Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 6: Generationskonflikte ------------------------------- ♥ Mimi ♥ „Meine Güte Mimi, wie lange willst du denn noch schlafen?“, bohrte sich die schrille Stimme ihre Mutter in ihren hämmernden Kopf. Mit schnellen Schritten nährte sie sich ihrem Fenster als sie die Jalousien aufzog und Mimi direkt von der Sonne geblendet wurde. „Man, viel zu hell“, knurrte sie und zog sich sofort ihr weiches Kissen über den Kopf, um der strahlenden Sonne zu entkommen. „Mimi du solltest langsam wirklich mal aufstehen! Es ist schon fast elf und in einer Stunde sind wir zum Essen eingeladen!“, erinnerte sie sie mit einem strengen Unterton. „Zum Essen? Kann ich nicht zu Hause bleiben?“, fragte sie mit schwerer Zunge und wollte gar nicht mehr unter ihrem Kissen hervorkommen. „Ich habe auch keine Lust dazu, aber dein Vater hat Großmutter bereits zugesagt. Also steh endlich auf und mach dich fertig“, forderte ihre Mutter sie auf und zog abrupt ihre Decke weg, unter die sie sich gekuschelt hatte. „Hey!“, schrie sie schrill und kam unter ihrem Kopfkissen hervor. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie noch das Top vom Vorabend trug und lediglich ihren unbequemen Lederrock ausgezogen hatte. Müde fuhr sie sich durch das Gesicht und blieb benommen auf ihrem Bett sitzen, während ihre Mutter die Decke über ihren Schreibtischstuhl warf und sie besorgt musterte. „Wir haben uns übrigens große Sorgen um dich gemacht, nachdem Tai und Sora dich um halb drei völlig betrunken nach Hause gebracht haben.“ „Ich war nicht völlig betrunken gewesen“, rechtfertigte sie sich und betrachtete ihre schwarzen Finger, die nur von ihrer Wimpertusche stammen konnten. „Taichi hat dich den ganzen Weg nach Hause getragen. Sogar bis in dein Bett, weil du einfach völlig fertig warst“, erzählte sie ihr aufgebracht. Überrascht presste sie die Lippen aufeinander, da sie sich wirklich nicht mehr daran erinnern konnte, wie sie überhaupt nach Hause gekommen war. Die letzten Stunden waren wie ausgelöscht. Sie erinnerte sich nur noch daran, wie sie mit Makato ausgelassen getanzt, eine Cocktails getrunken und später gemeinsam mit Sora und Tai den Club verlassen hatte. „Mach‘ dich jetzt einfach fertig. Wir fahren in einer halben Stunde los“, sagte Satoe in einem etwas ruhigeren Ton, bevor sie ihr Zimmer verließ und die Tür sachte hinter sich schloss. Mimi fuhr sich erschöpft durch ihr langes braunes Haar, das schlaff nach unten hing und sich am Ansatz ein wenig fettig anfühlte. Sie schnaufte laut als sie langsam von ihrem Bett aufstand und kurz ihre Orientierung verlor, weil sich das Schwindelgefühl in den Vordergrund drängte. Sie hielt sich an ihrem Bettgitter am Fußende fest, fuhr sich über ihre schweißnasse Stirn und spürte wie die Übelkeit wieder in ihr aufstieg, obwohl sie gar nichts mehr gegessen hatte. Für einen kurzen Moment hielt sie inne, bevor sie langsam zu ihrem Schrank wankte und ihn behutsam öffnete. Schnell fand sie ein bequemes Outfit und kramte frische Unterwäsche aus ihrer Schublade als sie sich wieder in Bewegung setzte und langsam zum Badezimmer trottete. Nach einer erfrischenden Dusche, kehrte sie mit nassen Haaren in ihr Zimmer zurück. Vorsichtig riebt sie sich über die Stirn und hatte das Gefühl, dass ihre Kopfschmerzen allmählich nachließen. Mimi legte das Handtuch über ihre Schultern und betrachtete ihr müdes Gesicht in ihrem Schminkspiegel. Mittlerweile hatte sie sich abgeschminkt, aber ihre Haut war glanzlos und sehr blass, sodass sie sich dazu entschied, etwas Farbe in ihr Gesicht zu bringen. Zuvor entdeckte sie ihre Handtasche, die sie gestern Abend dabei hatte. Neugierig kramte sie ihr Handy hervor und setzte sich gedankenverloren vor ihren Schminktisch als sie feststellte, dass mehrere neue Nachrichten in ihrem Posteingang auf sie warteten. Gespannt klickte sie sich durch das Menü und gelangte schließlich zu ihren