Follow your Heart von Linchen-86 ================================================================================ Kapitel 21: Die Welt steht still -------------------------------- 05.12.2010 Es war anfang Dezember und in Aoshima sah es alles andere als einladend aus. Seit einer Woche war Kari gemeinsam mit Takeru und ihrer Mutter dorthin gereist, da es ihrem Vater immer schlechter ging. Lange hatte sie gehofft, dass alles nur ein böser Traum war, geglaubt, dass er noch einmal die Kurve bekommen würde und sich insgeheim gewünscht, doch nochmal eine Familie zu sein. Aber... mit jedem weiteren Tag der in Aoshima verstrich erkannte sie, dass man noch soviel hoffen, beten und träumen konnte. Die Zeit bleib nicht stehen und das Unvorstellbare stand kurz bevor. Der Tag brach gerade an, sie drehte sich auf die andere Seite und befreite sich aus der Umarmung von ihrem Freund, der noch schlafend neben ihr lag. Sie konnte mit Worten gar nicht beschreiben wie dankbar sie war, dass er hier und für sie da war. Sie wollte stark für ihre Mutter sein. Dass Yuuko das Ganze so mitnehmen würde, hatte sie zunächst nicht erwartet. Doch sie liebte Susumo noch immer, das konnte Kari klar sehen. Sobald sie in ihrem Hotelzimmer alleine war, gab sich auch Kari dem schwachen Moment hin und war dankbar, dass Takeru sie auffing. Sie gab diesem einen kurzen Kuss auf dem Mund, ehe sie aufstand und die Vorhänge öffnete. Regen, wie immer Regen, Wolken und Wind. Selbst die vielen Katzen, das Markenzeichen der Insel, verkrochen sich um dem Wetter auszuweichen. Wieder einmal passte das triste Wetter zu Karis betrübten Stimmung. Sie fühlte sich ausgelaugt und wollte irgendwas machen, aber wusste einfach nicht was. Ihr Vater hatte in den vergangenen Monaten unheimlich abgenommen und sah deutlich schlechter aus, als sie ihn zuletzt im Sommer gesehen hatte. Die meiste Zeit war er am schlafen, auch wenn Kari immer das Gefühl hatte, dass er ihre Anwesenheit mitbekam. Er erwiderte manchmal ihren Händedruck und schien zu nicken, wenn sie etwas erzählte. Sie erzählte einfach alles was ihr einfiel, was sie derzeit gerne machte, was sie mit ihrem Leben noch alles anstellen wollte. Welchen Beruf sie sich überlegt hatte, dass sie gerne irgendwann mit Takeru zusammenziehen würde und all das. Sie erzählte auch von Tai, dass er Sportwissenschaften studierte und noch immer mit Mimi zusammen war, dass er nach wie vor Fußball spielte und eigentlich noch genau der gleiche Typ wie früher war. In ihren Gedanken versunken, bekam Kari gar nicht mit, wie Takeru mittlerweile ebenfalls wach war. Zwei Arme schlangen sich um ihren zierlichen Körper und umarmten sie. Gleich ließ sie sich ein wenig nach hinten fallen, genoss die Wärme die ihr Freund ihr spendete. „Guten Morgen Hika“, begrüßte er sie mit leiser Stimme. „Morgen“, erwiderte sie müde und richtete den Blick wieder nach draußen. „Konntest du ein bisschen schlafen?“, fragte er besorgt nach. Kari hatte in der letzten Wochen zusammenfassend wahrscheinlich gerade mal zehn Stunden geschlafen. Immer wieder wurde sie wach, fand nur schwer in den Schlaf, wälzte sich unruhig hin und her und stand doch wieder am nächsten Tag früh auf. Sie war erschöpft, aber sie konnte trotzdem nicht schlafen. Die Angst war zu groß, dass sie am nächsten Tag eine schlimme Nachricht ereilen konnte – eine, die sie einfach nicht hören wollte. „Ein bisschen“, murmelte die Brünette und befreite sich aus der Umarmung. „Ich wollte schnell duschen, können wir dann frühstücken? Ich will noch nach Mama sehen und so schnell wie möglich ins Krankenhaus.“ Takeru nickte nur und strich mit seinen Daumen unter ihre Augen, dunkle Schatten zierten ihre dunkelbraunen Augen und der Blick war leer und glanzlos. Er machte sich Sorgen um seine Freundin, die gerade versuchte alles irgendwie zusammenzuhalten. Sie war doch selber noch so jung und musste jetzt schon so viel durchmachen. So hatte er sie noch nie gesehen und er ärgerte sich über Tai, der in Tokio versauerte, anstatt sich hier um seine Familie zu kümmern. Er verstand, dass dieser wegen vielen Dingen sauer war, aber es ging doch nicht nur um seinen Vater. „Natürlich, mach das.