In the spider's web von Mizuki18 ================================================================================ Kapitel 9: His soul, burning bright ----------------------------------- "Ich hab keinen Hunger.", murrte Alois und schob mit der Gabel eine Kartoffel beiseite, die die Form einer sich gerade öffnenden Seerose hatte. "Mein Herr, Ihr solltet etwas essen.", warf Claude ein, dem es wahrscheinlich mehr darum ging, dass dieses verzogene Kind sein Essen verschmähte, als darum, dass die junge Hoheit nichts zu sich nahm. "Ich sagte ich hab keinen Hunger!", wiederholte Alois, schmiss die Gabel vom Tisch und trat gegen das Tischbein, sodass alles was auf dem Tisch stand gefährlich ins Wanken geriet. "Na schön, aber Ihr werdet nachher sicher Hunger bekommen.", meinte Claude, schnippte mit den Finger und wies so das restliche Hauspersonal an das Essen wieder in die Küche zu schaffen. "Sollte das der Fall sein, machst du mir einfach etwas zu essen.", erwiderte Alois und vollführte dabei eine wegwerfende Geste. "Natürlich, Euer Hoheit.", sagte Claude. Hannah und die Drillinge verließen, beladen mit Tellern und Gläsern, den Speisesaal und huschten den Flur entlang. Ich rührte mich nicht von der Stelle. "Mir ist langweilig. Genevieve, komm mit." Alois hüpfte von seinem Stuhl, stolzierte an Claude vorbei und ich hinterher. Ich konnte nicht verleugnen, dass es mich mit einer gewissen Genugtuung erfüllte, dass Alois mich bei sich haben wollte und nicht seinen ach so geliebten Butler. Gerne hätte ich eine derartige Äußerung von mir gegeben, aber ich wollte Alois jetzt nicht verärgern und riskieren, dass er mich wieder beschimpfte, schlug und dann wegschickte. Bei seinem Zimmer angekommen, stieß Alois die Tür förmlich auf und blieb dann wie angewurzelt stehen. Ich bemerkte es gerade noch rechtzeitig, um nicht in ihn hinein zu laufen. "Äh...mein Herr? Ist alles in Ordnung?", erkundigte ich mich. Alois antwortete mir nicht. Er ließ die Türklinke los und wankte auf sein Bett zu, wo der goldene Käfig stand. Noch immer war der Raum vom Duft der Hasenglöckchen erfüllt, aber jetzt wo es dunkel war, wirkte das alles eher kalt und verlassen. Als wären die Blumen ein Schrei der Erinnerung, der im Dunkel verhallte und dann erstickt wurde. "Euer Hoheit?" Alois ging vor seinem Bett in die Knie. "Was habt Ihr denn?" Ich erlaubte es mir mich Alois zu nähern und erkannte sofort, warum er sich plötzlich so eigenartig benahm. Der blaue Schmetterling, dem ein Flügel fehlte, lag tot inmitten der blassblauen Blumen. Und auch wenn es nur ein Insekt war, dem er selbst diese Verletzung zugefügt hatte, wirkte Alois dennoch so, als würde er den Tod des Schmetterlings tatsächlich bedauern. Nein, viel mehr. Ich sah wie sich Tränen in den eisblauen Augen bildeten und dann über die vom Mondlicht beschienenen Wangen liefen. "Euer Hoheit, ich..." Zaghaft legte ich Alois eine Hand auf die Schulter und schreckte zurück, als ich spürte wie sehr er zitterte. Seltsam. Er scheute nicht davor zurück seine Bediensteten wie den letzten Dreck zu behandeln, aber wenn so ein kleiner Schmetterling starb, dann war das für Alois offenbar das Ende der Welt. Egal wie sehr ich mich auch anstrengte, ich würde ihn wohl niemals verstehen. Da ging die Tür auf und Claude, mit einem entzündeten Kerzenständer in der Hand, betrat das Zimmer. Alois gab ein leises Schluchzen von sich, das meinem Herz einen schmerzhaften Stich versetzte. "Gestorben?", fragte Claude mit seiner