Sünde von Labrynna ================================================================================ Kapitel 60: Gregor ------------------ Zirka eine Woche nach ihrem Zusammenbruch war Mel endlich wieder vollständig auf dem Damm. Trotzdem bettelte sie mich immer noch jedes Mal an, bei ihr zu bleiben, wenn ich den Raum verlassen wollte. Also spielte ich mit ihr unglaubliche Mengen an Brettspielen oder las ihr aus meinen Lieblingsbüchern vor, immer in der Hoffnung, meine wilden Gedanken durch die Beschäftigung im Zaum zu halten. Bei ihr zu sein ohne ihr wirklich nah zu sein, fiel mir immer noch schwer, doch ich gab mir alle erdenkliche Mühe. Noch immer geisterten die harschen Worte, die Johannes mir entgegen geschleudert hatte, durch den Kopf. Auch wenn es weh tat, es mir einzugestehen, musste ich zugeben, dass er recht gehabt hatte. Ich war so mit meinem eigenen Schrecken und meinen Gefühlen beschäftigt gewesen, dass ich mir nie die Mühe gemacht hatte, darüber nachzudenken, ob Mel unter der Situation vielleicht auch litt. Dabei wollte ich gerade das vermeiden. Lieber wollte ich bis an den Rest meines Lebens in der Hölle schmoren, als zuzulassen, dass Mel meinetwegen weiter Angst hatte. Eine Zeit lang lief auch alles bestens, doch dann veränderte sich plötzlich etwas. Auf einmal begann Mel nach meiner körperlichen Nähe zu lechzen. Diesen Wunsch hätte ich ihr zwar nur zu gerne erfüllt, doch nur auf eine Art und Weise, die sie sicherlich sehr verstört hätte. Das Gefühl ihre Haut einfach nur auf meiner zu spüren, ohne dass ich dem Drang nachgeben durfte, sie zu küssen, war verdammt schwer. Doch Mel schien davon gar nichts wahrzunehmen. Etwa drei Tage nach ihrer Erkrankung – das musste der Tag gewesen sein, an dem ihre beste Freundin Josephine da gewesen war – hatte sie darauf bestanden, dass ich mit ihr eine DVD guckte: „The Grudge – Der Fluch“. Und weil der Film ja ach so gruselig gewesen war, hatte ich unbedingt zu ihr ins Bett klettern müssen, auch wenn ich mich lange mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hatte. Kaum hatte ich mich neben ihr ausgestreckt, hatte sie sich auch schon an mich gekuschelt und ihren Kopf auf meine Brust gelegt. Sie hatte mir sogar ein Kompliment zu meiner Brustmuskulatur gemacht. „Du hast ja eine echt straffe Brust. Toll! Das find ich unglaublich sexy bei Männern.“ Mir war ganz anders geworden und mein Herz hatte so heftig zu schlagen begonnen, dass Mel mich mit einem irritierten Gesichtsausdruck gemustert hatte. Ich hatte stumm und mit aufeinander gepressten Lippen auf den Bildschirm gestarrt und versucht, sie zu ignorieren. Und heute wollte sie mich vor eine noch größere Herausforderung stellen... „Bitte, Greg!“ Sie kniete neben meinem Bett und ihre Stimme klang so quengelig wie bei einem dreijährigen Kind. „Ich hab gesagt, ich hab keine Lust.“ „Aber wenn ich dich doch so lieb bitte...“ „Du bist verzogen.“ Ich bemühte mich, meine Stimme so kalt und abweisend wie möglich klingen zu lassen, während ich meine Nase in einen Roman von Joy Fielding steckte und tat, als würde ich lesen. Nur wenige Augenblicke später riss sie mir das Buch aus der Hand und blickte mich mit ärgerlich zusammen geschobenen Augenbraunen und einem nicht dazu passenden Schmollmund an. „Greg... biiiiiiitteeeee...“ Mit einer schnellen Bewegung eroberte ich mir meine Lektüre zurück, ließ mich wieder auf mein Bett fallen und stopfte mir mein Kissen in den Nacken. „Nein. Frag deinen Freund.“ „Ich will aber mit dir schwimmen gehen!“ Allein die Vorstellung, sie mit von feinen Wasserperlen übersäter Haut in einem Bikini zu sehen, drehte mir in stillem Horror den Magen um und jagte mir ein heißes Kribbeln in die Lenden. Verrückt, dass man zwei so gegensätzliche Gefühle gleichzeitig empfinden konnte. Entsetzen und Lust, glücklich vereint, Hand in Hand. „Und ich hab Nein gesagt. Also, hör auf, mir damit auf den Keks zu gehen.“ Mit sorgsam einstudierter, genervt wirkender Miene blätterte ich um, obwohl ich nicht einen Satz auf der Doppelseite gelesen hatte. „Du hast ja nur Schiss!“ Ihre Stimme klang noch immer schmollend und nicht von plötzlicher Erkenntnis erhellt, doch trotzdem blieb mir für einen Moment das Herz stehen. Nur mühsam brachte ich einen Satz heraus: „Vor was denn?“ „Davor, dass die anderen Männer im Schwimmbad viel hübscher und trainierter sind als du.“ Trotz des Schreckens, der mir noch immer in den Knochen steckte, musste ich unwillkürlich lachen. Ohne nachzudenken zerzauste ich ihr die Haare und grinste. „Manchmal bist du echt süß.“ Sie legte den Kopf schief, stand auf, packte mich am Handgelenk und zog mich hoch. „Ich weiß. Und deshalb wirst du jetzt mit mir schwimmen gehen.“ Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich mich sträuben sollte, doch dann schwang ich resigniert die Füße aus dem Bett und blickt zu ihr herauf. „Wie stehen die Chancen eigentlich, dass du Ruhe gibst, bevor du deinen Willen bekommen hast?“ Mit einem triumphierenden Grinsen beugte sie sich zu mir herab, bis nur noch wenige Zentimeter unsere Lippen voneinander trennten. Als sie wieder sprach, hatte ich das Gefühl, ihren süßen Geschmack auf der Zunge zu haben, und wurde augenblicklich ganz leicht im Kopf. Ich glaube, in diesem Moment hätte sie alles von mir verlangen können. „Hm... Schlecht bis ganz schlecht. Also, Großer, beweg dich endlich.“ Die Situation im Schwimmbad war allerdings sogar noch viel schlimmer als befürchtet. Schon als sie aus der Damendusche kam und mir der Atem so heftig stockte, dass die Welt an den Rändern dunkel wurde und mich ein leichter Schwindel erfasste, wusste ich, dass ich mich niemals hätte weich klopfen lassen dürfen. Ich hätte auf den alarmierten Blick unserer Mutter hören sollen, den sie mir zugeworfen hatte, als Mel ihr berichtet hatte, wohin wir wollten. Seltsamerweise hatte genau dieses Entsetzen in ihren Augen aber dazu beigetragen, dass ich trotz besseren Wissens mit Mel hierher gewollt hatte. Mels zierlicher, schlanker Körper steckte in einem grünbraun gemusterten, knappen Bikini, der nicht nur ihre Augen hübsch zum Leuchten brachte, sondern auch allen Männern im Umkreis von fünfundzwanzig Metern den Kopf verdrehte. Zumindest kam es mir so vor. Es war ihr itsybitsyteenieweenie Honolulu-Strandbikini... „Alles okay mit dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“ Mit besorgter Miene und einem wiegenden Gang, der verboten gehört hätte, kam sie langsam auf mich zu, während ich panisch versuchte, meinen Blick von ihren kleinen, aber wohlgeformten Brüsten, dem straffen, flachen Bauch oder der sanften Kurve ihrer schmalen Hüfte zu nehmen. „Ja, alles prima. Ich bin nur... ein wenig wasserscheu.“, log ich mit belegter Stimme, als ich es endlich schaffte, ihr ins Gesicht zu sehen. Ihr langes Haar hatte sie zu einem sorgsamen Zopf zusammen geflochten. „Ach, tatsächlich?“ Ein hinterlistiges Grinsen machte sich auf ihren vollen Lippen breit, doch ehe ich mir darüber Gedanken machen konnte, versetzte sie mir plötzlich einen Stoß und ich stürzte rücklings ins kalte Becken hinter mir. Überrascht schnappte ich nach Luft und hustete geschlucktes Wasser aus, sobald ich die Oberfläche wieder durchbrochen hatte. Mel hockte am Rand und grinste noch immer. „Und? War das jetzt schlimm?“ Mit der flachen Hand strich ich mir mein flachsblondes Haar aus der Stirn und fixierte sie mit einem gespielt bösen Blick. Dann ließ ich meine Arme plötzlich nach oben schnellen und riss sie neben mich ins kühle Nass. „Kostprobe gefällig?“ Kaum dass ihr Kopf unter Wasser gewesen war, tauchte sie auch schon wieder auf und sah mich erschrocken an. „Das war böse.“ Ich zog die rechte Augenbraune in die Höhe und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ach ja?“ Schmollend schob sie die Unterlippe vor und setzte ihren niedlichsten Dackelblick auf. „Ja. So etwas...“, der Hundeblick wich einem hinterlistigen Glänzen, „... darf nämlich nur ich!“ Dann stürzte sie sich auf mich und versuchte, mich unter Wasser zu drücken, ohne selbst dabei unterzugehen. Jedes Mal wenn meine Hand bei meinen halbgaren Versuchen, mich zu wehren, versehentlich ihre Brüste oder ihren Po streifte, setzte mein Herzschlag für einen winzigen Augenblick aus. Etwa drei Stunden später saßen wir völlig außer Atem am Beckenrand, ließen die Beine ins Wasser baumeln und beobachteten die anderen Gäste. Mel lehnte ihren Kopf müde an meine Schulter und gähnte herzhaft, was mich grinsen ließ. Ich stupste ihr mit dem Zeigefinger auf die Nase und neckte sie ein wenig. „Was ist denn das? Bist du etwa schon fertig mit der Welt, Zwerg?“ Statt einer Antwort drückte sie mir einfach ein Küsschen auf die Wange und meine Welt hörte augenblicklich für einen kurzen Moment auf, sich zu drehen. Hatte ich mir das nur eingebildet oder hatten ihre Lippen dabei ganz kurz und schüchtern die meinen berührt? War es ein Versehen gewesen oder die Idee von einem Kuss, so unsicher wie herzzerreißend schön? Ich schüttelte innerlich mit dem Kopf. Nein, natürlich nicht. An diesem Nachmittag wünschte ich mir nichts sehnlicher, als nicht ihr Bruder zu sein. Das Verlangen nach dieser unerreichbaren Realität war so gewaltig, das es beinah körperlich schmerzte. Diese Stunden mit ihr waren einfach zu perfekt... Wäre Mel nicht meine Schwester gewesen, wäre ich der glücklichste Mann auf Erden gewesen. Doch so spürte ich, wie mein Herz mit jeder Minute einen langsamen, bitteren Tod starb. Erstickt an seinen eigenen unerfüllbaren Träumen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)