Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Prolog: Scherben der Zukunft ---------------------------- ♥ Mimi ♥ Das Leben war so unberechenbar, wie ein tosendes Sommernachtsgewitter, dass sich lautlos zusammenbraute und sich machtvoll entlud, gerade wenn man am wenigsten damit rechnete. Auch sie hatte sich vieles vom Leben erhofft, verfing sich in ihren Träumen und versank im Rausch der Gefühle, um auf dem harten Boden der Tatsachen anzukommen, der ihr zeigte, dass Erwachsen werden kein Zuckerschlecken war. Dass man kämpfen musste, um das Leben, das man sich erträumt hatte, zu erlangen. Wehmütig hob sie seine Hand an, die behutsam auf ihrem Bauch geruht hatte und legte sie auf der weichen Matratze ab. Langsam und sachte rutschte sie zum Rand des Bettes und setzte sich mühselig auf. Ihr fiel es unsagbar schwer sich zu erheben, da sich ihre Beine wie in Zement gegossen fühlten und ihr jegliche Bewegung erschwerten. Doch es musste sein. Sie konnte so nicht weitermachen. Nicht mit dem Wissen sich selbst Tag für Tag aufs Neue zu belügen und somit die Menschen zu verletzen, die sie aufrichtig liebte. Sie hatte alles versucht sich mit dieser Situation zu arrangieren, doch letztlich fehlte ihr einfach die Kraft dazu. Die Wucht ihrer eignen Gefühle erfasste sie wie eine riesige Welle, die sie einfach so mitspülte. Sie wollte nicht, dass es so weit kam, aber dennoch war es passiert. Und nun stand sie vor einer endgültigen Entscheidung, die ihr Herz entzweibrach. Die Vernunft hatte gesiegt, auch wenn ihr Herz den pulsierenden Schmerz empfand, der sie einnahm und zeigte, dass sie den Traum, den sie einst hegte, verloren hatte. Mit einem schmerzverzehrten Gesichtsausdruck wandte sie sich zu ihm, merkte, dass er immer noch friedlich schlief, während sie kein Auge zu bekommen hatte. Ein leiser Seufzer löste sich von ihren Lippen, als sie schweren Herzens aufstand und ihre Klamotten vom Boden zusammenraffte. Völlig teilnahmslos stieg sie in ihre Unterwäsche, zog ihre Jeans und ihr luftiges Shirt über, dass er ihr vor wenigen Stunden leidenschaftlichen vom Körper gerissen hatte. Wenn sie daran zurückdachte, konnte sie noch immer seine zärtlichen Berührungen und die sanften Küsse auf ihrer Haut spüren. Sie versuchte seinen unverkennbaren Duft aufzunehmen, wollte jede Berührung und jedes Geräusch, dass er von sich gab, tief in ihrem Herzen verschließen, damit sie sich ewig daran erinnern konnte. Sie sah ihm die ganze Zeit in seine warmen Augen, während sie sich lange und intensiv liebten, wohlwissend, dass es das letzte Mal sein würde. Augenblicklich erschütterte dieser Gedanke ihren ganzen Körper, der zu zittern begann. Sie presste die Lippen fest aufeinander, um einen qualvollen Laut zu unterdrücken, der sich in ihrem Hals festgesetzt hatte. Wie konnte es nur so weit kommen? Warum musste es ausgerechnet ihnen passieren? Dabei hatten sie doch so lange für ihr Glück gekämpft, allen Höhen und Tiefen ihrer Beziehung wagemutig entgegen getrotzt, in der Hoffnung, das doch noch alles gut werden würde. Doch das Leben war ihnen zuvorgekommen, drängte sich zwischen ihre Liebe und nahm ihnen sämtliche Hoffnungen, die wie herunterfallendes Porzellan auf dem Boden zerschellt waren. Ihnen die Scherben ihrer Zukunft aufzeigten, die sich aus einer immer blasser werdenden Vergangenheit zusammengesetzt hatte. Nichts war für die Ewigkeit. Manchmal machte man es nur schlimmer, wenn man versuchte die Scherben wieder zusammenfügen zu wollen. Liebe erblühte in den schönsten Farben, konnte allerdings verblassen und welken, wenn man sich nicht stetig um sie bemühte. Salzige Tränen rannen ihre Wangen hinunter, als sie ihre Handtasche ergriff und sachte zu ihm zur anderen Bettseite schlich. Sie schluchzte leise auf, als sie auf ihn hinabblickte und sah, wie sich gleichmäßig seine Brust während dem Schlafen anhob. Er sah richtig friedlich aus, sodass sie hätte schwören können, dass sich ein Lächeln auf seine Lippen gelegt hatte. Wenige Sekunden betrachtete sie sein schlafendes Gesicht, beugte sich etwas zu ihm hinunter und streichelte sanft über seine Wange, bevor sie ihm einen letzten Kuss auf die Lippen hauchte. Er war kurz, bittersüß und legte eine tiefe Wehmut um ihr Herz, als sie sich von ihm gelöst hatte. Mit einem schmerzverzerrten Gesicht zog sie sich zurück, unterdrückte ein Schluchzen, als sie sachte in ihre Tasche fasste und einen gefalteten Zettel hervorholte. Sie küsste das matte Papier und platzierte es auf seinem Nachttisch, bevor sie leise wimmernden ihren Hals entlangfuhr und den Verschluss ihrer Kette löste, die er ihr zu ihrem siebzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Wehmütig betrachtete sie sie und fuhr die kunstvolle Gravur mit einem Finger nach, als sie qualvoll die Lippen aufeinanderpresste, sie zu dem Zettel dazulegte und sich somit von all ihren Wünschen und Träumen, die sie sich für ihren gemeinsamen Weg bereitgelegt hatten, verabschiedete. Ohne einen weiteten Gedanken zu verlieren, verließ hektisch das Zimmer und begab sich in eine ungewisse Zukunft. Eine Zukunft ohne ihn. Kapitel 1: Frühlingsmomente --------------------------- ♥ Taichi ♥ „Was soll das denn werden, wenn es fertig ist?“, hakte seine kleine Schwester skeptisch nach und versuchte einen besseren Blick auf das Essen zu erhaschen, dass er zubereitet hatte. Er verzog das Gesicht als Kari sich mit einem misstrauischen Augenaufschlag neben ihn gesellte und sein Bento kritisch beäugte. „Also das Kochtalent hast du bestimmt von Mama. Soll das etwa Eiersalat sein?“, fragte sie unsicher und deutete mit dem Finger darauf. Taichi presste die Lippen wütend aufeinander und schnipste ihren Zeigefinger eilig beiseite, während er sie versuchte aus der Küche zu drängeln. „Ich kann es eben nicht besser“, grummelte er als er sein Bento mit dem dazugehörigen Deckel verschloss, um somit sein Essen vor den neugierigen, aber vernichteten Blicken seiner Schwester zu schützen. „Zum Glück bringen die anderen noch Essen mit! Nicht, dass du noch verhungerst“, erwiderte sie belustig und ein Grinsen schlich sich auf ihre rosigen Lippen. „Du tust ja so als wäre es ungenießbar“, murrte Taichi enttäuscht und konnte nicht fassen, dass seine Schwester so wenig an ihn glaubte. Gut, er war sicher kein Meisterkoch, aber sein Essen war meistens sogar noch genießbarer als dass seiner Mutter, die oftmals einfach zu viel Salz verwendete oder mit ungewöhnlichen Kräutermischungen herumexperimentierte. „Und ihr macht heute einen Spieleabend bei Takeru?“, wechselte er abrupt das Thema und verstaute sein Bento in einem kleinen Korb, den er sich schon bereitgestellt hatte. Kari nickte nur beiläufig, als sie zum Kühlschrank ging und sich etwas Saft holte. Sie schnappte sich ein Glas aus einem der oberen Schränke und goss es voll, sodass der Saft wieder im Kühlschrank verschwinden konnte. Sie wandte sich ihrem Bruder wieder zu, der noch einige Getränke in Korb legte. Er holte sich die Pappbecher und packte einen Flaschenöffner dazu, da Matts Vater ihnen ein Sixpack Bier spendiert hatte. Er wollte sich auch schon gleich auf den Weg zu ihm machen, um gemeinsam die U-Bahn-Station anzusteuern. Den Rest wollten sie direkt dort treffen und zusammen zum Yogogi-Park in Shibuya fahren, wo sie gemeinsam Hanami feiern wollten. Seit sie die Oberschule besuchten, sah er seine Freunde in seiner Freizeit nur sehr selten, was daran lag, dass sich alle in verschiedene Richtungen entwickelt hatten. Sein Freund Matt hatte nur noch die Musik im Kopf und hoffte immer noch auf den großen Durchbruch mit seiner Band, der leider ausblieb. Seine beste Freundin Sora konzentrierte sich bereits voll und ganz auf ihre Zukunft, da sie ihrem Traum, Designerin zu werden, näherkommen wollte, während Taichi selbst auf der Stelle ging. Er hatte keine Ahnung, was er mit seiner Zukunft mal anfangen wollte, schob den Gedanken, sich nach diesem Jahr für etwas entscheiden zu müssen, weit von sich und hoffte, dass es sich einfach fügte. So wie er es immer gewöhnt war. Doch in seinem Leben zeigten sich mittlerweile tiefe Risse, die er nicht mehr länger ignorieren konnte. Tagtäglich erkannte er immer mehr, dass er sich für etwas entscheiden musste. „Hast du dich eigentlich schon dafür entschieden, ob du dich für das Sportstipendium bewirbst? Trainer Ichinose wollte…“ „Habe ich denn eine andere Wahl?“, unterbrach er sie in einem ruhigen Ton und unterbreitete ihr die Gegenfrage. Kari riss daraufhin ihre Augen auf, bevor sie ihren Kopf senkte und in ihr Glas Saft starrte. „Ich weiß es nicht. Es wäre sicher einfacher, wenn alles klappen würde“, antwortete sie resigniert und ließ kraftlos ihre Schultern hängen. Er bemerkte sofort, dass sie diese Situation mehr belastete, als sie eigentlich sollte. Sie war seine kleine Schwester, weshalb sie sich auch keine Gedanken über seine Zukunft machen sollte. Behutsam ging er ein paar Schritte auf sie zu und legte beide Hände auf ihren Schultern ab. Sie hob den Kopf an und in ihren Augen spiegelte sich die Unsicherheit und Angst wieder, die beide in den letzten Monaten durchstehen mussten. „Wir kriegen das schon irgendwie hin. Mama und Papa haben auch gesagt, dass wir positiv nach vorne schauen sollen. Vielleicht suche ich mir nach dem Abschluss auch erstmal einen Job und setze das Studium vorerst einmal auf Eis. Ich weiß ja sowieso noch nicht genau, was ich mal machen möchte“, betonte er sorglos und untermauerte seine Aussagen mit einem selbstsicheren Lächeln, auch wenn er selbst wusste, dass es nicht einfach werden würde. Von Karis Lippen löste sich nur ein leiser Seufzer, der sofort verhallte. Taichi lockerte seinen Griff um sie und musterte sie weiterhin besorgt, als sie langsam zum Tisch rüber schritt und ihr Glas darauf platzierte. „Ich weiß, dass du mich nur beruhigen willst, aber im Moment sehe ich einfach nur schwarz“, eröffnete sie ihm deprimiert und setzte sich schwerfällig. Sie presste die Hände vor dem Gesicht zusammen, während Taichi wie angewurzelt in der Küche stand und nach den passenden Worten rang. Doch tief im Inneren wusste er, dass er nicht in der Lage war, ihr diese Angst zu nehmen. Auch er kämpfte mit sich selbst, wohlwissend, dass er in dieser Situation völlig hilflos war. _ Ein wenig abgehetzt traf er bei Yamato ein, da er sich mit seiner Schwester verquatscht hatte. Zwar hatte er es geschafft sie aufzuheitern, aber er bemerkte, dass es seine eigene Stimmung gedrückt hatte und einen Schleier über diesen Abend legte. „Jetzt kommen wir sicher zu spät“, knurrte Yamato und trug die Kühltasche mit den Getränken. „Ich habe echt nicht gewusst, dass du so ein Tratschweib bist.“ „Tratschweib? Ich habe mit Kari nur besprochen, wann ich sie später bei Takeru abholen soll“, rechtfertigte er sich und legte einen Gang zu, um mit Yamato mithalten zu können. „Ich dachte sie übernachtet wieder bei ihm. So wie immer“, meinte er verwundert und zog seine linke Augenbraue in die Höhe. „Hallo? Die beiden sind vierzehn! Die können doch nicht mehr unbedenklich in einem Zimmer schlafen“, gab Taichi zischend zu bedenken. „Was glaubst du denn was die beiden machen werden? Takeru ist für deine versauten Gedanken noch viel zu unschuldig“, erwiderte er grinsend. „Glaubst du? Wenn er Ishida-Gene in sich trägt, wird das aber sicher nicht mehr lange dauern.“ „Was soll das denn bitte bedeuten?“, fragte Matt, als sein Grinsen verschwand. „Naja, du hast doch schon in der Mittelschule vielen Mädels den Kopf verdreht. Jedenfalls solange bis Sora dich handzahm umerzogen hat.“ Ein breites Lächeln erstreckte sich auf seinen Lippen und untermauerte seine Aussage siegessicher, als Yamato ausholte und ihm einen Klaps gegen die Stirn gab. „Aua, war doch nur Spaß“, brummte Taichi und rieb sich über die Stelle, die sein bester Freund erwischt hatte. Sie überquerten die Straße, nachdem die Ampel ihnen grün anzeigte. Mit schnellen Schritten eilten sie zur U-Bahn-Station und erkannten ernüchternd, dass sie tatsächlich die Letzen waren. „Man, wo bleibt ihr zwei denn? Wir warten hier schon eine halbe Ewigkeit auf euch“, ertönte die nervtötende Stimme von Mimi Tachikawa, die mit ihren Armen wild umher wirbelte. „Krieg dich mal wieder ein! Wir sind höchstens fünf Minuten zu spät“, versuchte er sie zu beruhigen und schenkte ihr eine Unschuldsmiene, als er in die kleine Runde blickte und feststellte, dass noch jemand fehlte. „Wo ist denn Joe?“ Ihm war im ersten Moment gar nicht aufgefallen, dass er fehlte, weil er sonst immer sehr zurückhaltend war, sodass man ihn des Öfteren einfach übersah. „Joe ist schon in Shibuya. Er war sich die Vorbereitungsuniversität mit seinem Vater angucken und kommt direkt zum Park“, klärte Koushiro ihn knapp auf, während er bei seinen Ausführungen leicht nickte. Joe war der erste von ihnen, der bald zur Universität gegen würde. Schon in seinem Abschlussjahr besuchte er zisch Zusatzkurse und sammelte Punkte, um auf der Vorbereitungsuniversität für Medizin angenommen zu werden. Auch wenn es sehr anstrengend war, man ihn kaum noch zu Gesicht bekam und er seine gesamte Zeit mit lernen verbrachte, schaffte er es tatsächlich und bereitete sich nun auf einen neuen Lebensabschnitt vor, der auch Taichi in einem Jahr bevorstehen würde. Ein nervöses Kribbeln durchfuhr seine Magengegend, wenn er bloß daran dachte. Er musste sich dringend etwas ablenken, was nicht schwer war, wenn man eine Freundin wie Mimi hatte. Meist half nur ein Satz, um sie komplett auf die Palme zu bringen, was Taichi jedes Mal aufs Neue amüsierte. Er bemerkte bereits, dass sie ungeduldig mit dem Fuß auftippte und ständig die Uhr im Blick hatte, weil ihre U-Bahn bald abfahren würde. „Wir sollten jetzt mal zu unserem Gleis gehen, nicht das unsere Prinzessin noch überall hektische Flecken bekommt. Rot ist nämlich wirklich nicht unbedingt deine Farbe“, kommentierte er spitz und ging provokant an Mimi vorbei, die ihm einen giftigen Blick zuwarf, ihm aber unbeeindruckt folgte. _ „Was zur Hölle hast du denn da drinnen? Backsteine?“, fragte Taichi fassungslos, während er neben Mimi herging. Empört starrte sie ihn nieder. „Du hast mir doch angeboten ihn zu tragen!“, zischte sie schnippisch und rümpfte die Nase. Kaum hatten sie die U-Bahnstation verlassen, quengelte Mimi unaufhörlich, dass ihr Korb viel zu schwer war und sie ihn nicht mehr länger tragen konnte. „Kannst du noch nicht mal zwei Körbe tragen? Ich dachte du bist Sportler und hättest Muskeln“, warf sie triumphierend ein und musterte ihn scharfsinnig. „Die hat er wohl nur in den Beinen“, stimmte Yamato mit ein und kassierte von seinem besten Freund einen vielsagenden Blick. Er trug die Kühltasche mit den Getränken und hatte auch noch angeboten Soras Korb zu tragen, während Koushiro nur ein Sixpack Wasser schleppte. „Das glaube ich allerdings auch. Aber da nützen sie dir nichts“, meinte Mimi augenverdrehend. „Manchmal bist du echt unmöglich, gleich kannst du deinen dämlichen Korb wieder selbst tragen“, pfefferte Taichi zurück. „Als ob du meinem betörenden Augenaufschlag widerstehen könntest. Außerdem ist er viel zu schwer“, jammerte Mimi und grinste herausfordernd. Gerade als Taichi etwas erwidern wollte, schritt Sora dazwischen und drängelte sich direkt neben Mimi. „Ich glaube, das langt jetzt mal! Genug Gemeinheiten! Wir wollen Frieden und Liebe.“ Taichi biss sich augenblicklich auf die Zunge und sah gerade noch, wie Mimi triumphierend den Kopf kurz ihm wandte, bevor sie sich in ein Gespräch mit Sora verwickeln ließ. Dieses Mädchen machte ihn einfach wahnsinnig. Konnte sie ihre spitze Zunge denn gar nicht kontrollieren? Und warum trug er ihren dämlichen Korb noch immer und gab sich einfach so geschlagen? Doch es brachte nichts, seine Energie weiterhin zu verschwenden. Er kannte seine Freunde und mochte selbst ihre Macken und Fehler, die sie an den Tag legten. Ein paar Minuten später erreichten sie tatsächlich das malerische Gelände des Yogogi-Parks, auf dem sich die blühenden Kirschbäume erstreckten. Einige rosarote Blüten rieselten auf sie hinab und umhüllten sie mit dem Zauber des Frühlings, der in ganz Japan bereits zu sehen war. Der Frühling war Taichis Lieblingsjahreszeit, da es angenehm warm war, man ohne Jacke Fußball spielen und die Natur in ihrer Pracht genießen konnte. „Hallo Leute“, begrüßte sie eine bekannte Stimme aus der Ferne und hob wedelnd die Hand. Tatsächlich war Joe bereits da und wartete am Eingang des Parkgeländes auf sie. Auch er hatte noch Getränke und verschiedene Leckereien in seinem Korb dabei, sodass sie sich alle nach einer kurzen Begrüßung gemeinsam auf den Weg machten, um einen gemütlichen Platz zu ergattern. Mimi und Sora breiteten zwei große dunkelblaue Wolldecken aus, als sie ein Plätzchen gefunden hatten, wo sie sich niederlassen wollten. Danach wurde alles in die Mitte der Decken verfrachtet und Taichi gönnte sich mit Yamato erstmal ein kühles Bier, bevor sie sich dem Essen widmeten. Ihm lief bereits das Wasser im Munde zusammen, als er die ganzen Leckereien sah, die sich vor ihm erstreckten. Sein Magen knurrte bereits hörbar, da er es kaum erwarten konnte sich einen Teller zu schnappen. Es entging ihm selbstverständlich nicht, dass ein großer Bogen um seinen Eiersalat gemacht wurde, da er nach dem ganzen Transport noch weniger appetitlich aussah, als vorher. Doch er gehörte einfach nicht zu den grandiosen Köchen, oder Bäckern unter ihnen. Während Yamato ein ganzes Menü mit gebratenem Reis und knackigem Gemüse präsentierte und Mimi als Nachtisch selbstgebackene Cupcakes hervorzauberte, musste er sich einfach geschlagen geben. Sein Eiersalat konnte hier einfach nicht mehr mithalten. „Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht“, stimmte Sora nachdenklich ein und schwelgte offenbar in Erinnerungen. „Ich kann immer noch nicht fassen, dass wir jetzt schon in der Oberschule sind. Joe sogar schon an der Uni. Ich kann man noch so gut erinnern, wie wir damals alle zusammen in die Grundschule gegangen sind.“ „Das waren noch Zeiten“, schwärmte Mimi verträumt. „Aber nichts war besser als der Kindergarten. Spielen wann man wollte. Ungesundes Zeug essen, ohne dick zu werden. Taichi mit Filzstift verzieren“, zählte sie auf und lachte, während Tai das Essen augenblicklich einstellte und seinen vollen Mund öffnete. „Das dir das Spaß gemacht hat, war mir klar gewesen“, grummelte er und versuchte alles auf einmal zu schlucken. „Was habt ihr mir mal ins Gesicht gemalt? Ne Tulpe?“ „Ein Vergissmeinnicht“, trällerten Sora und Mimi im Chor und mussten sofort lachen. „Was auch immer“, knurrte er bissig und fixierte Koushiro mit einem bösen Blick. „Wie konntest du das damals nur zulassen? „Ähm…ich?“, antwortete er verunsichert, als Mimi sofort schützend dem Arm um ihn legte. „Er weiß eben, wer das stärkere Geschlecht ist. Und das war damals auch die Rache dafür, dass du uns mit Schlamm abgeworfen hast.“ „So nachtragend wie immer. Noch nie was von Schlammschlacht gehört“, verteidigte er sich und gestikulierte wild. „Echt schade, dass Joe und ich erst in der Grundschule dazu gestoßen sind“, meldete sich nun auch Yamato zu Wort und klang ein wenig wehmütig. Stimmt. Yamato und Joe besuchten einen anderen Kindergarten und zählten erst viel später zu ihrem Freundeskreis, auch wenn Taichi es gar nicht so bewusst wahrgenommen hatte. „Wir sollten das letzte Jahr gemeinsam genießen! Noch wissen wir nicht, wohin uns unsere Lebenswege mal führen werden“, sagte Sora mit gedämpfter Stimme und hob ihr Glas. „Sehr philosophische Worte, Fräulein Takenouchi“, erwiderte Taichi und hob seine Bierflasche. „Auf uns und ein tolles Abschlussjahr.“ _ Der Abend schritt zügig voran. Die Sonne tauchte das Meer der Kirschblütenbäume in ein sanftes rot und ließ sie schimmern, während sich der Tag allmählich von ihnen verabschiedete und die Nacht einläutete. Abends war es üblich, dass die zahlreichen Bäume des Parks angestrahlt wurden, sodass man sich auch weiterhin an ihrer Pracht erfreuen konnte. Taichi saß direkt darunter und betrachtete seine Umgebung genauestens. Mittlerweile waren vermehrt Pärchen vorzufinden, die im erleuchteten Park noch eine Runde spazieren gingen und sich verliebte Blicke zuwarfen. Ein mattes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er direkt an Yamato und Sora hängen blieb, die ebenfalls schwer verliebt miteinander kuschelten und ihre Zuneigung nur allzu gerne vor allen präsentierten. Manchmal wünschte sich Taichi ebenfalls so eine Bilderbuchbeziehung, die die beiden bereits seit über drei Jahren führten. Auch nach so langer Zeit wirkten sie auf ihn immer noch so unfassbar glücklich, sodass er manchmal ganz neidisch wurde. Er hatte noch nie eine ernsthafte Beziehung gehabt, die länger als drei Monate hielt. Bei den Mädchen war er sogar recht beliebt, doch etwas hemmte ihn, sich darauf einzulassen und eine ernste Beziehung zu führen. Mit einem sehnsüchtigen Blick fixierte er seine beiden Freunde, die sich immer wieder liebevolle Küsse gaben und gar nicht zu bemerken schienen, dass er sie beobachtete. „Du solltest die Leute nicht so auffällig bespannen, nachher wirst du noch erwischt“, flötete Mimi mit provokantem Unterton und ließ sich mit ihrem Teller direkt neben ihm nieder. „Ich bespanne niemanden!“, konterte er sofort, als ihm der Inhalt des Tellers sofort ins Auge sprang. „Nanu, isst du etwa meinen Eiersalat?“ „Den hast du gemacht?“, fragte sie überrascht und starrte auf ihren Pappteller. „Ja, aber niemand wollte ihn essen“, murmelte er enttäuscht und senkte betroffen seinen Kopf. „Er sieht zwar sehr gewöhnungsbedürftig aus, aber er schmeckt echt verdammt gut“, antwortete sie lobend. Irritiert hob Taichi wieder den Kopf an und runzelte die Stirn. „Ein Kompliment aus deinem Mund? Bist du etwa krank?“ Empört über diese Anschuldigung blies Mimi die Wangen auf und gab ihm einen unsanften Klaps gegen seine Schulter, als er schützend die Arme erhob. „War doch nur Spaß.“ „Also beim nächsten Mal überlege ich mir zweimal, ob ich dir ein Kompliment mache“, murrte sie und nahm einen großen Happen seines Eiersalats. Taichi lachte nur, als er seinen Blick von ihr abwandte und sich nach dem Rest umschaute. „Wo hast du denn Koushiro und Joe gelassen? Waren sie nicht bei dir?“ „Doch, aber sie mussten aufs Klo und sind wohl reingefallen“, erwiderte sie augenverdrehend. „Und da du auch so alleine am Baum gesessen hast, dachte ich mir, ich könnte dich mit meiner Anwesenheit beglücken.“ Taichi schüttelte nur den Kopf. „Wie gütig von dir. Aber anscheinend sind wir bei Sora und Matt sowieso abgemeldet. Die brauchen sicher bald ein Zimmer.“ „Ist doch süß, wie verliebt sie noch sind. Ich hätte sowas auch echt gern“, meinte Mimi wehmutsvoll, als sie seinem Blick folgte. Ein Seufzen löste sich von ihren Lippen, während die beiden Sora und Matt beobachteten. Er hatte liebevoll den Arm um sie geschmiegt, während Sora den Kopf auf seiner Brust sanft abgelegt hatte. Ein seltsames Gefühl machte sich in Taichi breit, besonders als er einen kurzen Blick zu Mimi wagte, die immer noch verträumt zu den beiden Liebenden starrte. Das Gefühl etwas Verloren zu haben nahm ihn ein und vernebelte jeden klaren Gedanken, den er bis zu diesem Zeitpunkt fassen konnte. „Bereust du es?“, vernahm er ihre brüchige Stimme, die ganz leise durch den Nebel seines Kopfes drang. Er presste daraufhin die Lippen fest aufeinander und verharrte angestrengt in seiner Sitzposition, die allmählich sehr unbequem wurde, da er seinen Rücken gegen den rauen Baumstamm drückte. „Bereust du es, sie gehen gelassen zu haben?“, wiederholte sie ihre Frage spezifischer. Ein kalter Schauer breitete sich auf seinem Rücken aus und umhüllte ihn mit einer zarten Gänsehaut, als sein Herz schneller zu schlagen begann. Ein kurzer Blickwechsel folgte zwischen ihnen, als er in ihre traurigen braunen Augen sah, die den Spiegel ihrer Vergangenheit darstellten. „Nein…“, löste sich schwerfällig von seinen Lippen, wohlwissend, dass es nicht ganz stimmte. Jedoch bereute er ganz andere Dinge. Kapitel 2: Chancen und Möglichkeiten ------------------------------------ ♥ Mimi ♥ „Was für ein Chaos! Ist ja wie beim Schlussverkauf“, stellte Yolei mit Entsetzen fest und rückte ungläubig ihre Brille zurecht, da sie scheinbar nicht fassen konnte, was vor ihren eigenen Augen geschah. Mimi stand unbeeindruckt neben ihr und war froh in diesen Schülermassen überhaupt ein bekanntes Gesicht getroffen zu haben, da der erste Schultag meist immer sehr chaotisch verlief. Mit den Augen suchte sie nach ihrer besten Freundin, die sich dazu erbarmt hatte einen Blick auf die Liste zu wagen, während Mimi mit der sonst so taffen Yolei etwas weiter abseitsstand und gespannt auf ihre Rückkehr wartete. Angespannt kaute Yolei auf ihrer Lippe herum, während sie mit den Fingern unruhig über den rauen Stoff ihres dunkelblauen Rockes fuhr. „Was ist denn los? Du bist ja ganz hibbelig“, stellte Mimi besorgt fest und streichelte ihr behutsam über den Rücken, sodass Yolei kurz zusammenzuckte und ihr einen wehleidigen Blick schenkte. „Ich bin Frischfleisch! Ein Tier, der unteren Nahrungskette. Bestimmt wird man mich auffressen und nur noch meine Knochen übrig lassen“, erwiderte sie theatralisch und raufte sich die Haare. Mimi verzog augenblicklich das Gesicht und musste sich zusammenreißen nicht gleich zu Lachen, da Yolei ein Talent dazu hatte, die witzigsten Grimassen zu ziehen. Doch insgeheim verstand Mimi ihre Ängste. Auch ihr erging es nicht anders, als ihre Eltern ihr verkündet hatten, dass sie wieder nach Japan zogen. Nachdem ihr Großvater sehr plötzlich verstorben war, erklärte sich ihr Vater bereit, dem gut geführten Familienunternehmen unter die Arme zu greifen, dass mittlerweile von dem Bruder ihrer Mutter geleitet wurde. Die Werbeagentur befand sich schon seit über vierzig Jahren in Familienbesitz, auch wenn ihre Mutter aus unerfindlichen Gründen nicht viel damit zu tun haben wollte. Durch das gute Zureden ihres Vaters und auch der Tatsache, dass sie ihr Heimatland vermisste, ließ sich ihre Mutter erweichen und willigte in den Umzug schlussendlich ein. Auch für Mimi war es alles andere als einfach, sich in der fremdgewordenen Heimat wieder zurecht zu finden. Mit ihrer offenen Art war sie mehr als nur einmal angeeckt und musste lernen, dass sie nicht überall mit dem Kopf durch die Wand kam. Besonders das Schulsystem machte ihr anfangs große Schwierigkeiten, da es viel schwieriger war, als in Amerika. Doch mit Izzys Hilfe überstand sie das erste Jahr, ohne große Verluste und sie war sich auch sicher, dass es Yolei ebenfalls schaffen würde. „Was wenn mich keiner aus meiner Klasse leiden kann? Und was, wenn ich keinen aus meiner Klasse leiden kann?“, hinterfragte sie mit weit aufgerissenen Augen. „Oh Gott, ich glaube ich bekomme eine Panikattacke.“ Sie atmete schwer und hielt sich die Brust, während Mimi sachte mit dem Kopf schüttelte. „Du machst dir zu viele Gedanken. Die sind alle ganz sicher genauso aufgeregt wie du! Also entspann‘ dich einfach und sprich jemanden an, den du nett findest. Deine Sitznachbarin, oder so“, schlug Mimi vor, als sich ein Grinsen auf ihre Lippen schob. „Wenn du erwähnst, dass deine Eltern einen Lebensmittelladen haben und du lauter Süßigkeiten mitbringen kannst, werden sie dir sowieso zu Füßen liegen.“ „Na toll, klingt gar nicht nach Erpressung“, grummelte sie, schien sich aber langsam wieder zu beruhigen. „Der Zweck heiligt eben die Mittel“, flötete Mimi fröhlich, als beide bemerkten, wie Sora auf sie zugesteuert kam. Ihr genervtes Gesicht zeigte Mimi bereits, dass sie nur wenig Erfolg hatte. „Keine Chance, es sind einfach zu viele“, schnaubte sie und raffte ihre Tasche vom Boden auf, die sie bei Yolei und Mimi stehen gelassen hatte. „Am besten warten wir noch ein bisschen“, sagte Mimi mit rümpfender Nase. „Ewig können die da ja nicht alle stehen bleiben.“ _ Ungläubig blickte sie auf ihren Stundenplan, der ab heute wohl ihre sämtliche Freizeit bestimmen würde. Naturwissenschaften, Sprachen, Landeskunde – alles wichtige Fächer, die sie noch bis zum Abschluss begleiten würden. „Um Himmels Willen, wie soll ich das nur alles überleben?“, seufzte Mimi herzergreifend und wandte ihren Blick hilfesuchend zu Izzy, der sich bereits seinem Essen zugewandt hatte. So wie es aussah, würden die beiden wohl alleine essen, da von den anderen jegliche Spur fehlte. „Wird sicher alles nur halb so schlimm. Letztes Schuljahr haben wir ja auch ohne bleibende Schäden überlebt“, antwortete er verständnislos, grinste aber als er ihr fassungsloses Gesicht auffing. „Du hast echt leicht reden! Du bist ja auch Klassenbester“, knurrte sie und zog schmollend die Unterlippe nach vorne. „Ich werde sicher wieder ganz viel Hilfe brauchen, um einigermaßen gute Noten in Mathe und so zubekommen.“ Ein dringlicher Blick richtete sich an ihren guten Freund, der seine Essstäbchen langsam sinken ließ und unsicher mit den Augen hin und her huschte. Wahrscheinlich wusste er nicht, auf was sie hinauswollte. „Izzy…“, ihre großen braunen Augen fingen an zu Funkeln, während sie seinen Namen in die Länge zog und sanft seinen Arm berührte. Auf sein Gesicht legte sich prompt ein leichter Rotschimmer, als er abrupt den Kopf zur Seite drehte. „Du hilfst mir doch sicher wieder, oder?“ Sämtliche Erwartungen steckten in dieser einen Frage, da sie genau wusste, dass er ihr keinen Wunsch abschlagen konnte. Sie kannten sich bereits eine halbe Ewigkeit und hatten selbst als sie in den USA gewohnt hatte, regelmäßigen Kontakt zueinander gehabt. Er war auch derjenige, der ihr half sich wieder in Japan zurecht zu finden. Immer wenn sie Schwierigkeiten in der Schule hatte, konnte sie sich an ihn wenden, mit dem Wissen, dass er ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen würde. Er half ihr einfach, wo es nur ging, hörte ihr bei Problemen offen zu und zeigte aufrichtiges Interesse an ihr und ihren komplexen Gefühlswelten. Und auch wenn er kein Mensch der großen Worte war, schaffte er es immer wieder sie zu beruhigen. Manchmal half einfach nur ein intensiver Blick, der ihr vermittelte, dass er sie verstand und ihr beistehen würde. „Du weißt doch, dass ich dir immer helfen würde“, antwortete er nach einer kurzen Weile des Schweigens. „Wirklich?“, erwiderte Mimi erleichtert und konnte sich kaum auf ihrem Sitzplatz halten, als sie ihm plötzlich um den Hals fiel und ihn festdrückte. „Du rettest mir damit echt den Hintern. Ohne dich wäre ich wirklich aufgeschmissen. Danke!“, löste sich herzlich von ihren Lippen, während sie ihm die Luft zum Atmen abschnürte. Er erwiderte ihre Umarmung nur sehr zaghaft, was sie auch nicht anderes von ihm gewohnt war. Izzy war ein sehr introvertierter Mensch. Mimi genau das Gegenteil. „Vielleicht können wir ja wieder eine Lerngruppe machen“, schlug sie begeistert vor, nachdem sie ihn wieder losgelassen hatte. „Du meinst wie letztes Jahr? Vor den Prüfungen?“, hakte er skeptisch nach. „Ja, eigentlich hat das doch ganz gut geklappt“, erinnerte sie sich dunkel. „Aber diese Kaori würde ich echt nicht mehr fragen. Die mit ihrem Besserwisser-Gehabe…das war ja furchtbar und hat die Gruppendynamik voll zerstört.“ „Aber sie war mit die Einzige, die es auch konnte“, führte Izzy ihr vor Augen und schenkte ihr einen eindeutigen Gesichtsausdruck. „Wir können auch nur zu zweit lernen, wenn dir das lieber ist“, ruderte sie zurück und ließ die Schultern hängen. „Ich wollte damit nur sagen, dass es doch ganz lustig war und ich denke, dass es deinem Sozialleben auch guttun würde. Auf Partys gehst du ja schließlich nicht.“ Izzy klappte sofort der Mund auf, als Mimi ihren Satz beendet hatte. „Ich habe sehr wohl ein ausgefülltes Sozialleben! Ich leite den Computerclub, komme regelmäßig zu außerschulischen Veranstaltungen und bei Hanami war ich auch dabei“, rechtfertigte er sich nachdrücklich. Mimi hob nur unbeeindruckt eine Augenbraue an. „Zu den letzten beiden Punkten habe ich dich meistens gezwungen. Sieh‘ es ein! Ohne mich würdest du degenerieren“, entgegnete sie überzeugt und öffnete ihr Bento. „Degenerieren? Du meist wohl desozialisieren und hey! Das stimmt gar nicht!“, widersprach er aufgebracht. Mimi hingegen nahm ihre Essstäbchen und lächelte nur unschuldig. „Natürlich, dieses Jahr werde ich dich bestimmt auch noch dazu bekommen mich auf eine Party zu begleiten“, sie zwinkerte herausfordernd und richtete ihre Essstäbchen auf ihn. „Es wird Zeit mal so richtig auf den Putz zu hauen. Du wirst nicht ewig jung bleiben und solltest anfangen die Erfahrungen des Lebens aufzusaugen.“ „Aufzusaugen?“, hakte er verwirrt nach. „Wie ein Staubsauger?“ Mimis Blick blieb unweigerlich an ihm hängen, als sie ihre lange Mähne schüttelte. „Ja, du solltest dich wirklich langsam ins Leben stützen. Bei dem Wort ‚saugen‘ kommen mir weitaus schmutzigere Dinge in den Sinn, als ein Staubsauger.“ Izzys Gesicht verfärbte sich daraufhin unnatürlich rot, sodass Mimi ihn belustig niederstarrte. „Manchmal bist du echt unmöglich“, brachte er schwerfällig über die Lippen, während sie sich ein Lachen verkneifen musste. „So bin ich nun mal“, flötete sie fröhlich und widmete sich wieder ihrem Essen. _ Nach einem chaotischen ersten Schultag beschlossen Sora und sie noch ein bisschen Zeit zu zweit zu genießen, da sie auch in der Pause nicht viel miteinander reden konnten. Gemeinsam schlenderten sie zuerst ein bisschen durch die Stadt, stöberten durch die Geschäfte und schauten sich nach neuen Frühlingskleidern um. Gekauft hatten sie nichts, beschlossen aber zum krönenden Abschluss ein Eis essen zu gehen. Da es für April schon sehr warm war, hatten die ersten Eisdielen bereits geöffnet, weshalb die beiden Freundinnen die Gelegenheit gleich nutzen und sich einen leckeren Eisbecher gönnten. Gemeinsam ließen sie sich auf einer Parkbank nieder. Mimi hatte sich selbst verständlich ein Schokoladeneis besorgt, weil es ihre Lieblingssorte war, während Sora sich mit Vanille zufriedengab. „Und wie war dein erster Schultag im Abschlussjahr?“, fragte Mimi fröhlich und wartete gespannt darauf, was Sora zu berichten hatte. „Aufregend. Das erste was man gesagt bekommt ist, wann die Abschlussprüfungen stattfinden werden. Danach wurde noch etwas zu den Unibewerbungen gesagt, aber bei mir läuft das Ganze ja sowieso etwas Anderes ab, da ich Schnittmuster, Entwürfe und all das brauche. Hoffentlich gibt mir Frau Tenma eine Empfehlung. Das würde mir echt weiterhelfen“, seufzte sie und löffelte erschöpft ihr Eis. „Ja, das wäre echt hilfreich, aber ich glaube sie wird das sicher machen. Sie ist mit deiner Arbeit doch immer so zufrieden und lobt deine neuen Entwürfe praktisch in den Himmel“, bestätigte Mimi nickend. Bei Frau Tenma hatte Sora im letzten Jahr ein Praktikum in ihrer Schneiderei absolviert. Da sie so zufrieden mit ihrer besten Freundin war, wurde sie prompt für einen Nebenjob übernommen, der kleine Schneiderarbeiten und kreatives Engagement beinhaltete. „Ich hoffe wirklich, dass es langt. Ich möchte nicht wissen, wer sich dort noch alles bewirbt, aber die Modeschule ist mein Traum. Ich möchte nichts Anderes machen“, erwiderte Sora entschieden, während Mimi nachdenklich dreinblickte. Soras Leben war immer sehr strukturiert gewesen. Unplanmäßige Zwischenfälle gehörten nicht dazu. Sie wusste genau wohin sie wollte und versuchte mit viel Ehrgeiz ihren Traum zu erreichen. Mimi hatte diese Eigenschaft schon immer an ihrer Freundin bewundert gehabt. Sie aß einen kleinen Happen ihres Eis und schmeckte wie sich der süßliche Geschmack der Schokolade auf ihrer Zunge ausbreitete. Sora erzählte ihr auch, dass Taichi und sie mal wieder Sitznachbarn waren, während Yamato wieder in der Parallelklasse gelandet war. Mimi hatte hingegen Glück, dieses Schuljahr wieder mit Izzy verbringen zu können, was sie auch im letzten Jahr bereits sehr zu schätzen lernte. „Taichi ist immer noch auf das Sportstipendium fixiert. Er war sogar heute gleich bei Herrn Ichinose gewesen, um sich beraten zu lassen“, stöhnte Sora auf und aß ihr Eis zu Ende. „Er ist eben sehr verbissen, was sowas angeht, auch wenn sein Sinneswandel sehr plötzlich kam“, erwiderte Mimi nur. „Ja, ich hätte nie gedacht, dass er mal was mit Sport machen will. Fußball war immer sein Hobby gewesen, mehr aber auch nicht. Früher wollte er immer Polizist werden“, erinnerte sich Sora dunkel. „Das war doch im Kindergarten“, warf Mimi belustigt ein. Wahrscheinlich wollte damals jeder Junge gerne Polizist werden. „Aber es ist doch toll, wenn man das machen kann, was einem gefällt. Matt will doch auch unbedingt Musik machen“, schloss Mimi begeistert an und löffelte den letzten Bissen ihres Schokoladeneis, bevor sie den Pappbecher in die Tonne beförderte. Soras Gesicht verfinsterte sich augenblicklich und ein leiser Seufzer löste sich gequält von ihren Lippen. „Ja, die Band. Da hängt wirklich sein ganzes Herz dran“, jammerte sie deprimiert. „Aber es ist doch toll, wenn man, indem was man macht aufgeht, oder?“, fragte Mimi voller Naivität. Sie hatte bereits gemerkt, dass die Band für Sora ein Dorn im Auge war. „Für Yamato ist es eine Berufung. Am liebsten würde er die Schule schmeißen und durchs Land touren, aber sowas hat meist kaum eine Perspektive. Und jetzt haben sie auch noch diesen neuen Gitarristen aus Matts Klasse“, sagte Sora und verzog angewidert das Gesicht. „Meinst du Makoto? Aber der ist doch voll nett und sieht dazu noch unfassbar gut aus“, kam Mimi direkt ins Schwärmen und konnte nicht verbergen, dass sie eine kleine Schwäche für Bad Boys hatte. Makoto war erst seit kurzem in der Band und wiederholte das letzte Schuljahr an der Oberschule, was bei vielen schon großes Aufsehen erzeugte. Er war ein kleiner Rebell, der sich von nichts und niemandem etwas gefallen lassen wollte. Auch mit einigen Lehrern hatte er sich bereits angelegt und seine Meinung vor ihnen vertreten, egal ob sie angemessen war, oder auch nicht. Makoto hatte kurze schwarze Haare und hatte ein Piercing, dass seine linke Unterlippe zierte. Seine Augen stachen mit einem dunkeln Grünton deutlich hervor und faszinierten Mimi irgendwie, auch wenn sie kaum ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Dennoch konnte sie Soras Abneigung kein bisschen verstehen. „Naja immer, wenn ich bei der Bandprobe zuschaue, mustert er mich so seltsam. Dabei fühle ich mich immer richtig unwohl. Und Matt bekommt sowas auch nie mit und wenn ich ihm sowas erzähle, ergreift er immer für ihn Partei. Er wäre ein Scheidungskind und hätte es nicht leicht, wie er“, berichtete sie genervt und drehte ihren leeren Eisbecher in der Hand. „Er ist mir irgendwie suspekt und ich glaube er hat auf Matt keinen guten Einfluss.“ „Wie kommst du denn darauf?“, hakte Mimi verwundert nach und riss gespannt die Augen auf. „Seit der Kerl in der Band ist, trinkt und raucht er wieder vermehrt. Und ich glaube Ryota und Juro fühlen sich zurzeit auch nicht sonderlich wohl. Er versucht die Band in eine Richtung zu lenken, die mir einfach nicht gefällt“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Aber vielleicht legt sich das auch wieder. Ich glaube, Matt kann sich da schon durchsetzen“, versuchte Mimi ihre Freundin etwas zu beruhigen, doch ihre angespannte Miene blieb. „Ich liebe seine Musik, aber ich möchte, dass er etwas Anständiges mit seinem Leben anfängt und dass ich auch nach dem Abschluss noch ein Teil davon bin“, flüsterte sie wehmütig und senkte den Kopf, um Mimi nicht ansehen zu müssen. Entsetzt klappte Mimi der Mund auf, da ihre Sorgen plötzlich in einem ganz anderen Licht standen. Sie hatte Angst, dass sie sich auseinanderleben könnten, was sicher nicht unwahrscheinlich war, weil sie unterschiedliche Träume verfolgten. Sora war bodenständig, wollte irgendwann mal eine Familie und einen guten Job finden. Yamato hingehen war ein Träumer, der auch an unrealistischen Phantasievorstellungen festhielt, gerade wenn es um die Band ging. Zaghaft rutschte sie näher an sie heran und legte ihre Hand auf Soras. „Du machst dir ganz sicher zu viele Gedanken. Ihr seid schon so lange zusammen. Ein wahrhaftiges Traumpaar! Er wäre echt dämlich, wenn er all das in den Sand setzen würde.“ Mutlos sah Sora zu ihr und drückte ihren Rücken gegen die Lehne der Parkbank. Sie blinzelte gegen die Sonne und richtete ihren unergründlichen Blick in die Ferne. „Ich könnte mir wirklich vorstellen, dass er sich nach dem Abschluss einfach in den Flieger setzt und sein Glück einfach versuchen will. Ohne darüber richtig nachzudenken und mögliche Konsequenzen miteinzubeziehen.“ „Meinst du wirklich? Aber…“ „Ich glaube, er würde es bereuen, es nie riskiert zu haben“, unterbrach sie sie trübsinnig, als ein leichter Windzug beide erfasste und Mimi klarmachte, dass große Veränderungen auf sie zukommen würden. Ihre Freunde standen vor einem Scheideweg, unsicher wohin sie ihre Entscheidungen noch führen würden. Kapitel 3: Neue Herausforderungen, alte Gegebenheiten ----------------------------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Das ist ja eine unfassbare Auswahl…wie soll ich da nur etwas Passendes bis zum Ende der Woche finden?“, seufzte Yolei theatralisch und rieb sich die Stirn. Die erste Schulwoche hatte bereits den Mittwoch erreicht, sodass nur noch knapp zwei Tage übrigblieben, um sich für eine außerschulische Aktivität einschreiben zu können. Taichi hatte sich für den Fußballverein entschieden und hatte seinen Trainer bereits wegen des Stipendiums aufgesucht, weshalb eine noch größere Last auf seinen Schultern ruhte. Herr Ichinose war nicht bemüht, die Tatsachen zu beschönigen, sondern sagte Taichi das, was er eigentlich gar nicht hören wollte. „Das wird sicher kein Zuckerschlecken! Ich hoffe, du weißt, auf was du dich da einlässt“, waren seine Worte gewesen, die seine Euphorie dämmten und ihm aufzeigten, dass er wohl noch härter trainieren musste als er es ohnehin schon tat. Wer brauchte schon Freizeit? Die wurde sicher sowieso nur überbewertet. Ein leises Stöhnen löste sich von seinen Lippen als er niedergeschlagen auf sein Essen stierte. Der Appetit war ihm vergangen, was nur in seltenen Fällen passierte. Doch die Anspannung und der Druck stiegen von Sekunde zu Sekunde. Während sich die Mädchen angeregt über die Freizeitangebote ihrer Schule unterhielten, versuchte er sich angestrengt auf sein Essen zu konzentrieren, auch wenn er mehr darin herumrührte, statt etwas zu sich zu nehmen. „Ist alles gut bei dir?“, fragte Yamato plötzlich, der direkt neben ihm saß und einen besorgten Blick aufgesetzt hatte. Er kannte es nicht von ihm, dass er sein Essen verschmähte, weshalb er nur ein sachtes Nicken zu Stande brachte und widerwillig weiter aß, wohlwissend, dass Yamatos Blicke auf seiner Haut brannten. Halbherzig spitzte er die Ohren und verfolgte eher beiläufig das Gespräch der Mädchen, die immer noch zu keiner Entscheidung gekommen waren. „Warst du in der Mittelschule nicht im Computerverein? Vielleicht wäre das ja wieder was für dich und Izzy leitet ihn sogar“, fragte Mimi auf einmal und warf sofort einen Blick zu Koushiro, der ein unbeholfenes Lächeln aufsetzte. Yolei betrachtete ihn nachdenklich und ließ stöhnend die Schultern hängen, während sie den Kopf schüttelte. „Ich wollte unbedingt mal etwas Anderes ausprobieren. Mama denkt schon, sie hätte einen zweiten Sohn“, seufzte sie und fuhr sich durch ihre langen Haare, die kraftlos nach unten hingen. „Wie wäre es, wenn du einfach mit mir gemeinsam in den Kochverein gehst? Frau Ito ist wirklich toll und du lernst so viele leckere Rezepte“, erzählte Mimi ihr mit einem Leuchten in ihren Augen. Taichi musste grinsen, wenn er sie so enthusiastisch sah. Wenn Mimi für eine Sache brannte, konnte man ihr diese Leidenschaft in ihren Augen ablesen. Kochen war eine dieser Leidenschaften, mit dem sie gerne herumexperimentierte und ihren Freunden etwas Gutes damit tat. Taichi konnte nämlich nicht leugnen, dass sie das Kochen nicht beherrschte. Sie war bei weitem besser als seine Mutter, was jedoch keine große Kunst war. „Oh ja! Ich wäre auch dafür“, stimmte er ebenfalls mit ein und ließ zu, dass sich ein breites Lächeln auf seine Lippen legte. „Ich kann ein paar gute Köchinnen gebrauchen, die mich fleißig bekochen. Für das Stipendium brauche ich sämtliche Energiereserven.