New Horizon von dattelpalme94 ================================================================================ Kapitel 9: Gute und schlechte Tage ---------------------------------- Mimi hatte die ganze Heimfahrt über geschlafen. Dabei hatte sie gar nicht bemerkt, wie ihr Kopf gegen Izzys Schulter gerutscht war, die ihr ein gemütliches, wenngleich auch hartes Kissen bot. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass der Bus bereits wieder an der Schule angekommen war. Erst als Izzy sie sanft an der Schulter schüttelte, wachte Mimi auf. Verwirrt schaute sie umher, denn nur noch sie, Izzy, Tai und Sora waren im Bus. Sora wurde im gleichen Augenblick wie Mimi geweckt. Als Mimi in Soras Gesicht sah, erkannte die Brünette, dass sich Sora ein wenig erholen und beruhigen konnte.   Als die vier schließlich auch ihre Koffer geholt hatten, war es an der Zeit, sich zu verabschieden. Mimi erkannte, dass das Auto ihres Vaters bereits auf dem kleinen Schulparkplatz stand. „Also dann, bis morgen“, Tai hob zum Abschied die Hand und griff nach seinem, wie auch nach Soras Koffer. „Wir fahren mit der Bahn heim“, erklärte Sora und machte Anstalten, Tai ihren Koffer wegzunehmen, um diesen selbst schieben zu können. Es entstand eine kleine, spaßige Rangelei zwischen den beiden. „Wir können euch auch heimfahren“, bot Mimi an, als sie das Schauspiel zwischen den beiden sah. Beim Beobachten der beiden hatte Mimi das Gefühl, eine kleine Nadel würde in ihr Herz piecksen. Warum konnten die beiden so miteinander herumalbern, aber sie und Tai nicht? Doch statt zuzugeben, dass sie Tai vermisste und versuchte, das Gespräch mit ihm zu suchen, schob Mimi die Eifersucht beiseite. „Ach Quatsch, das ist ja nicht eure Richtung“, schlug Sora das Angebot freundlich ab. „Wir gehen jetzt mal, damit wir unsere Bahn auch noch bekommen“, und damit verabschiedeten sie sich von Izzy und Mimi. Langsam liefen die beiden in Richtung des schwarzen Wagens und Keisuke stieg aus, als sie das Auto erreicht hatten. Mimi nahm ihren Vater kurz in den Arm, genauso wurde auch Izzy kurz von Keisuke umarmt. Auf der Autofahrt erzählte Mimi aufgeregt, was sie alles erlebt hatten und wie gut es ihr dort gefallen hatte. Izzy ergänzte ab und an ein paar Sachen. Erst durch seine Erzählungen merkte sie, dass sie kaum Zeit mit ihm verbracht hatte. Dabei war sie es doch gewesen, wegen er letzten Endes mitfahren musste. Aber Izzy klang jetzt nicht so, als hätte es ihm nicht gefallen. Vielmehr hatte er wohl einige neue Kontakte geknüpft, was Mimi freute. Schließlich war das doch ihr Ziel gewesen! Nach ein paar Minuten Fahrt kamen sie bei dem Wohnungskomplex an, in dem Izzy wohnte. Mimi verabschiedete sich im Auto von Izzy, während ihr Vater auch ausstieg und ihm half, den Koffer aus dem Kofferraum zu holen. Mimi konnte im Rückspiegel sehen, wie die beiden noch ein paar Worte miteinander wechselten. Sie konnte an den Körperhaltungen der beiden jedoch nicht erkennen, welche Art von Gespräch es war. Ihr Vater hatte ein aufmunterndes Gesicht, während Izzy etwas ernster schaute. Worüber reden die beiden?, fragte sich die Brünette. Hatten sie etwa ein Geheimnis vor ihr? Dabei dachte sie, Izzy und sie könnten über alles reden. Aber was gab es, über das Izzy nicht mit ihr reden konnte, sondern sich an ihren Vater wand? „Dann lass uns mal heimfahren. Du hast sicher Hunger und bist müde“, holte ihr Vater sie aus ihren Gedanken. Sie musterte ihn kurz und konnte keine Veränderungen an ihm feststellen. Vielleicht hatte sie sich eingebildet, dass er und Izzy ein ernstes Gespräch geführt hatten. Normalerweise hatte ihr Vater nach so etwas immer eine kleine Sorgenfalte auf seiner Stirn. Daran konnte Mimi auch immer erkennen, ob er gerade einen wichtigen und schweren Fall in der Kanzlei bearbeitete. Doch davon war jetzt nichts zu sehen. Vielleicht hatte Mimi es auch nur falsch verstanden. Beruhigt, dass sie nur von einem Hirngespinst heimgesucht wurde, lehnte sie sich in den Sitz zurück. „Wie war euer Wochenende?