„Sag es nicht.“ von Alaiya ================================================================================ Teil 3: Regenzeit ----------------- Es regnete. Natürlich regnete es. Der Regen war schon lange über gewesen. Immerhin war es Mai und damit Beginn der Regenzeit. Jayala trug ein festes Tuch über dem Kopf, als sie auf dem Weg durch das kleine Waldstückchen zu Manjiras Haus war. Der Trampelpfad, der von der Straße weg zu dem alten Haus führte, war matschig. Immer wieder saugten sich ihre Schuhe im Untergrund fest, doch sie traute sich nicht, sie auszuziehen, trieb das Wetter doch manchmal auch Schlangen näher an die Wege, die sie eigentlich mieden. Ihr Sari war schnell nass geworden. Fast rügte sie sich dafür, überhaupt zu gehen. Vielleicht war Manjira nicht einmal da. Sie konnte nicht sicher sein. Immerhin sagte Manjira ihr selten Bescheid, wenn sie ging. Meistens fand sie nur einen Zettel, eine Notiz, eine Nachricht für sich, mit der Bitte, nach Mitesh zu sehen. Doch als sie die Lichtung, an der das Haus stand, das mit seiner geringen Größe wohl eher als Verschlag bezeichnet werden konnte, erreichte, fand sie Manjira. Sie war draußen, vor dem Haus und schien zu trainieren. Sie hatte ein Schwert. Ein langes, eckiges Schwert. Jayala meinte, so etwas einmal in einem Museum oder im Fernsehen gesehen zu haben. Die Klinge war beinahe rechteckig. Wie in manch einem Film schien Manjira Übungen mit dem Schwert zu vollführen. Sie machte einen Schritt nach vorne, schien einen unsichtbaren Gegner in Schach halten zu wollen. Sie hob das Schwert, schlug dann zu, täuschte einen Angriff an, schlug dann wieder zu. Für einen Moment war Jayala nicht sicher, ob Manjira wirklich trainierte oder es doch einen unsichtbaren Gegner gab. Vielleicht war es sogar ein Rakshasa. Immerhin hatte sie nie einen Rakshasa gesehen. Vielleicht waren sie ja für das Auge von normalen Menschen, die nicht von Apsara oder anderen Avataren abstammten, unsichtbar? Das würde einiges erklären. Unsicher stand sie am Rand des kleinen, matschiges Platzes, während hier – jenseits des zumindest teilweise überhangenen Pfades – der Regen erbarmungslos auf sie niederprasselte. Sie starrte zu Manjira, die weitere Hiebe mit dem Schwert ausführte. Manche waren von Ausrufen begleitet – auch das hatte Jayala so in Filmen gesehen. Erst nach einer Weile hielt Manjira inne. Sie sah zu ihr. „Jala?“ Stumm nickte Jayala. War hier ein unsichtbares Monster oder nicht? Offenbar nicht, denn Manjira ließ das Schwert sinken und ging zu ihr hinüber. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen. Es wirkte, als sei sie sauer. „Wie lange bist du hier?“ Jayala schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“ Manjira musterte sie. Ihr Blick glitt ihre Kleidung rauf und runter. „Du bist ganz nass.“ Leise seufzte Jayala. „Du auch.“ Das stimmte. Das einfache T-Shirt, das Manjira getragen hatte, wie auch ihre Leinenhose, die sie offenbar zum Training angezogen hatte, klebten nass an ihrem Körper. Das T-Shirt eng genug, als dass sich Manjiras BH darunter abzeichnete. Jayala wandte den Blick unsicher ab. Sie hatte Manjira schon oft nackt gesehen und doch wirkte es so anders. „Komm rein“, meinte Manjira und reichte ihr die Hand. Ihr Blick wanderte zum nassen Plastikbeutel an ihrer Seite. „Du hast wieder etwas zu essen mitgebracht?