Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 16: Turn 16 - Walking On A Thin Line -------------------------------------------- Turn 16 – Walking On A Thin Line     Ich hätte dir niemals davon erzählen dürfen.   Valerie ignorierte die Einwände Joan Of Arcs und konzentrierte sich weiter darauf, ihr Zielobjekt zu finden. Seit Stunden war sie nun schon damit beschäftigt, bald würde es Mitternacht sein. Sie befand sich auf dem Dachboden der Villa ihres Vaters, dem Bürgermeister von Livington und versuchte verzweifelt, die eine Person ausfindig zu machen, die ihr in ihrer Lage zu helfen vermochte. Dazu bediente sie sich sogar schwarzer Magie, hielt sie schließlich bei Kerzenschein ein Amulett mit einem siebenzackigen Stern über ihren Schulatlas. Eine seiner Spitzen war direkt auf die Karte unter ihr gerichtet. Doch das Schmuckstück bewegte sich nicht, das Auspendeln ihres Zielobjekts hatte nicht den gewünschten Erfolg gebracht. „Er muss doch irgendwo sein“, meinte sie engstirnig und störte sich gar nicht an den verstauben Kisten und mit weißen Laken überzogenen Möbeln um sie herum.   Noch ist es nicht zu spät, umzukehren und Buße zu tun, Valerie! Was du tust ist Ketzerei!   „Hast du nicht selbst gesagt, ich solle nach dem Sammler suchen!?“, fauchte Valerie und warf das Amulett frustriert in die Ecke. Die Kerzen um sie herum, aufgestellt um einen mit Kreide gezogenen Kreis, flackerten gefährlich auf.   Ich habe meine Worte nicht mit Bedacht gewählt! Einzig zu deinem Trost habe ich sie gesprochen. Wie hätte ich ahnen können, dass sie den Wunsch in dir nur noch schüren würden?   Valerie schüttelte vehement den Kopf. „Hat sich damals aber nicht danach angehört!“ Ihr seidiges, glänzend-schwarzes Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden. Eine graue Strickjacke bedeckte ihren Oberkörper, denn auch wenn der Kerzenschein die Illusion von Wärme erzeugen mochte, war es eiskalt auf dem Dachboden. Ein Zeichen dafür, wie weit Valerie bereits in die Tiefen der Zauberei vorgedrungen war. Etwas, das Joan of Arc gar nicht gerne sah.   Alles, was ich tun kann, ist zu dir zu sprechen, Valerie. Höre mich. Wenn du diese Grenze überschreitest, werden wir beide verdammt sein. Der allmächtige Herr wird es niemals dulden, dass du dich mit Dämonen einlässt! Du wirst deine Seele einbüßen, wenn du Handel mit den ihren treibst!   „Ach wirklich?“, platzte es nun aus dem aufgebrachten Mädchen heraus. „Und wie kommst du dann überhaupt dazu, mich auf die Idee mit dem Sammler zu bringen? Sorry Joan, oder wer immer du bist, aber ein echter Engel würde das niemals tun!“   Du vertraust mir nicht mehr, nicht wahr?   „Sagen wir eher, ich weiß, dass du etwas verheimlichst“, meinte Valerie überzeugt. „Ich bin dir dankbar dafür, dass du mich damals vor dem sicheren Tod gerettet hast. Aber wenn du dich so sehr vor Gottes Zorn fürchtest, warum dann die Idee mit dem Sammler?“ Dabei erhob sie sich vorsichtig, schritt über den Kreidekreis hinweg und suchte im Zwielicht nach dem Amulett, welches hinter ein paar Pappkartons geflogen war. Joan seufzte.   Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde. Du hast recht, ich verberge ein Geheimnis vor dir.   Valerie hob das Pendel auf und drehte sich den Kerzen zu, wodurch ihr Gesicht halb im Schatten, teils im Licht lag. „Dann beichte. So wie ich dir gebeichtet habe, was meine -Sünde- angeht, die ich im Begriff bin zu begehen.“ Es brauchte einen Augenblick, ehe Joan endlich antwortete.   Wie du willst. Es gibt tatsächlich etwas, das ich dir verschweige, Valerie. Ich bin nicht auf Geheiß Gottes hier. Im Gegenteil, ich bin eine Verbannte.   Innerlich stockte Valerie, doch ließ sie sich das nicht anmerken. „Soll heißen?“   Ich suche nach einem Weg, Gottes Gunst zurückzugewinnen. Und du könntest dabei der Schlüssel sein.   „Was ist passiert?“ Darüber kann ich nicht sprechen, denn es würde bedeuten, endgültig zu fallen. Ich habe bereits meine 'Gnade' verloren, doch sollte bekannt werden, dass ich über meine Sünde gesprochen habe, würde ich zu einem gefallenen Engel werden. Und dann wäre ich nicht mehr wert als ein Dämon!   „'Gnade'?“ Valerie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Der Gedanke, dass Joan ihr letzten Endes wohl nur aus Eigennutz erschienen war, stieß ihr sauer auf. Was hatte all das zu bedeuten? Zögerlich schritt sie in den Kreis zurück, um erneut zu versuchen, den Sammler auszupendeln.   Die 'Gnade' ist unsere heilige Kraft. Oder zumindest der größte Teil davon. Ohne sie können Engel das Reich Gottes nicht betreten. Verloren habe ich sie, da ich eines seiner Gesetze gebrochen habe. Verzeih mir, Valerie, dass ich dir dies alles vorenthalten habe. Aber ich bin verzweifelt. Je länger ich auf Erden verweile, desto mehr laufe ich Gefahr, als Gefallene zu enden.   Valerie nickte knapp zum Verständnis. „Und ich soll dir also dabei helfen?“   In dir brennt das Licht der Gerechtigkeit. Dich zu beschützen-   „Stopp!“, rief Valerie plötzlich mit erhobenen Händen, die sie weit von sich streckte. „Mehr will ich im Moment gar nicht wissen! Dass du mich angelogen hast, ist schon schlimm genug. Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um über dein Anliegen zu reden! Zuerst muss ich dir verzeihen. Und der erste Weg dorthin wäre, indem du mir hilfst, den Sammlerdämon zu finden! Er muss irgendwo hier sein!“ Sie kniete nieder und tippte mit dem Finger auf die Ostküste der USA und zog mit ihm einen Kreis um den südlichen Teil jener.   Vergib mir, Valerie, aber ich kann dir dabei nicht helfen! Ich habe dir bereits viel zu viel über die Techniken, einen Dämon aufzuspüren, verraten! Sofern es mir meine Kräfte erlauben würden, hätte ich dich längst zu ihm führen können, wenn auch-   „Wenn du mir nicht hilfst, sei still, ich muss mich konzentrieren!“, verlangte Valerie engstirnig und blätterte ein paar Seiten weiter, wo das von ihr gezeigte Gebiet vergrößert dargestellt war. Ihr war eine Idee gekommen. Vielleicht funktionierte der Zauber besser, wenn man das Suchgebiet einschränkte? Sie hob das Amulett an und begann dann, es mit einer Bewegung aus dem Handgelenk im Kreis um den Teil der Karte drehen zu lassen. Nur einmal durfte man es bewegen. Danach musste man dem Zauber seinen Lauf lassen, sonst wirkte er nicht. Fand er das Ziel, würde das Amulett- Da! Als habe eine unsichtbare Kraft daran gezogen, landete das Schmuckstück wie ein Magnet auf der Karte. Die unterste Spitze des Sterns darauf zeigte auf eine Ortschaft. „Da muss es sein“, schloss Valerie zufrieden. „Hollow City!“ Bitte Valerie, denke darüber nach! Der Sammler ist eine der gefährlichsten Kreaturen auf diesem Planeten. Du kannst gar nicht ermessen, was es bedeutet, sich auf ihn einzulassen!   Valerie jedoch erhob sich ruckartig und ließ das Amulett auf die Dielen des Dachbodens niedersinken. „Was sollte das jemandem bedeuten, der sowieso alles verloren hat?“   ~-~-~   Mit geschultertem Rucksack schwang Valerie ihr Bein über die blaue Yamaha und zog dabei den Reißverschluss ihres rot-schwarzen Motorradanzugs zu. „Sorry Joan, aber für mich gibt es keinen Weg zurück. Nur einen nach vorn, denn die Dinge können auch nicht so bleiben, wie sie momentan sind“, meinte sie voller Entschlossenheit und setzte sich den schwarzen Helm auf.   Du bist diejenige, die entscheiden muss, welchen Weg du nimmst.   „Ich weiß.“ Valerie hatte eine ungefähre Idee, wie sie fahren musste, um nach Hollow City zu gelangen. Dennoch würde es Stunden dauern. Aber sie war von Hause aus sehr geduldig, die lange Fahrt würde sie nicht stören. Allein schon deshalb nicht, weil der Gedanke, dass der Sammler ihren Wunsch erfüllen konnte, ihr genug Kraft dafür gab.   Das Mädchen seufzte. Einen Blick auf die weiße Villa mit dem wunderschönen, bunten Garten und der Terrasse, die sich um das gesamte Gebäude zog, zurückwerfend, tat es ihr innerlich schon weh, dass sie mitten in der Nacht aufbrach. Ihrem Vater hatte sie davon nichts erzählt, denn sie wusste schließlich nicht, ob sie jemals zurückkehren würde. Nur einen Brief, der erklärte, dass sie sich auf eine womöglich lange Reise begeben habe, hatte sie ihm hinterlassen. Er musste vorerst genügen. „Goodbye“, sagte sie schweren Herzens und trat in die Pedale, um unter lautem Motorgeheul die Kleinstadt Livington hinter sich zu lassen.   Und während sie ein tiefes Unbehagen in sich aufkeimen spürte, wusste sie auch, dass sie nun vorsichtig sein musste, was Joan of Arc anging. Denn Valerie bezweifelte nicht, dass noch mehr hinter jener und ihrer Geschichte steckte. Dinge, die sie möglicherweise gar nicht wissen wollte.   ~-~-~   Die Wolkenkratzer im nächtlichen Hollow City spiegelten sich im Visier von Valeries Helm, während sie die Hauptstraße entlang fuhr. Für sie war dieser Ort eine Stadt, die niemals schlief, denn überall leuchteten Reklamen, Schilder und andere Objekte in grellen Farben. Selbst zu dieser späten Stunde sah man noch Leute auf den Straßen, der Verkehr war ebenfalls recht belebt für diese Uhrzeit. Und während Valeries Ziel das Nobelviertel der Stadt war, hatte sie nur einen Gedanken. Den Collector zu finden, denjenigen, der womöglich ihren einzigen Wunsch erfüllen konnte. Dass sie einen Preis zu zahlen hatte, wusste die junge Frau sehr wohl. Und sie würde ihn zahlen, wenn sie damit bekam, was sie wollte. Egal, was dieser Preis auch war.   Sie bog in eine Straße ein, die sich weit vor ihr erstreckte und in einer leichten Kurve verlief. Die Grundstücke wurden von Villa zu Villa größer und prächtiger, genau wie die Bauten selbst. Kunstvolle Statuen, riesige Palmen und Rosenbüsche trugen einen stillen Wettkampf um den schönsten Garten aus. Hätte Valerie das zu jeder anderen Zeit spannend gefunden, interessierte sie der Prunk im Übermaß nun überhaupt nicht. Sie hatte nur eine Adresse im Kopf. „Hausnummer 17“, murmelte sie in ihren Helm hinein. Auf der Fahrt hatte sie es wie ein Schlag getroffen, der Straßenname und die Nummer waren mit einem Mal in ihren Kopf gewesen. Fast wie ein Ruf, dem sie folgen sollte.   Ebenjene Hausnummer 17 entdeckte sie schließlich und blieb mit dem Motorrad vor dem Grundstück stehen. Zwar hatte sie aufgrund der hohen Hecke, welche den massiven Zaun aus schwarzen Pfeilstangen deckte, nur wenig Sicht auf das Gebäude, doch von der Einfahrt aus bekam man schon einen guten Überblick darüber, wie riesig die Villa war. Während man über die Einfahrt zu einer Unterführung in eine unterirdische Garage gelangte, war das mehrere Stockwerke hohe Anwesen so lang, dass mindestens zwei Familienhäuser hinein passten. Zu Valeries Überraschung schoben sich die Flügel des Tores zur Seite und machten den Weg frei, obwohl sie doch noch gar nicht geklingelt hatte. „Scheinbar werde ich erwartet“, meinte sie nicht weiter überrascht. Der Sammler musste sicher zu den Dämonen gehören, die stets bestens über die Vorgänge rund ums Weltgeschehen informiert waren. Was auch 'Kundschaft' mit einzuschließen schien. Woher sonst sollte sie die Eingebung, ihn hier zu finden, auch bekommen haben?   Ich warne dich ein letztes Mal, Valerie! Geh nicht dort hin! Der Collector wird dich sicherlich in eine Falle locken wollen! Sei vernünftig!   Joans Warnung ausschlagend, stellte Valerie ihre Yamaha an den Straßenrand ab, sicherte sie und schritt unbeirrt durch das Tor, welches sich hinter ihr automatisch wieder schloss. Über einen kleinen gepflasterten Weg kam sie an verschiedenen Engelsstatuen vorbei, die für sie blanker Hohn waren. Der Collector war ein Dämon und sollte Gott nicht so verspotten, dachte sie erbost, als sie an Rosensträuchern vorbeikam und schließlich die wenigen Stufen hinauf zum Haupteingang nahm. Das Gebäude wirkte schon recht alt, war im viktorianischen Stil erbaut und machte generell einen gemütlichen Eindruck. Valerie hätte nie gedacht, dass Dämonen unter den Menschen lebten, gar in der Nachbarschaft wohnten. Ob einer der reichen Hausbesitzer hier wusste, was der Sammler tatsächlich trieb?   Als Valerie die Flügeltür erreichte, schwang auch sie einfach auf. Das Mädchen im rot-schwarzen Motorradanzug starrte jedoch in eine verlassene Eingangshalle, die überraschend schlicht wirkte. Zwar war ein feiner, roter Teppich ausgelegt worden, doch auf befremdliche Weise wirkte der Saal leer. Eine Treppe zu ihrer Linken führte hinauf zu einer Galerie, von der man einen guten Blick auf den Eingangsbereich hatte. Verloren sah die junge Frau sich um, ehe eine schrille, quietschige Stimme aus ihrer unmittelbaren Umgebung sie aufschrecken ließ. „Hey Süße, einmal nach unten sehen, bitte.“ Verdutzt leistete Valerie der Aufforderung Folge und neigte ihr Haupt. Mit einem erschrockenen Schrei wich sie zurück. „W-was bist du denn!?“ Vor ihren Füßen stand eine kleine, schwarz-violette Gestalt, deren zwiebelähnlicher Körper kaum bemerkbar flackerte. Weiße, überdimensional große, pupillenlose Augen und ein kugelrunder Schmollmund verzierten den Leib des Wesens, welcher nur aus diesem großen Kopf sowie kleinen Stummelarmen und -beinen bestand. An der Spitze der ovalen Figur thronte eine schwarze Welle, die wohl sein Haar darstellte. „Was, du hast noch nie von mir gehört?“, flötete das Ding empört und hüpfte wütend auf und ab, wie ein Flummi. „Man nennt mich Orion, Herr der Finsternis, König der Unterwelt, Frauenversteher vom Dienst! Und ich sage dir, Mädel, was du brauchst, steht direkt vor dir!“ Er ist nur ein einfacher Schattengeist und nicht sehr gefährlich.   „Hi, Orion“, meinte Valerie zögerlich und starrte den Kleinen aus ihrem Visier heraus an. „Ich suche jemanden.“ „Klar tust du das, meine Hübsche! Sonst wärst du doch gar nicht hier, oder? Komm Baby, ich führe dich zu ihm. Wir können dann gleich noch einen Abstecher in eines der 45 Schlafzimmer machen, die wir hier zu bieten haben. Dann-“ „N-nein danke“, erwiderte Valerie auf das Angebot hin distanziert. „Bring mich einfach zum Collector, okay?“ Der Schattengeist ließ den Kopf hängen. „Langweilig! Aber schön, dafür werde ich schließlich bezahlt. Folgen Sie mir, gnädiges Fräulein!“   Er drehte sich um und watschelte mit seinen viel zu kleinen Beinen voran und führte Valerie so durch eine Vielzahl von Gängen, die alle in rot gehalten waren. Es war wie ein Labyrinth aus Tristesse, denn nirgendwo hing auch nur ein Bild oder etwas anderes, was einen Bruch in der Eintönigkeit der Einrichtung aufwies. Da waren nur aberdutzende Holztüren. Und als sie und Orion nach einer Periode des einseitigen Schweigens vor so einer Tür stehen blieben, war Valerie doch sehr erleichtert. Denn Orion hörte sich offensichtlich gern reden und erzählte viel über die Geschichte des Hauses, was Valerie nur bedingt interessierte. „Hier ist es. Der Chef wartet dort auf dich, Süße“, meinte der Schattengeist. „Und jetzt nimm den verdammten Helm ab, ich will wissen, wie du aussiehst!“ Valerie, die es ohnehin seltsam fand, dass er sie hübsch fand, ohne sie bisher richtig gesehen zu haben, kam seiner Aufforderung nach. Ihr schwarzes Haar fiel ihr über beide Schultern, als sie den Helm abnahm. „Heiliger Eselskot, ich bin verliebt!“, kreischte Orion und machte einen noch größeren Mund, was anatomisch bald gar nicht mehr möglich war. „Hoffentlich ist der Collector nicht genauso …“, murmelte Valerie leise und wandte sich der Doppeltür zu, vor der sie standen.   Sie griff nach beiden Klinken und riss sie mit einem Schlag auf. Vor ihr erstreckte sich ein Speisesaal, in dessen Mitte ein langer Tisch quer zum Eingang stand. Direkt ihr gegenüber saß ein einziger Mann und dinierte tatsächlich noch so spät am Abend. Valerie wurde plötzlich ganz unwohl zumute. „Ist er das?“ „Klaro, es sind immer die, die vom teuren Porzellan futtern“, meinte Orion und landete mit einem Satz auf ihrer Schulter. Valerie erschrak, als sie ihn ansah und er breit grinste. „Darf ich mitkommen?“ „Wenn du unbedingt willst“, seufzte Valerie. Sie kam sich vor wie Alice im Wunderland. Völlig fehl am Platze, redete sie tatsächlich mit einem Schattengeist auf ihrer Schulter … Plötzlich erhob der Mann, welcher genau auf der Mitte der breiten Seite des Tisches speiste, sein Haupt. „Komm ruhig herein, ich beiße nicht.“ Erstaunt musste die Schwarzhaarige feststellen, dass der Sammler einen britischen Akzent besaß. Mehr noch, er wirkte äußerlich wie ein normaler Mensch. Noch recht jung schien er, von schlanker Gestalt, mit fein nach hinten gekämmtem, dunkelrotem Haar und einer Narbe auf der Wange. Am Leibe trug er einen schwarzen Markenanzug, gar eine Krawatte. Wie ein richtiger Geschäftsmann, so ging es ihr durch den Kopf. Valerie verharrte, während sie ihn genau musterte.   Daraufhin legte er Messer und Gabel beiseite, tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab und ließ den Rest seines Fisches stehen. Stattdessen erhob er sich und machte eine einladende Geste. „Komm ruhig, Valerie, ich weiß bereits, warum du hier bist.“ Erstaunt erwiderte sie: „Du kennst meinen Namen?“ Mit seinen braunen Augen starrte er direkt in die ihren und nickte. „Natürlich. Wie könnte ich auch nicht, bist du schließlich der Schützling von Jeanne D'Arc.“ „Selbst das weißt du?“, erschrak Valerie und erinnerte sich daraufhin daran, mit wem sie es zu tun hatte. Er war immerhin der Sammler, einer der mächtigsten Dämonen auf diesem Planeten! Wesentlich ruhiger sagte sie schließlich: „Okay, dann sag mir jetzt erstmal deinen wahren Namen! Das wäre nur fair!“ „Bedaure“, entgegnete er mit einem Schulterzucken und lächelte entschuldigend, „doch den nenne ich niemandem. Nimm es bitte nicht persönlich, aber das ist einer meiner Grundsätze. Nummer zwei heißt übrigens, nie einen Gast schlecht zu behandeln.