Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 95: Extra Turn 88.5: A Genuine Smile -------------------------------------------- Extra Turn 88.5 – A Genuine Smile     „Mutter“, fragte Eli Bauer, neun Jahre alt, der er am schmalen Holztisch in der Küche saß und seine Cornflakes löffelte, „warum ist Vater nie da?“ Elenore Stevens drehte sich von der Spüle um. Das brünette, glatte Haar hatte sie hinter die Ohren geklemmt. „Eli, du weißt, dass er viel arbeiten muss.“ „Er ist lieber bei seiner anderen Familie.“ Es war eine unterkühlte Feststellung. Seine Mutter seufzte. Sie legte einen abgewaschenen Teller beiseite, eilte durch die karge Küche und kniete vor ihm nieder. „Das … das stimmt nicht.“ „Du lügst“, stellte Eli erneut eisig fest. Die junge Frau machte eine Pause. In ihren dunkel unterlaufenen Augen standen Tränen. „Ja, Eli. Ja. Aber manchmal, wenn die Wahrheit so schrecklich erscheint, dass man sie nicht ertragen kann, macht man etwas … Schöneres aus ihr.“ „Eine Lüge.“ „Scheiße“, fluchte seine Mutter vor sich hin, bereute sie ihre ungeschickt gewählten Worte, „Eli, dein Vater-“ Als interessiere ihn das gar nicht, fragte der Junge: „Wann sehe ich endlich meine Schwester?“ „B-bald.“ „Du lügst schon wieder.“ Damit hatte er sie endgültig sprachlos gemacht.   An diesem Tag hatte Eli für sich entschieden, dass Lügen hilfreiche Mittel waren, um seine Ziele zu erreichen. Und am Beispiel seiner Mutter begriffen, dass schlechte Lügen unangenehme Situationen hervorriefen, weshalb man sie vermeiden sollte. Und er erkannte, wie viel Gram in ihm steckte. Was er tun musste, um jenen zu begraben. Dass er von der brennenden Frage herrührte, ob es dem anderen Kind seines Vaters genauso ging wie ihm? Ob sie ihr Leben ebenso hasste wie er seines verabscheute. Eli Bauer war schon immer von distanzierter und abweisender Natur. Und daran, so sagte er sich selbst viele Jahre später, war ganz allein sein Erzeuger schuld.   Als Nick Harper das geräumige Büro betrat, mussten seine Augen sich erst an die verhältnismäßige Dunkelheit gewöhnen. Nur von einer kleinen Schreibtischlampe drang gedämpftes Licht zu ihm. Der groß gewachsene, junge Mann schloss leise die Tür hinter sich. Der schwarze Ledermantel, den er sich übergezogen hatte, reichte bis zu seinen Füßen. „Guten Abend“, wünschte er der Person, die am Ende des Zimmers an einem langen, zur rechten Seite hin gewundenen Schreibtisch saß. Jene saß jedoch mit der Lehne zu ihm gedreht und sah aus dem Fenster. Sie war die einzige im ganzen Komplex, die zu so später Stunde noch arbeitete. Keine Reaktion. Nick sah sich vorsichtig um. Zu seiner linken hing ein großes Gemälde einer Enthauptung im 16. Jahrhundert direkt über einer Sitzecke. Jener gegenüber befand sich eine kleine Bar aus Ahorn, gut bestückt mit Gläsern, Flaschen voller Alkohol und sogar einer kleinen Schatulle, in der sich vermutlich Zigarren befanden. Sein Blick wanderte wieder zu dem Bild über den bequemen Ledersesseln herüber. „Einladend“, schnarrte er zynisch. Dass hier überhaupt irgendeine Form von Gastfreundlichkeit aufkam erstaunte ihn schon, aber gleich eine ganze Minibar? Gewiss nicht die Idee des Mannes am Schreibtisch, dessen war er sich sicher.   Er trat näher an den Schreibtisch heran. „Du hast kein warmes Wort für den verlorenen Sohn übrig, ‚Dad‘? Ich bin enttäuscht.“ Die nachfolgende Stille war Antwort genug. Nick kam näher und näher, griff in seine Manteltasche. „Ich könnte jetzt spekulieren, dass von den Toten Auferstandene sogar dir die Sprache verschlagen“, überlegte er dabei laut, „aber dass ich noch lebe ist dir ja schon lange nicht neu. Und ich möchte sagen, lebende Tote wären es auch nicht.“ Als er an dem dunklen Holzschreibtisch angelangt und beide Hände raufklatschte, drehte sein ‚Gastgeber‘ sich schließlich zu ihm um. Den stechenden Blick aus den klaren, blauen Augen konterte Nick fest mit seinem eigenen. Er würde nicht zurückschrecken, nicht vor diesem Mann. „Was willst du mir damit sagen, Eli?“, fragte Mr. Bauer. Wobei es schon mehr wie eine Forderung klang, die es unbedingt zu erfüllen galt. „Auch schön, dich zu sehen, ‚Dad‘“, hielt Nick dagegen, „wobei die Bezeichnung ‚Erzeuger‘ mir doch besser gefällt. Aber das ist zu lang.“ Sein Gegenüber faltete die langen, dürren Finger ineinander. Er hatte sich sehr verändert, war alt geworden. Stirn und Augenwinkel voller Falten, der stets fein getrimmte Bart inzwischen weiß wie Schnee, ebenso das kurz geschorene Haar. „Hast du meine ‚Botschaft‘ erhalten?“, fragte Nick geheimnisvoll und ließ vom Schreibtisch ab, ohne seinen Erzeuger dabei aber aus den Augen zu lassen. „Ich hasse es, mich zu wiederholen. Wovon redest du?“ Anscheinend nicht. Also hatte Aiden ihm bisher nicht verraten, dass Nick via Monochrome versucht hatte einen Anschlag auf ihn zu verüben. Sein ehemaliger Geliebter hatte jenen rechtzeitig verhindert und Nick heimlich dabei gefilmt, wie dieser alles an Aidens Laptop vorbereitet hatte. „Nicht so wichtig“, winkte Nick beiläufig ab. Er wusste, wie sehr dieser Mann es hasste, wenn man seine Fragen nicht beantwortete. „Jetzt bin ich hier. Nach über fünf Jahren.“ Sein Gegenüber erhob sich und strich dabei sein Sakko glatt. „Dass du dich mir so offenkundig zeigst bedeutet, dass du etwas von mir willst. Etwas, dass dir kein anderer gewähren kann. Du hast Mut, dich mir so dreist gegenüber zu stellen, Eli.“ „Wie gut du mich doch kennst, obwohl man unsere Begegnungen an einer Hand abzählen kann“, stichelte Nick und entfernte sich rückwärts laufend von Mr. Bauer. Dabei hob er seinen Arm, an dem seine Duel Disk befestigt war. „Es gibt wirklich nur eine Sache, die nur du für mich tun kannst.“ „Du bist hierher gekommen, um dich mit mir zu duellieren?“, spottete das Oberhaupt seiner Familie höhnisch. „Hast du jetzt endgültig deinen Verstand verloren?“ „Wer weiß“, nuschelte Nick wieder verschwörerisch, als er auf genug Abstand gegangen war. „Ich duelliere mich nicht mehr.“ „Offiziell oder inoffiziell?“ Nick beobachtete ihn genau dabei, wie Mr. Bauer nach einer Schublade zu dessen rechten griff und sie öffnete. Dabei flötete sein Spross: „Hach ja, was für eine Entwicklung du durchlebt hast. Angehender Profiduellant, Senator … in Ungnade gefallener Senator. Und jetzt bist du der Kopf dieses Babys.“ Er breitete seine Arme dabei weit aus, ließ sie dann aber schnell wieder sinken. „Aber ist das wirklich die ganze Geschichte?“ Sein Vater zog es vor nicht zu antworten. Stattdessen zückte er aus besagter Schublade ein Deck sowie eine Duel Disk, die Nick bei ihrem Anblick abrupt verstummen ließ. Überall Kratzer, ausgebleichtes Grau – das war Anyas Duel Disk! „Woher hast du die?“ „Meine Tochter hat sie mir zur Verwahrung zugesandt, bis sie sie sich zum rechten Zeitpunkt abholt.“ „Du bist wirklich dumm“, schnarrte Nick, „diese Duel Disk wurde Anya gestohlen. Derjenige, der sie dir geschickt hat, war-“ Autoritär unterbrach Mr. Bauer seinen Sohn: „Erspare mir deine Behauptungen. Sie haben schon genug angerichtet.“ Nick lachte gehässig. „Wie du willst. Aber ich würde aufpassen. Vielleicht ist eine Bombe darin versteckt. Wäre nicht das erste Mal.“ „Eli“, knurrte dessen Vater. Eine Ader auf seiner Stirn pochte sichtbar. Dabei schob er sich den Apparat über den Arm. „Tick tack“, konterte Nick jedoch gehässig. Dann aktivierte er seine eigene Duel Disk. „Damit wir uns richtig verstehen“, stellte Mr. Bauer klar, als er dasselbe tat, „betrachtete dieses Duell als den ersten und letzten Gefallen, den ich dir erweisen werde.“ „Ich weiß, mit väterlicher Zuneigung hast du es nicht so. Aber schön, dass ich dich nicht extra daran erinnern muss.“ Die Augen des großen, zerzausten Mannes funkelten böse. „Hat mein Spinnensinn da übrigens eine versteckte Drohung gewittert?“ „Was lässt dich das glauben?“ „Nur so ein Gefühl.“ Wenn Nicks Verdacht sich bestätigte und sein Vater tatsächlich der legendäre Dämonenjäger war, von dem Alexandra ihm vor einiger Zeit erzählt hatte, wusste er wahrscheinlich, warum genau Nick dieses Duell wollte. Ein Kampf zwischen zwei Trägern der Conqueror's Soul. Der Sieger würde die Kräfte des anderen absorbieren. In welchem Ausmaß genau wusste Nick nicht, aber es gab noch einen zweiten Grund, warum dieser Kampf stattfinden musste. Sein Vater musste aus dem Weg geräumt werden. Endgültig … „Duell!“, rief der junge Mann alleine aus, während Mr. Bauer nur schwieg.   „Ich mag Anya, hehe“, gluckste Nick Harper – der echte – dümmlich, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. In einem kleinen Café am Stadtrand Livingtons saß er Eli Bauer gegenüber. Beide waren groß, brünett, wirkten fast wie Brüder. Nur dass Elis Haar kurzgeschoren war, er eine Brille trug und im Gegensatz zu Nick nicht herum lief, als begreife er den Sinn von Kleidung nur rudimentär. Denn Nick Harper war schlampig, ungepflegt und minderbemittelt. Eli verabscheute ihn. Aber er war momentan alles, was ihn mit seiner Schwester verband. Eli nahm einen Schluck aus seinem Becher Kaffee und blinzelte genau einmal. „Das war nicht meine Frage. Haben sich ihre Noten verbessert?“ „Ich gebe ihr eine 3 in Sexiness. Zu kleine-“ Aber als Nick sich einem bitterbösen Blick ausgesetzt sah, schluckte er. „Nein, glaube nicht. Außer in Philosophie, aber das auch nur, weil Anya der Lehrerin ihre eigene Philosophie in Sachen Benotung erklärt hat. Irgendwas mit Schmerz … meinst du, sie steht auf SM? Meinst du, -ich- steh' auf SM!?“ Er wackelt anrüchig mit den Augenbrauen. Genervt stöhnte Eli auf. „Und wie geht es Abigail? Sind sie und Anya noch Freunde?“ „Der Streit ist Schnee von … Alaska?“ Der zerzauste Bursche überlegte angestrengt. „Uh …“ „Egal. Sie haben sich also vertragen? Sehr gut. Anya braucht wenigstens ein paar Freunde.“ „Warum triffst du dich nicht mit ihr, wenn du so viel von ihr wissen möchtest?“ Das war wohl das Intelligenteste, das er seit Langem von sich gegeben hatte. Eli setzte den Becher ab. „Das geht nicht.“ „Warum?“ „Das geht nur mich und ihren Vater etwas an.“ „Warum?“ Eli rollte mit den Augen. „Unwichtig.“ „Warum?“ Beide sahen sich schweigend an. „Hehe. Ich mag es, so zu fragen.“ Kein Wunder, dass dieser Typ den letzten Jahrgang hatte wiederholen müssen. Der wäre am besten in einer Behindertenschule aufgehoben, dachte sich Eli genervt. Aber er musste ihn ertragen, wenn er wenigstens ein paar Informationen über seine Schwester einholen wollte, nachdem ihre Mutter ein absolutes Kontaktverbot gefordert hatte.   Nach einer halbstündigen, für Eli ziemlich schwierigen Unterhaltung, verließen beide das Café. Draußen regnete es und während der älteste Sohn von Mr. Bauer seinen Schirm aufspannte, stand Nick Harper grinsend im Regen. „Immer wenn die Tropfen mich berühren, frag ich mich, ob sie es mögen.“ „Ah ja.“ „Darf ich dich noch ein Stück begleiten?“ Mit den Augen hinter den Brillengläsern rollend, seufzte Eli: „Meinetwegen.“ So folgte der große Tölpel ihm wie ein Schoßhund. Zugegeben, er war einfach gestrickt und egal was er tat, man nahm es ihm ab, weil er Nick Harper war. „Mum hat mir neulich eine Slay Station 128 gekauft.“ „Schön.“ „Jetzt können Anya und ich Monstermetzelinferno 3 zocken.“ „Gut für euch.“ Der Idiot gluckste lüsternd. „Vielleicht kommen wir uns dabei-“ Aber Eli unterbrach ihn mit aller Beherrschung, die er aufbringen konnte. „Deine Mutter ist Anwältin und dein Vater Arzt, richtig? Ihr müsst ein gutes, wohlhabendes Leben führen.“ „Glaube schon.“ Geradezu empört eilte der pitschnasse Nick an Elis Seite. „Aber warum bekomme ich dann nur so wenig Taschengeld!?“ „Sei zufrieden, dass du überhaupt welches bekommst.“ Sein vermeintlicher Freund sah grimmig zur Seite. „Andere leben längst nicht in solchem Überfluss wie ihr.“ „Das verstehe ich nicht. Aber es klingt gut, he he.“ Der Brillenträger seufzte resignierend. „Nicht ganz …“   Zumindest hatte Eli vor ein paar Monaten jemanden kennengelernt, der ihm beibrachte, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Mit einem Tastendruck war Armut nicht mehr als ein bedeutungsloses Wort. Aiden Reid war sein Retter gewesen, derjenige, durch den er zum ersten Mal begriff, was Freiheit überhaupt war. Er liebte ihn dafür. Aber Bankautomaten oder auch fremde Konten zu hacken reichte Eli nicht. Dadurch wurde er dieses Leben nicht los.   [Nick: 4000LP / Mr. Bauer: 4000LP]   „Verrate mir eins, 'Dad'. Hast du die Nachrichten überhaupt gesehen?“, fragte Nick provokativ, als er eine Karte nach der anderen von seinem Deck aufnahm. „Weißt du überhaupt, was passiert ist!?“ Der Mann, den er wohl am meisten hasste, sah ihn nur stillschweigend an. „Hast du Anya je beglückwünscht für ihren Erfolg beim Legacy Cup!?“, brüllte der junge Mann förmlich. „Wenn nicht, tut es dir nicht weh zu wissen, dass es dafür inzwischen zu spät sein könnte!?“ Wieder keine Reaktion. Als ob es ihn überhaupt nicht interessierte, dass seine Tochter in jenem Flugzeug gesessen hasste, das über Ephemeria City kurz nach seinem Start abgestürzt war. „Und du denkst ernsthaft, du hättest nichts von all dem verdient, was dir widerfahren ist“, knurrte Nick leise, „du widerst mich an.“   Nachdem die beiden ihre Starthand gezogen hatten, rief Nick sofort: „Ich beginne!“ Seine fünf Karten stellten ihn vollends zufrieden. Zwar hatte sich sein Erzeuger vermutlich seit Jahren nicht mehr duelliert, aber deswegen durfte man ihn nicht unterschätzen. Mr. Bauer hätte eine Karriere als Profiduellant verfolgen können, wäre dies seine Absicht gewesen. Dieser Mann schaffte es innerhalb kürzester Zeit, seine Gegner in einen eisernen Griff zu nehmen, aus dem sie sich nie wieder befreien konnten. „Horus“, murmelte Nick leise vor sich hin. Der gefürchtete Schwarzflammendrache. War dieser erst in seiner adoleszenten Form auf dem Feld, gab es kein Entkommen mehr. Dazu durfte er es nicht kommen lassen. Dazu -würde- er es gar nicht erst kommen lassen! „Ich beschwöre [Wind-Up Hunter] von meiner Hand als Normalbeschwörung“, kündigte der zerzauste, junge Mann im schwarzen Mantel an, legte aber gleich zwei Monster auf die entsprechenden Zonen seiner Duel Disk, „und weil ich das getan habe, kann ich [Wind-Up Shark] gleich hinterher beschwören.“ Die beiden Monster tauchten vor ihm im dunklen Büro auf. Linkerhand spannte ein violetter, etwa ein Meter großer Spielzeugzentaur, die Armbrust, die er mit sich führte. Neben ihm zappelte ein blauer, mechanischer Hai, mit seiner Schwanzflosse hin und her. Und auf den Rücken beider befanden sich goldene Aufziehschlüssel.   Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Spielzeug?“, fragte Mr. Bauer tonlos und doch kam es in Nicks Ohren einer Beleidigung gleich. Was dann aber kam, damit hatte er nicht gerechnet. „Du benutzt das Deck dieses Jungen?“ Natürlich, was auch sonst? Dieses Deck hatte einst dem echten Nick Harper gehört, also wieso würde er jetzt ein anderes verwenden? Gewissermaßen war er dazu sogar gezwungen, dachte Nick. Trotzdem stand ihm eine Schweißperle auf der Stirn. „Ich benutze [Wind-Up Sharks] Effekt und korrigiere seine Stufe um 1 nach unten“, wich jener resolut aus. Der Aufziehschlüssel auf dem Rücken seines Hais begann sich rapide zu drehen.   Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4 → 3)]   „Es ergibt Sinn“, sprach Mr. Bauer seelenruhig dabei weiter. „Um er zu werden musstest du dich nicht nur verhalten wie Nick Harper. Du musstest auch die Dinge mögen, die er mag. Sein, was er war.“ Nicks Atem ging schneller. Er rief: „Und nun errichte ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 3-Wind-Ups wird ein Rang 3-Monster!“ Vor ihm tat sich ein Schwarzes Loch auf, das seine beiden Kreaturen als violetten beziehungsweise im Falle des Hais als blauen Lichtstrahl absorbierte. „Was du diesem Jungen angetan hast, wird dich eines Tages einholen.“ „Xyz Summon!“, donnerte Nick förmlich dagegen. „Erscheine, [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“ Eine Explosion erschütterte das Überlagerungsnetzwerk. Ein großes Spielzeugschiff erhob sich aus dem Wirbel – ein Flugzeugträger, bestehend aus zwei Rampen, die durch das eigentliche Monster, einen Roboter, zusammengehalten wurden. Zwei Lichtsphären rotierten um diesen.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]   Nick blickte voller unterdrücktem Zorn in sein Blatt. Er würde die Hand seines Vaters lahmlegen und ihm damit jede Möglichkeit nehmen, seinen Schwarzflammendrachen überhaupt aufs Feld zu bekommen! Seine Hunter-Carrier-Rat-Schleife hatte selbst einen mächtigen Dämonen wie Xiphos in die Knie gezwungen! „Ich akt-“ „Von meiner Hand lege ich [Effect Veiler] ab.