Pretty Boy von Serato ================================================================================ Kapitel 1: Teil 1- Freunde Widerwillen -------------------------------------- Pretty Boy Teil 1- Freunde Widerwillen Ich bin der König der Idioten! Zu Hause schien mein Plan irgendwie herausragend grandios und jetzt wo es ernst wird mach ich mir fast in die Hose. Ach Quatsch, Rock. Ich habe die alte Schulmädchenuniform meiner großen Schwester an, stehe nun hier vor meinen neuen Klassenkameraden und soll mich vorstellen. Was daran das Problem ist? Ich bin ein Junge. Wie gesagt, zu Hause hielt ich das noch für eine super Idee, sie war nur nicht sonderlich gut durchdacht. Wie ich darauf kam, war jedoch ganz leicht. Bis zur Oberstufe wurde ich nur gehänselt und gemobbt, weil ich aussehe wie ein Mädchen. Klar, ich habe den Körper eines Jungen aber es scheint, die Pubertät ist an mir vorbei geschlendert, ohne bei mir halt zu machen, denn es ist wirklich der Körper eines Jungen und nicht der eines Mannes. Mit zwanzig Jahren habe ich nicht ein einziges Haar dazu bekommen, das vorher nicht da war. Meine Muskeln sind kein bisschen ausgeprägt, alles an mir ist glatt, weich, rund. Ich könnte genauso gut aus einem schlechten Lolita Film entsprungen sein. Ich komme voll und ganz nach meiner Mutter. Sogar meine Schwestern haben mehr von meinem Vater abbekommen als ich. Das einzige was ich von ihm habe, ist volles Haar. Sehr praktisch. Nicht für mich, aber für meine große Schwester. Sie lernt Kostüm- und Maskenbildnerin und liebt es, sich an mir auszutoben. Daher sind meine Haare auch viel zu lang, wenn auch nur Schulterlang. Nur zu allem Überfluss, hat sie sich gestern Abend noch mit ihrem neuen Lockenstab an mir ausgetobt und nun sehe ich aus wie Goldlöckchen in Matrosenuniform. Ich bin begeistert. Für die, die nicht zwischen den Zeilen lesen können: das war Sarkasmus. Ich wollte lediglich den Hänseleien endlich entkommen und habe heute Morgen unbedacht die Uniform geschnappt, die mir sogar zu groß ist. Aber wie schlimm wird es erst, wenn raus kommt, dass ich überhaupt kein Mädchen bin? Sichtlich nervös klammer ich mich also an meine Schultasche und wünsche mich gerade in das nächste Loch, oder dass irgendjemand die Gütigkeit verspürt, mir eine Bratpfanne über zu ziehen. Na ja, jedenfalls so etwas ähnliches geschieht, es hat nur nicht den gewünschten Effekt. Gerade als ich mich Vorstellen will, platzt ein Junge in den Raum. Er ist ziemlich außer Atem und hat ein breites Lächeln im Gesicht. „Tschuldigung! Ich war etwas verhindert.“, gibt er knapp von sich und drängt sich schnell an den Tischen vorbei, um an seinen Platz zu gelangen. Von über all scheint es plötzlich kleine rosa Herzchen auf ihn zu schießen. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich habe ein empfindliches Gespür für weibliche Empfindungen. Wenn man Jahre allein mir Mutter, einer zwei Jahre älteren und einer zehn Jahre jüngeren Schwester verbringt, sensibilisiert das, ohne dass man sich dagegen wehren könnte. Wenn es also einen Frauenversteher gibt dann bin ich das. Den Orden für dieses Talent brauch ich aber beim besten Willen nicht, mein Geschlecht hat schon genug Gründe bekommen mich zu verhauen. Dementsprechend sagen mir die vielen Herzchen, dass der Typ ziemlich beliebt sein muss. Bevor ich dazu komme, ihn genauer zu mustern, erinnert mich der Lehrer mit einem lauten Räuspern, dass ich mich noch vorzustellen habe. Ich verstelle meine Stimme etwas, damit es nicht zu sehr auffällt. „Ich bin Misaki Watanabe. Zwanzig Jahre alt.