“ Takeru gab seiner Freundin einen Kuss auf die Stirn und ließ Kari ins kleine Badezimmer ziehen. Nach zwanzig Minuten kam sie etwas frischer und angezogen heraus. Auch Takeru wollte noch schnell duschen und beeilte sich, damit Kari nicht lange auf ihn warten musste. Nach zehn Minuten war auch er fertig und sie gingen gemeinsam zum Hotelzimmer von Yuuko. Kari klopfte an der Zimmertüre an und sofort öffnete die Ältere die Türe. Auch sie war fertig angezogen. Ja, hier schien einfach keiner viel Zeit verlieren zu wollen. Nachdem Frühstück gingen sie ins Krankenhaus, ungewiss was sie nun wieder erwarten würde. Bevor sie ins Krankenzimmer hineintreten durften, wurden sie von einer jungen Ärztin aufgehalten. Susumo hatte in der Nacht wohl wieder eine Art epileptischen Anfall gehabt und war seither am schlafen um sich davon zu erholen. Geschockt weiteten sich die Augen von Kari, sie wollte nicht, dass ihr Vater soviel durchmachen musste. Yuuko war gerade im Zimmer, es war immer ziemlich viel für Susumo, wenn alle gleichzeitig drin waren, weshalb Yuuko meistens zuerst hinein ging und danach Kari mit Takeru Zeit mit ihrem Vater bekam. Yuuko kam gerade mit Tränen in den Augen aus dem Zimmer ihres Mannes und schluchzte, was Kari zusätzlich beschäftigte. Sie umarmten sich kurz. „Geht es?“, fragte Kari vorsichtig nach und sah ihre Mutter besorgt an. „Er sieht wieder schlechter aus, es ist so schlimm.“ Die Braunhaarige nickte, drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und ging mit Takeru ins Zimmer. Sie stellte sich zu ihrem Vater ans Bett und musterte ihn im Schlaf. Ja, er sah wieder schlechter aus. Vom Leben gezeichnet und mehr als bereit all das hinter sich zu lassen. Sie nahm seine Hand und strich behutsam mit ihrem Finger über seinen Handrücken. „Hallo Papa, ich bin wieder mit Takeru hier“, redete sie leise und nahe an seinem Ohr. Er umgriff ihre Hand und Kari war sich sicher, dass er ihr damit sagen wollte, dass er sie hören konnte. Sie erzählte gerade etwas übers tanzen, als sie plötzlich bemerkte wie ihr Handy vibirierte. Gleich lief sie rot an, da sie es eigentlich immer ausschaltete, wenn sie im Krankenhaus war, doch heute hatte sie es vergessen. Entschuldigend wollte sie den Anrufer wegdrücken, als sie sah, dass es Tai war der sie anrief. „Es ist Taichi“, erklärte sie. „entschuldigt mich ganz kurz.“ Sie verließ das Zimmer und die Intensivstation um mit ihrem Bruder in Ruhe telefonieren zu können. Eigentlich meldete sie sich immer bei ihm, dass er jetzt anrief wunderte sie, weshalb sie auch entschieden hatte, das Gespräch entgegen zu nehmen. Als Takeru nach ein paar Minuten ebenfalls im Flur aufgetaucht war zuckte sie kurz zusammen. Sie beendete das Gespräch und lächelte ihren Freund an. „Was ist los? Was hat Tai erzählt?“, fragte Takeru gleich nach. „Er kommt... er hat ein Zugticket für morgen gebucht“, klärte sie ihn auf und ihre Augen fingen etwas an zu strahlen. „Wirklich? Damit hätte ich gar nicht mehr gerechnet.“ „Mama, Mama. Taichi kommt morgen nach. Er müsste gegen Abend hier sein“, erzählte Kari, als sie ihre Mutter im Wartezimmer gesucht und gefunden hatte. „Ohhh, das ist aber toll. Endlich konnte er seinen sturen Kopf bezwingen.“ „Ja, das hab ich auch gedacht. Ich muss das ganz schnell Papa sagen“, erwiderte sie aufgeregt und ging mit schnellen Schritten aus dem Wartezimmer. Leise schlich sie ins Zimmer zurück und stellte sich wieder auf die Seite. Sie legte eine Hand an seine Wange. „Papa? Ich habe tolle Neuigkeiten. Taichi kommt morgen nach, deswegen hat er gerade angerufen.“ Nachdem sie das gesagt hatte, konnte sie beobachten wie Susumo seine Augen zusammenkniff und versuchte zu öffnen. Mühsam schlug er seine schweren Lider auf – halbauf. „Taichi?