“ Er schwang den Arm aus und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. „Setz' dich doch. Wenn du hungrig bist, werden meine Köche dir umgehend zubereiten, was immer du begehrst.“ „Nein danke“, erwiderte Valerie steif, denn sie wollte gar nicht wissen, auf welche Weise hier gekocht wurde. Und womit. „Wenn du so viel weißt, dann dürfte dir auch nicht entgangen sein, was mit meinem Verlobten passiert ist. Und genau deswegen bin ich hier.“ „Dessen bin ich mir bewusst.“ Er nickte und legte seine Hände auf den Rand des Tisches. „Auch um deinen Wunsch. Nach Rache. Nach Seelenfrieden. Nach Glück. Ich wusste es in dem Moment, als du entschieden hast, mich aufzusuchen. Ich kann dir geben, was du begehrst, das weißt du. Weißt du aber auch, was die Konsequenzen sein werden, wenn ich dir den größten unter ihnen erfülle?“ Valerie atmete tief durch. „Ja.“ Der Sammler lächelte zufrieden. „Das ist gut, denn damit ersparen wir uns beide einiges an unnötigen Diskussionen.“ Fordernd trat die junge Frau nun einen Schritt vor, während Orion alles gespannt beobachtete. „Wirst du ihn mir erfüllen?“ „Vielleicht?“ Er nahm ein Weinglas vom Tisch und nahm einen Schluck daraus, ehe er sich wieder seinem Gegenüber widmete. „Doch um zu prüfen, ob es richtig war, mich von dir finden zu lassen, musst du erst einen von mir auferlegten Test bestehen. Siehst du diesen Schattengeist auf deiner Schulter?“ „Ja.“ Valeries Herz trommelte wild in ihrer Brust.   Test? Sie hatte fast schon damit gerechnet, nicht ohne Weiteres ihren Willen Wirklichkeit werden zu sehen, doch ebenso wusste sie, dass womöglich die schwerste Prüfung ihres Lebens vor ihr stand. Der Collector mochte anders sein, als sie ihn eingeschätzt hatte, viel höflicher und gesitteter als ihr Bild eines mächtigen Dämons. Doch nichtsdestotrotz würde er seine Dienste nicht jedem anbieten, so viel stand fest. „Was ist mit Orion?“ „Wenn du ihn sehen kannst, bedeutet das, dass du meiner Zeit im Grunde nicht würdig bist. Allerdings werde ich nicht näher darauf eingehen und dir dennoch eine Chance gewähren.“ Er lächelte freundlich, was aber eindeutig aufgesetzt war. „Besiegst du meinen Diener in einem Duell, werden wir verhandeln. Verlierst du … nun ja, lassen wir diesen Teil erstmal offen. Deine Fantasie wird sich schon etwas in dieser Hinsicht einfallen lassen.“   Der Sammler setzte sich wieder an seinen Stammplatz und wartete mit dem Weinglas in der Hand Valeries Antwort ab. Jene schloss die Augen und rekapitulierte, was er ihr gesagt hatte. Sollte sie verlieren, würde ihr ein schreckliches Schicksal widerfahren. Davor hatte schon Joan sie gewarnt. Noch hatte sie die Wahl, doch was würde es bringen, wenn sie so kurz vor dem Ziel aufgab? Nichts! Sie war bereit, alles zu geben, nur damit er ihr ihren einzigen Wunsch erfüllen konnte. Und da kein Wunsch ohne einen Nachteil daher kam, wusste sie längst um die Gefahr, in der sie schwebte, wenn sie ihren Weg nun fortsetzte. „Ich werde mich der Herausforderung stellen“, sagte sie und öffnete die Lider wieder. Ein entschlossener Blick stand in ihren braunen Augen. „Außerdem kann ich es mir nicht leisten zu verlieren. Deswegen werde ich es auch nicht! Was immer mich also in diesem Fall erwartet, es ist mir gleich!“ Der Collector-Dämon setzte sein Glas ab und faltete die Hände ineinander. „Eine gute Antwort. Siehst du, Orion? Selbst die, die dich wahrnehmen können, haben nicht selten einen verborgenen Wert.“ Der Schattengeist auf Valeries Schulter zog beleidigt einen Schmollmund. „Sag das nicht so, als wären alle Menschen, die mich sehen können, schlecht! Die Biene hier ist voll okay!“ Und während der Sammler nachdenklich nickte, fragte Valerie sich, ob man Schattengeister nur sehen konnte, wenn man innerlich verdorben war. Was im Umkehrschluss bedeuten müsste, dass sie ein schlechter Mensch war. Lag das an ihrem Wunsch? Valerie schüttelte den Kopf. Nein, das stimmte nicht! Sie versuchte immer, jedem, dem sie begegnete, freundlich und gerecht gegenüber zu handeln. Außerdem hatte sie Joan an ihrer Seite, eine Botin Gottes. Eine gefallene, lügende Botin … Dennoch musste es einen anderen Grund geben, warum anscheinend nicht jeder Orion sehen konnte!   „Ich bin bereit“, meinte sie daraufhin. „Zwar weiß ich nicht, was es bedeutet, dass ich Orion sehen kann, aber nichtsdestotrotz werde ich mich als würdig erweisen, mit dir Geschäfte machen zu dürfen, Collector!“ Wieder nickte der rothaarige Brite. „Das wird sich noch zeigen. Nun denn, Orion. Du wirst die Prüfung abnehmen. Duelliere dich mit Valerie.“ Orion sprang von Valeries Schulter. „Stets zu Diensten, Cheffe!“ Dabei macht er verschiedene heldenhafte Posen mit seinen Stummelärmchen, ehe er völlig unerwartet aus seinem großen Mundwerk eine Duel Disk zog und sie anlegte. Valerie, die bisher versucht hatte, ihre Emotionen weitestgehend zu unterdrücken, musste amüsiert darüber kichern. „Du bist wirklich putzig!“ „Putzig? Putzig!?“ Anstatt sich aber über Valeries Kompliment zu freuen, stampfte der Schattengeist wütend auf. „Welch eine Beleidigung! Ich und putzig!? Sorry Schwester, aber dafür werde ich dir in deinen fetten Arsch treten, bis du einmal um den Planeten geflogen bist!“ „W-was!?“ Vor Schreck um den plötzlichen Gesinnungswandel ließ Valerie glatt ihren Helm fallen. „I-ist mein Hintern wirklich zu dick … ?“ „Dick? Ein Wunder, dass der kein eigenes Gravitationsfeld hat! Ich und putzig? Ich bin die heißeste Verführung, seit es Jauchegrubenbäder gibt!“ Plötzlich grinste er lüsternd, was bei seiner Erscheinung äußerst merkwürdig aussah. „Aber vielleicht kann ich deine Kehrseite nach dem Duell als Trampolin benutzen? Bitte, bitte, bitte!“ „N-nein!“ Empört stemmte Valerie ihre Hände in die Hüften. Ihr Blick verhärtete sich, da sie das Herumgealbere satt hatte. „Lass uns anfangen, ich möchte keine Zeit verlieren.“ „Entscheide weise, ob du dich auf das einlassen willst, was dir bevorsteht“, sprach der Sammler, welcher von seinem Platz aus alles stumm beobachtet hatte. „Wenn du einmal diesen Pfad eingeschlagen hast, kannst du ihn nie wieder verlassen. So funktioniert das, was die Menschen als Schicksal bezeichnen.“ Auch wenn seine Worte Valerie verwirrten, hatte sie ihre Entscheidung längst getroffen. Den weiten Weg hierher hatte sie nicht umsonst auf sich genommen. „Ich will meinen Wunsch erfüllt sehen, egal was es mich kostet! Also duellieren wir uns, Orion!“ „Gerne doch, Schätzchen“, flötete der Schattengeist nun wieder friedfertig,   Kurz darauf hatten die beiden sich vor je einem Ende des langen Tisches aufgestellt, sodass der Sammler direkt in der Mitte zwischen ihnen saß und alles gut beobachten konnte. Valerie hatte inzwischen die blaue Duel Disk aus ihrem Rucksack genommen und angelegt. Auch wenn sie Orion als sehr niedlich empfand, würde sie nicht den Fehler machen und den Schattengeist unterschätzen. Schließlich riefen beide: „Duell!“   [Valerie: 4000LP / Orion: 4000LP]   Erstaunt stellte Valerie fest, dass Orions Karten, als jener sein Startblatt zog, tatsächlich Spezialanfertigungen sein mussten. Schließlich konnte ein knapp 30 Zentimeter großer Schattengeist mit Stummelarmen kaum normale Karten halten. „Ich fange an“, flötete Orion bester Laune und zog eine weitere Karte. Nur ganz schwer konnte man erkennen, dass er tatsächlich kleine Fingerchen besaß. Es war grotesk, dachte Valerie, während ihr Gegner bereits ein Monster aus seinem Blatt hervor nahm. Sie duellierte sich mit einem Dämon, nur um mit einem weiteren einen Handel eingehen zu können. Dabei dachte sie bisher, im Dienste des Herren zu stehen. Wie war es nur dazu gekommen? Warum konnten die Engel ihr nicht stattdessen helfen? Doch Orions Ankündigung riss sie aus ihren Gedanken. „Ich aktiviere den Effekt von [The Fabled Nozoochee] aus meiner Hand! Indem ich ein Fabled-Monster abwerfe, kann ich ihn als Spezialbeschwörung rufen! Lass' krachen, Buddy!“ Vor ihm tauchte eine gelbe, voluminöse Schlange auf, die einen blauen Helm trug. Mit ihren Kulleraugen war sie genauso groß wie Orion, als sie sich aufbäumte. Dabei hielt sie einen blauen Dämon umwickelt, der kugelrund war und klitzekleine Flügel besaß.   The Fabled Nozoochee [ATK/1200 DEF/800 (2)]   „Tihihihi“, kicherte Orion. „Aber das war noch nicht alles! Da ich [The Fabled Cerburrel] abgeworfen habe, kann ich ihn nun von meinem Friedhof beschwören! Partytime!“ Neben ihm und der dicken Schlange erschien ein Hundewelpen mit rotem Fell. Doch statt einem, besaß dieses gleich drei Köpfe und wurde von einem anderen, grauen Kugeldämon an einer Kettenleine geführt.   The Fabled Cerburrel [ATK/1000 DEF/400 (2)]   „Zwar könnte ich durch Nozoochees Fähigkeiten noch ein weiteres Fabled-Monster beschwören, doch ich habe kein passendes auf der Hand“, erklärte Orion weiter. Dann grinste er scheinheilig. „Aber keine Sorge, Püppchen, ich werde schon dafür sorgen, dass du eine Show siehst, die du nie vergessen wirst!