“, fragte Mimi und schaute zu ihrem Vater. „War schön. Haben viel entspannt, hatten einige Massagen und ich glaube, deine Mutter hat das nach dem Umzugsstress mal gebraucht. War aber wie immer viel zu kurz“, erzählte er fröhlich. „Hat sie gemerkt, dass es ein spontan gebuchter Trip war?“, hakte die Brünette nach. „Nein, Gottseidank nicht“, lachte Keisuke und bog in die Einfahrt ihres Hauses ein.   Ihre Mutter war gerade am Kochen und Telefonieren, als Mimi das Haus betrat, weshalb sie Satoe nur kurz grüßte. Mimi war insgeheim froh, dass sie beschäftigt war. So konnte sie erst einmal gemütlich eine Dusche nehmen und ihren Koffer auspacken bevor sie von Fragen durchlöchert wurde. Irgendwas würde ihre Mutter sicher wegen des Ausflugs sagen und davor wollte sich die Sechzehnjährige so lange wie möglich drücken.   In ihrem Handtuch eingewickelt ging Mimi nach der Dusche in ihr Zimmer. Sie hatte ihren Föhn im Koffer vergessen. Als sie gerade zurück ins Bad gehen wollte, piepste ihr Handy kurz und teilte ihr mit, dass sie eine Nachricht bekommen hatte. Neugierig griff Mimi nach dem Handy und war überrascht, dass es Matts Name war, der auf dem Display stand.   »Hey Mimi, es hat gut getan, mit dir zu reden. Ich weiß, es ist blöd, so hinterrücks zu fragen, aber wie ging es Sora vorhin noch? Hatten kurz geredet und ich weiß nicht..«   Oh Mensch, in was für eine Situation war Mimi da nur reingeraten? Wenn sie Matt jetzt schreiben würde, wie schlecht es Sora vorhin ging, würde sie ihr doch in den Rücken fallen, oder? Aber sie könnte ihr und Matt so vielleicht helfen, wieder zueinander zu finden? Doch für Matt schien die Sache endgültig zu sein. Was sollte sie nur tun? Matt war schließlich auch ein Freund von ihr und ihm ging es auch schlecht. Mimi tippte schnell ein paar Worte, dass es Sora nicht sehr gut ging, sie sie aber beruhigen und ein bisschen aufmuntern konnte. „Mimi“, es klopfte an der Tür und noch bevor Mimi etwas sagen konnte, steckte ihre Mutter den Kopf in das Zimmer. „Es gibt Essen. Mach dich noch schnell fertig bevor du runter kommst.“ „Bin gleich da“, erwiderte sie und schmiss das Handy auf das Bett zurück, wo es sanft auf der Bettdecke landete. Sie ließ sich extra ein wenig Zeit beim Eincremen, Anziehen und Föhnen bevor sie dann langsam runterging. Entgegen ihrer Erwartungen ließ ihre Mutter Mimi aber von dem Seminar erzählen statt auf dem verpassten Training herumzuhacken. „Also hattet ihr Spaß?“, fragte Satoe schließlich. „Ja, war eine schöne Abwechslung zum Training“, antwortete Mimi ehrlich. „Gut, wenn das Wochenende jetzt rum ist, dann geht es ab morgen aber wieder richtig los. Ich hab mit Frau Hifumi gesprochen, ob du die Woche ein bisschen länger trainieren könntest. Leider geht das nicht“, berichtete Satoe als wäre es die einfachste Sache der Welt. „Wie bitte? Was hast du getan?“, empörte sich Mimi und ließ das Messer, mit dem sie sich ihr Brot mit Honig beschmierte, auf dem Teller ab. Mit schockiertem Blick schaute sie ihre Mutter an. „Naja, so kannst du das Verpasste aufholen. Da das aber nicht geht, kannst du ja ein bisschen zuhause üben.“ „Ist das dein Ernst? Mama, ich muss auch noch meine Schulsachen erledigen! Und falls du es vergessen hast, ich muss noch ein bisschen was aufholen. Außerdem war ich nur über das Wochenende weg. Was soll ich da verpasst haben?