“ Skeptisch legte Mimi den Kopf schräg, als ein kurzer Blickwechsel mit Yolei folgte, die ebenfalls empört dreinblickte. „Deine Köchinnen? Wo sind wir denn? Im Mittelalter? Bei dir stehen die Frauen wohl immer noch brav hinter dem Herd…noch nie etwas von Gleichberechtigung gehört?“, pfefferte Mimi Taichi sofort an den Kopf. Er konnte gerade noch unterdrücken seine Augen nicht zu verdrehen. War ja klar, dass sie es mal wieder in den falschen Hals bekam. „Naja, also eine Frau sollte schon gut kochen können, oder was meint ihr?“, er wandte sich hilfesuchend an Koushiro und Matt, um eine Bestätigung von ihnen zu erhalten. Matt kaute ein wenig lustlos auf dem trockenen Reis herum und stützte sein Kinn lässig auf seiner Handfläche ab. „Also da ich auch schon oft gekocht habe, bin ich auch dafür, dass man das aufteilen kann. Die alten Rollenbilder sind wirklich von gestern“, erwiderte er nur und richtete seinen Blick zu Sora, die heute ausnahmsweise neben Taichi saß. „Ich würde es auch schön finden, wenn meine Frau erfolgreich wäre. Dann kann ich nämlich mit ihr angeben.“ Er grinste und auf Soras Wangen legte sich ein zarter Rotschimmer, während Tai den Drang des Augenverdrehens zuließ und nicht fassen konnte, dass sein bester Freund ihm in den Rücken fiel. Koushiro hielt sich dezent zurück und warf ihm ein unsicheres Lächeln zu. „In eurer Beziehung hast du auch ganz sicher nicht die Hosen an“, murmelte er halblaut, sodass Matt es gerade noch hören konnte. Prompt gab er Taichi einen kräftigen Stoß in die Rippen, sodass er schmerzhaft aufkeuchen musste. „Das geschieht dir echt recht. Du solltest wirklich mal lernen, dass wir Frauen das stärkere Geschlecht sind und es nicht nötig haben, euer Ego brav zu streicheln“, kam es direkt von Mimi, die ihn überheblich und siegessicher niederstarrte. „Manchmal bist du echt eine wahrhaftige Hexe, weißt du das? Hast du denn gar kein bisschen Mitleid mit mir?“ „Sollte ich das etwa haben?“, stellte sie die Gegenfrage und setzte eine Unschuldsmiene auf. Gerade als er wieder kontern wollte, fiel Sora ihm ins Wort und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Yolei, die immer noch hilflos auf ihr Anmeldeformular sah und die Diskussion der beiden Streithähne scheinbar gar nicht richtig verfolgte. „Nimm einfach den Kochkurs. Sport ist doch auch nicht so dein Ding und dort kennst du auch bereits Mimi, die dich ein bisschen an die Hand nehmen und dich durch die erste Zeit sicher hindurchführen wird“, beruhigte Sora sie einfühlsam und legte ihre Hand behutsam auf Yoleis ab. „Genau, wir beide bekommen das schon hin“, stimmte Mimi mit ein und lächelte milde. „Naja, da wäre ich mir nicht so sicher. Hat letztes Jahr nicht die halbe Küche gebrannt, weil du...aua“, Taichi unterbrach seine Erzählung abrupt, als ihn ein plötzlicher Schmerz am Schienbein erfasste und sich rasend schnell ausbreitete. Mimi warf ihm einen mahnenden Blick zu und signalisierte ihm so die Klappe zu halten. Behutsam fuhr er mit der Hand zu seinem Bein und strich vorsichtig darüber, während der Schmerz langsam abklang und er seine Schlagfertigkeit wiedererlangte. „Also echt…manchmal zeigst du deine Zuneigung wirklich auf eine ungewöhnliche Art und Weise“, gab er von sich und tätschelte immer noch ein wenig über sein Schienbein, als der Rest in heiterem Gelächter ausbrach. Verdutzt blickte er in die kleine Runde und konnte sich nach wenigen Sekunden selbst nicht mehr beherrschen und stimmte fröhlich mit ein. Denn das war genau das, was er brauchte. Ein Stückchen Unbeschwertheit, die sein Leben für den Moment federleicht wirken ließ. _ Erschöpft schloss er die Tür zu seiner Wohnung auf, als ein leichter Geruch von gebratenem Gemüse in seine Nase stieg. Schnell zog er die Schuhe aus und ließ seine Tasche vor seiner Zimmertüre stehen. Er lockerte die Krawatte seiner Schuluniform etwas und zog das Jackett aus, um es über die Stuhllehne zu hängen. In der Küche stand seine kleine Schwester, die ebenfalls noch ihre Uniform trug und wohl selbst erst vor kurzem erst nach Hause gekommen war. „Hat das Mama vorbereitet?“, fragte er skeptisch und schritt auf sie zu, um zwei Teller und Besteck zu holen. „Sie hat nur das Gemüse kleingeschnitten, den Rest habe ich gemacht“, verkündete sie stolz und rührte in ihrer selbstgemachten Currysoße, die vorzüglich duftete. Tai grinste leicht und war ein bisschen erleichtert, heute mal etwas Frisches zum Abendessen zu bekommen. Die Fertignudeln standen ihm bis zum Hals und er konnte sich einfach nicht mit ihnen anfreunden, da alle Sorten einfach nur gleich schmeckten. Er holte die Teller aus dem Schrank und zog die Schublade auf, um auch die Essstäbchen hervorzuholen. Mit einer geschickten Handbewegung nahm er sie auf und brachte sie gemeinsam mit den Tellern zum Tisch, um ihn einzudecken. „Papa macht heute wieder Überstunden, oder?“, fragte Taichi bedrückt, kurz bevor er sich auf seinen Platz setzte. Kari rührte noch immer in der Pfanne und schien anfangs gar nicht zu reagieren, als sich ein leises „Ja“ über ihre Lippen schlich. „Und Mama hat heute wieder Nachtschicht im Krankenhaus?“ „Das hat sie dir doch heute Morgen erzählt!“, antwortete sie leicht bissig, schnappte sich den Topf und goss den fertigen Reis ab. „Was ist denn los? Du bist so komisch“, stellte er fest und verschränkte wissend die Arme vor der Brust. Er senkte seinen Blick und presste die Lippen fest aufeinander. „Die Präsentation ist nicht gut gelaufen, oder?“ „Nein…“, erwiderte sie einsilbig und stellte die Schüssel Reis mit einem Topflappen auf den Tisch. „Er ist also gar nicht mehr bei der Arbeit, richtig?“ Kari antwortete nicht, sondern riss eine Schublade unsanft auf und suchte nach etwas. Als sie den Topfwärmer gefunden hatte, stellte sie ihn ruppig auf den Tisch, um die heiße Pfannen darauf platzieren zu können, doch bevor sie wieder zurück in die Küche verschwinden konnte, hatte Taichi sie bereits am Arm gepackt und hinderte sie am Weitergehen. „Man, was soll das? Lass mich wieder los!“, giftete sie, sah aber partout in die andere Richtung. „Hat er wieder etwas getrunken?“ Abrupt riss sich Kari von ihm los und fixierte ihn mit einem herzergreifenden Blick, der sich mit Tränen füllte. „Natürlich hat er etwas getrunken. Schon als ich vorhin nach Hause kam, war er völlig zu gewesen und ist schwankend die Treppe runtergestiegen als sein Bier leer war.“ „Was?“, brachte er entsetzt hervor. Es war nicht ungewöhnlich, dass sein Vater nach Feierabend ein, zwei Bier trank, doch mittlerweile wurden aus zwei Dosen immer mehr. „Weißt du wo er hingegangen ist?“ Kari zuckte nur hilflos mit den Schultern und wischte sich über ihre nasse Augenpartie, während in Taichi die Wut hinaufkroch und sich als Kloß in seinem Hals festsetzte. So konnte es doch nicht weitergehen?! Seine Mutter war extra in ihren alten Beruf als Krankenschwester zurückgekehrt, um ihre Familie zu unterstützen und dann gab er das Geld, dass sie nicht hatten, auch noch für teuren Alkohol aus? Wie passte das nur zusammen? Konnte er nicht erkennen, dass er damit alles schlimmer machte? Ein leises Wimmern riss ihn aus seinen Gedankengängen als er sich plötzlich wieder in der Realität vorfand, mit seiner Schwester, die stumme Tränen vor sich hin weinte. Hikari nahm die ganze Sache wohl am meisten mit, auch wenn sie es niemals zugeben würde und auch jetzt noch versuchte, die Tränen vor Taichi zu verbergen. Sie war schon immer ein starkes Mädchen gewesen und wollte keinem zur Last fallen, vergaß sich dabei aber auch oftmals selbst. Angespannt kaute Taichi auf seiner Unterlippe herum und überlegte fieberhaft, wie er sie nur aufheiternd konnte. Behutsam legte er seine Hände auf ihren Schultern ab und brachte sie dazu ihn anzusehen. Ihre Augen waren etwas rot und einzelne Tränen liefen ihr die Wangen hinunter, die Taichi allerdings mit seinem Daumen abfing und wegwischte. „Ich denke, wir sollten jetzt erstmal essen. Im Moment können wir eh nichts tun, weil wir nicht wissen, wo er hingegangen ist. Wenn er wieder da ist und seinen Rausch ausgeschlafen hat, werde ich mit ihm reden, versprochen!“ „Das willst du machen? Tai, ich weiß nicht…“ „Überlass‘ das nur mir“, unterbrach er sie und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Ich bekomme, dass schon hin.“ Kapitel 4: Passionierte Begabungen ---------------------------------- ♥ Mimi ♥ Gelangweilt saß sie an ihrem Platz und starrte geistesabwesend aus dem Fenster während Herr Kudo mit der Klasse die Polynomdivision aus dem vorherigen Schuljahr wiederholte, um sicher zu gehen, dass sich alle auf dem gleichen Stand befanden. Mimi hatte von Mathe noch nie sonderlich viel Ahnung gehabt und hatte Schwierigkeiten den Schritten ihres Lehrers zu folgen, weshalb sie meistens abschaltete. Die erste Schulwoche hatte Mimi bereits erfolgreich hinter sich gebracht und sie freute sich darauf, dass auch ab dieser Woche die außerschulischen Aktivitäten wieder beginnen würden. Sie war gedanklich bereits im Kochkurs, den ihre Lieblingslehrerin Frau Ito immer montags und donnerstags leitete. Sie hatte sie auch in Englisch – einem Fach in dem sie sich deutlich wohler fühlte als hier. Mit Sprachen fühlte sie sich generell vertrauter, da sie sie schneller lernte als irgendwelche Formeln, die für sie nie einen Sinn ergaben und sie meist noch mehr verwirrten. Vielleicht waren Naturwissenschaften auch einfach nicht ihr Ding, da ihre Talente in anderen Sparten lagen. Mimi wusste ziemlich genau für was sie sich interessierte: Hübsche Mode, leckeres Essen, gutaussehende Jungs, die ihr gut und gerne mal den Kopf verdrehten. Zurzeit hatte es ihr der neue Gitarrist aus Yamatos Band angetan, der sie mit seiner undurchschaubaren Art sehr faszinierte. Sein lässiges Auftreten, der ungewöhnliche aber rockige Klamottenstil, das Düstere und Geheimnisvolle, was ihn umgab…all das hatte Wirkung auf Mimi, weshalb sie ihn unbedingt ein bisschen näher kennen lernen wollte. Auch wenn Sora ihn als unsympathisch und schlechten Einfluss abgestempelt hatte, wollte sich Mimi ein eigenes Bild von Makoto machen. Dass Yamato sie am Wochenende auf ein Konzert eingeladen hatte, passte ihr deswegen natürlich bestens in den Kram. Vielleicht schaffte sie es ja ein wenig seine Aufmerksamkeit zu erwecken. Das passende Outfit hatte sie sich bereits überlegt. Ein leichter Druck gegen ihren Arm riss sie plötzlich aus ihren Gedankengängen als sie mit dem Kopf herumwirbelte und Izzy fragend musterte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass auch Herr Kudo einen auffordernden Blick aufgelegt hatte und wartend die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Hilflos starrte sie zu Izzy, so als würde sie versuchen telepathischen Kontakt mit ihm aufzunehmen, um herauszufinden, was Herr Kudo von ihr wollte. Doch Izzy sah immer wieder zur Tafel und versuchte sie auf die ungelöste Aufgabe zu lenken, während es Mimi ganz heiß wurde. „Ich habe gerade nicht aufgepasst“, gab sie beschämt zu und senkte betroffen den Kopf. „Das habe ich gemerkt! Ich glaube nicht, dass du dir in Mathe sowas leisten kannst!“, ermahnte Herr Kudo sie streng und warf die Frage erneut in den Raum. Mit knallroten Wangen und dem Gefühl vor der Klasse bloßgestellt geworden zu sein, hob Mimi betreten den Kopf an und sah wie Herr Kudo prompt seine Lieblingsschülerin Kaori drannahm, die wiederrum wild mit mathematischen Bezeichnungen um sich warf, sodass sich ein leises Stöhnen durch die Klasse zog. Ohne sich beirren zu lassen, führte Kaori die Polynomdivision durch, sagte welche Werte wie geteilt wurden und präsentierte nach wenigen Minuten ganz stolz ihr errechnetes Ergebnis, das selbstverständlich richtig war. Mit einem überheblich wirkenden Grinsen kassierte sie das Lob von Herrn Kudo, was Mimi nur dazu brachte, die Augen zu verdrehen. Sie mochte es ganz und gar nicht, wenn sich jemand für etwas Besseres hielt, nur, weil er gut in der Schule war. Und diese Kaori dachte auch, sie hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen, weshalb Mimi nur ungern mit ihr zusammenarbeitete. Sie hoffte wirklich, dass sie mit ihr nicht das Sozialkundeprojekt machen musste, da die Gruppen meist zugelost wurden und sie mit einer Perfektionistin wie ihr einfach nicht zurechtkam. Sie konnte nur hoffen, dass sie in eine Gruppe kam, die ihren Wünschen entsprach. Schließlich ging es auch um ihre Note und die wollte sie sich von keinem versauen lassen. _ „Herzlich Willkommen im diesjährigen Kochkurs“, begrüßte Frau Ito die muntere Klasse und schrieb ihren Namen an die Tafel. Die Kreide kratzte leicht über die raue Oberfläche, sodass ein schrilles Quietschen zu hören war. Mimi hasste dieses Geräusch und bemerkte eine sofortige Gänsehaut, die sich über ihren Körper legte. „So, beginnen wir erstmal mit einer kleinen Sicherheitseinführung“, stieg sie ein, nachdem sie ihren Namen in geschwungenen Buchstaben an die Tafel gebracht hatte. In einer beruhigenden Stimme erklärte sie, wie die technischen Geräte der Küche funktionierten und was man bei ihnen beachten musste. Da die Schulküche nur heißes Wasser hatte, wenn man den Boiler unter den jeweiligen Theken einschaltete, erwähnte sie, dass man immer kurz, bevor man mit Kochen begann, auch dort einen Blick darauflegen sollte. Am Ende sollte darauf geachtet werden, dass er auch wieder ausgeschaltete wird, um Energie zu sparen. Frau Ito zeigte auch kurz den Verbandskasten, indem sich Desinfektionsmittel, Mullbilden und Pflaster befanden, wenn man sich verletzte. Auch Mimi hatte sich im letzten Jahr in den Finger geschnitten, was nicht sonderlich wehtat, aber dennoch fürchterlich blutete. Des Weiteren erklärte sie, wie sie die Kochstunden aufbauen wollte. Wie im letzten Jahr bestanden die Stunden aus einem Theorie- und einem anschließenden Praxisteil, indem sie die gelernten Rezepte umsetzen wollten. Mimi hatte alles brav notiert und richtete einen kurzen Blick zu Yolei, die ganz fasziniert zu Frau Ito blickte und förmlich an ihren Lippen hing. Mimi konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, da sie sich vorstellen konnte, dass viele Eindrücke auf sie niederprasselten. In der ersten Stunde gab es meist viele Informationen, die oftmals sehr erschlagend wirken konnten. Aber auch die Rezepte wurden dort erstmals vorgestellt und in einer Mappe, die Mimi wie einen Schatz hüten wollte, verteilt. Sie wurde schon ganz hibbelig, wenn sie daran dachte, was sie alles bereits gelernt hatte. Mittlerweile war sie sogar richtig geschickt und schreckte auch nicht davor zurück ein paar neue Dinge auszuprobieren. Besonders die französische Küche hatte es ihr angetan, weil sie viele Leckereien verbarg, die in Japan eher unüblich waren. Manchmal war es zwar schwer an die passenden Zutaten heran zu kommen, aber meist schaffte Mimi es mit etwas Kreativität ihre Gerichte anzupassen. „Wow, sie ist echt unglaublich motiviert“, flüsterte Yolei ihr anerkennend zu und hatte immer noch ihre Augen auf Frau Ito gerichtet. „Ich glaube, sie wollte auch ursprünglich mal Köchin werden“, erinnerte sich Mimi dunkel, konnte sich aber nicht erklären, warum sie sich letztlich doch dazu entschieden hatte, Lehrerin zu werden. Man spürte, dass das Kochen sie mit Leidenschaft erfüllte und ihr Spaß bereitete. „Okay, ich werde dann mal unsere Rezepte verteilen. Ich habe mir schon spannende Leckereien ausgedacht, die wir auch alle schön nachkochen werden“, kündigte sie freudig an. Mit einem Lächeln auf den Lippen holte sie die bunten Helfer aus einer alten Stofftasche hervor und verteilte sie großzügig an ihre begeisterten Schüler. Auch Mimi konnte es kaum erwarten sich ihren Hefter genauer betrachten zu dürfen. Gespannt nahm sie ihn entgegen und freute sich jetzt schon auf die Zeit, die ihr bevorstand. _ „Und wir machen so viele französische Spezialitäten! Crème Brûlée, Mousse au Chocolat und sogar Ratatouille“, schwärmte sie mit einem Funkeln in den Augen und vergaß völlig, dass ihre Pizza kalt wurde, die ihr Vater nach der Arbeit für alle mitgebracht hatte. „Das wird so toll und nach dem Kurs könnte ich sicher ein einiges Restaurant eröffnen“, meinte sie selbstsicher, nahm ein Stück Pizza in die Hand und biss einen Happen ab. Sie war wirklich schon etwas kalt geworden, aber das machte Mimi nichts aus, da sie völlig von ihrer Euphorie gepackt wurde, die sich in einem Redeschwall äußerte. Sie befanden sich gerade beim Abendessen, doch Mimi kam einfach nicht zur Ruhe, redete ohne Punkt und Komma während ihre Eltern ihr gespannt zuhörten. Ihr Vater sah heute besonders müde aus, blinzelte angestrengt und versuchte partout nicht vor ihr zu gähnen, was ihm sehr schwer fiel. Ihre Mutter hingegen hatte ein begeistertes Lächeln aufgesetzt und folgte gespannt den Erzählungen ihrer Tochter, so wie sie es immer tat. „Vielleicht kann ich für uns mal ein ganzes Menü zaubern“, schlug sie begeistert vor und hob die Hände. „Angefangen mit einer extravaganten Vorspeise, über einen deliziösen Hauptgang, bis hin zu einer krönenden Nachspeise mit viel Sahne.“ In Gedanken malte sie sich schon das perfekte fünf Sterne Menü aus und überlegte zu welcher Gelegenheit sie es servieren könnte. Vielleicht zu Weihnachten? Nein, das war noch viel zu lang hin und sie wollte am liebsten sofort loslegen. Bestimmt würde sie schon eine Gelegenheit finden. „Pass‘ aber auf, dass du nicht schon wieder die Küche in Brand setzt“, ermahnte ihr Vater sie grinsend und spielte auf einen Vorfall im vergangenen Jahr an, der sie wohl ihr ganzes Leben verfolgen würde. Genervt verdrehte sie die Augen und knabberte resigniert an ihrem Stück Pizza. Der herzhafte Käse schmolz in ihrem Mund nur so dahin und die würzige Peperoniwurst gab dem Ganzen genügend Pfeffer, sodass sie genüsslich ihre Lider schloss und ganz im Rausch des Essens versank und gar nicht weiter auf ihren Vater einging. Schließlich konnte es jedem Mal passieren, dass Öl zu heiß wurde. Auch sie hatte dazugelernt und wusste, dass man es niemals mit Wasser löschen sollte, wenn es einen Brand entfachte. „Zieh‘ sie doch nicht immer so auf Keisuke“, mischte sich nun auch ihre Mutter ein und legte ein mildes Lächeln auf. „Sie lernt doch noch und solange sie Spaß dabei hat.“ „Spaß ist wirklich schön und gut, aber du solltest dir auch langsam Gedanken machen, was du nach der Schule studieren möchtest“, warf er ein und spielte mal wieder ein Thema an, dass sie nicht mehr hören konnte. „Ich habe doch ein bisschen Zeit“, rechtfertigte sie sich und versuchte nicht allzu genervt zu wirken. Denn Mimi hatte dieses Thema mehr als nur satt. Immer wieder fragte ihr Vater nach ihrer Zukunft, in der Hoffnung sie würde ihm endlich die Antwort geben, die er hören wollte. Seit ihr Vater in dem Unternehmen ihrer Großeltern arbeitete und eine Führungsposition übernommen hatte, träumte er davon, dass Mimi irgendwann in seine Fußstapfen treten würde. Doch Mimi hatte keinerlei Interesse an Werbung, Marketing und dem betriebswirtschaftlichen Geschehen. Viel mehr wollte sie einmal einen Beruf ausüben, der ihr Spaß machte, ihre Kreativität ausschöpfte und sie völlig erfüllte. „Ach Mimi, schieb doch nicht immer alles auf! Ich habe sogar letztens mit Akio darüber gesprochen. Er meinte, du könntest sogar eine Ausbildung über die Firma machen, das wäre doch super!“, unterbreitete er ihr freudig, während Mimi der Appetit plötzlich verging. Auch ihre Mutter wurde ungewöhnlich ruhig und musterte ihren Vater skeptisch von der Seite, während Mimi frustriert ihren halbvollen Teller beiseiteschob. „Ist doch meine Sache oder?“ „Selbstverständlich“, ruderte ihr Vater etwas zurück als er bemerkte, dass sie auf stur schaltete. „Es ist nur eine Option, die du im Auge behalten solltest.“ „Klar“, presste sie zischend über ihre Lippen und starrte an die Wand, an der ihre Familienfotos hingen. Ein Hauch Wehmut schwang mit als sie die Bilder betrachtete und feststellte, dass sich schon einiges verändert hatte, seit sie wieder in Japan wohnten. Ihr Vater schien in der Rolle als Businessmann aufzugehen, verbrachte oftmals mehr Zeit in der Firma als zu Hause, was nicht nur sie störte. Auch ihre Mutter musste sehr zurückstecken, verbrachte viele Abende alleine auf der Couch und bemühte sich sehr die perfekte Ehefrau zu mimen, auch wenn Mimi die Spannungen zwischen ihrer Mutter und ihrer eigenen Familie durchaus bemerkt hatte. Sie stand ihrer Großmutter nie sonderlich nah, hatte eher ein distanzierteres Verhältnis zu ihr, während Mimi ihr Liebling war, was auch daran lag, dass sie ihr einziges Enkelkind war. Ihr Onkel Akio und seine Frau hatten nämlich keine Kinder, lebten deswegen nur für die Karriere, was wohl auch auf ihren Vater abzufärben schien. Denn Mimi liebte ihr unbekümmertes Familienleben, die dämlichen Witze am Mittagstisch und die spontanen und oftmals peinlichen Liebesbekundungen ihrer Eltern. Doch etwas lag in der Luft, auch wenn sie nicht klar erkennen konnte, was es war. Ihr Blick huschte zu ihrer Mutter, die betrübt dem Gespräch ihres Vaters folgte, dass sich mal wieder nur um die Firma drehte und eine angespannte Atmosphäre in der Luft hinterließ. Ein Auge hatte sie jedoch stets aus Mimi gerichtet, die immer noch ihren Teller mit Pizza verschmähte. Von einem schlechten Gewissen getrieben, aß sie langsam weiter, auch wenn sie es einfach nicht mehr hören konnte, welche Erfolgschancen sie haben könnte, wenn sie sich für einen vorbestimmten Weg entschied, den ihr Vater ihr praktisch vorgepflastert hatte. Sie wollte ihre eigenen Entscheidungen treffen. Mit allem, was dazu gehörte. Kapitel 5: Nachtschwärmer ------------------------- ♥ Taichi ♥ Erschöpft lehnte er sich gegen die kühle Fliesenwand und bettete seine Stirn dagegen. Seine Faust drückte gegen die glatte Fläche, während von oben das warme Wasser auf ihn niederprasselte. Noch nie in seinem Leben hatte er sich nach dem Training so erschöpft und ausgelaugt gefühlt, wie heute. Seit Herr Ichinose wusste, dass er sich für das Stipendium interessierte, schien es Taichi so als würde er ihn absichtlich an seine Grenzen treiben. Ihn anzuspornen, auch nach kompletter Erschöpfung noch weiterzumachen, um über sich hinauszuwachsen. Das Problem an der ganzen Sache war, das Taichi es nicht gewohnt war. Das Tempo wurde zu schnell angezogen und schon nach der zweiten Trainingseinheit konnte er nicht mehr. Er war sogar extra früher gekommen und nach dem Training länger geblieben, um seine eigene Kondition durch Sprints zu verbessern. Leider hatte er sich völlig übernommen, sodass er mit schmerzenden Beinen zur Umkleidekabine humpeln musste. Das Sora ihn auch heute ausgerechnet noch überredet hatte ein Konzert von Matt zu besuchen, passte ihm so gar nicht in den Kram. Am liebsten wollte er ins Bett fallen und sich keinen Zentimeter mehr bewegen, doch, wenn er einmal etwas versprochen hatte, wollte er sich auch daranhalten. Es war schon länger her, seit Tai Yamato das letzte Mal auf der Bühne gesehen hatte. Im letzten Jahr hatte Akira aufgrund musikalischer Differenzen die Band verlassen. Er war der einzige, der schon bei den Teenage Wolves mit von der Partie war und auch bei Knife of Day fest dazugehörte. Es hatte Matt hart getroffen als Akira verkündete, dass er der Band den Rücken zuwenden wollte, was er letztlich auch getan hatte. Es dauerte mehrere Monate bis sie einen Ersatz aufgetrieben hatten und Taichi konnte nicht behaupten, dass ihm dieser Typ Geheuer war. An Makoto gab es viele Dinge, die ihn störten, auch wenn er gar nicht genau beschreiben konnte, was es war. Vielleicht hatte Sora ihn auch einfach etwas aufgestachelt, da sie sich in letzter Zeit oft über die Eskapaden ihres Freundes bei ihm ausheulte. Zwar befanden sie sich schnell wieder auf Wolke sieben und mimten das Traumpaar, das jeder neidvoll von der Seite betrachtete, doch die Beziehung hatte deutliche Risse, die sich manchmal auch auf ihn auswirken. Oft stand er zwischen den Stühlen, da er sich auf keine Seite schlagen wollte, aber natürlich ein offenes Ohr für seine beiden besten Freunde hatte. Während Matts Wunsch, in der Musik endlich den Durchbruch zu schaffen, immer lauter wurde, wollte Sora Beständigkeit, in ihrem eigenen Leben Fuß fassen, um es sich aufbauen zu können. Gemeinsam mit Matt. Er war sich nicht sicher, ob beide wussten, dass sie zurzeit unterschiedliche Wünsche hegten, aber er sah sich auch nicht in der Position, ihnen irgendwelche Beziehungsratschläge zu erteilen. Er selbst hatte noch keine erfolgreiche Beziehung aufweisen können. Die meisten Liebschaften waren kurzweilig. Vergänglich. Nicht einprägsam. Ihm fehlte dieses gewisse Etwas, das seinen ganzen Körper erfüllte und zum Beben brachte. Eine winzige Berührung, die alles auf den Kopf stellte und seine eigene Sehnsucht ins Unermessliche trieb. Bisher hatte er solche Gefühle nur bei einer einzigen Person verspürt. Und er müsste lügen, wenn er sie nicht immer noch verspüren würde, auch wenn er sich das Gegenteil einredete. Gedankenverloren presste er die Lippen aufeinander als er die Dusche abstellte und sich erschöpft über seine Augen rieb. Die Wassertropfen perlten auf seiner sonnengebräunten Haut ab als er sein Handtuch ergriff und sich grob über seinen müden Körper fuhr. Als er fertig war, schlang er es sich um die Hüfte und stieg schwerfällig aus der Dusche, um sich anzuziehen. _ Gelangweilt stand er am Bühnenrand und hielt sein kühles Bier in Händen, während die Menge lauthals mitgrölte und bei jedem Ton, den sein bester Freund ins Mikro schmetterte, kurz vor dem Ausrasten stand. Er kannte die Lieder mittlerweile in und auswendig, sodass es für ihn schlicht und ergreifend kein besonderes Erlebnis mehr war. Der einzige Vorteil mit dem Sänger einer Band befreundet zu sein war der vergünstigte Eintritt. Nur sehr halbherzig wippte er im Takt mit, während Mimi ihre langen Haare mitschwang und jedes einzelne Lied mitträllerte. Sie hob die Hände in die Lüfte, hüpfte umher und krallte sich an Soras Arm fest, die ihr jedoch einen lustlosen Blick schenkte, den Mimi allerdings zu ignorieren schien. „Man Sora, jetzt mach doch mal mit“, tadelte sie sie kaum hörbar und blieb plötzlich stehen als sie auch Tai mit einem eindeutigen Gesichtsausdruck fixierte. „Was denn? Ich kann nicht tanzen“, murrte er und nippte augenverdrehend an seiner Flasche. „Ach kommt schon, seid‘ doch nicht solche Langweiler. Izzy wollte auch nicht mitkommen und ihr lasst mich hier voll hängen! Matt zählt doch auf uns“, erwiderte sie theatralisch und richtete den Blick zur Bühne. Doch Matt schien es gar nicht zu interessieren, ob seine Freunde nun mitmachten oder nicht. Taichi war sich noch nicht mal sicher, ob er sie überhaupt schon gesehen hatte. „Mensch, mit euch ist auch nichts los! Wo habt ihr nur eure gute Laune gelassen?“, hakte Mimi entrüstet nach und verschränkte die Arme vor der Brust. „Im Gegensatz zu dir waren wir gefühlt tausend Mal auf seinem Konzert gewesen. Irgendwann ist der Wow-Effekt verflogen“, konterte Taichi nur, während Sora betrübt zur Bühne sah. Etwas beschäftigte sie. Das konnte Taichi mit einem Blick erkennen. Sie hatte ihn auch regelrecht dazu genötigt gehabt mitzukommen, obwohl Mimi ihr bereits zugesagt hatte. Doch die Dringlichkeit war aus ihrer Stimme praktisch herauszuhören, weshalb Tai ihr auch nicht abgesagt hatte. Ihm fiel es zwar immer noch sehr schwer seinen müden Muskel aufrecht zu erhalten, doch er spürte, dass hier etwas im Argen lag. „Tut mir leid, dass ich erst seit einem Jahr wieder hier wohne“, zischte sie schnippisch und brachte ihn wieder zurück in die Realität. „Vielleicht solltest du einfach mal dein Bier wegstellen und deine Hüften bewegen.“ „Vielleicht solltest du einfach mal akzeptieren, dass nicht jeder nach deiner Pfeife tanzt.“ Empört klappte ihr der Mund auf, da sie ihn trotz der lauten Musik sehr wohl verstanden hatte. „Vielleicht solltest du mal ein bisschen lockerer werden und endlich den Stock aus…“ „Okay, es langt jetzt mal! Ihr könnt euch wann anders wie ein altes Ehepaar aufführen“, unterbrach Sora die Zankereien mit einem genervten Unterton und versuchte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne zu lenken. „Wir führen uns ganz sicher nicht wie ein altes Ehepaar auf“, brüllten beide synchron und schenkten sich jeweils einen abschätzigen Blick, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. „Natürlich nicht. Verleugnet ruhig weiter die offensichtlichen Tatsachen“, kommentierte sie wissend und warf beiden einen überlegenen Augenaufschlag zu, der sie zum Schweigen brachte. Sein Puls beschleunigte sich augenblicklich als ihn das Gefühl beschlich, dass seine beste Freundin ihn mal wieder durchschaut hatte. Natürlich merkte auch er, dass zwischen ihnen meist immer etwas in der Luft lag. Bei ihrer Vergangenheit war das allerdings auch kein Wunder. Er wandte sich Mimi zu, die ebenfalls peinlich berührt zu Bühne starrte und sich partout auf etwas Anderes konzentrieren wollte. Die Musik dröhnte noch immer in seinen Ohren und der Bass hämmerte in seinem Bauch als er sie unbemerkt zu mustern begann. Auch wenn er direkt neben Sora stand, hatte er einen guten Blick auf sie. Wie immer trug sie ihre langen Haare offen und hatte ein filigranes Haarband auf ihrem Kopf befestigt, dass zu ihrem engen pinken Top und dem schwarzen Lederrock passte, der seinen Atem ganz schön zum Stocken brachte. Er presste die Lippen fest aufeinander als er länger, wie er eigentlich sollte, auf ihren wohlgeformten Hintern blickte. Wie gerne würde er… Gott, nein, was dachte er hier nur bloß? Er sollte sich wirklich beherrschen, auch wenn das Blut durch seinen Körper pulsierte und sich bereits auf seinen rötlich schimmerten Wangen ausbreitete. Doch diese Sehnsucht, die er oftmals in ihrer Nähe empfand, konnte er einfach nicht mehr abstellen, egal wie sehr er es auch versuchte. _ Knife of Day spielte über eine Stunde, bevor sie sich auch endlich zu ihnen gesellten und der Abend feucht fröhlich weiterging. Yamato hatte allen etwas zu trinken ausgegeben, um diesen erfolgreichen Auftritt gebührend feiern zu können. Gemeinsam hatten sie sich im angrenzenden Barbereich niedergelassen und unterhielten sich locker. Taichi saß zwischen Ryota und Juro, die eineiige Zwillinge waren und dessen Ähnlichkeit ihn jedes Mal aufs Neue verblüffte. Nicht nur, dass sie haargenau gleich aussahen, auch ihre Mimik und Gestik waren sich sehr ähnlich, so als würde man sein Spiegelbild betrachten. Doch er mochte die beiden Jungs, die zwar nicht auf ihre Schule gingen, aber dennoch ein wichtiger Teil von Matts Leben darstellten. Sie hatten sich auf den damaligen Aushang beworben, den Matt und Akira in verschiedenen Schulen in der Umgebung verteilt hatten. Gemeinsam spielten sie bereits knapp zwei Jahre zusammen, während Makoto erst im letzten Jahr dazu gestoßen war. Er saß direkt neben Mimi, die interessiert mit ihm das Gespräch suchte. Sora war mit Matt neue Getränke organisieren gegangen, während Taichi halbherzig ein Gespräch mit den Zwillingen verfolgte. Argwöhnisch betrachtete er die Interaktion zwischen Mimi und Makoto, die ihn merklich störte. „Kaum zu glauben, wie beliebt ihr seid. Ich wette ihr wärt auch international erfolgreich“, schmeichelte sie ihm mit Samtzunge und klimperte verträumt mit ihren langen Wimpern. „Wäre echt toll, wenn das klappen würde. Vielleicht schaffen wir es ja nach dem Schulabschluss ein paar Konzerte außerhalb von Japan zu geben“, erwiderte er mit einem siegessicheren Grinsen, dass auf seine Lippen praktisch heftet war. „Ich würde auf jeden Fall ein Ticket kaufen“, meinte sie kess, berührte sanft seine Schulter und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln, dass Taichi förmlich den Brechreiz in den Mund trieb. In seinem Magen begann es zu brodeln, sie so dicht neben einander sitzen zu sehen, auch wenn er selbstverständlich nichts dagegen tun konnte. War sie etwa wirklich an ihm interessiert? Nein, das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Doch je länger er sie beobachtete und je länger er ihr nerviges Kichern vernahm, desto unsicherer wurde er. „Und wie sieht es bei dir so aus?“, fragte Ryota und riss erwartungsvoll die Augen auf. Taichi zuckte zusammen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Brüder. „Was?“ „Na, ob du dich schon nach Unis umgesehen hast? Yamato hat erzählt, dass du dich für ein Sportstipendium bewirbst.“ „Ähm“, er schluckte als sich sein Muskelkater augenblicklich wieder zu Wort meldete. Eigentlich hatte er sich noch keine großen Gedanken über eine spezielle Uni gemacht. Er wäre einfach froh, wenn er dieses Stipendium bekommen würde, da es viele seiner Probleme einfach so lösen würde. „Im Moment konzentriere ich mich einfach aufs Training. Mein Trainer wollte mir noch eine Liste der einzelnen Universitäten geben und dann werde ich einfach mal gucken welche sich hier in der Nähe befindet“, erklärte er recht vage. „Also willst du hier in der Nähe studieren?“, hakte Juro interessiert nach. Verlegen kratzte sich Taichi am Hinterkopf und räusperte sich kurz. „Naja, ich bin ungern so weit von Zuhause weg, aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, werde ich auch eine andere Universität in Erwägung ziehen. Ich bin da eigentlich relativ offen“, gab er zu, auch wenn er sich wünschte nicht von den Menschen, die er aufrichtig liebte, getrennt zu werden. Er war eben ein Familienmensch, der seine Liebsten gerne um sich herumhatte, auch wenn er das vielleicht nicht so offen zugeben würde. Insgeheim hoffte er tatsächlich auf einen Studienplatz hier in der Umgebung, obwohl er erstmal dieses verdammte Stipendium brauchte, um überhaupt seinem Studium einen Schritt näher zu kommen. Manchmal war das Leben nicht einfach und er wusste mittlerweile, was es bedeutete hart kämpfen zu müssen. _ Er stand an einem der Stehtische, während er angespannt zur Tanzfläche stierte. Sie bewegte sich rhythmisch, suchte immer wieder Körperkontakt zu ihm und ließ ihre Hüften tänzerisch kreisen. Ein Lächeln zog sich über ihre rosigen Lippen, die förmlich zum Küssen einluden. Doch er stand nur am Rand und beobachtete sie nachdenklich. Es ärgerte ihn, sie so ausgelassen und fröhlich zu sehen, besonders wenn ein anderer Kerl in ihrer Nähe war und einfach seine Hände nicht bei sich lassen konnte. Schon wieder sah er, wie dieser komische Kauz ihren zierlichen Körper berührte, sie näher an sich heranzog und ihr ein herzliches Kichern entlockte. Ihre rötlichen Wangen verrieten bereits, dass sie schon längst nicht mehr nüchtern war. „Er scheint ihr wohl ganz schön den Kopf zu verdrehen“, ertönte die Stimme seiner besten Freundin, die sich zu ihm gesellt hatte, ohne dass er sie bemerkt hatte. „Sieht wohl so aus“, murrte er gegen die laute Musik und nippte an seinem Bier. „Ich mag ihn nicht“, kam es einsilbig von Sora, die ihren Tequila Sunrise in ihrer Hand drehte. „Er hat sie doch auch den ganzen Abend zum Trinken animiert und auf Matt hat er ebenfalls einen schlechten Einfluss.“ Taichi wurde auf einmal hellhörig und sah sich nach dem blonden Musiker um. „Wo ist er überhaupt? Ryota und Juro habe ich auch nicht mehr gesehen.“ Sora grinste nur als sie einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr wagte. „Matt ist draußen eine rauchen. Ryota und Juro sind schon gegangen. Aber sie bleiben nie länger als halb zwei“, erwiderte sie nur als sich Taichis Augen ungläubig weiteten. „Es ist schon halb zwei?!“, fragte er verwundert, da er gar nicht bemerkt hatte, wie viel Zeit schon vergangen war. „Ja, aber du scheinst mit den Gedanken wohl ganz woanders zu sein“, stellte sie spitzfindig fest und trieb ihm einen leichten Rotschimmer ins Gesicht. „D-Das stimmt doch gar nicht“, leugnete er stammelnd und richtete seinen Blick in die andere Richtung. „Ich mache mir auch nur Sorgen. Du hast Recht, der Typ ist komisch.“ „Sag‘ ich doch“, untermauerte Sora dringlich und warf ebenfalls einen besorgten Blick zu Mimi, die sich köstlich mit Makoto amüsierte. „Er tut Matt nicht gut. Das sehe ich jedes Mal, wenn sie einen Auftritt haben. Er trinkt seit kurzem mehr und raucht eine Zigarette nach der anderen. Und dann auch noch dieser dämliche Floh, den Makoto ihm ins Ohr setzt. Dass sie nach dem Abschluss berühmt werden könnten. Dass sein Vater Leute kennt, die sowas möglich machen könnten und er glaubt ihm diesen Schwachsinn“, erzählte sie deprimiert und konnte nicht verbergen, wie sehr sie diese Sache mitnahm. Taichi wusste, dass Sora von der ganzen Musikerkarriere nichts hielt, da sie viel zu unsicher für ein gemeinsames Leben war. Heute konnte man vielleicht noch Erfolg haben, während Morgen bereits der große Absturz vor der Tür stand. „Ich möchte einfach, dass er etwas Vernünftiges macht und sich nicht ständig von ihm aufstacheln lässt.“ Taichi nickte verständlich als Mimi plötzlich auf die beiden zugewankt kam und sich auf ihren Cocktail stürzte, den sie bei Tai stehen gelassen hatte. Sie nahm das Glas hoch und zog kräftig am Strohhalm, sodass sie es in wenigen Sekunden geleert hatte. „Das habe ich jetzt gebraucht! Meine Kehle war schon ganz trocken“, tönte sie mit schwerer Zunge und sah Sora und Tai mit einem glasigen Blick an. Ihre Augen wirkten müde, auch wenn sie wegen des Alkohols völlig überdreht war. „Kommt lasst uns alle gemeinsam tanzten“, flehte sie und griff sofort nach Soras Hand. „Ich glaube, wir sollten dich bald mal nach Hause bringen“, warf Taichi ein und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du bist ganz schön betrunken.“ „Ich bin doch gar nicht betrunken!“, wehrte sie sich sofort und wollte ihm einen Klaps gegen den Oberarm geben, schlug jedoch ins Leere, sodass Tai ihr Handgelenk packen konnte. „Oh doch Prinzessin, es wird langsam echt Zeit für’s Bett.“ Mimi verzog daraufhin das Gesicht und sah aus wie ein kleines Mädchen, das vor sich hin schmollte. „Ich glaube auch, dass wir langsam gehen sollten“, stimmte Sora mit ein. Empört riss sich Mimi von Taichi los und stemmte die Hände in ihre Hüfte. „Ich will aber noch nicht gehen. Makoto wollte noch weiterziehen und ich bin noch gar nicht müde“, konterte sie direkt, auch wenn man ihr bereits die Müdigkeit ansehen konnte. „Seid doch nicht solche Spaßbremsen.“ „Das hat doch damit nichts…“, begann Sora sorgenvoll als Yamato unvermittelt bei ihnen auftauchte und auch Makoto sich langsam von der Tanzfläche bewegte. „Na? Will noch jemand was trinken?“, fragte der Blondschopf grinsend als Taichi der Tabakgeruch sofort in die Nase stieg. Hatte er darin etwa gebadet? Er roch wie ein Aschenbecher. „Ich glaube sie hat genug“, meinte Taichi als er bemerkte, wie schwer es Mimi fiel sich auf ihren Beinen zu halten, auch wenn sie sofort das Gegenteil behauptete. Überrascht musterte Yamato sie als auch Makoto bei ihnen ankam und sein Handy in seinen Händen hielt. „Da bist du ja wieder. Ich habe gerade eine Nachricht von Shinji bekommen. Im Magnet gibt es wohl Cocktails zum halben Preis. Wir sollten da nochmal vorbeischauen“, schlug er direkt vor. „Ähm, klar wieso nicht“, antwortete er sofort und kassierte einen eindeutigen Blick von Sora, der diese ganze Aktion alles andere als recht war. „Wir sollten langsam wirklich gehen. Guck‘ dir mal Mimis Augen an!“, zeigte sie ihm auf und deutete direkt auf Mimi, die sich mittlerweile an einem der Beistelltische abgestützt hatte. Anscheinend ging es ihr wohl nicht mehr sonderlich gut. Ihre Energiereserven neigten sich dem Ende zu und Tai wollte sie einfach nur noch nach Hause bringen. Behutsam berührte er sie am Arm als sie sich erschöpft durch die Haare fuhr und kaum die Augen offenhalten konnte. „Vielleicht solltest du wirklich ins Bett gehen. Nicht das du uns hier noch umkippst“, meinte schließlich auch Makoto, der mittlerweile mitbekommen hatte, dass sich ihre eigene Müdigkeit machtvoll an die Oberfläche kämpfte. „Aber ich bin noch nicht müde…“, entgegnete sie schwach, stellte aber nach einem kurzen Wortgefecht mit Sora endgültig ihre Widerworte ein. Sie seufzte resigniert als sie sich endlich geschlagen gab und das Ende dieses Abends eingeläutet wurde. _ Würgend beugte sie sich über einen Busch, während Tai versuchte sie auf den Beinen zu halten. Sora hielt behutsam ihre Haare zurück als sie endlich fertig war, erschöpft auf dem kalten Boden zusammensackte und sich kraftlos über ihren Mund fuhr. Tai ging sofort auf die Knie und stützte sie, sodass sie sich gegen ihn lehnen konnte. Sie atmete schwerfällig und kniff angewiderte die Augen zusammen. „Oh man…das hat uns gerade noch gefehlt“, sagte Sora niedergeschlagen. „Ihre Eltern werden darüber nicht begeistert sein.“ „Kann sie nicht bei dir übernachten?“, hakte Taichi nach und merkte, dass Mimi vor Erschöpfung die Augen geschlossen hatte und sich schmerzerfüllt die Stirn hielt. „Sie meinte vorhin zu mir, dass sie irgendein Familienessen hat. Ansonsten würde ich sie ja wirklich lieber zu mir nehmen, aber so…man warum hast du dich auch nur zum Trinken verleiten lassen? Du verträgst doch kaum was!“ „Es war aber so lecker…“, antwortete Mimi schwach und blinzelte leicht zu Sora, die sie vorwurfsvoll anstarrte. Sie waren von Mimis Wohnblock noch einige Straßen entfernt als zu ihrer Erschöpfung auch noch Schwindel und Übelkeit hinzukamen. In dem Club war es sehr stickig gewesen, dass sogar Tai sich regelrecht erschlagen fühlte als er in die kalte Nacht aufbrach. Doch Mimi hatte definitiv zu tief ins Glas geschaut, sodass sich ihre vorherige Euphorie und Energie in Übelkeit und Unwohlsein umschlugen. „Ich will Nachhause…“, murmelte sie wehleidig und drückte ihren brummenden Schädel gegen Tais Brustkorb. Einige Haarsträhnen fielen ihr daraufhin ins Gesicht, sodass er sie zärtlich davon befreite und sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen schlich als er ihre weichen Wangen mit seinen zitternden Fingern berührte. Dass Sora dabei war hatte er für einen kurzen Augenblick völlig vergessen gehabt, bis sie sich wieder zu Wort meldete und diesen winzigen Moment zwischen ihnen unterbrach. „Wir sollten ihr aufhelfen. Der Boden ist noch ziemlich kalt“, meinte sie fürsorglich, während Taichi nur bestätigend nickte. Gemeinsam schafften sie es Mimi hoch zu raffen, doch ihre Beine gaben sofort nach wie Wackelpudding, sodass Taichi sie, trotz Muskelkater, Huckepack nahm und vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzte. „Was für ein Abend“, kommentierte Sora schnaufend und ging neben Taichi her. Er balancierte das zusätzliche Gewicht von Mimi auf seinem Rücken, merkte wie sie ihre Arme um seinen Hals geschlungen hatte und friedlich atmete. Er schielte kurz zu ihr und erkannte aus dem Augenwinkel heraus, dass sie wohl eingeschlafen war. „Das kann man echt so sagen. Ich kann immer noch nicht fassen, dass Yamato tatsächlich nochmal mit Makoto mitgegangen ist. Ist ja sonst nicht seine Art sich die Nacht um die Ohren zu schlagen“, fasste er zusammen und merkte die Anspannung in seiner besten Freundin aufsteigen, die ihr wütendes Gesicht nochmals untermauerte. „Ich verstehe ihn einfach nicht mehr“, löste sich schwerfällig von ihren Lippen. „Es ist nicht das erste Mal, dass er mit Makoto durch die Clubs gezogen ist. Einmal ist er völlig betrunken nachts bei mir aufgetaucht und wollte sich wohl etwas Liebe abholen.“ „Etwas Liebe abholen? Meinst du etwa?“ Taichi brauchte diesen Satz noch nicht mal zu Ende zu sprechen als er Soras vielsagenden Blick auffing. „Eigentlich sollte er an diesem Abend bei mir übernachten, weil meine Mutter mit einer Freundin übers Wochenende weggefahren war. Abends hatte er ein Konzert und danach wollten wir uns eigentlich einen gemütlichen Abend zu zweit machen, aber dann kam Makoto mit dem dämlichen Vorschlag einen neuen Club zu besuchen, um für die Band etwas Werbung zu machen“, erzählte sie geknickt und ließ erschöpft die Schultern hängen. „Ich bin nicht mitgegangen und er wollte auch nur eine Stunde bleiben, aber in Wirklichkeit war er die halbe Nacht weggewesen.