“ Mr. Bauer tat genau dies und schob eine Monsterkarte in seinen Friedhofsschlitz. Was dazu führte, dass eine kleine Fee in weißem Anzug vor ihm erschien. Das hellblaue Haar war zu zwei langen Pferdeschwänzen gebunden. Sie lächelte neckisch und ging dann auf Kollisionskurs mit dem verhältnismäßig riesigen Metallkoloss, in dem sie einfach verschwand. „-iviere [Wind-Up Carrier Zenmaitys] Effekt und beschwöre im Austausch für eine Overlay Unit ein Wind-Up von meinem Deck“, sprach Nick zeitgleich noch weiter. Dann fluchte er laut. Mr. Bauer verschränkte die Arme. „Ich fürchte, dein Plan ist gerade in Rauch aufgegangen. Du kannst nach dem Einschreiten von [Effect Veiler] den Effekt des betroffenen Monsters nicht mehr in diesem Zug aktivieren.“ „Das weiß ich selbst“, zischte Nick zwischen den Zähnen.   Wie vorausschauend von seinem Erzeuger. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht und sich über sein Deck informiert. Was bedeutete, dass er damit gerechnet haben musste, seinem unehelichen Sohn eines Tages gegenüber zu stehen. Nick fragte sich, was dieser Mann inzwischen noch alles wusste. Und fürchtete die Antwort darauf. Er spürte es am ganzen Leib. Irgendetwas stimmte nicht mit Mr. Bauer. Er besaß keine dämonische Ausstrahlung wie viele andere Wesen, die Nick in den letzten Tagen aufgesucht hatte. Seine Ruhe, seine Unerschütterlichkeit, dieses absolut Furchtlose an ihm – es jagte Nick eine Heidenangst ein. Denn er wusste nicht, worauf all das basierte. Was verheimlichte dieser Mann der Welt!?   Nachdem er zur Ruhe gekommen war, studierte Nick wieder sein noch aus drei Karten bestehendes Blatt. Auch wenn er seine Kombo nicht hatte durchführen können, war es noch nicht zu spät, solange sein Feind seine Vorbereitungen nicht getroffen hatte! „Ich setze eine Karte verdeckt und aktiviere [Shard Of Greed], mit der ich in der übernächsten Runde zwei Karten ziehen werde“, verkündete der junge Mann gefasst. Vor ihm materialisierte sich seine vertikal liegende Falle, deren Bild nach unten zeigte. Daneben klappte ein permanenter Zauber auf, der eine einzelne Scherbe des legendären grünen Topfs zeigte. Der junge Mann zitterte trotz der vorgetäuschten Selbstsicherheit. Sich diesem Mann überlegen zu fühlen und doch kaum aufrecht stehen können. Nur einmal war es ihm in der Vergangenheit so gegangen …   Eli stand im Türrahmen und betrachtete seinen Erzeuger, wie er im Esszimmer der Familie Harper den bewusstlosen Nick begutachtete. Lautlos näherte er sich dem Mann, der sich gerade erhob. Und es fiel ihm nicht schwer, den Elektroschocker an die Schläfe Mr. Bauers zu setzten, ebenso seine Hand auf dessen Mund und das Ding solange laufen zu lassen, bis auch der großgewachsene, blonde Mann in sich zusammensackte.   Der junge Mann mit der Brille bebte förmlich, aber er hatte es geschafft. Die Falle hatte zugeschnappt. Da lagen sie, beide vor seinen Füßen. Eli zog den linken Ärmel seines Pullovers zurück, zückte das Messer aus seiner Tasche und schnitt sich ins eigene Fleisch. Blut tropfte auf den Teppich. Dann nahm Nick aus der Innentasche seiner Jacke einen Beutel mit weiterem Blut, drehte seinen Erzeuger mit dem Fuß auf den Rücken und träufelte vorsichtig einige Tropfen auf dessen Hemd und Sakko. Danach tat er dasselbe mit Nick und verteilte den Rest im Esszimmer. Wenn er so zurückdachte, wie anstrengend es gewesen war, die ganzen Krankenakten von Nick Harper so anzupassen, dass sie auf seine eigenen abgestimmt waren, fragte sich Eli, ob es das alles wirklich wert war. Aber das war es. Der junge Mann beugte sich zu seinem ehemals einzigen Freund herab. „Vergib mir.“   „Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen.“   Anton Bruckner   Und an diesem Tag veränderte sich Eli Bauer, der nie als solcher geboren worden war. Nicht einmal sein Nachname war anerkannt – echt. Stevens hieß er auf dem Papier. Der Bastard eines Verrückten, welcher ihm nie einen Funken Respekt erwiesen hatte. Also nahm er das Schicksal selbst in die Hand. Ein Anruf hatte genügt, seinen Erzeuger ins Haus der Harpers zu locken. Und ein zweiter würde ihn für immer hinter Gitter bringen. Dort, wo er hingehörte. So wie auch Eli sein ganzes Leben hinter rostigen Gittern verbracht hatte.   Es brannte bereits lichterloh, als Eli zu Bewusstsein kam. Er sah den dunklen Himmel. Waren das Wolken oder der Rauch? Schreie waren neben ihm zu hören. „Mein Sohn! Wie geht es ihm!?“ Langsam wurde er sich gewahr, dass er auf einer Trage von zwei Rettungssanitätern über die Straße geschleppt wurde. Sein Körper war taub. Zweifelsohne musste es funktioniert haben, er war stark genug verbrannt, um als Nick Harper durchzugehen. Mit viel Mühe konnte er seinen Kopf zur Seite drehen. Und da sah er ihn, Mr. Bauer, voller Blut, Brandspuren und Ruß, wie er von einem Polizeibeamten abgeführt wurde. Ihre Blicke trafen aufeinander. Ob er wohl schon etwas von dem ahnte, das ihm bevorstand? Er rief entgeistert: „Nick, was um alles in der Welt-!?“   Hoffentlich hatte Aiden sich an den Plan gehalten und bereits ausgesagt. Auch wenn jetzt mehrere Monate voller plastischer Chirurgie vor Eli standen, würde er als neuer Mensch wiedergeboren werden. Als Nick Harper. Und sein Erzeuger würde für den Mord an Eli Stevens ins Gefängnis wandern.   Nick ballte eine Faust. Hätte er damals geahnt, was wirklich geschehen würde, wäre vermutlich noch jemand an diesem Tag ums Leben gekommen.   Als Mr. Bauer eine Karte aus seinem Blatt nahm, vor sich hin hielt und scheinbar genau betrachtete, spürte Nick ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Welches umso intensiver wurde, als der Mann die Karte ausspielte. „Mein alter Gefährte, erscheine! [Horus The Black Flame Dragon LV4]!“ Vor dem Bärtigen materialisierte sich ein etwa anderthalb Meter großer Drache, wobei diese Bezeichnung nicht wirklich zutraf. Denn tatsächlich war es ein Falke in kupferner Panzerung, der da vor ihm stand – die Verkörperung des namensgebenden Gottes.   Horus The Black Flame Dragon LV4 [ATK/1600 DEF/1000 (4)]   Nick rann blanker Schweiß von der Stirn. Also hatte er ihn wirklich bereits auf der Hand gehabt – verdammt! Aber diese Version, LV4, war nur seine jugendliche, unerfahrene Form. Ungefährlich – solange es kein anderes Monster im Kampf besiegte. Sein Blick lag auf dem Miniaturflugzeugträger. „Kampf!“, befahl Mr. Bauer da schon wortkarg mit ausgestreckter Hand. „Pitch Black Decree!“ Der metallische Vogel lud in seinem Schnabel einen finsteren Odem auf, den er in komprimierter, aber extrem gebündelter Form auf seinen Widersacher abfeuerte. Nick lachte leise auf. „War zu erwarten.“ Solange sein Erzeuger noch nicht in der Lage war, sein Spiel einzuschränken, musste der junge Mann all seine zur Verfügung stehenden Waffen nutzen. Was er umso lieber tat, wenn dabei nur das Assmonster seines Vaters vorzeitig fiel – egal ob es bedeutete, seinen Zenmaity dafür zu opfern. „Falle!“, donnerte er autoritär. „[Overwind]. Sie verdoppelt die Werte meines Spielzeugs, schickt es danach aber dahin zurück, wo es hergekommen ist.“ Der goldene Aufziehschlüssel des Schiffs, welcher sich steuerbord an der Außenhülle befand, begann sich rapide zu drehen.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 → 750 → 1500 DEF/1500 {3} OLU: 2] Der schwarze Flammenstrahl schlug in den plötzlich schrumpfenden Zenmaity ein und löste eine mächtige Explosion aus, die spurlos an Nick vorbei ging. Jener war im Rauch eingeschlossen und erwartete bereits den bevorstehenden Konter seines Monsters, der jedoch ausblieb. Denn wie sich alsbald herausstellte, war der Träger vernichtet worden. Nick keuchte nur leise, als er den Schnellzauber erblickte, der gerade auf der Spielfeldseite seines Vaters verschwand – [Shrink]. Jene halbierte den Angriffswert des Ziels.   [Nick: 4000LP → 3900LP / Mr. Bauer: 4000LP]   „Wie du sehen kannst, bin ich es, der auf deine Tricks vorbereitet ist, Eli“, sprach Mr. Bauer, nahm eine Karte aus seinem Blatt und setzte sie in seine Duel Disk ein. „Ich setze diese Karte und beende meinen Zug.“ Nick stockte der Atem, beachtete gar nicht die Karte, die sich zu den Füßen seines Widersachers materialisierte. Das hätte nicht passieren dürfen! Kurz nachdem sein Vater gesprochen hatte, begann goldenes Licht aus den Ritzen in Horus' Panzerung in alle Richtungen zu strahlen. Die Kreatur wuchs und gewann circa einen halben Meter an Größe, überragte Mr. Bauer ein wenig, spreizte ihre Schwingen. Sie wirkte wesentlich erwachsener, die Flügel und ihr Schweif waren länger geworden. „Der Kampf hat dem Kriegsgott Erfahrung gelehrt. Er ist auf die Stufe 6 aufgestiegen und in seiner adoleszenten Form nun vor allen Zauberkarteneffekten gefeit. Aber bei deinem Anblick“, sprach der ergraute Mann und machte eine wirkungsvolle Kunstpause, „möchte ich sagen, dass du dir dessen bestens bewusst bist.