“ Valerie hingegen wusste nicht, ob das jetzt gut oder schlecht war. Die seltsamen Kreaturen ihres Gegners verhießen zumindest nichts Gutes, denn sie erinnerten die Schwarzhaarige entfernt an die Dark World-Monsterreihe, die als sehr gefährlich in der Profiszene galt. Und als wäre das das Stichwort gewesen, hüpfte Orion plötzlich auf der Stelle. „Jetzt geht’s ab, Leute! Ich stimme meinen Stufe 2-Empfänger Cerburrel auf meinen Stufe 2 So-was-von-Nicht-Empfänger Nozoochee ein!“ „Was!?“ Valerie wich zurück. „Du willst ein Synchromonster rufen? Aber die Stufen deiner Monster sind doch so niedrig!“ „Ganz genau, Herzchen“, antwortete Orion stolz, ließ aber dann den großen Kopf hängen. „Leider hab ich gerade keinen coolen Spruch auf Lager, deswegen: Synchro Summon! Zeig dich, [The Fabled Unicore]!“ Lautes Wiehern ertönte. Die Flügeltüren des Speisesaals schwangen auf und ein Einhorn kam in den Raum hinein galoppiert. Es zog an Orion vorbei, der plötzlich in die Höhe sprang und auf dem Sattel des Schimmels landete. So drehten sie zusammen eine Runde um den Esstisch, ehe sie dort Halt machten, wo der Schattengeist sich soeben noch duelliert hatte. The Fabled Unicore [ATK/2300 DEF/1000 (4)]   „Ich habe noch nie ein Synchromonster wie dieses gesehen“, gab Valerie erstaunt zu. Orion gluckste von seinem neuen Sitzplatz aus. „Mit mir erlebt man jeden Tag etwas Neues, Süße! Leider kann ich keine Rücksicht auf dich nehmen, da der Boss sonst böse wird! Deswegen setze ich eine Karte verdeckt und beende meinen Zug!“ Mit seiner kleinen Hand schob er die Minikarte in seine Duel Disk, welche daraufhin wie gewohnt in der üblichen Größe neben Unicore als Hologramm erschien.   Wortlos zog Valerie daraufhin und überlegte, wie sie wohl am besten vorgehen sollte. Keines der Monster auf ihrer Hand war stark genug, um dieses Einhorn zu besiegen. Allerdings gab es da dennoch eine Möglichkeit, eine passende Antwort auf Unicore zu beschwören. „Ich rufe [Gishki Abyss]“, rief sie entschlossen und ließ daraufhin einen Haimann erscheinen, der auf zwei Beinen stand und eine Stoffhose trug.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)]   Valerie streckte den Arm aus. „Wenn er beschworen wird, kann ich mir ein beliebiges Gishki-Monster von meinem Deck auf die Hand nehmen, solange sein Verteidigungswert höchstens bei 1000 liegt!“ Anschließend griff sie nach ihrem Deck und nahm es aus der Duel Disk. „Und meine Wahl fällt auf das Ritualmonster [Evigishki Gustkraken], dessen Verteidigung genau an der Höchstgrenze liegt!“ Sie zeigte die blau umrandete Karte vor, ehe sie ihr Deck wieder in den Apparat an ihrem Arm schob, woraufhin dieses automatisch durchgemischt wurde. Zufrieden betrachtete Valerie ihre sechs Handkarten. Gustkraken war mit 2400 Angriffspunkten stärker als Unicore! Also nahm sie den zur Beschwörung benötigten Ritualzauber aus ihrem Blatt und rief: „Jetzt aktiviere ich [Gishki Aquamirror]!“ Vor ihr erschien ein kreisrunder Spiegel, dessen Umrandung aus purem Gold gemacht war. „Damit-“ „Und ich meine verdeckte Falle“, unterbrach Orion sie, „[Reckless Greed]! Damit darf ich die Karten schon jetzt ziehen, welche ich sonst erst in meinen nächsten beiden Draw Phasen bekommen würde! Allerdings muss ich jene dann auch überspringen!“ Gesagt, getan. Er zog zwei Karten von seinem Deck und kaum hatte er sein Blatt auf diese Weise aufgefüllt, zersplitterte Valeries Zeremonienspiegel plötzlich in tausend Teile. Jene stieß erschrocken einen Seufzer aus. „Wie das!?“ „Tehehe!“ Orion hüpfte auf dem Rücken seines Einhorns. „Du hast gerade Bekanntschaft mit Unicores besonderer Fähigkeit gemacht! Wenn unsere Handkartenanzahl identisch ist, wird jeder deiner Karteneffekte automatisch annulliert!“ Erschrocken blickte Valerie zuerst auf ihr Blatt, welches nach der Aktivierung ihres Zaubers fünf Karten zählte, dann auf Orions Hand, die nach seiner Fallenkarte ebenfalls fünf Karten betrug. „Oh nein“, murmelte sie und erkannte, dass ihr Gegner so etwas vermutlich schon die ganze Zeit geplant hatte. Ohne den Spiegel konnte sie ihr Ritualmonster nicht rufen, was bedeutete, dass ihre Offensive noch vor dem eigentlichen Akt zerschlagen worden war. Jetzt hieß es umdenken. Dennoch würde sie so leicht nicht klein beigeben! „Nettes Manöver! Aber so leicht lasse ich mich nicht beeindrucken! Ich setze zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug!“ Vor ihren Füßen erschienen die beiden Fallenkarten, denn mit den gesetzten Karten konnte sie ihre eigene Handkartenzahl verringern und so den Annullierungseffekt von [The Fabled Unicore] umgehen. Und Valerie war sich dabei sicher, dass sie Orion auf diese Weise besiegen konnte.   Jener zog mit seinem kleinen Händchen und gluckste von seinem Reittier aus vergnügt. „Man, für mein erstes echtes Duell bin ich echt gut! Was sagst du, Str- Meister?“ „Du schlägst dich gut, Orion“, antwortete der Sammler und beobachtete vom Esstisch aus alles mit einer nicht zu verleugnenden Neugier. Währenddessen geriet Valerie ins Stocken. „E-erstes Duell? S-soll das heißen-?“ „Jop.“ Orion nickte, wobei er mit seiner Stirn doch glatt gegen Unicores Mähne knallte und aufschrie. Da seine Arme zu kurz waren, um an die schmerzende Stelle zu gelangen, blieb ihm nichts außer zu jammern und mit Kullertränchen in den Augen weiterzuerzählen. „Ich wurde vom Boss persönlich trainiert! Das heißt, ich bin der zweitbeste Duellant in diesem Zyklus.“ „Du redest zu viel, Orion“, mahnte der Rothaarige ruhig. „Fahre lieber fort.“ „Ist gebongt!“   Indes wunderte sich Valerie, was Orion mit Zyklus meinte. Etwa die Gefolgschaft des Sammlers? Wenn er sich also wirklich das erste Mal duellierte, dann gab es nur zwei Alternativen. Entweder war er ein ausgemachtes Naturtalent. Oder er war der einzige Diener des Sammlers, wenn sein bester Mann ein unerfahrener Grünschnabel war. Andere Dämonen hatte Valerie in der riesigen Villa nicht gesehen, was sie verwunderte. Nichtsdestotrotz mahnte sie sich zur Vorsicht. Wenn sie eines gelernt hatte, dann, dass der Schein trügen konnte!   „Wie du sicherlich weißt, Val – Ich darf dich doch Val nennen, oder? Sag mir, dass ich dich Val nennen darf!“ Die junge Frau nickte ein wenig genervt von Orions Gedankensprung. „Wenn du willst …“ „Okay, Val! Val-chan. Nein, nein, nein! Val-sama! Ja, Val-sama, das ist es! Ohhhh, du erinnerst mich an dieses hübsche Ding aus diesem einen Manga! Du musst wissen, ich bin auch ein Otaku!“ Valerie, die in der Tat -nicht- wusste, was ein 'Otaku', oder ein 'Chan', oder ein 'Sama' war, runzelte bereits verärgert die Stirn und breitete die Arme aus. „Interessant, Orion, wirklich. Aber könntest du jetzt vielleicht …?“ „Schon gut“, maulte Orion enttäuscht von Valeries offensichtlichem Desinteresse und setzte seine ursprüngliche Erklärung fort. „Also wie du weißt, darf ich durch den Effekt von [Reckless Greed] jetzt für zwei Runden nicht in meiner Draw Phase ziehen. Aaaaaaaaaaaber! Ich kann dennoch ein Monster beschwören! Also lass es krachen, [The Fabled Rubyruda]!“ Ein seltsamer, ungewöhnlich großer Vogel mit je zwei Fangzähnen in seinem überraschend breiten Schnabel erschien neben dem Einhorn, auf dem Orion ritt. Es wirkte wie eine Krähe, die im Stile japanischer Bildkunst gezeichnet worden war. Aus seinem Rücken ragte ein kleiner Thron, der mit Lederschnallen an seinem Leib befestigt war, welcher zufälligerweise genau Orions Größe besaß.   The Fabled Rubyruda [ATK/1100 DEF/800 (4)]   Plötzlich huschte ein Grinsen über Valeries Gesicht. „Perfekt! Genau das habe ich erwartet! Durch deine Beschwörung hast du meine Fallenkarte ausgelöst! [Torrential Tribute]! Und mit ihr wird das gesamte Spielfeld nun von Monstern befreit!“ Wie aus dem Nichts erschien von Valeries Spielfeld aus ein gewaltiger Wasserstrahl, der direkt auf Orions Monster abzielte. Doch plötzlich wirkte ihm ein Wirbelsturm entgegen. „Was!?“, rief Valerie erstaunt. „Tehehe, genau das habe -ich- erwartet, Val-sama-chan! Ohhhh ich kann mich einfach nicht entscheiden!“ Orion grinste über beide Backen wie ein Honigkuchenpferd. „Du bist einfach zu süß, meine hübsche Biene! Aber leider muss ich meine Pflicht tun! Und das heißt, dass ich von meiner Hand den Schnellzauber [Mystical Space Typhoon] aktiviere und damit deine andere verdeckte Karte zerstöre!