“, mit jedem Wort wurde die Brünette etwas lauter. „Satoe, so war das aber nicht ausgemacht. Wir haben uns doch darauf geeinigt, dass Mimi sich auf die Schule konzentrieren soll“, mischte sich Keisuke in strengem Ton ein. „Es sind ja bald Ferien, da kann Mimi doch lernen“, verteidigte sich Satoe. „Du wolltest doch nach New York“, unverständlich schaute Keisuke seine Frau an. „Richtig. Ich verstehe das Problem nicht, Keisuke. Da kann sie doch auch lernen.“ Mimi fing an, den aufkommenden Streit zwischen ihren Eltern auszublenden. Vielmehr musste sie die Information verarbeiten, dass sie in den Ferien nach New York reisen würden. Das hatte ihr noch niemand erzählt. Hatte sie denn gar kein Mitspracherecht mehr? Ihre Mutter entschied über alles, was ihr Leben betraf. Tai hat entschieden, dass er keinen Kontakt mehr zu ihr möchte. Aber was war mit ihr? „Das Kind braucht aber auch mal Luft zum Atmen. Ein bisschen Zeit für sich.“ „Ich werde nicht mit nach New York gehen“, entschieden stand Mimi auf, ließ ihr Brot unangetastet auf dem Teller liegen und ging in ihr Zimmer nach oben. Sie konnte noch hören, wie ihre Eltern sich weiter stritten. Doch das war ihr egal. Sie hatte gerade etwas entschieden. Ein Gefühl von Stolz durchfuhr sie und sie fühlte sich so gut wie schon lange nicht mehr.   Sie warf sich auf ihr Bett und wollte das Gefühl, das gerade durch ihren Körper floss, noch etwas festhalten. Doch als sie sich gerade hinlegte, spürte sie den harten Gegenstand unter ihrem Rücken. Sie hob ihren Körper etwas an und zog ihr Handy hervor. Zwei neue Nachrichten. Eine von Izzy, in der er ihr dankte, dass sie ihn zum Klassensprecher ernannte, weil er ein schönes Wochenende hatte. Schmunzelnd antwortete Mimi ihm schnell und scrollte zur nächsten Nachricht weiter. Wieder von Matt.   »Danke, dass du dich um sie gekümmert hast. War ein sehr ereignisreiches Wochenende, oder?«   Auch wenn Mimi etwas verwundert war, dass Matt plötzlich zu Smalltalk übergegangen war, freute sie sich darüber. Sie wusste als Einzige über Matts Beweggründe für die Trennung Bescheid und es kam Mimi vor, als wären sie nun durch dieses Geheimnis verbunden. Vielleicht hatte sie in ihm einen neuen Freund gefunden, den sie zwar schon lange hatte, aber mit dem sie bisher nie so eng verbunden war. Tatsächlich schrieben die beiden noch eine Weile über alles Mögliche. Mimi berichtete ihm auch vom Streit ihrer Eltern.   »Oh Mensch. Das tut mir Leid. Deine Mutter ist echt verbissen in der Sache. Versuch dich durchzusetzen, dass du die Ferien hier bleibst. Ist doch Tradition, dass du in den Sommerferien in Tokio bist ;) kannst ihr ja auch sagen, dass ich dir in den Ferien in Mathe weiterhelfe ;)«   Mimi schmunzelte über diese Nachricht. Es war süß, wie sich Matt für sie einsetzte und sie ermutigte, sich durchzusetzen.   »Danke! Haha, ich gebe es so weiter, Herr Lehrer :D Gute Nacht und bis morgen«   Mimi stellte den Wecker für den morgigen Tag und legte dann das Handy beiseite. Sie hatte sich in der Zwischenzeit bereits bettfertig gemacht und konnte sich daher gleich schlafen legen. Von ihren Eltern hatte sie nichts mehr gehört, worüber sie nicht traurig war. Etwas schwermütig kam die Erinnerung, wie Tai ihr letztes Jahr in Mathe geholfen hatte, hervor. Warum war nur alles mit Tai verbunden?                                                              **        **        **   „Warum hast du denn nicht gesagt, dass du bei dem Schulstoff Hilfe brauchst?