“ „Und dann kam er später zu dir und wollte mit dir…“, Taichi konnte seine Fassungslosigkeit kaum in Worte fassen. So etwas hatte er seinem besten Freund nun wirklich nicht zugetraut. „Ja, wollte er…“, seufzte sie gefrustet. „Wir haben uns dann gewaltig in die Haare bekommen, sodass er einfach abgerauscht ist. Am nächsten Tag stand er reumütig vor meiner Tür und hatte sich entschuldigt, aber Makoto weiß genau, was er zu sagen hat, damit Yamato nach seiner Pfeife tanzt.“ Taichi hörte ihr aufmerksam zu, während sie ihrem Frust Luft machte. Mimi bekam von all dem nichts mit und schlief seelenruhig weiter, so als würden die Probleme, die förmlich die Luft benetzten, einfach an ihr vorbeiziehen. Taichi hingehen spürte, wie ein aufkommender Sturm sich über ihnen zusammenbraute und ihre Freundschaft auf eine harte Probe stellen würde. Kapitel 6: Generationskonflikte ------------------------------- ♥ Mimi ♥ „Meine Güte Mimi, wie lange willst du denn noch schlafen?“, bohrte sich die schrille Stimme ihre Mutter in ihren hämmernden Kopf. Mit schnellen Schritten nährte sie sich ihrem Fenster als sie die Jalousien aufzog und Mimi direkt von der Sonne geblendet wurde. „Man, viel zu hell“, knurrte sie und zog sich sofort ihr weiches Kissen über den Kopf, um der strahlenden Sonne zu entkommen. „Mimi du solltest langsam wirklich mal aufstehen! Es ist schon fast elf und in einer Stunde sind wir zum Essen eingeladen!“, erinnerte sie sie mit einem strengen Unterton. „Zum Essen? Kann ich nicht zu Hause bleiben?“, fragte sie mit schwerer Zunge und wollte gar nicht mehr unter ihrem Kissen hervorkommen. „Ich habe auch keine Lust dazu, aber dein Vater hat Großmutter bereits zugesagt. Also steh endlich auf und mach dich fertig“, forderte ihre Mutter sie auf und zog abrupt ihre Decke weg, unter die sie sich gekuschelt hatte. „Hey!“, schrie sie schrill und kam unter ihrem Kopfkissen hervor. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie noch das Top vom Vorabend trug und lediglich ihren unbequemen Lederrock ausgezogen hatte. Müde fuhr sie sich durch das Gesicht und blieb benommen auf ihrem Bett sitzen, während ihre Mutter die Decke über ihren Schreibtischstuhl warf und sie besorgt musterte. „Wir haben uns übrigens große Sorgen um dich gemacht, nachdem Tai und Sora dich um halb drei völlig betrunken nach Hause gebracht haben.“ „Ich war nicht völlig betrunken gewesen“, rechtfertigte sie sich und betrachtete ihre schwarzen Finger, die nur von ihrer Wimpertusche stammen konnten. „Taichi hat dich den ganzen Weg nach Hause getragen. Sogar bis in dein Bett, weil du einfach völlig fertig warst“, erzählte sie ihr aufgebracht. Überrascht presste sie die Lippen aufeinander, da sie sich wirklich nicht mehr daran erinnern konnte, wie sie überhaupt nach Hause gekommen war. Die letzten Stunden waren wie ausgelöscht. Sie erinnerte sich nur noch daran, wie sie mit Makato ausgelassen getanzt, eine Cocktails getrunken und später gemeinsam mit Sora und Tai den Club verlassen hatte. „Mach‘ dich jetzt einfach fertig. Wir fahren in einer halben Stunde los“, sagte Satoe in einem etwas ruhigeren Ton, bevor sie ihr Zimmer verließ und die Tür sachte hinter sich schloss. Mimi fuhr sich erschöpft durch ihr langes braunes Haar, das schlaff nach unten hing und sich am Ansatz ein wenig fettig anfühlte. Sie schnaufte laut als sie langsam von ihrem Bett aufstand und kurz ihre Orientierung verlor, weil sich das Schwindelgefühl in den Vordergrund drängte. Sie hielt sich an ihrem Bettgitter am Fußende fest, fuhr sich über ihre schweißnasse Stirn und spürte wie die Übelkeit wieder in ihr aufstieg, obwohl sie gar nichts mehr gegessen hatte. Für einen kurzen Moment hielt sie inne, bevor sie langsam zu ihrem Schrank wankte und ihn behutsam öffnete. Schnell fand sie ein bequemes Outfit und kramte frische Unterwäsche aus ihrer Schublade als sie sich wieder in Bewegung setzte und langsam zum Badezimmer trottete. Nach einer erfrischenden Dusche, kehrte sie mit nassen Haaren in ihr Zimmer zurück. Vorsichtig riebt sie sich über die Stirn und hatte das Gefühl, dass ihre Kopfschmerzen allmählich nachließen. Mimi legte das Handtuch über ihre Schultern und betrachtete ihr müdes Gesicht in ihrem Schminkspiegel. Mittlerweile hatte sie sich abgeschminkt, aber ihre Haut war glanzlos und sehr blass, sodass sie sich dazu entschied, etwas Farbe in ihr Gesicht zu bringen. Zuvor entdeckte sie ihre Handtasche, die sie gestern Abend dabei hatte. Neugierig kramte sie ihr Handy hervor und setzte sich gedankenverloren vor ihren Schminktisch als sie feststellte, dass mehrere neue Nachrichten in ihrem Posteingang auf sie warteten. Gespannt klickte sie sich durch das Menü und gelangte schließlich zu ihren ungelesenen SMS. Sie hatte drei neue Nachrichten erhalten. Eine war von Taichi, die weiteren von Makoto. Mimi überlegte nicht lang und öffnete zuerst die SMS von Tai, auch wenn sie viel neugieriger war, was Makoto ihr geschrieben hatte. Mit den Augen huschte sie über die kurzen Zeilen und konnte sich ein genervtes Stöhnen nicht verkneifen. Du schuldest mir eine Rückenmassage, Prinzessin. Beim nächsten Mal solltest du wohl doch lieber die Finger vom bösen Alkohol lassen :D – Taichi. Eine Rückenmassage? Wollte er ihr damit etwa sagen, dass sie zu schwer war? Na, der konnte wirklich etwas erleben, wenn sie ihn am Montag in der Schule wiedersah. Auf die Massage könnte er noch hundert Jahre warten. Auch wenn er bald Geburtstag und sie immer noch kein Geschenk hatte. Diesen Gefallen würde sie ihm gewiss nicht tun. Sie quittierte Tais SMS einfach nur mit einem Kopfschütteln als sie zurückklickte und sich den wichtigeren Nachrichten widmete. Ihr Herz schlug augenblicklich ein bisschen schneller, wenn sie an den Abend mit Makoto zurückdachte. Sie hatten wirklich viel Spaß zusammen gehabt, eng miteinander getanzt und sogar Nummern ausgetauscht. Anscheinend hatte ihm der Abend mit ihr ebenfalls gefallen, weil er ihr sonst wohl kaum zwei Nachrichten geschickt hätte. Mit nervösen Fingern öffnete sie die erste SMS als sich ein leichtes Lächeln über ihre Lippen schlich. Hey, ich hoffe du kommst gut nach Hause! War echt schön heute Abend. Ich hoffe, ich werde dich noch öfters auf Konzerten sehen. Vielleicht ja auch mal außerhalb der Bühne? ;) – Makoto. Außerhalb der Bühne…ob er wohl das meinte, was ihr dabei in den Sinn kam? Fragte er sie vielleicht sogar indirekt um eine Verabredung? Vorstellen konnte sie sich bei Makoto wirklich alles. Auch wenn er wie ein Draufgänger aussah, schien er eine weiche Seite in sich zu tragen, die Mimi unbedingt näher kennenlernen wollte. Sie hatten sich so nett unterhalten gehabt, dass Mimis Interesse an ihm ins Unermessliche wuchs. Schnell klickte sie sich zur nächsten Nachricht. Naaa? Gut geschlafen? Ich hoffe, du hast keine Kopfschmerzen :P – Makoto. Er hatte die SMS scheinbar direkt nach dem Aufstehen verfasst gehabt. Sie war noch keine zehn Minuten alt, was sie sichtlich freute, da er direkt nach dem wach werden, wohl an sie gedacht haben musste. Beflügelt von diesem Gedanken tippte sie eine kurze Nachricht über ihr Befinden zurück und hoffte, dass sie auch noch weitere Antworten von ihm erhalten würde. Sie biss sich aufgeregt auf die Unterlippe, legte ihr Handy beiseite und versuchte sich auf ihr Make up zu konzentrieren, dass ihr eine gesündere Gesichtsfarbe verleihen sollte. _ Angespannt saß sie gemeinsam mit ihren Eltern, ihrer Großmutter, ihrem Onkel und ihrer Tante am Mittagstisch. Noch immer schien ihr Vater etwas sauer auf sie zu sein, da er kurz bevor sie gefahren waren, ihr selbstverständlich eine Moralpredigt gehalten hatte. Nachdem er sie gefühlt tausend Mal auf ihr unangemessenes Verhalten hingewiesen hatte und ihr vor Augen führte, dass zu viel Alkohol gerade in ihrem Alter besonders schädlich war, waren sie tatsächlich relativ pünktlich bei ihrer Großmutter angekommen. Mimi war es immer noch etwas flau im Magen und das deftige Essen ihrer Tante Sayuri machte es kein Stück besser. Nachdem sie einen kleinen Happen des Currys probiert hatte, brauchte sie bereits eine Pause, da es förmlich auf ihrer Zunge brannte und ihre Geschmacksnerven reizte. Wahrscheinlich hatte sie mal wieder zu viel Pfeffer verwendet, der ihr einige Tränchen in die Augen trieb und ihre Kehle in Brandt versetzte. „Schmeckt es dir?“, fragte Sayuri freudestrahlend und beobachtete Mimis Reaktion genau. „Ja, es ist wirklich sehr lecker“, antwortete sie und aß demonstrativ einen Löffel ihres Currys, auch wenn ihr Mund danach noch mehr brannte. Schnell versuchte sie das ausbreitende Feuer mit etwas Wasser unter Kontrolle zu bringen, doch ihr Mund war nach wie vor gereizt und die Erleichterung blieb wider Erwarten aus. Noch immer benetzte der scharfe Nachgeschmack des Pfeffers ihre Zunge, sodass sie ihr Besteck erneut sinken ließ. Völlig darauf konzentriert, aufgrund der Schärfe, nicht in Tränen auszubrechen, bemerkte sie erst gar nicht, wie ihr Onkel Akio das Gespräch mit ihr suchte. „Und hast du schon eine Idee, was du nach der Schule machen möchtest?“, fragte er interessiert nach, obwohl Mimi sich bereits denken konnte, auf was er hinauswollte. Auch ihr Vater wollte sie immer wieder in die gleiche Richtung lenken, obwohl sie noch gar keine Lust hatte sich darüber Gedanken zu machen. Schließlich hatte sie noch Zeit. „Im Moment bin ich noch unschlüssig, aber das Beratungsgespräch in der Schule steht ja noch aus“, erwiderte sie mit brennender Zunge, in der Hoffnung das diese Antwort genügen würde, doch der Blick ihres Onkels ließ etwas anderes vermuten. „Wie wäre es, wenn du in den Sommerferien mal ein Praktikum bei uns machst? Ich glaube, dass könnte dir wirklich gut gefallen“, schlug er mit leuchtenden Augen vor und richtete den Blick zu ihrem Vater, der nur bestätigend nickte. Ihre Mutter presste die Lippen aufeinander und war ungewöhnlich ruhig – etwas, dass Mimi so gar nicht von ihr kannte. Doch immer, wenn sie gemeinsam ihre Großmutter besuchten, legte sich eine seltsame Stimmung über sie. So als würde etwas Unausgesprochenes im Raum liegen, dass jeden Augenblick zu explodieren drohte. „Ein Praktikum?“, hakte Mimi irritiert nach. Sie hatte eigentlich nie vor gehabt in der Firma zu arbeiten, die ihr Großvater vor Jahrzehnten gegründet hatte. Marketing war noch nie ihr Ding gewesen, weshalb sie meist abschaltete, wenn ihr Vater von seiner Arbeit erzählte. Sie wollte etwas Kreatives machen. Sich selbst entdecken und sich nicht nach Wünschen anderer richten. „Ich würde es auch unglaublich schön finden, wenn du mal in die Firma reinschnupperst. Großvater hätte das sicher auch gefallen. Ihm war es nämlich immer ein Anliegen, dass die Firma in Familienbesitz bleibt“, schwelgte ihre Großmutter in Erinnerungen, während sich Mimi immer mehr in die Ecke gedrängt fühlte. Was sollte sie nur sagen? Dass sie kein Interesse am Erbe ihres Großvaters hatte? Nein, das konnte sie beim besten Willen nicht bringen. „Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass dir der Job Spaß machen würde“, mischte sich nun auch Sayuri ein. „Abwechslungsreiche Aufträge, viel Kontakt mit Kunden und das Geld stimmt natürlich auch. Und das ist ja schließlich das Wichtigste, wenn man heutzutage abgesichert sein möchte.“ Auch der Rest stimmte mit ein, auch wenn Mimi diese Aussage mehr als nur zweifelhaft empfand. Klar, Geld erleichterte das Leben ungemein und Mimi war froh, dass ihr Vater gut verdiente und ihr somit schöne Klamotten kaufen konnte…doch machte Geld allein auch glücklich? Sie hatte mittlerweile das Gefühl, dass genau das Gegenteil der Fall war. Wie oft arbeitete ihr Vater bis spät in die Nacht? Wie oft war er in den letzten drei Monaten auf Geschäftsreise gewesen? Wie oft saß ihre Mutter alleine auf der Couch und musste sich mit ihrer Einsamkeit auseinandersetzen? Mimi wanderte mit dem Blick zu ihr und erkannte das ihr Gesicht wie versteinert wirkte. Erst bei genauerem Hinsehen, sah sie das ihre Mutter ihre Finger in geblümtes Kleid gekrallt hatte. Die Gespräche der anderen, nahm Mimi nur dumpf in ihren Ohren wahr. Sie konnte all das schon langsam nicht mehr hören und fragte sich ernsthaft, ob ihre Großmutter sie nur zum Essen eingeladen hatte, um sie weiter zu bearbeiten, wie es ihr Vater meistens tat. Doch Mimi war einfach anders. Sie sah sich nicht in keinem Bürokomplex sitzen und ständig am Computer arbeiten. Und genau das, musste sie versuchen ihrer Familie klar zu machen! _ Nach dem anstrengenden Essen, hatte sich die Lage wieder etwas entspannt. Während ihr Vater gemeinsam mit ihrem Onkel und ihrer Tante nach draußen verschwunden war, um ein paar geschäftliche Dinge zu besprechen, war ihre Mutter zusammen mit ihrer Großmutter in der Küche. Mimi war kurz auf die Toilette verschwunden, da sie sich mal wieder vor dem Einräumen der Spülmaschine drücken wollte. Auf leisen Sohlen kehrte sie deswegen zurück, um sich danach ebenfalls nach draußen schleichen zu können, doch die lauten Stimmen in der Küche ließen sie hellhörig werden. Langsam schritt sie zur Tür, die einen kleinen Spalt geöffnet war. Sie erkannte ihre Mutter und Großmutter, die scheinbar miteinander stritten. Ihre Mutter hatte einen sehr abwertenden Blick aufgelegt, nahm das Geschirr und packte es unsanft in die Spülmaschine, sodass es laut klapperte. „Ich verstehe wirklich nicht, warum du auf einmal so sauer bist, Satoe! Wir meinen es doch nur gut!“, rechtfertigte sich ihre Großmutter und stemmte die Hände in die Hüfte. Ihre Mutter ging jedoch mit einer ruckartigen Bewegung in eine Art Abwehrhaltung, bevor sie die Maschine schloss und anstellte. „Mimi wird schon wissen, was sie mal machen möchte. Ihr braucht sie nicht in eine Richtung zu drängen! Das habe ich auch schon Keisuke gesagt, aber ihr scheint ihm ja diesen Floh überhaupt erst ins Ohr gesetzt zu haben“, klagte sie sie an. „Ich habe ihm nur vorgeschlagen, dass Mimi es möglichweise in Erwägung ziehen könnte. Nach dem Studium hätte sie dann sofort einen sicheren Arbeitsplatz und deinem Vater lag es am Herzen das die Firma in der Familie bleibt“, erklärte sie fast schon ein wenig verzweifelt. Satoe ging daraufhin zur Spüle und befeuchtete einen Lappen mit Wasser, um die Herdplatte abzuwischen, die beim Kochen scheinbar etwas mit Fett bespritzt wurde. „Dir geht es doch wirklich nur um die Firma. Euch ging es immer nur im die Firma, schon damals!“, erwiderte sie hysterisch und fuhr hektisch über die Herdplatten. „Du weißt, dass das nicht stimmt!“, antwortete ihre Großmutter verletzt und näherte sich ihrer Tochter langsam. Mimi stand immer noch an der Tür, spitzte weiterhin die Ohren, auch wenn sie nicht verstand, über was die beiden überhaupt redeten. Was war damals nur vorgefallen? „Ich habe viel falsch gemacht, das gebe ich zu“, begann ihre Großmutter in einem ruhigeren Ton, während ihre Mutter wie eine Verrückte den Herd schrubbte. „Damals habe ich viel von dir verlangt und bin Gefahr gelaufen, dich ganz zu verlieren. Doch als ihr wieder nach Japan zurückgezogen seid, um deinen Bruder und mich mit der Firma zu unterstützen, dachte ich, dass wir einen Neuanfang starten könnten.“ Sie legte behutsam eine Hand auf der Schulter ihrer Mutter ab, die sofort in ihrer Bewegung einfror. Gespannt achtete Mimi auf ihre Reaktion und hielt für einen kurzen Moment den Atem an. Ihre Mutter schüttelte die Hand jedoch ab und fixierte ihre Großmutter mit einem unergründlichen Blick, indem so viel Schmerz und Leid lag, dass selbst Mimi erkannte, dass es sich hier um keine Kleinigkeit handeln konnte. „Ich habe dir verziehen, aber auch nur, weil du für meine Tochter eine tolle Großmutter warst. Aber glaub ja nicht, dass ich es jemals vergessen werde“, antwortete sie mit einem unterkühlten Unterton, ließ den Spüllappen auf die Theke sinken, bevor sie sich erneut in Bewegung setzte und die Tür ansteuerte, hinter der sich Mimi versteckte. Von Panik ergriffen rannte sie zurück ins Badezimmer, da sie gemerkt hatte, dass dieses Gespräch für ihre Ohren wohl nicht bestimmt war. Hektisch schloss sie die Tür hinter sich und presste ihren Rücken gegen das massive Holz. In ihrem Kopf breiteten sich tausende Fragezeichen aus, die ihre Sinne vernebelten. Sie hatte durchaus bemerkt, dass das Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter alles andere als einfach war, aber was versuchten sie nur zu verbergen? Was steckte nur dahinter? Was war zwischen ihnen nur vorgefallen? Kapitel 7: Erwachsen werden ist nicht leicht -------------------------------------------- ♥ Taichi ♥ Erschöpft drehte er sich zur Seite und blinzelte leicht, um sich an das Tageslicht zu gewöhnen, dass bereits durch sein Fenster schien. Schwerfällig öffnete er die Augen, kniff sie aber danach sofort wieder zusammen, da die Sonne ihn blendete. Er schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und spielte mit dem Gedanken, es einfach unter der Bettdecke zu vergraben als sich eine andere Erkenntnis in seinem Kopf ausbreitete. Er hatte heute Geburtstag. Es war kaum zu glauben, aber die letzten Wochen des Aprils waren einfach so an ihm vorbeigerauscht, die er meist mit hartem Training und Vorbereitungsstunden für die Universitäten verbracht hatte. Die Zeit flog einfach an ihm vorbei, so als hätte sie ihre Bedeutung verloren. Aus Minuten wurden Stunden, aus Stunden wurden Tage und aus Tagen wurden Wochen. Alles spielte sich in einer unglaublichen Geschwindigkeit ab, so wie der Sand am Strand, der einfach so durch seine schmalen Finger rann und schneller wieder ein Teil des Ganzen wurde als ihm eigentlich lieb war. Lieber würde er jedes einzelne Sandkörnchen bewusst wahrnehmen, jede Facette aufsaugen und so lange festhalten, wie es ihm möglich war. Doch er wusste, dass es sich hier um eine Wunschvorstellung handelte. Das Abschlussjahr zehrte sehr an seinen Nerven und auch die Situation Zuhause bedrückte ihn zusehends. Erst gestern hatte er erfahren, dass seine Mutter für eine kranke Kollegin im Krankenhaus einspringen, und auch sein Vater den Abend über mit seinen Kollegen eine Präsentation für einen weiteren Investitionspartner vorbereiten musste. Mittlerweile sah es immer schlechter für die Firma aus, auch wenn sein Vater sein Bestmöglichstes gab. Manchmal war das leider jedoch nicht genug, weshalb Taichi mit allen Mitteln seine Eltern unterstützen wollte. Deswegen war auch das Stipendium so wichtig für ihn. Nicht weil er Sport studieren wollte und sich an einer renommierten Uni als talentierter Fußballspieler sah – nein, es ging schlicht und ergreifend ums Geld. Geld, das seine Familie nicht besaß. Deswegen würde er alles versuchen, die Zähne zusammenbeißen und hart arbeiten, um dieses verdammte Stipendium zu erhalten. Der Ehrgeiz hatte ihn gepackt und wurde zu seinem inneren Antrieb, auch wenn er auf viele Dinge mittlerweile verzichten musste. Zwar bekam er nach wie vor Taschengeld, versuchte aber behutsamer mit seinem Geld umzugehen, einiges anzusparen und es nicht für sinnlosen Krempel auszugeben. Ihm war erst so wirklich bewusstgeworden, wie viel Geld man doch an einem Abend ausgeben konnte als er das Konzert von Matt letztens besucht hatte. Deshalb verbrachte er seinen Geburtstag auch gemütlich mit Kari zu Hause, auch wenn sie gefühlt tausendmal nachgefragt hatte, ob es wirklich für ihn okay sei. Natürlich wäre er lieber mit seinen Freunden feiern gegangen, aber auch die Golden Week stand mal wieder vor der Tür, wo viele ihre Familien besuchten und die Zeit lieber zuhause verbrachten. Und er hatte kein Problem etwas Zeit mit seiner Schwester zu verbringen. Er wusste, was sie durchmachte, weil er das Gleiche durchlitt. Gemeinsam hielten sie wie Pech und Schwefel zusammen. Sie redeten oft über die Situation zu Hause, eröffneten ihre Bedenken, wenn ihr Vater mal wieder zu tief ins Glas geschaut hatte oder ihre Mutter völlig überarbeitet zuhause ankam und nur noch erschöpft ins Bett fallen konnte. Taichi wusste, was er an seiner Familie hatte und wollte sie nicht im Stich lassen. Gemeinsam waren sie stark, egal welche Schwierigkeiten auch noch auf sie zukommen würden. Er setzte sich langsam auf, streckte sich entkräftet und blieb ein paar Minuten sitzen, bevor er noch ein wenig müde aus seinem Bett stieg und zu seiner Zimmertür tapste. Er rieb sich verschlafen die Augen als sie öffnete und plötzlich mehrere Stimmen ertönten. „Alles Gute zum Geburtstag“, beglückwünschten ihn seine Eltern und Kari herzlich. Seine Schwester drückte ihn sofort an sich, während seine Mutter einen Schokocupcake mit Kerze vor ihm präsentierte. „Danke“, antwortete er strahlend als sein Vater ihm liebevoll durch die Haare wuschelte und ihn aufforderte die Kerze auszupusten. „Vergiss nicht, dir etwas zu wünschen“, erinnerte Kari ihn, bevor er die Augen schloss und gedanklich einen Wunsch formulierte, der auf seinem Herzen lag. Mit einem Atemzug hatte er auch die Kerze bereits ausgeblasen. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen als er den gedeckten Frühstückstisch entdeckte. „Wir haben ein paar Leckereien besorgt. Und ich habe Miso-Suppe gemacht und sogar etwas Fisch besorgt, der im Angebot war“, informierte seine Mutter ihn stolz. Taichis Augen wurden immer größer und das Wasser lief ihm bereits im Mund zusammen. Miso-Suppe war das einzige, was seine Mutter wirklich gut hinbekam, auch wenn er ihr das besser nicht sagen wollte, um sie nicht zu verletzen. „Das riecht echt lecker, Mama“, lobte er sie stattdessen und setzte sich gemeinsam mit Kari und seinen Eltern an den Frühstückstisch. _ Nach einem hervorragenden Frühstück, schritt der Tag immer weiter vor. Er bekam viele Nachrichten von seinen Freunden und Klassenkammeraden, die ihm ebenfalls „Alles Gute“ wünschten. Gegen Nachmittag machte sich seine Mutter auf den Weg zur Arbeit, während sein Vater sich für das Treffen mit seinen Kollegen fertigmachte. Während Kari bereits einige Filme raussuchte, die sie gemeinsam gucken wollten, lehnte sich Taichi an die Wand des Flurs und beobachtete seinen Vater dabei, wie er in seine Schuhe schlüpfte. „Tut mir echt leid, dass ich jetzt nochmal weg muss, aber die Präsentation ist diesmal wirklich sehr wichtig“, versuchte er ihm nachdrücklich zu erklären, aber Tai verstand seine Situation auch so. Er würde sicherlich genauso handeln und es war ja nicht so als hätte er nächstes Jahr nicht wieder Geburtstag. „Ist schon in Ordnung. Ich verstehe das, wirklich“, versicherte er ihm und schenkte seinem Vater ein aufmunterndes Lächeln als er plötzlich mit seiner Hand zu seiner Hosentasche griff und sein Portmonee zückte. Er hielt ihm etwas Geld hin, mit der indirekten Aufforderung es anzunehmen. Erstaunt blickte Taichi zu ihm und ließ unsicher die Schultern hängen, unwissend, ob er es tatsächlich annehmen sollte oder nicht. „Was soll ich denn damit?“, fragte er ratlos nach, da er nicht vorhatte das Haus heute normal zu verlassen. „Na los, nimm‘ es schon. Kauf‘ deiner Schwester und dir ein paar Süßigkeiten oder holt euch für heute Abend eine Pizza. Du hast Geburtstag und ich möchte, dass du dir noch einen schönen Abend machst.“ „Danke, aber…“, noch immer hielt er sich zurück, auch wenn 2400 Yen nicht die Welt waren. Er hatte ein schlechtes Gewissen zusätzliches Geld von seinem Vater anzunehmen, da er genauestens über ihre finanzielle Situation Bescheid wusste. Letzten Monat hatten sie sogar Schwierigkeiten gehabt, die Stromnachzahlung zu begleichen, weshalb Tai die Misere nicht noch verschlimmern wollte. „Tai, komm‘ es sind nur 2400 Yen. Der Monat ist zu Ende und ich gebe es dir gern“, erwiderte er und drückte ihm die Geldscheine in die Hand, bevor er etwas erwidern konnte. „Ich weiß noch nicht, wann ich genau heimkommen werde, aber es wird wohl doch sehr spät werden“, kündigte er vorsichthalber an als sich ein müder Ausdruck über sein Gesicht legte. „Okay…“, antwortete er nur und sah, wie sein Vater in seine Jacke schlüpfte und sich zu seiner Aktentasche bückte. Tai presste die Lippen aufeinander als ihm etwas durch den Kopf schoss, das er schon viel länger ansprechen wollte. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe und knautschte die Scheine in seinen Händen unruhig zusammen. „Bitte versuch heute nicht so viel zu trinken, wenn ihr nach der Arbeit noch einen Abstecher macht.“ Überrascht blickte Susumu auf und musterte seinen Sohn kritisch. „Taichi, wir müssen unbedingt neue Investoren gewinnen. An Bier oder ähnliches ist da wirklich nicht zu denken“, rechtfertigte er sich sofort, auch wenn er bestimmt schon gemerkt hatte, dass er oftmals zu viel getrunken hatte. Doch Taichi wollte ihn nicht provozieren, da er sein zorniges Gesicht bereits erkannt hatte. Wahrscheinlich machte er sich auch zu viele Sorgen. Jeder trank doch mal etwas mehr, wenn er viel Stress hatte. Und sein Vater hatte großen Stress. Würde es diesmal wieder nicht klappen, stand die Firma sicher bald vor dem Ruin. Hunderte Arbeitsplätze standen auf dem Spiel und ruhten auf den gebrechlichen Schultern seines Vaters, der mit seinem Team versuchte, das Unmögliche wahr werden zu lassen. „Du machst dir zu viele Sorgen“, begann er auf einmal und legte ein überzeugtes Grinsen auf. „Ich werde das schon hinbekommen. Unser Konzept weist zwar noch einige Schwächen auf, aber wir sind ein eingespieltes Team und werden das gemeinsam schaffen. Hab nur etwas Vertrauen, ich regele das schon.“ _ „Und du bist dir sicher, dass du deinen Schlüssel nicht verloren hast?“, hakte Tai alarmierend nach als seine Schwester und er von ihrem Einkauf aus dem Supermarkt an der Ecke zurückkehrten. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihn nur nicht gefunden habe. Gestern hatte ich ihn noch“, rechtfertigte sich Kari ausweichend und blickte zufrieden in die volle Tüte mit Süßigkeiten, die sie sich gegönnt hatten. Taichi seufzte nur, da er sich seinen Geburtstag schon ein bisschen gemütlicher vorgestellt hatte. Über eine Stunde waren sie in dem Supermarkt gewesen, weil sich seine Schwester nicht entscheiden konnte, welche Schokolade sie lieber essen wollte. Traube-Nuss oder doch besser Vollmilch? Warum konnten sich Frauen nie gleich entscheiden und mussten immer so ein Fass aufmachen? Er verstand das andere Geschlecht einfach nicht. Große Worte um nichts. Langsam erreichten sie das Stockwerk ihrer Wohnung als Kari neben ihm immer unruhiger zu werden schien. „Ist alles klar bei dir, oder bist du bereits unterzuckert?“, fragte er grinsend, was Kari mit einem eindeutigen Kopfschütteln verneinte. „Schließ‘ einfach endlich die Tür auf“, kommandierte sie ihn als sie direkt davorstanden. „Ich möchte endlich meinen Liebesfilm sehen.“ Taichi verrollte nur die Augen als er den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür behutsam aufdrückte. „Den kannst du aber alleine…“ „ÜBERRASCHUNG!“, riefen alle wild durcheinander und Tai erstarrte für einen kurzen Augenblick. Vor ihm standen tatsächlich seine Freunde, die ihre Wohnung mit Luftschlagen dekoriert hatten. Auf dem Küchentisch standen bereits duftende Leckereien und verschiedene Getränke, mit denen die anstehende Party nur ein Erfolg werden konnte. „Aber wie…wie seid ihr hier reingekommen?“, fragte er sprachlos als ihm nach und nach zum Geburtstag gratuliert wurde. „Wir hatten einen kleinen Helfer“, antwortete Takeru lachend und hielt Karis Schlüsselbund in die Höhe. „Keine Sorge, die Tür mussten wir zum Glück nicht aufbrechen.“ Er warf seiner besten Freundin den Schlüssel zu, den sie etwas ungeschickt auffing. „Du hast das also geplant gehabt?“ Taichi richtete einen fragenden Blick zu seiner Schwester, die prompt eine Unschuldsmiene auflegte. „War eine spontane Idee gewesen“, erwiderte sie locker, während Taichi glücklich durch die kleine Runde wanderte. „Nanu, habt ihr Cody vergessen einzuladen?“, fiel ihm direkt auf als er den Jüngsten der Gruppe nirgends entdeckte. „Cody ist mit seiner Mutter bereits gestern zu seinen Großeltern gefahren. Leider konnten sie das nicht mehr umlegen, aber er wünscht dir natürlich auch alles Gute“, fasste Yolei kurz zusammen und lächelte milde. Taichi nickte nur als Mimi direkt das Wort ergriff und sich ein Glas schnappte. „Okay, jetzt sollten wir aber mal alle unser Glas erheben und auf unser Geburtstagskind anstoßen.“ Sie hob ihr Glas, wartete kurz bis jeder etwas zu trinken hatte und sprach einen knappen Trost auf Taichi aus, bevor sie in einen gemütlichen Abend starteten. _ Sie lachten herzlich als sie sich alle an dem ausgezogenen Küchentisch niedergelassen hatten. Gemeinsam aßen die mitgebrachten Köstlichkeiten, schwelgten in Kindheitserinnerungen und überreichten Taichi bereits die ersten Geschenke. Gespannt riss er ein bunt verpacktes Päckchen nach dem anderen auf und freute sich über jede Kleinigkeit, die sich seine Freunde für ihn überlegt hatten. Von Kari und seinen Eltern hatte er, aufgrund der angespannten finanziellen Situation, einen Kinogutschein bekommen, obwohl er ihnen gesagt hatte, dass sie ihm gar nichts schenken brauchten. Dennoch hatte er sich über die kleine Geste sehr gefreut und öffnete gespannt das Geschenk, das ihm Davis überreicht hatte. Zügig öffnete er das Papier und er konnte bereits erkennen, dass es sich um ein Buch handeln musste. Davis huschte ein Grinsen über die Lippen als Tai es verwundert herumdrehte und den Buchdeckel betrachtete. „Ein Kochbuch für Nudelsuppen?“, hakte er irritiert nach und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Davis nickte nur bestätigend und lehnte sich zu ihm rüber. „Das sind hundert verschiedene Rezepte, wenn nicht sogar mehr“, antwortete er begeistert, während ein betretendes Schweigen einkehrte. „Sicher, dass du es nicht doch für dich gekauft hast?“ hinterfragte Takeru skeptisch. „Was? Wie kommst du denn auf so einen Unsinn? Kari meinte, dass er einfachere Rezepte braucht, um als Student später nicht zu verhungern. Und eine gute Nudelsuppe ist schnell gemacht. Ich brauche achteinhalb Minuten“, brüstete er sich mit erhobener Brust. „Okay, das nächste Geschenk, bitte “, pfiff Yolei gelangweilt und kassierte von Davis einen eindeutigen Blick. Tai grinste nur amüsiert und nahm das Geschenk von Matt und Sora entgegen, die direkt neben ihm saßen. Es war sehr klein und äußerst dünn, weshalb Taichi auch gleich einen Gutschein oder etwas Ähnliches vermutete. Tatsächlich hatten sie ihm einen Geschenkgutschein für ein Sportgeschäft geholt, indem sich Taichi ein Paar neue Fußballschuhe kaufen wollte. Er hatte zwar schon daraufhin gespart, aber so war es selbstverständlich einfacher. „So und jetzt kommt mein Geschenk“, bestimmte Mimi mit schriller Stimme und reichte die pink eingehüllte Verpackung an Taichi weiter. Mit einem etwas angewiderten Gesicht betrachtete er das quietsch-pinke Geschenkpapier, auf dem weiße Schleifchen abgebildet waren. „Ein noch mädchenhafteres Papier hast du wohl nicht gefunden“, meinte er und machte es behutsam an den Seiten auf. „Genau genommen hatte ich noch welches mit Prinzessinnenkrönchen. Wusste ja nicht, dass du auf sowas stehst“, witzelte sie schulterzuckend und legte eine Unschuldsmiene auf, während sich ein leises Kichern durch den Raum zog. Doch davon ließ er sich nicht beirren und zog den viereckigen Gegenstand hervor. Etwas enttäuscht darüber, dass auch Mimi ihm ein dämliches Buch geschenkt hatte, versuchte es sich trotzdem vor ihren Augen zu freuen. „Danke, ich…“, er hielt inne als er es auf die Vorderseite drehte. „Ein Vergissmeinnicht?“ Verwundert betrachtete er das seichte blau und konnte sich keinen Reim darauf bilden, was sie ständig mit diesen Blumen hatte. Hatten sie etwa eine tiefere Bedeutung für sie? Langsam fuhr er mit den Fingern die raue Kante des Buches nach und öffnete es zaghaft. Mit den Augen huschte er über die alten Fotos und Sprüche, die sie mühevoll eingeklebt und rausgesucht hatte. Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie es selbst gemacht hatte und sehr viel Mühe in dem kleinen Fotoalbum steckte. „Oh mein Gott, da sind ja Koushiro, Mimi, Tai und ich drauf“, fiel Sora sofort auf und nahm es Taichi prompt aus der Hand, um es Matt zu zeigen. „Da waren wir doch auf dem Sommerfest, wo Tai die Kletterwand runtergefallen ist“, erinnerte sie sich als auch die Aufmerksamkeit der anderen voll und ganz auf das kleine Fotobuch gerichtet war. „Ja genau, aber vorher hat er noch Izzy hochgejagt, der sogar ganz oben drauf gesessen hat“, berichtete Mimi weiter und schenkte ihrem besten Freund ein anerkennendes Lächeln, das ihn sofort verlegen machte. „Ach, das waren noch Zeiten“, seufzte Sora und reichte das Buch weiter, ohne es Taichi zurückzugeben. Etwas beleidigt blies er die Wangen auf, sah aber sofort, wie seine kleine Schwester ausgelassen und fröhlich ihren Freunden alte Bilder von sich präsentierte. Früher waren sie wirklich ein eingeschweißtes Team gewesen, das sich nicht mit Erwachsenen-Problemen beschäftigen musste. Sie waren Kinder, die jede Minute ihres unbeschwerten Lebens genossen und keine Zeit an morgen verschwendeten. Doch Taichi war erwachsen geworden. Machte sich Gedanken um seine Zukunft und wie er all das nur schaffen sollte. Er war kein kleiner Junge mehr, der einfach mit dem Kopf durch die Wand wollte – egal wie sehr es auch wehtun würde. Mittlerweile hatte er sich verändert. Er war vorsichtiger geworden, wollte lieber den sicheren Weg wählen, um keinem zur Last zu fallen. Die Vergangenheit war nur noch ein Schatten einer bunten Seifenblase, die bei der nächsten Berührung zu platzen drohte. _ Nachdem er seine Geschenke fertig ausgepackt hatte, verteilten sich seine Gäste in der kleinen Wohnung. Im Hintergrund spielte Musik, während er sich ein kühles Bier genehmigte, dass Yamatos Vater ihnen gesponsert hatte. Er stand eine Zeitlang bei Joe und unterhielt sich angeregt über seine jetzigen Unierfahrungen, die er bereits machen durfte. Er besuchte zurzeit noch eine Vorbereitungsuniversität und würde erst im nächsten Semester auf die reguläre Medizinhochschule wechseln, die bereits sein Vater besucht hatte. Er hatte eine sehr klare Vorstellung, was er von seinem Leben erwartete, auch wenn Taichi wusste, dass er anfangs kein Arzt werden wollte. Manchmal fragte er sich, ob er von sich aus zu dieser Entscheidung gekommen war oder ob andere, vielleicht auch familiäre Gründe, eine Rolle gespielt hatten. Doch soweit wollte er heute Abend nicht gehen. Erschöpft ließ er sich deswegen auf der Couch nieder und wanderte mit einem aufmerksamen Blick durch die Wohnung. Während sich Sora, Yamato und Mimi auf dem Balkon befanden und die Sterne bewunderten, saß die jüngere Generation gemeinsam mit Joe und Izzy in seiner Nähe und unterhielten sich angeregt. Er beobachtete Davis, der seiner Schwester mal wieder einen verstohlenen Blick zuwarf, während sich diese locker mit Ken unterhielt und mit einer ausschweifenden Handbewegung ihre Erzählungen scheinbar untermauern wollte. Tai grinste leicht als er wieder zu seinen Geschenken sah, die sie auf dem Couchtisch platziert hatten. Nachdenklich fischte er nach dem Fotoalbum, das er sich noch gar nicht richtig angesehen hatte. Sofort schlug er eine beliebige Seite auf und stöberte durch die Bilderlandschaft, die sich vor ihm erstreckte. Manche Erinnerungen waren bereits verblasst und schienen durch das Fotoalbum wieder allmählich in sein Gedächtnis zu treten. Er schmunzelte leicht als er die alten Kindergartenbilder vor sich sah, wo die Jungs noch bequeme Latzhosen und die Mädchen seltsame Zöpfe trugen, die wild zu Berge standen. Auch die kurzen Sprüche und Erklärungen, die Mimi mühevoll aufgeschrieben hatte, ließen die Vergangenheit lebendig werden. „Na, gefällt es dir?“, ertönte eine liebliche Stimme und ließ ihn kurz zusammenschrecken. Vor ihm stand tatsächlich die Geschenkegeberin höchstpersönlich und lächelte ihn freudig an, bevor sie sich auf der Couch neben ihm niederließ. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dir für meinen Geburtstag so viel Mühe gibst“, stichelte er und ging nicht wirklich auf ihre Frage ein. „Ich gebe mir für all meine Freunde Mühe“, plusterte sie sich empört auf. „Bild‘ dir darauf ja nichts ein.“ „Schon klar“, lachte er, konnte aber nicht verbergen, dass ihr Geschenk ihn sehr freute, auch wenn er noch nicht ganz verstand, was sie schon wieder mit diesem Vergissmeinnicht sagen wollte. Er wusste zwar, dass es ihre Lieblingsblumen waren, allerdings hatte sie ihm nie verraten warum. „Danke…“, flüsterte er ihr mit rauer Stimme zu. Sie hob den Kopf sachte an und wirkte etwas verlegen auf ihn. „Gern geschehen“, antwortete sie bedacht als sie einen intensiven Blick mit ihm wechselte, den er nicht genau deuten konnte. Dennoch legte sich eine seltsame Stimmung über die beiden, die ihn wahnsinnig machte und ihm jeden klaren Gedanken raubte. Sie war die einzige, die ihm bereits schon mal ein selbstgemachtes Geschenk überreicht hatte. Damals war er gerade fünfzehn geworden und sie lebte immer noch in den USA. Dennoch standen sie sich in dieser Zeit sehr nah, schrieben oft Mails miteinander und hielten die Verbindung zueinander immer aufrecht, die sich allmählich zu verändern schien. Zarte Gefühle schlichen sich unter das tiefe Band der Freundschaft, dass schon seit Kindheitsbeinen bestand, aber keiner der beiden gefährden wollte. Zumal auch damals schlicht und ergreifend die Entfernung hinzukam. Auch wenn sie mittlerweile wieder ein fester Teil seines Lebens geworden war, konnten sie nicht die Fehler der Vergangenheit rückgängig machen, die sie einst beide begangen hatten. Schwerfällig versuchte Taichi seine Zweifel hinunter zu schlucken und sich einmal nicht hinter den ganzen Sticheleien und ständigen Bestreitungsversuchen zu verstecken. Er wollte wieder ganz normal mit ihr umgehen, auch wenn es schwer für ihn war. Gerade als er sich überwinden wollte, das Gespräch mit ihr zu suchen, wurde er von dem lauten Vibrieren ihres Handys aus dem Konzept gebracht. Hektisch kramte sie es aus ihrer Hosentasche hervor als sich ein Lächeln auf ihren Lippen abzeichnete, während sie gebannt auf das Display starrte. „Wer hat dir denn geschrieben?“, hakte Taichi angespannt nach, nachdem sich ihr Grinsen einfach nicht verflüchtigte. „Niemand wichtiges“, antwortete sie sofort, tippte aber seelenruhig eine Nachricht, was Taichi misstrauisch werden ließ. In einem unbeobachteten Augenblick, schielte er auf das Display, konnte aber nicht viel davon erkennen, weil sie es absichtlich so hielt, dass er nichts sehen konnte. Frustriert knabberte er an seiner Unterlippe und schloss, wegen Mimis eindeutigem Gesichtsausdruck, dass nur ein Kerl dahinterstecken konnte. In ihm begann es augenblicklich zu brodeln, auch wenn er streng genommen gar kein Recht dazu hatte eifersüchtig zu werden. Dennoch war er es. Mehr als er jemals bei ihr zugeben würde. Verbittert schaute er auf seinen Schoss, indem immer noch das Fotoalbum ruhte. Schlagartig wurde ihm bewusst, was sie ihm damit sagen wollte. Es ging nicht darum, die Erinnerungen festzuhalten. Sie war bereit sie loszulassen. Kapitel 8: Pizza, Liebesschnulzen und Kussjungfrauen ---------------------------------------------------- ♥ Mimi ♥ Die Golden Week und sämtliche Feiertage waren einfach nur so an ihr vorbeigezogen, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Mimi hatte bereits die ersten Schulwochen problemlos hinter sich gebracht, auch wenn neuerdings einige Ablenkungen ihr Leben versüßten. Mittlerweile waren die Streitigkeiten zwischen ihrer Mutter und Großmutter immer weiter in den Hintergrund gerückt, sodass Mimi auch keinen Anlass sah, es weiterhin zu verfolgen. Sie wusste ja, dass ihre Großeltern ein strenges Regime geführt hatten und ihre Mutter als Teenager sicher nichts zu lachen hatte. Dennoch gingen sie diese alten Kamellen nichts an, auch wenn irgendetwas sie nicht losließ. Doch sobald ihr Handy zu vibrieren begann, waren alle Zweifel und möglichen Vermutungen wie weggeblasen. Auch wenn sie mitten im Unterricht saß und lieber der Verteilung für die Sozialkundeprojekte zuhören sollte, ließ sie sich dazu hinreißen, ihrem Handy deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Okay, vielleicht lag es auch einfach am Empfänger, der mit ihr bereits unzählige Kurznachrichten ausgetaucht hatte. Schon seit knapp zwei Wochen schrieben Makoto und sie regelmäßig miteinander, auch wenn sich bisher noch nicht wirklich etwas entwickelt hatte. Er war viel mit der Band unterwegs, hatte unzählige Auftritte und verbrachte seine Pausen lieber mit seinen Freunden, auch wenn er in der letzten Zeit öfters mit Yamato und den anderen gegessen hatte. Für Mimi war die kurze Zeit, die sie mit Makoto verbringen durfte, etwas ganz besonders. Sie befanden sich auf der gleichen Wellenlänge, auch wenn Sora ihr ständig in den Ohren lag und ihr Misstrauen gegenüber ihm äußerte. Mimi hoffte inständig, dass sie sich bei dem Mädelsabend, den sie morgen bei ihr veranstalten wollten, zurückhielt. Sie mochte Makoto und wollte ihn ganz unverbindlich näher kennen lernen. Daher tippte sie unauffällig eine SMS an ihn zurück und versteckte ihr Handy wieder in ihrem Federmäppchen, das sie gut im Blick hatte. Sie sah kurz zu Izzy, der ganz gespannt den Worten ihrer Lehrerin folgte, die gerade verkündet hatte, dass sie die Pärchen per Zufall ziehen wollte. Sie hielt ein kleines Gefäß in die Höhe, dass Mimi wiederrum skeptisch begutachtete. „Okay, ich habe alle eure Namen auf Zettelchen geschrieben und werde nun nach und nach immer zwei Leute ziehen, die an einem Projekt zusammenarbeiten werden“, erklärte sie knapp und verschwand mit den Fingern in dem Gefäß. Er dauerte einen kurzen Moment bis sie zwei Zettel herausgefischt hatte und die ersten beiden Namen laut vorlas. Resigniert verdrehte Mimi nur die Augen und hoffte, dass sie wenigstens einen kompetenten Partner erhalten würde, auch wenn sie darauf keinen Einfluss hatte. Gelangweilt griff sie wieder zu ihrem Handy und drückte kurz auf die Sperrtaste, sodass ihr Display erleuchtet wurde. Makoto hatte ihr noch nicht genantwortet, was während des Unterrichts nicht ungewöhnlich war. Auch sie wollte nur ungern erwischt werden und versuchte sich, trotz Ablenkung, auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Koushiro Izumi und…“, Mimi schreckte zusammen als sie den Namen ihres besten Freundes wahrnahm. Anspannung machte sich in ihrem Körper breit und sie kreuzte die Finger, in der Hoffnung mit ihm ein Team bilden zu können. „Satsuki Hasegawa!“ Die pure Ernüchterung traf sie förmlich wie ein Schlag ins Gesicht als sich Izzy auch noch zu ihr herumdrehte und ihr einen entschuldigenden Blick zuwarf. Mimi zwang sich automatisch zum Lächeln, um ihrem Freund zu versichern, dass es in Ordnung war, auch wenn sie es anders empfand. Zwar hatte sie keine Probleme, auch mit jemand anderem das Projekt durchzuführen, aber auch Kaori war noch übrig und wartete darauf, einem Partner zugeteilt zu werden. Ihre Lehrerin las bereits die nächsten Paare vor, während sich Mimis Nervosität von Mal zu Mal steigerte, je weniger Namen sich in dem Gefäß befanden. Es waren nicht mehr viele Schüler übrig, als plötzlich Kaoris Namen fiel. „Kaori Nakamura, du bist in einem Team mit…“, sie machte eine kurze Pause und zog den zweiten Namen aus dem Behältnis. „Mimi Tachikawa.