Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 4 --------- Was zuletzt geschah: Nach einem gewaltigen Sprung über seinen Schatten, folgt Jonas Kolb in dessen Wohnung, um dort die Nacht mit ihm zu verbringen, muss aber bald einsehen, dass er mit dieser Aktion mehr abgebissen hat als er kauen kann. Kurz bevor er erstickt, bricht Kolb ab. Enttäuscht und gedemütigt flüchtet Jonas in die Nacht.   Kapitel 4 Die Mittagssonne stand hoch am Himmel, aber ein kalter Novemberwind fegte durch die Straßen und riss die letzten bunten Blätter von den Ästen. Ungeduldig zog Jonas den Reißverschluss seines Anoraks höher, die Finger der Hand mit der er sein Handy hielt waren inzwischen steif und gerötet. „Und jetzt hat der Arsch auch noch meine Lederjacke!“ „Ich weiß, Jonas“, entgegnete die geduldige Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. „Das hast du mir jetzt schon dreimal erzählt. Mindestens. Genaugenommen jedes Mal, wenn wir miteinander telefoniert haben und das haben wir ziemlich oft getan.“ Jonas öffnete den Mund zu einer Erwiderung, schloss ihn aber rasch wieder. Wenn er es geschafft hatte, selbst Maria mit seiner Litanei über den schiefgelaufenen One-Night-Stand mit Kolb zu nerven, musste er das Thema tatsächlich arg breitgetreten haben. Während er an einer roten Ampel wartete, schielte er auf das Display seines Handys, um zu sehen, wie lange sie schon miteinander telefonierten. Die Antwort lautete: Lange. „Sorry. Ich hör jetzt damit auf.“ Die Ampel sprang auf Grün und er überquerte die Straße. „Wie läuft’s denn bei dir?“ „Abgesehen davon, dass ich mich wie der dümmste Mensch der Welt fühle, die Leute im Wohnheim Dauerpartys schmeißen und meine Eltern keine Stunde brauchen, um hierher zu fahren und mich zu kontrollieren? Alles super!“ „Ich versteh‘ echt nich‘, warum du nich‘ mit mir nach Berlin gekommen bist. Mathe kannst du doch auch hier studieren.“ „Jo“, bestätigte Maria. „In der Zeit, die ich nicht damit beschäftigt bin, mich mit meinen Eltern um den Unterhalt zu streiten.“ „Aber den müssten sie dir doch so oder so zahlen“, widersprach Jonas, als hätten sie dieses Thema nicht schon hunderte Male durchgekaut. „Völlig egal, ob du jetzt in Berlin oder in München wohnst.“ „Müssten sie. Aber davor würden sie mir so viele Steine wie nur möglich in den Weg legen. Sorry Jonas, ich vermiss dich auch total, aber das ist Stress, den ich mir nicht noch zusätzlich antun will. Außerdem …“ Maria seufzte. „Sie sind immer noch meine Eltern.“ „Das weiß ich“, gab Jonas leise nach. „Du fehlst mir einfach.“ „Du mir auch. Sorry, dass ich nicht bei dir sein kann.“ „Schon gut. Ist ja nicht deine Schuld.“ Maria schnaubte. „Na schön. Du hast dir offiziell die Erlaubnis erarbeitet, mich weiter mit diesem Typen zu nerven, über den du offensichtlich immer noch nicht hinweg bist.“ „Bitte? Scheiße, ich bin sowas von über den Typen weg! Ich muss noch nich‘ mal über ihn wegkommen, weil ich gar nich‘ erst an ihm interessiert war!“ „Klar.“ Jonas konnte Marias Augenrollen hören. „Fuck. Okay, ich war an ihm interessiert. Er sieht geil aus. Aber das is‘ vorbei, weil der Kerl ‘n übles Arschloch is‘, das ich im ganzen Leben nich‘ mehr wiedersehen will.