New Horizon von dattelpalme94 ================================================================================ Kapitel 6: Gedankenanstoß ------------------------- „Ich wusste zwar, dass du Klavier spielen kannst, aber dass du auch so gut singen kannst, das ist mir neu.“ Abrupt blieben ihre Finger auf der Stelle stehen und sie verstummte. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass jemand das Foyer betreten hatte. Und mit der Person, zu der die Stimme gehörte, hatte sie nun gar nicht gerechnet. Als sie ihren Blick hob, um sich zu vergewissern, dass sie die Stimme richtig zugeordnet hatte, trafen ihre karamellfarbenen Augen auf stechend blaue. Vor ihr stand wirklich Matt und schaute sie grinsend an. „Was machst du noch hier?“, fragte Mimi und durchbrach die Stille, die sich um sie gelegt hatte. „Ich wollte noch ein klein wenig Klavier spielen. Aber es ist wohl schon belegt“, zwinkerte er und ging auf sie zu. „Warte, du kannst sofort. Ich wollte gerade gehen“, meinte Mimi und war im Begriff, sich zu erheben. „Das schien mir aber nicht so“, grinste Matt und zog sich ebenfalls einen Stuhl heran, um sich an das Klavier zu setzen. „Ist alles okay?“, fragte er zaghaft nach, als er bemerkte, dass sich Mimi nicht sonderlich wohl fühlte. „Wir haben schon lange nicht mehr miteinander geredet“, stellte er trocken fest. Erschrocken drehte sich die Brünette zu ihm um. Es stimmte ja. Er war der einzige aus dem Freundeskreis, mit dem sie noch nicht geredet hatte seit sie wieder da war. Es fühlte sich seltsam an, hier alleine mit ihm zu sitzen. Sollte sie denn überhaupt hier mit Matt sitzen? Sie müsste ihn doch eigentlich auch hassen, immerhin hatte er ihre beste Freundin mehr als verletzt. Wahrscheinlich sogar mehr als Sora nach außen hin zeigte. „Es ist, weil ich mich von Sora getrennt habe, oder?“, nahm er ihr die Antwort vorweg. Wieder gab sie keine Antwort, sondern senkte lediglich ihren Kopf. Einige Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht und verhinderten so, dass er ihr direkt ins Gesicht schauen konnte. „Keine Antwort ist auch eine Antwort“, flüsterte Matt leise und Mimi konnte deutlich die Enttäuschung in seiner Stimme hören. „Entschuldige“, setzte Mimi an, „ich wollte nicht unhöflich sein. Ich möchte nur Sora nicht verletzen“, murmelte sie. „Du musst dich nicht entschuldigen. Du hast ja Recht.. es reicht, wenn ich sie verletzt habe“, gestand er und lächelte traurig. Mimi drehte ihren Kopf, um ihn besser sehen zu können. Etwas in seinen Gesichtszügen hatte sich verändert. Sie sahen nicht mehr angespannt aus wie noch heute Morgen im Bus, sondern er wirkte müde und … traurig. Als hätte er etwas auf seiner Seele liegen, dass er zu verstecken versuchte, aber das in schwachen Augenblicken so schwer wurde, dass er es herauslassen musste.   „Matt“, Mimi zögerte. Sollte sie ihn wirklich darauf ansprechen? Sie wusste, dass Matt noch nie jemand war, der gerne über Gefühle sprach. Ob er überhaupt mit ihr, die ja fast eine Fremde war, über so ein privates Thema sprechen würde? Doch sie wollte es wagen. Ein Gefühl tief in ihrem Herzen sagte ihr, sie solle es zumindest versuchen. „Du hast sie wirklich sehr verletzt. Aber wie geht es dir?“ Überrascht schaute er sie an, blickte ihr tief in die Augen. Als würde er versuchen, zu ergründen, woher diese plötzliche Frage kam. "Das hat mich schon lange niemand mehr gefragt“, offenbarte der Blonde und drückte einige Tasten herunter, so dass die entstandenen Töne für einen Moment den Raum erfüllten bevor sie langsam wieder verstummten. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten, aber, ach, ich weiß nicht..“, stammelte Mimi. „Schon gut. Ist sicher nicht leicht, wieder zurückzukommen und plötzlich ist alles anders.“ „Ja, alles hat sich geändert, ihr habt euch geändert und ich habe ständig das Gefühl, dass ich auf der Stelle trete und mich nicht weiterentwickele“, eröffnete sie ihm ihre Gefühlswelt. Mit Schrecken fiel ihr auf, dass sie, ohne es beabsichtigt zu haben, nun das Thema des Gespräches war. „Wie egoistisch von mir. Wir reden gerade von dir und ich wechsele zu mir“, entschuldigte sie sich. „Das macht nichts. Du warst schon immer die Gefühlstante von uns beiden“, witzelte Matt. „Aber manchmal sollte man über seine Gefühle sprechen. Sonst erdrücken sie dich irgendwann“, riet die Brünette. „Ich lasse lieber die Musik für mich sprechen. Auch wenn sie leider der Grund ist, warum ich Sora  und indirekt Tai verloren habe.