ungelesenen SMS. Sie hatte drei neue Nachrichten erhalten. Eine war von Taichi, die weiteren von Makoto. Mimi überlegte nicht lang und öffnete zuerst die SMS von Tai, auch wenn sie viel neugieriger war, was Makoto ihr geschrieben hatte. Mit den Augen huschte sie über die kurzen Zeilen und konnte sich ein genervtes Stöhnen nicht verkneifen. Du schuldest mir eine Rückenmassage, Prinzessin. Beim nächsten Mal solltest du wohl doch lieber die Finger vom bösen Alkohol lassen :D – Taichi. Eine Rückenmassage? Wollte er ihr damit etwa sagen, dass sie zu schwer war? Na, der konnte wirklich etwas erleben, wenn sie ihn am Montag in der Schule wiedersah. Auf die Massage könnte er noch hundert Jahre warten. Auch wenn er bald Geburtstag und sie immer noch kein Geschenk hatte. Diesen Gefallen würde sie ihm gewiss nicht tun. Sie quittierte Tais SMS einfach nur mit einem Kopfschütteln als sie zurückklickte und sich den wichtigeren Nachrichten widmete. Ihr Herz schlug augenblicklich ein bisschen schneller, wenn sie an den Abend mit Makoto zurückdachte. Sie hatten wirklich viel Spaß zusammen gehabt, eng miteinander getanzt und sogar Nummern ausgetauscht. Anscheinend hatte ihm der Abend mit ihr ebenfalls gefallen, weil er ihr sonst wohl kaum zwei Nachrichten geschickt hätte. Mit nervösen Fingern öffnete sie die erste SMS als sich ein leichtes Lächeln über ihre Lippen schlich. Hey, ich hoffe du kommst gut nach Hause! War echt schön heute Abend. Ich hoffe, ich werde dich noch öfters auf Konzerten sehen. Vielleicht ja auch mal außerhalb der Bühne? ;) – Makoto. Außerhalb der Bühne…ob er wohl das meinte, was ihr dabei in den Sinn kam? Fragte er sie vielleicht sogar indirekt um eine Verabredung? Vorstellen konnte sie sich bei Makoto wirklich alles. Auch wenn er wie ein Draufgänger aussah, schien er eine weiche Seite in sich zu tragen, die Mimi unbedingt näher kennenlernen wollte. Sie hatten sich so nett unterhalten gehabt, dass Mimis Interesse an ihm ins Unermessliche wuchs. Schnell klickte sie sich zur nächsten Nachricht. Naaa? Gut geschlafen? Ich hoffe, du hast keine Kopfschmerzen :P – Makoto. Er hatte die SMS scheinbar direkt nach dem Aufstehen verfasst gehabt. Sie war noch keine zehn Minuten alt, was sie sichtlich freute, da er direkt nach dem wach werden, wohl an sie gedacht haben musste. Beflügelt von diesem Gedanken tippte sie eine kurze Nachricht über ihr Befinden zurück und hoffte, dass sie auch noch weitere Antworten von ihm erhalten würde. Sie biss sich aufgeregt auf die Unterlippe, legte ihr Handy beiseite und versuchte sich auf ihr Make up zu konzentrieren, dass ihr eine gesündere Gesichtsfarbe verleihen sollte. _ Angespannt saß sie gemeinsam mit ihren Eltern, ihrer Großmutter, ihrem Onkel und ihrer Tante am Mittagstisch. Noch immer schien ihr Vater etwas sauer auf sie zu sein, da er kurz bevor sie gefahren waren, ihr selbstverständlich eine Moralpredigt gehalten hatte. Nachdem er sie gefühlt tausend Mal auf ihr unangemessenes Verhalten hingewiesen hatte und ihr vor Augen führte, dass zu viel Alkohol gerade in ihrem Alter besonders schädlich war, waren sie tatsächlich relativ pünktlich bei ihrer Großmutter angekommen. Mimi war es immer noch etwas flau im Magen und das deftige Essen ihrer Tante Sayuri machte es kein Stück besser. Nachdem sie einen kleinen Happen des Currys probiert hatte, brauchte sie bereits eine Pause, da es förmlich auf ihrer Zunge brannte und ihre Geschmacksnerven reizte. Wahrscheinlich hatte sie mal wieder zu viel Pfeffer verwendet, der ihr einige Tränchen in die Augen trieb und ihre Kehle in Brandt versetzte. „Schmeckt es dir?