“   Horus The Black Flame Dragon LV6 [ATK/2300 DEF/1600 (6)]   Der seines Zeichens zerzauste Nick sagte gar nichts und betrachtete nur den mächtigen Gott der ägyptischen Mythologie. Wenn es seinem Erzeuger gelang, damit nur noch einmal ein Monster zu besiegen-! Nein, so weit würde es nicht kommen! Noch während Nick nach seinem Deck griff, tauchte vor seinem offenen Zauber eine grüne Scherbe auf, die einst Teil des Topfs der Gier war. „Draw!“, fauchte der Brünette zornig und betrachtete seine neue Handkarte, eine Falle. Seine Augen begannen gefährlich zu funkeln. Genau zum rechten Zeitpunkt. „Ich setze eine Karte verdeckt!“ Schon erschien jene zischend zu seinen Füßen. „Und beschwöre [Wind-Up Knight] im Angriffsmodus. Zug beendet!“ Er legte seine letzte Handkarte auf seine Duel Disk, womit ein etwa zwei Köpfe im Vergleich zu ihm kleinerer, weißer Spielzeugritter auftauchte. Mit Schild und Schwert bewaffnet, trotze er mutig seinem Erzfeind, dem Drachen. Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Mr. Bauer betrachtete seinen Sohn still. Hinter seinen kalten, blauen Augen konnte Nick es förmlich rattern hören. Dann zog der Mann auf eine dritte Handkarte auf. „Angriff auf [Wind-Up Knight]“, befahl er und schwang dabei den Arm aus. „Pitch Black Obliteration!“ Sein mächtiger Horus öffnete den Schnabel und lud darin eine lodernde, schwarze Flamme auf. Zumindest bis sich an seinen Füßen eine Kristallschicht bildete, die sich ausdehnte und immer weiter nach oben zog, bis sie den Vogel komplett eingeschlossen hatte. „Daraus wird nichts“, tönte Nick zufrieden, vor dem eine offene, permanente Fallenkarte aufgeklappt stand, „[Grave Of The Super Ancient Organism]. Sie versiegelt die Effekte und Angriffe aller spezialbeschworenen Monster der Stufe 6 oder höher.“ „Und [Royal Decree] negiert die Effekte aller anderen offenen Fallenkarten“, konterte Mr. Bauer gelassen, als er den Auslöser an seiner Duel Disk betätigte und die eigene Fallenkarte aufklappen ließ. Nick stieß wenig überrascht ein Stöhnen aus beim Anblick der Karte, die ebenfalls auf dem Feld verweilen würde. Und kaum stand jene aufrecht, schlugen Blitze um Nicks Karte. Und Horus brach aus seinem Gefängnis frei. Wie zu erwarten war, dachte der große, junge Mann grimmig. Dieses Scheusal war ein Naturtalent darin, unangenehmen Situationen zu entkommen. Und jetzt war seine Kombo beinahe vollständig. Er sah dem schwarzen Flammenstrahl entgegen, der seinen Ritter erfasste. Keine Sekunde später folgte eine finstere Explosion, die Nicks Feld in Schatten hüllte. „Besiegt Horus ein Monster im Kampf, steigt-“ „Aber dem ist nicht so!“ Nick vertrieb die Dunkelheit mit einem einfachen Schwenk seiner Hand. Und sein Spielzeugritter stand noch vor ihm. „Ich habe mir fast gedacht, dass du es so zu drehen versuchst. [Wind-Up Knight] kann nur einmal einen Angriff abwehren.“ Mr. Bauer nickte. „Ich verstehe. Ein hartnäckiger Zeitgenosse. Wie du.“ „Erspare mir diese Sprüche.“ „Diese Eigenschaft hast du wohl von mir. Ich aktiviere in meiner Main Phase 2 eine Zauberkarte“, sprach der ergraute Mann unberührt weiter und schob wie angekündigt die grün-umrandete Karte in seien Duel Disk. „Sie nennt sich [Level Up!]. Damit erreicht Horus sofort seine finale Evolutionsstufe.“ Völlig entgeistert weitete Nick seine Augen. „Was!?“ Der Vogelgott wuchs erneut und gewann noch einmal einiges an Umfang. Aus seinem Torso wuchsen dürre Arme, geschützt von Schulterpanzern. Auch die Schwingen wurden breiter, die langen Federn glänzten messerscharf. Zuletzt entstand an seiner Stirn ein blaues Juwel, das gefährlich glimmte.   Horus The Black Flame Dragon LV8 [ATK/3000 DEF/1800 (8)]   Erhaben verschränkte Mr. Bauer die Arme hinter seinem mächtigen Drachen. „Du weißt, dass mein alter Gefährte jede beliebige Zauberkarte sofort bei ihrer Aktivierung unschädlich machen kann. Zusammen mit meiner Falle [Royal Decree] kannst du nun weder Zauber- noch Fallenkarten zu deinem Vorteil nutzen. Zug beendet.“   Damit hatte er alle Puzzlestücke beisammen, dachte Nick zornig, als er dabei war aufzuziehen. Aber in einem irrte dieser Narr sich – diese Kombo war längst nicht mehr unaufhaltsam. Er mochte vielleicht vor 20 Jahren Leute damit beeindruckt haben, aber diese Zeiten waren vorbei.   Trotzdem zitterte seine Hand, als er aufzog. „Dein Horus kann Zauberkarten vernichten, das stimmt. Aber das gilt nicht für die, die schon auf dem Feld sind. Effekt von [Shard Of Greed]!“ Eine zweite, grüne Scherbe reihte sich an das Bruchstück und bildete nun ein rotes Schlitzauge, welches leuchtete. „Ich schicke sie auf den Friedhof und ziehe zwei Karten!“ Der Zauber löste sich mitsamt der Scherben auf und Nick zog in schneller Folge zwei Karten. Nur um sein Blatt zerknirscht anzusehen. Keine der drei Karten konnte ihm unmittelbar aus seiner Lage befreien. Sein Erzeuger hatte ihn wieder einmal in die Ecke gedrängt …   Der junge Mann saß aufrecht in seinem Bett. Das Gesicht war vollkommen mit Bandagen bedeckt mit Ausnahme von Nase, Mund und Augen. Angeschlossen an einen Tropf, hatte er zumindest das Glück, der einzige Patient im Zimmer zu sein.   Allein war ‚Nick Harper‘ trotzdem nicht. Am Fenster zu seiner Linken stand seine Mutter, inzwischen ergraut und mit kürzeren Haaren, die ihr bis zu den Ohren reichten. Neben ihr verharrte der Mann, dank dem er endlich das Leben leben konnte, das er verdiente. „Hat die Polizei inzwischen bestätigt, dass es sich bei der Leiche um Eli Bauer handelt?“, fragte ebendieser mit kratziger, noch immer von der Rauchvergiftung beeinträchtigten Stimme. „Stevens“, korrigierte seine Mutter ihn abwesend. Mit belegter Stimme antwortete Aiden Reid, der in einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug steckte: „Was das angeht, sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.“ Er kratzte sich an seinem Spitzbart. „Eli-“ „Nick“, verbesserte der ihn scharf. „Willst du das wirklich bis zum Ende durchziehen?“ „Stellst du das jetzt wirklich in Frage?“ ‚Nick‘ sah seinen Geliebten düster an. „Ich habe meine Aussage gegenüber der Polizei bereits getätigt. Der Junge ist tot. Für einen Rückzieher ist es zu spät, Aiden.“ Der nickte schneeweiß. „Natürlich.“ „Dann heißt es wohl Lebewohl sagen“, meinte seine Mutter mit klammer Stimme. Sie drehte sich zu ihrem bandagierten Sohn um. Ihr Gesicht war gezeichnet von Falten, obwohl sie noch nicht einmal 50 Jahre alt war. „Es tut mir leid, dass ich dir kein besseres Leben bieten konnte. Aber nun hast du, was du wolltest. Du bist nicht mehr -mein- Sohn.“ „Danke, Mum“, sagte Nick respektvoll. In dem Moment klopfte es an der Tür. Aiden meinte sofort: „Unser Stichwort.“ „Leb' wohl, Eli“, hauchte Elenore Stevens den Tränen nahe, lief aber schnurstracks am Bett ihres Sohnes vorbei. Dabei gab sie sich die Klinke mit zwei Teenagern in die Hand, die gerade unaufgefordert in das Zimmer stürmten. Zumindest eine von ihnen, die andere eilte ihrer Freundin meckernd hinterher. „Anya, du kannst nicht einfach-“ Das blonde Mädchen mit dem Pferdeschwanz und Pickelgesicht konnte. Und wollte. „Verdammter Kackmist, Harper! Bist du bescheuert!?“, fluchte sie, wie sie einem Tornado gleich erst an Mrs. Stevens und dann an einem überraschten Aiden vorbei zog. „Wir wollten euer Haus doch erst zu Halloween anzünden, wenn Richardson und die Comery-Zwillinge im-“ Sie blieb erstaunt zwischen den beiden Erwachsenen stehen. „Wer zur Hölle sind die!?“ „Anya, sei nicht so unhöflich!“, beschwerte sich das Mädchen hinter ihr. Sie trug ein pechschwarzes Kleid mit vielen Schlaufen und Nieten an den Armen, hatte die Augen mit Kayal betont und die Haare schwarz gefärbt. Gothic-Abby stöhnte: „Normalerweise wartet man, bis man hineingebeten wird.“ „Wir haben uns im Zimmer geirrt“, nuschelte Aiden belustigt und verließ jenes im Anschluss. „Entschuldigung für die Störung.“ „A-Anya“, stammelte Eli irritiert und sah die beiden pubertierenden Mädchen mit großen Augen an. So unvermittelt fiel es ihm schwer, in seine neue Rolle zu schlüpfen. „Mir war kalt, hehe.“ „Was ist denn bloß passiert?“, fragte Abby betroffen und eilte an sein Bett. Mühsam versuchte der neue Nick sich zu erklären. „Da war ein Mann in unserem Haus. Er hat sich mit einem Freund von mir gestritten. Ich glaube, es ging um meine imaginäre Barbie-Sammlung.