“ Mühelos löste der Zyklon den Wasserstrahl auf und fegte nebenbei Valeries gesetzte [Poseidon Wave]-Fallenkarte vom Spielfeld. Diese verstand einen Moment lang nicht, wieso keines der Monster bei diesem Akt ums Leben gekommen war. Doch dann zählte sie eins und eins zusammen, als sie einen Blick Orions Blatt warf. Genau wie sie besaß auch er drei Handkarten, was bedeutete, dass [The Fabled Unicore] jeden ihrer Effekte annullierte. „So ein Mist“, fluchte sie laut. Der liebestolle Gnom war gar nicht so dumm! Mit Schnellzaubern seine Kartenzahl zu manipulieren war ein geschickter Winkelzug, gegen den sie auch nichts unternehmen konnte! „Sorry Püppchen“, sagte der Schattengeist niedergeschlagen. Dabei streckte er seinen Arm aus. „Das muss jetzt sein, der Cheffe will es so! [The Fabled Rubyruda], hau drauf auf [Gishki Abyss]! Unicore, Cursed Horn Attack, versenk' dein Horn in- Nein, nein, nein, lieber nicht! Gib Val-sama-chan-sama lieber nur einen sanften Tritt!“ Kaum hatte Orion seine Battle Phase verkündet, schoss der Garuda-Vogel bereits auf Valeries Haimenschen zu und rammte ihn, sodass jener explodierte. Valeries schwarzes Haar wehte wild durch die Luft, als jene von der Schockwelle erfasst und mit erhobenen Armen ein Stück zurückgeworfen wurde.   [Valerie: 4000LP → 3700LP / Orion: 4000LP]   Aber ehe sie sich versah, galoppierte bereits das Einhorn auf sie zu. Orion, der auf dem Tier saß, hielt sich ängstlich die Augen zu, offenbar um nicht mit ansehen zu müssen, wie Valerie angegriffen wurde. Denn das weiße Reittier machte vor ihr eine Kehrtwende und stieß mit voller Wucht seine Hinterläufe in ihre Richtung. Doch das Mädchen konnte den Angriff mit ihrer Duel Disk parieren, auch wenn sie das im Endeffekt auf ihr Hinterteil warf. „Argh!“ „Bienchen, ist alles in Ordnung!?“, kreischte Orion und drehte sich auf dem Sattel um, während sein Ross zurück zur anderen Spielfeldseite trabte. „Ich bin okay, danke“, murrte Valerie ärgerlich. Doch ihre unterschwellige Wut galt weniger Orion, als ihr selbst, spielte schließlich sie wie eine Anfängerin und nicht ihr Gegner.   [Valerie: 3700LP → 1400LP / Orion: 4000LP]   Valerie rappelte sich stöhnend auf. Es ging hier um ihren Wunsch und sie duellierte sich wie eine lausige Amateurin! Wie jemand von Anyas Schlag! Warum hatte sie nicht kommen sehen, dass Orions Monster mit gesetzten Karten allein nicht beizukommen war!? Sie biss sich auf den Daumen und überlegte, wie sie aus dieser Situation am besten wieder herauskam. „Ich spiele noch dieses kleine Kärtchen verdeckt und beende meinen Zug“, sprach Orion und ließ hinter seinen Monstern eine Fallenkarte erscheinen. „Mein Zug“, rief Valerie entschlossen und zog mit Schwung. Dabei fühlte sie etwas in sich pulsieren, wie eine unsichtbare Kraft, die ihr beistand. „Was …?“   Fürchte dich nicht, Valerie! Ich stehe dir bei! Auch wenn ich nicht gutheißen kann, was du hier tust, bin ich dennoch entschlossen, dich zu beschützen. Warte noch ein wenig, dann wird sich dir meine ganze Kraft entfalten. Valerie nickte. „Danke Joan! Ich verlasse mich auf dich!“ Auch wenn sie ihrem Schutzengel insgeheim mit Skepsis begegnete. Aber solange dieser nichts getan hatte, um den Rest von Valeries Vertrauen zu verlieren, würde sie nichts unternehmen. Denn wie hieß es doch? In dubio pro reo. Sie betrachtete ihr Blatt, das nun aus zwei Zauberkarten und dazu noch dem Ritualmonster [Evigishki Gustkraken] und dem Effektmonster [Gishki Marker] bestand. Dann blickte sie herüber zu Orion, der seinen alten Platz angenommen hatte. Valerie war sich sicher, dass seine gesetzte Karte ebenfalls mit Handkartenmanipulation zu tun haben musste. Bestimmt erwartete er, dass sie etwas ausspielte, damit er es im Anschluss annullieren konnte. „Hmm“, überlegte sie laut. Würde sie jetzt eine Karte benutzen, hätte sie drei Handkarten. Orion besaß momentan zwei. Das bedeutete, dass er mit seiner Falle vermutlich genau einmal nachziehen durfte! Und genau hier konnte sie ansetzen, erkannte Valerie. „Ich setze diese zwei Karten verdeckt“, rief sie und schob ihre Zauber in die entsprechenden Zonen ihrer Duel Disk, damit sie vor ihren Füßen erschienen. „Dann rufe ich [Gishki Marker]!“ Sie knallte das Monster auf den Apparat an ihrem Arm. „Da ich nach seiner Beschwörung nur noch eine Handkarte habe und du zwei, kannst du unmöglich mit [The Fabled Unicores] Effekt den von meinem Marker annullieren!“ „Häh!? Unfair!“, protestierte Orion wütend und sprang auf und ab. Gleichzeitig tauchte vor Valerie ein neues Unterwasserwesen auf. Dieses war eine humanoide Gestalt mit dem Kopf eines Tintenfisches. In seinen Händen hielt die rostfarbene Kreatur eine Pike, die stark an einen Dreizack erinnerte.   Gishki Marker [ATK/1600 DEF/1200 (4)]   Valerie griff mit entschlossener Mimik nach dem Friedhofsschacht ihrer Duel Disk. „Wenn [Gishki Marker] beschworen wird, erhalte ich eine Gishki-Ritualmonster- oder Zauberkarte von meinem Friedhof.“ Mit Mittel- und Zeigefinger schnappte sie sich das gewünschte Zielobjekt und drehte es auf Kopfhöhe zwischen ihren Fingern um. Es war [Gishki Aquamirror]. Und kaum eine Sekunde später hatte sie ihn verdeckt ausgespielt, um weniger Handkarten zu besitzen als Orion. Das musste sie auch, wenn sie eine ihrer anderen gesetzten Karten ungehindert aktivieren wollte. Mit erhabenem Gesichtsausdruck schwang sie den Arm aus, sodass die mittlere ihrer drei verdeckten Karten aufsprang. „[Monster Reborn]! Damit reanimiere ich ein beliebiges Monster von unseren Friedhöfen!“ Orion blies seine Wangen so stark auf, dass er regelrecht anschwoll. „Nicht auch noch das! Süße, übertreib' es doch nicht gleich!“ „Ich werde mich nicht wegen dir zurückhalten“, erwiderte Valerie jedoch stur, „ganz egal wie putzig du bist! Das Monster, das ich wiederbeleben will, ist [Gishki Abyss]! Und dank seines Effektes kann ich mir [Gishki Vanity] aufs Blatt holen, da dieser weniger als 1000 Verteidigungspunkte besitzt! Erscheine!“ Genau das tat der Haimensch auch, als er vor der schwarzhaarigen Motorradfahrerin auftauchte.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)] Anschließend schob sie die gesuchte [Gishki Vanity]-Karte in den Friedhofsschlitz. „Indem ich [Gishki Vanity] abwerfe, kann ich für diesen Zug verhindern, dass du mit deinen Effekten auf die Aktivierung oder Beschwörung von Gishki-Ritualen reagierst!“ Hinter ihr flimmerte kurzzeitig die Silhouette eines schwarzhaarigen Mannes in einem Priestergewand auf. Damit besaß Valerie nun wieder nur eine Handkarte.   Jene ließ plötzlich den Kopf hängen. „Es tut mir leid, Orion. Ich mag dich, wirklich …“ Mit einem Ruck sah sie auf, wobei Tränen in ihren Augen standen. „Aber ich weiß nicht, was ich tun soll! Seit er weg ist, bin ich … alles was mir bleibt, ist … bitte versteh das!“ „Valerie“, murmelte der Schattengeist mitfühlend. Er seufzte schwer und ließ nun ebenfalls den Kopf hängen. „Verstehe schon. In dem Fall kann der große Orion wohl einfach nicht nein sagen. Auch wenn ich das eigentlich nicht darf. Aber … Ich gebe auf-“ „Tue deinen Job, Orion. Sie ist nicht hier, um bemitleidet zu werden“, wies sein Meister ihn tonlos an. „Aber-“ „Er hat recht, Orion! Ich weiß das zu schätzen“, beteuerte sie. „Aber wenn ich das hier nicht aus eigener Kraft schaffe, wie soll ich dann das packen, was noch bevorsteht?“ Valerie breitete die Arme aus. „Ich bin nicht stark! Deswegen muss ich es werden! Und dazu brauche ich euch. Und … diesen Wunsch. Aber diesen muss ich mir verdienen, erarbeiten!“ Nachdenklich sah der kleine Dämon von seinem Reittier auf. „Ist es dir denn so ernst damit, Val? Was kann denn so wichtig sein, dass du ausgerechnet hierher kommst?“ „Vertraue mir“, meinte das Mädchen und eine Träne fiel hinab auf den Boden. „Es ist wichtiger als mein eigenes Leben. Also bitte … keine vorschnellen Entscheidungen, okay? Tu, was du tun musst!“ Orion nickte zögerlich. „Kapiert.“ Valerie atmete tief durch. Nein. Der Kleine mochte zwar ein Möchtegerncassanova und Lüstling sein, aber im Grunde seines Herzens kein schlechter Kerl. Warum würde er für sie verlieren wollen, obwohl sie sich kaum kannten? Er war doch ein Dämon, die laut Joan kein Mitgefühl kannten. Oder war er gar etwas ganz anderes? Allerdings wusste sie, dass sie das wohl nie erfahren würde. Und sie hatte etwas anderes zu tun.   „Okay“, meinte sie leise und wischte sich das Nass aus den Augenwinkeln. „Mir geht’s gut, wir können weitermachen. Sorry, dass ich mich habe gehen lassen.“ „Es spielt keine Rolle. Deine Gefühle haben dich hierher gebracht, entschuldige dich also nicht dafür“, meinte der Sammler mit unlesbarem Gesichtsausdruck und verschränkte an seinem Tisch sitzend die Arme. „Bedenke, dass ich nicht gerne angelogen werde. Auch nicht, wenn es um die Gründe geht, die dich dazu treiben, mich um einen Gefallen zu bitten. Zwar weiß ich längst, was du begehrst, doch werde ich es dir nur gewähren, wenn du aufrichtig bist. Beweise das in diesem Duell. Mehr verlange ich nicht.“ Mit einem Nicken zeigte Valerie, dass sie das genauso sah. „Das werde ich!“ Das gesagt, besah sie ihre Duel Disk. Sie besaß noch zwei verdeckte Karten und die Monster [Gishki Marker] und [Gishki Abyss]. Alles war bereit. „Jetzt aktiviere ich ihn!