Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 10: Planungsphase ------------------------- ♥ Mimi ♥ „Und du triffst dich heute mit ihr?“, fragte Yolei mit angezogener Augenbraue, während Mimi die Paprika in die Pfanne zu den Zwiebeln und der Zucchini hinzugab. Sie seufzte herzzerreißend und ließ die Schultern hängen. „Ich habe ja keine andere Wahl und sie hat mich schon Anfang der Woche gefragt…irgendwann sind mir dann die Ausreden ausgegangen.“ Yolei schenkte ihr einen mitleidigen Blick als sie die Paprika in der Pfanne mit etwas Salz und Pfeffer würzte. Heute beschäftigten sie sich mit einer französischen Köstlichkeit: dem Ratatouille. Nachdem sie das Gemüse und die Kräuter kleingeschnitten hatten, gaben sie es nach und nach in die Pfanne. Zuerst wurden die Zucchini mit den Zwiebeln angebraten, danach kam die Paprika hinzu, während die Aubergine das Schlusslicht bildete. „Vielleicht ist sie ja auch ganz anders als in der Schule“, versuchte Yolei Mimi zu beruhigen, doch sie nahm ihr nur den Pfannenwender aus der Hand und konzentrierte sich darauf, dass Gemüse scharf anzubraten, bevor sie das Tomatenmark, die geschälten Tomaten, die restlichen Gewürze und die Kräuter hinzugaben. „Das glaube ich leider nicht“, antwortete sie überzeugend. „Wieso denn nicht? Ich bin zuhause auch oftmals anders als in der Schule. Ich glaube, meine Geschwister haben schon des Öfteren Bekanntschaft mit meinem lauten Organ gemacht. Hier halte ich mich wirklich sehr zurück“, offenbarte sie und brachte Mimi zum Schmunzeln. „Bei ihr ist das aber etwas Anderes. Letztes Schuljahr hatten wir uns doch alle zum Lernen getroffen und sie war einfach…ich weiß gar nicht wie ich es beschreiben soll“, erwiderte sie aufgebracht und bewegte den Pfannenwender ruckartig in der Pfanne umher. „Sie kam mir immer so genervt vor als hätte sie keine Lust darauf. Dann hat sie auch ständig die Leute verbessert und wollte uns dazu animieren, auch die freiwilligen Aufgaben zu lösen, obwohl die viel schwer waren als die Pflichtaufgaben. Und für die Klausur hätten die eh nichts gebracht.“ „Also ist sie wohl eine Vorzeigeperfektionistin“, stellte Yolei nüchtern fest und gab das Tomatenmark und die geschälten Tomaten hinzu, bevor sie die Soße mit den Kräutern und Gewürzen zu verfeinern begann. „Ja, sie gehört mit Izzy zu den Klassenbesten und will ihren Schnitt wohl auch halten. Ich frage mich ernsthaft, ob sie überhaupt ein Privatleben hat. Bestimmt gleicht ihr Zimmer einem tristen Bunker, damit sie sich besser auf das Wesentliche konzentrieren kann“, mutmaßte Mimi lachend und zog eine der Schubladen auf, um zwei Löffel zum Probieren herauszuholen. Sie reichte den einen an Yolei weiter, die ihn gespannt in die Soße tauchte und ein Stück Zucchini ebenfalls mitaufnahm. „Vorsichtig, es ist sicher noch sehr heiß“, informierte Mimi sie, während sie ebenfalls etwas auf ihren Löffel tat und bedacht in die Soße blies, bevor sie sie langsam zu ihrem Mund führte. Der fruchtige Geschmack der Tomaten breitete sich auf ihrer Zunge aus, während sie die weiche Zucchini problemlos kauen konnte. Sie war noch etwas bissfest, aber das störte Mimi nicht. „Ich glaube, es fehlt noch ein bisschen Salz“, meinte Yolei, die die Soße ebenfalls abgeschmeckt hatte. „Findest du?