“ Jayala nickte zögerlich. Unwillkürlich wanderte ihr eigener linker Arm über ihre Brust, auch wenn der feste Stoff ihres Saris trotz der Feuchtigkeit alles verbarg. Manjira musterte sie. Dann legte sie vorrangig eine Hand auf ihre Schulter. „Komm rein“, wiederholte sie und bugsierte sie vorsichtig in Richtung des Hauses. Der Regen war recht warm und doch stellte Jayala fest, dass sie etwas fröstelte, als sie in das kleine Häuschen kam. Das Feuer war erloschen. Es sah ganz danach aus, als sei die Feuerstelle das letzte Mal in der letzten Nacht genutzt worden. Manjira kümmerte sich viel zu selten um die Asche, die in einem kleinen Berg auf der Stelle lag. Sie stellte die Tüte, in der sie Naan und Tandoori mitgebracht hatte, ab. Kurz sah sie sich um, holte dann aber einige der Holzscheite von vor dem Verschlag, der der effektive Küchenverschlag war. Als sie sich umdrehte, war Manjira wieder dabei, sich auszuziehen. Unwillkürlich errötete sie wieder. Sie hatte Manjira schon so oft nackt gesehen, wenn sie ihre Wunden verarztet hatte, und doch kam sie nicht umher, den beinahe perfekten Körper der Apsara zu bewundern. Sie senkte den Blick und machte sich daran, das Feuer aufzuschichten. Schritte. Dann kniete Manjira – nun gänzlich nackt – bei ihr. „Lass mich das machen.“ Jayala kam nicht umher, sie anzustarren. Manjira lächelte matt. „Lass mich das machen. Du kannst mich nicht immer umsorgen, als wäre ich ein Kind.“ Für einen Moment zögerte Jayala, dann ließ sie die Holzscheite los und ließ sich zurück auf den Boden fallen. Sie zog die Beine an, schlang die Arme um sich. „Du solltest die nassen Sachen auch ausziehen“, meinte sie. Jayala schüttelte den Kopf. „Das geht schon.“ Manjira runzelte die Stirn, während sie die Scheite anhäufte. Sie holte etwas trockenen Zunder, ehe sie sich daran machte, das Feuer zu entfachen. Dann sah sie wieder zu Jayala. „Du kannst dir etwas von meiner Kleidung leihen, wenn es dir sonst zu peinlich ist.“ Jayala zögerte. Der nasse Stoff klebte nass an ihrer Haut und war unangenehm kühl. Ihre Wangen brannten. „Es geht schon“, murmelte sie nur wieder. Ein Seufzen war die Antwort. „Vertraust du mir so wenig?“ „Was?“ Jayala sah auf. „Ich …“ Sie zögerte. „Es ist nur …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ziemt sich nicht.“ Auch wenn sie ihre Eltern, seitdem sie auf der Farm lebte nicht mehr gesehen hatte, konnte sie manche Dinge nicht vergessen. Und selbst auf dem Hof ziemte es sich nicht, sich öffentlich zu entkleiden. Sicher, sie badete mit den anderen Mädchen, doch es war anders mit Manjira. Wieso eigentlich? „Soll ich solange rausgehen?“, bot Manjira an. Wieder zögerte Jayala, dann schüttelte sie den Kopf. „Es ist schon in Ordnung.“ Oder? „Kannst du mir etwas von dir rauslegen?“ Manjira lächelte, nickte. Dann stand sie auf und ging zu einer Kiste neben ihrem Nachtlager, aus der sie ein einfaches, schwarzes T-Shirt und etwas, das Jayala als eine graue Trainingshose aus teilweise dünn gescheuertem Stoff erkannte. „Ich hoffe dich stört die Hose nicht.