“ „Hält dich nicht davon ab, über ihn zu reden.“ „Das is‘ ja das Problem!“, rief Jonas aufgebracht. „Ich kann mich nich‘ von ihm ablenken! Es reicht ja nich‘, dass er grad mal zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt arbeitet und das ausgerechnet im verfickten Lieblingsclub der anderen, sondern der wohnt auch noch scheißnah an der Uni. Ständig denk ich, ich steh in seiner Straße! Jetzt schon wieder! Hier sieht alles gleich aus, ich find das verfickte Restaurant nich‘, in das die anderen gehen wollten und ich könnt schwören, ich steh direkt vor seiner Tür.“ Jonas stoppte und sah sich um. „Fuck! Fuck, fuck, fuck!“ „Okay …“, sagte Maria vorsichtig. „Dieser Ausbruch war selbst für deine Verhältnisse heftig. Alles okay?“ „Nein! Nichts is‘ okay!“, schimpfte Jonas. „Ich steh‘ wirklich vor seiner verfickten Tür! Ich seh‘ sein verficktes Auto!“ „Tief Luft holen und einfach weitergehen“, empfahl Maria. „Jaa …“ Aber etwas hielt Jonas‘ Füße am Boden und seinen Blick auf die Eingangstür gerichtet. „Nee, weißt du was, scheiß drauf! Ich klingle da jetzt und hol mir meine Jacke zurück!“ „Tu, was du tun musst, wenn das bedeutet, dass wir demnächst mal wieder über was anderes reden können als dein verkorkstes Liebesleben.“ „Danke für dein Mitgefühl.“ „Jederzeit. Viel Glück.“ Maria legte auf und zusammen mit ihrer Stimme, schwand auch Jonas‘ Selbstbewusstsein. Er hatte Kolbs Namen auf dem Klingelschild entdeckt, stand also definitiv am richtigen Ort, brachte es jedoch nicht über sich, den Knopf zu drücken. Wütend tigerte er auf und ab. Immer wieder zog die stahlgraue Eingangstür an ihm vorbei. Dieser Arsch! Ohne es zu wollen, sah Jonas Kolbs Gesicht vor sich. Die blitzenden Augen, deren Farbe er noch immer nicht kannte, seine breiten Schultern und die kräftigen Hände, die so genau gewusst hatten, wie sie ihn berühren mussten. „Fuck!“ Jonas trat eine leere Dose quer über den Gehweg. Er hatte sich geschworen, den Typen nie wieder zu sehen. Und jetzt stand er hier. Vor seiner Haustür. Nicht, dass er davor von Kolbs Einfluss befreit gewesen wäre. Seit beinahe zwei Wochen waren die Erinnerungen an diese Nacht zu den unmöglichsten Zeiten wieder hochgekommen. Jonas konnte sich nicht auf die Uni konzentrieren, nicht auf seinen Kellnerjob, hatte wiederholt seinen Freunden abgesagt, aus Furcht, sie könnten wieder ins Tix wollen. Nicht einmal in Ruhe wichsen konnte er, ohne Kolbs verfluchte Stimme im Ohr und seinen Geruch in der Nase zu haben. „Fuck!“ Es ging um mehr als seine Lederjacke. Er musste das irgendwie zu Ende bringen. Einen zögerlichen Augenblick schwebte Jonas‘ Finger über der Klingel, bevor er sie energisch drückte. Wahrscheinlich war Kolb gar nicht da. Es war früher Nachmittag, vielleicht war er einkaufen, oder trieb Sport, oder… Der Summer ertönte. Jonas stieß die Tür auf und stürmte die Treppen nach oben. Den ersten Stock hatte er schnell erreicht, im Zweiten wurde er langsamer, bis er stehenblieb und sich erst ein Herz fassen musste um die letzten Stufen zu überwinden. Die Tür zu seiner linken Seite war einen Spalt