“, hakte Mimi verunsichert nach und probierte abermals. Sie legte den Kopf etwas zur Seite und versuchte den Geschmack ganzhaltig einzufangen, indem sie die Soße auf der Zunge zergehen ließ. „Mhm, ich glaube es fehlt eher eine Prise Rosmarin“, merkte Mimi an als sie die frischen Rosmarinblätter in die Hand nahm und sie zurechtzupfte, um es in der Soße zu verteilen. Danach rührte sie sie etwas um und nahm eine weitere Kostprobe. „Ja, ich glaube, jetzt ist es gut! Probier‘ nochmal!“ Yolei kam Mimis Aufforderung sofort nach und tunkte ihren Löffel erneut in die gutriechende Soße. Sie schöpfte etwas ab, damit ihr Löffel nicht zu voll war und führte ihn pustend zu ihrem Mund. Gespannt betrachtete Mimi ihre Freundin und hoffte, dass es ihr ebenfalls schmeckte. Nickend bestätigte Yolei sie und hielt sich die Hand vor den Mund, da es wahrscheinlich doch noch etwas zu heiß für sie gewesen war. „Ist echt lecker“, antwortete sie und schnappte etwas nach Luft. „Nur wirklich verdammt heiß.“ „Tja, wurde ja schließlich auch auf dem Herd gekocht“, witzelte Mimi und stellte die Herdplatte etwas runter, damit das Ratatouille noch ein bisschen köcheln konnte. „Kommst eigentlich nächste Woche auch zu dem Fußballspiel? Danach ist sogar eine Poolparty bei einem aus der Mannschaft“, verkündete Mimi freudig und stützte sich an der Theke ab. „Fußballspiel? Poolparty? Es ist erst Mitte Mai“, stellte Yolei entrüstet fest. „Na und? Die war letztes Jahr auch schon im Mai gewesen! Der Pool ist sogar beheizt und es laufen viele heiße Kerle in Badehosen rum. Und wir können uns natürlich in einem schicken Bikini präsentieren“, flötete sie und trieb Yolei die Schamesröte ins Gesicht. „Ein Bikini?! Ich glaube, ich habe noch nicht mal einen“, gab sie kleinlaut zu. „Na umso besser“, sagte Mimi und legte die Hand auf ihre. „Dann können wir dir noch einen Hübschen kaufen gehen. Geld ausgeben fördert ja schließlich die Wirtschaft.“ „Ich weiß nicht…wer kommt denn da alles?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn nach. Mimi überlegte kurz und fing an ein paar Namen aufzuzählen, die Yolei kannte. „Hauptsächlich die Fußballer und ein paar Klassenkammeraden aus den oberen Klassenstufen. Bestimmt kommen Yamato und Sora auch mit, falls Matt kein Konzert hat. Und vielleicht bringt Matt dann auch Makoto mit“, trällerte sie hoch erfreut und grinste überschwänglich. Sie hatte mit Makoto in letzter Zeit viel Kontakt. Erst letztens waren sie nach der Schule einen Kaffee trinken gewesen und hatten sie sehr nett miteinander unterhalten gehabt. Mimi hoffte nach wie vor, dass er sie bald auf eine Verabredung einladen würde. Sie gab ihm schließlich eindeutige Zeichen, dass sie an ihm interessiert war und einen Makoto in Badehose würde sie sich auch ganz sicher nicht entgehen lassen wollen. „Er scheint es dir ja ganz schön angetan zu haben“, stellte Yolei fest und warf einen prüfenden Blick zu ihrem Ratatouille. Mimi kicherte und beugte sich ebenfalls über die Pfanne. Ein paar Strähne lösten sich aus ihrem hochgebundenen Zopf, die sie hektisch hinter ihre Ohren strich. „Vielleicht fragt er mich ja sogar bald nach einer Verabredung.“ „Ach er hat dich noch nicht gefragt?“, hakte Yolei interessiert nach und stellte auf Mimis Anweisung hin die Herdplatte aus. „Nein, noch nicht. Wir waren zwar mal Kaffee trinken, aber das kann man nicht als Verabredung bezeichnen.