“ Etwas in seinem Gesicht veränderte sich und Mimi schien es, als würde er gerade innerlich einen Kampf mit seinen Gefühlen austragen. Während sie ebenfalls ein paar Tasten drückte, erinnerte sie sich an das, was sie über die Trennung erzählt bekommen hatte. „Du hast sie wegen der Musik verlassen, oder? Also damit du dich mehr um deine Band und euren Plattenvertrag kümmern kannst“, fragte sie offen heraus und war selbst über ihre Direktheit verwundert, doch es kam einfach so aus ihr heraus. Sie hatte lange genug das Gefühl gehabt, etwas verpasst zu haben. Wenn sie nun besser über die Geschehnisse rund um die Trennung Bescheid wusste, dann könnte sie Sora eine bessere Stütze sein. „Ja“, er lächelte traurig, „und nein.“ „Was?“, wie meinte er das denn? „Ich dachte, du wolltest mit deiner Band den Durchbruch schaffen?“, die Verwirrung stand Mimi ins Gesicht geschrieben. „Das ist das, was ich Sora gesagt habe. Und weswegen mir Tai jetzt vorwirft, ein arroganter Egoist zu sein“, erklärte Matt, womit Mimi aber immer noch nicht viel anfangen konnte. „Ich habe das Gefühl, dass ich noch nicht weiß, wer ich bin und wohin ich mal möchte. Ich wollte sie beschützen und der einzige Weg war die Trennung.“ „Aber wovor wolltest du sie denn beschützen?“, die Lösung zu Matts verschlüsselten Worten wollte ihr partout nicht in den Sinn kommen. „Es ist doch nicht mehr wichtig. Ich habe sie verletzt, aber es ist besser für sie, wenn sie glaubt, ich wäre ein Idiot“, stöhnte Matt frustriert auf. „Du willst sie wirklich im Glauben lassen, die Musik wäre dir wichtiger als sie?“, hakte Mimi nach. Matt schien sich gerade zu öffnen und diesen Moment wollte sie nutzen, um mehr herauszufinden. Sie wunderte sich selbst darüber, dass sie sich in diese Sache hineinsteigerte, aber sie hatte das Gefühl, sich plötzlich mit Matt verbunden zu fühlen. Nur war sie es, die Tai aus einem ihr unbekannten Grund verletzt haben musste, sodass er den Kontakt zu ihr abgebrochen hatte und sie jetzt wie Feuer und Eis waren. „Vielleicht solltest du nochmal mit ihr reden“, schlug Mimi vorsichtig zu und wartete gespannt seine Reaktion ab. „Vermisst du sie denn?“ „Natürlich! Jede einzelne Sekunde am Tag vermisse ich sie“, verteidigte er sich. „ Aber es stimmt doch auch, dass ich sie wegen der Band verlassen habe.. zumindest zum Teil“, murmelte er leise. „Das mit der Musik ist mein Selbstfindungstrip und wenn ich Sora ansehe, dann sehe ich mich in einem Haus in der Vorstadt mit Kindern, die im Garten spielen. Die Vorstellung ist schön, aber andererseits erschreckend. Was ist, wenn ich nicht der Typ für so ein Leben bin und ihr nicht das geben kann, was sie braucht? Was ist, wenn ich mich ganz anders entwickele und diese Version sie enttäuschen würde?“, er klimperte erneut auf den Tasten herum. „Wow, aber ich bin mir sicher, dass ihr einen Weg finden würdet“, meinte Mimi zuversichtlich. „Ja, mag sein. Aber ich muss doch erstmal selbst wissen, wer ich bin und was ich will bevor ich mit einem Menschen zusammen sein kann. Ich habe versucht, so lange wie möglich mit Sora zusammen zu sein. Aber die Streits wurden mehr, ich hab sie immer öfter wegen Proben und Auftritten versetzen müssen. Also doch, ich habe sie für die Musik verlassen, weil ich mich für sie und gegen Sora entschieden habe, weil ich nur alleine herausfinden kann, wer ich sein will. Musik war schon immer mein Ding, mein Leben. Als ich nicht mehr Musik und Sora vereinen konnte, habe ich mich entscheiden müssen. Ich liebe Sora, wirklich, aber das ist die Chance, auf die ich immer gewartet habe. Mit der Musik hab ich mich nie streiten müssen, mit Sora schon. Ich bin ein ziemlicher Arsch, oder?