geöffnet, gerade ausreichend, um Kolbs verdutztes Gesicht zu offenbaren. Beide waren sichtlich überrascht über den Anblick des anderen. Kolb hatte augenscheinlich nicht mit Jonas‘ Auftauchen gerechnet und Jonas hatte nicht damit gerechnet, dass Kolb so völlig anders aussah, als er ihn in Erinnerung hatte. Eher sorgloser Philosophiestudent als knallharter Geschäftsmann. Hemd und Weste hatte er gegen Wollpulli und ausgewaschene Jeans getauscht, sein langes, blondes Haar war offen und zerzaust und er trug eine Brille. Dazu war er vermutlich eine ganze Ecke jünger, als Jonas ursprünglich angenommen hatte. Kolb war der Erste, der seine Stimme wiederfand. Er strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Möchtest du … reinkommen?“ Nach einer kurzen innerlichen Debatte, drückte sich Jonas an ihm vorbei. Fordernd streckte er die Hand aus. „Du hast meine Jacke!“ „Ah, perfektes Timing. Sie lag bis gestern im Tix, weil ich dachte, dass du vielleicht vorbeikommst. Nachdem du nicht aufgetaucht bist, habe ich sie wieder mitgenommen und wollte sie heute ins Fundbüro bringen.“ „Dann kannst du sie mir ja jetzt geben.“ „Hinter dir, an der Garderobe.“ Jonas drehte sich um und lächelte erleichtert, als er seine geliebte Lederjacke entdeckte, die ordentlich und völlig unbeschädigt an einem Kleiderbügel hing. Er konnte es gar nicht erwarten, den langweiligen Anorak, den er übergangsweise getragen hatte dagegen auszutauschen. „Ich muss mich bei dir entschuldigen“, unterbrach Kolb Jonas‘ Gedanken unvermittelt. „Was?“ „Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass du noch einmal vorbeikommst, damit ich dir das sagen kann. Ich bin neulich zu weit gegangen und das tut mir sehr leid. Was auch immer meine Entschuldigung wert sein mag.“ Argwöhnisch musterte Jonas Kolb, fand aber keinen Hinweis darauf, dass dessen Worte nicht ehrlich gemeint waren, oder er sich gar über ihn lustig machte. Im Gegenteil, mit den zerzausten Haaren und der Art wie er nervös über seine Unterarme rieb, wirkte er ein wenig wie ein Welpe, der zum ersten Mal von seinem neuen Herrchen geschimpft worden war. „Jedenfalls“, setzte Kolb an, nachdem Jonas nach einer Weile noch immer nicht geantwortet hatte, „bin ich froh, dass du hier bist. Ich hatte mir Sorgen gemacht.“ „Du hättest mir ja auch einfach mal nachlaufen können“, brummte Jonas. Kolbs Entschuldigung mochte noch so ehrlich gemeint sein, er war nicht gewillt, ihm so einfach zu vergeben. „Bin ich“, versuchte Kolb sich zu verteidigen. „Ich dachte, du würdest vielleicht die Nachtlinie nehmen und bin zur Haltestelle, aber du warst nicht da und ich konnte dich auch sonst nirgends finden.“ „Oh.“ Bis zu diesem Zeitpunkt war Jonas nicht bewusst gewesen, dass es in dieser Gegend überhaupt eine Nachtlinie gab. Das hätte ihm einige Zeit des Herumirrens und eine teure, ausgesprochen peinliche Taxifahrt erspart, die damit geendet hatte, dass der Fahrer ungeduldig vor einer Bankfiliale hatte warten müssen, während Jonas Gebete zum Himmel schickte, mit der Abbuchung seinen Dispo nicht zu überziehen. „Fuck.“ „Ich kann nur noch mal sagen, dass es mir sehr leid tut wie der Abend gelaufen ist.