“, rief sie und zog dabei eine Zauberkarte aus dem dazugehörigen Schlitz ihrer Duel Disk, um besagte Magie in die Höhe zu halten. „[Gishki Aquamirror]! Ich biete als Opfer meine beiden Monster an, deren Stufen zusammen 6 ergeben. Dies wird benötigt, um [Evigishki Gustkraken] zu beschwören, die ebenfalls Stufe 6 ist! Erwache aus der Tiefe des Ozeans!“ In blauen Flammen lösten sich Valeries Monster auf. Unter ihnen bildete sich ein Pentagramm, eingelassen in einem leuchtenden Symbol, das in seiner Form dem Ritualspiegel glich, welcher seinerseits inmitten des Pentagramms auftauchte. In jenem Spiegel zeigten sich kurz die Reflexionen der geopferten Monster, ehe er zersprang und der gesamte Zirkel zu einer Wasserlache wurde. Und aus dieser wiederum entstieg schlagartig eine junge, rothaarige Frau, deren Unterleib der eines gewaltigen, schwarzen Kraken war.   Evigishki Gustkraken [ATK/2400 DEF/1000 (6)]   „Boah, ist die geil!“, flötete Orion beim Anblick der verruchten Meereshexe mit großem Trötenmund. Doch ihm verging der Spaß, als Valeries Monster plötzlich zwei seiner Tentakel vorschnellen ließ, welche den Schattengeist umwickelten und von seinem Reittier empor hoben. „Gustkraken lässt mich bis zu zwei deiner Handkarten ansehen, um anschließend eine davon zurück in dein Deck zu schicken“, erklärte Valerie. Und während Orion sich unter Ächzen, Stöhnen und Fluchen wehrte, tauchten unter ihm vor seinem treuen Schlachtross die Abbilder seiner beiden Handkarten auf. [Card Destruction] und [The Fabled Catsith] hießen sie, Zauber- und Monsterkarte respektive. Und da Valerie wusste, wie verhängnisvoll Erstere in Orions Händen sein mochte, entschied sie sich mit einem Fingerzeig direkt dafür, jene zu entsorgen. Der Zauber verschwand und Orion wurde fallengelassen, plumpste auf [The Fabled Unicore]. „Autsch! Kein Wunder, dass Arielle beliebter ist als du, blöde Ziege!“, fluchte er dabei in Gustkrakens Richtung. Valerie musste kichern. „Entschuldige, Orion. Aber ich glaube, sie wird jetzt noch einmal in deiner Gunst sinken! Gustkraken, vernichte [The Fabled Unicore]! Luring Bar!“ Die Meereshexe stimmte mit schriller Stimme ein Lied an und schlug dabei mit ihren Tentakeln im Takt auf ihren Gegner ein. Orion, der sich die nicht existierenden Ohren zuhielt, schaukelte unter der Prügel, die sein Ross bezog, hin und her. Schließlich bäumte es sich auf und explodierte. Im hohen Bogen flog Orion gegen die Wand, prallte wie ein Flummi ab und steuerte auf den länglichen Esstisch zu. Wie eine Kugel rollte er um das halbe Buffet herum, ehe er vor dem Teller des Sammlers auf dem Bauch rutschend zum Stoppen kam. Und während er sein Gesicht in die schneeweiße Tischdecke drückte, hob er einen seiner Stummelarme und rief er mit belegter Stimme: „Nichts passiert …“   [Valerie: 1400LP / Orion: 4000LP → 3900LP]   „Da ich keine Handkarten mehr habe, beende ich meinen Zug jetzt“, meinte Valerie und warf besorgt einen Blick auf Orion, der mit einem Hüpfer auf die Beine kam und sich torkelnd an eine Weinflasche lehnte. „Alles in Ordnung?“ „Mir geht’s fast gut …“, meinte der Schattengeist noch immer benommen. Dabei verlagerte er sein Gewicht unglücklich und brachte so fast die Flasche zum Umkippen. Allerdings hielt er sie aufgeschreckt mit seiner ganzen Kraft am Hals fest, sodass das Schlimmste gerade noch verhindert werden konnte. Sollte man zumindest meinen … „Orion!“, brüllte der Sammler plötzlich und zeigte mit geweiteten Augen auf die Tischdecke. „Siehst du das!? Siehst du das da!? DA!“ Sein Diener blinzelte verwirrt und sah an der Flasche vorbei. Er bemerkte den kleinen, roten Punkt, auf den sein Herr aufgebracht deutete. Ein Weinfleck, der durch die Erschütterung entstanden war. „Oh nein …“ „Doch! Sieh, was du getan hast! Die können wir jetzt wegschmeißen! Dieser Fleck, so groß, so rot! Mach ihn weg! Ich ertrage das nicht!“ In theatralischer Geste legte sich der Sammler eine Hand auf die Stirn. „Unsauberkeit in meinem Haus kann nicht geduldet werden!“   Und während Orion schnell die Flasche hinüber zu dem Fleck trug, um ihn so zu verdecken, verstand Valerie gar nichts mehr. Verdutzt sah sie von Orion zu dem Collector, die anfingen, sich wegen dieser Lappalie lauthals zu streiten! „Was hat er denn plötzlich?“, fragte sie ungewollt laut. „… wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht mit Essen spielen sollst!?“ „Ich duelliere mich hier zufällig! Der feine Herr macht sich ja nicht die Hände selber dreckig!“ „Dreck!? An meinen Händen!? Wo!?“ Panisch besah der Sammler seine Finger und beugte sich so weit dabei vor, dass er fast mit der Nasenspitze an die Handflächen stieß. Derweil drehte sich Orion zu Valerie und schüttelte entschuldigend den Kopf. „Ignoriere das einfach, okay? Das ist, was übrig-“ Doch er unterbrach sich selbst und seufzte traurig. „Ach, nicht so wichtig. Manchmal ist er einfach komisch, besonders wenn es um Schmutz geht. Denk dir nichts dabei.“ „I-in Ordnung“, antwortete Valerie verwirrt. Dabei fragte sie sich, wieso ein Dämon so viel wert auf Sauberkeit legte. Und was Orions ominöse Worte wohl bedeuteten. Der Sammler indes hatte sich noch immer nicht erholt und winkte nur abfällig mit den Händen. „Runter da, Orion! Diese Decke müssen wir wegen dir wegschmeißen! Wenn wir hier fertig sind, wirst du mir umgehend eine neue kaufen gehen!“ Und während der Schattengeist vom Tisch sprang, erwiderte er aufgebracht: „Es ist mitten in der Nacht! Wo soll ich da eine auftreiben!?“ „Lass dir etwas einfallen!“ Valerie schüttelte seufzend den Kopf. „Was für ein seltsames Gespann …“ Es erstaunte sie, wie schnell sich der Collector verändert hatte. Als wäre er plötzlich eine ganz andere Person.   „'tschulligung“, sagte Orion kleinlaut, während er zu seinem Duellstandpunkt zurückkehrte, wo schon sein [The Fabled Rubyruda] auf ihn wartete. „Macht nichts.“ Als der kleine Schattengeist sein Ziel erreicht hatte, drehte er sich wirbelnd um die eigene Achse. Voller Ehrgeiz rief er: „Genug 'rumgealbert! Meine hübsche Püppi, ich muss dir jetzt leider die Show stehlen! Ich bin ja am Zug!“ „Wie das? Du kannst nicht einmal eine Karte ziehen, weil du deine Draw Phase überspringen musst“, stellte Valerie fest und straffte sich. Dabei wusste sie, dass seine verbliebene Handkarte [The Fabled Catsith] war, ein Empfänger, genau wie das Monster auf seiner Spielfeldseite. Demnach konnte er sie nicht mit einem weiteren Synchromonster angreifen. Andererseits, dachte sich Valerie, war dieser Gnom immer wieder für eine Überraschung gut. Als Orion realisierte, dass Valerie recht hatte, machte er große Kulleraugen. „Was!? D'oh! Das hab ich total verpennt! Unfair! Aaaaaber- ich hab das hier! Verdeckte Falle [Jar Of Greed] aktivieren! Ich kann nicht ziehen? Guck mal genauer hin, Valval!“ „V-valval?“ Valerie erstarrte. Doch Orion griff nur grinsend nach seiner Duel Disk und zog schwungvoll eine Karte, genau wie es ihm der Effekt seiner Karte gebot. Auch wenn Valerie grinsen musste, weil sich richtig gelegen hatte, was jene verdeckte Falle anging und sie ihn wirklich seine Handkartenzahl manipulieren ließ, fühlte sie auch einen Stich in ihrem Herzen.   Valval … so hatte Marc sie immer genannt, wenn er sie ärgern wollte, denn dieser Spitzname erinnerte ihn an seine Lavalval-Synchromonster, die zugegeben wenig Ähnlichkeiten mit dem Mädchen hatten.   „Einer für alle, alle für einen! Für mich!“ Valerie blickte erstaunt auf. Orion hielt eine Zauberkarte in die Höhe. „Das hier ist [One For One]! Ich brauche nur eine Monsterkarte abwerfen und darf dafür eine von meinem Deck beschwören, solange sie nur einen Stufenstern besitzt!“ Vor Orion erschien ein seltsamer Apparat. Bestehend aus einem kugelrunden Körper sowie drahtigen Armen und Beinen, thronte auf dem Haupt der Kreatur tatsächlich eine Bratpfanne. „[T-t-t-tuningware]! Fast so gut wie H-Warez!“ Orion zwinkerte glucksend.   Tuningware [ATK/100 DEF/300 (1)]   Valerie wurde jäh aus ihrer Verwunderung über Orions Monster gerissen, als eine heftige Explosion ihre Spielfeldseite erschütterte. Die junge Frau wich erschrocken zurück und musste feststellen, dass von ihrer Meereshexe nichts mehr zu sehen war, als sich der Rauch verzog. „Was!?“ Orion hob einen seiner Stummelarme und tat mit seinem Zeigefinger so, als wolle ein Lehrer seine Schülerin belehren. „Guck doch nicht so doof! Hättest du dir den Effekt von [The Fabled Catsith] durchgelesen, als du die Gelegenheit dazu hattest, wüsstest du, warum dein Monster jetzt höchstens eine Rolle im Remake von Michael Jacksons Thriller bekommt!“ „Ich habe ihn mir durchgelesen“, meinte Valerie steif. „Mir war nur nicht bewusst, dass er auch auf diese Weise aktiviert werden kann.