gewohnt emotionslosen Stimme. "Ja, einfach gestorben. Er hat nicht einen Tag überlebt.", antwortete Alois. "Du solltest...dich an ihr rächen. An der Spinne, die dich so zugerichtet hat. An Alois Trancy, der dich so zugerichtet hat. Los, räche dich. Beiß alles kaputt. Nun mach schon und lebe!", flehte Alois und ich hatte das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen. "Es hat keinen Nutzen, Euer Hoheit. Er wird nicht wieder aufwachen.", erklärte Claude und verzog dabei keine Miene. "Ihr habt ihn entstellt, verletzt und nun ist er tot." Alois hob den Kopf, neue Tränen schimmerten in seinen hübschen Augen. "Aber Claude...", hauchte er und streckte eine Hand nach seinem Butler aus. "Ich werde Euch ein heißes Bad einlassen.", meinte Claude, drehte sich um, den stummen Hilfeschrei seines Herrn ignorierend und verließ den Raum. Kaum war er fort, begann Alois bitterlich zu weinen. Ich biss mir auf die Unterlippe. Er würde jedes meiner tröstenden Worte verabscheuen, das wusste ich. Würde alles ablehnen, was ich ihm anbot. Alois wollte nicht mich, er wollte Claude. Doch dieser würde ihn nie wollen, dieses verzweifelte Gefühl niemals erwidern. "Euer Hoheit, soll ich..." Bevor ich meine Frage zu Ende stellen konnte, schnellte Alois' Hand hervor und hinterließ ein starkes Brennen auf meiner linken Gesichtshälfte. Wie zu erwarten, eine Ohrfeige. "Geh...geh sofort.", presste Alois mühsam hervor und funkelte mich wütend an. "Geh, hilf Claude. Tu irgendwas, aber lass mich allein!" "Wie Ihr wünscht, Euer Hoheit.", murmelte ich und leistete dem Befehl meines Herrn folge. Weil nicht wusste was ich anderes tun sollte (und allein in meinem Zimmer, hätte ich wohl den Verstand verloren), lief ich Richtung Badezimmer. Keine Ahnung warum ich beschlossen hatte Claude beim Einlassen des Badewassers zu helfen. Ich konnte diesen unheimlichen Typ nicht leiden und trotzdem ging ich nun freiwillig zu ihm. Irgendwas stimmte doch nicht mit mir. "Miss Delafontaine, kann ich etwas für sie tun?" Claude stand neben der Badewanne und war gerade dabei die Temperatur des Wassers perfekt einzustellen. "Der junge Herr wünscht, dass ich ihnen helfe.", log ich. So direkt hatte Alois das zwar nicht gesagt, aber es war ja eine der Auswahlmöglichkeiten gewesen. "Das ist sehr freundlich, aber ich brauche ihre Hilfe nicht.", wehrte Claude ab und zog einen seiner weißen Handschuhe aus. Ich zuckte zusammen. Schwarze Fingernägel? Was war das denn? Und...und das...war das ein Pentagramm? Warum in aller Welt hatte Claude ein Pentagramm auf dem Handrücken? War er etwa ein Okkultist? "Miss Delafontaine, es gehört sich nicht jemanden so anzustarren.", tadelte Claude und ich blinzelte verwirrt. "W-Was? Oh, entschuldigen sie." "Nun, das sie schon einmal hier sind, können sie auch die Temperatur des Badewassers prüfen, während ich es einlasse.", meinte Claude und trat beiseite. Ich, steif wie ein Stock, bewegte mich auf die Badewanne zu und betrachtete das klare Wasser. "Sie müssen die Hand schon hineinstecken.", ertönte Claude's Stimme plötzlich ganz nah an meinem Ohr und ich bekam augenblicklich eine Gänsehaut. Gott, warum musste er mir denn so auf die Pelle rücken?! Zögerlich streckte ich meine Hand aus und tauchte sie in das Wasser, nur um sie den Bruchteil einer Sekunde wieder heraus zu ziehen, weil das Wasser viel zu heiß war. "Stimmt etwas nicht?", wollte Claude wissen, dessen Lippen ein süffisantes Lächeln umspielte. "Es ist kochend heiß.", zischte ich