“ Ihre Gesichtszüge entglitten sofort als sie ihren Namen hörte und Kaori prompt zu ihr rüber schaute. Nein, das durfte nicht wahr sein. Alles, bloß das nicht, schoss ihr sofort durch den Kopf, während Kaori unbeholfen ihre Brille zurechtrückte und ein schüchternes Lächeln auflegte. Womit hatte sie das nur verdient? Jetzt musste sie tatsächlich mit einer Perfektionistin zusammenarbeiten, die ihr sicher die nächsten Wochen zur Hölle machen würde. _ „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich ausgerechnet mit IHR zusammenarbeiten muss“, murrte sie deprimiert und ließ den Kopf über ihrer Pizza hängen. Es war gerade mal einen Tag her seit die Projektpartner verkündet wurden. Mimi hatte immer noch nicht akzeptiert, dass Kaori und sie von nun an zusammenarbeiten mussten. Zwar hatten sie sich bereits kurz ausgetaucht und ein baldiges Treffen anvisiert, doch Mimi merkte sofort, dass es eine Bewährungsprobe für ihre Nerven werden würde. Auch wenn sie Kaori kaum kannte, wusste jeder aus der Klasse wie ehrgeizig sie war und mit allen Mitteln versuchte ihre hochgesteckten Ziele zu erreichen. Schon während des Gesprächs war Mimi aufgefallen, dass sie sich nur mit dem Besten zufriedengab und Themenvorschläge präsentierte, von denen Mimi noch nie etwas gehört hatte. Deswegen fiel es ihr auch so unsagbar schwer den Mädelsabend mit Sora, Kari und Yolei zu genießen, obwohl sie sich darauf bereits sehr gefreut hatte. Auch Sora war das sofort aufgefallen, weshalb sie versuchte, die Stimmung ein wenig zu heben. „Mach‘ dir mal keine Gedanken. Triff‘ dich doch erstmal mit ihr. Vielleicht ist sie ja doch ganz nett und ihr stellt ein cooles Projekt auf die Beine“, erwiderte sie mit ihren weisen Ratschlägen, die sie für Mimi immer parat zu haben schien. Auch Kari stimmte sofort mit ein, während Yolei sich über ein Stück Pizza hermachte. „Lass‘ uns heute einfach ein paar Gesichtsmasken machen und viele Liebesschnulzen schauen. Ich konnte sogar ‚Schwer verliebt‘ mit Jack Black und Gwyneth Paltrow besorgen.“ „Wirklich? Oh, ich liebe diesen Film“, schwärmte Mimi und biss in das Stück Pizza als sich ihr Gaumen schmerzvoll zu Wort meldete. Sie verzog sofort das Gesicht und ließ die Pizza auf ihren Teller sinken als sie mit der Zunge über die verbrannte Stelle fuhr, die sich etwas rau anfühlte. Sie wartete einen kurzen Moment, bis ihre Pizza abgekühlt war und biss erneut ein großzügiges Stück ab. Der saftige Käse zerlief in ihrem Mund und der Geschmack von herzhafter Salami breitete sich auf ihrer Zunge aus. Genüsslich schloss sie die Augen und genoss den kurzen Moment des Wohlbefindens. „Ach, wenn man nicht so dick dadurch werden würde, könnte ich echt jeden Tag Pizza essen“, eröffnete sie ihren Freundinnen, die prompt zu Lachen anfingen. „Nur Pizza wäre wirklich etwas ungesund“, kommentierte Sora sofort, da sie nur sehr selten dieses fettige Zeug zu sich nahm, während Mimi sich in den USA regelrecht daran gewöhnt hatte. Selbst ihr Kantinenessen hatte oftmals aus Burger und Fritten bestanden. Nur gelegentlich war etwas Nahrhaftes auf ihrem Teller gelandet, was sie deutlich an ihrem Hüftumfang bemerkt hatte. Stolze fünf Kilo hatte sie zugenommen, nachdem sie aus den USA zurückkehrt war. Leider bekam sie sie auch nur sehr schwer wieder runter, weil sie einfach kein Sportfan war, sondern lieber hinter einem Herd stand und neue Rezepte ausprobierte, die aufgrund ihrer Nascherei während des Kochens sicherlich nicht förderlich für ihre Figur waren. Auch wenn sie sich wohlfühlte, fiel ihr oftmals auf, dass sie viel fülliger war und mehr Kurven als die Mädchen in ihrer Schule hatte. Zwar schenkten ihr oftmals die Jungs dadurch mehr Aufmerksamkeit, aber sie war sich gar nicht mal so sicher, ob sie diese Art von Aufmerksamkeit überhaupt haben wollte. Ständig auf Brüste und Hinten reduziert zu werden, konnte auf Dauer echt anstrengend werden – selbst für eine Mimi Tachikawa, die ganz sicher nicht auf den Mund gefallen war. _ „Ach ist das romantisch“, schwärmte Yolei seufzend und richtete gebannt den Blick auf den kleinen Fernseher, der sich in Mimis Zimmer befand. Sie hatten mehrere Futons hervorgeholt, auf denen ihre Freundinnen übernachten wollten. Mimi hatte sich schon auf ihrem Bett bequem gemacht und kuschelte sich in ihre flauschige rosane Decke, die sie einmal um sich selbst geschlungen hatte. Ihre Eltern waren seit Ewigkeiten mal wieder ausgegangen und hatten ihr die Wohnung für die nächsten Stunden überlassen. Sie wusste gar nicht, wann sie genau nach Hause kamen, aber sie genoss die Zeit mit ihren Freundinnen, die nicht von Schule, Zukunftsperspektiven und anstehenden Entscheidungen belastet wurde. Wenn es nach ihrem Vater ging, wäre es ihm am liebsten, dass sie das Praktikum in der Firma annehmen würde und sich später für ein BWL-Studium entschied, um einen sicheren Arbeitsplatz zu erhalten. Doch sie hatte noch keine Lust sich zu entscheiden, sondern wollte ihre Jugend genießen, mit allem was dazu gehörte. „Es ist wirklich ein Jammer, dass so viele Typen nur auf dein Äußeres schauen, statt auf den Charakter“, meldete sich nun auch Kari zu Wort, die ihre Beine gegen ihren Körper gepresst hatte. „Ja, nur leider ist das ebenso. Die meisten suchen eine Freundin, mit der sie angeben können“, murmelte Yolei unzufrieden und betrachtete nachdenklich ihre langen Haarspitzen. „Ich glaube, ich werde niemals zu solchen Mädchen zählen. Deswegen bin ich wohl auch immer noch ungeküsst.“ Überrascht weiteten sich Mimis Augen und sie setzte sich auf. „Das redest du dir doch hoffentlich nicht ein! Es gibt da doch keine Regeln oder ein Mindestdatum“, entgegnete Mimi. „Genau, du solltest dich da echt nicht unter Druck setzen“, stimmte Sora mit ein als Yolei sich aus ihrer Bauchlage aufrichtete und sich zu den Mädchen herumdrehte. „Aber ich bin bald sechszehn und selbst Kari hat es schon hinter sich gebracht“, klagte sie mit einem jammernden Unterton in der Stimme. Karis Wangen verfärbten sich augenblicklich tiefrot und sie riss, aufgrund von Yoleis Aussage, die Augen weit auf. „Yolei…sei still!“ Doch es hatte keinen Zweck mehr. Sowohl Mimi als auch Sora hatten es bereits gehört. „Wie? Du bist keine Kussjungfrau mehr?“, hakte Mimi belustig nach und legte den Kopf schief. Kari versteckte daraufhin ihr Gesicht hinter ihrem Kissen und drückte es mit den flachen Händen dicht dagegen. „Na los, erzähl! Wer war der Glückliche?“ Mimi biss gespannt auf ihre Unterlippe und zog sie mit den Schneidezähnen nach hinten als Kari hinter den Kissen hervorkam und mit geröteten Wangen Yolei einen vernichtenden Blick zuwarf. „Manchmal hasse ich dich echt“, flüsterte sie ihr feindselig zu als sich ihre Freundin unbeholfen am Kopf tätschelte. „Tut mir leid, ich wusste ja nicht, dass es ein Geheimnis bleiben soll“, rechtfertigte sie sich unschuldig, während Sora und Mimi gespannt Kari beäugten. „Okay…gut! Es war Takeru! Wir haben es nur gemacht, um es mal gemacht zu haben! Fertig!“, offenbarte sie ohne Umschweife. „Uhlala“, antwortete Mimi verschwörerisch grinsend. „Und wie war’s?“ „Ungewohnt“, antwortete Kari peinlich berührt. „Wir wussten nicht so richtig, ob wir mit oder ohne Zunge probieren sollten.“ „Na, ich hoffe ihr habt mit, ansonsten ist es doch kein richtiger Kuss, sondern nur ein harmloser Schmatzer“, erwiderte Mimi und machte einen Kussmund. „So ein Quatsch“, warf Sora sofort ein und blickte zu Mimi. „Mit vierzehn hatten Matt und ich auch noch nicht richtig geknutscht. War alles sehr harmlos gewesen.“ „Natürlich, aber auch nur solange bis ihr sechszehn wurdet und dann viel versautere Dinge mit euren Zungen gemacht habt“, konterte Mimi triumphierend. „Mimi!“, quietschte sie schrill und zog ihren kurzen Namen in die Länge. „Du bist echt unmöglich.“ „Ist doch wahr! Für mich ist ein richtiger Kuss eben mit Zunge. Ist doch dann auch alles viel intensiver als ohne“, meinte sie überzeugend. „Ach wirklich? Sprichst du etwa aus Erfahrung? Wer war denn dein erster? Michael?“, hakte Yolei wissbegierig nach und schielte über ihre Brille, bevor sie sie zurechtrückte. Mimis Herz setzte unvermittelt aus und eine Gänsehaut überkam sie als sie an ihren ersten Kuss unweigerlich zurückdenken musste. „Ja natürlich war es Michael gewesen. Schließlich waren wir ja auch eine Zeitlang zusammen“, antwortete sie unwirsch und war bedacht darauf, es überzeugend rüber zu bringen, wohlwissend, dass es nicht stimmte. Auch Soras bohrender Blick auf ihrer Haut, blieb ihr nicht unbemerkt, doch sie wollte sich nicht aus der Fassung bringen lassen. Warum war sie auch nur so dumm gewesen und hatte das Thema extra darauf gelenkt? Sie wollte doch die Vergangenheit endlich ruhen lassen… _ Sie schlich sich nach draußen als ihr eine kühle Brise entgegenkam und sie ihn an der Mauer lehnend vorfand, den Blick zu den Sternen gerichtet. Mimi befand sich im Hinterhof des Probenraums, indem sich Matts Band dreimal die Woche zum Üben traf. Sie war extra kurz nach Weihnachten nach Japan gereist, um gemeinsam mit ihren Freunden Silvester zu feiern. Auch wenn eine ausgelassene Stimmung herrschte, spürte sie, dass er immer noch der Vergangenheit hinterher trauerte. Er hatte seine beste Freundin ziehen lassen, damit sie mit Yamato ihr Glück versuchen konnte, obwohl er selbst für ihre rothaarige Freundin schwärmte. Dass hatte Mimi bereits all die Jahre vermutet gehabt, auch wenn wohl anfangs nur eine kindliche Schwärmerei dahintersteckte. Es waren die liebevollen Blicke, die er ihr zuwarf. Wie sich sein Gesicht erhellte, wenn er mit ihr sprach oder herumalberte. All das hatte ihn verraten, auch wenn sie nur Momentaufnahmen mitbekam, waren seine Gefühle offensichtlich. Jedenfalls für Mimi. „Na, was machst du denn hier draußen so alleine? Willst du nicht wieder reinkommen? Gleich beginnt das Feuerwerk“, informierte sie ihn mit sanfter Stimme. Er zuckte kurz zusammen, da er sie nicht sofort bemerkt hatte. Doch ein mattes Lächeln zog sich über seine Lippen hinweg und versuchte die Traurigkeit, die sie in seinen Augen lesen konnte, zu verdecken. Doch sie hatte ihn bereits durchschaut. „Ich denke von hier aus, kann man alles viel besser erkennen…“, murmelte er mit verhangener Stimme, ohne sie direkt anzusehen. Mit langsamen Schritten näherte sie sich und stellte sich dicht neben ihn. Sie drückte ihren Rücken gegen die Hauswand und betrachtete lautlos die funkelnden Sterne, die wie kleine Laternen das dunkle Himmelszelt erleuchteten. „Es ist hart mitanzusehen, oder?“, wisperte sie fast schon ein wenig ehrfürchtig, da sie seine Reaktion schlecht einschätzen konnte. Ein undefinierbarer Laut löste sich von seinen Lippen als er den Kopf senkte und seine leere Colaflasche in der Hand drehte. „Wie schaffst du es nur, mich immer zu durchschauen? Da gibt es sicher einen Trick.“ „Wir kennen uns schon eine halbe Ewigkeit, Taichi“, antwortete sie ihm behutsam. „Ich weiß also wie ich deine Blicke zu deuten habe, auch wenn ich mittlerweile nur noch zu Besuch komme.“ Verbittert presste er die Lippen aufeinander und übte sich im Schweigen, was Mimi schon immer wahnsinnig werden ließ. Sie war eine Person, die oftmals mit ihren unüberlegten Worten und ihrer spitzen Zunge aneckte. Doch ihre Aufrichtigkeit war ein Teil von ihr, den sie sich nicht nehmen lassen wollte. „Möchtest du darüber reden? Manchmal macht es das leichter“, startete sie einen erneuten Versuch. Jedoch schüttelte er sofort den Kopf und stellte seine Flasche auf der kleinen Mauer neben sich ab. „Ich brauche einfach noch ein bisschen Zeit, um mich daran zu gewöhnen. Ich möchte, dass sie glücklich wird und ich denke, dass Yamato genau das schaffen könnte. Ich mein, guck‘ sie dir doch mal an! Sie strahlt bis über beide Ohren und ich…“ Er hielt inne. Die Worte schienen in seinem Hals festzusitzen und formten einen Kloß, der ihm das Schlucken erschwerte. Fieberhaft rang Mimi nach schlauen Ratschlägen, die sie ihm geben könnte, doch zusagen, dass es irgendwann besser werden würde, schien ihr als wenig hilfreich. Er brauchte jemanden, der ihm einfach nur zuhörte. Ihn vielleicht sogar etwas von der tristen Trostlosigkeit ablenkte. Ihm einen Hoffnungsschimmer schenkte, denn er wohl schon länger verloren hatte und den er in der Dunkelheit seines Herzens auch nicht mehr finden würde. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass das neue Jahr keine fünf Minuten mehr von ihnen entfernt war. „Es tut mir echt leid, wie das alles gelaufen ist“, sagte sie leise und berührte zaghaft seinen Arm. In solchen Momenten waren einfache Worte manchmal sogar schon zu viel, weshalb sie sich ein Herz fasste und ihre Arme um seinen angespannten Körper legte. Sie drückte ihr Gesicht in seine Jacke und roch diesen typischen Tai-Duft, der in ihrer Nase kritzelte. Nur sehr schwach begann er ihre liebevolle Geste zu erwidern, doch das machte nichts. Sie standen einige Minuten Arm in Arm beieinander als er plötzlich ihren Kopf anhob und sein markanter werdendes Gesicht im fahlen Mondlicht erhellt wurde. „Danke“, raunte er mit gedämpfter Stimme und Mimi stellte sich bereits wehmütig darauf ein, dass er sie jeden Augenblick loslassen würde. Doch sie verharrten in genau dieser Position, tauschten intensive Blicke miteinander, ohne ein weiteres Wort über ihre Lippen zu lassen. Sanft führ er ihr zartes Gesicht entlang als sich etwas zwischen ihnen veränderte. Es war nur ein winziger Moment, der sich einfach nur magisch anfühlte und ihr Herz zum Höherschlagen brachte. Mit ihren schmalen Fingern glitt sie über den weichen Stoff seiner Jacke und vergrub ihre Nägel darin. Alles schien auf einmal still zu stehen als er sich langsam zu ihr hinunter beugte. Mit großen Augen betrachtete sie seine gezielten Bewegungen. Spürte wie er mit beiden Händen ihr Kinn anhob und langsam seine Augen schloss. Ihre Atmung wurde immer unkontrollierter als sie realisierte was er vorhatte. Es würde also geschehen. Hier und jetzt. Ihr erster Kuss. Mit einem Jungen, der sie meist an den Rand des Wahnsinns trieb. Der, der im Kindergarten ihren Puppenwagen vor ihren Augen zerbrochen hatte, weil er einfach zu schwer für das Plastikgestell war. Der, der sie immer vor den größeren Jungs in Schutz genommen hatte, die einfach grob an ihren Zöpfen gezogen hatten. Der, der sie als kleines Mädchen schon so verzaubert hatte und in ihr Gefühle auslöste, die sie bisher noch nicht kannte. Ungeduldig wartete sie darauf, dass sich ihre Lippen endlich berührten. Sie schloss ebenfalls die Augen, blinzelte jedoch hin und wieder, um zu erkennen, wie nah er ihr bereits gekommen war. Mimi reckte sich ihm etwas entgegen, stellte sich auf ihre Zehenspitzen als sie seine rauen Lippen das erste Mal auf Ihren spürte. Ein wildes Durcheinander breitete sich in ihr aus und erweckte tausende Schmetterlinge, die in ihrem Bauch feurig umhertanzten. Sie hatte erwartet, dass es nur ein kurzer Kuss werden würde, doch im Hintergrund hörte sie bereits das schallende Feuerwerk, dass das neue Jahr einläutete. Statt von ihr abzulassen, wurde ihr unschuldiger Kuss von Minute zu Minute leidenschaftlicher. Sie berührte zärtlich seine Lippen als sie plötzlich seine warme Zunge wahrnahm, die flehend um Einlass bettelte. Verlangend schlang sie die Arme um seinen Nacken und zog ihn bestimmend näher heran. Ohne groß darüber nachzudenken, öffnete sie ihren Mund leicht und ließ ihn gewähren. Stürmisch drang er in ihren Mundraum ein und streichelte fordernd ihre Zunge, die sich zu einem wilden Duell mit Seiner breit machte. Wieder und wieder musste sie unterdrückt keuchen als ihr bewusst wurde, dass dieser Kuss wohl mehr als eine einfache Geste für das Neujahrsglück darstellte. Er war leidenschaftlich, gefühlvoll und setzte Empfindungen in ihr frei, die sie bisher noch nicht kannte. Eine tiefe Sehnsucht breitete sich in ihrem Herzen aus, während beide engumschlugen das neue Jahr auf ihre Weise einläuteten. _ „Wieso hast du ihnen nicht gesagt, dass Tai dein erster Kuss war?“, hinterfragte Sora skeptisch als sich die beiden Mädchen nach dem Film dazu entschlossen hatten, gemeinsam die Spülmaschine auszuräumen und eine weitere Schüssel Popcorn für alle zuzubereiten. „Pscht…nicht so laut“, flüsterte Mimi ihr zu und legte automatisch den Zeigefinger auf ihre Lippen. Ein kurzer Blick huschte zu ihrer Zimmertür, die ein Spalt geöffnet war. Yolei und Kari durchstöberten gerade ihr DVD-Regal, um einen neuen Film auszusuchen. „Was denn? Ist dir das etwa peinlich?“ Sora nahm die Teller aus der Spülmaschine und verstaute sie im Schrank. „Nein, ist es mir nicht“, beteuerte sie immer noch im Flüsterton. „Aber seine Schwester muss wirklich nicht wissen, dass ich mit ihrem Bruder rumgemacht habe. Wir waren damals noch so jung gewesen und trotzdem war es sehr…intensiv.“ Sie errötete dabei, wenn sie an das wilde Zungengefecht von damals zurückdachte. Sora hatte sie damals nur davon erzählt, weil sie es selbst verwirrt hatte und sie unbedingt jemanden zum Reden brauchte. Natürlich hatte sie nicht verraten, dass sie kurz davor noch über ihre Beziehung zu Matt gesprochen hatten und Mimi eigentlich nur zu Tai gekommen war, um ihn zu trösten. „Tja, bei euch beiden knallt eben öfters Mal eine Sicherung durch. So leidenschaftlich wie ihr euch streitet, ist es kein Wunder, dass da Gefühle entstehen, die keiner mehr zuordnen kann“, meinte Sora augenverdrehend und wirkte etwas genervt auf sie. „Da sind keine Gefühle im Spiel! Nicht mehr…“, korrigierte Mimi sie sofort. „Es gibt außerdem jemand anderen, den ich mag und der mich ebenfalls sehr gern zu haben scheint.“ „Du meinst Makoto? Der spielt doch nur mit dir!“, erwiderte Sora alarmierend. „Das weißt du doch gar nicht!“ „Oh doch! Auf Matt hat er auch einen schlechten Einfluss und ich kann mir nicht vorstellen, dass zu einer monogamen Beziehung überhaupt fähig ist!“ „Das sind doch alles Unterstellungen“, raunzte sie empört und konnte nicht fassen, was ihre beste Freundin da von sich gab. Sie kannte ihn doch kaum und sah nur das Negative, nur, weil Matt versuchte seinen Traum zu leben, der Sora einfach nicht in den Kram passte. „Ich mache mir eben nur Sorgen um dich, okay?“, versucht sie einen ruhigeren Ton einzuschlagen. „Ich weiß, dass dich damals diese Sache mit Taichi sehr verletzt haben muss, aber ihr wart nicht zusammen und…“ „Davon möchte ich nichts mehr hören“, murmelte sie unterkühlt als ein kalter Griff ihr Herz umfasste und es schmerzvoll zusammendrückte. „Ich bin bereit für etwas Neues! Und mir ist egal, was du darüber denkst.“ Ihre Worte hallten in der kleinen Küche nach als sie den Besteckhalter leerräumte, eine Schublade aufzog und in den jeweiligen Fächern, die Messer und die Gabeln stur verteilte. „Okay, wenn du meinst“, antwortete Sora kleinbeigebend und schüttelte zweifelhaft ihre rote Mähne. „Pass‘ aber auf, dass du deine Gefühle auch richtig deutest und nicht nach einer Ablenkung von deinem Schmerz suchst!“ Mimi seufzte nur herzzerreißend, blieb Sora aber eine Antwort schuldig. Sie wusste nicht, was sie darauf noch erwidern sollte. Es war doch schließlich ihr Leben. Und sie wollte wieder glücklich werden. Kapitel 9: Schmerzliche Vertrauensbrüche ---------------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Er sitzt immer noch dran“, ertönte die besorgte Stimme seiner Schwester. Tai, der sich langestreckt auf seinem Bett niedergelassen hatte, hob lustlos den Kopf an, um besser zu ihr sehen zu können. Sie saß auf seinem Schreibtischstuhl und hatte seine Zimmertür fest im Blick. „Du solltest dir wirklich nicht so viele Sorgen machen. Die Präsentation ist eben sehr wichtig“, zeigte er ihr auf und ließ sich wieder auf sein weiches Kissen sinken. „Aber er hat das Wochenende kaum geschlafen! Hast du seine Augenringe noch nicht bemerkt?“ „Doch natürlich…“ „Wenn er so weitermacht, wird er noch zusammenbrechen“, stellte sie alarmierend fest. „Kari, beruhig‘ dich mal. Er kann gut auf sich selbst aufpassen“, untermauerte er standfest, setzte sich aber auf. Die Besorgnis war aus dem Gesicht seiner Schwester zu lesen. Sie saß zusammengekauert auf seinem Stuhl, knabberte nervös an ihrem Daumennagel und schien ihre wirren Gedanken zu sortieren. Natürlich hatte auch Taichi sich seine Gedanken gemacht. Auch er hatte mitbekommen, dass sein Vater das letzte Wochenende kaum zu Hause war und sogar in der Firma übernachtet hatte, weil sie einfach nicht rund kamen. Am Samstagmorgen kehrte er fast zeitgleich mit Kari zurück, die den Abend zuvor bei Mimi verbracht hatte. Auch seine Mutter hatte sich noch auf der Arbeit befunden als sein Vater schnell zum Duschen heimkehrte und seine Aktentasche erneut packte. Bevor Taichi vom Wochenendeinkauf zurückkam, war er auch wieder verschwunden, was bei den beiden Geschwistern eine Mischung aus Besorgnis und Angst auslöste. Sein Vater war nicht der Typ, der viel über seine Arbeit sprach. Meist erzählte er wirklich nur ganz grob, was er den Tag über getan hatte. Seit die Firma in Schwierigkeiten steckte, traute sich weder Tai noch Kari ihn näher darauf anzusprechen, weil er meist doch sehr wütend wurde. Auch seine Mutter hatte es bereits aufgegeben mit ihm über die Arbeit sprechen zu wollen. Es war das leidige Thema, dass seine Familie auf Schritt und Tritt verfolgte. Es war wie ein dunkler Schatten, der sich über sie legte und ihnen das Licht am Ende des Tunnels verwehrte. Er konnte daher die Besorgnis seiner Schwester gut nachvollziehen, auch wenn er sich um sie am meisten sorgte. Ihm war aufgefallen, dass sie ihm oftmals eine fröhliche Miene präsentierte, obwohl ihr zum Lachen gar nicht zu Mute war. Auch vor ihren Freunden spielte sie dieses gefährliche Spiel perfekt, da er sich nicht vorstellen konnte, dass sie sich jemandem anvertraute. Auch er hielt den Mund, da er sich nicht die Blöße geben wollte. Zuzugeben, dass der eigene Vater die Familie nicht mehr ernähren konnte, erfüllte ihn mit Scham, auch wenn er wusste, dass es nicht die Schuld seines Vaters war. Doch die Gesellschaft legte ihnen Regel auf, die sie klamm und heimlich befolgten, ohne es wirklich wahrzunehmen. Es ging nicht um die Ursache der Schuld. Es ging um die reinen Fakten, die ihm immer öfters bewusst werden ließen, wie aussichtlos seine Situation doch war. Dass sein Vater kurz davor war seinen Job zu verlieren und sie in eine ungewisse Zukunft steuerten. Alles hing an einem seidenen Faden, der zu zerreißen drohte. _ Ende der Woche war es schließlich soweit. Die langersehnte und lebenswichtige Präsentation stand an, was nicht nur bei seinem Vater ein mulmiges Gefühl am Frühstückstisch hinterließ. Auch Taichi hatte Schwierigkeiten sich auf sein Essen zu konzentrieren, da sich die Appetitlosigkeit seines Vaters auf ihn übertrug. Nachdem er sein Tamagoyaki kaum angerührt hatte, machte er sich bereits auf den Weg zur Arbeit, während Taichi ebenfalls pünktlich das Haus verließ, um am morgendlichen Training teilzunehmen. Doch seine Konzentration hielt sich in Grenzen. Er vermasselte die einfachsten Pässe, schoss gegen den Pfosten des Tors und verlor durch seine ständige Anspannung schnell an Kondition. Völlig außer Puste stand er mitten auf dem Platz, ging in die Knie und atmete schwerfällig. Seine Lunge brannte als er versuchte mit seinen Teamkollegen mitzuhalten und all seine Zweifel und Ängste zu verdrängen. Doch auch er hatte diese Nacht kaum ein Auge zu bekommen, wälzte sich unruhig hin und her, starrte ständig auf seine Wecker, der ihm die bereits vergangenen Stunden anzeigte, in denen er wach lag. Seine müden Knochen bewegten sich daher nur sehr langsam über den Platz und zeigten ihm, dass er seinen Schlaf benötigte. Nach einer Stunde intensivem Training, das ihm doppelt so lange vorkam, ließ er sich erschöpft auf einer Bank nieder und griff sofort nach seiner Wasserflasche, um seine Kehle zu erfrischen. „Also wirklich Tai, das war heute ja mal nichts“, kommentierte Herr Ichinose, der seinen Trainingsplan in seine Tasche packte und ihn mit einem strengen Blick strafte. „Ich weiß…es tut mir…“ „Du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen, aber dir sollte klar sein, dass du so das Stipendium nicht bekommen wirst“, erwiderte er streng und schulterte seine Tasche. „Du solltest dich wirklich mehr anstrengen. Ich habe dir gesagt, dass es kein Zuckerschlecken wird.“ Betroffen senkte Taichi den Kopf und sah nur aus dem Augenwinkel heraus, wie sich sein Trainer langsam von ihm entfernte. Die pure Hilflosigkeit stieg in ihm auf, da er sich in die Ecke gedrängt fühlte und nicht wirklich wusste, wie er all dem nur Stand halten sollte. Er war sehr widerstandsfähig, aber mittlerweile stieß er immer wieder an seine körperlichen Grenzen, die im zeigten, dass er sich auf dem falschen Weg befand. Doch es gab kein Weg zurück. Der steinige Pfad des Erfolgs lag vor ihm, schien unbezwingbar, aber dennoch wollte er nicht einfach so aufgeben. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, sein Ziel zu erreichen. Dieses verdammte Sportstipendium zu bekommen, das all seine Probleme auf einmal lösen könnte. Niedergeschlagen und enttäuscht über sich selbst, ging er langsam zu den Umkleidekabinen. Seine Teammitglieder waren bereits umgezogen und stiegen in ihre Schuluniformen, während er sich das verschwitzte Trikot über den Kopf zog und lässig über seine Schulter warf. Er ging zielstrebig zu seinem Spint, öffnete ihn geschickt und warf das Trikot achtlos in seine Sporttasche, die er darin eingeschlossen hatte. Ausdrucklos kramte er nach seinem Duschgel und schnappte sich das kratzige Handtuch, dass er sich eingepackt hatte. Danach verschwand er direkt unter die Dusche, die er benötigte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er stellte das Wasser an, das natürlich eiskalt war und ihn zusammenfahren ließ. Murrend regulierte er die Temperatur, die sich langsam veränderte. Er hob den Kopf an, ließ das lauwarme Wasser über sich prasseln und fuhr sich mit der flachen Hand über sein müdes Gesicht, bevor er sich zu seinem Duschgel hinunterbeugte und es auf seinen Handflächen großzügig verteilte. Es schäumte stark als er sich damit einrieb und seine schmerzenden Muskeln zu massieren begann. Ein leises Stöhnen überkam ihn als er von seinen Unterschenkeln weiter nach oben wanderte und seine verkrampfte Muskulatur mit flüssigen und kräftigen Bewegungen lockerte. Als er damit fertig war, schnappte er sich sein Duschgel erneut, dass auch als Shampoo diente. Wieder gab er sich einen walnussgroßen Klecks auf die Hand, verrieb es bis es aufschäumte, um es dann auf seine wilde Mähne zu geben. Mit seinen Fingern verteilte er es auf seiner Kopfhaut und massierte das Shampoo wohltuend ein, während der Schaum sich langsam löste und sich in der Dusche ansammelte. Er genoss den Moment der Ruhe in vollen Zügen, entspannte sich, während er mit gleichmäßigen Bewegungen über seine Kopfhaut und nassen Haar strich. Als der Schaum verschwunden war und das Wasser klar wurde, stellte er die Dusche ab und griff nach seinem Handtuch, dass er in der Nähe platzierte hatte, damit es nicht nass wurde. Er rubbelte sich kurz über seine feuchten Haare und Körperstellen als er das kratzige Handtuch um seine Hüften schlang und aus der Dusche stieg. _ Völlig erschöpft von dem langen Schultag kam Taichi zuhause an. Schwerfällig stieg er die Treppen zur Wohnung hinauf, balancierte seine Schul-und Sporttasche geschickt mit den Fingern als an der Tür ankam und nach seinem Schlüssel kramte. Er ertastete den kühlen Gegenstand und zog ihn mit zwei Fingern hervor. Gähnend steckte er ihn ins Schloss und drehte ihn zweimal herum als sich die Tür langsam öffnete. Mit dem Fuß stieß er sie etwas unsanft auf, zog den Schlüssel ab und trat ein. Die Tür schlug augenblicklich zu, da er keine Hand frei hatte, doch das machte ihm reichlich wenig aus. Er schlüpfte nur aus seinen Schuhen, stellte seine Taschen im Flur ab und ging in den großen Wohnraum als er seinen Vater schon vor dem Fernseher sitzen sah. Er hatte eine Bierflasche in der rechten Hand und starrte ausdrucklos in das flimmernde Bild, dass ein Basketballspiel zeigte. Langsam schritt Tai auf ihn zu, vergrub seine Hände in der Hosentasche und spürte wie sein Puls schneller zu schlagen begann. Er hatte noch nicht mal mitbekommen, dass Taichi wieder da war, doch er erkannte schnell, dass sich die Bierflaschen neben ihm stapelten. Fassungslos entglitten ihm seine Gesichtszüge als er ungläubig auf den kleinen Glastisch starrte und dort ganze fünf leere Flaschen vorfand. Die Sechste immer noch in seiner Hand. Eine unbändige Wut kroch seinen Hals hinauf als er sah wie sein Vater ansetzte und einen großzügigen Schluck zu sich nahm. „Papa?“, ertönte seine bebende Stimme als sein Vater einen halbherzigen Blick zu ihm wagte. „Du bisch jah schun ihr“, lallte er und Tai wurde klar, dass er völlig betrunken war. Wahrscheinlich war Bier nicht das einzige gewesen, dass er getrunken hatte und Taichi konnte sich denken, was dies zu bedeuten hatte. „Die Präsentation ist wohl nicht so gut gelaufen“, murmelte er, nahm seine Hände aus der Hosentasche und ballte sie zu Fäusten. Er hatte doch schon so lange nicht mehr so viel getrunken gehabt…wieso, wieso tat er ihm nur sowas an? Er konnte sich doch denken, dass das all das nur schlimmer machte… „Dat Konzept is‘ durchgefollen. Dieser Arsch…e-er…es war nisch kreativ genuk“, antwortete er mit schwerer Zunge als er voller Elan die Bierflasche in einem Zug leerte. „Aber du hast doch so lange daran gesessen! Wie kann das nur sein?“, hakte Taichi aufgebracht nach, da er sich nicht vorstellen konnte, dass der erneute Rettungsversuch schiefgelaufen war. „Is‘ halt so“, erwiderte er schulterzuckend und wirkte ein wenig gleichgültig auf ihn. „Du kannst das doch nicht so hinnehmen! Dann müsst ihr euch eben einen anderen Partner suchen.“ Ein Grinsen schob sich plötzlich auf das Gesicht seines Vaters, während er sich vorsichtig von der Couch hochdrückte und wankend auf Taichi zukam. „Es is‘ vorbei! Die Firma is‘ am Ende!“, erwiderte er mit rauchiger Stimme, als sein fragwürdiges Lächeln verblasste und durch die schmerzende Gewissheit ersetzt wurde. „Isch hab‘ versogt.“ Schwankend ging er an Taichi vorbei, der völlig perplex stehen blieb. Es war vorbei. Die Firma würde bankrottgehen und weder sein Vater, noch er konnten das verhindern. Wie betäubt drehte er sich seinem Vater wieder zu, der zum Flur geschlichen war und Anstalten machte seine Schuhe anzuziehen als bei Taichi sämtliche Alarmglocken läuteten. Er wollte doch nicht…nein, das konnte doch nicht sein ernst sein?! „Wo willst du hin?“, hinterfragte er mit einem scharfen Unterton und steuerte mit schnellen Schritten auf ihn zu. „Isch will mir nosch ein bissche‘ Biere besorge‘!“, meinte er sorglos als er in seine Schuhe geschlüpft war. „Das ist jetzt nicht dein Ernst! Du hast genug getrunken! Merkst du nicht, dass du lallst und sogar Orientierungsschwierigkeiten hast?“, wollte er ihm vor Augen führen als sich der Gesichtsausdruck seines Vaters verfinsterte. „Isch bin ald genuk, Taischi! Isch brauch‘ keine‘ Aufpasser“, brüllte er in einem aufgebrachten Tonfall, sodass Taichi froh war, das weder seine Schwester noch seine Mutter zuhause waren. Er musste ihn dringend aufhalten, bevor er noch irgendwelche Dummheiten beging, die er hinterher sicher bereuen würde. „Du bleibst hier! Hör‘ gefälligst auf dein Hirn und unser Geld wegzusaufen!“, brachte er hervor als er den Zorn in den Augen seines Vaters sah und plötzlich seine Hände an seinem Kragen spürte. „So redest du nischt noch mal mit mir, hascht du verstanden Taischi?“, er fletschte die Zähne und sein alkoholgetränkter Atem schlug ihm entgegen. Seine Augen waren gefährlich geweitet, so wie er es bei ihm noch nie gesehen hatte. Sein Vater war immer ein sehr ruhiger Mensch gewesen, aber jetzt? Er müsste lügen, wenn er nicht die Angst seinen Rücken hochkriechen spürte. Er durfte ihn nicht weiter provozieren, sonst… „Ich mache mir doch nur Sorgen um dich!“, versuchte er ihn zu beruhigen, doch er ließ ihn dadurch nicht los, sondern redete sich nur noch mehr in Rage. „Es kann doch nischt wahr sein, dass du mir vorschreibst, was isch zu tun und zu lasse‘ habe! Deine Schwester und du kostet misch genug Geld! Da werde isch mir doch mal ein Sixpack Bier holen könne‘.“ Völlig sprachlos fixierte er ihn und konnte nicht fassen, was er gerade gesagt hatte. Er verglich ihn und Kari mit einem Sixpack Bier?! War das sein ernst? Eine unbändige Wut ersetzte die aufkommende Angst, die er in seinem Rücken bis eben noch gespürt hatte. Er packte die Hände seines Vaters, die immer noch seinen Hemdkragen in Beschlag genommen hatten und drückte dagegen. „Lass‘ mich gefälligst los!“, brüllte er aufgebracht als sich sein ganzer Körper wie unter Hochspannung anfühlte. Er wand sich hin und her, versuchte seinen Vater von sich weg zu drücken, als sich ein unbedachter Satz von seinen Lippen löste. „Du bist ein armseliger, egoistischer Alkoholiker! Kein Wunder, dass zurzeit alles nur schiefläuft“, murmelte er laut genug, damit er es hören konnte. Taichis Augen begannen zu brennen als er diese hässlichen Worte aussprach und in das Gesicht jenes Mannes blickte, zu dem er immer aufgesehen hatte. Unvermittelt spürte er einen starken Druck, verlor das Gleichgewicht und schien alles nur noch in Zeitlupe wahrzunehmen. Ein starker Schmerz fuhr durch seine Schulter, sodass er einen leisen Schrei ausstieß und zu Boden glitt. Das wutverzerrte Gesicht seines Vaters verwandelte sich in blankes Entsetzen als Taichi benommen auf dem Boden lag und regungslos sitzen blieb. Stille kehrte ein als Tai schmerzerfüllt mit der Hand zu seiner Schulter wandern wollte. Schon die kleinste Bewegung ließ ihn erstarren und fest die Lippen aufeinanderpressen, damit er keinen lauten Schrei von sich gab. Er blinzelte zu dem robusten Garderobeschrank, dessen Ecke spitz hervorstach. Er atmete tief ein, hielt jedoch sofort die Luft an als er seine Schulter nur leicht bewegte. Der stechende Schmerz fuhr durch seinen Körper und führte ihm vor Augen, was sein Vater gerade getan hatte. Fassungslos rang er nach Luft, griff schützend nach seiner verletzten Schulter und versuchte das Geschehene zu leugnen. Sich einzureden, es wäre nicht passiert. „Oh mein Gott…“, kam es von seinem Vater, der ebenfalls nicht fassen konnte, was er getan hatte. Sofort ging er auf die Knie, wankte hin und her und wollte sich gerade über Taichi beugen als er ihn reflexartig von sich stieß. „Bleib ja weg“, wimmerte er und spürte wie sich die salzigen Tränen in seinen Augen sammelten und zu brennen begannen. Er blinzelte heftig, da er sich nicht die Blöße geben wollte vor seinem Vater zu weinen. Dieser saß ihm direkt gegenüber, flüsterte wie ein Mantra eine ewige Entschuldigung vor sich hin, die Taichi jedoch gar nicht wahrnahm. Er hatte ihn gegen den Schrank geschubst. Sein eigner Vater hatte gegen ihn die Hand erhoben, nur, weil er etwas sagte, was er nicht hören wollte. Die Wucht dieser Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht und er hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden. Eine klare Grenze wurde überschritten und hinterließ bei ihm eine tiefe Wunde, die so schnell nicht mehr heilen würde. Sein Vertrauen war endgültig weg. Kapitel 10: Planungsphase ------------------------- ♥ Mimi ♥ „Und du triffst dich heute mit ihr?“, fragte Yolei mit angezogener Augenbraue, während Mimi die Paprika in die Pfanne zu den Zwiebeln und der Zucchini hinzugab. Sie seufzte herzzerreißend und ließ die Schultern hängen. „Ich habe ja keine andere Wahl und sie hat mich schon Anfang der Woche gefragt…irgendwann sind mir dann die Ausreden ausgegangen.“ Yolei schenkte ihr einen mitleidigen Blick als sie die Paprika in der Pfanne mit etwas Salz und Pfeffer würzte. Heute beschäftigten sie sich mit einer französischen Köstlichkeit: dem Ratatouille. Nachdem sie das Gemüse und die Kräuter kleingeschnitten hatten, gaben sie es nach und nach in die Pfanne. Zuerst wurden die Zucchini mit den Zwiebeln angebraten, danach kam die Paprika hinzu, während die Aubergine das Schlusslicht bildete. „Vielleicht ist sie ja auch ganz anders als in der Schule“, versuchte Yolei Mimi zu beruhigen, doch sie nahm ihr nur den Pfannenwender aus der Hand und konzentrierte sich darauf, dass Gemüse scharf anzubraten, bevor sie das Tomatenmark, die geschälten Tomaten, die restlichen Gewürze und die Kräuter hinzugaben. „Das glaube ich leider nicht“, antwortete sie überzeugend. „Wieso denn nicht? Ich bin zuhause auch oftmals anders als in der Schule. Ich glaube, meine Geschwister haben schon des Öfteren Bekanntschaft mit meinem lauten Organ gemacht. Hier halte ich mich wirklich sehr zurück“, offenbarte sie und brachte Mimi zum Schmunzeln. „Bei ihr ist das aber etwas Anderes. Letztes Schuljahr hatten wir uns doch alle zum Lernen getroffen und sie war einfach…ich weiß gar nicht wie ich es beschreiben soll“, erwiderte sie aufgebracht und bewegte den Pfannenwender ruckartig in der Pfanne umher. „Sie kam mir immer so genervt vor als hätte sie keine Lust darauf. Dann hat sie auch ständig die Leute verbessert und wollte uns dazu animieren, auch die freiwilligen Aufgaben zu lösen, obwohl die viel schwer waren als die Pflichtaufgaben. Und für die Klausur hätten die eh nichts gebracht.“ „Also ist sie wohl eine Vorzeigeperfektionistin“, stellte Yolei nüchtern fest und gab das Tomatenmark und die geschälten Tomaten hinzu, bevor sie die Soße mit den Kräutern und Gewürzen zu verfeinern begann. „Ja, sie gehört mit Izzy zu den Klassenbesten und will ihren Schnitt wohl auch halten. Ich frage mich ernsthaft, ob sie überhaupt ein Privatleben hat. Bestimmt gleicht ihr Zimmer einem tristen Bunker, damit sie sich besser auf das Wesentliche konzentrieren kann“, mutmaßte Mimi lachend und zog eine der Schubladen auf, um zwei Löffel zum Probieren herauszuholen. Sie reichte den einen an Yolei weiter, die ihn gespannt in die Soße tauchte und ein Stück Zucchini ebenfalls mitaufnahm. „Vorsichtig, es ist sicher noch sehr heiß“, informierte Mimi sie, während sie ebenfalls etwas auf ihren Löffel tat und bedacht in die Soße blies, bevor sie sie langsam zu ihrem Mund führte. Der fruchtige Geschmack der Tomaten breitete sich auf ihrer Zunge aus, während sie die weiche Zucchini problemlos kauen konnte. Sie war noch etwas bissfest, aber das störte Mimi nicht. „Ich glaube, es fehlt noch ein bisschen Salz“, meinte Yolei, die die Soße ebenfalls abgeschmeckt hatte. „Findest du?“, hakte Mimi verunsichert nach und probierte abermals. Sie legte den Kopf etwas zur Seite und versuchte den Geschmack ganzhaltig einzufangen, indem sie die Soße auf der Zunge zergehen ließ. „Mhm, ich glaube es fehlt eher eine Prise Rosmarin“, merkte Mimi an als sie die frischen Rosmarinblätter in die Hand nahm und sie zurechtzupfte, um es in der Soße zu verteilen. Danach rührte sie sie etwas um und nahm eine weitere Kostprobe. „Ja, ich glaube, jetzt ist es gut! Probier‘ nochmal!“ Yolei kam Mimis Aufforderung sofort nach und tunkte ihren Löffel erneut in die gutriechende Soße. Sie schöpfte etwas ab, damit ihr Löffel nicht zu voll war und führte ihn pustend zu ihrem Mund. Gespannt betrachtete Mimi ihre Freundin und hoffte, dass es ihr ebenfalls schmeckte. Nickend bestätigte Yolei sie und hielt sich die Hand vor den Mund, da es wahrscheinlich doch noch etwas zu heiß für sie gewesen war. „Ist echt lecker“, antwortete sie und schnappte etwas nach Luft. „Nur wirklich verdammt heiß.“ „Tja, wurde ja schließlich auch auf dem Herd gekocht“, witzelte Mimi und stellte die Herdplatte etwas runter, damit das Ratatouille noch ein bisschen köcheln konnte. „Kommst eigentlich nächste Woche auch zu dem Fußballspiel? Danach ist sogar eine Poolparty bei einem aus der Mannschaft“, verkündete Mimi freudig und stützte sich an der Theke ab. „Fußballspiel? Poolparty? Es ist erst Mitte Mai“, stellte Yolei entrüstet fest. „Na und? Die war letztes Jahr auch schon im Mai gewesen! Der Pool ist sogar beheizt und es laufen viele heiße Kerle in Badehosen rum. Und wir können uns natürlich in einem schicken Bikini präsentieren“, flötete sie und trieb Yolei die Schamesröte ins Gesicht. „Ein Bikini?! Ich glaube, ich habe noch nicht mal einen“, gab sie kleinlaut zu. „Na umso besser“, sagte Mimi und legte die Hand auf ihre. „Dann können wir dir noch einen Hübschen kaufen gehen. Geld ausgeben fördert ja schließlich die Wirtschaft.“ „Ich weiß nicht…wer kommt denn da alles?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn nach. Mimi überlegte kurz und fing an ein paar Namen aufzuzählen, die Yolei kannte. „Hauptsächlich die Fußballer und ein paar Klassenkammeraden aus den oberen Klassenstufen. Bestimmt kommen Yamato und Sora auch mit, falls Matt kein Konzert hat. Und vielleicht bringt Matt dann auch Makoto mit“, trällerte sie hoch erfreut und grinste überschwänglich. Sie hatte mit Makoto in letzter Zeit viel Kontakt. Erst letztens waren sie nach der Schule einen Kaffee trinken gewesen und hatten sie sehr nett miteinander unterhalten gehabt. Mimi hoffte nach wie vor, dass er sie bald auf eine Verabredung einladen würde. Sie gab ihm schließlich eindeutige Zeichen, dass sie an ihm interessiert war und einen Makoto in Badehose würde sie sich auch ganz sicher nicht entgehen lassen wollen. „Er scheint es dir ja ganz schön angetan zu haben“, stellte Yolei fest und warf einen prüfenden Blick zu ihrem Ratatouille. Mimi kicherte und beugte sich ebenfalls über die Pfanne. Ein paar Strähne lösten sich aus ihrem hochgebundenen Zopf, die sie hektisch hinter ihre Ohren strich. „Vielleicht fragt er mich ja sogar bald nach einer Verabredung.“ „Ach er hat dich noch nicht gefragt?“, hakte Yolei interessiert nach und stellte auf Mimis Anweisung hin die Herdplatte aus. „Nein, noch nicht. Wir waren zwar mal Kaffee trinken, aber das kann man nicht als Verabredung bezeichnen.“ „Okay, vielleicht solltest du dir dann ja auch einen neuen Bikini besorgen und ihm einfach gehörig den Kopf verdrehen“, schlug Yolei lachend vor. Mimi stieg sofort mit ein und nickte bestätigend. „Ich mag deine Denkweise, aber erstmal möchte ich einfach diesen Nachmittag rumbekommen und die Perfektionistin überleben“, antwortete sie bedacht und nahm die Pfanne vom Herd. _ Direkt nach dem Kochkurs machte sich Mimi auf den Weg zu einem Café in der Nähe, dass Kaori ihr als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Sie wollte einige Themenvorschläge durchgehen, in der Hoffnung, dass ein Thema dabei war, dass ihnen beiden gefiel. Mimi war noch skeptisch, ob sie sich überhaupt einigen konnten, da sie wohl sehr unterschiedliche Vorstellungen von dem Projekt hatten. Sie hatten bis zum Herbstfest Zeit, das Projekt vorzubereiten, ihre Ergebnisse zu verschriftlichen und eine Präsentation zu erarbeiten, die sie während des Festes vorstellen mussten. Sie schlenderte gemütlich zu dem Café und hing für einen Moment ihren eigenen Gedanken nach. Am liebsten hätte sie sich nach der Schule mit Sora getroffen, die auf sie einen sehr geknickten Eindruck in der Mittagspause gemacht hatte. Mimi tendierte hier ganz klar zu einem erneuten Streit mit Yamato, da er heute auch nicht mit ihnen gegessen hatte. Zwar versuchte sie Sora ein wenig auf den Zahn zu fühlen, doch sowohl Yolei als auch Tai und Izzy waren die gesamte Zeit anwesend gewesen, sodass Mimi einfach keine passende Gelegenheit fand, mit ihrer besten Freundin zu sprechen. Auch Taichi machte auf sie einen ungewöhnlich ruhigen Eindruck, stieg gar nicht auf ihre Provokationen ein, sondern ignorierte sie, was Mimi deutlich verärgerte. Wusste er etwa etwas, dass sie nicht wusste? Nein, das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Sora erzählte ihr immer alles und würde sie sicher auch nach dem Treffen mit Kaori noch anrufen, dass sie einfach schnell hinter sich bringen wollte. Missmutig erreichte sie das Café und drückte die Ladentür schwerfällig auf. Sie blieb kurz mitten im Raum stehen und suchte mit den Augen nach Kaori, die sich in die hinterste Ecke verzogen hatte und sie noch gar nicht bemerkt hatte. Ihre langen braunen Haare hingen ihr ins Gesicht und beim näheren Hinsehen erkannte Mimi, dass sie wohl in etwas vertieft sein musste, da sie bisher noch nicht aufgesehen hatte. Langsam schlich sie an ihren Tisch und räusperte sich kurz als sie aufsah und prompt ihre Brille richtete. „Du bist sieben Minuten zu spät“, begrüßte sie sie und schaute zur Kontrolle auf ihre Uhr, die ihr Handgelenk zierte. Mimi seufzte nur und ließ sich mit samt ihrer Schultasche auf dem Platz gegenüber nieder. „Tut mir leid, aber wir müssen nach dem Kochen immer die Küche sauber machen. Das dauert eben“, rechtfertigte sie sich, obwohl sie eigentlich keinen Grund sah, sich rechtfertigen zu müssen. Sie wusste ja schließlich, dass sie noch den Kochkurs besuchte. Doch Kaori schien bereits jetzt schon sehr genervt zu sein, was Mimi sehr ärgerte. Wütend presste sie die Lippen aufeinander und strich den Rock ihrer Schuluniform glatt, während Kaori sich wieder auf ihr Buch konzentrierte. Stille legte sich über die beiden und Mimi bereute es jetzt schon, ausgerechnet mit ihr in einer Gruppe gelandet zu sein. Genervt löste sie ihren Zopf, den sie sich extra fürs Kochen gemacht hatte. Sie wuschelte sich durch die ihre lange Mähne und stützte erwartungsvoll ihre Ellenbogen auf dem kleinen Tisch ab. Kurz bevor sie ein erneutes Gespräch mit Kaori aufnehmen konnte, funkte die Kellnerin dazwischen, bei der sich Mimi eine kalte Cola bestellte, die sie für ihre Nerven sicher noch brauchen würde. „Und hast du schon eine Idee? Deine Augen kleben ja förmlich an dem Buch“, stellte sie fest und linste kurz rein, um festzustellen, dass es tatsächlich etwas mit ihrem Projekt zu tun haben könnte. Krisenexperimente. Mit diesem Wort konnte sie überhaupt nichts anfangen. Experimentierte man da etwa in Krisengebieten? „Was hast du denn da?