“ „Schon gut“, murmelte Jonas plötzlich verlegen. Seine Finger fuhren über das glatte Leder seiner Jacke und er wollte seine Füße zwingen, einen Schritt auf die Tür zuzumachen, aber sie verharrten an Ort und Stelle. Wieder entstand eine unangenehme Stille und wieder war es Kolb, der sie brach. „Willst du vielleicht etwas trinken?“ „Ähm …“ Nach einer kurzen Bedenkzeit, zuckte Jonas mit den Schultern. Das Mittagessen mit seinen Freunden konnte er sowieso abschreiben und was auch immer ihn erneut zu Kolb getrieben hatte, es fühlte sich nicht an, als hätte er es bereits erreicht. „Von mir aus.“ Als Kolb ihn in seine Küche führte, stoppte Jonas schlagartig. Das war dieselbe Küche, in der er keine zwei Wochen zuvor seinen ersten Schwanz im Mund gehabt hatte; derselbe Küchentisch, über den er sich gebeugt hatte, die Hose bis zu den Knöcheln herunterzogen. Hitze legte sich auf Jonas‘ Wangen. Rasch blickte er sich um, in dem verzweifelten Versuch, sich abzulenken. Die Küche war nett eingerichtet, hell mit farbenfrohen Details. Kolb hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, er würde seine Welt bunt mögen. Zitronenfarbene Vorhänge schirmten den Raum vor allzu neugierigen Augen ab, die dahinterliegende Tür führte auf einen weitläufigen Balkon. „Ist Cola okay?“, erinnerte ihn Kolbs Stimme wieder an dessen Anwesenheit. Jonas lehnte sich gegen den kleinen Küchentisch. „Ich nehm, was auch immer du da hast.“ Kolb reichte ihm eine Dose, sich selbst schenkte er eine Tasse würzig riechenden Tee aus einer Thermoskanne ein. „Du hast einen guten Orientierungssinn, wenn du noch so genau wusstest, wo ich wohne.“ Ohne es zu wollen, lachte Jonas. „Nee, wirklich nich‘. Wollt mich eigentlich mit ‘n paar Freunden beim Italiener treffen. Hab mich verlaufen und bin dann irgendwie hier gelandet.“ Kolb musterte Jonas über den Rand seiner Tasse hinweg. „Dann hatte ich wohl Glück.“ „Japp.“ Jonas neigte den Kopf, begegnete Kolbs Blick zum ersten Mal ohne Scheu oder Trotz. „Eigentlich hast du’s nicht verdient, dass ich noch mal auch nur ein Wort mit dir wechsle. Du warst echt ein Arsch.“ Kolb seufzte, offensichtlich verstimmt. „Du warst nicht ganz unschuldig daran.“ „Einen Scheiß war ich!“, rief Jonas und schon war der eben erst abgeflaute Zorn zurück. „Häng das jetzt nicht mir an!“ Er wusste nicht, was ihn mehr ärgerte: Kolbs Vorwurf oder das Wissen, dass er recht hatte. Kolb trank scheinbar völlig ungerührt einen Schluck Tee, doch als er die Tasse absetzte, hatte sich seine Miene verändert. Plötzlich war da ein harter Zug um seinen Mund, den Jonas bisher noch nicht an ihm gesehen hatte. „Ist dir eigentlich klar, was für ein Risiko du in dieser Nacht eingegangen bist?“ „Oh, bitte!“, höhnte Jonas, aber seine Stimme klang dünn. „Ich war für dich doch genauso fremd, wie du für mich. Du bist also dasselbe Risiko eingegangen.“ „Ich habe keinen völlig Fremden aufgefordert, mich zu vögeln, völlig egal, wie sehr ich jammere.“ Kolbs nüchterne Feststellung nahm Jonas den Wind aus den Segeln und er brachte nicht mehr als ein gemurmeltes Arschloch hervor. „So weit waren wir schon.