“, fragte Sayuri freudestrahlend und beobachtete Mimis Reaktion genau. „Ja, es ist wirklich sehr lecker“, antwortete sie und aß demonstrativ einen Löffel ihres Currys, auch wenn ihr Mund danach noch mehr brannte. Schnell versuchte sie das ausbreitende Feuer mit etwas Wasser unter Kontrolle zu bringen, doch ihr Mund war nach wie vor gereizt und die Erleichterung blieb wider Erwarten aus. Noch immer benetzte der scharfe Nachgeschmack des Pfeffers ihre Zunge, sodass sie ihr Besteck erneut sinken ließ. Völlig darauf konzentriert, aufgrund der Schärfe, nicht in Tränen auszubrechen, bemerkte sie erst gar nicht, wie ihr Onkel Akio das Gespräch mit ihr suchte. „Und hast du schon eine Idee, was du nach der Schule machen möchtest?“, fragte er interessiert nach, obwohl Mimi sich bereits denken konnte, auf was er hinauswollte. Auch ihr Vater wollte sie immer wieder in die gleiche Richtung lenken, obwohl sie noch gar keine Lust hatte sich darüber Gedanken zu machen. Schließlich hatte sie noch Zeit. „Im Moment bin ich noch unschlüssig, aber das Beratungsgespräch in der Schule steht ja noch aus“, erwiderte sie mit brennender Zunge, in der Hoffnung das diese Antwort genügen würde, doch der Blick ihres Onkels ließ etwas anderes vermuten. „Wie wäre es, wenn du in den Sommerferien mal ein Praktikum bei uns machst? Ich glaube, dass könnte dir wirklich gut gefallen“, schlug er mit leuchtenden Augen vor und richtete den Blick zu ihrem Vater, der nur bestätigend nickte. Ihre Mutter presste die Lippen aufeinander und war ungewöhnlich ruhig – etwas, dass Mimi so gar nicht von ihr kannte. Doch immer, wenn sie gemeinsam ihre Großmutter besuchten, legte sich eine seltsame Stimmung über sie. So als würde etwas Unausgesprochenes im Raum liegen, dass jeden Augenblick zu explodieren drohte. „Ein Praktikum?“, hakte Mimi irritiert nach. Sie hatte eigentlich nie vor gehabt in der Firma zu arbeiten, die ihr Großvater vor Jahrzehnten gegründet hatte. Marketing war noch nie ihr Ding gewesen, weshalb sie meist abschaltete, wenn ihr Vater von seiner Arbeit erzählte. Sie wollte etwas Kreatives machen. Sich selbst entdecken und sich nicht nach Wünschen anderer richten. „Ich würde es auch unglaublich schön finden, wenn du mal in die Firma reinschnupperst. Großvater hätte das sicher auch gefallen. Ihm war es nämlich immer ein Anliegen, dass die Firma in Familienbesitz bleibt“, schwelgte ihre Großmutter in Erinnerungen, während sich Mimi immer mehr in die Ecke gedrängt fühlte. Was sollte sie nur sagen? Dass sie kein Interesse am Erbe ihres Großvaters hatte? Nein, das konnte sie beim besten Willen nicht bringen. „Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass dir der Job Spaß machen würde“, mischte sich nun auch Sayuri ein. „Abwechslungsreiche Aufträge, viel Kontakt mit Kunden und das Geld stimmt natürlich auch. Und das ist ja schließlich das Wichtigste, wenn man heutzutage abgesichert sein möchte.“ Auch der Rest stimmte mit ein, auch wenn Mimi diese Aussage mehr als nur zweifelhaft empfand. Klar, Geld erleichterte das Leben ungemein und Mimi war froh, dass ihr Vater gut verdiente und ihr somit schöne Klamotten kaufen konnte…doch machte Geld allein auch glücklich? Sie hatte mittlerweile das Gefühl, dass genau das Gegenteil der Fall war. Wie oft arbeitete ihr Vater bis spät in die Nacht? Wie oft war er in den letzten drei Monaten auf Geschäftsreise gewesen? Wie oft saß ihre Mutter alleine auf der Couch und musste sich mit ihrer Einsamkeit auseinandersetzen? Mimi wanderte mit dem Blick zu ihr und erkannte das ihr Gesicht wie versteinert wirkte. Erst bei genauerem Hinsehen, sah sie das ihre Mutter ihre Finger in geblümtes Kleid gekrallt hatte. Die Gespräche der anderen, nahm Mimi nur dumpf in ihren Ohren wahr. Sie konnte all das schon langsam nicht mehr hören und fragte sich ernsthaft, ob ihre Großmutter sie nur zum Essen eingeladen hatte, um sie weiter zu bearbeiten, wie es ihr Vater meistens tat. Doch Mimi war einfach anders. Sie sah sich nicht in keinem Bürokomplex sitzen und ständig am Computer arbeiten. Und genau das, musste sie versuchen ihrer Familie klar zu machen! _ Nach dem anstrengenden Essen, hatte sich die Lage wieder etwas entspannt. Während ihr Vater gemeinsam mit