“ Ein überraschtes raunen flutet sofort den Raum und unterbricht mich. Ich kann mir schon denken woran es liegt. Ich bin viel zu alt für das erste Oberschuljahr und bevor ich jedem einzelnen eine Erklärung liefern muss, das gesamt Paket für alle. „Ich hatte die Oberschule abgebrochen und ein Jahr in Kalifornien verbracht. Mein Vater arbeitet dort und ich hab ihm Gesellschaft geleistet. Nun bin ich zurück und setze die Schule fort.“ Es hat lange gedauert meine Eltern zu überzeugen, dass ich eine Auszeit brauche, sie haben es nicht verstanden wie sehr mich die Hänseleien meiner Mitschüler belasten. Ich fing an die Schule zu meiden und trieb mich viel auf der Straße rum. Obwohl ich nicht zur Schule ging, wurde ich versetzt, da man in unserem japanischen Schulsystem nicht sitzenbleiben kann. Meine Noten waren dementsprechend katastrophal, erst da lenkten sie endlich ein. Ein Jahr Auszeit von meinen Mitschülern. Ein Jahr ohne Beleidigungen, ohne angegrabscht zu werden und ohne Schläge weil ich als “Schwuchtel“ bloßgestellt werde. Doch als es soweit war, wieder zur Schule zu gehen, packte mich erneut die Panik vor dem Mobbing. Scheinbar hatte mein Gehirn einen Kurzschluss, anders kann ich mir die Aktion nicht erklären, dass ich als Mädchen verkleidet hier stehe. Dass ich damit bis jetzt durchkomme, wundert mich nur noch mehr. Im Klassenbuch muss doch stehen, dass ich ein Junge bin. Der Lehrer ist wahrscheinlich gerade selbst ziemlich irritiert. Bevor ich noch mehr erklären muss, setze ich mich schnell auf den letzten freien Platz. Es sind Einpersonentische, so muss man nicht um Ellbogenfreiheit kämpfen. Ich habe einen Platz am Fenster was jetzt im Hochsommer nicht sehr prickelnd ist. Der Typ, dem die Herzchen immer noch zufliegen, sitzt am Nachbartisch. Ich würde ihn eher mit Gelächter überschütten. Seine Frisur sieht lustig aus. Der Hinterkopf ähnelt dem Rücken eines Igels in Schwarz mit lila Strähnen, während der Pony fein auf die Stirn fällt, aber ich muss gestehen, er hat ein hübsches, fein definiertes Gesicht. Schmale Mandelaugen, aus denen zwei bernsteinfarbene Augen herausstrahlen. Eine grade Nase, ein spitzes Kinn, er sieht aus, als wäre er vom Cover einer Teenzeitschrift entsprungen. Wahrscheinlich kommt er bei den jungen Mädchen deshalb so gut an. Vorsichtig lasse ich meinen Blick über ihn wandern. Er ist dünn mit breiten Schultern, aber durch seine hochgekrempelten Ärmel der Schuluniform bekomme ich einen Vorgeschmack auf den scheinbar muskulösen Körper, jedenfalls die Arme sind schon recht ausgeprägt. Vielleicht macht er aber auch nur Sport, wo die Arme besonders benötigt werden. Handball vielleicht. Mein Blick wandert wieder zu seinem Gesicht und ich erschrecke mich fürchterlich, als ich sehe, dass er mich breit angrinst. Er hat bemerkt, dass ich ihn mustere. Wie peinlich! Schnell wende ich mich in Richtung Tafel. Ich bin so angespannt, ich könnte Walnüsse mit dem Arsch knacken. Es tut schon fast weh. Der Unterricht ist genauso unangenehm. Ich weiß fast gar nichts mehr. Ich komme mir so dumm vor. Noch schlimmer ist nur, dass der Typ immer wieder zu mir rüber grinst. Gerade in den Mädchensachen will ich so wenig wie möglich auffallen und jetzt macht der Teenieschwarm hier ein Grinse-Kontest, als warte er darauf, dass einer ihn Fotografiert. Habe