“, hakte Mimi etwas fordernder nach, während ihre Cola gebracht wurde. Dankend nahm sie das Glas an und nippte sofort daran als Kaori sich endlich erbarmte und ihren interessierten Blick erwiderte. Sie schob ihr das Buch zu, sodass sie einen knappen Überblick erhaschen konnte. „Ich habe mir das Buch in der Schulbücherei ausgeliehen. Das Thema stand nicht explizit auf dem Plan, aber ich habe schon des Öfteren darüber Berichte gelesen und finde es sehr interessant.“ Mimi las kurz drüber, verstand aber nicht wirklich, was mit dem ‚sichtbar machen sozialer Normen‘ gemeint war, weshalb sie Kaori einen fragenden Blick zuwarf. In ihren Augen erkannte sie ein Funkeln, sodass sie sich schon zusammenreimen konnte, dass sie bei diesem Projekt wohl kaum viel Mitsprachrecht hatte. „Kennst du Flashmopps?“, fragte sie plötzlich und Mimi blickte verdutzt drein. War das ein Witz? Natürlich kannte sie Flashmopps. In New York hatte sie sogar den ein oder anderen miterlebt, sodass sie am liebsten gleich mittanzen wollte, wenn sie daran zurückdachte. „Ja, klar, sowas sieht man doch öfter. Vor allem im Fernsehen!“ „Sowas ist auch ein Krisenexperiment“, erklärte Kaori knapp. „Man versucht sozusagen, darauf zu achten, wie die Menschen darauf reagieren.“ Sie gestikulierte ausdrucksstark mit ihren Händen, um ihre Schlussfolgerungen besser untermauern zu können. „Es ist meistens so, dass viele sehr geschockt reagieren oder peinlich berührt wegsehen. Manche machen sogar mit und das kann man dann alles beobachten und später reflektieren.“ Mimi nickte nur bestätigend und überlegte kurz, was sie von diesen Krisenexperimenten halten sollte. Wollte Kaori etwas einen Flashmopp auf die Beine stellen oder wie stellte sie sich das Ganze vor? Bestimmt war das alles sehr aufwendig zu organisieren und bedeutete eine enge Zusammenarbeit, die sich Mimi im Moment nicht vorstellen konnte. „Und du willst auch so einen Flashmopp organisieren?“, hakte sie unschlüssig nach, während Kaori sich gegen ihre Stuhllehne presste und nachdenklich dreinblickte. „Mal sehen, es gibt so viele Arten von Krisenexperimenten. Wir können auch einfach in den Supermarkt gehen und die Einkaufswägen der Kunden ausräumen. Ist sicher genauso effektiv.“ Sprachlos klappte Mimi der Mund auf, da sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte. „Ist das dein Ernst?“ „Ja klar, natürlich müssten wir die Erlaubnis vom Supermarkt einholen, aber der Rest dürfte echt kein Problem sein“, meinte sie sorglos. „Okay…aber…“, sie stockte und wollte sich gar nicht vorstellen, wie manche Kunden wohl reagieren würden. Wahrscheinlich würde die Ausrede ‚Ich mache ein Experiment für die Schule‘ nicht bei jedem zählen. Doch Kaori war nicht davon abzubringen, ignorierte sogar einen Vorschlag den Mimi ihr unterbreitet hatte. Sie hatte sich völlig festgefahren, erzählte von den Experimenten rund vom Harold Garfinkel und seinen Studenten, die diesen Schwachsinn ins Leben gerufen hatten. Kapitel 11: Unerwartete Wendungen --------------------------------- ♥ Taichi ♥ Schnaufend wischte er sich über seine schweißbenetzte Stirn als er seine Schulter etwas ruckartig bewegte und ihn ein stechender Schmerz durchzog. Er sog scharf nach Luft, biss die Zähne zusammen und ging in eine Art Schonhaltung, während er sich mitten auf dem Spielfeld aufhielt. Sie hatten heute ein wichtiges Spiel, das er unbedingt gewinnen wollte. Doch seine Schulter machte ihm mehr zu schaffen als er es anfangs für möglich gehalten hatte. Die Auseinandersetzung mit seinem Vater war bereits über zwei Wochen her, doch statt sich zu schonen und die Schulter ruhig zu halten, trainierte er ungeniert weiter. Übertrat einfach seine körperlichen Grenzen, in der Hoffnung, dass sich alles wieder einrenken würde. Doch nichts dergleichen geschah. Zwar hatte sich sein Vater mehrfach bei ihm entschuldigt gehabt, sein Ausraster auf den Alkohol und die angespannte Situation geschoben, doch sein Vertrauen war weg. Der Mann, den er immer so sehr bewundert hatte, der der eine Vorbildfunktion in seinem Leben eingenommen hatte, existierte nicht mehr. Taichi hatte zwar nichts seiner Mutter und seiner Schwester von dem Vorfall erzählt gehabt, aber viel mehr, weil er sie vor der bitteren Wahrheit schützen wollte. Er hatte sich stillschweigend mit seinem Vater geeinigt, den Vorfall nicht mehr zu erwähnen, auch wenn er nachts schweißgebadet aufwachte, das entsetzte Gesicht seines Vaters vor seinem inneren Auge sah und die Enttäuschung jedes Mal aufs Neue in ihm aufstieg. An ihrer Situation hatte sich kaum etwas verändert. Auch wenn sein Vater die Firma nicht aufgab und das Interesse einiger neuer Investitionspartner weckte, war das Vertrauen weg. Er war bemüht weniger zu Trinken, doch das Feierabendbier ließ er sich auch bisher nicht nehmen, selbst wenn Taichi ihn mit purer Verachtung strafte. Wieso konnte er nicht darauf verzichten? War ihm der Alkohol tatsächlich wichtiger als seine Familie? Er schluckte als er sah, wie der Ball direkt auf ihn zukam. „Taichi! Der Ball“, hörte er Kazu rufen, während dieser hektisch angestürmt kam. Er nahm ihn mit dem Fuß an, machte einen Auswahlschritt und preschte zielstrebig nach vorne. Gefolgt von einigen gegnerischen Mitspielern, steuerte er direkt auf das Tor zu, um ihn darin zu versenken. Doch kurz bevor er schließen konnte, ketschte ihm ein Gegenspieler ihm dazwischen, sodass er ins Straucheln kam und prompt unsanft auf den Boden segelte. Ein unbeschreiblicher Schmerz machte sich in ihm breit als er sich versuchte wieder aufzuraffen, aber zunächst etwas benommen auf dem Boden sitzen blieb. Kazu kam sofort angerannt als der Schiedsrichter das Spiel unterbrach und dem Gegenspieler die gelbe Karte präsentierte. „Alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?“, hakte Kazu nach und half ihm auf. Tai schüttelte hastig den Kopf und versuchte den Schmerz, der von seiner Schulter ausging zu ignorieren. „Es ist alles in Ordnung“, versicherte er ihm und legte ein schiefes Grinsen auf als er die Zähne fest aufeinanderbiss und unbeirrt weiterspielte. _ Röchelnd ließ er sich auf der Bank nieder, während er frustriert nach seiner Wasserflasche griff und seine trockene Kehle befeuchtete. Sie hatten verloren. Zwar nur sehr knapp, aber Taichi konnte seine Enttäuschung nicht länger verbergen. Dabei hatte er sich so angestrengt, seine Schmerzen so gut es ging ausgeblendet, doch er kam schneller an seine körperlichen Grenzen als ihm eigentlich lieb war. Er wandte den Blick kurz zur Tribüne, wo sich viele Klassenkammeraden versammelt hatten und ebenfalls enttäuscht den Platz verließen, während die gegnerische Mannschaft gebührend ihren Sieg feierte. Tai wusste, dass auch seine Freunde zum Spiel kommen wollten, doch er brauchte einen kurzen Moment für sich. Wütend ballte er seine Hände zu Fäusten und hatte das dringende Bedürfnis laut los zuschreien. Besonders Herr Ichiose hatte ihm nochmal vor Augen geführt, dass seine heutige Leistung alles andere als glanzvoll war. Was sollte er allerdings tun, wenn seine Schulter verletzt war? Er hatte doch sein Bestes gegeben. Allmählich wurde ihm bewusst, dass ihm alles über den Kopf zu wachsen drohte. Seine Familienprobleme waren allgegenwärtig, was seine verletzte Schulter bestätigte. Am Anfang hatte es gar nicht so schlimm ausgesehen, es tat einfach nur etwas weh. Mit etwas Schmerzsalbe hatte er die Stelle so gut behandelt wie es ging, doch da er sich kaum schonte und seine Schulter auch weiterhin beanspruchte, wurden die Schmerzen immer schlimmer. Selbst der Bluterguss war immer noch leicht zu sehen, weshalb er sich nicht traute mit seinen Mannschaftskollegen gemeinsam zu duschen. Oftmals schob er extra Trainingsstunde vor, um etwas Zeit zu schinden und später alleine und in Ruhe duschen zu können, ohne sich blöden Fragen stellen zu müssen. In einem unbeobachteten Moment fasste er sich an die Schulter und fuhr vorsichtig darüber. Heute konnte er sich nicht so lange Zeit lassen, da seine Freunde sicher an der Tribüne auf ihn warteten. Gerade als er von seiner Schulter abließ, bemerkte er, wie jemand ihm die Sicht versperrte und ihn sorgenvoll musterte. „Hast dir wohl die Schulter verletzt…“, murmelte Kazu besorgniserregend und nahm direkt neben ihm Platz. Tai ließ die Hand sinken und schüttelte nur den Kopf. „Ach das ist nur halb so wild“, schwächte er ab und grinste gezwungen. „Habe mich wohl etwas verrenkt.“ „Ich würde das echt beobachten“, riet er ihm und erzählte, dass er durchaus seine Schonhaltung bemerkt hatte. „Das wird schon. Am Wochenende mache ich einfach etwas langsam“, erwiderte er etwas genervt, da er keine Lust hatte sich weiter mit Kazu zu unterhalten. Er mochte ihn zwar, besuchte mit ihm die gleiche Klasse und konnte sich beim Fußball spielen immer auf ihn verlassen, aber dennoch war es ihm unangenehm, dass jemand, mit dem er nur wenig zu tun hatte, bereits seine verletzte Schulter bemerkt hatte. „Kommst du dann heute Abend überhaupt auf die Party?“, fragte er etwas unbeholfen nach und kratzte sich am Hinterkopf. „Du meinst die Poolparty bei dir?“, stellte er die Gegenfrage und erinnerte sich dunkel daran, dass Kazu ihn bereits letzte Woche nach dem Training eingeladen hatte. Seine Eltern waren wie jedes Jahr um diese Zeit verreist, was bedeutete, dass er eine große Poolparty im Beisein seiner großen Schwester schmiss, die bereits studierte und einige Kommilitonen ebenfalls einlud. „Naja war schon ganz witzig gewesen“, erinnerte sich Taichi zurück und stellte fest, dass wohl etwas Ablenkung gar nicht mal so schlecht war. Seine Schwester verbrachte das Wochenende mal wieder bei Takeru, sodass Taichi schon vermutete, dass dort mehr lief als sie eigentlich zugab. Aber daran wollte er erst recht nicht denken. Für eine Beziehung war seine Schwester einfach noch viel zu jung! Obwohl Takeru wohl der Einzige war, der ihr in dieser schweren Zeit den Halt spendete, den sie brauchte. „Und vergiss nicht die heißen Mädels, die in knappen Kleidchen herum laufen“, sagte Kazu scherzend und klopfte ihm unsanft auf die Schulter, sodass Tai einen lauten Aufschrei unterdrücken musste. „Sorry, hab daran nicht mehr gedacht“, entschuldigte sich Kazu sofort und stand auf. „Ich würde es auf jeden Fall sehr cool finden, wenn du kommen würdest. Wir haben zwar verloren, aber davon sollten wir uns nicht die gute Laune verderben lassen.“ Ein mildes Lächeln schlich sich auf Taichis Gesicht als ein kurzer Blickwechsel folgte und Kazu sich direkt danach von ihm verabschiedete. Vielleicht war es wirklich nicht so schlecht einen Abend auf andere Gedanken zu kommen. Er musste es ja schließlich nicht übertreiben und er konnte mal wieder etwas Zeit mit seinen Freunden verbringen. Beflügelt von diesem Gedanken stand er auf und lief zielstrebig zu der Tribüne, an der die anderen bereits auf ihn warteten. _ Erschöpft hatte er sich mit seinem Bier auf die Hollywoodschaukel verzogen, die sich in Poolnähe befand, indem sich die meisten Gäste tummelten. Etwas missmutig blickte er durch die Gegend und knibbelte an dem Etikett seines Bieres. Er musste schon zugeben, dass dieser riesige Garten ihn ziemlich beeindruckte. Er war fast so groß wie ein Fußballfeld, hatte neben dem riesigen Pool auch eine große Grillfläche, die sich etwas weiter vom Haus entfernt befand. Kunstvoll geschnittene Hecken und die Hollywoodschaukel, auf der er saß, rundeten das Bild perfekt ab und sagten Tai, dass Kazus Familie wohl ziemlich viel Geld haben musste, um sich so einrichten zu können. Er seufzte leise als sein Blick durch die Mengen wanderte und ihm einige bekannte Gesichter zeigten. Jedoch fühlte er sich alleine gelassen. Matt hatte noch einen Auftritt und würde gemeinsam mit Sora erst später hinzustoßen, die wohl nur als Anstandsdame mitgegangen war. Auch ihm war aufgefallen, dass die beiden mal wieder Streit gehabt haben mussten, was ihm Soras genervter Blick verriet als sich Yamato für sein Konzert entschuldigte. In letzter Zeit hatten die beiden des Öfteren Streit und auch wenn er sich nicht einmischen wollte, geriet er oftmals zwischen die Fronten, die ihn auf die jeweilige Seite ziehen wollte. Doch er ließ sich nicht beirren, versuchte einen neuralen Standpunkt einzunehmen, indem er diesmal auch nicht groß nachfragte. Sie waren alt genug, um ihre Probleme selbst lösen zu können und Taichi war nicht ihr Paartherapeut, der mit ihnen nach kreativen Lösungen für eine Beziehungsmisere suchte. Heute wollte er einfach nur etwas Entspannung finden und den Abend in Ruhe ausklinken lassen, weshalb ihm diese Ablenkung gerade recht kam. Zwar war er gemeinsam mit Mimi und Yolei zur Party gegangen, doch hatte sie zeitnah aus den Augen verloren, während er sich angeregt mit seinen Mannschaftskollegen unterhalten hatte. Allerdings war ihm Mimis missmutiger Gesichtsausdruck nicht entgangen. Mit runterhängenden Mundwickeln hatte sie sich ins Getümmel gestürzt und ließ in Taichi die Vermutung heranwachsen, dass es an Makoto lag, der ebenfalls, wenn überhaupt, erst später zur Party dazu stoßen würde. Schon länger war ihm aufgefallen, dass sich Mimi für den Rebellen mit Lippenpiercing zu interessieren schien. Doch er hatte ein ungutes Gefühl, wenn er in seine stechend grünen Augen blickte, die ihm nicht vermittelten, dass er es mit einem Mädchen je ernst meinen würde. Und gerade bei Mimi…er wollte nicht, dass sie sich näherkamen. Er hing für einen Moment seinen Gedanken nach, sah zu zwei Mädchen, die sich im Bikini freudig im Pool nass spritzten als er plötzlich ein zusätzliches Gewicht auf der Hollywoodschaukel bemerkte. „Na, bespannst du wieder die Mädels?“, kam es frech von Mimi, die sich einfach neben ihn gesetzt hatte und einen Cocktail in ihren Händen hielt. Yolei war nirgends zu sehen. „Ich bespanne niemanden“, rechtfertigte er sich empört und musterte sie. Sie trug ein luftiges Kleid mit Blumenmuster und hatte ihre vordere Haarpartie mit zwei Haarspangen zurückgesteckt. Geschminkt war sie nur sehr dezent, trug etwas Wimperntusche und farbigen Lipgloss, der ihre vollen Lippen zum schimmern brachte. „Wo hast du denn Yolei gelassen? „Ach, sie hat ein paar Klassenkammeraden getroffen und sitzt bei ein paar Mädels. So langsam scheint sie wirklich ein paar neue Freundinnen zu finden“, erwiderte sie freudig und lächelte leicht vor sich hin. „Und hast du keine Lust schwimmen zu gehen? Der Pool ist sogar beheizt“, informierte sie ihn grinsend als sie an ihrem Strohhalm zog. „Hab‘ leider meine Badehose vergessen“, meinte er rasch und fing einen amüsierten Blick von ihr auf. „Ach das macht nichts. Die meisten plantschen hier eh in ihrer Unterwäsche.“ „Wirklich?“, hakte Tai nach und schaute sich einige Badegäste noch einmal genauer an. „Ich erkenne da echt keinen Unterschied.“ Mimi lachte und schlug die Beine übereinander. „Typisch Mann. Kann noch nicht mal einen BH von einem Bikinioberteil unterscheiden“, amüsierte sie sich, während Tai sein Bier in einem Zug leerte. „Hast du etwa deine Unterwäsche vergessen oder warum bist du nicht im Wasser?“, fragte er keck und machte so als wollte er ihr unter ihr Kleid linsen. Empört schlug Mimi ihm gegen den Arm und verzog das Gesicht. „Davon träumst du wohl, aber nein! Ich bin verhindert“, sagte sie geheimnisvoll und nickte bestätigend. „Verhindert? Was meinst du denn damit?“ „Ich habe gerade Besuch vom Erdbeermonster“, meinte sie ernst, lockerte ihre Haltung und wandte sich ihm voll und ganz zu. „Erdbeermonster?“ Er zog seine rechte Augenbraue in die Höhe und wusste nicht auf was sie hinauswollte. Mimi kicherte und stocherte in ihrem Cocktail herum. „Weeeeißt du, manchmal, genau genommen einmal im Monat, bekommen wir von diesem fürchterlichen Monster Besuch, dass uns mit unmenschlichen Bauchschmerzen quält und uns richtig grantig werden lässt.“ Tais Gesichtszüge entglitten, während er immer noch seine Bierflasche in Händen hielt. Wollte sie ihm gerade ernsthaft erzählen, dass sie ihre Periode hatte? Er sah ungläubig zu ihr und bemerkte erst jetzt ihre geröteten Wangen und den verschleierten Blick, der auf ihm ruhte. Ja, eindeutig. Sie war betrunken. Mal wieder. „Du weißt von was ich spreche, oder? Naja, kennst du sicher von Kari oder deiner Mutter“, führte sie weiter aus, während Tai schamvoll zu Boden stierte. War das ihr Ernst? Hätte sie nicht über ein anderes Thema sprechen können? „Ich habe mich so darauf gefreut“, jammerte Mimi und drückte ihren Rücken gegen das weiche Polster der Hollywoodschaukel. „Ich hab‘ mir sogar extra Tampons besorgt, aber das Bauchweh bringt mich um.“ „Ähm…“, begann Tai und wurde automatisch etwas rot um die Nase. Über solche Themen unterhielt er sich gewöhnlich nicht. Bei Mädchenproblemen ging seine Schwester meist zu seiner Mutter und er hielt sich immer sehr bedeckt, wenn es ihr deswegen nicht gut ging. Doch Mimi war schon immer sehr geradeaus gewesen, obwohl hier sicher der Alkohol eine bedeutende Rolle spielte. Sie jammerte immer noch und hielt sich den Bauch, sodass Tai schon ein wenig grinsen musste. „Ich glaube, es frisst mich innerlich auf. Kannst du nicht ein bisschen meinen Bauch reiben?“, fragte sie ohne jegliche Scheu und griff nach seiner Hand, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten. Völlig perplex sah er zu, wie sie seine Hand auf ihrem flachen Bauch platzierte und er mit sanften, aber zaghaften Bewegungen darüberstrich. „Oh, das tut echt gut! Ich glaube ich sollte dich als meinen persönlichen Bauchreiber einstellen“, murmelte sie und schien in gleichen Moment bereits ein wenig klarer zu werden, da sie seine Hand abrupt losgelassen hatte. Doch er ließ sie immer noch auf ihrem Bauch ruhen und führte seine Bewegungen einfach fort, ohne sich beirren zu lassen. „Oh man, was erzähle ich da nur für ein Mist. Tut mir leid, ich bin wohl etwas verrückt geworden.“ „Ach Quatsch“, erwiderte er keck. „Ich glaube, da spricht das Erdbeermonster aus dir.“ Mimi kicherte und legte ihre Hand, wieder auf seine, was auf seiner Haut einen wohligen Schauer auslöste. Doch nur einen kurzen Moment später schob sie sie beiseite als ihr Blick an seiner Bierflasche hängen blieb. „Du hast ja gar nichts mehr zu trinken! Ich glaube, ich besorg‘ dir schnell mal was, dann können wir beide zusammen peinlich sein“, sagte sie leicht lachend und stand unerwartet auf, sodass sie leicht ins Straucheln geriet und von Taichi gestützt werden musste. „Ich glaube, ich komme lieber mit und für dich gibt es nur noch alkoholfreie Getränke“, ermahnte er sie gespielt streng, nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte beides auf einem Tisch ab, wo sich bereits schon mehrere leere Gläser und Flaschen standen. „Ach Quatsch, ich kann schon noch alleine laufen“, meinte sie munter und wandte sich aus seinem Griff als sie erneut das Gleichgewicht auf den nassen Fliesen des Pools verlor. Er versuchte sie noch festzuhalten, rutschte jedoch ebenfalls aus und konnte keinen Halt mehr finden. Ein schrilles Kreischen löste sich von Mimis Lippen als das Unaufhaltsame geschah und beide ins kalte Wasser eintauchten. _ Hustend drückte er sich zurück an die Wasseroberfläche als auch Mimi wiederauftauchte und ihren nassen Haarschopf aus ihrem Gesicht zu streichen versuchte. Ihre Klamotten klebten an ihnen und Tai blinzelte ein paarmal hektisch, da seine Augen von dem Chlorwasser brannten. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund und rieb sich nachdrücklich über seine Augenpartie, um wieder klar sehen zu können. Er warf seinen Blick zu Mimi, deren Kleid sich um ihre zarte Haut geschmiegt hatte und ihren pinken Spitzenbh vor ihm und den anderen entblößte. Schnaufend fuhr sie sich über ihr Gesicht. Ihre Wimperntusche war etwas verschmiert und auch ihre Haarspangen hatten sich etwas gelöst. Für einen kurzen Moment dachte Taichi ernsthaft, dass sie in Tränen ausbrechen würde, da die gesamte Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war. Doch ein unterdrücktes Kichern löste sich von ihren Lippen, dass sich in ein schallendes Lachen verwandelte und auch Taichi einfach mitriss. „Oh Gott, du siehst echt wie ein begossener Pudel aus“, kommentierte sie lachend als Taichi sie empört anblickte. „Hast du mal in den Spiegel gesehen?“, hakte er grinsend nach und bewegte sich schwerfällig auf sie zu. „Also deine Haare sehen aus wie ein Vogelnest.“ Amüsiert stellte er sich vor sie und zog ihr mit Leichtigkeit eine Spange aus ihren langen braunen Haaren. „Das ist echt alles deine Schuld! Wegen dir bin ich ausgerutscht“, erwiderte sie entrüstet und schlug ihm gegen den Arm, während er einige Wasserspritzer ins Gesicht abbekam. Erschrocken kniff er die Augen zusammen und ignorierte die neugierigen Blicke seiner Klassenkameraden, die auf ihnen lagen. Die meisten waren ohnehin schon sehr betrunken gewesen und hatten bereits das Interesse an ihnen verloren als Taichi zum Gegenangriff überging und Mimi ebenfalls nassspritzte. „Hey, was soll das?“, quietschte sie als er seine Freundin am Arm packte und sanft unter Wasser drückte. Sie strampelte wild umher, während sie sich hustend von ihm drückte und erbost mit den Augen blitzte. „Was soll was?“, fragte er unschuldig und näherte sich ihr langsam wieder. „Bleib bloß weg!“, forderte sie ihn auf und drückte mit der Hand gegen seine Brust, um den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. „Aber ich mach doch gar nichts“, meinte Tai grinsend und schaffte es sie wieder dichter an sich zu ziehen. Angespannt runzelte sie die Stirn als sie plötzlich wie ein Klammeräffchen die Beine um ihn schlang und ihre Hände auf seinen Schultern ablegte. „Okay, ist das jetzt eine neue Taktik?“, hinterfragte er spitzbübisch und konnte sich im Wasser gemeinsam mit ihr bewegen, während sie überlegen grinste. „Naja, wenn ich mich an dir festhalte, kannst du mich wohl kaum unter Wasser tunken.“ „Gut möglich“, antwortete er mit gedämpfter Stimme und wanderte mit beiden Händen ihre Taille entlang. „Aber ich weiß ja, wo du kitzelig bist.“ Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, begann er mit seinen geschickten Fingern ihre Seiten entlang zu fahren, kitzelte sie unaufhörlich und heizte die Wasserschlacht neu an. Während Mimi versuchte seine Hände zu erwischen, kamen sie am Rande des Pools an, was Tai für seinen Vorteil nutzte und Mimi gegen den Beckenrand presste. „Sieh‘ es ein, Prinzessin, gegen mich hast du keine Chance“, meinte er überheblich, während sie atemlos um Luft ran und sich erschöpft gegen seine Brust lehnte. „Das war unfair“, säuselte sie in sein Ohr und ließ eine Gänsehaut seinen Rücken ziehen. Er lockerte seinen Griff um sie, sodass sie sich ansehen konnten. Ihre Gesichter waren sich dabei ganz nah und eine tiefsitzende Sehnsucht kroch von seinem Herzen empor. Er sah auf ihre schmollenden kirschroten Lippen, spürte wie sie ihre Hände auf seine Schultern bettete und sich ihre Nägel zart in sein Shirt bohrten. Von Anspannung durchzogen, blickten sie einander wortlos an als er ihre Wangen entlang strich und sie von einigen klebenden Haarsträhnen befreite. Seine Atmung beschleunigte sich und sein Herz schlug unkontrolliert gegen seine Brust als sie sich angespannt über ihre Lippen leckte und seine Begierde dadurch anheizte. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, zog er sie bestimmend zu sich, vergrub seine Hand hinter ihrem Nacken und suchte nach ihren vollen Lippen. Ihr warmer Atem wehte ihm entgegen als er verlangend seine Lippen auf ihre presste. Sofort schloss er die Augen und ließ sich auf die Empfindungen ein, die durch seinen Körper pulsierten. Tiefes Verlangen wurde geschürt, dass er schon eine gefühlte Ewigkeit in seinem Herzen verborgen hatte. Die Sehnsucht, die ihn täglich heimsuchte und ihm zeigte, wen sein Herz so sehr begehrte. Erst weigerte sie sich seinen Kuss zu erwidern, versuchte sich von ihm zu lösen, indem sie gegen seine harte Brust drückte. Doch er wollte diesen Moment nicht enden lassen, steckte sämtliche Emotionen hinein und ließ den Kuss immer sinnlicher werden. Ihr Widerstand wurde immer schwächer als sie schließlich sehnsüchtig die Arme um seine Hals schlang und genüsslich in den Kuss seufzte. Tai wurde mit der Zeit mutiger, strich gefühlvoll mit seiner Zunge über ihre weichen Lippen, um so um Einlass zu beten, dem sie ihm auch gewährte. Sie presste ihren zierlichen Körper noch enger an ihn, während sich ihre Zungen im Rausch der Leidenschaft begegneten und feurig gegeneinanderschlugen. Er blendete seine Umgebung völlig aus, vergaß, dass sich mitten in einem Pool mit ein paar dutzend Menschen befanden, die ihren lustvollen Kuss allerdings nur bedingt mitbekamen, da die meisten mit sich selbst beschäftigt waren. Jegliches Zeitgefühl schwand dahin und ließ ihn in eine Art Liebesrausch verfallen, der ihm sämtliche Sinne raubte, aber sein Herz mit Glückgefühlen erfüllte und neue Hoffnungen in ihm säte. _ Er streifte sich sein nasses Shirt über den Kopf und ließ den klatschnassen Stoff auf den gekachelten Boden fallen. In Boxershorts stand er oberkörperfrei vor dem Spiegel und betrachtete sein Spiegelbild. Er fuhr sich über seine nassen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen und seine Sicht einschränken. Gedankenverloren strich er über seine geschwollenen Lippen als sich ein Lächeln darauf verirrte und Endorphine in seinem Körper freisetzen. Er erinnerte sich nicht mehr, wie lange sie sich geküsst hatten, aber das war nicht wichtig. Allein, dass es passiert war, ließ seinen geheimen Wunsch auf eine gemeinsame Zukunft erneut in ihm heranwachsen. Er vergaß sämtliche Zweifel rund um Makoto und ihre äußerst verwirrende Vergangenheit, die tief in seinem Innern wohnten. Zurück blieb ein winziger Lichtstrahl, der sein Herz mit Wärme umhüllte und sich langsam ausbreitete. In seiner Euphorie dachte er gar nicht mehr an die Schmerzen, die ihm seine Schulter vor wenigen Stunden noch bereitet hatte. Auch seine Gedanken rund um das Stipendium und seine komplizierte Familiensituation waren für den Moment in den Hintergrund gerückt, da er bereits überlegte, wie er Mimi gleich gegenübertreten sollte. Er wusste ja, dass sie nicht nüchtern und es sehr wahrscheinlich nur aufgrund ihres Alkoholpegels soweit gekommen war, doch diese Tatsache wollte er zunächst ausblenden. Sagte man nicht sogar, dass man im betrunkenen Zustand eher Dinge machte, die man sich sonst nicht traute? Er grinste bei diesem Gedanken als er seine Schulter anhob und ein stechender Schmerz sein Schulterblatt durchflutete, sodass er das Gesicht qualvoll verzog. Natürlich konnte er die Tatsachen nicht leugnen, auch wenn die winzigen Momente des Glücks sein Leben kurz erhellten. Seine Familiensituation war allgegenwärtig und bereits aus den Fugen geraten, was ihn selbstverständlich nicht losließ, sondern ihn Tag für Tag aufs Neue quälte. Er senkte den Kopf, wanderte mit der Hand zu seiner verletzten Schulter und fuhr behutsam über den Bluterguss als er wieder aufsah und im Spiegel auf einmal Mimi hinter ihm stand. Tai drehte sich ihr zu und blickte in ihre geschockten Augen. In den Händen hielt sie frische Klamotten, die sie ihm wohl bringen wollte. Sie selbst trug ein etwas längeres Shirt, das ihr fast bis zu den Knien reichte. „Scheiße“, brachte sie nur hervor, schloss die Badezimmertür und wirkte auf einmal ziemlich nüchtern auf ihn. „Was ist denn passiert? Ist das vom Fußball spielen?“ Die Besorgnis war aus ihrer Stimme herauszuhören, doch Tai wich ihrem Blick aus und konnte gar nicht beschreiben, wie unangenehm ihm diese Situation war. Er nahm ihr die Klamotten ab und schlürfte in das dunkelblaue T-Shirt um seine Verletzung vor ihr zu verbergen. Doch sie hatte es bereits gesehen und wollte nicht lockerlassen. „Warum gibst du mir denn keine Antwort?“, fragte sie empört, drängelte sich an ihm vorbei und zog sein Shirt hoch. „Oh Gott, das ist ja ganz blau! Warst du beim Arzt? Wie lange hast du das denn schon?“ „Man, hör auf so viele Fragen zu stellen!“, unterbrach er sie schroff und riss sich von ihr los, um sich das Shirt wieder runterzuziehen. „Aber das sieht voll schlimm aus“, stellte Mimi fest und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Bist du auf dem Platz gestützt oder wie?“ „Nein…“, knurrte er bissig und stieg trotz nasser Unterhose in die frische Jeans. „Was ist denn dann passiert? War das jemand aus dem Team?“ Er biss sich auf die Unterlippe und atmete unregelmäßig. Mit zitternden Fingern machte er den Kopf der Jeans zu und fühlte sich deutlich unwohl, was nicht nur an den nassen Boxershorts lag, die die Nässe an den rauen Stoff weitergab. „Das geht dich echt nichts an! Kann dir doch auch egal sein“, antwortete er unterkühlt und wollte gerade zur Tür gehen, als Mimi ihn am Handgelenk packte. Es folgte ein kurzer Blickwechsel, der Tai verunsicherte. So einen besorgniserregenden Gesichtsausdruck hatte er noch nie zuvor bei ihr gesehen. Natürlich wollte er ihr nicht vor den Kopf stoßen, besonders nicht nachdem, was zwischen ihnen passiert war, aber… „Du kannst doch mit mir sprechen. Wir sind doch alle miteinander befreundet“, startete sie einen weiteren Versuch, doch Tai konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. Nicht jetzt und auch nicht später. „Ich glaube nicht, dass ich das kann…“, erwiderte er nur, riss sich los und öffnete die Tür, aus der er schließlich verschwand. Er befand sich in einem Teufelkreis. Einem Teufelskreis, aus dem er nicht ausbrechen konnte... Kapitel 12: Nackte Tatsachen ---------------------------- ♥ Mimi ♥ Der Geruch von angebrannten Zwiebel erreichte ihre feine Nase als Yolei sie plötzlich beiseite drückte und die Pfanne von der Herdplatte nahm. „Mimi! Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“, rief ihre Freundin empört und blickte fassungslos auf die schwarzgewordenen Zwiebeln als auch Frau Ito herbeieilte. „Oh nein, die könnt ihr aber jetzt nicht mehr verwenden. Ihr dürft sie nicht so lange anbraten“, erwiderte sie kopfschüttelnd, doch Mimi bekam nur die Hälfte mit. Noch immer kreisten ihre Gedanken um die Party und Taichi, der sie einfach so stehen gelassen hatte. Konnte er denn nicht verstehen, dass sie sich Sorgen machte? Sie war völlig schockiert gewesen als sie den Bluterguss an seiner Schulter entdeckt hatte. Natürlich schwirrten ihr noch andere Dinge im Kopf herum, aber die Tatsache, dass etwas passiert sein musste, ließ sie einfach nicht mehr los und rückte alles andere in den Hintergrund. „Du bist echt ganz schön neben der Spur“, stellte Yolei fest als sie die angebrannten Zwiebeln aus der Pfanne entfernen wollte, was gar nicht so einfach war, da sie selbstverständlich an der Beschichtung festklebten. „Tut mir leid, ich weiß auch nicht, was im Moment mit mir los ist“, log sie, ohne rot zu werden und warf den Kopf angespannt nach hinten, sodass ihr hoher Zopf sich schwungvoll mitbewegte. „Naja, ich kann mir schon vorstellen, warum du so durch den Wind bist! Wäre ich nach so einem heißen Poolkuss sicher auch“, erwiderte sie süffisant grinsend und tauchte die Pfanne in das Spülwasser, dass sie schon vorbereitet hatten. Mimi erstarrte blitzartig und riss geschockt ihre haselnussbraunen Augen weit auf. Was hatte sie da gerade gesagt? Hatte sie den Kuss etwa gesehen gehabt? „Du brauchst gar nicht so zu gucken, aber keine Sorge, viele haben es nicht mitbekommen. Die meisten waren einfach viel zu betrunken gewesen“, schwächte sie ab, doch ihr herausforderndes Lächeln blieb. „Ich dachte eigentlich, dass du Interesse an Makoto hast?!“ „Pscht“, zischte sie und legte einen Finger auf ihre Lippen. „Nicht so laut, das brauch‘ doch nicht jeder gleich mitzubekommen.“ Sie packte Yolei am Ärmel ihrer Schuluniform, die nur von einer Schürze geschützt wurde und zog sie dichter an sich heran. „Kann das irgendwie unter uns bleiben? Ich war echt verdammt betrunken gewesen und ich möchte echt nicht, dass das die Runde macht. Besonders Sora und Kari sollten davon besser nichts erfahren“, fasste sie hektisch zusammen, während Yolei ihr einen skeptischen Blick zuwarf. Wie es Mimi erwartet hatte, waren Sora, Yamato und der Rest nicht mehr auf der Party aufgetaucht, weil sie sicher irgendwo anderes versackt waren. Normalerweise hätte sich Mimi darüber aufgeregt, doch mittlerweile war sie ganz froh gewesen, dass es so gekommen war. Auf Soras wagemutigen Spekulationen und hirnrissigen Theorien hatte sie wirklich keine Lust mehr. Sie musste einfach Yolei überzeugen, dass es nichts zu bedeuten hatte, auch wenn das nicht ganz der Fall war. Mimi wusste auch nicht, was sie dazu geritten hatte, ihn zu küssen, erneut auf ihn reinzufallen, obwohl sie das Ganze bereit schon mal durchmachen musste. Dabei war sie doch bereit, es hinter sich zu lassen. Einen neuen Weg einzuschlagen und ihr Glück zu finden, dass sie ihrer Meinung nach auch verdient hatte. Doch warum fiel es ihr selbst so schwer, diese Worte zu glauben? Es war die Wahrheit. Tai hatte in ihrem Herzen nichts mehr zu suchen! „Aber es sah nicht so aus als wäre es eine einmalige Sache gewesen. Ich hatte kurzzeitig echt das Gefühl, dass ihr euch gleich die Klamotten vom Leib reißt“, warf Yolei bedenkend ein. Mimis Wangen begannen daraufhin zu glühen und die Schamesröte breitete sich in ihrem Gesicht aus, sodass sie einer reifgewordenen Tomate ähnelte. „So ein Quatsch“, quietschte sie mit schriller Stimme und zog die volle Aufmerksamkeit ihrer Klassenkameraden auf sich. „Klingt ja wirklich überzeugend“, antwortete Yolei sarkastisch und schien sie völlig durchschaut zu haben, was Mimi einen unangenehmen kalten Schauer über den Rücken jagte. Wieso musste ausgerechnet immer ihr so etwas Peinliches passieren? _ Nachdem Yoleis fragende Blicke die restliche Stunde auf ihrer Haut brannten, beschloss Mimi Taichi nach seinem Fußballtraining einfach aufzusuchen. Es war keine freiwillige Entscheidung, sondern reine Formsache, sodass keinerlei Missverständnisse entstanden, auch wenn sie ihm den gesamten Tag bereits aus dem Weg gegangen war. Angespannt lehnte sie sich gegen das kühle Gemäuer, das sich gegenüber von den Umkleidekabinen der Jungs befand. Einige Mannschaftskollegen kamen ihr bereits entgegen als ihre eigene Nervosität ins Unermessliche stieg. Was tat sie nur hier? Wollte sie ernsthaft mit ihm über den Kuss sprechen und wissen, welche Bedeutung es für ihn gehabt hatte? Was erhoffte sie sich darunter nur? Eigentlich wollte sie doch alles unter den Teppich kehren, es am liebsten schnellsten aus ihrem Gedächtnis verbannen, in der Hoffnung, dass diese störenden Gefühle wieder verschwinden würden. Denn der Kuss hatte etwas in ihr ausgelöst. Etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte, weil sie sich monatelang einredete, dass sie darüber hinweg war. Doch er hatte ihr Herz gebrochen. Der Schmerz der Vergangenheit flammte erneut in ihr auf, war nie ganz erloschen, sondern brannte im Untergrund weiter, bis die Flamme erneut Sauerstoff erhielt, um sich wieder zu vergrößern. All die bitteren Erinnerungen waren plötzlich wieder da, beschwerten ihr Herz, so als würde es sich in einem kalten und widerstandfähigen Griff befinden, der den stechenden Schmerz verstärkte. Wieso hatte sie nur zugelassen, dass er sie küsste? Warum konnten Gefühle, die einen so verletzt hatten, nicht einfach verschwinden? Unruhig tippte sie mit dem Fuß auf und ab als sie plötzlich Kazu sah, der auch die Party am Wochenende geschmissen hatte. Mit wackeligen Knien bewegte sie sich zielstrebig auf ihn zu, während er sich mit ein paar Freunden von der Umkleidekabine entfernte. „Hey“, begrüßte sie ihn mit zitternder Stimme als er und seine Freunde direkt vor ihr stehen blieben. „Oh hey, na wie geht´s? Alles wieder trocken?“, fragte er lachend nach als Mimi im ersten Augenblick noch nicht mal verstand auf was er eigentlich hinauswollte. Ein wenig verdattert erwiderte sie seinen amüsierten Gesichtsausdruck als ihr einfiel, dass er ihr Klamotten geliehen hatte, während ihre Sachen sich im Trockner befunden hatten. „Ähm, ja alles wieder gut! Danke nochmal für das Hemd“, antwortete sie verhalten und schielte direkt hinter ihn. „Sag mal, hast du Taichi gesehen?“ „Taichi?“, er machte eine kurze Pause und schien zu überlegen. Hoffentlich hatte er den Kuss nicht mitbekommen… „Er ist erst gekommen als wir schon fertig waren. Er macht immer noch etwas länger nach dem Training“, erklärte er ihr knapp, während Mimi ihm ein knappes Nicken als Antwort schenkte. „Okay, also ist er noch drinnen?“ „Ja, müsste er sein, aber er ist noch dusch…“ „Super, danke!“, schnitt sie ihm das Wort ab und steuerte auf den Eingang der Umkleidekabinen zu und war bereits außer Reichweite als Kazu ihr etwas Unverständliches nachrief. Doch wahrscheinlich war das sowieso nicht wichtig, da sich Mimi bereits vorstellen konnte, dass es in der Männerumkleide nur nach Käsefüßen riechen konnte. Der Gestank nach Deodorant, Schweiß und Putzmittel vermischte sich in ihrer Nase und reizte ihre Sinne, sodass sie sich ihr Riechorgan automatisch zuhielt. Sie schaute sich kurz um, konnte aber im Vorraum niemanden entdecken als sie langsam zu den hinteren Kabinen schlich, aber abrupt stehen blieb, nachdem sie einen gedämpften Laut vernahm. Mimi drehte sich herum und sah in die Richtung der Duschkabinen, die sich hinter einer weiteren Tür befanden. Sie war einen Spalt geöffnet als sie sich langsam darauf zu bewegte und das gleichmäßige Prasseln des Wassers hörte. Wieder ertönte ein unterdrücktes Stöhnen, dass sie stutzig werden ließ. Hatte sich etwa jemand verletzt und lag benommen auf dem Boden? Ohne darüber nachzudenken öffnete sie die Tür und huschte sich zu den Duschen. Es dauerte nicht lang bis sie tatsächlich jemanden vorfand, doch mit so einem Anblick hatte selbst sie nicht gerechnet gehabt. Wie erstarrt blieb sie direkt danebenstehen, konnte nicht fassen, was sie dort sah und wollte am liebsten vor Scham im Erdboden versinken. Ihr Hals war staubtrocken und ihr Blick war immer noch auf ihn fixiert. Er hatte sie noch nicht mal bemerkt, legte genüsslich den Kopf in den Nacken, während das Wasser auf seiner makellosen Haut abperlte. Er drückte sich mit einer Hand gegen die glatten Fliesen des Duschraumes, während seine andere mit fordernden Bewegungen seine erigierte Männlichkeit bearbeitete. Ein weiteres heißes Stöhnen löste sich von seinen Lippen, während Mimi mit den Augen hin und her huschte und merkte wie ihre eigenen Wangen zu Glühen begannen. Warum in drei Teufelsnamen war sie nur in die Männerumkleidekabine gegangen? Bestimmt wollte Kazu sie nur vorwarnen, doch sie hatte mal wieder nicht gehört. Es war nicht so, dass sie noch nie einen gesehen hatte, aber dennoch erfüllte sie das andere Geschlecht mit Ehrfurcht. Seine Bewegungen wurden immer schneller und flüssiger, während seine Atmung immer kürzer und flacher wurde. Entsetzen und Panik machten sich in ihr breit als sie die Gelegenheit nutzen wollte, um zu verschwinden. Doch in ihrer Hektik stolperte sie über ihre eigenen Füße und stieß mit der gegenüberliegenden Wand zusammen, sodass sie schmerzerfüllt aufstöhnen musste. Er schreckte sofort zusammen als er das Gesicht zu ihr wandte, aber auffällig blinzeln musste, bevor er ihre Konturen erkennen konnte. „Was zur Hölle machst du denn hier?“, fragte er empört und versuchte von Panik ergriffen mit beiden Händen sein bestes Stück vor ihr zu verbergen, doch sie hatte ihn bereits gesehen. Mehr als ihm sicherlich lieb war, auch wenn es für sie nicht das erste Mal darstellte, aber dennoch hinterließ es bei ihr ein unwohles Gefühl in der Magengegend. „Man, was willst du?“, fragt er bissig und drehte ihr den Rücken zu, obwohl ihm diese Position offensichtlich Unbehagen bereitete. „I-Ich wollte…ähm…“, stammelte sie immer roter werdend und wusste nicht, wie sie diesen Satz nur anfangen sollte. Warum war sie nochmal hergekommen? Irgendwie befand sich ihr Kopf im Nebel und ließ keinen klaren Gedanken mehr zu. Verzweifelt versuchte sie ihn nicht anzustarren, konzentrierte sich vehement auf einen unbestimmten Punkt am Boden, konnte aber sich nicht zurückhalten, ab und zu wieder einen Blick zu wagen. „Kazu meinte du wärst noch hier und ich…“ „Und dann platzt du hier einfach rein? Was geht nur in deinem Kopf vor, Mimi?“, unterbrach er sie aufgebracht. Sie hob daraufhin ihren Kopf an und funkelte erbost an. „Tut mir leid, dass mich um dein Wohlergehen sorge! Ich konnte doch nicht wissen, dass du gerade am masturbieren bist!“ Seine Gesichtszüge entglitten augenblicklich. „Was? Ich habe ganz sicher nicht masturbiert! Das ist ein Missverständnis“, verteidigte er sich und war aufgrund ihrer Äußerung mehr als nur peinlich berührt. Doch die Tatsachen sprachen eindeutig gegen ihn. „Natürlich, du hast dich selbstverständlich nur gründlich gewaschen. Schon klar, Taichi“, erwiderte sie sarkastisch und verdrehte die Augen. „Du bist echt unmöglich! Was willst du überhaupt hier? Wolltest du etwa zusehen?“, ein unverschämtes Grinsen huschte über seine Lippen als er erkannte, dass er sie in Verlegenheit gebracht hatte. „N-nein, natürlich nicht! Ich wollte…“ Sie stoppte mitten im Satz als er ihr seine linke Seite etwas zuwandte. Wortlos starrte sie auf seine verletzte Schulter, so als hätte es ihr die Sprache verschlagen. Tai grummelte nur, stellte das Wasser ab und bat sie ihm sein Handtuch zu reichen. Ohne Widerworte zu geben, drückte sie es ihm in die Hand und Taichi band es sich sofort um seine Hüfte als er aus der Dusche stieg, seine Duschutensilien in die Hand nahm und sich an ihr vorbeidrückte. _ Zielstrebig folgte sie ihm in den anderen Raum, während er seine Tasche schnappte und sein Duschgel in einem Seitenfach verstaute. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und nährte sich ihm langsam. Ihr Blick war immer noch auf seine Verletzung gerichtet, die allerdings langsam abzuheilen schien. Dennoch war sie besorgt und fragte sich, wie sie überhaupt erst entstanden war. Hatte er sich etwa geprügelt? „Hat sich das mal ein Arzt angesehen?“, fragte sie fast flüsternd und berührte ihn sanft an seiner Schulter. Tai schreckte sofort zusammen und hielt in seinen Bewegungen inne. „Bist du etwa deswegen hier?“, fragte er genervt und holte seine Boxershorts hervor. „Nein…ich…“ „Ich habe mir Salbe besorgt“, murmelte er ihr entgegen, doch Mimi war kein bisschen beruhigt, sondern hatte mehr Fragen als zuvor. „Aber...