“ „Okay, vielleicht solltest du dir dann ja auch einen neuen Bikini besorgen und ihm einfach gehörig den Kopf verdrehen“, schlug Yolei lachend vor. Mimi stieg sofort mit ein und nickte bestätigend. „Ich mag deine Denkweise, aber erstmal möchte ich einfach diesen Nachmittag rumbekommen und die Perfektionistin überleben“, antwortete sie bedacht und nahm die Pfanne vom Herd. _ Direkt nach dem Kochkurs machte sich Mimi auf den Weg zu einem Café in der Nähe, dass Kaori ihr als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Sie wollte einige Themenvorschläge durchgehen, in der Hoffnung, dass ein Thema dabei war, dass ihnen beiden gefiel. Mimi war noch skeptisch, ob sie sich überhaupt einigen konnten, da sie wohl sehr unterschiedliche Vorstellungen von dem Projekt hatten. Sie hatten bis zum Herbstfest Zeit, das Projekt vorzubereiten, ihre Ergebnisse zu verschriftlichen und eine Präsentation zu erarbeiten, die sie während des Festes vorstellen mussten. Sie schlenderte gemütlich zu dem Café und hing für einen Moment ihren eigenen Gedanken nach. Am liebsten hätte sie sich nach der Schule mit Sora getroffen, die auf sie einen sehr geknickten Eindruck in der Mittagspause gemacht hatte. Mimi tendierte hier ganz klar zu einem erneuten Streit mit Yamato, da er heute auch nicht mit ihnen gegessen hatte. Zwar versuchte sie Sora ein wenig auf den Zahn zu fühlen, doch sowohl Yolei als auch Tai und Izzy waren die gesamte Zeit anwesend gewesen, sodass Mimi einfach keine passende Gelegenheit fand, mit ihrer besten Freundin zu sprechen. Auch Taichi machte auf sie einen ungewöhnlich ruhigen Eindruck, stieg gar nicht auf ihre Provokationen ein, sondern ignorierte sie, was Mimi deutlich verärgerte. Wusste er etwa etwas, dass sie nicht wusste? Nein, das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Sora erzählte ihr immer alles und würde sie sicher auch nach dem Treffen mit Kaori noch anrufen, dass sie einfach schnell hinter sich bringen wollte. Missmutig erreichte sie das Café und drückte die Ladentür schwerfällig auf. Sie blieb kurz mitten im Raum stehen und suchte mit den Augen nach Kaori, die sich in die hinterste Ecke verzogen hatte und sie noch gar nicht bemerkt hatte. Ihre langen braunen Haare hingen ihr ins Gesicht und beim näheren Hinsehen erkannte Mimi, dass sie wohl in etwas vertieft sein musste, da sie bisher noch nicht aufgesehen hatte. Langsam schlich sie an ihren Tisch und räusperte sich kurz als sie aufsah und prompt ihre Brille richtete. „Du bist sieben Minuten zu spät“, begrüßte sie sie und schaute zur Kontrolle auf ihre Uhr, die ihr Handgelenk zierte. Mimi seufzte nur und ließ sich mit samt ihrer Schultasche auf dem Platz gegenüber nieder. „Tut mir leid, aber wir müssen nach dem Kochen immer die Küche sauber machen. Das dauert eben“, rechtfertigte sie sich, obwohl sie eigentlich keinen Grund sah, sich rechtfertigen zu müssen. Sie wusste ja schließlich, dass sie noch den Kochkurs besuchte. Doch Kaori schien bereits jetzt schon sehr genervt zu sein, was Mimi sehr ärgerte. Wütend presste sie die Lippen aufeinander und strich den Rock ihrer Schuluniform glatt, während Kaori sich wieder auf ihr Buch konzentrierte. Stille legte sich über die beiden und Mimi bereute es jetzt schon, ausgerechnet mit ihr in einer Gruppe gelandet zu sein. Genervt löste sie ihren Zopf, den sie sich extra fürs Kochen gemacht hatte. Sie wuschelte sich durch die ihre lange Mähne und stützte erwartungsvoll ihre Ellenbogen auf dem kleinen Tisch ab. Kurz bevor sie ein erneutes Gespräch mit Kaori aufnehmen konnte, funkte die Kellnerin dazwischen, bei der sich Mimi eine kalte Cola bestellte, die sie für ihre Nerven sicher noch brauchen würde. „Und hast du schon eine Idee? Deine Augen kleben ja förmlich an dem Buch“, stellte sie fest und linste kurz rein, um festzustellen, dass es tatsächlich etwas mit ihrem Projekt zu tun haben könnte. Krisenexperimente. Mit diesem Wort konnte sie überhaupt nichts anfangen. Experimentierte man da etwa in Krisengebieten? „Was hast du denn da?