“, beendete Matt seine Erzählung und lehnte sich an den Stuhl zurück. „Ich weiß nicht. Ich mein, du hast dich für das entschieden, von dem du schon immer geträumt hast und worauf du immer hingearbeitet hast mit deiner Band. So eine Chance hättet ihr vielleicht nicht ein zweites Mal bekommen“, irgendwie verstand Mimi ihn jetzt viel besser. Für seinen Traum hatte er alles aufgegeben. Das war nun einmal der Preis, den man für Träume manchmal zahlen musste. Sie selbst hatte diesen Preis auch einige Male zahlen müssen. „Wenigstens eine, die mich versteht und nicht gleich verteufelt“, lachte Matt und schien erleichtert über Mimis Worte. „Aber du weißt wohl, wovon ich rede?“, hakte er nach. Fragend schaute sie ihn an. „Ich mein, du bist doch auch dabei, alles für deinen Traum, Balletttänzerin zu werden, zu machen?“ „Ja, das bin ich wohl“, murmelte Mimi leise. So wie sie eben seine wunde Stelle gefunden und in dieser so lange herumgedrückt hatte, bis er schließlich geredet hatte, so hatte er gerade ihre Stelle entdeckt. „Klingt ja sehr überzeugend“, merkte Matt sarkastisch an. „Hey, so war das nicht gemeint“, ruderte er zurück, als er sah, wie Mimi anfing, mit sich zu kämpfen. „Ich hab es doch gesagt. Du warst schon immer die Gefühlstante von uns. Willst du vielleicht deinen eigenen Ratschlag befolgen und dir von der Seele reden, was dich bedrückt?“, fragte er einfühlsam nach. „Ich werde es auch Tai und Sora nicht weitererzählen“, versicherte er selbstironisch. „Findest du wirklich, dass du über eure Situation Witze machen solltest?“, fragte Mimi empört nach. „Eben sagst du noch, dass du sie vermisst und ich jetzt scherzt du darüber?“, wütend blickte sie ihn an. Seine Stimmungsschwankungen waren ja schlimmer als die einer Frau! „Das ist nun mal meine Art mit der Situation zurechtzukommen. Gerade heißt es Matt und die Musik gegen den Rest der Welt, nicht Tai, Sora und Matt gegen den Rest der Welt“, rechtfertigte er sich. Plötzlich tat es Mimi Leid, ihn angefahren zu haben. Er war einsam, ein einsamer Wolf. So, wie sie sich manchmal auch fühlte. „Weißt du, Mimi, jeder verarbeitet Dinge anders. Manche versuchen sich nicht an den Schmerz zu erinnern und verdrängen es, bei anderen schlägt es in Frustration und Hass um, andere schweigen solange bis sie zerbrechen und wieder andere suchen sich einen Weg, ihren Schmerz einzufangen und auszudrücken, ohne dass es den Menschen um einen herum wirklich bewusst ist“, er schaute sie tief an und Mimi verstand sofort, was er meinte. Alle vier, Tai, Sora, Matt und sie, hatten unterschiedliche Arten, die Geschehnisse zu verarbeiten. „Ich schätze, daran zu zerbrechen ist eine der schlimmsten Arten“, stellte sie selbstkritisch fest und drückte traurig ein paar Tasten herunter. „Ich bin nicht besonders gut in sowas“, Matt räusperte sich, um Mimis Aufmerksamkeit zurück zu erhalten. „Aber wenn du reden willst, dann bin ich für dich da“, versicherte ihr aufrichtig und Mimi spürte, dass er die Worte so meinte, wie er sie sagte. „Ich weiß gerade wohl auch einfach nicht, wer ich bin. Es ist alles alt und vertraut hier, aber es ist gleichzeitig alles anders und neu. So als würde ich nicht mehr hinein passen, als wäre ich ein Fremdkörper. Ich weiß nicht, ob ich noch den Weg gehe, den ich mal gehen wollte. Ich weiß nicht, ob ich allen Erwartungen an mich gerecht werde und ob ich alle Anforderungen erfüllen kann. Ich weiß nicht, wie ich andere dazu bringen kann, mich zu mögen. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, dass Tai mich hasst“, kam es auch ihr herausgeschossen und mit jedem Wort liefen mehr Tränen ihre zarten Wangen hinunter. Zärtlich nahm Matt sie in den Arm, um sie zu beruhigen. Statt der Pianotöne war nun ein leises Schniefen und Schluchzen in dem Foyer zu vernehmen. „Ich kann dir auf das meiste keine Antwort geben. Das sind Dinge, die du rausfinden musst, Mimi. Geh in die Welt und versuche es. Wenn du die Erwartungen und Anforderungen nicht erfüllst, dann ist das so. Davon geht die Welt nicht unter. Und bei Tai.. vielleicht solltest du hier auch auf deinen Rat hören und mal mit ihm reden. Ich glaube, Kommunikation ist das, was euch geschadet hat, euch aber auch weiterhelfen kann“, immer