“ „Ich würde mir gerne meine Unterwäsche anziehen“, schnitt er ihr das Wort ab und sah sie herausfordernd an. Mimi verstand sofort und wandte ihm den Rücken zu, während sie mit den Fingern nervös ihre Tasche fest umklammerte. Warum sollte keiner davon erfahren? Wieso machte er so ein Geheimnis daraus? „Du kannst dich wieder rumdrehen“, sagte er nach einer kurzen Weile und zog seine verkrumpelte Schuluniform aus seiner Tasche. Er legte sie auf die Bank, auf der auch schon seine Sporttasche gestanden hatte. Hastig holte er die Salbe hervor, die er aus einem Seitenfach gezogen hatte. Mimi beobachtete ihn, wie er denn Deckel der Tube abschraubte und gerade etwas davon auf seine Finger geben wollte als sie sein Handgelenk ergriff. „Wenn du willst, kann ich das machen. Ich komme ja auch viel besser dran“, schlug sie vor und legte ein zaghaftes Lächeln auf. Tai erwiderte es nur kurz und reichte die Tube eher wiederwillig an sie weiter. Mimi drückte sich etwas Salbe auf ihre Handfläche und signalisierte Tai, dass er sich auf die Bank setzen sollte, damit sie ihn einreiben konnte. Er tat was sie von ihm verlangte und setzte sich, während sie hinter ihn schritt und mit ihren zarten Fingern behutsam über seine Verletzung strich. Die anfänglich peinliche Situation verwandelte sich allmählich in angespanntes Schweigen, was Mimi ganz und gar nicht behagte, weshalb sie sich dazu entschloss, einen erneuten Interventionsversuch zu starten. „Du wirst mir nicht sagen, was da passiert ist, oder?“, hakte sie behutsam nach und verteilte die kühle Salbe auf seiner erhitzten Haut. Tai hatte sich etwas vorgebeugt und seufzte niedergeschlagen. „Es war ein Unfall mehr nicht. Keine große Sache eben“, antwortete er unruhig und spannte seine Muskeln etwas an. Mimi stoppte abrupt ihre zärtlichen Bewegungen, die bei ihm eine leichte Gänsehaut hinterlassen hatten. Sie reichte die Tube wieder an ihn weiter als er unvermittelt aufstand und ihren Blicken auswich. „Ein Unfall?“, hakte sie ungläubig nach, da sie ihm nicht richtig glauben konnte. Er hatte den Kopf gesenkt, schlüpfte gerade in seine Socken und wollte als nächstes in seine Hose steigen als er beiläufig nickte. „Ja, ich bin gegen den Schrank gedonnert. Eigene Dummheit würde ich mal sagen“, entgegnete er lachend, doch seine Augen spiegelten etwas Anderes wieder. Sie wirkten traurig, doch er versuchte sie vom Gegenteil zu überzeugen, indem er ihr ein strahlendes Lächeln präsentierte. „Du solltest dir wirklich nicht so viele Sorgen machen. Sowas kommt eben manchmal vor“, erwiderte er sorglos und zog sein Hemd an. „Okay…“, löste sich leise von ihren Lippen, während er begann sich sein Hemd zuzuknöpfen. Sie glaube ihm nicht, doch sie wusste auch, dass er ein Sturkopf war und nicht mit der Wahrheit rausrücken wollte. Mittlerweile kannte sie ihn gut genug, um einschätzen zu können, wann er reden und wann er lieber seine Ruhe haben wollte. „Ich wollte dich echt nicht beunruhigen“, murmelte er fast flüsternd und bemerkte gar nicht, dass er sein Hemd falsch knöpfte. Mimi kicherte und hielt seine Handgelenke fest als sie ihm einen Teil der Knöpfe wieder öffnete. „Was soll das denn jetzt? War ich dir nackt etwa lieber?“, neckte er sie und ein leichter Rotschimmer zierte ihre Wangen. „So ein Quatsch“, sagte Mimi sofort und schüttelte unwirsch den Kopf. „Aber so kann man dich noch nicht nach draußen lassen.“ Mit ihren schlanken Fingern fuhr sie über seine markante Brust und pfriemelte die Knöpfte in der richtigen Reihenfolge zusammen. Zufrieden lächelte sie und gab ihm einen sanften Klaps gegen seinen Brustkorb. „Ja, so kannst du nach draußen gehen.“ „Ach was würde ich nur tun, wenn ich dich nicht hätte?“, scherzte er und schnappte sich seine Tasche. „Na dann würdest du wie der letzte Trottel rum laufen“, konterte Mimi sofort und kassierte von ihm einen eindeutigen Blick. Für einen kurzen Moment war alles so wie früher. Locker, unbeschwert, frei von irgendwelchen komplizierten Gefühlen. „Ähm…vielleicht sollten wir langsam nach Hause gehen“, schlug sie verunsichert vor, nachdem sie einen kurzen Blick auf ihre Uhr gewagt hatte. Sie ging etwas auf Abstand, als beide die Umkleidekabine verließen und nach draußen gingen. Unsicherheit stieg in ihr empor, während sie schweigsam nebeneinander herliefen. Eigentlich wollte sie mit ihm über den gemeinsamen Kuss sprechen, aber auch er machte keinerlei Anstalten dieses Thema einzuschlagen. Hatte es ihm vielleicht gar nichts bedeutet? War es nur eine Impulshandlung, die aufgrund des Alkohols zurückzuführen war? Verbittert biss sie sich auf die Unterlippe als das schmerzliche Gefühl von Wehmut ihren Körper vereinnahmte und sich langsam ausbreitete. Ihr wurde immer bewusster, wie dumm es doch gewesen war, mit ihm darüber sprechen zu wollen. Sie hatten sich damals insgeheim darauf geeinigt, dass es eben nicht sein sollte. Dass die Steine, die ihnen immer wieder in den Weg gelegt wurden, einfach zu groß waren, um nicht über sie zu stolpern. Sie war oft gefallen, merkte wie schwer ihr das erneute Aufstehen fiel, weil sie es einfach leid geworden war. Es war doch immer ein ewiges Hin und Her, das aus zweideutigen Bemerkungen, seltsamen Situationen und kleinen Hoffnungsschimmern bestand, die jedes Mal aufs Neue zerschlagen wurden. Enttäuschung machte sich breit, je länger sie ihren Gedanken nachhing. Sie erreichten das Schultor, das ihre Wege erneut trennte, weil sie in zwei verschiedene Richtungen mussten. „Okay, ich schätze dann sehen wir uns Morgen wieder“, begann sie leise, unsicher wie sie sich von ihm verabschieden sollte. Auch er kratzte sich unbeholfen am Hinterkopf und legte ein zaghaftes Lächeln auf. „Ja, denke schon.“ Sie schluckte hart, während sie sich gegenüberstanden, die Nachmittagssonne ihren Tiefpunkt erreichte und sie in ein wärmendes Licht umhüllte. Ihre Schatten erstreckten sich, doch der Abstand, der zwischen ihnen herrschte, war deutlich zu erkennen. Niedergeschlagen presste Mimi die Lippen aufeinander und setzte schwerfällig ihre Beine in Bewegung. „Dann bis morgen“, verabschiedete sie sich mit betrübten Herzen von ihm und hoffte auf irgendeine Reaktion seinerseits, die etwas ändern könnte. Doch sie drehte ihm bereits den Rücken zu, wollte gerade den ersten Schritt wagen als sie ihren Namen hörte. Hoffnungsvoll wandte sie sich ihm wieder zu, sah wie er seine Hände tief in seiner Hosentasche vergraben hatte und nervös auf seiner Unterlippe kaute. „Ich…“ Sie hielt die Luft an und atmete unruhig, während er nach seinen Worten rang, die ihm förmlich auf der Zunge brannten. Sie wusste noch nicht mal, auf was sie eigentlich hoffte. Auf einen bestimmten Satz, der ihr Leben verändern könnte?! Die drei Worte, die… „Komm gut nach Hause“, erwiderte er unbeholfen und traf sie mit solch einer Wucht, sodass sie den Boden der Tatsachen mit voller Härte erreichte. „Natürlich“, brachte sie nur noch hervor und setzte sich enttäuscht wieder in Bewegung. Mit schnellen Schritten entfernte sie sich von ihm und kramte ein paar Blocks weiter ihr Handy hervor. Ein dumpfer Schmerz breitete sich intervallartig aus als sie trotzig ihren Posteingang öffnete und eine SMS an Makoto tippte… Kapitel 13: Männergespräche --------------------------- ♥ Taichi ♥ „Ihr habt schon wieder Streit?“, fragte Tai fassungslos und setzte sich auf einen der zwei Plastikstühle, die sich auf dem winzigen Balkon seines besten Freundes befanden. „Um was geht es diesmal?“ Matt seufzte als er Tai ein Bier reichte und sich ebenfalls setzte. Geschafft fuhr er sich durch seine blonden kurzen Haare, die im Licht der untergehenden Sonne golden schimmerten. „Sie hat etwas gegen meine Musik“, brach aus ihm hervor. „Ständig liegt sie mir in den Ohren, ich sollte mir um meine Zukunft Gedanken machen, obwohl ich schon genau weiß, was ich machen möchte. Doch das akzeptiert sie einfach nicht“, erklärte er klagend. „Du weißt doch wie sie ist. Sie macht sich um alles und jeden Sorgen. Bei mir ist sie nicht anders“, meinte Taichi beruhigend, auch wenn er sich denken konnte, dass es bei Yamato tatsächlich ein bisschen anders war. Er kannte seine beste Freundin, die von ihrem Leben bereits genaue Vorstellung hatte und diese unbedingt auch erreichen wollte. Am liebsten an der Seite von Yamato. „Als ob sie bei dir das Stipendium je schlecht reden würde“, knurrte er und ließ sich nach hinten sinken. „Ich habe ihr vor kurzen von einer richtig großen Chance erzählt und weißt du wie sie reagiert hat?!“ „N-Nein“, stammelte er und konnte sich keinen Reim darauf bilden, von welcher ominösen Chance Yamato da nur sprach. „Sie meinte, dass ich aus meiner Traumwelt endlich aufwachen sollte“, er seufzte und nippte großzügig an seiner Bierflasche. „Aber von welcher großen Chance redest du überhaupt? Mir hast du davon gar nichts erzählt“, fiel Taichi ein und fühlte sich gleich schon ein wenig beleidigt. Normalerweise erzählten sie sich doch fast alles! „Ich wollte es dir ja erzählen, aber nachdem Sora so reagiert hatte, wollte ich sowieso erstmal abwarten, ob es überhaupt klappt“, erzählte er weiter und ein Grinsen huschte über seine Lippen. „Lass mich raten, ihr streitet, weil es geklappt hat?“ „Hundert Punkte! Wir haben uns für einen Bandwettbewerb qualifiziert, bei dem man umgerechnet 50.000 Dollar gewinnen kann!“ Taichi, der gerade angesetzt hatte etwas zu trinken, verschluckte sich prompt und musste kräftig husten als er die Gewinnersumme hörte. Er hatte sich sicher verhört. „50.000 Dollar?!“, wiederholte er röchelnd und wusch sich schockiert über den Mund. „Ja, ich sagte doch, es wäre eine unglaubliche Chance. Wir könnten mit dem Geld sicher eine CD aufnehmen und uns einen passenden Agenten suchen“, erwiderte Matt träumerisch. „Und wie viele Bands treten dort gewöhnlich an?“, hinterfragte Taichi skeptisch, da er sich nicht vorstellen konnte, dass es so einfach werden würde. „Bestimmt so…keine Ahnung. Vierzig, Fünfzig…die genaue Zahl steht noch gar nicht fest“, er zuckte überfordert mit den Schultern, ließ sich aber nicht seine gute Laune nehmen. „Aber die können wir sicher ausstehen. Wir haben jedenfalls reelle Chancen und Makotos Vaters kennt sogar ein paar wichtige Ansprechpartner. Er arbeitet mit vielen Produzenten zusammen.“ „Makotos Vater?“, hakte Taichi argwöhnisch nach und musste sich zusammenreißen bei seinem Namen nicht die Augen zu verdrehen. „Hat er dir diesen Floh ins Ohr gesetzt?“ „Fängst du auch schon damit an?“, grummelte Yamato erbost. „Du hast doch aus ganz anderen Gründen mit ihm ein Problem. Man, hätte ich gewusst, dass du so reagierst, hätte ich dir besser nicht erzählt, dass er heute mit Mimi ausgeht.“ Ein schmerzhafter Stich bohrte sich direkt durch sein Herz als er ihm die unweigerlichen Tatsachen vor Augen führte. Er war völlig baff gewesen als Yamato ihm berichtet hatte, dass Makoto heute ein Date mit Mimi hatte. Und das nachdem, was in den letzten Wochen alles zwischen ihnen passiert war… Er verstand sie nicht. Wieso ließ sie zu, dass er sie küsste und verabredete sich dann mit diesem Affen, der sie sicher nur ins Bett bekommen wollte? Makoto war kein unbeschriebenes Blatt, hatte oftmals Liebschaften für eine Nacht, die er meist auf den Konzerten erst kennen lernte und dann abschleppte. Er war der Typ Kerl, den Taichi verabscheute. Und trotzdem ließ sie sich auf ihn ein. „So ist das doch gar nicht“, entgegnete er schwach und blickte deprimiert auf seinen Schoss, während ein laues Lüftchen wehte. „Und wie ist es dann? Dieses hin und her zeichnet eure Beziehung doch schon seit Jahren aus“, warf sein bester Freund ein als er aus seiner Tasche eine Zigarettenpackung hervorkramte. „Immer behauptest du, dass nichts passiert wäre, aber hinterher war ‚Nichts‘ meistens ein gewaltiges ‚Etwas‘.“ Er steckte die Zigarette zwischen seine Zähne, fischte sein Feuerzeug hervor und zündete sie sich an. Mit einem starken Atemzug zog er daran und blies danach den Rauch kraftvoll aus seiner Lunge. „Vielleicht hat ja dein Prachtexemplar ihr Furcht eingeflößt“, meinte er trocken. „Du bist echt so unglaublich unlustig, Ishida! Warum erzähl‘ ich dir überhaupt noch was?“, fragte Taichi beleidigt und bereute es insgeheim ihm von dieser peinlichen Situation erzählt zu haben. „Na weil ich dein bester Freund bin und dir die peinlichsten Momente deines Lebens auf einem Silbertablett präsentiere, damit du sie auch niemals vergisst“, er lächelte selbstgefällig und kräuselte erneut die Lippen. „Sei froh, dass du ihren Namen nicht dabei gestöhnt hast. So kannst du dich immer noch rausreden“, ergänzte er mit einem monotonen Unterton, obwohl Taichi bemerkte, dass er das Lachen eigentlich kaum zurückhalten konnte. Ein peinliches Schweigen legte sich über die beiden, während Matt lautlos seine Zigarette zu Ende rauchte, am Balkongeländer ausdrückte und sie in den dabeistehenden Aschenbecher auf dem kleinen Beistelltisch warf. „Wieso holst du dir auch einen in der Schule runter? Ich glaube, du brauchst echt mal wieder eine heiße Bettgespielin“, witzelte er und erneut zierte ein breites Grinsen sein Gesicht. Er wusste ja selbst, dass es nicht so einfach war. Dass er nur ein Mädchen im Kopf hatte und das schon seit Jahren. Deswegen waren auch alle Beziehungen, die nicht gerade zahlreich waren, irgendwann zerbrochen. Besonders nachdem sie wieder nach Japan zurückkehrt war, hatte er sämtliches Interesse an anderen Mädchen verloren, auch wenn sie ihm durchaus Avancen machten. Eine kurze Beziehung hatte er seit ihrer Rückkehr gehabt, doch sein Herz war nicht frei für etwas Neues, weshalb die Beziehung schneller endete als sie angefangen hatte. „Ich glaube nicht, dass das mein Problem lösen würde“, antwortete er resigniert und ließ den Kopf betrübt nach unten hängen. Er hatte seinem besten Freund nichts von dem leidenschaftlichen Kuss erzählt, der immer noch in seinen Gedankengängen festsaß und seine Wünsche und Hoffnungen nährte. Yamato hatte Recht mit dem was er sagte. Ihre Beziehung war ein einziges Hin und Her, dass mit den Jahren einfach nur noch an seinen Nerven zehrte, aber dennoch den unbändigen Wunsch, mit ihr eine weitere Chance zu haben, bekräftigte. Es war ein immerwährender Zwiespalt, der sein Herz vereinnahmte und nicht mehr losließ. Er lebte in der Vergangenheit mit der Erkenntnis, dass die Gegenwart sich veränderte und weiterentwickelte. Und er konnte nicht behaupten, dass ihm diese Entwicklungen gefielen. _ Sein erschöpfter Körper bettete sich auf dem Gästefuton, dass Yamato für ihn bereitgelegt hatte. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt bei seinem besten Freund zu übernachten, doch im Anbetracht der vorangeschrittenen Zeit und das er mal wieder einen Abend mit seinem Vater alleine verbringen müsste, hatte sich Taichi ganz spontan selbst eingeladen. Noch immer hatte er ihm nicht verzeihen können, spürte die ständige Anspannung in seiner Gegenwart, die ein unbeschwertes Unterfangen mit seinem Vater kaum möglich machte. Zwar lief es beruflich etwas besser, da tatsächlich nach langem hin und her ein Inverstor Interesse zeigte, aber das änderte nichts an ihrem Verhältnis zueinander. Tai hatte das Vertrauen in seinen Vater endgültig verloren, auch wenn er sich Mühe gab und in unbeobachteten Momenten das Gespräch mit seinem Sohn suchte. Unzählige Male hatte er sich bereits bei Taichi entschuldigt. Unzählige Male redete er sich um Kopf und Kragen, um seinen Alkoholkonsum zu beschönigen und abzuschwächen. Es sei doch nur ein Feierabendbier, das er brauchte um seine Nerven zu beruhigen, wenn er mal wieder vor Tais Augen zur Flasche griff. Doch er wusste, dass es schon lange nicht mehr bei einem blieb. Natürlich hatte er sich nach diesem Vorfall besser unter Kontrolle, achtete darauf nicht zu viel zu trinken, doch er konnte auch nicht mehr darauf verzichten. Ein leiser Seufzer brach von seinen Lippen als er sein Gesicht in das weiche Kissen drückte und es mit seinen Armen umschloss. Sein Körper entspannte sich allmählich als Matt aus dem Badezimmer zurückkehrte, ebenfalls in sein gemachtes Bett stieg und das Licht direkt ausknipste. „Und heute musst du deine Schwester nicht bei meinem Bruder abholen?“, fragt er belustigt und kroch unter die Decke. Genervt stöhnte Taichi auf, drehte sich zur Seite und bettete sein Kinn auf seiner Handfläche, sodass er etwas aufrechter liegen konnte. „Sie übernachtet ja heute bei Yolei, nicht bei Takeru.“ „Ach wirklich?“, hakte Yamato skeptisch nach. „Und das glaubst du ihr? Sonst bist du doch auch immer ihr persönlicher Wachhund.“ „Ich muss eben lernen ihr zu vertrauen und außerdem betont sie ja immer, dass TK und sie nur Freunde seien“, erwiderte er angespannt, auch wenn er sich es nicht anmerken lassen wollte. Selbstverständlich passte es ihm nicht, dass seine kleine Schwester bei einem Jungen übernachtete, auch wenn es nur Takeru war, den er ebenfalls von Kindesbeinen an kannte. Irgendwie wollte er nicht, dass sie erwachsen wurde, da er spürte, dass sie sich jetzt schon immer mehr von ihm distanzierte, um ihren eigenen Weg einzuschlagen. Doch auch er hatte bemerkt, dass ihr die Freundschaft zu Takeru und den anderen guttat. Ihr den nötigen Halt gab, den sie zurzeit benötigte, aber Taichi ihr nicht geben konnte. Deswegen biss er die Zähne zusammen, ignorierte das mulmige Gefühl in seiner Magengegend, wenn er daran dachte, dass sie möglicherweise sogar in einem Bett miteinander schliefen. „Ich glaube, die beiden wollen es einfach noch nicht wahrhaben“, kam es von Matt, der nachdenklich zur Decke starrte. „Mein Bruder schwärmt sehr oft von ihr und bemerkt es noch nicht mal wirklich. Ich denke, dass er sie jedenfalls sehr gerne hat.“ Auch Taichi drehte sich wieder auf den Rücken und spürte den harten Futon in seinem Rücken. Zum Glück war seine Verletzung mittlerweile abgeheilt, sodass er sich keine Sorgen mehr darum machen musste. „Naja, Kari ist sehr beliebt. Auch Davis ist immer noch völlig verknallt in sie, obwohl Takeru bestimmt die besseren Chancen hätte.“ „Ja, das stimmt schon. Eigentlich könnte man ja wetten, wann die beiden endlich zusammenkommen“, witzelte Yamato und richtete seinen Blick zu Taichi, der ihn finster erwiderte. „Was? Ganz sicher nicht. Vielleicht bleiben sie ja auch einfach nur miteinander befreundet“, erwiderte er abweisend und dachte automatisch an Sora und sich. Auch er hatte eine Zeitlang heimliche Gefühle für seine beste Freundin gehegt, die er jedoch hinter sich gelassen hatte, nachdem Yamato und sie ein Paar wurden. Anfangs war es für Tai eine wahre Achterbahnfahrt, die in der Hölle begann und im freien Fall endete. Nie im Leben hätte er erwartet gehabt, dass ein Kuss sein ganzes Leben auf den Kopf stellen könnte und alles in neue Bahnen lenkte, die er zuvor nicht mal in Erwägung gezogen hätte. Doch sie hatte einfach alles verändert. „Stell‘ dir mal vor die beiden würden heiraten“, sein Lachen zog sich durch den kleinen Raum als Tai skeptisch die Stirn runzelte. „Wären wir dann nicht irgendwie verschwägert oder so?“ „Ähm, keine Ahnung. Jedenfalls wäre Kari dann meine Schwägerin und Takeru dein Schwager. Echt eine seltsame Vorstellung“, fasste er treffend zusammen und bewegte sich unruhig in seinem Bett, sodass seine Matratze leise quietschte. „Und wenn du dann noch Sora heirateten würdest…ohje, ich glaube dann wären wir in ein paar Jahren alle irgendwie miteinander verwandt“, führte er Yamatos Ausführungen fort als plötzlich eine unbehagliche Stille einkehrte. Überrascht setzte sich Taichi auf und legte seine Arme locker auf seinen Knien ab. „Ist alles in Ordnung?“, hinterfragte er besorgt, da er im dunkeln Zimmer das Gesicht seines besten Freundes nicht richtig erkennen konnte. „Denkst du, dass sie sich bald von mir trennt?“, durchbrach seine zitternde Stimme die Stille. Taichi riss augenblicklich die Augen auf und versucht eine passende Antwort auf Yamatos merkwürdige Frage zu finden. Doch bevor er antworten konnte, schritt er ihm das Wort ab, indem er seine Bedenken äußerte. „Im Moment streiten wir sehr oft, obwohl ich das eigentlich gar nicht will. Ich möchte doch nur meinen Traum verwirklichen. Ist das so falsch?“ Tai presste die Lippen aufeinander und senkte betroffen den Kopf. Was sollte er nur sagen? Er wusste ja, dass Sora von all dem nicht begeistert war, aber er konnte ihm doch nicht raten, die Musik aufzugeben. Dafür liebte Yamato sie zu sehr. „Ich…“, Taichi hielt inne, überlegte kurz, ob seine Worte überhaupt Sinn machten, bevor er sachte weitersprach. „Ich denke, dass ihr Kompromisse finden müsst. Sie liebt dich und will eine Zukunft mit dir. Aber ich glaube, sie weiß nicht so recht, wo ihr Platz in deinem Leben sein soll, wenn du tatsächlich gehst. Du weiß am besten, was sie sich von ihrem Leben erhofft und wie ehrgeizig sie ist.“ „Ja, ich weiß“, flüsterte er leise als Taichi den Blick zu Yamatos E-Bass richtete, der direkt neben seinem Fenster in seiner Halterung stand und vom samtigen Mondlicht umhüllt wurde. Vielleicht war es nicht möglich mehrere Träume in seinem Leben aufrecht zu erhalten. Möglicherweise musste man sich eines Tages entscheiden, weil die Wegweiser des unendlichen Lebenspfades in zwei verschiedene Richtungen führten und man eben nur eine wählen konnte, weil sich die Wege nicht berührten, sondern voneinander entfernten. Oftmals wurde auch für einen entschieden, ohne, dass man eine Wahl besaß. Doch in diesem Fall wusste Taichi, dass die Entscheidung ganz allein bei seinem besten Freund lag. Und im Moment konnte er nicht sagen, wie er sich entscheiden würde. Kapitel 14: Detailwissen ------------------------ ♥ Mimi ♥ Aufgeregt lief sie im Zimmer ihres besten Freundes auf und ab, während er an seinem Schreibtisch saß und in die Matheaufgaben vertieft war. „Oh Gott Izzy, es war echt so schön gewesen! Wir waren essen und er hat sogar für mich bezahlt. Makoto ist eben ein Gentleman schlecht hin“, schwärmte sie verträumt und erinnerte sich an ihr atemberaubendes Date, dass sie am Samstagnachmittag hatten. Eigentlich wollte sie all das schon Sora detailreich berichten, doch nachdem sie ihre deutliche Abneigung Makoto gegenüber mal wieder gespürt hatte, entschied sie sich dazu, sich lieber Izzy anzuvertrauen, bevor sie noch innerlich explodierte. Sie war ganz hibbelig, konnte gar nicht mehr stillsitzen und gestikulierte wild mit ihren Armen, um Izzys uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu erhalten. Doch die Ernüchterung machte sich schnell breit als er sich lieber seinem Mathebuch voll und ganz zuwandte, statt ihren farbenfrohen und detailreichen Erzählungen zu verfolgen. Erbost blieb sie mitten im Raum stehen und verschränkte wütend die Arme vor der Brust. „Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte sie aufgebracht und ging auf ihn zu. „Mhm“, machte er nur und versuchte die nächste Matheaufgabe zu lösen, die sie eigentlich gemeinsam erledigen wollten. „Izzy…“, grummelte sie genervt und zog seinen Spitznamen quengelnd in die Länge. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie die einzige war, die ihn noch so nannte. Die meisten hatten sich angewöhnt, ihn bei seinem Rufnamen ‚Koushiro‘ anzusprechen, doch Mimi fand immer noch, dass Izzy einfach viel besser zu ihm passte. Für sie war er immer noch der kleine verängstigte Junge, der sich hilfesuchend nach seiner Mutter umschaute und mit keinem anderen Kind im Kindergarten spielen wollte, bis Mimi ihn angesprochen hatte und von ihm verlangte mit ihr in der Puppenküche zu spielen. Regelrecht genötigt, hatte sie ihn. Doch an diesem Tag wurden sie Freunde, die füreinander da waren und unzertrennlich wurden. „Du hörst mir gar nicht zu“, stellte sie beleidigt fest und stützte sich an seinem Schreibtisch ab, um ihm einen vorwurfsvollen Blick zu schenken. „Wir können doch mal fünf Minuten Pause machen.“ „Mhm…“ „Man Izzy!“, knurrte sie und schlug einfach sein Buch zu, damit er nicht mehr weiterarbeiten konnte. „Hey?! Was soll das denn?“, fragte er empört und riss die Augen weit auf. Allmählich schien er sie wieder wahrzunehmen. „Du hörst mir echt gar nicht zu. Ich versuche dir von meinem Leben zu berichten und du ignorierst mich einfach“, antwortete sie klagend. „T-Tut mir leid, i-ich…ähm…“, stotterte er unbeholfen und fuhr sich verlegen durch seine kurzen roten Haare. „Du solltest außer Bücher auch mal andere Menschen in dein Leben lassen und mit anderen Menschen meine ich Mädchen! Du kannst dich doch nicht immer dahinter verstecken“, erwiderte sie schnaubend, nahm das Buch, dass er gut im Blick hatte, an sich und setzte sich auf sein Bett. Erwartungsvoll sah sie ihn an und bettete das Buch auf ihrem Schoss. Fragend erwiderte Izzy ihren durchdringenden Blick und schien nicht zu wissen, auf was sie hinauswollte, geschweige denn, was sie ihm vor wenigen Minuten erzählt hatte. „Was guckst du mich denn so komisch an?“ Mimi seufzte und verdrehte die Augen. „Du bekommst auch echt nichts mit! Ich habe dir doch gerade von meinem Date mit Makoto erzählt“, erinnerte sie ihn und blickte ihn strahlend an. „Oh, ja…und?“, hakte er unsicher nach und huschte mit den Augen betrübt zu Boden. „Seid ihr etwa jetzt zusammen?“ Überrascht über diese Frage, winkte Mimi sofort ab und lachte herzlich. „So schnell geht das auch wieder nicht. Wir haben uns ja noch nicht mal richtig geküsst“, berichtete sie unverblümt, doch Izzy stierte angestrengt auf seinen Teppichboden. Irritiert runzelte Mimi die Stirn und konnte die Reaktion ihres Freundes nicht einschätzen. Freute er sich denn kein bisschen für sie? Hatte er etwa mit Sora gesprochen, die alles und jedem diesen Floh ins Ohr setzte, dass Makoto ein komischer Kerl war, nur, weil er Soras eigene Beziehung etwas durcheinanderbrachte? „Was ist denn los? Du bist so komisch“, stellte sie besorgt fest. „Gar nicht…“, erwiderte er sofort und drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch hin. „Ich weiß nur nicht so wirklich was ich dazu sagen soll. Ich kenne Makoto ja nicht.“ „Ich wollte dir doch auch nur von meinem Date berichten. Sora mag ihn nicht! Bei ihr brauche ich da gar nicht anzukommen“, antwortete sie verzweifelt und kaute angestrengt auf ihrer Lippe herum. Irgendwie suchte sie die Bestätigung. Die Bestätigung, dass ihre Entscheidung richtig war. Sie hatte sich aus Trotz mit Makoto verabredet, weil sie sich von Tai vor dem Kopf gestoßen fühlte. Niemals hätte sie erwartet gehabt, dass das Date doch so gut laufen würde. Makoto und sie hatten die gleichen Interessen, die sich besonders in der Liebe zur Musik wiederspiegelten. Den halben Abend hatten sie sich über ihre Lieblingsbands und Musiker unterhalten, sodass Mimi gar nicht bemerkte, wie schnell die Zeit doch vorangeschritten war. Er hatte sie sogar nach Hause gebracht und sich ganz höflich von ihr verabschiedet, ohne zwangsläufig einen Schritt weiter zu gehen. Anscheinend hatte er durchaus gemerkt, dass sie sich bei einem Kuss nicht wohlgefühlt hätte, was auch an den letzten Wochen lag, die nicht spurlos an ihr vorübergezogen waren. Doch sie musste es endgültig hinter sich lassen. Gut, der Kuss mit Tai war zwar sehr sinnlich gewesen und hatte durchaus Lust auf mehr gemacht, allerdings war sie nicht mehr bereit, dieses seltsam gewordene Spiel weiter mitzuspielen. Vielleicht half Makoto ihr dabei, sich endgültig von der Illusion der Vergangenheit zu lösen. _ Nach einem äußerst stressigen Schultag hatte Mimi sich überreden lassen, nach dem Kochkurs sich nochmal mit Kaori zu treffen. Sie wollten ihr Projekt näher besprechen, auch wenn Mimi förmlich spürte, dass sie sowieso kein Mitspracherecht hatte. Kaori hatte bereits entschieden ein Krisenexperiment durchzuführen und ignorierte alle Vorschläge, die sie ihr unterbreitet hatte. Auch wenn Kaoris Thema sehr interessant klang, war es immer noch ihr gemeinsames Projekt, auch wenn es sich nicht so anfühlte. Missmutig setzte sie einen Schritt vor den anderen, sah sich mit großen Augen um und konnte selbst nicht fassen, in welcher Wohngegend sie sich befand. Ein Massivhaus zierte das nächste und signalisierte ihr, dass sie sich in einer der nobelsten Wohngegenden Tokios befand. Irritiert blickte sie auf die Adresse, die Kaori ihr aufgeschrieben hatte und stellte mit Entsetzen fest, dass sie sich tatsächlich in der richtigen Straße befand. Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse und staunte nicht schlecht als sie die prunkhaften Gärten erblickte, die wohl alle von einem Gärtner bewirtschaftet wurden, da jede Hecke und jedes Blumenbeet sehr akkurat hergerichtet waren. Mit immer schwerfälligeren Schritten suchte sie nach der Hausnummer, die ihr Kaori auf den Zettel notiert hatte. Es dauerte nicht lang, bis sie auf ein großes Haus mit rötlichen Ziegel zusteuerte, dass sicher viermal so groß, wie ihre Wohnung war. Vollkommen baff drückte sie das schwere Metalltor auf und ging auf dem gepflasterten Pfad zur Haustür. Rings um sie herum entsprang ein wahrhaftiges Blumenmeer, das im Frühling in den schönsten Farben erblühte. „Wow“, brachte sie nur hervor als sie die sie massiven Steinstufen bedacht hochschritt und nicht genau wusste, wo sie überall hinschauen sollte. Der Garten erstreckte sich vor ihr in vollster Pracht und hatte verspielte Details in Form von edlen Porzellanfiguren, die die Beete und den Zaun zierten. Perplex drückte sie auf die Klingel, konnte aber einfach nicht den Blick von dem sonnendurchfluteten Blumenmeer wenden, dass in der rötlichen Abendsonne schimmerte. Erst als sich die Tür langsam öffnete, schnellte sie herum. „Hi“, ertönte Kaoris Stimme leise als ein schüchternes Lächeln ihre Lippen umspielte. Mimi erwiderte ihren knappen Gruß und war immer noch über die Landschaft, die sie umgab, erstaunt als Kaori sie hineinbat und zur Seite trat. Etwas von Ehrfurcht gepackt ging sie an ihr vorbei und fand sich in einem riesigen, schlicht gehaltenen Flur wieder. Die Wände waren Weiß gehalten und nur ein großes Bild zierte den Eingangsbereich, weshalb der Flur sehr steril auf Mimi wirkte. Sie zog ihre Schuhe aus und betrat den kalten Fliesenboden, der sie leicht frösteln ließ. Sie umklammerte ihre Schultasche und wagte einen kurzen Blick zu Kaori, die an ihr vorbeigeeilt war. „Hast du gut hergefunden?“, fragte sie höflich, aber legte eine angespannte Miene auf. „Ja, war eigentlich recht einfach zu finden“, antwortete Mimi steif und musterte ihre Klassenkameradin von oben bis unten. Es war ungewöhnlich sie nicht in der üblichen Schuluniform zu sehen, da sie eine lässige Jogginghose und ein weites Shirt trug. Ihre Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt gebunden und sie rückte ihre Brille zurecht, da sie etwas nach unten gerutscht war. „Wie war der Kochkurs?“, hakte sie nach und versuchte die Stimmung etwas aufzulockern. Mimi lächelte vage und erinnerte sich daran, dass sie sogar etwas zu Essen mitgebracht hatte. „Ganz schön eigentlich. Ich habe uns sogar noch etwas mitgebracht, falls wir später Hunger bekommen sollten“, erwiderte sie und kramte aus ihrer Tasche eine Tupperschüssel hervor. „Wir haben uns heute an Ofengemüse versucht.“ Erwartungsvoll hielt Mimi ihr die Dose unter die Nase, die sie zaghaft entgegennahm. „Oh, das ist wirklich toll“, murmelte Kaori mit gedämpfter Stimme. „Ich habe nur ein paar Kekse und so besorgt, weil ich nicht die beste Köchin bin, aber jetzt werden wir ganz sicher nicht verhungern.“ Sie grinste unbeholfen und hob die Dose etwas in die Höhe. Mimi erwiderte ihren Blick und konnte die Unsicherheit aus ihren Augen lesen, da die beiden wohl genauso viele Gemeinsamkeiten hatten wie ein Rabe und ein Schreibtisch. Genau genommen gar keine. Sie war sich wirklich nicht sicher, wie dieses Projekt funktionieren sollte, wenn jedes Gespräch in einem einzigen Krampf endete. _ „Wow, dein Zimmer ist wirklich…“, vollkommen baff stand Mimi mitten im Raum und versuchte alle Eindrücke aufzunehmen, wenn das überhaupt möglich war. Es war mindestens doppelt so groß wie ihr eigenes und war in zarten Mint- und Rosatönen gehalten, während ein großes Himmelbett die Raummitte ausrichtete. Die großen lichtdurchfluteten Fenster hüllten den Raum in warmes Tageslicht, sodass ihr Arbeitsbereich großzügig erhellt wurde. „…der Wahnsinn“, beendete sie sprachlos ihren Satz und betrachtete die Wände, die einige Fotos zierten. Ganz anders als im kargen Flur hingen dort verschiedene Auszeichnungen und einige Bilder, die sich in einem kunstvoll verzierten Goldrahmen befanden. Auch auf dem Schreibtisch entdeckte Mimi ein Foto, das drei Personen zeigte. Eine junge Frau hielt zwei Mädchen engumschlugen fest und lächelte in die Kamera, während die beiden Kinder freudig ihre Puppen in Händen hielten. „Danke, wenn du magst, kannst du dich gerne setzen“, bot sie ihr zuvorkommend an und ließ sich auf ihrem Bett nieder. Mimi setzte sich daraufhin auf ihren Schreibtischstuhl, legte ihre Schultasche auf dem Boden ab und huschte immer noch mit den Augen hin und her. Neugierig betrachtete sie sich die ganzen Auszeichnungen, die die Wände schmückten, ohne auf Kaori zu achten. Überrascht weiteten sich ihre Augen als sie las, für was Kaori sie erhalten hatte. „Du spielst Violine?“, fragte sie verblüfft nach, da sie sie mit Musik gar nicht in Verbindung gebracht hätte. Sie sah auch keinen Violinenkoffer oder ähnliches in ihrem Zimmer stehen, was sie schon etwas irritierte. „Ähm, ja…also nein, ich spiele seit zwei Jahren nicht mehr“, antwortete sie unsicher und schien sich auf einmal selbst in ihrem eigenen Zimmer nicht mehr wohlzufühlen, da sich ihre komplette Körperhaltung anspannte. „Und warum nicht mehr? Anscheinend warst du echt gut“, stellte Mimi fest und verwies auf eine der Auszeichnungen, bei der Kaori wohl den ersten Platz belegt hatte. „Naja…ich…ähm…“, druckste sie herum und senkte betroffen den Kopf, sodass Mimi schon Angst hatte, etwas Falsches gesagt zu haben. Manchmal war sie einfach viel zu neugierig, ohne mögliche Konsequenzen zu beachten. Vielleicht konnte sie aus unerfindlichen Gründen nicht mehr spielen oder hatte aufgehört, weil sie sich einfach mehr auf die Schule konzentrieren wollte. Genau genommen ging es sie ja auch gar nichts an, obwohl sie es gerne gewusst hätte. Mimi seufzte resigniert und lenkte ein anderes Thema ein. „Und hast du schon eine Idee, wo wir das Krisenexperiment machen wollen? Also im Supermarkt Ware aus den Einkaufswägen zu nehmen, könnte sicher böse ausgehen“, meinte sie und konnte sich kaum vorstellen, dass dieses Experiment tatsächlich so stattgefunden hatte. „Ähm…also, vielleicht hätte ich da eine Idee“, erwiderte sie spitzfindig und Mimi hoffte wirklich, dass es eine Gute war. Im Moment konnte sie sich darunter nichts als Ärger vorstellen. „Kennst du die Kunsthochschule?“ „Die Kunsthochschule?“, hakte Mimi nach und runzelte die Stirn. Was hatte denn die Kunsthochschule mit ihrem Projekt zu tun? „Naja, ich kenne eine Dozentin des Musikfachbereichs und vielleicht könnten wir da einen kleinen Orchester-Flashmopp organisieren“, schlug sie strahlend vor. „Einen Orchester-Flashmopp? Aber die spielen da doch sicher ständig auf ihren Instrumenten? Wo ist da der Normbruch?“, hinterfragte Mimi skeptisch und überlegte kurz, ob Kaori es tatsächlich ernst meinte oder ihren Wissenstand testen wollte. „Naja an der Universität selbst ist es verboten auf dem Außengelände zu spielen. Das darf man nur in den vorgeschriebenen Räumlichkeiten und an besonderen festgelegten Anlässen.“ „Ach wirklich?“ „Ja, es ist in der Hausordnung festgelegt und ich schätze schon das es als Normbruch zählt, da die Studenten sich sowas ganz sicher nicht von alleine trauen würden. Gerade die Musikstudenten sind sehr diszipliniert was Regeln und das Einhalten von Noten angeht. Mit so etwas Spontanem rechnet sicher keiner“, untermauerte sie ihre Aussagen energisch. „Denkst du dann überhaupt, dass sie mitmachen werden?“ „Müssen sie ja gar nicht“, wiedersprach Kaori sofort. „Es geht ja darum die Reaktionen einzufangen. Von Ersetzen bis Fremdschämen ist alles erlaubt.“ „Okay, du kennst dich ja wirklich gut aus“, stellte Mimi nüchtern fest und fragte sich wirklich, ob sie überhaupt gleichgestellte Partner waren. Im Moment hatte sie das Gefühl, dass ihr die Zügel immer weiter aus der Hand glitten. Es war wie ein unsichtbarer Machtkampf, den sie untereinander ausfochten, statt miteinander an einem Strang zu ziehen. Und Mimi war bewusst, dass sie ihn schon längst verloren hatte. Kapitel 15: Spuren zerbrochener Herzen -------------------------------------- ♥ Taichi ♥ Niedergeschlagen lag er langesteckt auf seinem Bett und hatte seinen Arm gegen seine Stirn gelehnt, während er an seine weiße Decke starrte. Er konnte nicht glauben, wie sich sein Leben zurzeit entwickelte…dass es wie Sand einfach so durch seine Finger rann, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Er hatte die Kontrolle verloren und drohte, dass zu verlieren, was ihm am wichtigsten war. Seinen unbändigen Mut, der ihn stets motivierte und zu Höchstleistungen antrieb. Doch mittlerweile war er in ein tiefes schwarzes Loch gefallen, ohne Aussicht jemals alleine wieder herauszukommen. Er hatte keine Lust mehr. Alles wurde ihm plötzlich zu viel, sodass er sich am liebsten für immer in seinem Bett verkriechen wollte. Ein tiefer Seufzer löste sich von seinen Lippen als er sich zu seinem Nachttisch drehte und das dunkele Holz nachdenklich fixierte. Geistesabwesend stützte er sich von seiner Matratze etwas ab und öffnete die erste Schublade vorsichtig. Seine Hand verschwand darin und kramte etwas hervor, dass er schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr in Händen gehalten hatte. Er bildete eine Faust und spürte das raue Material auf seiner Haut, dass ihn in Erinnerungen schwelgen ließ. Er drehte sich schwerfällig auf den Rücken, öffnete seine Hand etwas und betrachtete das rötlich schimmernde Garn, dass zu einem wundervollen Routenmuster verflochten war. Das Ende war mit zwei weißen Perlen versehen, um das Anlegen des Bändchens zu erleichtern. Die Farbe war bereits etwas verblasst, da er es vor Jahren tagtäglich getragen und meist nur zum Duschen abgenommen hatte. Er presste die Lippen verbittert aufeinander, je länger er es betrachtete. Der intensive Rotton hatte seinen Glanz verloren, genauso wie die Beziehung, die sie einst hätten haben können. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihnen, stellte ihnen immer wieder Hindernisse in den Weg, die Taichi in seinem jugendlichen Leichtsinn nicht sehen wollte. Erst als es zu spät war, merkte er, dass er sich in einer Scheinwelt befunden hatte. Dass, das was sie hatten eine reine Wunschvorstellung war, die in der Realität keinen Platz finden konnte. Er erinnerte sich noch gut an die Zeit als er bis spät abends wach blieb, um mit ihr noch wochentags skypen zu können. Einfach ihr Gesicht zu sehen. Ihr strahlendes Lächeln, dass ihre rosigen Lippen umspielte. Ihre Stimme zu hören, die ihm immer wieder mitteilte, wie sehr sie ihn vermisste und das sie sich auf die Sommerferien freute, da sie sich dann endlich wiedersehen würden. Doch meist waren Worte eben nur Worte, die sich im Sog des Vergessens wiederfanden und sämtliche Chancen zerschlugen, die sie sich wagemutig aufgebaut hatten. Er wollte gar nicht mehr daran denken, doch er schaffte es nicht die Vergangenheit loszulassen. Dabei war es offensichtlich, was sie wollte, beziehungsweise wen. Und er konnte nicht sagen, dass ihm diese Entwicklung sonderlich gut gefiel. Schon als sein bester Freund ihm mitgeteilt hatte, dass Mimi mit Makoto ausgehen wollte, hatte er insgeheim gehofft, dass das Date schrecklich laufen würde, sie zur Besinnung kam und er doch noch eine Möglichkeit erhielt mit ihr über ihren Kuss zu sprechen, der nicht nur neue Hoffnungen geschürt hatte, sondern auch das lodernde Feuer des Verlangens. Er wollte sie wieder küssen. Sie in seinen Arme halten mit der Gewissheit, dass sie nichts auf dieser Welt wieder trennen könnte. Doch er hatte zu lange gewartet. Tai hatte seine Chancen glatt verspielt, indem er einfach den Mund hielt und den letzten Rest seines Mutes endgültig unter der Angst vor Zurückweisung vergrub. Er hatte nicht erwartet, dass sich tatsächlich etwas Ernstes zwischen Mimi und Makoto entwickeln könnte, doch nachdem er mitbekommen hatte, dass sie sich dieses Wochenende wieder verabredetet hatten, zerplatzten sämtliche Wünsche und Träume, die er sich zurechtgelegt hatte wie eine Seifenblase. Zurück blieb der beißende Beigeschmack der Eifersucht, die sein Herz einnahm und förmlich durchlöcherte. Wehleidig blickte er zu dem Freundschaftsbändchen, dass Mimi ihm damals zu seinem 15. Geburtstag geschenkt hatte. Hätte er irgendetwas anders machen können? Hatte er überhaupt genug um sie gekämpft? Vielleicht verdiente er diesen Schlag in die Magengrube, um endlich aufzuwachen und zu erkennen, dass er dem Schatten einer einst erblühenden Liebe hinterherjagte, der von Mal zu Mal immer blasser zu werden schien. Schwerfällig schloss er seine müden Augen, drückte das Freundschaftsband gegen seine pochende Brust und fand sich plötzlich in der schmerzlichen Erinnerung der Vergangenheit wieder. _ „Ich hoffe, du hast es noch nicht aufgemacht! Du hast erst in fünf Minuten Geburtstag“, sagte sie gespielt mahnend und lächelte in die Kamera ihres Laptops. „Nein, habe ich nicht“, antwortete Taichi langezogen und hielt das bunte Geschenkpapier in die Höhe. „Du hast sogar dick und fett draufgeschrieben ‚Erst am Geburtstag öffnen‘“. Er lächelte verschmitzt und auch Mimi konnte sich ein Kichern nicht länger verkneifen. „Naja, du reißt doch alles gleich am liebsten mit deinen Zähnen auf, weil du viel zu neugierig bist.“ „Mit den Zähnen?“, hakte er belustig nach. „Wann habe ich mal was mit den Zähnen aufgemacht?“ Mimi legte den Kopf schräg und musterte ihn eindringlich. „Weihnachten 2000. Wichteln. Du konntest dich gar nicht mehr beherrschen und hast Joes Geschenk einfach mit den Zähnen aufgerissen!“ „Was? Ich habe die dumme Schleife nicht aufbekommen! Drei Knoten waren auch wirklich übertrieben, selbst für Joe!“, erwiderte er lachend und dachte automatisch an seinen sehr gewissenhaften Freund, der sich tausendfach dafür entschuldigt und somit auch die Geheimhaltungspflicht der kleinen Weihnachtstradition einfach missachtet hatte. Dennoch hatte er sich damals sehr über die leckere Schokolade mit Karamellkern gefreut gehabt, auch wenn sie sehr schnell in seinem Magen verschwunden war. Von Mimi erhoffte er sich daher etwas Haltbareres. Er hatte schon versucht herauszufinden, was sie ihm schenken wollte, doch weder die Verpackung, noch seine kreativen Hinterfragungsmethoden waren hilfreich gewesen, weshalb er geduldig auf seinen Geburtstag warten musste. „Ich hoffe, es gefällt dir auch“, murmelte sie leise und Taichi sah, wie sich ihre Wangen rötlich verfärbten. Verlegen senkte sie den Kopf und blinzelte gegen die Sonne, die durch ihr Zimmerfenster schien und den Raum erhellte. Bei ihm schenkte nur eine kleine Lampe neben seinem Schreibtisch etwas Licht, damit er nicht im Dunkeln sitzen musste. In Japan war es bereits kurz vor Mitternacht, während es bei Mimi in einer Stunde erstmal Mittagessen geben würde. Sie hatte wegen einer Lehrerkonferenz schulfrei, weshalb sie bereits vormittags skypen konnten. Normalerweise kam Mimi wegen zahlreicher außerschulischer Aktivitäten erst am späten Nachmittag nach Hause und sie verlegten ihre regelmäßigen Unterhaltungen meist auf die Wochenenden, weil die Uhrzeit dann nicht ausschlaggebend war, auch wenn es Taichi manchmal gar nicht erwarten konnte sie zu sehen. Es war seltsam, wie sich ihre Beziehung in den letzten Monaten verändert hatte. Seit ihrem Kuss an Silvester ging sie ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ständig schwirrte sie durch seine wirren Gedankengänge und brachte sein Herz dazu höher zu schlagen, auch wenn er es immer noch nicht schaffte, seine Gefühle richtig zuzuordnen. Immer wenn sie gemeinsam miteinander sprachen, verging die Zeit wie im Flug, sodass er oftmals nicht bemerkte, dass schon drei Stunden vergangen waren. Er fühlte sich wie in einem Rauschzustand, der einfach nicht enden wollte. Er sehnte sich nach ihrer Nähe, wollte mehr als nur über einen Bildschirm mit ihr zu kommunizieren, auch wenn er wusste, dass das sehr schwierig werden würde. Zwar hatte Mimi bereits angekündigt, dass sie ihre Freunde in den Sommerferien wieder besuchen kommen wollte, doch Taichi war ungeduldig. Wie sollte er das Ganze noch drei weitere Monate aushalten? „Okay…“, ertönte ihre Stimme und Taichi schrak etwas zusammen. Sie biss sich auf die Unterlippe und grinste als sie plötzlich von zehn runterzuzählen begann. „3…2…1…alles Gute zum Geburtstag!