ich vielleicht was im Gesicht? Schnell taste ich es unauffällig ab, um mich zu vergewissern, doch ich finde nichts auffälliges. Vielleicht findet er meine Frisur ja nur genauso zum lachen, wie ich seine. ~~~ Ich habe mich nicht ein bisschen konzentrieren können. Immer wieder musste ich mich vergewissern, ob dieser verdammt hübsche Junge mich noch frech angrinst. Ahnt er etwas? Sehe ich doch gar nicht so sehr nach einem Mädchen aus, wie mir immer eingeredet wurde? Ein tiefer Seufzer kommt über meine Lippen. Erschöpft lege ich meinen Kopf in den Nacken und betrachte die vorbei ziehenden Wolken. Ich sitze hier auf dem Flachdach des Schulgebäudes, das eigentlich ein Notausgang ist und genieße die Ruhe, die hier herrscht. Wahrscheinlich ist auch nur keiner hier, weil es so furchtbar heiß ist und die Klimaanlage drinnen wirklich die bessere Zuflucht gewährt. Kaum klingelte die Schulglocke, kamen die neugierigen Mädchen zu mir und wollten mehr über mich wissen. Ich habe kaum ein Wort verstanden, weil sie alle durcheinander gesprochen haben. Das war mir zu viel Tumult. Kurzerhand entschuldigte ich mich und ging mit der Ausrede, ich müsse auf Toilette. Wenn ich darüber nachdenke, wenn ich wirklich muss, muss ich wohl oder übel wirklich auf die Mädchen Toilette. Wenn die so aussehen wie bei Jungs, werde ich definitiv in die Kabinen gehen. Aus dem Frauenhaushalt, aus dem ich komme, wurde mir sowieso von Anfang an eingeredet, im sitzen zu pinkeln, daran soll es also nicht scheitern. Mein Magenknurren erinnert mich daran, was ich eigentlich vor hatte nachzuholen, weil ich es zu Hause nicht geschafft hatte zu Frühstücken. Ich kuschel mich lieber in mein warmes Bett und genieße die Zeit dort, als in der kalten harten Welt, die ihre Fühler nach mir streckt. Kurzerhand packe ich meine mit viel Liebe zubereitete Lunchbox aus. Mit viel Liebe daher, weil meine Mutter einfach alles verniedlicht, die Würstchen sehen aus wie glückliche Oktopusse, die Äpfel wie kleine Häschen, oder auch Reisbällchen mit Gesichtern aus Algenblättern. Furchtbar kitschig, aber das Auge isst mit und so esse ich es wirklich lieber. Hab mich wohl schon zu sehr daran gewöhnt. Ich mach es mir bequem und will gerade den ersten Happen nehmen, als plötzlich die Tür aufspringt und ein junger Mann in die Sonne tritt. Seine dunkelbraunen Haare schimmern rötlich im Sonnenlicht. Sie hängen ihm tief ins Gesicht, so dass ich seine Augen gar nicht sehen kann. Erst als er vor mir zum Stehen kommt und mich überrascht ansieht, kann ich sie deutlich erkennen. Scharfgeschnittene Augen, wie die einer wilden Katze, die hinter seinen Haaren bedrohlich hervorstechen. Er ist sehr groß, so dass ich weit nach oben blicken muss. „Der Zutritt ist hier verboten!“, belehrt er mich mit dunkler Stimme. Wundernd betrachte ich ihn. „Du bist doch auch hier. Krokette?“, biete ich an und halte ihm meine Lunchbox hoch als Zeichen des Friedens. Ich hab nun mal ausgerechnet heute meine Friedenspfeife vergessen, aber mit Essen haben die Menschen sich doch schon seit Jahrtausenden versöhnlich gestimmt, warum sollte ich aus diesen Lehren nicht profitieren können? Sein Blick fixiert aber etwas anderes als mein Essen. Es dauert eine geschätzte Ewigkeit, bevor mir klar wird, was es ist, das er so ausgiebig mustert und wovon er seine Augen nicht abwenden kann. Ich Idiot habe nicht aufgepasst und sitze mit diesem furchtbar kurzen Rock breitbeinig vor ihm. Mit hoch rotem Kopf presse ich blitzschnell die Beine zusammen und ziehe den Rock soweit es geht rüber, während die andere Hand immer noch das Essen hoch hält. „Willst du oder nicht?