“ Die beiden Teenies sahen ihn an, als hätten sie tatsächlich nichts anderes erwartet. Er grinste sie beide weit an. „Wenn ihr wollt, zeige ich sie euch, sobald ich raus bin!“ „Und was hat dieser Mann gemacht?“, fragte Abby neugierig. „Ach, nur meinen Kumpel kaltblütig umgebracht. Wie in den Filmen, hehe. Und dann wollte er auch mich umbringen. Hier.“ Er zeigte ihnen den rechten Arm, der bandagiert war und an dem er sich die Schnittverletzung zugefügt hatte. „Ich habe wohl gestört, hehe.“ „Harper“, sagte Anya trocken, „du grenzdebiler, hirnloser, vollkommen bescheuerter Idiot! Und das sollen wir dir glauben?“   Zu dem Zeitpunkt ahnte das junge Mädchen nicht, von welchem Mann ihr vermeintlicher bester Freund da gesprochen hatte. Und auch nicht, wie einschneidend 'Nick Harpers' Anschuldigungen sich erweisen würden.   Nick betrachtete seine Handkarten, zwei Monster und ein Zauber, welcher dank Horus völlig unbrauchbar war. „Tch.“ Missmutig drehte er die Karte seines Ritters in die Horizontale, wodurch dieser vor ihm in die Knie ging.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)] Anschließend nahm er ein weiteres Monster aus seinem Blatt. „Ich spiele [Wind-Up Bat] im Angriffsmodus aus.“ Eine kleine, schwarze Plastikfledermaus tauchte vor ihm auf. Sie besaß auf dem Rücken ebenso einen Aufziehschlüssel. Auch ihre Karte wurde von Nick auf dessen Duel Disk gedreht. „Dank ihres Effekts kann sie sofort ihre Position ändern, um ein Spielzeug von meinem Friedhof zu bergen.“ Ihr Bauch klappte auseinander und offenbarte einen Haken, der nach unten in den Boden schoss. Kaum hatte er sich dort verankert, begann sich der Aufziehschlüssel rapide im Uhrzeigersinn zu drehen und an einem dünnen Seil wurde der blaue Spielzeughai aus dem Nichts empor gezogen. Diesen nahm Nick in sein Blatt auf. Nachdem ihr Werk getan war, landete die Fledermaus auf des Ritters Schulter.   Wind-Up Bat [ATK/300 DEF/350 (1)]   Trotz seiner verzwickten Lage konnte Nick sich ein zuversichtliches Grinsen abringen, ehe er zu seinem Vater aufsah. „Zug beendet.“   Jener zog abermals wortlos auf, spielte eine andere Karte aus seinem Blatt aus. „Unterstütze meinen Partner, [Horus' Servant].“ Ein dunkelhäutiger Mann in weißer, mit Goldornamenten veredelter Kleidung und dunkelblauem Umhang stellte sich vor Mr. Bauer. Sein Helm war dem Vogelkopf des Horus nachempfunden. Horus' Servant [ATK/100 DEF/100 (1)]   Nick entglitt bei seinem Anblick ein leises Zischen. Der Alte machte sich also nun daran, seine Stellung zu festigen. Denn der Diener des Horus machte es dessen Feinden unmöglich, seinen Gott mit Karteneffekten anzuzielen. Dafür war er selbst aber sehr schwach. Zu schwach, um ihn ungeschützt auszuspielen … Und wie der falsche Harper-Spross es in diesem Moment antizipierte, spielte sein Gegner eine passende Zauberkarte aus. „Ich rüste Horus mit [Raregold Armor] aus. Damit kannst du fortan nur noch ihn als Angriffsziel wählen.“ Über den metallischen, hellroten Körper des Gottdrachens zog sich eine weißgoldene Panzerung, an den Schwingen besaß sie goldene Umrandungen. So wurde der Drache weiß wie Schnee, leuchtete fast schon in der Dunkelheit.   Horus The Black Flame Dragon LV8 [ATK/3000 DEF/1800 (8)]   Auch wenn Nick diesen Moment seither, und das musste er sich ehrlich eingestehen, mit einer gewissen Furcht erwartet hatte, überkam ihn ebenso ein seltsames Gefühl von Befriedigung. Denn so sehr dieser Mann ihn auch unter Druck setzte, wollte er nichts mehr, als dessen Strategie, dessen 'Partner' zerschmettern. Was selbstverständlich erst jetzt möglich war. Sein finsterer Blick rief seinem Vater förmlich zu: „Komm und trau dich!“ „Horus, vernichte seinen [Wind-Up Knight]“, befahl jener auch unbewusst gehorsam und schwang den Arm aus. „Pitch Black Godflare!“ Der Vogeldrache öffnete sein Maul und spie ein schier endloses Meer aus schwarzen Flammen auf den Ritter ab. Jener wurde erfasst und förmlich dahin geschmolzen. Die Mauer schlang sich sogar weiter, umfasste Nick, welcher jedoch nur leise mit der Zunge schnalzte. Der Effekt war rein optisch anzusiedeln. Eingehüllt in vollkommener Dunkelheit, schloss er die Augen und lächelte still.   „Mr. Harper, Sie beschuldigen also Mr. Bauer des Mordes an einem jungen Mann, korrekt?“ „Ja.“ „Wie lautet sein Name?“ „Eli, glaube ich? Hehe, hab's nicht so mit Namen.“ „Eli? Und weiter?“ „Weiß nicht. Er hat mir seinen Nachnamen bestimmt mal gesagt, aber er gefiel mir nicht, also habe ich ihn vergessen. Absichtlich, verstehen sie? Hehe.“ „Euer Ehren, mein Sohn ist ein Idiot. Sehen sie es ihm nach.“ „Mr. Harper, ihr Sohn erhebt schwere Vorwürfe gegen Mr. Bauer. Was haben Sie …“ „Nick Harper, es wurde keine Leiche aus den Resten ihres Wohnhauses geborgen. Können Sie das erklären?“ „W-was!? Aber-!“ „Harper, spinnst du jetzt völlig!? Wie kannst du Dad beschuldigen, so etwas getan zu haben!?“ „Anya, ich schwöre-“ „Fuck! Ich dachte, wir wären Freunde! Überall nur Reporter! Dad wurde seines Amtes enthoben, wegen dir!“ „Aiden, was ist da geschehen!? Die Leiche, sie-“ „Eli …“ „Nick!“ „Ich habe die Leiche weggeschafft.“ „Du hast was!?“ „Ich konnte nicht zulassen, dass jemand sie entdeckt! Sie ist ein zu großes Risiko gewesen!“ „Ohne die Leiche haben wir keinen Beweis, dass er mich getötet hat! Aiden, wie konntest du nur!?“ „Nick, du hast doch endlich, was du wolltest! Du kannst dich endlich mit deiner Schwester treffen!“ „Ich habe nicht einmal ansatzweise was ich wollte. Nenne es den größten Fehler meines Lebens, dir vertraut zu haben, Aiden!“ „Nick … es gibt da noch etwas, das du wissen solltest.“   Seit Wochen befand er sich nun schon im Krankenhaus, lag Tag und Tag im Bett, hatte bereits mehrere Operationen hinter sich. In all der Zeit hatte er sie fast verdrängt. Die Furcht. Diese unbändige Angst, die nur diese eine Person in ihm auslöste, welche jetzt an seinem Bett saß. Mr. Bauer war einige Tage zuvor aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Alles dank Aiden, der selbst das Messer hatte verschwinden lassen. Trotzdem war der Posten des Senators für Mr. Bauer auf ewig verloren. Und eigentlich war es ihm verboten, sich in Nick Harpers Nähe aufzuhalten. Aber für einen Mann seines Kalibers waren Verbote nur Schall und Rauch.   „Eine tolle Show hast du da geboten, Eli“, sprach sein Erzeuger tonlos, der er seine Ellbogen auf den Knien abgestützt hatte, „du hast einen unschuldigen, jungen Mann umgebracht, die Familie eines anderen endgültig zerstört und zu allem Übel weitere unschuldige Menschen in dein Lügengeflecht hineingezogen. Kennst du keine Scham, Junge?“ „Ich weiß nicht wovon Sie reden, Mr. Bauer“, gab 'Nick' sich dumm. „Keiner glaubt mir, aber ich kenne die Wahrheit. Sie sind der Mörder.“ „Ha ha … vielleicht ist das sogar gar nicht so abwegig. Hast du nie darüber nachgedacht, wie einfach es gewesen wäre, dich sofort zu entlarven? Ein DNA-Test hätte bewiesen, dass wir verwandt sind und du Eli bist.“ „Dann hättest du zugeben müssen, dass du einen Bastard gezeugt hast“, zischte Nick hasserfüllt und grinste, „und ich bin mir nicht so sicher, ob der DNA-Test so ausgefallen wäre, wie du es dir erhoffst.“ „Ich weiß. Aiden hat mir davon erzählt.“ Hätte man Nicks Gesichtszüge unter den Bandagen gesehen, wären sie vermutlich starr wie Eis und er so weiß wie Schnee. Dieser Verräter … „Selbst wenn das alles ans Licht kommt, kann ich dich trotzdem noch mit in den Abgrund reißen“, drohte sein Sohn mit einem Anflug von Panik, „ich habe Unterlagen, die belegen, dass du mehrere Millionen Dollar, nun, sagen wir an sehr zweifelhafte Organisation gezahlt hast.“ „Ich weiß nicht wovon du redest.“ „Du wirst es erfahren, solltest du auf die Idee kommen, dich gegen mich zu stellen“, lachte Nick eiskalt und sah seinen Erzeuger herausfordernd an, „diese Überweisungen gibt es wirklich, 'Dad'. Nicht einmal Aiden weiß davon. Aber richte ihm ruhig meinen Dank aus, denn er hat mir alles Nötige dazu beigebracht.“ Mr. Bauer erhob sich. Er starrte auf den Kranken herab, als wolle er ihn jeden Moment umbringen, aber das wäre sein eigenes Todesurteil. „Wenn du dich an drei einfache Abmachungen hältst, wird dir nichts geschehen“, sprach Nick ungerührt weiter. „Erstens verschweigst du alles, was zwischen uns beiden hier und jemals besprochen wurde. Ich bin Nick Harper und du hältst dich von mir fern. Zwischen uns herrscht Waffenstillstand, verstanden?“ Sein Erzeuger sagte nichts. „Zweitens: Als Nick Harper kann ich mit deiner Tochter abhängen, wann immer ich will.