“ Breitmündig grinste der Schattengeist. „Klar tut er das, solange die Mieze nur von der Hand abgeworfen wird. Ob das Kosten sind, spielt keine Rolle.“ Valerie biss sich vor Wut auf die Lippen. Sie hatte sich von der Annahme, die Fabled-Karten würden wie die Dark World-Karten funktionieren, in die Irre führen lassen. Jetzt hatte sie ein richtiges Problem! „So konnte ich dein Monster zerstören. Und weißt du, was das Beste ist? Ich kann noch was ganz anderes! Sieh her!“, flötete Orion derweil. Wieder wich Valerie einen Schritt zurück, denn sie wusste bereits, was jetzt folgen würde. „Ich stimme den Stufe 4 [The Fabled Rubyruda] auf die Stufe 1 [Tuningware] ab! Äh ...“ Orion blinzelte. „Warte, ich hab's gleich. … d'oh, dabei hatte ich mir doch alles aufgeschrieben! Wieso habe ich bloß meinen Notizblock gefressen, als mir langweilig war!?“ Er winkte ab. „Egal, Synchro Summon! Mach ein bisschen hinne, [Thunder Unicorn], ich hab nicht ewig Zeit!“ Wie schon einmal zuvor ertönte lautes Wiehern von den Gängen des Anwesens. Valerie wirbelte um und sah zur Flügeltür, die bereits aufschwang. Wieder kam ein Einhorn in den Saal galoppiert, während Orions Monster einfach verschwanden. Doch von dessen Stirn ragte ein gelbes Horn empor, welches aussah wie ein echter Blitz. Was auch nur zu dem blauen Leib passte. Und wie schon vor ihm [The Fabled Unicore], musste auch das Donnereinhorn als Reittier für Orion herhalten, als es in Reichweite war.   Thunder Unicorn [ATK/2200 DEF/1800 (5)]   „Sollte [Tuningware] für eine Synchrobeschwörung benutzt werden, ziehe ich eine Karte“, erklärte Orion von seinem hohen Ross und zog, beachtete die Karte aber nicht weiter. Denn für ihn zählte nur, dass er dieses Spiel gewinnen konnte – Valeries Lebenspunkte waren völlig ungeschützt. „'tschulligung, Valval, aber ein Schattengeist muss tun, was er eben tun muss. Dafür wird er schließlich bezahlt. Nur dass ich nicht bezahlt werde!“ Er warf einen giftigen Blick in Richtung seines Meisters, der dem Duell in seiner gewohnt distanzierten Art zusah. Das Weinglas in der Hand, schien er wieder ganz der Alte zu sein und reagierte gar nicht auf die Kritik seines Untergebenen. Der winzige Dämon wandte sich wieder an seine Gegnerin. „Nimm es mir nicht übel, okay? Ich hätte für dich aufgegeben, ehrlich! Aber so … [Thunder Unicorn], direkter Angriff! Orion for the Win!“ Zusammen mit seinem Reittier machte dieser sich auf, Valerie den letzten Rest zu geben, damit sie dieses Duell verlor. Doch anstatt in Panik zu geraten, blieb die Schwarzhaarige ruhig und überlegte. Den Angriff konnte sie nicht aufhalten, nur abschwächen. Wenn sie eine Chance haben wollte, dieses Duell noch zu gewinnen, musste sie ihre letzte verdeckte Karte dafür verwenden. „Schnellzauber aktivieren!“, rief sie und ließ ihren Arm über die vor ihren Füßen liegende Karte schwingen. „[Half Shut]! Damit halbiere ich die Angriffskraft deines Einhorns für diese Runde, mache es im Gegenzug dafür aber im Kampf unzerstörbar!“ „Och nöööööö!“ Der Zauber klappte auf und entfachte einen rotgelben Wirbel, welcher ihren Angreifer verlangsamte.   Thunder Unicorn [ATK/2200 → 1100 DEF/1800 (5)]   Dennoch ließ dieser sich nicht aufhalten. Endlich angekommen, bäumte sich das Donnereinhorn vor Valerie auf und verpasste ihr mit seinen Vorderläufen einen heftigen Tritt, den diese mit ihrer Duel Disk abfing. Trotzdem wurde sie unter der Kraft des Angriffs zurückgeworfen und landete hart auf dem Rücken. „Urgh!“   [Valerie: 1400LP → 300LP / Orion: 3900LP]   Mit leidvoller Mimik richtete das Mädchen sich auf und keuchte erschöpft. Sie fühlte sich kraftlos und elend, denn es wollte ihr einfach nicht gelingen, eine effektive Gegenoffensive zu starten. Nun besaß sie gar keine Karten mehr. Im Grunde war das Spiel gelaufen … Indes trabte Orion auf seinem Einhorn zurück zu seiner Duellposition und warf dabei einen besorgten Blick zurück. Ihm tat dieses Mädchen leid, denn sie ahnte nicht, was der Preis dafür war, würde sie in diesem Spiel siegreich hervorzugehen. Vielleicht war es sogar das Beste für sie, wenn er sie jetzt besiegte und nach Hause schickte? „Zug beendet“, meinte er nur tonlos, unwissend, wie er entscheiden sollte und was für Konsequenzen es für sie beide hätte.   Thunder Unicorn [ATK/1100 → 2200 DEF/1800 (5)]   Indes fiel Valerie überrascht auf die Knie. Es war, als würde sie in ein tiefes Loch stürzen, denn sie hatte erkannt, dass es wohl keinen Ausweg mehr aus ihrer Lage gab. Ohne Hand- und Feldkarten blieb ihr nur der nächste Zug. Und die Chancen, mit ihm die Lösung für ihr Problem zu finden, waren mehr als gering. „Warum ist er so viel stärker als ich?“, murmelte sie vor sich hin und sah ihre Handfläche an. „Was habe ich falsch gemacht? Ich …“   Wem sollte sie schon etwas vormachen? Sie hatte Angst zu verlieren. Immer schon, seit sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie Angst gehabt. Um ihre Großmutter, die einen Schlaganfall erlitten und schließlich wenige Monate später gestorben war. Vor Prüfungen, die sie nicht zu bestehen glaubte. Um ihre Freunde, von denen sie nie wusste, welche echt und welche falsch waren. Vor dem Motorradfahren. Und um ihren Verlobten, den sie nie verlieren wollte. Warum konnte sie nicht einfach furchtlos sein? Warum konnte sie die Dinge nicht so ändern, dass es allen gut ging? Und dann erschien -sie- vor ihren Augen. Anya. Das Mädchen, das nie Angst hatte und lieber versagte, als irgendwem zu imponieren. Die sich nichts gefallen ließ und sogar vor Mord nicht zurückschreckte. Sie … !   Valerie ballte eine Faust und erhob sich, denn etwas in ihr pulsierte und gab ihr Kraft. „Es ist noch nicht vorbei!“ „Huh?“ Orion blinzelte verdutzt. „Valval, was ist mit dir?“   Verzage nicht, mein Kind. Wenn du wirklich diesen Weg fortsetzen möchtest, werde ich dich mit meiner Kraft unterstützen. Auch wenn Gott mich dafür endgültig verstoßen mag. Dafür, dass ich dir die Wahrheit verschwiegen habe, bin ich es dir schuldig.   „Joan“, sprach Valerie leise und fixierte ihren Blick auf den Sammler, der sie aus emotionslosen Augen anstarrte und dabei sein Weinglas festhielt. Und in diesem Augenblick war es ihr völlig gleich, ob Joan eine Heilige oder der Teufel höchstpersönlich war, solange sie ihr nur half, siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen. „Gib mir alles, was du hast. Wenn ich -ihr- jemals wieder gegenübertreten will, muss ich dieses Duell gewinnen! Egal was es kostet!“   Dann erfahre die heilige Kraft!   Als Valerie ihre Hand an ihr Deck legte, begann diese in flammendem Weiß zu leuchten. Das war genau das, was sie brauchte, dachte Valerie. Sie spürte bereits, was sie ziehen würde, hatte es klar vor Augen, diese eine, rettende Karte! „Danke Joan! Draw!“ Mit Schwung zog sie jene Karte und spürte noch in der Bewegung ein so heftiges Stechen in ihrer Brust, dass ihr die Luft wegblieb. Röchelnd kippte sie zur Seite und fiel der Länge nach auf den Boden. Dabei glitt ihr die Karte aus der Hand. Valerie erstarrte. „W-was!?“   Mit einem Ruck war der Sammler aufgestanden. „Wie es aussieht, habe ich mich in dir getäuscht. Du solltest mir dein Innerstes zeigen, damit ich deinen Wert bestimmen kann. Doch was muss ich sehen? Du versucht, das Schicksal zu betrügen, indem du einen neuen Pfad hinzufügst. Erbärmlich. Sind das die Grenzen deiner Aufrichtigkeit?“ „N-nein!“ Valerie fühlte sich, als habe man ihr alle Kraft geraubt. Sie reichte nach der gezogenen Karte aus, die vor ihr lag und drehte sie in ihren Fingern um. Und was sie dort sah, erschütterte sie bis ins Mark. „Was!? Nein! Das war-“   Vergib mir, Valerie! Er hat meine Kräfte einfach blockiert! Was für eine Macht ist das? So etwas habe ich selbst bei Erzengeln noch nie gesehen! Was … ist er?   Eine Träne rann indes über Valeries Wange. „Nein …“ Denn die Karte, die sie in der Hand hielt, war nicht etwa die, die sie in ihrem Inneren gesehen hatte. Es war [Evigishki Soul Ogre], das Ritualmonster. Ein Monster, das sie niemals beschwören konnte in ihrer derzeitigen Lage. „Valval … warum hast du versucht, uns zu betrügen?“, fragte Orion enttäuscht. „So etwas machen nur Idioten.“ „Halt den Mund!“, schrie Valerie verzweifelt, die die Demütigung des Sammlers nicht ertragen konnte. „Du verstehst das nicht!“ Unter Mühe zwang sie sich wieder auf und starrte hasserfüllt herüber zum Esstisch, an den sich der Sammler wieder gesetzt hatte. Der rothaarige Mann verzog keine Miene und sagte: „Wir alle müssen einen der Pfade beschreiten, die für uns ausgelegt sind. Du bist keine Ausnahme. Zu denken, du hättest das Recht zu ändern, was bereits feststeht, ist schlichtweg töricht. Ich habe dich wohl überschätzt, was deine Gesinnung angeht.