“ „Du hättest ja auch einfach ‚Nein‘ sagen können“, presste Jonas schließlich hervor. „Anstatt mitzuspielen und mich noch weiter zu demütigen.“ „Hätte ich und das wäre auch der deutlich bessere Weg gewesen“, räumte Kolb zu Jonas‘ Überraschung ein. „Wäre es“, erwiderte er bitter. „Trotzdem …“ Kolb schüttelte den Kopf. „Wenn du an den Falschen geraten wärst … Du hättest ernsthaft verletzt werden können.“ Das war der letzte Tropfen. Jonas sprang auf; hatte genug von Kolbs Belehrungen. „Du hast mich verletzt! Vielleicht nich‘ körperlich, aber …“ „Das weiß ich!“ Frustriert fuhr sich Kolb durchs Haar. „Hör zu, ich … Ich weiß, dass ich dich mit meinem Verhalten verletzt habe. Und es tut mir leid. Wirklich. Mehr als ich in Worte fassen kann. Ich habe überreagiert und es hätte unendlich viele Möglichkeiten gegeben, die Situation besser zu lösen. Du …“, er zögerte, wich Jonas‘ Blick aus. „Du hast mich da an jemanden erinnert. Ich habe wohl versucht, vergangenes Unrecht wiedergutzumachen.“ Jonas kaute auf seiner Unterlippe herum. Wieder wirkte Kolbs Entschuldigung aufrichtig und es war schwierig, auf seinen Zorn zu bestehen. Zudem war ihm, ungeachtet dessen wie sehr er sich in den vergangenen Tagen über Kolbs Verhalten aufgeregt hatte, durchaus bewusst, dass es letztlich er gewesen war, der Mist gebaut hatte. Kolb hatte recht. Er war gefährlich leichtsinnig gewesen und vermutlich wäre er um eine ziemlich unangenehme Erfahrung reicher, wenn Kolb nicht besser auf seine Grenzen geachtet hätte als er selbst. Schließlich seufzte er. „Schon gut. Ich weiß, dass eigentlich ich mich entschuldigen sollte.“ Dieses Mal war es Kolb, der überrascht wirkte. Er zog eine Braue hoch. „Ach ja?“ Jonas trat von einem Fuß auf den anderen, zwang sich, seinen Blick nicht zu senken. „Ich bin erwachsen genug, um zuzugeben, dass ich dich in eine beschissene Situation gebracht und dann auch noch völlig überreagiert hab, als du versucht hast, da irgendwie wieder rauszukommen. Hast ‘n bissl ‘nen wunden Punkt getroffen.“ „Das tut mir leid“, sagte Kolb leise. „Und es tut mir leid, wenn ich dir das Gefühl gegeben habe, nicht ‚Nein‘ sagen zu können.“ „Nee, das … Ach fuck!“ Jonas vergrub das Gesicht in den Händen. „Wie gesagt, war ’n wunder Punkt. Trotzdem hab ich die Scheiße gebaut und nich‘ du. Ich war nur so … so froh, endlich mal … und dann hatte ich Angst, nicht gut genug zu sein und nie wieder …“ Er stöhnte. „Vergiss mein Gelaber einfach. Sorry, dass ich das so verbockt hab und sorry, dass ich dich dafür auch noch angeschnauzt habe.“ Eine Hand auf seiner Schulter ließ ihn endgültig verstummen. „Ist in Ordnung“, versicherte Kolb. „Einigen wir uns einfach darauf, dass das für uns beide keine Glanzstunde war. Inzwischen habe ich übrigens eine ganze Sammlung solcher Geschichten und in den meisten davon war ich der Depp.“ Jonas war sich nicht sicher, was er von diesem Geständnis halten sollte, honorierte Kolbs Versuch ihn aufzumuntern aber mit einem schmalen Lächeln. Erstaunlich, wie schnell seine sorgsam gepflegte Wut verpufft war. „Und nur um das klarzustellen“, fuhr Kolb fort, „mal abgesehen vom Ende, hatte ich in der Nacht mit dir eigentlich ziemlichen Spaß.