“ Jetzt lachte er höhnisch. „Dazu muss sie dir erst verzeihen.“ „Das wird sie“, entgegnete Eli zuversichtlich. „Verlass dich drauf.“ „Und weiter?“ „Drittens: Eli Bauer hat es nie gegeben.“ „Darin sind wir uns einig.“   Trotzdem versuchte die Welt ihn ständig daran zu erinnern. Obendrein wusste sein Halbbruder Zachariah von ihm, was wohl bedeutete, dass sein Erzeuger sich nicht an die Abmachung gehalten hatte. Umso mehr Grund, ihn hier und jetzt zu vernichten, wie er es schon damals hätte tun müssen.   Schließlich lichteten sich die Flammen und Mr. Bauer verkündete autoritär: „Dein Zug, Eli.“ „Ich bin nicht Eli“, schnappte Nick, als die letzten Schwaden verschwunden waren und zog schwungvoll von seinem Deck, „ich bin Nick Harper!“ Er steckte die Karte zu den anderen, nahm danach ein Monster und zeigte es vor. „Ich rufe [Wind-Up Magician]. Und dadurch kann ich [Wind-Up Sharks] Effekt aktivieren und von der Hand rufen!“ Erst materialisierte sich der violetter Spielzeugmagier mit Zauberstab in seinen Zangenhänden. Neben ihm tauchte der blaue Aufziehhai auf. Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   „Da ich mit Shark den Effekt eines Spielzeugs aktiviert habe, beschwört [Wind-Up Magician] ein weiteres von meinem Deck in Verteidigungsposition“, erklärte Nick, als der Aufziehschlüssel auf dem Rücken seines Hexers sich zu drehen begann. „[Wind-Up Warrior]!“ Jener zeigte auf die Stelle rechts neben sich, wo aus dem Nichts ein aufrecht stehender, gelb-weißer Roboter auftauchte, der mit seinen massiven Fäusten einen Boxer imitierte.   Wind-Up Warrior [ATK/1200 DEF/1800 (4)]   „Du fragst dich bestimmt in diesem Moment, wozu ich all diese Monster sammle, nicht wahr?“, fragte Nick provokativ und legte seinen Zeigefinger an die Schläfe. „Du bist angeblich gut informiert und weißt, dass ich keine Monster besitze, die deinem Horus jetzt noch schaden könnten.“ Er kniff die Augen fest zusammen. „Aber ich habe einen Trumpf. Zugegeben, eigentlich gehört er jemand anderes …“ „Wie so vieles, was du dir nimmst“, fuhr Mr. Bauer ihm scharf ins Wort. Der Brünette reagierte mit einem finsteren Lächeln. „… aber was spielt das für eine Rolle? Was zählt, ist das Ergebnis, nicht der Weg dorthin.“ Eine schwarze Aura begann um ihn herum aufzulodern, als er den Arm in die Höhe streckte. „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monster wird ein Rang 4-Monster!“ Vor ihm öffnete sich der schwarze Galaxienwirbel und absorbierte seine Spielzeuge als je einen roten, blauen und gelben Energiestrahl. Eine gewaltige Explosion entstand daraufhin, schwarze Blitze schlugen aus dem Inneren des Überlagerungsnetzwerkes um sich. „Erscheine, Lakai der Finsternis! Xyz Summon!“ Schrilles Kreischen erfüllte das Büro. Einer nach dem anderen schoben sich drei finstere Drachenköpfe aus dem Wirbel hervor. „[Evilswarm Ouroboros]!“, rief Nick endlich dessen Namen aus. Mit gespreizten, pechschwarzen Eisschwingen stieg der Drache empor, den der junge Mann einst dem Dämonenjäger Matt Summers abgenommen hatte. Hoffentlich erwies sich dessen Karte nützlicher als sein Besitzer, dachte Nick grimmig. Vor ihm nahm die Kreatur ihren Platz ein, wurde dabei von drei Lichtsphären umkreist.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4] OLU: 3]   Mit engstirnigem Blick sah der junge Mann seinem Vater entgegen, der einen Moment lang tatsächlich eine Regung in Form eines unverständlichen Murmelns zeigte. „Mercs …?“ Nick hatte einen Plan, doch dieser war nicht unmittelbar umsetzbar. Es gab dazu noch einen Weg, den Fall des Horusdrachen zu beschleunigen, aber das gefährdete auch Nick. Und so ein Risiko wollte der nicht eingehen, nicht bei diesem Gegner. Er streckte seine Hand aus. „Ich aktiviere [Evilswarm Ouroboros'] Effekt. Genauer gesagt einen von ihnen, denn jeder Kopf besitzt einen eigenen, aber nur einer kann pro Zug genutzt werden und das auch nur einmal, solange er auf dem Feld ist.“ Der mittlere der drei Köpfe schnappte nach einer der Overlay Units und schlang sie hinunter.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4] OLU: 3 → 2] „Damit kehrt eine Karte von deinem Feld auf deine Hand zurück“, erklärte Nick und hob den Zeigefinger an. Jener bewegte sich zielstrebig Richtung des riesigen Schwarzflammendrachen. Sein Vater schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, du machst einen Fehler. Horus kann nicht angezielt werden, solange sein Diener auf dem Feld ist. So viel weißt du bereits.“ Nick verschob seinen erhobenen Zeigefinger Richtung besagten Mannes ägyptischer Herkunft, der neben seinem Herrn kaum auffiel. „Ich mache keine Fehler. Die Karte, die ich wähle, ist …“ Anschließend streckte der junge Mann den Finger zielstrebig aus, schwenkte ihn am Diener vorbei und richtete ihn auf Mr. Bauers Falle. „… [Royal Decree]!“ Sofort spie Ouroboros einen schwarzen, aus feinen Partikeln bestehenden Odem aus, der auf Mr. Bauers Falle traf und sie zersetzte. Jener nahm sie aus seiner Duel Disk. „Und das bedeutet, dass Fallen jetzt wieder ihre Wirkung entfalten. Überzeug dich selbst!“ Es knirschte. Von der Schweifspitze an zog sich eine durchsichtige Masse aufwärts über des Horus' Leib und schloss ihn binnen weniger Sekunden vollständig ein. Wie eingefroren wirkte er in dem riesigen Kristall, der sich gebildet und ausgeweitet hatte. „Du hast einen Fehler gemacht und nicht bedacht, dass meine Falle [Grave Of The Super Ancient Organism] sämtliche hochstufigen Monster, die spezialbeschworen wurden, komplett versiegelt“, erklärte Nick ehrgeizig, „keine Angriffe, keine Effektaktivierungen.“ Aber sein Erzeuger schien das nicht zu beeindrucken. Wie erwartet. Und es kam nicht gerade überraschend, dass er erwiderte: „Nur temporär. Du hast nur Zeit bis zum Anfang deines nächsten Zuges, wenn ich [Royal Decree] gesetzt und aktiviert habe.“ „Das wird reichen“, gab sich Nick felsenfest überzeugt. Er sah sich seine beiden Zauber an. „Eine Karte verdeckt. Zug beendet! Oh, habe ich gerade meine Chance vertan, deinen Horus zu besiegen? Wie dumm von mir!“ Die Karte materialisierte sich zischend zu seinen Füßen. Nick grinste heimtückisch, aber sein Erzeuger? Diese graue Eminenz, wie manche ihn nannten, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Woher kam bloß all diese Selbstgefälligkeit, diese unantastbare Ruhe? Er musste es wissen. War Mr. Bauer wirklich ein legendärer Dämonenjäger, wie er vermutete? Oder nur ein vom Grunde seines Herzens aus verdorbener, alter Sack? „Eli“, sprach jener von ihm so sehr gehasste Mann, „hast du überhaupt darüber nachgedacht, was passieren wird, wenn Anya die Wahrheit erfährt?“ Deren Bruder kniff die Augen fest zusammen. „Das wird sie nicht. Niemals.“ „Um das zu verhindern müsstest du alle beseitigen, die dein Geheimnis kennen. Mich, Aiden, deine Mutter …“ „… und Zachariah.“ Nick lachte auf. „Du hast es ihm verraten. Das beweist, dass du dein Wort zu brechen bereit bist. Also sehe ich keinen Grund, mich weiter an unseren Waffenstillstand zu halten.“ Der Alte zeigte selbst jetzt nicht einmal ansatzweise irgendeine Regung, obwohl sein Fleisch und Blut so offen bedroht wurde. War Zach ihm genauso egal wie er es ihm war? „Sie wird es erfahren, Eli. Und dieser Tag wird dein Ende markieren“, prophezeite Mr. Bauer düster.   Nick hatte das alte, verätzte Handy in einer Freisprechanlage stecken, während er den Highway entlang raste. Sein Ziel war es, rechtzeitig in Garland anzukommen, um die Diebin von Anyas Gem-Knight-Deck zu stellen. Erst vor zwei Stunden hatte er einen ihrer Anrufe abgehört und wusste, dass sie sich schon bald am Lake Ray-Port mit einem Raritätensammler treffen würde.   Sein Blick war so fokussiert auf die Straße und seinen Wunsch nach Vergeltung, dass er gar nicht merkte, wie schnell der weiße Neon Chrysler seines 'Vaters' über die Autobahn raste. Erst das Klingeln besagten Mobiltelefons ließ ihn aus seiner Trance erwachen. Er nahm den Anruf mit der rechten Hand via Tastendruck entgegen. „Wer ist da?“, fragte er scharf, gab es nur sehr wenige Leute, die die Nummer dieses Telefons besaßen. „Ich, Abby“, kam es leicht empört ob so grober Behandlung von sich. „Oh, entschuldige. Ich bin es nicht gewöhnt, Anrufe auf dieses Telefon zu erhalten.“ Etwas irritiert fragte seine Freundin: „Warum gibst du mir dann überhaupt diese Nummer?“ „Weil es sicher ist.“ „Verstehe. Tut mir leid, dass ich dich störe. Es ist nur …“ Sie zögerte. „Du, Nick, ich muss dich etwas fragen. Seit du mir deine Geschichte erzählt hast, geht mir eine Sache nicht mehr aus dem Kopf.