“ flüsterte er. Kari nickte und lächelte ihn breit an. „Er hat auch dein Paket, also ich meine dein Geschenk geöffnet, ich glaube er hat sich sehr darüber gefreut“, erzählte sie weiter. Susumo schloss wieder erschöpft seine Augen „Taichi...“ krächzte seine Stimme noch einmal und dann schlief er wieder ein. Unsicher und etwas ängstlich sah Kari zu ihrem Freund, doch der erwiderte ihren Blick mit einem Lächeln. „Er wirkt zufriedener und ich erkenne ein Hauch von einem Lächeln...“ Kari sah zurück zu ihrem Vater und musste Takeru zustimmen. „Da hast du recht“, lächelte sie zufrieden. Sie blieben noch eine Zeitlang am Krankenbett stehen, bis die Besuchszeit wieder verstrichen war. Kari gab ihrem Vater noch einen Kuss auf die Stirn. „Bis morgen und dann sogar mit Tai“, verabschiedete sie sich und verließ das Krankenhaus gemeinsam mit Takeru und Yuuko. Nach dem Abendessen machten sie sich bettfertig und Kari kuschelte sich in die Arme von ihrem Freund. Sie sahen irgendeine komische Spielshows in dem sich Leute zum Affen machten im Fernseher an und ließen den Tag auf sich wirken. „Ich bin so froh, dass Tai kommt. Ich glaube das hat unserem Vater nochmal richtig Kraft gegeben“, murmelte sie an seiner Brust. Takeru atmete gleichmäßig ein und aus, während sein Brustkorb sich hob und wieder sank. „Hmm...“ „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich die Braunhaarige und musterte ihn besorgt. „Ja, ich hoffe es... schon für die Beiden“, erwiderte er gedankenverloren. Kari nickte und ließ sich wieder auf seiner Brust nieder. Was meinte er denn damit? Sie wollte nicht mehr allzu viel darüber nachdenken. Sie schloss ihre Augen und bemerkte wie die Anstrengung der letzten Tage sich über ihren ganzen Körper ausbreitete. Takeru zog sie näher zu sich, während er ihr einen Kuss gab, den Fernseher ausschaltete und ebenfalls versuchte zu schlafen. Am nächsten Tag hatte die Braunhaarige immerhin vier Stunden schlafen können, doch früh am morgen wurde sie mit einem mulmigen Gefühl wach. Wie jeden Morgen. Es war nicht nur ein Traum – Alptraum. Nein, sie war wirklich in Aoshima und sie war wirklich hier, weil ihr Vater im Sterben lag. Nachdem auch Takeru aufgewacht und sie frühstücken waren, gingen sie gemeinsam ins Krankenhaus. Gleich würde Tai sich auf dem Weg zum Bahnhof machen und abends ankommen. Sie schritten auf die Intensivstation und wollten ins Zimmer, als sie wieder von der Ärztin aufgehalten wurde. Etwas genervt drehte sich die junge Yagami um. Was war denn nun wieder? Wieder einen neurologischen Anfall? Schlechtere Werte? „Ich muss mit ihnen reden“, sprach die Ärztin ruhig. Irgendetwas in ihrer Stimme, irgendetwas in ihrem Blick war neu, war anders als zuvor. Es beunruhigte Kari und machte ihr Angst. Sie folgten ihr in ein kleines Büro. Hier waren sie am Anfang der Woche gewesen, als sie über alles informiert worden waren, aber warum waren sie jetzt hier? „So etwas ist nie leicht, deshalb sag ich es ihnen frei heraus. Es tut mir wirklich leid, aber Susumo Yagami ist in der letzten Nacht verstorben!“   ---- Regen, es regnete immer stärker. Die Wolken wurden immer dunkler. Heute war es nicht nur das typische Herbstwetter welches man hasste und sich eingekuschelt Zuhause wiederfinden wollte. Heute kam Donner dazu, sowie Blitze und Hagel...Ein Sturm – für Japan und eine kleine Insel nichts ungewöhnliches und dennoch... Heute hatte das Gewitter eine ganz andere Bedeutung. Der unaufhaltsame Regen symbolisierte die Tränen, der Donner die unbändige Wut die sich in ihrem Herzen breit machte. Der schnell erleuchtete Himmel – ein Zucken des Himmels, der kurze Hoffnungsschimmer, der im nächsten Moment durch das Prasseln des Hagels erschlagen wurde. Der kalte Wind der peitschend gegen ihre rosigen Wangen drückte und sie zu Boden zwang. Ja, das Wetter spiegelte ihre Gefühlswelt wieder. Noch immer ohne ein Laut oder eine Reaktion von sich zu geben stand Kari vor dem Krankenhaus und starrte in den Himmel. Takeru stand seit einer Stunde neben ihr, redete auf sie ein, doch sie hörte ihn nicht. Wie in Trance nahm sie ihr Handy hervor, sie sollte Tai informieren. Er brauchte sich nicht auf den Weg zu machen, wozu noch? Nach einer halben Minute die sie gewartet und das Gespräch gerade beenden wollte, wurde das Telefonat entgegen genommen. Ein abgehetzter Tai nahm das Gespräch entgegen. „Ich bin gleich am Bahnhof“, haspelte er. „Tai?