“ „Wirklich?“ Jonas ärgerte sich über die Verblüffung in seiner Stimme. „Mhm. Nur so als Hinweis, bevor du die nächste Dummheit planst.“ Schnaubend schubste Jonas Kolb zur Seite, konnte aber nichts gegen das Lächeln tun, das sich auf seine Lippen stahl. Mit Jeans und zerzausten Haaren wirkte Kolb plötzlich viel nahbarer als in ihrer gemeinsamen Nacht. Schweigend standen die beiden in der Küche und nippten an ihren jeweiligen Getränken. Immer wieder huschten Jonas‘ Augen zu Kolb. Nachdem er den ersten Schreck über dessen verändertes Auftreten verdaut hatte, hatte sein Gehirn wieder genug Kapazitäten, darüber zu sinnieren, dass er noch immer verflucht scharf aussah. Ein Gedanke formte sich in Jonas‘ Kopf, aber war sich nicht sicher, ob er den Mut hatte, ihn laut auszusprechen. Die Dose knackte leise, als seine Finger sich zu fest darum schlossen. „Ähm … Hör mal, ich … Ich weiß nich‘ so genau, wie ich das jetzt sagen soll, aber … Könntest du dir vorstellen, das mit uns noch mal zu versuchen?“ Kolb hob die Brauen, aber bevor er die Chance hatte, etwas zu erwidern, winkte Jonas ab. „Ja, ja, ich weiß. Das Ende war ‘ne Katastrophe und … und ich bin nich‘ grad der Erfahrenste, also in Bezug auf One-Night-Stands mit Männern!“, fügte er rasch an, „aber … wenn wir es nur ein klein wenig, ähm, gelassener angehen, dann … dann könnte das doch durchaus Potenzial haben, oder?“ Kolb nahm sich einige Sekunden für seine Antwort und am Ende war sie reichlich unbefriedigend. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“ „Ich auch nich‘“, gab Jonas zu. „Aber ich würd’s ganz gern rausfinden.“ „Ich bin nicht an irgendetwas Ernsthaftem interessiert, falls das deine Absicht ist.“ „Nee, so war das nich‘ gemeint.“ Tatsächlich war Jonas diese Möglichkeit bis eben nicht einmal in den Sinn gekommen. Wie sollte er eine ernsthafte Beziehung vor seiner Familie und seinen Freunden geheim halten? Im gleichen Augenblick fragte er sich, was Kolbs Beweggründe waren, ihm so deutlich klarzumachen, dass das zwischen ihnen, wenn überhaupt, etwas rein Sexuelles werden würde. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie groß die Wohnung für eine Einzelperson war. „Ähm, du bist aber nich‘ vergeben oder so? Mit so ‘nem Scheiß will ich nämlich echt nix zu tun haben.“ „Ich bin Single“, antwortete Kolb mit einem schmalen Lächeln. „Und ich habe nicht vor, das in nächster Zeit zu ändern. Deshalb will ich dir keine falschen Hoffnungen machen.“ Jonas schüttelte den Kopf. „Nee, von meiner Seite aus gibt’s da keine Hoffnungen. Außer auf guten Sex und neue Erfahrungen.“ Einem spontanen Impuls folgend, trat er näher an Kolb heran, stützte die Hände an beiden Seiten dessen Körpers auf der Küchenzeile ab. Als keine Gegenwehr kam, brachte er seine Lippen ganz nah an Kolbs Ohr und flüsterte: „Ich find das nämlich grad ganz nett so.“ Sein Herz raste, aber er zwang sich, scheinbar gelassen eine Antwort abzuwarten. Kolbs Stimme war eine Erlösung. „Ich auch.