“ Jayala schüttelte den Kopf. Sie trug auf dem Hof manchmal Hosen, da es Arbeiten am Dach und dergleichen erleichterte. „Danke“, murmelte sie leise. Unsicher stand sie auf und ging zum anderen Ende des Raumes. Sie wandte Manjira den Rücken zu, sah sich aber dann noch einmal zu ihr um. Wie versprochen sah Manjira weg. Mit einem leisen Seufzen begann Jayala sich zu entkleiden. Sie entrollte den Sari, der über ihre Schulter lag und ließ den Stoff zu Boden fallen. Für einen Moment zögerte sie. Der Unterrock, den sie trug, war nicht nass, nur etwas feucht. Doch dann löste sie auch ihn, der mit einem einfachen Gummiband um ihre Hüfte lag, und zog ihn aus. Zumindest ihre Unterhose war trocken. Anders als ihr Bustier. Noch einmal sah sie zu Manjira, ehe sie auch aus dem Oberteil schlüpfte und schnell das T-Shirt überzog. Zu schnell – sie hatte es verkehrt herum an. Etwas unbeholfen – sie trug so etwas selten – bemühte sie sich, das Shirt richtig herum zu ziehen. Dann seufzte sie leise. Manjira drehte sich um. „Oh“, meinte sie, als sie sah, dass Jayala die Hose noch nicht übergezogen hatte. Schnell drehte sie sich erneut. Jayala seufzte. Warum fühlte sie sich nur so unbeholfen? Irgendwie schaffte sie es, in die Hose zu schlüpfen, ohne sich unnötig weiter zu blamieren. Sie holte tief Luft und drehte sich dann um. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass Manjira ihre Wäsche irgendwann irgendwie wusch und dann aufhängen musste. Oder besuchte sie einen Waschsalon oder so etwas? Jedenfalls war sie nicht sicher, was sie mit dem feuchten Sari und Rock tun sollte. Noch immer hielt Manjira den Blick bewusst abgewandt. Jayala räusperte sich. „Kann ich meine Sachen irgendwo zum Trocknen aufhängen?“ Immerhin würde man ihr nur Fragen stellen, wenn sie in Manjiras Kleidern zurückkommen würde. Beinahe erschrocken sah Manjira zu ihr. Sie brauchte einen Moment, um zu antworten: „Ich hänge meine Sache zum Trocknen über einen Stuhl beim Feuer.“ Sie sah zu dem einzigen Stuhl im Zimmer. Einen alten, mit abblätternder, weißer Farbe bestückten Holzstuhl. Dann räusperte sie sich, sprang in einer fließenden Bewegung auf und holte den Stuhl, um ihn zum Feuer zu stellen. „Ich kann meine Sachen später aufhängen.“ Jayala nickte und machte sich stumm daran. Sie sah zu Manjira. Sie wirkte heute anders als sonst. Meistens wirkte sie beherrschter, erwachsener, doch im Moment war sie beinahe unsicher. „Danke“, murmelte sie, als sie sich schließlich Manjira gegenüber vor das Feuer fallen ließ. „Du hättest immerhin nicht kommen brauchen“, erwiderte Manjira. „Ich meine …“ Sie deutete ein Kopfschütteln an, während ihr Blick in die Flammen gerichtet war. „Wieso?“ Jayala versuchte zu lächeln, unsicher, ob es ihr gelang. „Ich wollte nach Mitesh sehen. Und wenn ich dir nichts bringe … Ich meine, was isst du dann überhaupt?“ Manjira zuckte nur mit den Schultern. Schweigen. Der Regen, der auf das alte Dach prasselte, schien so unglaublich laut. Der Wind rauschte in den das Haus umgebenden Bäumen. Die Flammen knisterten. Jayalas Blick wanderte zu ihrem rosa Sari. Was machte sie nur hier? Ihr Blick wanderte weiter zu Mitesh, der zu schlafen schien, und dann dem Schwert, mit dem Manjira zuvor trainiert hatte. Sie hatte dieses Schwert noch nie gesehen. Bisher hatte sie Manjira nur mit Messern oder Dolchen gesehen. Konnte sie danach fragen? Wie so oft war sie sich unsicher. Warum war sie so unsicher, wenn es um Manjira ging? Eigentlich sollte sie wissen, was sie wollte. Sie konnte selbst über ihr Leben bestimmen, sollte ihren eigenen Weg wählen und Manjira … Manjira konnte manchmal so kalt sein. Ach, wieso wanderten ihre Gedanken dahin? Ihr Blick fokussierte sich erneut auf die Waffe, die in einer rothölzernen Scheide neben Manjira lag. Sie räusperte sich. „Was ist das für ein Schwert?