und trocknete meine Hand an meinem Rock ab. "Bis der junge Herr hinein steigt, wird es etwas abgekühlt sein.", erwiderte Claude und griff mit einem Mal nach meiner Hand. "H-Hey! Was...?" "Ich will mir nur anschauen, ob es eventuell eine Verbrennung ist.", behauptete Claude, aber ich war der festen Überzeugung, dass dieser Kerl mich nur betatschen wollte. "Hm, nein. Keine ernsthafte Verletzung. Dafür war die Hand nicht lange genug im Wasser." Ich hörte ihm gar nicht richtig zu. Meine gesamte Aufmerksamkeit galt den ungewöhnlichen, schwarzen Fingernägeln und dem Pentagramm. Gab es einen Grund dafür oder trug Claude das, weil er ein Teufelsanbeter war? "Miss Delafontaine." Ich hob den Blick und gab einen erstickten Laut von mir. Claude war mir eindeutig zu nahe und fixierte mich mit seinen bernsteinfarbenen Augen. "Sie sind dem jungen Herrn offenbar sehr zugetan.", raunte der Butler und drückte meine Hand fester. "Aber sie müssen vorsichtig sein. Er hat eine sehr labile Seele." "E-Eine...w-was...?", stammelte ich. "Sie müssen gut auf sich aufpassen, kleiner Schmetterling. Nicht, dass sie ihm aus Versehen wegsterben und seine Seele so aus dem Gleichgewicht bringen." Claude ließ meine Hand los. "Ich..." Ein markerschütternder Schrei hallte durch die gesamte Villa. Ein Schrei, der nur von Alois stammen konnte. "Der junge Herr." Claude drehte sich um, machte aber keine Anstalten sich vom Fleck zu bewegen. "Sollten wir nicht nachsehen, ob alles in Ordnung ist?", fragte ich. Keine Antwort, außer einer nichts sagenden Mischung aus Nicken und Kopfschütteln. "Verdammt.", fluchte ich, drängte mich an Claude vorbei und rannte hinaus in den Flur. Ein erneuter Schrei machte es mir leicht Alois zu finden. Er saß, auf allen Vieren hockend, vor der geöffneten Flügeltür zum Ballsaal aus dem ihm ein unheilvolles, rotes Leuchten entgegen strahlte. "Nein! Nicht! Claude, wo bist du?! Claude!" "Mein Herr!" Hinter mir kamen Claude, Hannah und die Drillinge angelaufen und blieben stehen. Der Butler kniete sich neben seine Hoheit. Ich warf einen Blick in den Ballsaal. Die schweren, dunkelblauen Vorhänge brannten lichterloh und eine fast nicht auszuhaltende Hitze drängte sich in den Flur, begleitet von dickem, schwarzem Rauch. Claude erhob sich und machte den Eindruck, als wolle er geradewegs ins Feuer marschieren. "Nein! Nicht!" Alois robbte über den Fußboden zu Claude und klammerte sich an dessen Bein fest. Claude runzelte die Stirn. "Aber mein Herr." Alois schüttelte vehement den Kopf. "Nein. Nicht, Claude. Sonst wirst du verbrennen." "Aber..." "Du darfst nicht verbrennen. Bitte!", unterbrach Alois Claude, die Stimme voller Verzweiflung und Angst. "Wasser.", wies Claude uns an und die Drillinge verbeugten sich, ehe sie davon eilten. "Nicht verbrennen.", wimmerte Alois und vergrub das Gesicht im Stoff von Claude's Hose. Dieser warf Hannah daraufhin einen für mich undefinierbaren Blick zu und lächelte. Die Uhr schlug Mitternacht. Dann kehrten die Drillinge mit dem Wasser zurück und löschten das Feuer. Das alles geschah in weniger als einer halben Stunde und kurz nach halb eins saß Alois, in eine Decke gehüllt, an der großen Tafel in der Eingangshalle und schwieg. Eine einzige Kerze brannte und spendete Licht. "Keine Sorge, das Zimmer wird umgehend wieder hergerichtet.", sagte Claude, der Tee gemacht hatte und die Tasse nun vor Alois auf den Tisch stellte. "Ich wollte in verbrennen, den Schmetterling. Es sollte eine...ordentliche Bestattung