“, quietsche ich nervös. Ihm wird kaum entgangen sein das ich Shorts trage. Den Teufel werd ich tun und Mädchenunterwäsche anziehen. Ist es etwa schon am ersten Tag aus mit meiner Scharade? Wird mich ab Morgen wieder der Hohn und Spott meiner Mitschüler treffen? Ich spüre, wie meine Hand bei diesem Gedanken zu zittern beginnt. Das habe ich davon, wenn ich so unachtsam bin. „Darf ich auch so ein cooles Oktopuswürschen?“, höre ich seine tiefe Stimme und ich schaue wieder etwas irritiert zu ihm hoch. „Ähm… Klar… Bedien dich“, stottere ich. Er nimmt sich eins und setzt sich neben mich. „Watanabe heißt du doch oder?“, fragt er. Ich bin immer noch sichtlich unruhig und klammer mich an meine Box. „Ja“, antworte ich heiser. „Ich sitze schräg hinter dir. Takeo Shiba heiße ich.“ Er wirft einen gierigen Blick auf meinen rettenden Halt. „Darf ich noch so ein Spieß? Das sieht toll aus.“ „Ja klar.“ Willig reiche ich es ihm. „Seit wann nimmst du denn was von Mädchen an?“, ertönt eine charmante Stimme. Ausgerechnet das Tennie Model gesellt sich zu uns und setzt seinen Grinse-Kontest fort. „Ihr scheint euch ja gut zu verstehen.“ „Wenn du immer so lange brauchst um hier her zu kommen, muss ich mir eben neue Freunde suchen, die die Zeit mit mir vertrödeln“, erwidert Shiba. Der andere lacht. „Aber ein Mädchen? Du hast es doch sonst nicht so mit ihnen.“ Er kniet sich vor mich hin und nimmt meine Hand. „Ich bin Ren Haruno. Willkommen an der Schule.“ Sanft positioniert er seine Lippen auf meinem Handrücken, küsst ihn, als wäre ich eine Prinzessin und schmunzelt in mein verdutztes Gesicht. „Wunder dich nicht, er ist zu jeder so“, erklingt es neben mir. „Ich wunder mich ehrlich gesagt nur über diese Dreistigkeit“, kontere ich nüchtern. „Na da hast du ja eine gefunden, die genauso Charmant ist wie du“, lacht das Teenie Model. War das jetzt eine Beleidigung? Fühlt sich jedenfalls danach an. „Dann wirst du sie ja genauso schätzen wie mich“, erwidert er. Sie! Er hat sie gesagt! Er scheint doch nichts bemerkt zu haben. Da fällt mir wirklich ein Stein vom Herzen. Wenn ich nicht in Gesellschaft wäre, würde ich jetzt vor Freude peinlich tanzen, aber dem ist ja zum Glück nicht so und ich erspare mir das Schämen über mich selbst. „Du bist doch sicher gut in Englisch oder Misaki-chan?“, fragt mich der Igelkopf. Entsetzt starre ich ihn an. „Nenn mich nicht so! Wir sind keine Freunde!“ „Jetzt schon. Takeo-kun scheint dich zu mögen, also Willkommen im Club. Gib uns Englisch Nachhilfe“, sagt er voller Überzeugung. Ich staune nicht schlecht über sein riesiges Ego, das scheinbar keine Grenzen kennt. Aber jemand der so viel Aufmerksamkeit bekommt, entwickelt so was wohl von alleine, nur das seins schon ungesund aufdringlich ist. Und was soll das bitte für ein Club sein? Club der Freaks? Club der Dachhocker? So einem Club will ich nicht angehören. „Ich helfe dir auch in den jetzigen Unterrichtsstoff rein zukommen“, bietet Shiba an. Irgendwie hab ich den Eindruck als hätte ich gar keine andere Wahl. Wenn ich jetzt wirklich mit den beiden befreundet sein soll, dann war es das mit unauffällig. Gut, ich bin vielleicht der Junge in Weiberklamotten, aber wer ist hier bitte verrückter? Ende von Teil 1 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)