“ Wieder schien Manjira erschrocken, ihre Stimme zu hören. Sie sah zu ihr, dann zu dem Schwert. „Ich habe es bekommen.“ Sie schien nach Worten zu suchen. „Von meinem Meister.“ „Deinem Meister?“ „Ja.“ Manjira zögerte. „Ich … Also von denen … Sie schürzte ihre Lippen. „Diejenigen, für die ich arbeite.“ Sie sah zur offenen Tür des Häuschens. „Sozusagen“, setzte sie dann leiser nach. „Du meinst, von den Dämonenjägern oder was auch immer?“ Klang es herablassend? Jayala war sich nicht sicher. Es sollte nicht herablassend klingen. Sie hasste nur den Gedanken daran, dass Manjira kämpfte, ihr Leben riskierte, um was auch immer zu erreichen. Manjira nickte. Was sollte sie darauf noch antworten? Jayala folgte dem Blick ihrer Freundin. „Warum kämpfst du?“ Sie hatte die Frage schon so oft gestellt. „Weil es wenige gibt, die es sonst tun könnten“, erwiderte sie. „Aber es gibt andere.“ Jayala sah sie an. Manjira schüttelte den Kopf und schien gleichzeitig zu nicken. „Ja, aber …“ Noch ein Kopfschütteln. „Wenige.“ „Und?“, fragte Jayala. „Ich meine, willst du deswegen einfach weitermachen?“ Sie bemerkte zu spät, dass ihre Stimme einen wütenden Unterton bekam. Mitesh' Ohren zuckten. Er sah auf, sah zu ihr. Ein genervtes Seufzen war zu hören. „Ich habe nicht wirklich eine Wahl, weißt du?“ Nun klang auch Manjira angespannt, wenngleich nicht wütend. „Warum nicht?“ Manjira antwortete nicht. Wieder sah sie zur Tür. „Warum ist es dir so wichtig?“ „Weil ich nicht will, dass du irgendwann nicht zurückkommst!“ Jayalas Stimme wurde lauter, ehe sie sich beherrschen konnte. Sie spürte ihr Herz schneller schlagen, unsicher weshalb. Waren es ihre Gefühle? War es Wut, weil Manjira nicht verstand? Sie sah zu Manjira, hoffte, dass sie etwas sagen würde, doch Manjira schwieg. „Ich …“ Sie, Jayala. „Manjira, ich …“ „Ich weiß.“ Deutlicher Nachdruck lag in Manjiras Stimme. Sie hatte die Augenbrauen in einem Ausdruck stummer Verzweiflung zusammen gezogen. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß.“ Nun war ihre Stimme nachgiebiger, sanfter. Bildete Jayala es sich ein oder glitzerten wirklich Tränen in Manjiras Augen? „Manjira …“, begann sie erneut. „Ich weiß“, erwiderte die Apsara erneut. „Es tut mir leid.“ Jayala zögerte. „Es ist nicht deine Schuld“, flüsterte sie dann. Über die Flammen hinweg sah sie zu Manjira. „Oder?“ Für einen Moment wirkte es, als würde Manjira ihrem Blick ausweichen, doch dann sah sie zu ihr, nun deutlich mit Tränen in den Augen. Wieso wirkte sie so nur noch schöner? Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Nein. Ich … Ich habe eine Aufgabe, aber ich …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid“, wiederholte sie dann wieder. Schweigen. Noch immer sah Mitesh sie wie gebannt an, während der Regen gegen das Dach prasselte und der Wind die Bäume rauschen ließ. Jayala konnte es nicht länger ertragen. Vorsichtig rückte sie um die ohnehin kleine Feuerstelle herum. Sie zögerte, lehnte sich dann gegen Manjiras Schulter. Für einen Moment saß Manjira nur da, doch dann legte sie einen Arm um sie, hielt sie. Sie küsste sie auf die Stirn und für einen Moment sah Jayala ihre Freundin an. Doch wieder schüttelte Manjira den Kopf. Jayala wusste, was sie sagen wollte: „Sag es nicht.“ Warum auch immer sie nicht hören wollte, was sie doch beide genau wussten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)