier ein Mann dagewesen war. Das gefiel ihm nicht. Er wollte Sakura im Moment aber nicht mit Fragen behelligen. Er betrachtete sie von oben bis unten – ihre schmutzige Kleidung, ihr erschöpftes Aussehen. „Hast du keine Angst vor mir?“, fragte er heiser. Sakura blinzelte zu ihm herüber. Ein seltsames Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. „Ehrlich gesagt schon.“ Madara sah zur Seite. „Es… war nicht deine Absicht.“ „Nein“, sagte Madara fest, auch wenn es keine Frage gewesen war. „Das hätte nie meine Absicht sein können.“ Sakura wollte etwas erwidern, aber es kam kein einziger Laut über ihre Lippen. „Du wirst vollkommene Ruhe brauchen“, sagte Madara. „Ich bleibe bei dir, bis du wieder einigermaßen du selbst bist.“ Dann war Tobirama wirklich dran. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)