“, quietschte sie freudig und lächelte herzlich. In diesem Moment hätte er sich gewünscht, sie einfach fest an sich zu drücken, ihren Duft einzuatmen und ihre weiche Haut auf Seiner spüren zu können. Er atmete auf einmal sehr hektisch und fühlte wie seine Wangen zu Glühen begannen. Was dachte er hier schon wieder? Ihre weiche Haut auf seiner? Seit wann war er in einem kitschigen Jane Austin Roman gefangen, die seine Mutter ihm ständig verträumt unter die Nase hielt? Er verstand sich selbst nicht mehr. Vor wenigen Monaten war er fest davon überzeugt gewesen, niemals über seine beste Freundin hinweg zu kommen, die mittlerweile mit seinem besten Freund zusammen war und jetzt? Jetzt hatte sie ihm einfach das Herz gestohlen, ohne das er etwas gemerkt hatte. „Erde an Taichi, worauf wartest du denn?“, fragte sie nachdrücklich und musterte ihn besorgt. „Ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst du nachdenklich aus.“ „Was? Nein, alles gut…ich…ähm, ach ja das Geschenk“, stammelte er und öffnete das bunte Papier an der Seite. Mimi kicherte amüsiert. „Ich wusste nicht, dass Senilität schon ab fünfzehn Jahren beginnt. Und jetzt mach es endlich auf! Du hältst es ja schon eine gefühlte Ewigkeit in Händen.“ „Ist ja schon gut! Hetz‘ mich nicht so“, murrte er und streckte ihr die Zunge raus. „Wow, ein Jahr älter und immer noch so kindisch wie eh und je“, kommentierte sie überheblich, hatte aber dieses begeisterte Funkeln in ihren Augen. Sie schienen immer größer zu werden, je mehr Taichi von dem Geschenkpapier löste. „Eine Schachtel?“, hakte er irritiert nach und öffnete sie bedacht. Seine Augen weiteten sich ungläubig als er zaghaft das rote Bändchen herausholte und skeptisch eine Augenbraue in die Höhe zog. „Ein Freundschaftsbändchen?“ Mimi nickte euphorisch und hob stolz ihren Arm an, um ihm das Gegenstück zu präsentieren. Es zierte bereits ihr Handgelenk und bestand aus dem gleichen roten Garn wie Seins. Zwei weiße Kugeln schmückten die Enden, während Tai das Muster mit dem Finger entlangfuhr und nicht richtig wusste, was er dazu sagen sollte. „Sind wir dafür nicht schon ein bisschen zu alt?“, erwiderte er unüberlegt und Mimis Blick verfinsterte sich sofort, sodass er seine Worte auch gleich bereute. „Also hör mal! Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Weißt du wie lange ich daran gesessen habe? Du bist unmöglich, Taichi“, knurrte sie erbost und es schien sich schon eine Zornesfalte auf ihrer Stirn zu bilden als Taichi nur sachte mit dem Kopf schüttelte und es gleich anlegte. „So meinte ich das doch nicht, Prinzessin.“ „Nenn‘ mich nicht Prinzessin! Das hast du immer schon im Kindergarten gemacht, wenn ich keine Matschengel mit dir machen wollte!“, schimpfte sie und blies verärgert die Wangen auf. „Ach komm‘ schon, so war das doch nicht gemeint“, gab er klein bei und versuchte das Bändchen anzulegen, was mit einer Hand gar nicht so einfach war. Mit zitternden Fingern versuchte er einen Knoten zu knüpfen, doch eines der beiden Enden rutschte ihm ständig aus der Hand, da ihm einfiel, dass er solche Freundschaftsbändchen schon oft bei Pärchen gesehen hatte. Doch welche Bedeutung hatte es für sie? Sollte er danach fragen? Angestrengt knapperte er auf seiner Unterlippe herum, senkte den Kopf und konzentrierte sich ganz auf den Knoten, der ihm einfach nicht gelingen wollte. „Freust du dich denn?“ Überrascht blickte er sofort nach oben und ließ, dass Bändchen auf seinen Schreibtisch sinken. „Ja…ich habe noch nie etwas Selbstgemachtes bekommen. Schon gar nicht von einem Mädchen“, gab er zu und fixierte peinlich berührt einen unbestimmten Punkt auf dem Holztisch, während er aus dem Augenwinkel heraus erkennen konnte, dass sich Mimis Gesicht erhellte. „Vielleicht schaffe ich es auch gleich, es mal anzulegen“, ergänzte er, fuhr mit schwitzenden Fingern über das weiche Garn und versuchte es erneut. Diesmal schaffte er einen lockeren Knoten zu machen und hielt es stolz in die Kamera, während Mimi verschmitzt lächelte. Doch ihr Lächeln verschwand schnell wieder und wich einem ernsten Gesichtsausdruck. „Ich vermisse dich…“, murmelte sie mit gedämpfter Stimme und richtete ihr Gesicht angestrengt nach unten, sodass ihr einige Strähnen die Sicht nahmen. Völlig perplex über ihr plötzliches Geständnis, starrte Taichi wortlos auf den Bildschirm. „Ich…“, begann er leise, doch sein Schluchzen übertönte ihn. Sie hatte noch immer nicht den Kopf angehoben, aber er konnte erkennen wie sie hektisch über ihre Augenpartie fuhr und versuchte ihre Tränen vor ihm zu unterdrücken. Sein Herz wurde auf einmal ganz schwer als er sie so vor sich sitzen sah. Sie wirkte wie zerbrechliche eine Porzellanpuppe, die bei jeder harschen Berührung zu zerbrechen drohte. „T-Tut mir leid…irgendwie bin ich im Moment sehr emotional. Bestimmt bekomme ich meine Tage“, informierte sie ihn unverblümt und Taichi entgleisten prompt seine Gesichtszüge. „Boah Mimi, zu viel Informationen!“, kreischte er und hielt sich demonstrativ die Ohren zu. „Hey, sei nicht so ein Mädchen“, konterte sie sofort und beruhigte sich langsam wieder. Taichis verdrehte demonstrativ die Augen, auch wenn er diese offene Art an Mimi sehr mochte. „Du vermisst Japan, oder?“, fragte er plötzlich, ohne groß darüber nachzudenken. „Mehr als ich je erwartet hätte“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Aber meine Eltern…ihnen gefällt es hier sehr gut und New York ist wirklich wundervoll. Gerade zu Weihnachten oder an Silvester.“ Silvester. Eine zarte Gänsehaut legte sich über seinen Körper. Seine Gefühle kämpften sich an die Oberfläche und übernahmen seine Sinne, die ein Eigenleben entwickelten. Er sah wie er die Hand hob und gegen seinen Bildschirm drückte. Verwundert beobachtete Mimi ihn, als er, ohne darüber nachzudenken, seinen Gefühlen Worte verlieh. „Ich vermisse dich auch und kann es gar nicht erwarten dich wiederzusehen.“ Verlegen senkte er den Blick und konnte selbst nicht fassen, was er gerade ausgesprochen hatte. Aber es war die Wahrheit. Er vermisste sie. Mehr als eine alte Freundin, die er bereits aus Kindertagen kannte. Auch sie rückte näher an den Bildschirm heran, in ihren Augen lag ein glühender Blick, der dennoch auf ihn so unergründlich wirkte. Sie hob ebenfalls ihre Hand, presste sie direkt gegen seine und schloss beherzt die Augen. „Es ist fast so als könnten sich unsere Hände berühren, auch wenn wir so weit voneinander entfernt wohnen.“ Auch er schloss die Augen und ließ sich ganz auf das Gefühl der Geborgenheit ein, dass sich in seinem Körper wohltuend ausbreitete. Tatsächlich konnte er ihre warme Haut in seiner Einbildung spüren. Es fühlte sich unglaublich an, auch wenn sie nur ihre Hände gegen ihre Bildschirme drückten und es sich vorstellten… _ Er erinnerte sich an diese Zeit als wäre es erst gestern gewesen. Nach seinem Geburtstag schienen sie eine Verbindung zu teilen, die keiner der beiden nur ansatzweise in Worte fassen konnte. Es war fast schon ein wenig magisch, wenn er an das wilde Kribbeln in seinem Bauch zurückdachte und vor Ungeduld förmlich platzte, wenn sie sich zum Skypen oder telefonieren verabredet hatten. Es war eine Zeit voller Hoffnung, die ihm das Gefühl von Liebe und Geborgenheit näherbrachte und ihm immer klarer werden ließ, wen er an seiner Seite wissen wollte. Doch die Entfernung stand immer zwischen ihnen. Zeitverschiebungen. Unendlich lange Flüge. Unsagbarer Herzschmerz, der sich im Konstrukt der Frustration wiederfand, je länger sie voneinander getrennt waren und je offensichtlicher eine intakte und gesunde Beziehung unmöglich wurde. Mimi war diejenige, die nach über einem Jahr wegen des ganzen Hin und Her die Reißleine zog. Er hatte bereits schon viel früher gemerkt, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte und dass sie scheinbar etwas vor ihm verheimlichte. Er hatte nur nicht erwartet gehabt, dass tatsächlich ein anderer Junge dahinterstecken könnte. Kurz nach Valentinstag hatte sie ihm per SMS gestanden, dass sie eine Beziehung mit ihrem Klassenkammeraden Michael versuchte wollte. Schon damals hatte es ihn getroffen, wie ein Schlag ins Gesicht, auch wenn er vor ihr diese Demütigung niemals zugeben wollte. Taichi hatte sich daraufhin von ihr komplett distanziert und bekam meist, wenn nur über Sora mit wie sich die Beziehung von Mimi entwickelt hatte. Doch das Drama fing erst danach an. Nach der Trennung von Michael, nach ihrem Besuch während den Sommerferien, nach all dem, was er getan hatte… Verbittert legte er seine trockenen Lippen aufeinander, sodass sie einen schmalen Strich ergaben. Das Freundschaftsbändchen hielt er immer noch fest umklammert als plötzlich ein gleichmäßiges Klopfen ertönte. „Was willst du Kari?“, fragte er genervt, da er sie bereits an ihrem Klopfzeichen erkannt hatte. „Kann ich reinkommen?“, stellte sie prompt die Gegenfrage. In ihrer Stimme hallte ein hartnäckiger Ton mit, der Taichi wissen ließ, dass er sie nicht so einfach abschütteln konnte. Widerwillig raffte er sich auf, zog seine Nachtischschublade auf und ließ das Freundschaftsbändchen behutsam darin verschwinden, bevor er seine Schwester hineinbat. Sie steckte vorsichtig den Kopf zur Tür rein und beäugte ihren Bruder mit großen Augen, während Tai sich achtlos und mit ausgestreckten Armen zurück aufs Bett fallen ließ. „Was willst du denn?“, hinterfragte er etwas barsch und Kari schloss hinter sich die Tür. „Darf ich jetzt noch nicht mal mehr in dein Zimmer kommen? Nur zu deiner Info, wir haben hier drin jahrelang zusammengewohnt“, führte sie ihm vor Augen und verschränkte etwas beleidigt die Arme vor der Brust. „Hast du schlechte Laune, oder was?“ Taichi verdrehte nur demonstrativ die Augen und kreuzte die Arme hinter dem Kopf, um etwas höher liegen zu können. „Ist es heute deine Aufgabe mich zu nerven? Sind dir deine Freunde abhandengekommen?“ „Man…warum bist du nur so schlecht drauf?“, erwiderte sie und setzte sich einfach auf sein Bett. „Hast du dich etwa mit Papa gestritten?“ Entsetzt weiteten sich seine Augen. Wie kam sie nur darauf? Vielleicht hatte sie bereits mitbekommen, dass er ihrem Vater immer noch aus dem Weg ging und sämtliche Versöhnungsversuchte abblockte. Aus gutem Grund, fand er. „Was? Nein! Wie kommst du nur auf so einen Mist?“ „Naja, du liegst schon den gesamten Samstag im Bett und guckst depressiv aus der Wäsche! Ich mache mir doch nur Sorgen um dich!“, erwiderte sie empört, jedoch wurden ihre Gesichtszüge automatisch weicher. „Du kannst doch mit mir reden, wenn dich irgendetwas bedrückt.“ Missmutig setzte sich Taichi auf und legte seine Arme locker auf seine aufgestellten Knie. Der besorgte Blick seiner Schwester brannte auf seiner Haut und ließ sein schlechtes Gewissen gegenüber ihr wachsen. Sie machte sich nur Sorgen und er hatte nichts Besseres zu tun als seine Laune an ihr auszulassen. Ein wirklich toller großer Bruder. Doch er war in seiner eigenen Verbitterung gefangen, versank in den tiefen Gewässern der Hoffnungslosigkeit, die durch seinen Herzschmerz unerträglich für ihn geworden waren. „Mir geht’s gut! Mach‘ dir nicht immer so viele Sorgen, nur, wenn ich mal im Bett liege“, log er ohne rot zu werden. „Ich hatte eine sehr anstrengende Woche und höllischen Muskelkater.“ „Du willst es also wirklich durchziehen? Also das mit dem Stipendium?“ Ihre Stimme zitterte etwas als sie das Wort ‚Stipendium‘ in den Mund nahm. Ihre kaminroten Augen wirken auf einmal so unfassbar traurig, dass Taichi für den Moment nicht wusste, was er ihr antworten sollte. Das Stipendium war seine einzige Möglichkeit aus der alltäglichen und farblosen Teufelsspirale auszubrechen, die sein Leben eingenommen hatte. Dennoch wollte er nicht, dass seine Schwester traurig war. Behutsam legte er den Arm um sie und zog sie näher an sich heran. Ein kurzer Blickwechsel folgte als Taichi das Wort ergriff. „Jetzt mach‘ dir mal keine Sorgen. Ich weiß selbst noch nicht, wo das alles hinführt und ob es überhaupt klappt“, beruhigte er sie sanftmütig und zog sie noch dichter an sich. „Aber was willst du machen, wenn es zum Beispiel nicht klappt? Du möchtest doch studieren, oder?“ „Ja, aber das ist nicht deine Sorge, verstehst du“, erwiderte er eindringlich und sah ihr direkt in die Augen. „Ich werde das schon irgendwie hinbekommen. Vertrau‘ mir einfach.“ Ein schwerfälliges Nicken brachte sie zustande als sie sich etwas von ihm löste und Taichi einen winzigen Hoffnungsschimmer in ihren Augen erkennen konnte. Vielleicht kam ihm das Leben zurzeit einfach nur so schwarz-weiß vor, weil er unglücklich und in Begriff war, sich selbst zu verlieren. Möglicherweise musste er härter kämpfen, um das zu erreichen, was er sich vorgenommen hatte. Zwar konnte er die Zeit nicht aufhalten, aber er konnte versuchte, dass Bestmögliche aus ihr zu machen. Kapitel 16: Das perfekte Date ----------------------------- ♥ Mimi ♥ „Mama, hast du meine gelbe Bluse gesehen?“, fragte Mimi fast schon ein wenig panisch und durchwühlte ihren Schrank. „Die mit den süßen Rüschen…aus Chiffon!“ Genervt schlug sie die Türen wieder zu und stolzierte in die Küche. „Mama?! Ich brauch‘ unbedingt meine Bluse“, hakte sie eingeschnappt nach, während ihre Mutter hinter dem Herd stand und das Abendessen für ihren Vater zubereitete. „Vielleicht ist sie noch im Wäschekorb in unserem Zimmer! Du siehst doch, dass ich gerade koche, Schätzchen“, erwiderte sie nur verständnislos. „Aber ich habe dir doch gesagt, dass ich sie heute zu meinem Date anziehen will“, murrte sie und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Es kann auch sein, dass ich sie falsch einsortiert habe. Schatz, Stress steht dir gar nicht“, entgegnete sie diesmal in einem sanfteren Ton, während Mimi nur die Augen verdrehte. Ohne ein weiteres Wort an ihre Mutter zu verlieren, eilte sie in das Zimmer ihrer Eltern, um ihre Bluse zu suchen. Sie hatte sich schon das perfekte Outfit zurechtgelegt. Die Bluse war passend zu ihrem schwarzen engen Rock ausgewählt, der ihrer Figur schmeichelte. Dazu trug sie schlichte bequeme Pumps, die ihre Beine optisch strecken sollten. Hektisch kramte sie den Wäschekorb durch und brachte die zusammengelegte Wäsche durcheinander, doch das war ihr egal. Sie brauchte die Bluse, da sie unbedingt einen guten Eindruck bei Makoto hinterlassen wollte. Es hatte sie selbst sehr überrascht gehabt als er sie Ende der Woche persönlich um ein zweites Date gebeten hatte. Zwar war das Erste ziemlich gut verlaufen, aber dennoch hatte sich Mimi keine großen Chancen bei ihm ausgemalt, weil er generell bei den Mädchen sehr beliebt war. Doch im Nachhinein war es ihr ganz recht gewesen, was allerdings nicht an Taichis niedergeschlagenem Gesichtsausdruck lag, die sie mitbekommen hatte, während sie absichtlich von ihrem Date mit Matoko schwärmte. Nein, er hatte damit nichts zu tun, auch wenn ihr das Gefühl der Genugtuung durchaus gefiel. Hätte er nur ein bisschen mehr Reaktion und Interesse gezeigt, wäre vielleicht er derjenige gewesen, für den sie sich heute hübsch machen würde. Doch es sollte nicht sein und es brachte ganz sicher nichts sich darüber weiterhin den Kopf zu zerbrechen, besonders, weil es wichtigere Dinge gab. Zum Beispiel ihre Bluse, die wohl spurlos verschwunden war und nach der Mimi am liebsten eine Vermisstenanzeige aufgeben würde. Hatte ihre Mutter sie vielleicht in ihre Kommode geräumt? Zuzutrauen wäre es ihr allemal, gerade weil sie manchmal sehr verstreut mit ihren Gedanken war. Es war nicht das erste Mal, dass Mimi ihre Sachen aus ihrem Schrank fischte, nachdem sie Stunden lang danach gesucht hatte. Hoffnungsvoll ließ sie von dem Wäschekorb ab, den sie völlig durcheinander zurückließ und ging zur Kommode. „Hast du sie gefunden?“, hörte sie ihre Mutter aus der Küche fragen. „Warte…vielleicht gleich“, antwortete sie vage und zog die oberste Schublade auf. Vorsichtig durchforstete sie die Klamotten ihrer Mutter, da sie schon die frisch gebügelte Wäsche durcheinandergebracht hatte. Bestimmt würde ihre Mutter sehr sauer werden, wenn sie einen Blick in den Wäschekorb wagte. Doch Mimi wollte sich davon nicht beirren lassen und suchte weiter. „Brauchst du Hilfe?“ Mimi durchsuchte sämtliche Schubladen der Kommode, ging sogar auf die Knie um in die Letzte hineinsehen zu können. „Ich hab‘ sie noch nicht gefunden“, informierte sie ihre Mutter etwas ruppig, da sie allmählich die Geduld verlor. Noch hatte sie Zeit sich ein anderes Outfit zu überlegen, aber dennoch ärgerte es sie gewaltig, da sie auch noch ihrer Mutter Bescheid gegeben hatte, die Bluse tragen zu wollen. Missmutig fischte sie in der untersten Schublade, hob die Klamottenberge ihrer Mutter an, konnte allerdings ihre Bluse nirgends finden. Resigniert setzte sie sich auf den Boden und schaute nochmal genauer nach als sie plötzlich etwas Raues ertastete. Mit einem argwöhnischen Blick nahm sie einige Klamotten heraus und legte sie achtsam auf ihren Schoss. Sie rutschte noch etwas näher heran als sie auf einmal eine kleine braune Holzkiste vor sich erkannte. „Nanu, was ist das denn?“, fragte sie sich selbst, zögerte aber einen kurzen Moment, um zu überlegen, ob sie sie aufmachen sollte oder nicht. Wieso hatte ihre Mutter eine Holzkiste unter ihren Kleidungsstücken versteckt? Wollte sie etwa etwas verbergen? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Es sah viel mehr so aus als würde es sich um eine Erinnerungskiste handeln, in der man viele Kleinigkeiten aus seinem Leben aufbewahrte. So etwas Ähnliches hatte sie mal bei ihrer Großmutter gesehen, die ihr als Kind in Inhalt einer alten Box zeigte, in der sie alte Fotos von ihrem Großvater, ihren Kindern und schönen einzigartigen Momenten aufbewahrte. Von Neugier gepackt, nahm sie die kleine Kiste aus der Kommode und öffnete den massiven Deckel behutsam. „Ich hatte also recht“, bestätigte sie sich selbst als sie zahlreiche Fotos darin fand. Sie waren durcheinander und lagen größtenteils auf ihrer Vorderseite, sodass Mimi nicht erkennen konnte, was darauf zu sehen war. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, da sie sich schon vorstellte, dass es alte Fotos ihrer Eltern waren, die sie noch nicht gesehen hatte. Gespannt nahm sie zufällig ein Bild heraus und drehte es zu sich. Ihr Lächeln verblasste augenblicklich und wich einer krausgezogenen Stirnpartie. Irritiert musterte sie das Bild eindringlich, dass tatsächlich ihre Mutter zeigte, nur, dass sie einige Jahre jünger war und verliebt in die Kamera blickte. Der Mann an ihrer Seite hielt sie engumschlungen fest und zeigte seine strahlendweißen Zähne. Doch dieser Mann war nicht, wie sie es erwartet hatte, ihr Vater. Diesen Mann hatte sie noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen gehabt. Völlig perplex starrte sie immer noch auf das Foto und fragte sich, warum ihre Mutter Bilder einer scheinbar vergangenen Liebe aufgehoben hatte… Zeigten etwa alle Bilder eine Liebe aus vergangenen Zeiten? Was wollte sie damit nur bezwecken? Die Erinnerung wachhalten oder die Möglichkeit besitzen, in die Vergangenheit zu entfliehen? Bevor sie ein weiteres Bild ansehen konnte, ertönte plötzlich die Stimme ihrer Mutter, die scheinbar auf sie zukam. „Mimi, ich habe die Bluse gefunden!“ Eilig packte das Foto zurück und ließ die Kiste wieder in der Kommode verschwinden. Hastig verteilte sie die Klamotten darauf als sie sich schnellstens aufrichtete und den Staub von ihrem Hinterteil klopfte. „Sie hatte sie an die Heizung gehängt, weil sie noch ein bisschen klamm war“, sagte ihre Mutter freudig und betrat ihr Schlafzimmer. „Ist alles in Ordnung? Du bist auf einmal so blass.“ „Ja, alles gut“, log sie und ging schnurstracks auf sie zu. „Ich habe mich nur gewundert, weil ich sie hier nicht gefunden habe.“ „Naja, sie ist ja jetzt hier und du kannst dich in Ruhe fertig machen“, bestärkte ihre Mutter sie herzlich. „Mhm...danke“, kam es leise von ihr, da sie nicht wirklich wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie hatte in ihren Sachen gewühlt und konnte doch schlecht nach dem Mann auf dem Foto fragen. Bestimmt war sicher alles ganz harmlos, aber ihre Mutter reagierte oftmals sehr empfindlich, wenn Mimi als Kind ihre Sachen angezogen und ihre Schränke durchstöbert hatte. Deswegen beschloss sie lieber zu schweigen. Sie nahm ihrer Mutter die Bluse aus der Hand und verschwand damit in ihr Zimmer. _ Angespannt stand sie vor der Pizzeria und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Von Makoto fehlte noch jegliche Spur, aber Mimi war auch viel zu früh am vereinbarten Treffpunkt angekommen. Im Hinterkopf schwirrte ihr noch immer die geheime Kiste und das eindeutige Bild, dass sie von ihrer Mutter und ihrem ehemaligen Freund gefunden hatte. Hob man sowas wirklich auf, nur um die Erinnerung daran zu behalten? Mimi hätte ihre Mutter gar nicht so eingeschätzt, da sie aus ihrer Vergangenheit nur sehr wenig erzählte, so als würde sich ein großes Geheimnis dahinter verbergen. Doch was ging es sie schon an? Es war vor ihrer Zeit, bestimmt auch lange vor ihrem Vater. Alte Liebschaften kehrte man doch meistens unter den Teppich…jedenfalls war es das, was sie versuchte. „Hey, du bist ja schon da!“, rief plötzlich eine bekannte Stimme und kam direkt auf sie zugesteuert. Mimi blickte auf und strahlte als sie sah, dass er gekommen war. „Hi, ja aber noch nicht lange“, beruhigte sie ihn und ließ sich auf eine kurze aber intensive Umarmung ein. „Was willst du denn mit der riesigen Tasche?“ Verwundert blickte sie an ihm hinunter als er ein schelmisches Grinsen auflegte. „Naja, ich dachte wir könnten die Pizza einfach mitnehmen. Wir könnten uns ein bisschen in den Park setzen. Es ist ja schon sehr warm und in der Tasche sind Getränke und eine große Decke“, erwiderte er und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Überrascht hob sie die Augenbraue an und wusste gar nicht so richtig, was sie antworten sollte. Mit dieser Überraschung hatte sie wirklich nicht gerechnet, besonders nicht mit so einer Romantischen. Gerührt blickte sie ihn an und nickte nur verhalten, da es ihr die Sprache verschlagen hatte. „Ich dachte mir, dass es ganz schön sein könnte unter den Sternen zu liegen und vorher gemütlich etwas gemeinsam zu essen“, führte Makoto weiter fort und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, dass Mimi sofort in ihren Bann zog. Wie kam Sora nur darauf, dass er es nicht ernst mit ihr meinen könnte? Wenn man es nicht ernst meinte, gab man sich sicher nicht solch eine Mühe oder? Vielleicht war sie einfach nur eifersüchtig, weil ihre einige Beziehung nicht sonderlich gut lief und sie in Makoto einen Schuldigen suchte. Doch Mimi wollte sich nicht weiter von ihrer Freundin oder sonst wem beirren lassen. Sie lebte doch nur einmal. Sie würde ihre Fehler schon selbst sammeln, auch wenn sie wusste, dass das hier, alles andere als ein Fehler war. _ „Das schmeckt echt so gut“, murmelte Mimi genießerisch und schmeckte förmlich wie der Käse in ihrem Mund nur dahinschmolz. „Hätte echt nicht gedacht, dass sie so gute Pizza machen.“ „Ich auch nicht, aber ein Freund hat mir die Pizzeria letztens erst empfohlen und da dachte ich mir, dass wir sie einfach mal austesten könnten“, stieg Makoto munter ein. Mimi nahm einen weiteren Bissen und schloss vor Genuss die Augen, sodass sie fast jede einzelne Zutat auf ihrer Zunge schmecken konnte. Ein Hauch Oregano, würzige Tomatensoße, feurige Salamiwurst, schmelzender Käse und knuspriger Hefeboden – alles was eine gute Pizza eben ausmachte. „Ich glaube, die könnte ich echt jeden Tag essen“, schwärmte sie und leckte mit der Zunge über ihre Finger. „Und ich glaube, dass jeden Tag Pizza sicher nicht so gesund ist“, konterte Makoto sofort, auch wenn er nicht leugnen konnte, dass die Pizza hervorragend schmeckte. „Na und! Ich bin lieber glücklich als auf meine Figur zu achten“, meinte sie und rümpfte die Nase. „Wirklich? Ich glaube, du bist das erste Mädchen, dass sowas sagt. Die meisten bekommen schon bei einer kleinen Portion Pommes Panik.“ „Mhm, wenn ich darauf achten müsste, was ich esse und was nicht, würde das viel zu viel Zeit beanspruchen, die man sicher sinnvoller nutzen könnte“, antwortete sie überzeugend, auch wenn es nicht ganz stimmte. Sie wusste, wie es war, nichts zu essen, tagelang zu hungern und vor Bauchweh nicht schlafen zu können. Zwar hatte es damals bei ihr, nichts mit irgendwelchen Schönheitsidealen zu tun, aber es gab eine Tatsache, die sie am Essen hinderte und Wochenlang beschäftigte. Nachdenklich zog sie mit den Zähnen ihre Unterlippe nach hinten, übte einen leichten Druckschmerz darauf aus und versuchte sich wieder auf andere Gedanken zu bringen. Doch auf einmal spürte sie wieder die gleichen Gefühle von damals. Die Aussichtslosigkeit, die sie jedes Mal in die Ecke drängte und förmlich eine Entscheidung von ihr erzwang. Die hilflosen und besorgniserregenden Blicke, die auf ihrer Haut brannten, wenn sie mal wieder zu wenig gegessen und ihre Mutter jedes Mal gedacht hatte, dass alles wieder von vorne losgehen würde. Selbst heute achtete sie oftmals noch auf die Mahlzeiten, die sie zu sich nahm und hinterfragte ihr Essverhalten, wenn sie ihrer Meinung nach zu wenig aß. In letzter Zeit hatte ihre Besorgnis allerdings abgenommen, besonders seit sie den Kochkurs regelmäßig besuchte und neue Gerichte ausprobierte. Dennoch blieb etwas Unsichtbares an ihr haften und erinnerte sie daran, was sie verloren hatte und nie wieder zurückbekommen würde. Diese unschuldige einmalige Kinderliebe, die in ihrem Herzen ein schwarzes Loch hinterlassen hatte, da sie die Zeichen der Zeit nicht aufhalten konnte… „Ist alles okay bei dir? Du bist auf einmal so abwesend“, stellte Makoto etwas enttäuscht fest. „Was? Nein! Alles ist gut“, versicherte sie ihm und schaute hoch zum Himmel, der schon ganz dunkel war und die ersten Sterne zeigte. „Unglaublich, wie die Sterne jetzt schon so hell funkeln, obwohl die Sonne immer noch am Untergehen ist.“ Auch Makoto warf einen aufmerksamen Blick in Richtung Himmel. „Ja, irgendwie fühle ich mich immer so klein, wenn ich in den Himmel starre. Es gibt so viel mehr dort draußen und ich habe noch nicht mal annährend genug gesehen“, flüsterte er ehrfürchtig und legte sich auf den Rücken. Mimi beobachtete ihn dabei, wie er die Arme hinter seinem Kopf verschränkte und immer noch den Blick zu den Sternen gerichtet hatte. Sie überlegte einen kurzen Moment als auch sie sich niederließ und die Unendlichkeit der Sterne sie förmlich in ihren Bann zog. Für den Moment schien alles still zu stehen und lief wie in Zeitlupe ab, sodass sie sich vollkommen auf diesen einen besonderen Augenblick einlassen konnte. Es gab nur sie und ihn, umhüllt vom endlos wirkenden Sternenmeer. _ Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, während sie zu den funkelnden Sternen blickten und ihre Gespräche immer intensiver zu werden schienen. Makoto hatte sich leicht zu ihr gedreht, sodass sich ihre Körper fast berührten als ein wehmütiger Blick seine Erzählungen unterstrich und Mimi einen guten Einblick in seine Gefühlwelt gab. „Irgendwie rede ich nicht gerne darüber, aber es tut auch gut, sich jemandem anvertrauen zu können“, sagte er mit zitternder Stimme, während Mimi ihm aufmerksam zuhörte. „Ich hätte niemals gedacht, dass mein Vater in Lage wäre meine Mutter zu betrügen. Sie hatten immer so glücklich auf mich gewirkt, bis ich ihn mit einer anderen Frau erwischt hatte.“ Mimis Augen weiteten sich, auch wenn sie bereits wusste, dass Makoto ein Scheidungskind war, hatte sie mit solch einer Geschichte nicht gerechnet. Sein Vater hatte also seine Mutter betrogen gehabt… „Oh Gott, wie alt warst du da?“, fragte Mimi umsichtig nach. „Ungefähr elf“, antwortete Makoto monoton und lockerte seine Position. „Er hatte was mit seiner Sekretärin und ich sollte nach der Schule direkt zu seinem Büro kommen, weil wir uns gemeinsam ein Basketballspiel ansehen wollten. Aber er hatte es vergessen gehabt und dann stand ich einfach nur da…in seinem Büro…er in einer eindeutigen Position.“ Entsetzt weiteten sich Mimis Augen, doch Makoto war noch lange nicht fertig gewesen. Er erzählte wie sein Vater ihn dazu überredet gehabt hatte, die Affäre vor seiner Mutter geheim zu halten. Dass er ihm versprach, die Beziehung zu seiner Sekretärin zu beenden, sich allerdings nicht daranhielt und versuchte hinter seinem Rücken alles wie gewohnt weiterlaufen zu lassen. „Als ich dahinterkam, dass er die Affäre nicht beendet hatte, war ich so wütend gewesen, dass ich es meiner Mutter gebeichtet hatte. Sie war daraufhin so sauer gewesen, dass sie all seine Sachen in den Vorgarten geworfen hatte und mit mir dann direkt zu meinen Großeltern gezogen war.“ „Und dann haben sie sich getrennt?“, fragte Mimi kleinlaut nach. „Es dauerte noch eineinhalb Jahre“, winkte Makoto ab. „Zwischenzeitlich wollten sie es sogar nochmal miteinander probieren, aber es hatte einfach nicht mehr funktioniert.“ „Verständlich…“, rutschte Mimi unbedacht heraus, sodass sie prompt vor Scham errötete. „Tut mir leid…so war das nicht…“ „Du hast ja recht“, bestärkte Makoto sie und lachte. „Ich glaube mir hätte es auch gutgetan, wenn sie sich gleich getrennt hätten. Dieses ewige Hin und Her…wieder zusammen und dann noch wieder getrennt…das hat mich wahnsinnig gemacht und auch nachhaltig sehr geprägt.“ „Wirklich?“ Überrascht zog Mimi eine Augenbraue in die Höhe und konnte nicht ganz verstehen, was er damit genau sagen wollte. Er wiederrum lächelte leicht und stützte sich auf einem Arm ab, sodass er eine sitzende Position einnehmen konnte, während Mimi immer noch seelenruhig neben ihm lag und ihre Hände auf ihrem Bauch gebettet hatte. „Ich glaube mir fallen Beziehungen nicht sonderlich leicht. Wenn es ernst wird, bin ich der Erste, der die Flucht ergreift, weshalb ich schon vielen Mädels damit das Herz gebrochen hatte.“ Mimi wurde hellhörig und richtete sich ebenfalls etwas auf als sie ihre eigene Schlagfertigkeit übermannte. „Also bist du auch nur hier, um mir das Herz zu brechen?“ Makoto lachte amüsiert und kam ihr näher. Seine strahlend grünen Augen fixierten ihre und ließen sie allmählich nervös werden. Ihre Handflächen begannen zu schwitzen, während ihre Augen immer noch auf seinen lagen und sie für einen kurzen Moment angespannt die Luft anhielt. „Ich weiß es nicht. Aber bei dir habe ich das Gefühl, dass ich mich das erste Mal so richtig öffnen kann. Dass du mich verstehst und nicht gleich verurteilst, wie es alle andere tun“, erwiderte er nur und Mimi dachte automatisch an Sora, die ihn bereits in eine Schublade gesteckt hatte, ohne Makoto näher kennen lernen zu wollen. „Ich…“, begann sie leise als er seine Handfläche hinter ihrem Nacken vergrub und sie bestimmend zu sich zog. „Ich mag dich wirklich sehr gern…“, raunte er ihr entgegen und schloss langsam die Augen als Mimi von einer plötzlichen Panik erfasst wurde. Seine Lippen kamen immer näher und suchten begierig nach ihren. Sie schluckte hart, als ihr bewusst wurde, dass er sie küssen wollte. Für einen kurzen Moment, dachte sie an Taichi, den Kuss im Pool und warum sie eigentlich mit Makoto ausgehen wollte. Verbittert presste sie die Lippen aufeinander und machte schon Anstalten den Kopf einfach zu Seite zu drehen als ihr klar wurde, dass Makoto sie wirklich gern zu haben schien. Mit der anderen Hand ergriff er ihre Taille und fuhr behutsam darüber, sodass sich ihre Anspannung etwas löste und sie die Zweifel tief in ihrem Innern beiseiteschob. War es etwa falsch, sich von ihm küssen zu lassen? Vielleicht brauchte sie gerade diesen Neuanfang, um das Vergangene aus ihrem Herzen zu vertreiben und Platz für eine neue Liebe zu schaffen? Mimi starrte immer noch zu ihm, befreite ihre Hand von seinen zärtlichen Berührungen, um seinen Hemdkragen zu erfassen und ihn näher an sich heran zu ziehen. Überrascht über Mimis ungestüme Vorgehensweise, riss er kurz die Augen auf bis sich ihre Lippen tatsächlich berührten und Mimis Herz vor Aufregung schneller zu schlagen begann. Es dauerte einen Moment bis sie sich auf den Kuss einlassen konnte, sich an seine rauen Lippen und das kalte Metall seines Lippenpiercings gewöhnte. Es fühlte sich ungewohnt an, aber sie konnte nicht bestreiten, dass es irgendetwas in ihr auslöste, dass Lust auf mehr machte. Langsam ließ sie sich auf den Rücken fallen und zog Makoto mit sich nach unten, sodass er über ihr lag und sie sein Gewicht auf ihr spüren könnte. Ihre Hand war immer noch hinter seinem Nacken platziert, wanderte aber langsam zu seinen kurzen schwarzen Haaren, in denen sie ihre Finger vergrub. Auch er erkundete ihren Körper, fuhr mit seinen Fingern ihre Seiten entlang, bis er ihre Taille erreichte und seine Hand locker auf ihrer Hüfte legte. Ihre Küsse wurden von Mal zu Mal leidenschaftlicher als Mimi ihren zierlichen Körper dichter an ihn drückte und spürte, wie er mit der Zunge immer wieder über ihre Lippen strich und somit um Einlass bat. Mimi zögerte etwas, da sie sich nicht sicher war, ob sie nach dem zweiten richtigen Date schon so weit gehen wollte, auch wenn ihr erster Kuss mit Tai schon wesentlich intensiver war. Makoto ließ ihr allerdings keine Zeit lange zu überlegen, da er seine ganze Leidenschaft nahm und sie in einen stürmischen Kuss legte, sodass Mimi nicht länger widerstehen konnte. Sie öffnete ihren Mund etwas als Makoto direkt mit seiner Zunge eindrang und ihre fordernd zum Tanz aufforderte. Zaghaft erwiderte Mimi das Zungenspiel, das ihren Kopf komplett ausschaltete und sämtliche Zweifel davonspülte. Je länger sie sich küssten, desto mehr glaube Mimi an eine reelle Chance dem Schatten der Vergangenheit, der sich um ihr Herz gelegt hatte, zu entfliehen. Sie hatte nicht erwartet gehabt, dass sie heute Abend überhaupt so weit gehen würde, aber sie spürte eine deutliche Verbindung zwischen ihnen. Eine Verbindung, die sie gerne näher kennen lernen wollte. Sie war bereit etwas zu riskieren. Einen neuen Weg einzuschlagen und sich einfach treiben zu lassen. Kapitel 17: Unschöne Tatsachen ------------------------------ ♥ Taichi ♥ Ein angewiderter Ausdruck legte sich über sein Gesicht als er die beiden vor seinen Augen rumturteln sah. Er hatte seine Hand sanft auf ihrem Oberschenkel platziert, während sie ihm einem verliebten Blick schenkte und leise vor sich hin kicherte. Taichi musste sich zusammenreißen, sich nicht augenblicklich zu übergeben. Lustlos stocherte er in seinem Mittagessen herum, spürte wie die Eifersucht in seinem Magen brodelte und seinen Appetit zügelte. „Ist alles gut bei dir?“, fragte seine beste Freundin flüsternd, nachdem ihr aufgefallen war, dass er so gut wie nichts gegessen hatte. „Alles bestens“, log er und presste verbittert die Lippen aufeinander und versuchte doch noch etwas zu sich zu nehmen, auch wenn es ihm sichtlich schwerfiel. Mimi saß Tai direkt gegenüber, kuschelte sich an Makoto, während er sich wünschte, an seiner Stelle sein zu können. Doch das war er nicht. Vielleicht vor langer Zeit, doch die war bereits vergangen. Er konnte gar nicht beschreiben, wie er sich zurzeit fühlte. Schon nach dem zweiten Date mit Makoto hatte Taichi den Verdacht gehabt, dass zwischen den beiden wohl mehr gelaufen sein könnte, weil Mimi mit einem breiten Grinsen durch die Gegend lief und eine fröhliche Melodien vor sich hin summte. Als sie die darauffolgende Woche wieder mit ihm ausgegangen war, befürchtete Taichi bereits das Schlimmste, was sich tatsächlich Anfang der Woche bewahrheitete. Natürlich hatte sie ihm nicht erzählt gehabt. Noch nicht mal Sora wusste anfangs Bescheid, wie sie ihm später völlig entrüstet berichtet hatte. Doch die Tatsachen waren unmissverständlich, was ihm eine wilde Knutscherei nach Schulschluss bewiesen hatte. Er wusste, dass Mimi montags meist noch ihren Kochkurs hatte, während er sein hartes Training absolvierte. Mal wieder hatte er unter der Dusche getrödelt, um etwas Zeit zu schinden und noch nicht gleich nach Hause zu müssen. Mittlerweile war es eine Art Ritual geworden, um seinem Vater weiterhin aus dem Weg gehen zu können. Doch diesmal hatte sich ihm ein Bild geboten, dass er so schnell nicht aus seinen Gedankengängen streichen konnte. Das Mädchen, dass er nach all den Jahren immer noch liebte, lag in den Armen eines anderen Kerls. Begierig hatte sie ihre Lippen auf seine gepresst gehabt, während er mit einer Hand zärtlich über ihren wohlgeformten Po gestrichen war. Taichi war wie festgefroren stehen geblieben, realisierte erst nach mehrfachen hinsehen, dass es sich tatsächlich um seine Mimi handelte. SEINE Mimi, die einen anderen küsste. Sie hatte ihn an diesem Tag nicht bemerkt gehabt, doch kurz darauf hatte sie Sora in ihre Beziehung mit Makoto eingeweiht, die wohl wie er nur wenig begeistert war. Für Sora war Makoto immer noch auf der schwarzen Liste, während sich Yamato für die beiden freute oder es wenigstens versuchte. Koushiro schien dem Ganzen ebenfalls nur sehr wenig abgewinnen zu können, jedoch zeigte er es nicht offen, sondern hielt sich bedeckt. Auch Yolei schien das Ganze kritisch zu beäugen, auch wenn Taichi nicht ganz verstehen konnte warum. Normalerweise war die aufgedrehte Freundin seiner Schwester immer gleich Feuer und Flamme für wilde Liebesgeschichten, doch diesmal reagierte selbst sie sehr verhalten, was ihn wunderte. Dennoch schienen sich Mimi und Makoto aus den gemischten Reaktionen bezüglich ihres gewonnenen Liebesglücks kaum etwas zu machen. Sie zeigten ihre Zuneigung offen vor den anderen, sodass Tai schon das Gefühl hatte, dass Mimi ihn absichtlich damit quälen wollte. Er ertrug es nur selten in ihrer Nähe, hatte diese Woche mehrmals mit seinen Mannschaftskollegen gegessen und versuchte ihr auch so aus dem Weg gehen. Er konnte fast keinen klaren Gedanken mehr fassen und hatte das Bedürfnis laut zu schreien, um seinem Frust Ausdruck zu verleihen. Allerdings konnte er es nicht. Er verbarg seine Gefühle hinter dem Schleier der Lügen, da er sonst zugeben musste, dass Mimi ihm so viel mehr bedeutete als er lange Zeit eigentlich wahrhaben wollte. Tai war einfach nicht der Typ, der gerne über seine Gefühle sprach, da er doch sehr große Angst hatte, verletzt zu werden. _ Niedergeschlagen brachte er das halbvolle Tablett zurück und begab sich schleppend auf den Schulhof, um etwas Ruhe zu finden. Er steuerte eine freie Bank an, ließ sich darauf seufzend nieder und fuhr sich mit einer ausschweifenden Handbewegung durch seine wilde Mähne. Ein laues Lüftchen wehte als er sich gegen die Bank lehnte und nach oben schaute. Die Blätter der Ginkgobäume leuchteten in einem saftigen Grün und bewegten sich sanft mit dem Wind, der die Hitze des Junis erträglich machte. „Du hast ja kaum etwas gegessen“, hörte er eine besorgte Stimme zu ihm sagen. Er blinzelte leicht gegen die Sonne und erkannte die rötlichen schimmernden Haare und den nachdenklichen Blick seiner besten Freundin, der auf seine Haut brannte. Genervt verrollte er die Augen als sich Sora plötzlich neben ihm niederließ. „Ich bin von der Beziehung auch nicht begeistert, aber du kennst sie doch. Je mehr man dagegen sagt, desto sturer wird sie. In der Hinsicht seid ihr euch gar nicht mal so unähnlich“, stellte sie grinsend fest, doch Taichi war zum Lachen wirklich nicht zu Mute. Es war egal, wie viele Gemeinsamkeiten sie auch hatten. Sie hatte sich für diesen Idioten entschieden. „Vielleicht gewöhne ich mich ja daran“, antwortete er resigniert und konnte selbst nicht glauben, was er gerade gesagt hatte. Auch Sora runzelte nur die Stirn. „Natürlich, wie lange willst du dir denn noch etwas vormachen? Hättest du dir deine Gefühle eingestanden, wärst du vielleicht derjenige der heute neben ihr sitzen würde!“, untermauerte sie mit Nachdruck und schaute ihn ernst an. „Danke Sora! Bohr‘ ruhig noch weiter in der Wunde! Was hätte ich denn damals deiner Meinung nach machen sollen? Und seit wann bist du überhaupt Experte in Liebesangelegenheiten? Yamato und du habt doch genug Probleme“, sagte er unüberlegt und sah in Soras geschocktes Gesicht. Erst nach und nach realisierte er, was er zu ihr gesagt hatte, doch in ihren Augen hatten sich schon Tränen gebildet. „Sora…ich…es tut mir…“, er wollte gerade nach ihrem Arm greifen als sie sich ruckartig zurückzog und aufsprang. „Spar‘ dir deine Entschuldigung!“, antwortete sie verletzt und entfernte sich hastig von ihm. Na toll, jetzt hatte er auch noch Sora verletzt, ohne es zu wollen. Dabei wusste er doch, dass sie zurzeit Beziehungsprobleme hatte. Wieso hatte er ihr das auch noch unter die Nase gerieben? „Sora…warte“, rief er ihr plötzlich nach, da sie noch nicht ganz aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Er sprang auf und holte sie relativ zügig wieder ein, was auch keine große Kunst war, da sie sich nicht beeilt hatte von ihm wegzukommen. „Was willst du denn noch?“, fragte sie gereizt und fuhr sich über ihre Augenpartie, blieb allerdings nicht stehen. „Es tut mir leid! Ich wollte das nicht sagen, aber im Moment bin ich einfach so...“, er suchte nach einem passenden Ausdruck für seine Empfindungen. Er war wütend, verletzt, und fühlte sich in seiner eigenen Hoffnungslosigkeit gefangen. „Ich…ich bin ein Arsch.“ Sora blickte ihn verwirrt an, blieb aber endlich stehen. „Wow, sehr direkte Aussage, der ich im Moment nur zustimmen kann“, erwiderte sie bestärkend als sich ihre Gesichtszüge auf einmal erweichten. „Aber ich versteh‘ dich ja. Es ist nicht schön, die Person, die man liebt mit einem anderen zu sehen. Und ich weiß ja, dass du wegen uns manchmal ganz schön zwischen den Stühlen stehst.“ „Das ich sie liebe, habe ich aber nicht gesagt“, kommentierte er mit einem hochroten Kopf, da er sich mal wieder von Sora komplett durchschaut fühlte. „Ach komm‘ schon! Ernsthaft? Wie lange willst du es noch verbergen? Steh‘ dazu!“ Sie funkelte ihn wütend an und gab ihm einen leichten Klaps gegen den Oberarm, der ihn wohl wachrütteln sollte. Doch bei Taichi bewirkte es nur das Gegenteil. Hatte sie nicht die ausweglose Situation erkannt? Was sollte er denn bitte schön machen? Zum Glück wusste Sora nichts von dem Kuss… Er konnte es sicherlich nicht auch noch ertragen, wenn seine beste Freundin, die mehr als nur hoffnungslos romantisch verlangt war, ihm deswegen ebenfalls in den Ohren lag und ihn bestärkte nicht aufzugeben. Manchmal hatte er das Gefühl, am Ende seiner Kräfte angelangt zu sein. „Und was soll ich machen? Sie sind doch jetzt zusammen…“, gestand er sich zähneknirschend ein. Sora kam einen Schritt auf ihn zu, berührte seinen Arm und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Gib‘ nicht auf! Ich kenne Mimi. Auch sie wird irgendwann erkennen, das ihr Herz eigentlich eine andere Richtung gewählt hat.