“, fragte Izzy nachdem Mimi von gestrigen Abend erzählt hatte. Das Detail mit den SMS zwischen ihr und Matt behielt sie jedoch vorsichtshalber zurück. Der Unterricht hatte noch nicht begonnen und sie und Izzy nutzten die Zeit zum Erzählen. Gerne würde Mimi Izzy auf das Bild, das sie bei ihm gesehen hatte, ansprechen. Doch sie wusste auch, dass es nicht für ihre Augen bestimmt war und Izzy sicher zu ihr kommen würde, wenn er darüber sprechen wollte. Es sammelten sich immer mehr Dinge an, über die sie nicht mit Izzy sprach und doch.. und doch fühlte es sich nicht falsch an. Es war wohl normal und gehörte zum Erwachsenwerden dazu, dass man auch mal etwas für sich behält und nicht gleich zum besten Freund oder der besten Freundin rennt, um ihr von Neuigkeiten zu erzählen. „Ach Izzy, das Schuljahr ist doch noch jung und ich dachte, ich bekäme es alleine hin“, erklärte sie sich. „Aber dem ist wohl nicht so. Wenn ich mir nur an Mathe denke, dann wird mir ganz schlecht.“ „Dann sag doch einfach was, Mimi. Sollen wir uns nach der Schule mal zum Lernen treffen? Ich kann dir das, was dir fehlt, beibringen“, schlug Izzy vor und schaute sie aufmunternd an. Als Mimi gerade zum Antworten ansetzte, kam der Lehrer herein und Mimi konnte daher nur dankbar nicken.   „Frau Tachikawa, Herr Izumi, würden Sie bitte nach vorne kommen und der Klasse berichten, was sie auf dem Teambuilding-Seminar am Wochenende gelernt haben?“, forderte Herr Yamakawi die beiden auf. Nicht schon wieder, dachte Mimi, als sie nach vorne lief. Wie oft hatte sie das jetzt schon in den letzten 24 Stunden erzählen müssen? Dennoch berichteten sie und Izzy ihrer Klasse von dem, was sie gemacht hatten und schließlich auch wofür das ganze dienen sollte. „Anfang Oktober findet ein Herbstfest an unserer Schule statt. Damit wir das nach den Wünschen und Vorstellungen der Schüler ausrichten können, wird in den nächsten Wochen eine Liste herumgehen, auf die ihr eintragen könnt, welche Aktivitäten ihr euch vorstellt. Das können Dinge sein wie ein Café, in dem ihr die Gäste mit Essen und Trinken versorgen wollt, oder aber auch so etwas wie Kinderschminken, eine Tanzaufführung oder für die, die sich naturwissenschaftlich interessieren, eine Chemie-Show oder so etwas“, beendete Mimi ihre Erzählungen. Leises Flüstern ging durch die Reihen. „Ich glaube, ich mag etwas in Richtung Café machen.“ „Ich bin mit dem Fußball-Club sicher schon eingespannt.“ „Lasst uns doch eine Kreativwerkstatt mit Thema Herbst machen.“ Zufrieden lächelte Mimi. Sie hatte es anscheinend geschafft, die Klasse für das Schulfest zu begeistern. Und niemand zerriss sich gerade den Mund über sie. Stattdessen hoben sich einige Finger und Mimi wurde noch nach ein paar Details zu dem Fest gefragt, die sie alle so gut sie nach dem aktuellen Organisationsstand informiert war, beantwortete.                                                              **        **        **   Zufrieden hatte Mimi sich ihre Trainingstasche über die Schulter gehängt und ging gerade auf den Schulhof. Sie war heute ein bisschen länger in der Schule geblieben, weil Izzy ihr in der Zeit zwischen Schulaus und Training bereits die erste Nachhilfestunde in Mathe gegeben hat. Ihr Kopf rauchte zwar vor lauter Informationen, aber dennoch war sie glücklich, dass sie sich heute so mutig vor die Klasse gestellt hatte. Vielleicht war es für viele nichts Besonderes, doch für Mimi war es ein wichtiger Schritt. Sie kam gerade am Sportplatz vorbei, als sie einen Ball anrollen sah. Mimi stoppte ihn mit ihrem Fuß und blickte in die Richtung, aus der er kam. Vor ihr stand eine allzu bekannte Person, deren Haare von einem Haarband daran gehindert wurden, in dessen Gesicht zu fallen. Mimi lächelte leicht und stieß den Ball sanft an, damit er in Tais Richtung rollte. „Das ist wirklich sehr hilfreich“, sagte Tai und deutete auf das Haarband bevor er den Ball nahm und wieder zurückging. Tai hatte es also behalten. Glücklich lächelnd begab sich Mimi auf den Weg zum Training. Auch wenn der Tag davor durch den Streit nicht schön geendet ist, so war dieser Tag ein guter Tag. Vielleicht hatte Mimi langsam ihren Platz hier gefunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)