“, hakte Mimi etwas fordernder nach, während ihre Cola gebracht wurde. Dankend nahm sie das Glas an und nippte sofort daran als Kaori sich endlich erbarmte und ihren interessierten Blick erwiderte. Sie schob ihr das Buch zu, sodass sie einen knappen Überblick erhaschen konnte. „Ich habe mir das Buch in der Schulbücherei ausgeliehen. Das Thema stand nicht explizit auf dem Plan, aber ich habe schon des Öfteren darüber Berichte gelesen und finde es sehr interessant.“ Mimi las kurz drüber, verstand aber nicht wirklich, was mit dem ‚sichtbar machen sozialer Normen‘ gemeint war, weshalb sie Kaori einen fragenden Blick zuwarf. In ihren Augen erkannte sie ein Funkeln, sodass sie sich schon zusammenreimen konnte, dass sie bei diesem Projekt wohl kaum viel Mitsprachrecht hatte. „Kennst du Flashmopps?“, fragte sie plötzlich und Mimi blickte verdutzt drein. War das ein Witz? Natürlich kannte sie Flashmopps. In New York hatte sie sogar den ein oder anderen miterlebt, sodass sie am liebsten gleich mittanzen wollte, wenn sie daran zurückdachte. „Ja, klar, sowas sieht man doch öfter. Vor allem im Fernsehen!“ „Sowas ist auch ein Krisenexperiment“, erklärte Kaori knapp. „Man versucht sozusagen, darauf zu achten, wie die Menschen darauf reagieren.“ Sie gestikulierte ausdrucksstark mit ihren Händen, um ihre Schlussfolgerungen besser untermauern zu können. „Es ist meistens so, dass viele sehr geschockt reagieren oder peinlich berührt wegsehen. Manche machen sogar mit und das kann man dann alles beobachten und später reflektieren.“ Mimi nickte nur bestätigend und überlegte kurz, was sie von diesen Krisenexperimenten halten sollte. Wollte Kaori etwas einen Flashmopp auf die Beine stellen oder wie stellte sie sich das Ganze vor? Bestimmt war das alles sehr aufwendig zu organisieren und bedeutete eine enge Zusammenarbeit, die sich Mimi im Moment nicht vorstellen konnte. „Und du willst auch so einen Flashmopp organisieren?“, hakte sie unschlüssig nach, während Kaori sich gegen ihre Stuhllehne presste und nachdenklich dreinblickte. „Mal sehen, es gibt so viele Arten von Krisenexperimenten. Wir können auch einfach in den Supermarkt gehen und die Einkaufswägen der Kunden ausräumen. Ist sicher genauso effektiv.“ Sprachlos klappte Mimi der Mund auf, da sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte. „Ist das dein Ernst?“ „Ja klar, natürlich müssten wir die Erlaubnis vom Supermarkt einholen, aber der Rest dürfte echt kein Problem sein“, meinte sie sorglos. „Okay…aber…“, sie stockte und wollte sich gar nicht vorstellen, wie manche Kunden wohl reagieren würden. Wahrscheinlich würde die Ausrede ‚Ich mache ein Experiment für die Schule‘ nicht bei jedem zählen. Doch Kaori war nicht davon abzubringen, ignorierte sogar einen Vorschlag den Mimi ihr unterbreitet hatte. Sie hatte sich völlig festgefahren, erzählte von den Experimenten rund vom Harold Garfinkel und seinen Studenten, die diesen Schwachsinn ins Leben gerufen hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)