ihrem Onkel und ihrer Tante nach draußen verschwunden war, um ein paar geschäftliche Dinge zu besprechen, war ihre Mutter zusammen mit ihrer Großmutter in der Küche. Mimi war kurz auf die Toilette verschwunden, da sie sich mal wieder vor dem Einräumen der Spülmaschine drücken wollte. Auf leisen Sohlen kehrte sie deswegen zurück, um sich danach ebenfalls nach draußen schleichen zu können, doch die lauten Stimmen in der Küche ließen sie hellhörig werden. Langsam schritt sie zur Tür, die einen kleinen Spalt geöffnet war. Sie erkannte ihre Mutter und Großmutter, die scheinbar miteinander stritten. Ihre Mutter hatte einen sehr abwertenden Blick aufgelegt, nahm das Geschirr und packte es unsanft in die Spülmaschine, sodass es laut klapperte. „Ich verstehe wirklich nicht, warum du auf einmal so sauer bist, Satoe! Wir meinen es doch nur gut!“, rechtfertigte sich ihre Großmutter und stemmte die Hände in die Hüfte. Ihre Mutter ging jedoch mit einer ruckartigen Bewegung in eine Art Abwehrhaltung, bevor sie die Maschine schloss und anstellte. „Mimi wird schon wissen, was sie mal machen möchte. Ihr braucht sie nicht in eine Richtung zu drängen! Das habe ich auch schon Keisuke gesagt, aber ihr scheint ihm ja diesen Floh überhaupt erst ins Ohr gesetzt zu haben“, klagte sie sie an. „Ich habe ihm nur vorgeschlagen, dass Mimi es möglichweise in Erwägung ziehen könnte. Nach dem Studium hätte sie dann sofort einen sicheren Arbeitsplatz und deinem Vater lag es am Herzen das die Firma in der Familie bleibt“, erklärte sie fast schon ein wenig verzweifelt. Satoe ging daraufhin zur Spüle und befeuchtete einen Lappen mit Wasser, um die Herdplatte abzuwischen, die beim Kochen scheinbar etwas mit Fett bespritzt wurde. „Dir geht es doch wirklich nur um die Firma. Euch ging es immer nur im die Firma, schon damals!“, erwiderte sie hysterisch und fuhr hektisch über die Herdplatten. „Du weißt, dass das nicht stimmt!“, antwortete ihre Großmutter verletzt und näherte sich ihrer Tochter langsam. Mimi stand immer noch an der Tür, spitzte weiterhin die Ohren, auch wenn sie nicht verstand, über was die beiden überhaupt redeten. Was war damals nur vorgefallen? „Ich habe viel falsch gemacht, das gebe ich zu“, begann ihre Großmutter in einem ruhigeren Ton, während ihre Mutter wie eine Verrückte den Herd schrubbte. „Damals habe ich viel von dir verlangt und bin Gefahr gelaufen, dich ganz zu verlieren. Doch als ihr wieder nach Japan zurückgezogen seid, um deinen Bruder und mich mit der Firma zu unterstützen, dachte ich, dass wir einen Neuanfang starten könnten.“ Sie legte behutsam eine Hand auf der Schulter ihrer Mutter ab, die sofort in ihrer Bewegung einfror. Gespannt achtete Mimi auf ihre Reaktion und hielt für einen kurzen Moment den Atem an. Ihre Mutter schüttelte die Hand jedoch ab und fixierte ihre Großmutter mit einem unergründlichen Blick, indem so viel Schmerz und Leid lag, dass selbst Mimi erkannte, dass es sich hier um keine Kleinigkeit handeln konnte. „Ich habe dir verziehen, aber auch nur, weil du für meine Tochter eine tolle Großmutter warst. Aber glaub ja nicht, dass ich es jemals vergessen werde“, antwortete sie mit einem unterkühlten Unterton, ließ den Spüllappen auf die Theke sinken, bevor sie sich erneut in Bewegung setzte und die Tür ansteuerte, hinter der sich Mimi versteckte. Von Panik ergriffen rannte sie zurück ins Badezimmer, da sie gemerkt hatte, dass dieses Gespräch für ihre Ohren wohl nicht bestimmt war. Hektisch schloss sie die Tür hinter sich und presste ihren Rücken gegen das massive Holz. In ihrem Kopf breiteten sich tausende Fragezeichen aus, die ihre Sinne vernebelten. Sie hatte durchaus bemerkt, dass das Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter alles andere als einfach war, aber was versuchten sie nur zu verbergen? Was steckte nur dahinter? Was war zwischen ihnen nur vorgefallen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)