“ „Was? Hast du gedacht, dass ich einen Rückzieher mache?“, lachte er etwas in den Hörer. „Tai?“ „Also ich denke, dass ich so gegen sechs Uhr am Abend da bin.“ „Tai?“ „Wenn jetzt nichts mehr dazwischen kommt, dann...“, redete er immer weiter. „TAI! Du kannst zu Hause bleiben.“ „Was? Warum?“ „Weil Papa letzte Nacht verstorben ist...“ Wieder peitschte der Regen, nein, der Hagel. Es tat weh, wie sich die Hagelkörner auf ihren Körper legten und der Donner sie kurz erschaudern ließ. Sonst hörte sie nichts mehr. Kein Takeru, kein Tai... nur Donner. „Tai?“, fragte sie nach, doch schon war das Gespräch beendet und nichts als ein leeres Tuten erreichte ihr Gehörgang. Kari ließ ihre Hand sinken und starrte in die Ferne. „Okay, das reicht jetzt!“, sprach Takeru und nahm seine Freundin in die Arme um sie endlich aus dem Gewitter herauszuholen. Im Krankenhaus angekommen, fragte der Blonde nach einer Decke. Eine Krankenschwester brachte ihm diese schnell und er legte sie um die Braunhaarige. Er rubbelte sie und musterte sie besorgt. Alles an ihr war klatschnass, ihre Lippen waren blau, ihr Körper zitterte. Er lief zu einem Kaffeeautomaten und wollte ein heißes Getränk holen, Kari sollte sich jetzt nicht noch unterkühlen. Vorsichtig reichte er ihr den warmen Kakao, doch sie nahm ihn nicht entgegen. Er pustete in den Becher hinein und führte diesen zu Karis Mund. „Vorsicht! Er ist sehr heiß“, ermahnte er die Jüngere und sie nahm ein paar Schlucke zu sich. Er stellte den Becher wieder ab, rutschte näher an sie heran. Er legte einen Arm um sie und küsste ihre Stirn. „Das passiert wirklich, oder?“ flüsterte sie. Takeru nickte nur und hielt sie ein wenig fester. Yuuko kam mit nassen Augen in die Empfangshalle mit einer kleinen Tasche in der Hand. Die letzten Sachen die sie von ihrem Mann hatte. Auch sie ließ sich neben Kari nieder und wischte sich die letzten Tränen weg. „Lass uns zurück ins Hotel gehen“, murmelte sie. Takeru wand den Blick kurz nach draußen und schüttelte den Kopf. „Das Wetter soll sich erst mal etwas beruhigen.“ Yuuko nickte und sah ebenfalls besorgt zu ihrer Tochter. Auch sie legte den Arm um die Jüngere und zog sie in eine Umarmung. Stumme Tränen liefen Kari über die Wangen, als sie zum ersten Mal an diesem Tag weinen konnte. Nachdem sich das Wetter etwas beruhigt hatte, bestellten sie ein Taxi, der Tag war anstrengend genug, da mussten sie nicht auch noch bis zur Bushaltestellte gehen. Sie erreichten nach ein paar Minuten das Hotel. Gesprochen wurde nicht viel, stattdessen hörte man den erneuten Regen der sich wieder bemerkbar machte. Erschöpft, ausgelaugt und traurig ging Kari ins Badezimmer und wollte nur noch duschen. Takeru blieb noch etwas unbeholfen im Flur stehen und sah unschlüssig zu Yuuko. „Kann ich irgendetwas machen?“ Yuuko versuchte ein wenig zu lächeln. „Du machst doch schon das was du kannst. Ich werde morgen mal versuchen Tai anzurufen, ich glaube für heute ist es das Beste, ihn in Ruhe zu lassen und dann können wir auch zurückfahren. Es gibt keinen Grund mehr hierzubleiben und ich will nach Hause“, erklärte sie. Sie verabschiedete sich von Takeru und ging in ihr eigenes Zimmer. Kari war am Ende und Tai ging es sicher auch nicht gut. Takeru nahm sein Handy und schrieb Mimi eine Kurznachricht. Sie sollte Bescheid wissen, auch wenn sie vielleicht nichts machen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)