werden.", erklärte Alois abwesend. Seine Augen waren gerötet und nass von den Tränen, die er vergossen hatte. "Eine Bestattung?", hakte Claude nach. "Aber das Feuer griff über.", flüsterte Alois und begann wieder zu weinen. Ich stand regungslos neben ihm. In einem Punkt hatte Claude recht. Alois hatte eine labile Seele. Eine Seele, deren Gleichgewicht ständig schwankte. Dieser Junge besaß keinen inneren Frieden, so viel war sicher. "Feuer...", schluchzte Alois und wischte mit dem Zipfel der Decke die Tränen weg. "Es ist spät mein Herr. Vielleicht solltet Ihr das Bad heute ausfallen lassen und Euch sofort zu Bett begeben.", überlegte Claude. "Hm.", machte Alois, stand auf und taumelte ein wenig. "Gute Nacht, Eure Hoheit.", sagte Hannah und die Drillinge verneigten sich. Alois ignorierte es. Claude lief neben ihm her, folgte ihm wie ein bedrohlicher Schatten. Ein Schatten, der kurz davor war, diesen kleinen, hilflosen Funken auszulöschen. "Genevieve..." Ich hob den Kopf. "Komm mit." Alois war am Fuß der Treppe stehen geblieben, hatte sich halb umgedreht und bot mir nun seine Hand dar. Claude quittierte diese Handlung mit einem missbilligenden Schnalzen seiner Zunge, was Alois aber nicht hörte. "Kleine Rose..." Ich setzte mich in Bewegung, lief auf Alois zu und ergriff seine Hand. Ich hielt sie fest, bis wir vor der Tür zu Alois' Schlafgemach standen und ich mich notgedrungen von ihm lösen musste. "Gute Nacht, Euer Hoheit.", sagte ich, vollführte einen kleinen Knicks und ging, auch wenn es mir nicht behagte Alois mit Claude allein zu lassen. Es war fast schon tragisch. Alois sehnte sich so sehr nach jemandem, der ihn liebte. Aufrichtig und ehrlich. Leider war seine Wahl auf Claude gefallen. Claude, der anscheinend nichts fühlte. Jede noch so kleine Regung war geheuchelt und gelogen. Und obwohl ich das Gefühl nicht loswurde, dass Alois sich dessen bewusst war, so konnte er Claude dennoch nicht loslassen. Er war gefangen im Netz der Spinne. Ein wenig trübsinnig tappte ich im Dunkeln durch das Anwesen, bis ich bei meinem Zimmer angekommen war. Jetzt machte sich die Müdigkeit bemerkbar und gähnend zog ich mir das Kleid aus und ließ mich in mein Bett fallen. Ich hatte mir wirklich eine unmögliche Aufgabe gestellt, indem ich beschlossen hatte Alois' Funken zu retten. Wie sollte ich das bewerkstelligen, wenn Claude stets und ständig an seiner Seite war und ihn immer tiefer in die Finsternis hinab zerrte? Und Alois war eindeutig zu schwach, um sich dagegen zu wehren. Vielleicht erkannte er auch nicht, Claude ihn nur benutzte. Für was auch immer. Seufzend zerrte ich mir die Bettdecke bis hoch zu den Ohren und schloss die Augen. Ich wollte jetzt nur noch schlafen. Zwar würde ich im Traum keine Ruhe finden, aber es war besser, als die ganze Nacht wach zu liegen und sich das Gehirn zu zermartern. Und glücklicherweise schlief ich auch schnell ein. Es war kein besonders erholsamer Schlaf, aber das war sowieso noch nie der Fall gewesen. Allerdings wurde er noch weniger erholsam, als tief in der Nacht die Tür zu meinem Zimmer geöffnet wurde. Nackte Füße huschten über den kalten Fußboden, eine Hand legte sich auf meine Schulter und rüttelte leicht daran. Ich, noch halb schlafend, gab ein unverständliches Murmeln von mir. "Genevieve." Der leise Ausspruch meines Namens ließ mich aufschrecken. Vor mir stand Alois. Mit verwuscheltem, blondem Engelshaar und traurigen, eisblauen Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)