“ Getroffen von diesen Worten zuckte Valerie zusammen. Sie hatte sie gespürt, diese Kraft, und er hatte sie einfach verpuffen lassen. Dieser Kerl hatte in einem Sekundenbruchteil ihre letzte Hoffnung zerstört! „Fahre fort, Orion“, meinte der Sammler völlig ungerührt. „Deine Gegnerin ist nicht imstande, etwas in ihrem Zug zu unternehmen.“ „K-klaro!“   Orion zog mit konzentrierter Mimik von seinem Deck und sah von [Thunder Unicorn] herüber zu Valerie, die ihren Blick senkte und nur die Fäuste ballte. Hilflos wandte er sich an seinen Herren, der nur gebieterisch nickte. Der Schattengeist wusste, dass er ihm nicht den Befehl verweigern durfte, allein schon deshalb, weil sie befreundet waren. Doch nie zuvor hatte jemand ihm so leidgetan wie Valerie und Orion konnte beim besten Willen nicht sagen, woran das lag. Er war sich sicher, dass es nichts mit ihrem Vorbau zu tun hatte. Mitleid mit einem völligen Fremden … wie lange war das wohl her … ?   „Orion. Tu es.“ Der Kleine schüttelte auf die Ermahnung hin seinen Kopf, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben, welche sich seiner bemächtigen wollten. Es hatte keinen Zweck, weiter nachzugrübeln. Er wusste, was er zu tun hatte und letztlich tat er Valerie damit einen Gefallen. Siegesgewiss streckte er seinen Arm aus. „Jetzt endest es wohl. [Thunder Unicorn], vernichte Valeries letzte Lebenspunkte. 'tschulligung … Valval …“ „Spar' dir das“, zischte sie, ohne aufzusehen. Und auch wenn ihre Wut über das eigene Versagen und den Sammler nicht Orion galt, tat es gut, sie einfach loszulassen. Das Blitzeinhorn galoppierte schließlich auf die Schwarzhaarige zu. Wie zuvor versuchte es, sie unter seinen Läufen zu begraben. Dieses Mal jedoch wehrte sich Valerie nicht und wurde von einem kräftigen Tritt in die Brust umgeworfen. Ächzend landete sie auf dem Rücken und rollte unter einem schmerzlichen Stöhnen auf den Bauch, sich die Wunde haltend.   [Valerie: 300LP → 0LP/ Orion: 3900LP]   „Und so endet es, völlig unspektakulär“, sprach der Collector und erhob sich, wobei er sich vom Tisch abstützte. „Nun gut. Du hast mich enttäuscht, Valerie. Doch ich kann sehen, was dich zu deinen Taten bewogen hat.“ Seine Augen funkelten. „Lass uns also über das Geschäft reden.“ Erschrocken sah Valerie mit zusammengekniffenen Augen auf. „Was!? Aber- Ich habe verloren! Wieso willst du mir trotzdem helfen?“ Der Sammler lächelte, doch es war ein falsches Lächeln, denn seine feinen Züge bewegten sich nicht natürlich zu seinen angezogenen Mundwinkeln. „Wie alles auf dieser Welt, hast auch du immer noch einen Wert. Aber es wird nicht deine Seele sein, die ich im Austausch für deinen 'Wunsch' verlange.“ Ungläubig richtete sich das Mädchen auf und stand wieder auf zwei Beinen. Doch sie zitterte so sehr, dass sie alle Mühe hatte, nicht sofort wieder umzukippen. Es klang zu gut, um wahr zu sein und Joan hatte sie davor gewarnt, mit Dämonen Geschäfte zu machen. Aber wenn er ihr wirklich geben konnte, was sie wollte, dann war ihr alles gleich. „Nicht meine Seele?“, fragte sie skeptisch nach. „Warum nicht? Ich dachte das ist, was Dämonen normalerweise im Austausch für ihre Dienste wollen!“ Der Collector starrte sein Weinglas an und betrachtete die Reflexion seiner selbst fasziniert. „Natürlich ist die Seele ein sehr wertvolles Gut. Das Wertvollste, was ein einfacher Mensch zu bieten hat.“ Nun blickte er Valerie wieder unverwandt in die Augen. „Besonders du, die du durch einen waschechten Engel geleitet wirst, wärst eine hervorragende Investition.“ Plötzlich verhärtete sich sein Tonfall. „Andererseits bist du trotz deiner Gaben nicht einmal imstande, meinen niedersten Diener zu bezwingen. Man könnte sagen, so etwas wie du verkauft sich schlecht.“ „Sorry Valval, er meint damit, dass du eine Versageri- Was!?“, kreischte Orion und hüpfte aufgeregt umher. „Niederster Diener!? Aber ich hab die heiße Braut doch abserviert! Wieso-!?“ „Misch dich bitte nicht ein, Orion“, sprach Collector gelangweilt. Frustriert ließ der Schattengeist seinen Kopf, sozusagen seinen ganzen Körper, hängen und seufzte. „Nicht mal bezahlt werde ich für all die Demütigungen …“   „Aber wenn meine Seele nicht gut genug ist, was dann?“, wollte Valerie nun aufgebracht wissen. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er sonst noch von ihr verlangen könnte. Der Sammler lächelte nun wieder hinter seiner schleierhaften Maskerade aus vorgespielten Emotionen. „Weißt du, es gibt Dinge, die besitzen seither einen hohen Wert. Wie die Seelen. Haben wir die Macht über diese, können wir nach dem Tode ihres Besitzers alle darauf folgenden Inkarnationen jener Existenz nach unserem Belieben lenken. Wer sich mir also verkauft, ist solange unter meiner Kontrolle, bis seine Seele erlischt.“ „Warum willst du meine Seele dann nicht!?“, fauchte Valerie und trat ungestüm einen Schritt vor. „Warum ist sie nicht gut genug!?“ „Du bist verdorben durch die Gefühle, die du tief in dir hegst“, erklärte der Sammler daraufhin mitleidig. Er nahm einen Schluck vom Glas in seiner Hand. „Du kannst mich nicht täuschen. Dein Groll gegenüber Anya Bauer ist kein Geheimnis, nicht für uns. Von größtem Wert aber sind die Seelen, die sich aus reiner Aufopferung aufgeben.“ Seine Stimme wurde kalt. „Zu denen gehörst du aber nicht. Wenn wir jeden erhören würden, der unserer habhaft werden will, würde das empfindliche Gleichgewicht unserer Welt binnen kürzester Zeit zusammenbrechen. Und ich persönlich bin mit ihr so zufrieden, wie sie ist. Veränderungen sind nicht mein Ding, verstehst du? Außerdem gibt es noch genug andere Gründe, warum wir nicht jede Seele annehmen, die uns über den Weg läuft.“ Valerie biss sich so sehr auf die Lippe, dass es blutete. Wie konnte er es wagen!? Er kannte sie doch gar nicht! Die Schmerzen, die sie in sich trug, konnte er sich doch gar nicht vorstellen! „Was willst du dann?“, fragte sie leise. Nun sah der Collector ihr wieder in die Augen. Dabei stand in den seinen eine Zuversicht geschrieben, die das Mädchen zutiefst beunruhigte. „Deinen Namen.“ „W-was!?“ „Du hast recht gehört, deinen Namen.“ Er lachte auf. „Sicher, deine Seele ist im Vergleich immer noch viel wertvoller als dein Name. Aber es gibt für jede Ware einen passenden Markt. Und warum das eine nehmen, wenn das andere auf lange Sicht viel lukrativer ist?“ Valerie schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht! Warum ausgerechnet meinen Namen? Wie soll man sich das denn vorstellen!?“ Wenn man seinen Namen an jemanden verkauft, besitzt dieser jemand Macht über ihn. Er vermag bis in die tiefsten Winkel der Seele vorzudringen und ist auf diese Weise mit dir verbunden. Es ist anders, wenn man über die Seele verfügt. Der Name steht nur für Wissen, keine Kontrolle. Dennoch solltest du dir das alles gut überlegen, Valerie! Vergib mir, dass ich überhaupt erwogen habe, dich hierher zu führen! Wir hätten niemals hierher kommen dürfen! Möge ich Gottes Strafe empfangen für meine Torheit, denn dich trifft keine Schuld!   „Joan …“ Valerie verstand es nicht. Wenn die Seele so viel wertvoller war, als ihr Name, warum wollte der Collector dann Letzteren haben? Lag es nur daran, dass sie Anya für das hasste, was sie Marc angetan hatte? Nein! „Der Name ist mir sofort von Nutzen“, erklärte der Sammler plötzlich amüsiert darüber, wie hin und her gerissen das Mädchen doch war. „Eine Seele vermag ich erst einzusammeln, nachdem sie den Körper verlassen hat. Allerdings würde ich dem Spektakel rund um Eden gerne aus der Ehrenloge beiwohnen. Wissen kann nie schaden. Aber erwarte nicht von mir, dass ich mich in dieses Geplänkel einmische. Dafür ist es nicht bedeutend genug.“   Tief durchatmend, straffte sich Valerie und sah dem rothaarigen Mann entschlossen in die Augen. „Mein Name also?“ Er nickte. „Du weißt sicher bereits, was ich als Gegenleistung dafür erwarte?“ Der Sammler lächelte. „Bei jemandem wie dir ist so etwas nicht schwer zu erraten. Es gibt zwar einige Einschränkungen, aber die sind minimal. Es ist machbar. Über die Details werde ich dich aufklären, wenn wir den Handel abgeschlossen haben.“ „Dann haben wir jetzt einen Vertrag“, meinte Valerie steif und schritt auf den Esstisch zu. Sie reichte dem jungen Mann ihre Hand entgegen und wartete darauf, dass er einschlug. Dieser nickte. „Wie du meinst. Jetzt gibt es endgültig kein Zurück mehr für dich.“     Turn 17 – And Then I Said No Eines Morgens bekommt Anya überraschend Besuch von dem Dämonenjäger Matt. Nachdem sie erfolglos versucht, ihn einen Kopf kürzer zu machen, offeriert er ihr plötzlich ein unerwartetes Friedensangebot. Er bietet sogar an, Anya alles über Eden zu erzählen, was er in den letzten Wochen in Erfahrung bringen konnte. Anya geht zähneknirschend darauf ein, doch während Matts Bericht taucht Alastair auf. Einen Verräter genannt, beginnt Matt in der Hoffnung auf Schlichtung ein Duell. Doch plötzlich …   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)