wieder strich er leicht übers Haar und mit der Zeit beruhigte sich Mimi auch wieder. Sie hatte endlich ausgesprochen, was sie bedrückte. Doch es fühlte sich nicht so befreiend an, wie sie gehofft hatte. Matt wusste ja nicht, wie es war, unter solchem Druck zu stehen, wie sie es tat. Ihre Mutter erwartete in allem Höchstleistungen und ließ kein Versagen zu. Matts Vater hingegen hatte seinem Sohn immer genug Platz zur freien Entfaltung gegeben. Er hatte ihn zwar immer bei seiner Musik unterstützt, aber es nie so weit getrieben, dass es für Matt nichts anderes geben dürfte. „Wie soll ich denn mit Tai reden, wenn er alles was ich mache oder sage gleich niedermacht?“, hakte Mimi bei dem Punkt ein, den Matt ihr beantworten konnte. „Wenn er deine Sprache nicht versteht, dann versuch es mit einer anderen“, lächelte er und spielte ein paar Töne. „Das hast du vorhin doch schon gemacht. Ich erkenne so was ziemlich gut“, überrascht befreite sie sich aus Matts schützenden Armen, die er um sie gelegt hatte und schaute den Blonden mit großen Augen an. Es ist eigentlich nur das Lied gewesen, von dem sie noch die Noten im Kopf hatte, doch es sprach ihr genau aus dem Herzen. Vielleicht hatte sie genau deshalb die Noten nicht vergessen. Es erzählte von ihrem Wunsch, dass sie und Tai vielleicht irgendwann wieder zusammenfinden würden. „Dann muss ich erstmal ein Lied finden, das zu uns passt“, ihr gefiel Matts Vorschlag, doch ihr lag noch so viel auf dem Herzen, was nicht in dem Lied erwähnt wurde. Wie sollte sie das alles in einen Text verpacken? „Dann, liebe Mimi, schreib deinen eigenen Song oder so“, empfahl Matt schmunzelnd. „Als ob das so leicht wäre“, stöhnte sie frustriert auf und ließ unbedacht ihren Kopf auf die Tastatur des Klaviers fallen, woraufhin dieses einige krumme Töne von sich gab. „Es ist gar nicht so schwer wie du denkst. Du musst ja auch nicht alles auf einmal ansprechen. Warte, ich zeig dir, was ich meine“, er packte Mimi an den Schultern und brachte sie zurück in eine aufrechte Haltung bevor er in die Welt der Musik abtauchte, in der nur das Klavier, er und seine Gefühle wichtig waren. Nachdem er bereits eine wohlklingende Melodie angespielt hatte, begann er leise, seine Stimme miteinzubringen.                               “I'm sorry for your pain                             I'm sorry for your tears                      For all the little things I didn't know                      I'm sorry for the words I didn't say                             I'm sorry for the lies                            I'm sorry for the fights               For not showing my love a dozen times            I'm sorry for the things that I've called mine                             But what I still do                            I'm still loving you                      That’s what I’ll always do”   „Das war… wunderschön“, Mimi strich sich über die Arme, weil sie während des gesamten Liedes Gänsehaut hatte. Bei jedem einzelnen Wort spürte man, dass es tief aus Matts Gefühlswelt kam. „Aber ich bezweifle, dass ich das auch kann.“ „Das weißt du erst, wenn du es probiert hast. Und es gibt ja noch genug andere Wege, sich auszudrücken. Solltest du als Tänzerin doch wissen“, sprach er ihr Mut zu. „Ich werde es auf jeden Fall mal versuchen. Danke, Matt“, ein kleines Lächeln war in ihr Gesicht zurückgekehrt und Mimi fühlte sich tatsächlich etwas besser. Wenn sie wieder zu Hause war, wollte sie seinen Tipp umsetzen. Als Mimi auf die Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand hing, schaute, bemerkte sie erst, wie spät es bereits war. „Ich glaube, ich sollte langsam mal ins Bett gehen. Gute Nacht“, verabschiedete sie sich von ihrem Gesprächspartner und stand auf. „Kein Problem, war schön mit dir geredet zu haben. Gute Nacht“, wünschte er und Mimi ging zur Treppe, die zu den Schlafzimmern führte. „Ach und Mimi“, rief der Blondhaarige sie nochmal zurück, „du solltest dich nie für andere verstellen, damit sie dich nicht mögen. Wenn sie dich nicht akzeptieren, wie du bist, dann sind sie selbst schuld.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)