“ Seine Worte waren jedoch nichts im Vergleich zu den Händen, die Jonas‘ Hüfte umfassten. Jonas schaffte es, Kolbs Blick standzuhalten und hoffte, dabei nicht zu grinsen wie der letzte Idiot. Gleichzeitig sehnte er sich nach einer Möglichkeit, unauffällig seine Wangen zu kühlen; sie mussten inzwischen tomatenrot sein. „Und … Ähm … Ich steh drauf, wenn du mir sagst, was ich tun soll und … ich hatte das Gefühl, dass du das auch gar nich‘ so übel fandst. Also … könnten wir das vielleicht ein bisschen ausbauen?“ „Mhm. Vielleicht könnten wir das.“ Kolb seufzte. „Aber nicht jetzt. Ich habe noch einiges zu tun, bevor ich in die Arbeit fahre und sollte mir die Sache ohnehin noch mal durch den Kopf gehen lassen, wenn sich mein Blut nicht gerade zwei Etagen zu tief sammelt.“ Trotz seiner Nervosität lachte Jonas. „Scheiße, du machst die Sache wirklich spannend.“ „Damit wirst du leben müssen.“ Sanft schob Kolb Jonas zur Seite. „Gib mir deine Nummer, dann melde ich mich bei dir.“ „Pff, gib du mir doch deine Nummer und ich meld mich dann bei dir.“ Als hätte er es heraufbeschworen, vibrierte das Handy in seiner Tasche und kündigte eine Nachricht an. Jonas warf einen verstohlenen Blick darauf. Sie war von Maria.   Maria, 12:43 Uhr Alles okay bei dir? Es dauert doch keine halbe Stunde, so eine Jacke zu holen …   Rasch tippte er eine Antwort.   Du, 12:44 Uhr alles gut. bin noch da. meld mich später.   „Sorry, besorgte Ex-Freundin“, erklärte er Kolb und genoss die Überraschung, die in dessen Zügen aufflackerte zu sehr, um weitere Erklärungen zu liefern. „Also, jetzt wo ich das Ding schon in der Hand hab, kannst du ja mal deine Nummer rausrücken.“ Ohne weitere Proteste, diktierte Kolb seine Telefonnummer, aber als Jonas seinen Namen einspeichern wollte, stockte er. In Gedanken hatte er ihn seit dem Vorstellungsgespräch immer mit Nachnamen angesprochen, aber angesichts der jüngsten Ereignisse erschien ihm das nun doch ein wenig formell. Nur wie zum Teufel … „Erik“, half Kolb, dem Jonas‘ Ratlosigkeit offenbar nicht entgangen war, belustigt aus. „Das wusste ich!“ Kolb, nein Erik, ließ ein raues Lachen hören, das ein Prickeln über Jonas‘ Haut sandte. „Ich klingle dich an, dann hast du meine auch“, versuchte er das Thema zu wechseln. „Ausgezeichneter Plan, Jonas Staginsky.“ „Angeber.“ Nachdem er sicher war, dass Erik seine Nummer eingespeichert hatte, steckte er sein Handy weg und tauschte den langweiligen Anorak gegen seine Lederjacke aus. „Ich pack’s dann mal. Meld dich nicht zu spät, sonst hab ich’s mir am Ende doch noch anders überlegt.“ „Warte.“ Erik hatte nicht laut gesprochen, aber etwas in seinem Ton ließ Jonas in der Bewegung erstarren. „Schließ die Augen.“ Nach minimalem Zögern befolgte Jonas die Anweisung. Nun blind, hörte er zunächst nur das Klopfen seines eigenen Herzens, bevor er die Schritte wahrnahm, die sich ihm näherten, direkt vor ihm stehenblieben. Jonas zuckte zusammen, als er warmen Atem an seiner Haut fühlte, Haare seine Wange kitzelten. „Bis bald.“ Eriks tiefe Stimme an seinem Ohr und dann, so flüchtig, dass sie ebenso gut Einbildung hätten sein können, seine Lippen auf seinem Mund. „W-Wehe du meldest dich nicht!“, war alles, das Jonas hervor pressen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)