“ Der zerzauste, junge Mann verzog den Mund. „Sprich.“ „Damals, als du in eurem Haus beinahe verbrannt wärst. Danach haben dich die Leute für den echten Nick gehalten. Und du hast der Polizei gegenüber behauptet, Mr. Bauer hätte einen Eli, uhm, also dich, umgebracht.“ Die Stimme des Mädchens begann zu zittern. „A-aber du lebst und d-der echte Nick ist tot. W-was hat das zu bedeuten?“ „Er hat ihn umgebracht.“ „W-was!?“ Nick schluckte schwer. „Mr. Bauer hat den echten Nick umgebracht. Es war eine Falle. Er wollte eigentlich mich erwischen, aber in dem Gerangel … Abby, ich konnte dir das nicht sagen. Niemand würde mir glauben.“ „N-nick, das kann nicht-! Anyas Vater würde niemals-!“ „Aber er hat!“, polterte Nick aufgebracht. „Und er weiß inzwischen, dass er den falschen erwischt hat. Der einzige Grund, warum ich noch lebe ist der, dass ich vorgesorgt habe und ihn trotzdem ins Gefängnis bringen kann. Aber wenn ich das tue, wird er sich revanchieren. Er kennt genug Leute. Er kennt Aiden. Und Aiden hat Monochrome.“ „I-ich kann das alles nicht glauben!“ Nick rollte genervt mit den Augen. Besänftigend sprach er: „Das musst du auch nicht. Ich weiß, dass das alles mehr als verrückt ist. Ich bin nicht unschuldig an dem, was passiert ist. Aber ich habe eine Bitte: Bis ich die Dinge gerade gebogen habe, warte noch damit, zur Polizei zu gehen.“ „N-Nick!“ „Wenn du es bist, wäre es ok. Aber gib mir die Chance, meinen Erzeuger als das zu entlarven, was er ist. Ein Monster!“ Abbys Stimme war ganz leise. „I-ich weiß nicht, was ich glauben soll. L-langsam ergibt es einen Sinn, warum du dich als Nick Harper tarnst. Aber … ich kann nicht glauben, dass Anyas …! Nick, sie weiß inzwischen, dass du ihr all die Jahre den Trottel vorgespielt hast. Hat sie dich nie gefragt, warum du damals ihren Vater des Mordes beschuldigt hat?“ Diesmal war es seine Stimme, die klamm war, als er antwortete: „Nein.“ Und das machte ihm große Sorgen. Abby war seiner Meinung. „Sie ist zwar die Verdrängungskönigin schlechthin, aber so etwas vergisst selbst sie nicht.“ „Ich weiß. Seit sie meinen wahren Charakter kennt, verhält sie sich mir gegenüber reserviert. Erst dachte ich, es läge nur daran, dass ich sie so lange belogen habe. Aber da ist mehr. Ich glaube, die Frage nach der Wahrheit um meine damalige Anschuldigung brennt tief in ihr. Aber sie wagt es nicht, sie auszusprechen.“ „Weil sie Angst vor der Antwort hat“, murmelte Abby leise, „sie hält so sehr an ihrem Vater fest, ihr Glaube an ihn ist unantastbar. Etwas zu hören, dass diesen doch ins Wanken bringen könnte … oder ihre Freundschaft zu dir, das ist für sie vermutlich ein absolutes Tabu.“ „Und da setzt ihre Verdrängungskunst wieder ein“, schloss Nick die These ab.   Er seufzte, diesmal vom Grunde seines Herzens. Dass der Tag irgendwann kommen musste, an dem er ihr die ganze Wahrheit – seine Wahrheit – sagen musste, dies war ihm bewusst. Solange er konnte, würde er alles daran setzen, diesen Moment so weit wie möglich hinauszuzögern. Und den Gedanken daran zu verdrängen.   Nick gab widerspenstig ein „Hmpf!“ von sich. „Ich fahre fort“, sprach sein Erzeuger unbeeindruckt und zog auf eine dritte Karte auf. Dann drehte er [Horus' Servants] Karte auf seiner Duel Disk in die Horizontale.“   Horus' Servant [ATK/100 DEF/100 (1)]   „Zwei Karten setze ich verdeckt aufs Spielfeld.“ Beide tauchten zu seinen Füßen auf. „Nun denn, Junge, das Zeitfenster deines Comebacks ist nahezu verstrichen. Du bist.“   Nick aber zuckte nur unbedarft mit den Schultern und zog wortlos auf. Dann wartete er. Darauf, dass sein Widersacher wahr machte, was er so vollmundig versprochen hatte. Aber es geschah nichts. Mr. Bauer aktivierte [Royal Decree] nicht. Eine Schweißperle bildete sich auf Nicks Stirn. Aber er durfte nichts sagen. Wenn er sich verriet darin, die Aktivierung jener Falle herbeizusehnen, würde der Alte genau dies nicht tun. Sein Blick wanderte zwischen den beiden gesetzten Karten hin und her. Welche war es? Welche musste er erwischen!? „Heh …“ Wieso machte er sich überhaupt Sorgen? Das war -gut- für ihn. Es verschaffte ihm die Zeit die er brauchte, um genug Ressourcen für den Todesstoß zu sammeln. „Fallenkarte!“, donnerte Mr. Bauer unvermittelt und streckte den Arm aus. „[Royal Decree]!“ „Jetzt doch?“ Nick zog überrascht die Augenbrauen an, als die von ihm aus linke, gesetzte Karte seines Erzeugers auffuhr. „Na von mir aus, dann eben sofort! Verdeckte Schnellzauberkarte: [Cosmic Cyclone]!“ Der Kristall, welcher den Horusdrachen einschloss, knackte. Ein kleiner Riss bildete sich in dessen Mitte, der sich langsam in alle Richtungen ausbreitete. Analog dazu öffnete sich vor Nick ein Schwarzes Loch, aus dem ein wirbelnder Feuerball heraus schoss. Jener zog einen langen Schweif hinter sich her, wie ein Komet. „Zwar kostet es mich 1000 Lebenspunkte, aber dafür kann ich deine Falle sofort verbannen“, erklärte Nick, „und entsprechend der Kettenregeln wird meine Karte aufgelöst, noch bevor der Effekt deiner aktiv wird.“   [Nick: 3900LP → 2900LP / Mr. Bauer: 4000LP]   Mr. Bauer zeigte auf einmal ein schmales Lächeln. Als ob er mit nichts anderem gerechnet hätte. Ein eisiger Schauder schoss Nicks Rücken hinab. „Dann erlaube mir, ebenfalls ein Glied der Kette hinzuzufügen. Einen Schnellzauber, den mein alter Freund Mercury mir einst überlassen hat – für Fälle wie diesen.“ „M-Mercury!?“ Nicks Gesichtszüge froren ein. Wenn es einen Mann gab, der ein noch gefährlicherer Duellant zur Zeit seines Vaters gewesen war, dann 'Mercury'! Jener gefürchtete Champion, welcher die Spitze der Nahrungskette darstellte, wie man ihn oft beschrieben hatte. Zwar wusste Nick, dass die alten Herren sich kannten – aber eine Freundschaft!? Und dann besaß sein Erzeuger noch eine von Mercurys Karten? Welche!?   Ein goldenes Sechseck bildete sich vor Mr. Bauer. Der Rand wurde zu einem goldenen Rahmen, während das Innere plötzlich das Antlitz von Nick widerspiegelte. Um den Rand des Spiegels zog sich eine eisige Schicht. „[Mirror Of The Ice Barrier]“, nannte Mr. Bauer ihn beim Namen, „eine Karte, die unmittelbar auf deine Taten reagiert.“ Nicks Feuerball fegte über das Feld und zerriss [Royal Decree]. „Wenn du eine meiner Karten verbannst, Eli, verbanne ich die doppelte Menge von deinen.“ Plötzlich zeigte der Spiegel nicht mehr das Ebenbild des entsetzten, jungen Mannes, sondern das des Feuerballs – welcher plötzlich aus dem Glas hervordrang. Aber nicht einmal, sondern gleich zweimal unmittelbar hintereinander. Der erste Schuss traf den pechschwarzen Drachen in der Brust, welcher kreischend verschwand. Der zweite prallte auf Nicks offen stehende Falle, die sich ebenfalls auflöste. Und dann geschah es. Der Riss im Kristallgefängnis wurde größer und größer, bis Horus unter einem ohrenbetäubenden Kreischen freikam und seine Schwingen spreizte. Nick stand wie angewurzelt mit seiner allein verbliebenen Fledermaus da. Seine Zauberkarten, darunter die Monstermassenvernichtungswaffe [Dark Hole]: nutzlos. „Es ist vorbei, Nick.“   Es ist vorbei … Es ist vorbei … Es ist …   „… vorbei, Nick!“ Jener merkte, wie er am rechten Handgelenk gepackt wurde. Hinter ihm stand die blonde Schatzjägerin Alexandra Russo in ihrem Trenchcoat. Sie streckte den Arm aus, meinte verspielt: „Entschuldigen Sie die Störung, wir haben uns im Büro geirrt!“ Ein goldener Schimmer drang aus ihrem rechten Ärmel hervor. Die Blonde richtete ihren Arm gen Decke. Keinen Moment später wurde aus dem Licht ein greller Blitz, der in die Stelle einschlug, auf die sie deutete. „Dein Arte-“ „Wir müssen verschwinden, Nick! Sofort!“   Noch während sie ihn wegzog, brach die Decke lautstark vor Mr. Bauer ein. Jener stand still da und betrachtete die Szene erstaunt, schützte sich mit dem Arm, als eine Mischung aus Staub und Rauch in seine Richtung blies. Es knarzte mit anschließendem Rumpeln. Sie mussten die Tür zu seinem Büro eingetreten haben, die beim Eindringen der jungen Dame zugefallen war. Mr. Bauer sah davon ab, diese zwei zu verfolgen. Die Hologramme des Horus und seines Dieners verschwanden schließlich. Nicht so der unnatürliche, dichte Rauch. „Eli … du dummer Junge“, murrte dessen Vater fassungslos.   Er stand da. Versuchte das Geschehene zu erfassen, aber es fiel ihm schwer. Obwohl es das nicht sollte. Zumindest war sein Sohn nicht allein. Auch wenn es töricht wäre zu hoffen, dass seine Begleiterin Eli in irgendeiner Art und Weise bändigen konnte. Nichts und niemand konnte das. In dieser Hinsicht war er schlimmer als Anya es jemals gewesen war.   „Herrje“, drang da plötzlich eine männliche Stimme hinter der Rauchschwade hervor, „du solltest wirklich öfter aufräumen.“ Britischer Akzent. Aus dem Dunst trat der rothaarige Sammler hervor und bestach durch ein wissendes Lächeln. „Und du müsstest deinem Sohn mal ordentlich den Hintern versohlen.“ Mr. Bauer zeigte keine Regung.   ~-~-~   Circa 48 Stunden später …   Schreiend fiel ein weiterer Dämon in Menschengestalt in einer dunklen Gasse zu Boden. In Nicks Augen funkelte absoluter Tatendrang. Das Hologramm seines Robokriegers [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] verschwand, der junge Mann umfasste sein rechtes Handgelenk, als würde er darin die Macht spüren, die er absorbiert hatte. Dann streckte er die Hand nach vorne aus und keine Sekunde später war der tote Mann vor ihm verschwunden. Hinter Nick pfiff Alexandra anerkennend: „Diesmal gleich beim ersten Versuch. Ich bin beeindruckt.“ „Sinnestäuschungen können praktisch werden“, war die einzige Reaktion ihres Begleiters, der genau wusste, dass der Leichnam noch immer dort lag – lediglich vor den Augen der Anwesenden verborgen. Seufzend stieß sich die Blonde von der Häuserwand ab und ging auf Nick zu. „Das war jetzt der dritte heute Nacht. Wollen wir Schluss machen?“ „Nein.“ Im Gedanken fügte er noch hinzu, dass er nicht eher aufhören würde, bis er stark genug war, Mr. Bauer und dem Sammler erneut gegenüber zu stehen. Doch so etwas war gewiss nicht für Alex' Ohren bestimmt.   Deren leise Schritte in der Seitengasse verstummten schlagartig. Nicks Nackenhaare stellten sich auf. „Wir haben Besuch bekommen“, meinte seine Begleiterin düster. Der zerzauste, junge Mann im schwarzen Mantel drehte sich mit missmutiger Miene um. Ein schwarzes, ovales Portal stand vor ihnen offen. Und aus ihm trat eine große Gestalt in einem Butleranzug, deren akkurat geschnittenes, langes Haar bis zu den Schultern reichte. „Guten Abend“, wünschte Kyon, der seine Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen hatte. Nick, der dem Diener des Sammlers bereits einmal begegnet war, als Anya sich auf die Suche nach dem ersten Hüter – Zanthe Montinari – gemacht hatte, zischte: „Was willst du hier?“ „Behilflich sein. Und eine Warnung aussprechen.“ „Wer ist das?“, fragte Alexandra alarmiert. Kurz angebunden wie jeher antwortete Nick: „Ein alter Bekannter.“ Passend dazu verneigte sich der Immaterielle höflich, sah in seiner gebeugten Haltung herausfordernd auf. „Nick Harper, ich hoffe du bist dir bewusst, dass deine Suche nach Macht von meinem ehemaligen Herrn einkalkuliert ist. Er antizipiert sogar deinen Fortschritt.“   Ehemaliger Herr? Also hatte er dem Sammler den Rücken gekehrt, fragte sich Nick überrascht. Doch sofort kamen Zweifel in ihm aus. Ein Dämon wie der Collector würde wohl kaum jemanden aus seinen Diensten entlassen, der seine Geheimnisse kannte. Wenn man den Gerüchten, die er während seiner Jagd nach Dämonen aufgeschnappt hatte, trauen konnte, war schon der frühere Diener des Sammlers, der Schattengeist Orion, eines Tages spurlos verschwunden.   Seine hübsche Begleiterin im braunen Trenchcoat belächelte Kyon. „Du kommst ja schnell zum Punkt.“ Der Butler erhob sich aus seiner Haltung und richtete seine leicht verrutschte Brille. „Ich bin hier um ein Bündnis vorzuschlagen. Auch ich suche nach einer Möglichkeit, den Collector-Dämon unschädlich zu machen.“ „Woher der plötzliche Sinneswandel?“, fragte Nick skeptisch. „Es gab nie einen. Von Anfang an war es mein Anliegen, seine Domäne zu infiltrieren und Informationen zu beschaffen. Inzwischen kann ich mit Sicherheit sagen, dass das Anliegen des Sammlers schädlicher Natur ist.“ Kyon machte eine Pause, da keiner der anderen beiden etwas sagte. „Ich kenne bedauerlicherweise keine Einzelheiten.“ Spöttisch entgegnete Alexandra: „Solltest du nicht vorsichtig mit solchen Aussagen sein? Man weiß nie, wer gerade mithört.“ „Ich wurde bereits entlarvt. Oder sollte ich sagen, ich wurde von Anfang an durchschaut? Wie dem auch sei, bin ich-“ Nick schnitt ihm scharf ins Wort. „-Was- weißt du denn?“ Sein Gegenüber räusperte sich. „Der Sammler möchte diese Welt vernichten. Diese und all die anderen.“ „Wie?“, lautete die nächste Frage. „Vermutlich mithilfe des Planet Eaters. Wer die sieben Artefakte einer Welt vereint, erhält Zugang zum Narthex, einer Zwischendimension, von der aus die Pfade des Nexus gelenkt, erschaffen und zerstört werden können.“ Kyon räusperte sich erneut. „Und von dort kann man jedes Tor manuell öffnen oder schließen.“ Ziemlich verwirrt redete Alexandra dazwischen: „Planet Eater? Was soll das sein? … na ja, irgendwie erklärt sich das schon von selbst, schätze ich. Wow …“ Sie fasste sich an die Stirn und schritt um Nick herum, welcher die Arme verschränkte. „Angenommen das ist die Wahrheit: Was habe ich damit zu tun?“ „Der Sammler benutzt dich, Nick Harper, als weitere Schachfigur, die ihm dabei hilft, die verbliebenen Artefakte zu sammeln. Etwas, das du tunlichst unterlassen solltest.“ Was bedeuten würde, Anya im Stich zu lassen. So viel hatte der Sammler bei seinem 'Besuch' klar gemacht …   „Alleine bin ich nicht imstande, den Sammler aufzuhalten.“ Kyon streckte den Arm nach vorne aus. „Aber du, du besitzt die Conqueror's Soul. Du könntest zu etwas werden, das stark genug ist.“ Das klang haargenau nach dem, was Nick ohnehin beabsichtigte. Schon fast zu sehr. Trotzdem, oder gerade deshalb fragte er: „Und was hast du mir zu bieten?“ „Zugang zu Kräften, die du in dieser Welt nicht erlangen könntest.“ „Dieser Welt?“ Nick legte den Kopf schief. „Du kannst mich in eine andere Welt führen? Wie? Das Tor Eden wurde zerstört und es zu öffnen-“ „Lass dich nicht täuschen, Nick Harper. Der Turm von Neo Babylon war ein Mechanismus, um das Tor vor anderen Wesen zu verbergen.“ Kyon drehte sich langsam um. „Das Tor wurde nicht zerstört, nur die Mauer, die es verbergen sollte. Ich als Gründerindividuum kann es für dich öffnen.“ Mit einem Handschwenk ließ der Immaterielle ein schwarzes, ovales Portal vor sich erscheinen. „Wovon redet er da?“, fragte Alexandra irritiert, als Nick Anstalten machte, Kyon zu folgen. Sie dabei ignorierend, sagte er: „Wenn ich mich recht entsinne, ist es nicht gerade einfach, Eden zu öffnen.“ „Alles, was du durch Another kennengelernt hast, gehörte zu den Mechanismen des Turms.“ Kyon drehte sich vor dem Portal um und bot mit einladender Handgestik Nick an, es zu betreten. „Es stimmt jedoch, dass es nicht so einfach in dieser Welt erscheinen kann. Deswegen frage ich dich: Bist du bereit, Opfer dafür zu bringen?“   Nick ahnte, worauf er hinaus wollte. Die Immaterielle Urila hatte kurz nach dem Fall des Turms ebenfalls versucht, das Tor direkt zu öffnen und wollte dafür die gesamte Livingtoner Bevölkerung als Opfer anbieten, so groß war der Preis für ein Unterfangen dieser Art. Daher folgte er der Einladung nicht, sondern fragte unterkühlt: „Wie groß?“ „Unglücklicherweise … sehr groß“, gestand Kyon. „Bevor wir in irgendeiner Form zusammenarbeiten“, begann Nick schließlich und ließ das Portal mit einem Handschwenk seinerseits einfach zersplittern, was den Immateriellen stumm zurückweichen und gegen die Häuserwand stoßen ließ, „sollten wir ein paar Dinge klären. Ich traue dir nicht.“ „Das ist sehr klug von dir“, entgegnete Kyon gefasst, als der Größere auf ihn zu schritt, „doch dem Freund des Sammlers vertraust du, wie ich hörte. Das wiederum war sehr dumm.“ Zwar wusste Nick nicht, ob sein Gegenüber die beiden Krähen Snuggly und Sparkly auf seinen Schultern sehen konnte oder nicht, doch er konnte nur sie damit meinen. Oder besser gesagt ihren eigentlichen Besitzer, Xiphos. Er legte seine linke Hand neben Kyons Kopf auf den dunklen Putz und näherte sich mit seinem Gesicht dem des Schwarzhaarigen. „Ich sehe in deinen Augen, dass du mich, nachdem ich alle für dich relevanten Informationen preisgegeben habe, auslöschen willst, wie schon alle anderen zuvor“, sprach Kyon weiter und lächelte plötzlich. „Und das kann ich nicht zulassen. Wir beide wünschen uns, einen uns wichtigen Menschen zu beschützen.“ Nick ließ überrascht von ihm ab. „Du verstehst also. Dann höre mir jetzt gut zu, Nick Harper.“   _______     Nächstes Special dann Ende Februar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)