“ _ Erschöpft trottete er zum Schulgebäude, da jede Faser seines Körpers schmerzte. Je kleine Bewegung fühlte sich beschwerlich an, sodass er einfach nur noch ins Bett fallen wollte. Doch wie das Schicksal es wollte, musste er tatsächlich nochmal das Schulgebäude betreten, da er sein Mathebuch in seinem Spint vergessen hatte. Ihm fiel es zurzeit einfach nur sehr schwer, seine Gedanken halbwegs zusammenzuhalten, was auch bereits seinem Trainer aufgefallen war. Heute hatte er ihn sogar vor der versammelten Mannschaft rund gemacht, was dem Ganzen noch das i-Tüpfelchen daraufsetzte. Zwar hatte er sich erfolgreich bei Sora entschuldigen können, doch das schlechte Gewissen gegenüber ihr blieb. Er war froh gewesen, dass sie nicht mehr sauer auf ihn war, da sie auch am Wochenende zu einem Tennisturnier nach Nagoya aufbrechen würde und er es ganz sicher nicht bis Montag ausgehalten hätte, sich nicht bei ihr entschuldigt zu haben. Denn gerade die Tatsache, dass sie ihm tatsächlich von einem weiteren Streit mit Yamato berichtet hatte, nagte weiterhin an ihm, diese hässlichen Worte überhaupt ausgesprochen zu haben. Anscheinend meinte er es mit dem Bandwettbewerb ernst, der Ende des Jahres stattfinden sollte. Es war bereits alles geregelt und sein bester Freund träumte schon vom großen internationalen Durchbruch, während seine Freundin voller Skepsis all dem gegenüberstand. Mittlerweile schien Taichi zu verstehen, wovor sich Sora fürchtete, da sie des Öfteren erwähnte, dass eine Auslandstour ihre Beziehung nicht überstehen würde. Er konnte sie in gewisser Weise sogar verstehen. Die Distanz konnte sogar die größte Liebe zerstören, gerade wenn man unterschiedliche Auffassungen von einer Beziehung hegte. Tai kannte seinen besten Freund, dass er für den Durchbruch erdenklich alles tun würde und mit dem Kopf durch die Wand wollte. Sora müsste es entweder akzeptieren oder ihre Konsequenzen ziehen. Doch er wollte sich wirklich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sich seine besten Freunde voneinander trennten… Würde er überhaupt noch mit beiden befreundet bleiben können? Er blieb kurz stehen und lockerte seine Sporttasche, die seine Schulter beanspruchte. Gedankenverloren strich er behutsam mit seinen Fingern darüber und wurde von einer unsagbaren Wehmut eingeholt, die sein Herz beschwerte. Genau genommen hatte er genug eigene Probleme, die sein Leben erschwerten. Immer versuchte er für seine Freunde da zu sein, um dem zu entfliehen, was ihn Zuhause erwartete. Der Scham, der ihn umhüllte, wenn er daran dachte, was sein Vater getan hatte. Der Schmerz, der ihn erfasste und ihn jedes Mal daran zurückdenken ließ, wie er ihn mit voller Wucht gegen den Schrank stieß… Er hatte nicht erwartet, dass ich irgendetwas bessern würde, aber dennoch hatte er es gehofft. Bei jedem Investor, der sich für die Firma interessierte, flammten winzige Hoffnungsschlimmer auf, dass sein Vater endlich wieder zu dem Mann wurde, zu dem er aufsehen konnte. Und obwohl mittlerweile ein Investor die Firma unterstützen wollte und seine Hilfe groß angepriesen hatte, änderte sich nichts an dem Trinkverhalten seines Vaters. Aus Frusttrinken, war Stresstrinken geworden, um seine Leistungsfähigkeit weiterhin zu garantieren, auch wenn das sicherlich ein Widerspruch in sich war. Doch der Alkohol war zu dem treuen Gefährten seines Vaters geworden. Er heftete sich wie ein Schatten an seine Fersen, ließ ihn nicht mehr los und öffneten die Pforten zu Tais persönlicher Hölle. Weder seine Mutter, noch seine Schwester schienen etwas mitzubekommen, schlossen einfach die Augen und unterstützen seine Sucht, indem sie ihm das Bier auf dem Silbertablett präsentierten, statt das Gift des Teufels weit weg zu schaffen. Tai ertrug es nicht mehr, ihn so zu sehen. Den Alkohol aus seinem Mund zu riechen und ihn lallend seinen Namen rufen zu hören. Vielleicht war es daher ganz gut, dass er doch noch nicht nach Hause ging. Schnurstracks steuerte er seinen Spint an, gab die Zahlenkombination ein und öffnete ihn sachte. Mit huschenden Augen suchte er nach seinem Mathebuch als er es entdeckte und danach griff. Gerade als er im Begriff war seinen Spint wieder zu schließen, hörte er mehrere Stimmen, die auf ihn zukamen. Er musste nicht zweimal hinsehen, um Makoto und seine komischen Freunde zu erkennen, die sich eine Spintreihe vor ihm aufhielten. Angespannt beobachtete er sie und krampfte die Finger zusammen als er begriff, dass sie über Mimi sprachen. „Na, wartest du noch auf deine Süße?“, fragte Shinji grinsend, während Yusuke Makoto einen zweideutigen Blick schenkte. „Sie hat noch Kochkurs“, seufzte Makoto leise und öffnete ebenfalls seinen Spint, um etwas darin zu verstauen. „Vielleicht bekommst du ja heute mal was Süßes“, meinte Yusuke nachdrücklich. „Das glaubst du doch selbst nicht“, antwortete Shinji bevor Makoto etwas sagen konnte. „Wir wissen doch wie Miss Unnahbar tickt. Bestimmt bist du noch nicht mal in Höschennähe gewesen“, stichelte er selbstsicher, was Makoto nur mit einem Kopfschütteln quittierte. „Ich gehe es eben langsam an“, rechtfertigte er sich mit spitzer Zunge. „Seit wann das denn? Wundert mich echt, dass sie noch nicht Bekanntschaft mit deiner schwingenden Liane der Lust gemacht hat“, erwiderte Shinji entrüstet. Schwingende Liane der Lust? War, dass sein Ernst? Manchmal fragte sich Taichi wirklich, was für Leute nur seine Schule besuchten. Dennoch beruhigte es ihn, dass Makoto nicht darauf einzugehen schien, auch wenn er es sich nehmen konnte, weiterhin zu lauschen. „Hörst du dir überhaupt selbst mal zu? Sie ist ein Mädchen und sie will halt nichts überstürzen.“, meinte Makoto nachdenklich. „Seit wann bist du so ein Frauenversteher? Du fängst doch nicht ernsthaft an, dich für sie zu interessieren?“, hakte Yusuke skeptisch nach. Taichis Blick wurde auf einmal ganz ernst, während die Anspannung durch seinen Körper fuhr. Sich ernsthaft für sie zu interessieren? Wovon redete dieser Yusuke nur? War Makoto in Wirklichkeit doch nur auf das Eine aus? Gespannt wartete er auf Makotos Antwort, die ihm Gewissheit geben sollte. „Naja ich…“ „So ein Quatsch. An Tanabata wird er sie bestimmt soweit haben oder?“, unterbrach Shinji ihn und fixierte Makoto mit einem anerkennenden Blick, dem er jedoch auswich. Es folgte eine kurze Pause als Makoto nickte und seine Lippen kräuselte. „Ja, ganz sicher…“, antwortete er unwirsch, doch für Taichi waren diese drei Worte definitiv zu viel. Wie konnte es dieser Typ nur wagen? Am liebsten hätte er ihm auf der Stelle eine reingeschlagen, doch sie befanden sich immer noch auf dem Schulgelände, was ihm sicherlich einen Haufen Ärger einbringen könnte. Er musste wieder runterkommen und einen klaren Kopf fassen, damit er diesen Scheißkerl aufhalten konnte. Er schloss leise seinen Spint und entfernte sich vorsichtig aus der Sichtweite von Makoto und seinen Freunden. Erst als er auf dem Schulhof war verlangsamte er seine Schritte und versuchte seine pulsierende Wut, die durch seinen Körper wanderte, zu kontrollieren. Er musste Mimi sprechen. Sowas durfte er diesem Kerl nicht durchgehen lassen. Kapitel 18: Schubladendenken ---------------------------- ♥ Mimi ♥ „Warum bin ich nochmal hier?“, jammerte Yolei und begann frustriert das Besteck durchzuzählen. „Es ist Freitagnachmittag!“ „Na und? Frau Ito hat doch gestern extra gefragt, wer ihr bei der Inventur helfen möchte“, erwiderte Mimi nur verständnislos. „Aber du hast einfach für mich mitbestimmt“, grummelte Yolei erbost und richtete einen Löffel auf sie. Mimi grinste nur und schüttelte beiläufig den Kopf als sie die Anzahl der Gabeln notierte. „Ach komm‘ das geht sicher schnell rum. Frau Ito kommt ja auch gleich noch, um uns zu helfen. Und außerdem muss ich dann nicht mehr so lange auf Makoto warten. Du weißt doch, dass er noch Bandprobe hat“, erklärte Mimi ihrer Freundin ausführlich. „Also bin ich nur hier, weil du auf deinen Freund wartest? Was macht ihr heute denn schon wieder? Irgendwie hängt ihr voll oft aufeinander“, stellte Yolei nüchtern fest, auch wenn ein leichter vorwurfsvoller Unterton in ihrer Stimme mitschwang. „Naja, wir wollten heute ins Kino. Und meine Eltern quetschen mich die ganze Zeit wegen ihm so aus, da sie ihn wohl jetzt schon am liebsten kennen lernen wollen. Aber das ist mir zu früh, weshalb wir uns einfach in der Stadt treffen“, antwortete Mimi selbstsicher. Yolei hingegen runzelte nur die Stirn und schenkte ihr einen fragwürdigen Blick. Sie musterte ihre Schuluniform und den unordentlich hochgesteckten Dutt, den sie sich schnell gemacht hatte, damit ihr die Haare nicht ins Gesicht fielen. „Also, dafür, dass ihr noch nicht lange zusammen seid, lässt du dich aber schon früh ziemlich gehen, findest du nicht?“, antwortete sie grinsend, während Mimi nur die Augen verdrehte, aber ebenfalls ein Lächeln nicht verbergen konnte. „Ich werde mich gleich noch umziehen gehen. In meinem Spint habe ich ein paar Sachen untergebracht. Ich muss sie nachher nur noch holen und anziehen.“ „Du denkst ja wahrhaftig an alles“, meinte Yolei erstaunt und schnappte sich den Zettel, um die Anzahl der Löffel einzutragen. „So bin ich eben“, flötete Mimi gut gelaunt und holte die Töpfe hervor, um sie mit samt den Deckeln durchzählen zu können. Für einen kurzen Moment kehrte eine angenehme Stille ein, sodass sich Mimi schon gedanklich auf ihr Date mit Makoto vorbereitete. Yolei hatte Recht, dass sie zurzeit wirklich viel mit ihm unternahm und möglicherweise sogar ihre Freundinnen ein bisschen vernachlässigte. Aber er tat ihr einfach gut. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart wohl, spürte eine deutliche Verbindung zu ihm und musste das erst Mal seit längerem nicht an T… „Tai scheint die Beziehung allerdings gar nicht zu gefallen“, eröffnete Yolei unbedacht und Mimis Gesichtszüge entgleisten prompt. Wieso konnte niemand das Thema Taichi auf sich beruhen lassen? Auch Sora wollte ihr insgeheim schon einreden, dass sie nur mit Makoto ausging, um sich von Taichi abzulenken. Natürlich war das purer Unsinn, aber wieso fing jetzt auch schon Yolei damit an? „Wie kommst du denn jetzt auf Taichi?“, hakte sie nach und versuchte sich möglichst überrascht und ruhig zu geben. „Naja, er ist ganz schön geknickt und vor wenigen Wochen habt ihr noch wie wild rumgeknutscht. Was ich übrigens niemandem erzählt habe, aber trotzdem verstehe ich das nicht so ganz“, teilte Yolei ihr offen mit und ließ die Schultern fragend hängen. „Also, Tai…naja…ich…“ „Jaaa…“, erwiderte sie langgezogen und beäugte sie neugierig. „Ich…“, sie druckste herum und war sich nicht sicher, ob sie der besten Freundin von Tais kleiner Schwester überhaupt so viel verraten sollte. Nicht, dass sie sich am Ende noch verplapperte… „Es gab mal eine Zeit, in der wir uns sehr nahe standen“, klärte sie Yolei bedacht auf. Doch sie schien sofort zu verstehen, was sie damit eigentlich meinte. „WAS? Oh Gott, habt ihr zwei etwa?“ „Hä? Was? Um Gottes Willen, nein! Das war völlig harmlos gewesen“, antwortete sie mit schriller Stimme. Sofort wanderte ihr Blick zu Boden als ein rötlicher Schimmer ihre Wangen zierte. Okay gut, vielleicht war es doch nicht so harmlos gewesen, wie sie Yolei vormachen wollte. Wären einige Dinge anderes verlaufen, wäre sie sicherlich keine Jungfrau mehr… Sie schluckte bei dem Gedanken als ihr Herz wild und fordernd gegen ihre Brust schlug und ihren Puls beschleunigte. „Okay, aber war es etwas Ernstes gewesen?“ Mimi befeuchtete ihre trockenen Lippen und ging augenblicklich auf die Knie, um die restlichen Töpfe hervorzuholen als sie sich zu einem kurzen Kopfschütteln durchrang. „Wir waren noch Kinder gewesen“, gab sie knapp zurück. Kinder, die damals schon genau wussten, wie sie sich die Liebe vorstellten, auch wenn es eine sehr naive Vorstellung davon war. „Also, gibt es zwischen euch keine Chance mehr?“ Am liebsten hätte sie diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantwortet, da es in ihrem Leben jemanden gab, der vielleicht ihr Herz erobern konnte. Aber war es dann normal, immer noch Herzklopfen zu bekommen, wenn sie an den sinnlichen Kuss im Pool zurückdachte? Auch ihr war nicht entgangen, dass Taichi in letzter Zeit sehr niedergeschlagen auf sie sie wirkte, was in ihr seltsame Gefühle auslöste. Einerseits hasste sie es, ihn so zu sehen. Mutlos, traurig, ein Schatten seiner selbst. Andererseits erfüllte es sie auch mit Genugtuung. Er hatte ihr wehgetan und sie wollte, dass er ebenfalls litt und durch die Hölle ging. Mimi atmete leise aus als sie ihre Lippen kräuselte und ihre Finger in dem massiven Holz der Theke vergrub. „Ich weiß es nicht“, gab sie zu, während sie resigniert den Kopf senkte und am liebsten diesem Gespräch entfliehen wollte. _ Freudig eilte sie zum Kino, vor dem Makoto bereits auf sie wartete. Sie trug ein royalblaues Sommerkleid, dass in Kontrast zu ihrer blassen Haut stand. Ihre Haare hatte sie zu seinem hohen Zopf zusammengebunden, der bei jeder Bewegung mitschwang, während ihre vordere Haarpartie ihr Gesicht schmeichelnd umrahmte. Mit schnellen Schritten steuerte sie auf Makoto zu, der am Eingang wartete und sie noch nicht bemerkt hatte. Grinsend schlich sie sich an, ging auf die Zehenspitzen und hielt ihm die Augen zu. „Na, wer bin wohl?“, fragte sie keck als sie seine warmen Hände auf ihren spürte. Zärtlich fuhr er mit den Fingern über ihren Handrücken und machte Anstalten sich zu ihr herumzudrehen, ohne auf ihr Spiel einzugehen. „Du musst erst erraten, wer ich bin. Vorher lasse ich dich nicht los“, flötete sie fröhlich als er lachend ihren Namen sagte und sich zu ihr drehte. Er beugte sich zu ihr hinunter und drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen, um sie zu begrüßen. „Da hat sich aber jemand hübsch gemacht“, raunte er in ihr Ohr und machte sie augenblicklich ganz verlegen. „Danke…“, murmelte sie ihm entgehen und ergriff seine Hand. Er zog sie in Richtung Eingang, öffnete die Tür und ließ ihr den Vortritt. Mimi lächelte verhalten und betrat das großgeschnittene Foyer des Kinos. Es roch nach süßem Popcorn und eine riesige Menschenmenge tummelte sich an der Kinokasse und den Snackständen. „Wow, heute ist aber ganz schön viel los“, stellte Mimi erstaunt fest, obwohl es für Freitagabend nichts Ungewöhnliches war. „Kein Wunder, heute ist die Vorpremiere zu Fluch der Karibik 2“, antwortete Makoto begeistert. „Fluch der Karibik?“, hinterfragte Mimi skeptisch. „Dieser Piratenfilm?“ „Nein, der beste Piratenfilm überhaupt und es gibt sogar noch Karten“, erwiderte er erstaunt und sah sie mit einem vielsagenden Hundeblick an, der nur eins bedeuten konnte. Doch Mimi hatte auf so einen dämlichen Piratenfilm überhaupt keine Lust. „Aber es läuft auch ‚Der Teufel trägt Prada‘. Der ist sicher voll witzig und mit Anne Hathaway“, argumentierte sie dagegen und schenkte ihm einen herausfordernden Augenaufschlag. Argwöhnisch runzelte Makoto die Stirn. „Aber das ist doch ein Frauenfilm. Da schlaf‘ ich ganz sicher ein. Fluch der Karibik wird dir sicher gefallen.“ „Ich kenne aber den ersten Teil noch nicht mal“, murrte sie genervt, da Makoto nicht den Anschein machte, locker lassen zu wollen. „Ach, den verstehst du auch so. Der ist nicht so anspruchsvoll.“ Mimis Augen weiteten sich entsetzt. Was sollte das denn bedeuten? Nicht so anspruchsvoll? Hielt er sie etwa für bescheuert? „Ähm...du weißt wie ich das meine. Man blickt auch durch, wenn man den ersten Teil nicht gesehen hat und notgedrungen hast du ja auch noch mich“, ruderte er zurück und zog sie etwas näher an sich heran, während Mimi beleidigt das Gesicht verzog. „Ich werde sowieso nicht so sehr auf den Film achten können, dafür ist meine hübsche Begleiterin einfach zu ablenkend“, raunte er und gab ihr einen sinnlichen Kuss auf den Hals, der Mimi erschaudern ließ. Verstohlen sah sie zu ihm und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Irgendwie war Makoto schon sehr süß zu ihr, auch wenn er versuchte seinen Kopf durchzusetzen. Jedoch machte vielleicht gerade das eine erfolgreiche Beziehung aus. Kompromisse schließen, Gemeinsamkeiten entdecken, Unterschiedlichkeiten akzeptieren lernen. „Okay“, gab sie sich geschlagen. „Aber den nächsten Film darf ich dann aussuchen!“ „Klar, von mir auch können wir auch morgen den anderen Film schauen, wenn du magst“, erwiderte er versöhnlich und stellte sich an der Kasse an. „Ich glaube, morgen werde ich keine Zeit haben. Kaori will sich wegen dem Projekt treffen und so langsam müssen wir wirklich mal loslegen. Das Herbstfest ist schon in zwei Monaten!“, seufzte sie theatralisch und fasste sich an die Stirn. Eigentlich würde sie ihr Wochenende viel lieber anders verbringen, aber wie Kaori ihr gestern bereits mitgeteilt hatte, stand der Termin für ihre Vorbesprechung bereits fest. Sie kannte tatsächlich eine Dozentin der Musikhochschule, die ihr Projekt absegnen wollte. Mimi war immer noch nicht ganz wohl dabei, besonders, weil Kaori meist den Ton angab und Mimi sie einfach machen ließ. Sie wäre sicherlich schon längst fertig, wenn es ein Einzelprojekt gewesen wäre. Doch daran wollte Mimi heute Abend noch nicht denken. Sie kuschelte sich etwas näher an Makoto, der ihr einen liebvollen Blick schenkte und in ihr ein leichtes Kribbeln auslöste. Sie mochte es die uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu erhalten, auch wenn das Gespräch mit Yolei immer noch in ihrem Hinterkopf spukte. Sie senkte leicht den Kopf, verdrängte die aufkommenden Gedanken und stellte sich auf einen romantischen Abend mit ihrem Freund ein, auch wenn es noch ungewohnt war ihn so zu nennen. Doch sie war bereit, sich fallen zu lassen und den Abend zu zweit zu genießen. _ Am nächsten Tag saß sie tatsächlich mit Kaori im Büro von Frau Misa, einer Dozentin für Musikgeschichte. Doch noch immer hing sie ihren Gedanken nach und dachte an den wunderschönen Abend, den sie mit Makoto verbringen durfte. Auch wenn sie den Film nicht sonderlich spannend fand, verlief der Abend einfach nur perfekt. Sie hatten sich oft geküsst und bei Mimi stellte sich allmählich dieses verrückte Kribbeln ein, dass ihr bewusst machte, dass sie tatsächlich zarte Gefühle für Makoto entwickelte. Er hatte sie sogar noch nach Hause gebracht und am liebsten hätte Mimi ihn sogar mit nach oben genommen, aber sie wollte nicht Gefahr laufen, dass er von ihrem Vater ausgefragt wurde. Ihre Eltern hatten die peinliche Angewohnheit ihrer überfürsorglichen Ader Ausdruck zu verleihen, indem sie ihre Freunde der Reihe nach ausquetschen. Mimi war das immer schon sehr unangenehm gewesen, besonders, weil ihr Vater nicht auf den Mund gefallen war und fast jedem Jungen klarmachte, dass er seine Prinzessin nicht verletzten durfte. Doch für Mimi war diese Art von Gespräch viel zu verfrüht, weshalb sie sich immer noch davor drückte, ihren Eltern Makoto vorzustellen. Lieber wartete sie noch ein bisschen, schließlich waren sie noch gar nicht lange zusammen und sie hatte ganz sicher nicht vor ihn gleich wieder zu vergraulen. „Was sagst du denn dazu, Mimi?“, hakte Kaori plötzlich nach und gab die Frage von Frau Misa an sie weiter. Völlig verwirrt, starrte Mimi zu Kaori und hatte überhaupt keinen Plan, was Frau Misa von ihr wissen wollte. Schon wieder hatte sie sich ablenken lassen. „Ähm…ich…“, druckste sie herum und sah hilfesuchend zu Kaori, die sie skeptisch beäugte. „Also…“ „Wir würden uns gerne die Universität angucken. Ich war schon eine Ewigkeit nicht mehr hier“, antwortete Kaori lächelnd, während sie Mimi einen bösen Blick zuwarf, den sie entschuldigend erwiderte. „Ja, das wäre sicher klasse“, ergänzte Mimi kleinlaut und konnte nicht fassen, dass sie die gesamte Besprechung wohl nur vor sich hingeträumt hatte. „Super, ich zeige euch dann ein paar Räumlichkeiten und werde euch später noch in unsere Aula entführen. Weißt du noch Kaori? Als Kind hast du dich immer auf die Bühne geschlichen und ein Solokonzert gegeben“, erinnerte sich Frau Misa lachend und stand auf. „Ach wirklich? Habe ich ganz verdrängt“, antwortete Kaori monoton und richtete sich auf. „Ist ja auch schon eine halbe Ewigkeit her, Hibiko.“ Verblüfft sah Mimi zu Kaori und musterte sie nachdenklich. Hibiko? Sie kannte also ihren Vornamen? Woher kannten sich die beiden denn nur? War sie etwa eine Freundin von Kaoris Familie? „Auf was wartest du denn?“, fragte Kaori verwirrt, nachdem sich Mimi immer noch nicht in Bewegung gesetzt hatte. Hektisch sprang sie auf und eilte Frau Misa und Kaori nach, die bereits das Büro verlassen hatten. „Heute bist du aber echt neben der Spur“, stellte Kaori nüchtern fest und passte sich Mimis Gehtempo an. „Tut mir leid, irgendwie bin ich gestern zu spät ins Bett gekommen“, murmelte sie verlegen, da Makoto und sie noch wild miteinander rumgeknutscht hatten, bevor sie sich tatsächlich von ihm loseisen konnte. „Aso, liegt wohl an deinem neuen Freund. Wie heißt der nochmal? Dieser Typ mit dem Piercing“, fragte sie und deutete auf ihre eigene Lippe. Überrascht weiteten sich Mimis Augen, da sie nicht wusste, dass die Beziehung zwischen Makoto und ihr in der Schule schon die Runde gemacht hatte. Gerade Kaori war jemand, der nicht sonderlich viel aus dem Haus ging und sich ins Partyleben stützte… „Woher weißt du das denn?“, hakte sie misstrauisch nach. „Naja, ich lebe jetzt nicht hinter den Mond, falls du das denkst“, erwiderte sie verdattert. „Außerdem habt ihr einmal direkt vor der Schule rumgeknutscht und ich glaube, sowas sollte man dann eher lassen, wenn man die Beziehung geheim halten will.“ Ihre eigene Überheblichkeit schwang in ihrer Stimme mit und ein herablassender Blick streifte Mimi kurz, sodass sie am liebsten Kaori die Meinung gegeigt hätte. Was bildete sie sich überhaupt ein? Es war doch ihre Sache, wie sie die Beziehung zu Makoto in der Öffentlichkeit gestaltete und sie schämte sich nicht, Zuneigung für einen Jungen zu zeigen, den sie mochte. „Woher kennst du eigentlich Frau Misa?“, fragte Mimi mit bebender Stimme, um auf ein anderes Thema zu lenken. Frau Misa ging ein Stückchen vor ihnen und erzählte irgendwas über die Universität, wer sie errichtet hatte, welche Berühmtheiten sie hervorbrachte und welche Fächer sie am liebsten unterrichte. Doch Mimi hörte ihr nur halbherzig zu, während Kaori angestrengt ihre Stirn in Falten legte. „Ist das etwa so wichtig? Sei doch froh, dass ich sie für unser Projekt begeistern konnte“, erwiderte sie abweisend und Mimi bereute es überhaupt gefragt zu haben. Wieso interessierte sie sich überhaupt noch für das Leben ihrer Mitmenschen, wenn sie solche Antworten bekam? Diese Kaori war wirklich mit Vorsicht zu genießen. _ Frau Misa hatte sich über eine Stunde Zeit genommen, ihnen alles zu zeigen. Da Samstagnachmittag war, war dementsprechend wenig los, weshalb sie sich die Zeit auch nehmen konnte. Sie erkundeten einige Hörsäle und Seminarräume, die ganz unspektakulär mit Sitz-und Schreibmöglichkeiten ausgestattet waren. Am besten gefielen Mimi die Probenräume, die sehr geräumig und schalldicht waren, um in Ruhe üben zu können. Danach steuerte Frau Misa direkt die Musikkammer an, in denen sie die Streich-und Blasinstrumente aufbewahrten. Der kleine längliche Raum befand sich direkt neben der Aula, die sie als letztes aufsuchten. Mimi war fasziniert von der Atmosphäre, die sie sofort einnahm, wenn sie sich auf die Bühne stellte. Vor ihr erstreckte sich ein Meer leerer Plätze, aber die Anspannung, die durch ihren Körper fuhr, fühlte sich unbeschreiblich an. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sich die Studenten fühlten, wenn sie vor mehreren hundert Menschen auftraten. Straub lag in der Luft und eine unbändige Energie erfüllte den Raum, die nur nach einer Gelegenheit suchte, um sich zu entladen. Spannung durchzog ihren Körper und ließ erst nach als sie gemeinsam die Bühne verlassen hatten. Kaori war während der Führung verhältnismäßig ruhig gewesen und schien in ihre eigene Welt abgetaucht zu sein, was Mimi auch nicht weiter störte. Interessiert lauschte sie Frau Misas Stimme, die sie mit farbenfrohen Bezeichnungen in die Welt der Musik entführte, die Mimi schon immer angezogen hatte. Sie liebte es zu Singen, auch wenn es für sie mehr ein Hobby war. Dennoch fühlte sie sich dadurch befreit und glücklich, selbst wenn es niemand hören konnte. Meistens sang sie nur unter der Dusche, oder summte fröhliche Melodien vor sich hin, wenn sie von ihren eigenen Glückgefühlen übermannt wurde. Gemeinsam schlenderten sie wieder auf den Gang als Frau Misa kurz ihr Handy checkte. „Oh, entschuldigt mich bitte kurz. Ich muss mal schnell telefonieren“, informierte sie die beiden freundlich, während Mimi nur ein knappes Nicken zustande brachte. Danach ließ sie die Mädchen alleine, was in Mimi ein gewisses Unwohlsein auslöste. Noch immer wusste sie nicht wirklich, über was sie mit Kaori reden sollte. Sie waren einfach grundverschieden. Wie Feuer und Eis. Wie süß und salzig. Wie dunkel und hell. Langsam wandte sich Mimi ihr zu und sah, dass sie sich genervt gegen die Wand gelehnt hatte und ihre Laune scheinbar noch schlechter geworden war, wenn dies überhaupt möglich sein konnte. „Ich geh‘ mal aufs Klo“, murmelte sie halblaut und schritt, ohne eine Antwort von Mimi abzuwarten, an ihr vorbei. Etwas beleidigt sah Mimi ihr hinterher, da sie sie tatsächlich alleine gelassen hatte. Doch sie wollte sich lieber nicht beklagen. Wahrscheinlich war es besser, so wenig Zeit wie möglich miteinander zu verbringen und das Projekt einfach schnell abzuschließen, um endlich wieder getrennte Wege gehen zu können. Manche Menschen waren wohl nicht dazu bestimmt, Freunde oder ähnliches zu werden. Kaori war ein Eisblock, den noch nicht mal die Sonne der Sahara zum Schmelzen bringen konnte. Dabei hatte Mimi alles versucht, um die Zeit mit ihr erträglich zu gestalten. Manchmal hatte sie sogar kurzzeitig das Gefühl zu ihr durchzudringen, aber anscheinend war das wohl ein großer Irrtum gewesen. Sie seufzte resigniert und hoffte, dass Kaori und sie bald von hier verschwinden konnten. Mimi lehnte sich gegen die Wand als plötzlich ein zarter Ton zu hören war. Überrascht blickte sie sich um, da das Spiel immer gleichmäßiger wurde und eine eingehende Melodie bildete. Ihr wurde bewusst, dass das zarte Spiel nur von einer Violine stammen konnte, die gefühlvoll die hohen Töne anschlug und auf Mimi sehr melancholisch wirkte. Neugierig verfolgte sie den Klang der Violine, die sie augenblicklich in ihren Bann gezogen hatte. Sie ließ sich einfach von ihren Ohren führen und landete wieder in der Aula, die sie vor wenigen Minuten verlassen hatte. Ihren Blick richtete sie zur Bühne und schritt gleichzeitig wie hypnotisiert die Sitzreihen entlang, um etwas weiter nach vorne zu kommen. Plötzlich blieb Mimi stehen. Ihre Augen waren immer noch auf die Bühne gerichtet, auf der sie stand und voller Hingabe spielte. Sie strich mit dem Bogen kraftvoll über die Saiten, ließ die Töne umherspringen, die wie ein Regenbogen nach einem seichten Regenschauer während eines lauwarmen Sommertags den Himmel mit Farbe umhüllten. Völlig berauscht von dem unverkennbaren Klang der Violine, bemerkte Mimi erst gar nicht, wie sich jemand neben sie stellte. „Ich habe gewusst, dass sie dieser Versuchung nicht wiederstehen kann. Sie hat eben Musik im Blut“, ertönte die freudige Stimme von Frau Misa, während Mimi etwas zusammenschrak. „Es ist knapp zwei Jahre her, wo ich sie das letzte Mal spielen gesehen habe. Die Leidenschaft ist immer noch dieselbe“, murmelte sie gerührt und Mimi hätte schwören können, aufkommende Tränen in ihren Augen gesehen zu haben, doch Frau Misa hatte schneller den Kopf zur Seite dreht. Immer noch sprachlos beobachtete sie Kaori, wie sie mit der Violine eins zu werden schien. Emotionsgeladen lehnte sie ihr Kinn gegen die Violine, schloss die Augen und ließ sich von ihrem eigenen Spiel in eine andere Welt entführen. „Sie scheinen Kaori ja gut zu kennen“, stellte Mimi fest, nachdem sie ihre Sprache wiedererlangt hatte. Frau Misa lächelte nur vage und fuhr sich durch ihre langen gelockten Haare. „Ich war ihre Lehrerin und eine enge Freundin ihrer Mutter. Sie hat schon mit sechs Jahren angefangen zu spielen“, erzählte sie als ihr Lächeln unvermittelt verschwand und einer ernsten Miene wich. „Ein Jahr später war das mit ihrer Mutter passiert…“ Mimi presste die Lippen aufeinander und senkte den Kopf. Ach so war das also. Sie hatte sich schon gedacht, dass das Foto in Kaoris Zimmer ihre Mutter zeigte, aber dennoch hatte sie sich gefragt, warum sie kein Aktuelles ausgesucht hatte. Ihre Frage wurde hiermit beantwortet. Weil es nicht ging. Ihre Mutter lebte nicht mehr, auch wenn sie sich nicht traute genauer nachzufragen. Das Gesicht von Frau Misa sprach Bände. „Hat sie danach schon aufgehört? Zu mir meinte sie, dass sie erst seit zwei Jahren nicht mehr spielt“, erinnerte sich Mimi dunkel zurück. „Oh, sie hat danach noch weitergespielt. Irgendwie sah sie es als Verbindung zu ihrer Mutter.“ „Okay…aber warum hat sie dann aufgehört?“, hinterfragte sie verblüfft. Frau Misa kniff die Augen zusammen und betrachtete Kaori auf der Bühne, die ihren letzten Ton anstimmte. „Ich denke, dass lag an ihrer Schwester. Die beiden waren einfach unzertrennlich gewesen, die besten Freundinnen. Aber dann gibt es Momente im Leben, wo man sich entscheiden muss. Welchen Weg man gehen will und was man bereit ist für seinen eigenen Traum zurückzulassen. Und Emi hat sich gegen sie entschieden und das konnte Kaori nie überwinden, auch wenn sie das Gegenteil behauptet“, antwortete sie ausführlich. In Mimis Hals bildete sich ein dicker Kloß, der ihr das Schlucken erschwerte. Sie war wohl sehr einsam, jedenfalls hörte Mimi genau das heraus. Ihr Blick richtete sich wieder zur Bühne als Kaori die Violine sinken ließ und mit zitternden Fingern den Bogen in ihren Händen hielt. Sie schniefte herzzerreißend, nahm den Bogen in die andere Hand und fuhr sich mit den Fingern über ihre Augenpartie, indem sie ihre Brille etwas nach oben schob. Sie sah in diesem Moment so zerbrechlich aus. Das Mädchen, dass in der Schule immer so überheblich rüberkam und auf jeden sehr distanziert wirkte, erschien plötzlich in einem völlig anderen Licht. Jeder hatte seine eigene Geschichte, sein eigenes Päckchen, dass er zu tragen hatte. Mimi hätte niemals gedacht, dass sich hinter Kaoris makelloser Fassade, so viele Risse verbargen. Risse, die Mimi nicht sehen wollte, da sie sie abgestempelt hatte und in eine Schublade steckte. Eine Schublade, in die sie nicht hineingehörte… Kapitel 19: Wunden der Vergangenheit ------------------------------------ ♥ Taichi ♥ Er hatte keine Ahnung, was er machen sollte. Schon das ganze Wochenende schleppte er dieses Geheimnis mit sich herum, auch wenn es schon förmlich auf seiner Zunge brannte. Eigentlich hatte er sich vorgenommen gehabt, so schnell es nur möglich war, mit Mimi zu sprechen, doch das war mittlerweile leichter gesagt als getan. Wie sollte er dieses Gespräch nur vernünftig anfangen? Sie würde doch gleich denken, dass er all das nur aus der Eifersucht heraus sagte. Er hatte ja schließlich keine Beweise, da er das Gespräch nur mitangehört hatte und Makoto es sicher leugnen würde. Aber irgendwas musste er doch tun. Ihm lief die Zeit davon. Tanabata war dieses Wochenende. Er brauchte einen Plan, doch selbst seine beste Freundin, die ihm sicherlich Glauben schenken würde, hatte ihn im Stich gelassen. Taichi hatte sich vorgenommen Sora direkt am Montag von Makotos eigentlicher Intension zu berichten. Sie hatte einen besseren Draht zu Mimi, jedenfalls zurzeit, auch wenn das Thema Makoto selbst bei den Mädchen einige Diskussionen ausgelöst hatte. Doch sein Plan, Sora ebenfalls vor den Karren zu spannen und Makoto auffliegen zu lassen, löste sich jäh in Luft auf als Yamato ihm berichtete, dass der gesamte Tennisverein sich eine Magen-Darm-Grippe eingefangen hatte, während sie sich in Nagoya aufgehalten hatten. Frustriert überlegte er, wie er es doch noch Mimi alleine schonend beibringen konnte, doch jegliches Szenario endete in seiner Vorstellung in einem reinsten Chaos. Sie würde ihm nicht glauben – das wusste er, auch ohne es versucht zu haben. Dennoch brauchte er jemanden zum Reden. Er haderte lang mit seinem Gewissen, überlegte, ob es tatsächlich eine gute Idee war ausgerechnet zu ihm zu gehen, doch seine Füße trugen ihn wie von selbst zu seiner Haustür. Es dauerte nicht lang, bis er ihm öffnete und Taichi sofort hineinbat – so wie er es jedes Mal machte. „Was führt dich denn hier her?“, fragte er amüsiert, da Tai meist nur so plötzlich bei ihm aufschlug, wenn ihn etwas bedrückte. „Was denn? Darf ich denn nicht mal nach meinem besten Freund sehen? Hab‘ mir nur Sorgen um dich gemacht, weil du ohne deine Sora sicherlich mega einsam bist“, witzelte er und nahm das kühle Bier entgegen, dass Yamato aus dem Kühlschrank geholt hatte. Er öffnete es mit dem Flaschenöffner, der wie immer auf der Küchenzeile lag. „Das ist aber wirklich gütig von dir. Aber nur zu deiner Info: Ich kann immer noch meine Freundin übers Handy erreichen“, nahm er ihm direkt den Wind aus den Segeln und öffnete sich ebenfalls eine Flasche. Taichi grinste verwegen und nahm einen großzügigen Schluck seines Biers, dass seit kurzem einen bitteren Beigeschmack bei ihm hinterließ. Bei seinem Vater hatte es auch mit Bier angefangen. Er setzte die Flasche bei diesem Gedanken sofort ab und stellte sie geistesabwesend auf die Küchenzeile, während Yamato ihn über Soras Gesundheitszustand in Kenntnis setzte. „Ihr geht es wirklich beschissen, aber anscheinend sind alle bis auf eine krank geworden. Die hatten in der Unterkunft nur so Gemeinschaftstoiletten, die wohl nicht sonderlich gut gereinigt wurden.“ Angewidert verzog Taichi das Gesicht und wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie eklig die Toiletten dort ausgesehen haben mussten. „Na dann kann man nur hoffen, dass sie bald wieder gesund wird. Zu Tanabata wird sie nicht mitkommen oder?“ Yamato legte den Kopf schief und nippte an seinem Bier. „Kann ich mir echt nicht vorstellen, aber ist vielleicht auch besser so. Sie soll sich ruhig mal auskurieren.“ „Schade, dass du sie nicht gesund pflegen kannst“, erwiderte Taichi hämisch grinsend als Yamato nur die Augen verdrehte. „Wenigstens habe ich ein Sex-Leben. Wie sieht´s mit dir aus?“, geiferte er feixend und stellte seine Flasche ebenfalls ab, um sein Päckchen Zigaretten aus der Hosentasche zu ziehen. „Wow, immer unter die Gürtellinie“, knurrte Taichi erbost. „Nee, ich glaube das war ein Volltreffer. Genau auf die Zwölf“, berichtigte er ihn, gab ihm einen Klaps gegen die Schulter, ging in Richtung Wohnzimmer und steuerte die Balkontür an. Ohne Aufforderung folgte Taichi ihm direkt auf den Balkon, da es der einzige Ort war, wo Yamato ungestört rauchen durfte. Er fischte sich eine Kippe aus der Schachtel und Taichi beobachtete wie er sie sich ansteckte. Genüsslich zog er daran und blies den dunkeln Rauch aus seiner Lunge, was Taichi mit Faszination beäugte. „Kann ich vielleicht heute auch eine haben?“, fragte er plötzlich. „Was? Du? Ich dachte rauchen ist während des Trainings strengstens untersagt“, antwortete Yamato verblüfft, hielt ihm aber direkt im Anschluss, dass Päckchen unter die Nase. Sachte griff Taichi nach einer Zigarette und steckte sie zwischen die Zähne. „Aber ich warne dich, sie sind ziemlich stark“, informierte er ihn, bevor er sie anzündete. „Schon klar, Mutter“, brummte er und kaute etwas auf dem Filter herum, bevor er einen kräftigen Zug nahm und sofort husten musste. „Siehst du! Ich habe es dir ja gesagt!“ Röchelnd nahm er die Zigarette zwischen zwei Finger und musterte sie angewidert. „Scheiße, was ist das für ein Zeug? Willst du mich umbringen?“ „Ich habe es dir gesagt! Ist halt nichts für schwache Nerven.“ „Was du nicht sagst. Wo findest du nur so einen Mist?“, fragte Taichi missmutig und überlegte ob er sie nicht doch am Geländer wieder ausdrücken sollte. „Makoto hat sie mal nach einem Auftritt mitgebracht. Anfangs fand‘ ich sie auch nicht so toll, aber ist wohl Gewöhnungssache“, schwächte er ab, während Taichis Kehle staubtrocken wurde. Ach ja, eigentlich war er wegen etwas ganz Anderem hergekommen. Gedankenverloren führte er die Zigarette wieder zu seinem Mund und paffte ein paar Mal daran, bevor er genug Mut zusammengesucht hatte und Yamato eine Frage stellte, mit der er selbst nicht gerechnet hatte. „Meint dieser Makoto es ernst mit ihr?“ „Hä? Wieso sollte er es denn nicht ernst meinen? Er ist wirklich ein netter Typ und ja manchmal…“ „Ach ist er das?“, unterbrach Taichi ihn schroff und blickte ihn erbost an. „Also, ich hatte mit ihm immer…“ „Er hat bei seinen Freunden angeben und gesagt, dass er an Tanabata mit ihr schlafen wird“, eröffnete er seinem besten Freund verbittert, der jedoch nicht sonderlich überrascht wirkte. „Ich denke, du solltest dich da wirklich raushalten. Seine Freunde sind sehr speziell und manchmal sagt man da eben Dinge, die man nicht so meint. Ich glaube nämlich schon, dass er sie sehr mag“, erwiderte Yamato bedacht. „Du glaubst? Aber sicher bist du dir nicht oder?“, hinterfragte er gereizt. „Was ist, wenn, dass alles nur ein verdammtes Spiel für ihn ist und sie…sie verdient das nicht.“ „Taichi…“ „Nein“, wiedersprach er sofort. „Ich will nicht, dass sie verletzt wird!“ „Weil du sie schon verletzt hast?“ Perplex starrte Taichi zu Yamato, der ihn nachdenklich betrachtete. Schuldbewusst senkte er den Kopf und merkte, dass er ihm nicht wiedersprechen konnte. Er hatte sie durchaus verletzt. Genau genommen hatten sie sich gegenseitig verletzt. „Du solltest im Moment versuchen die Gegebenheiten so zu akzeptieren wie sie sind. Merkst du denn nicht, dass sie glücklich ist?“ Verbittert biss er sich auf die Zunge, damit er einen anderen Schmerz spürte als das qualvolle Pochen seines Herzens. Er konnte nichts dagegen sagen, weil es stimmte. Sie war glücklich und es ärgerte ihn, dass ein anderer Kerl dafür verantwortlich war. Dennoch fühlte er, dass es falsch war, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Er traute Makoto nicht, auch wenn Yamato ihn vom Gegenteil überzeugen wollte. Er konnte nicht zulassen, dass sie schon wieder verletzt wurde. _ Ein paar Tage später war es soweit. Tanabata stand vor der Tür und Taichi befand sich gemeinsam mit seiner Schwester, Yamato und Takeru auf dem Weg zum Festgelände. Er trug einen dunkelroten Yukata und versuchte seine schlechte Laune vor den anderen zu verbergen, auch wenn es schwierig für ihn war. In den letzten Tagen drehten sich sämtliche Gedanken um Mimi, das Gespräch mit Yamato und wie er doch noch alles in die richtige Richtung lenken könnte. Doch er war völlig ratlos. Nichts Gescheites wollte ihm einfallen und er überlegte für einen kurzen Moment, ob er überhaupt mitgehen sollte. Allerdings hatte Kari ihn so lange bearbeitet gehabt, dass er gar nicht mehr „Nein“ sagen konnte. Auf dem Fest wollten sie sich mit den anderen treffen, unteranderem auch mit Mimi, die sicherlich mit Makoto dazu stoßen würde. Ein leiser Seufzer löste sich von seinen Lippen, während er neben Yamato lief und ihre Geschwister beobachtete. Kari wirkte in Takerus Gegenwart richtig gelöst, plapperte munter drauf los und schmiedete bereits Pläne, wie sie mit Daisuke, der direkt von seinem Fußballtraining kam, und dem Rest den Abend verbringen wollte. „Zuerst müssen wir uns etwas wünschen und dann essen wir Tintenfischbällchen“, schlug Kari freudig vor. „Hoffentlich muss Davis davon nicht wieder kotzen. Sowas sehen Orihime und Hikoboshi sicher gar nicht gern“, lachte der Blondschopf herzlich. Taichi runzelte bei ihrem Gespräch nur die Stirn. Die Legende rum Orihime und Hikoboshi hatte er noch nie verstanden gehabt. Ein Paar das sich tragischer Weise nur einmal im Jahr sehen konnte, weil das Schicksal ihnen in den Weg geraten war. Es klang völlig absurd, auch wenn er durchaus einige Parallelen zu seinem Leben ziehen konnte. Vielleicht waren Mimi und er, Orihime und Hikoboshi ähnlicher als er glaubte. Eine unbändige Liebe, die die Zeit überstand und den Glauben an das Zusammensein nie verlor. Je länger er über diesen Satz nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, dass sie nie über ihre Vergangenheit gesprochen hatten. Sie hatten es viel mehr unter den Teppich gekehrt, weil die verletzten Gefühle überhandnahmen und es besser war, all das zu vergessen, statt auch noch die Freundschaft, die sie miteinander verband, zu riskieren. „Du solltest echt aufhören so ein Gesicht zu ziehen“, mischte sich Yamato auf einmal ein. „Wir werden bestimmt nicht den ganzen Abend mit ihnen zusammen sein.“ „Ach wirklich? Kannst du das garantieren oder sollte ich mir am besten gleich ‘ne Kotztüte holen?“, erwiderte er mürrisch und konnte sich nicht vorstellen, dass er dieses Liebesgedusel den ganzen Abend ertragen würde. Nicht mit dem Wissen, dass Makoto es nicht ernst meinte. „Man Taichi…krieg‘ dich mal wieder ein. Du führst dich auf wie ein kleiner trotziger Junge“, flüsterte Yamato ihm zu, sodass ihre Geschwister davon nichts mitbekamen. „Na und? Lass mich doch“, antwortete er nur und fixierte beleidigt das Festgelände an, dass er schon von Weiten erkennen konnte. Ein genervtes Grummeln war zu hören, doch das beeindruckte Taichi recht wenig. Yamato kannte ihn lange und gut genug, um zu wissen, dass er es nicht einfach so hinnehmen konnte. Dass er sogar das Recht hatte, Liebeskummer zu haben, auch wenn Matt sowas wohl eher nicht kannte, da er sich schon seit einer gefühlten Ewigkeit in einer Beziehung befand. Zumal auch Makoto noch ein Freund von ihm war und in seiner Band spielte. Es war daher klar gewesen, dass er die Dinge anders sah als Taichi. Als sie auf dem Festgelände ankamen, machten sie sich natürlich gleich auf die Suche nach den anderen. Während TK und Kari ihre Freunde suchten, begaben sich Matt und er zum Treffpunkt, wo sie sich mit den restlichen Bandmitgliedern verabredet hatten. Sie liefen an den Ständen vorbei und Taichi begutachtete den festlich geschmückten Platz mit großen Augen. Überall fanden sich kleine Bambusbäumchen, an denen man seinen Herzenswunsch festbinden konnte, während bunte Lampions das Gelände in ein warmes Licht hüllten. Beide spazierten an den Ständen vorbei, ohne ihnen große Beachtung zu schenken, bis Yamato abrupt stehen blieb und Taichi fast in ihn hineinbretterte. „Man…was ist denn jetzt los?“, fragte Taichi etwas gereizt als er erkannt hatte, dass Yamatos Blick an einem Schmuckstand hängen geblieben war. Selbstgemachte Ketten, Armbänder und Ringe waren auf dem Tisch drapiert und schimmerten Golden, während die beiden Jungs die kunstvollen Stücke mit großen Augen betrachteten. „Kann ich euch beiden helfen?“, hakte eine ältere Dame nach, die den Schmuck sehr wahrscheinlich hergestellt hatte. Unsicher blickte Taichi zu Matt, der seinen Blick auf ein Armband geworfen hatte, dass mit rötlichen Steinen besetzt war. „Denkst du, Sora würde sowas gefallen?“, er deutete auf das Armband und sah Taichi erwartungsvoll an, der sich ebenfalls die einzelnen Schmuckstücke genauer angesehen hatte. „Ja, ich mein‘ warum nicht. Sie mag wohl nur Haarspangen nicht so gerne“, erwiderte er schulterzuckend und erinnerte sich an sein damaliges Geburtstagsgeschenk, dass zwischen ihnen einen riesigen Streit vom Zaun gebrochen hatte. Doch gegen ein Armband würde Sora sicher nichts einwenden, besonders nicht, wenn es von Yamato kam. „Wie viel kostet das Armband denn?“, hakte er interessiert bei der Verkäuferin nach als Taichi plötzlich eine Kette ins Auge sprang. „Entschuldigung, ist das ein Vergissmeinnicht? Also die Gravur auf der Kette dahinten.“ Bevor sie Yamato antworten konnte, hatte Taichi die Aufmerksamkeit auf die Kette gelenkt, die eine besondere Symbolik darstellte. Denn er wusste, dass Vergissmeinnicht ihre Lieblingsblumen waren und sie außerdem circa zehn Tagen Geburtstag hatte, auch wenn er diesen Gedanken in den letzten Wochen immer beiseitegeschoben hatte. „Na da hat aber jemand ein sehr gutes Auge“, erwiderte sie anerkennend und nahm die Kette aus der Fassung, um sie Taichi zeigen zu können. Er wagte einen kurzen Blick, da er sie nicht lange ansehen musste, um sie wissen, dass es ihr gefallen würde. Mit glänzenden Augen richtete er den Blick zur Verkäuferin, die bereits ein gutes Geschäft witterte. „Also das Armband kostet 2.827 Yen und die Halskette 3.958.“ Taichi schluckte als er den Preis hörte. Zwar lag der Preis für eine Halskette deutlich im Rahmen, aber für ihn waren 3958 Yen viel Geld. In den letzten Monaten hatte er sehr sparsam gelebt und sein Erspartes meist nur in Notfällen angerührt. Würde er die Kette kaufen, hätte er jetzt schon sein ganzes Geld für diesen Monat ausgegeben. Verunsichert wich er zurück und bemerkte auch, dass Yamato eher skeptisch dreinblickte. „Ähm, wir werden später nochmal kommen. Wir wollen erstmal unsere Freunde suchen“, wimmelte Yamato sie höflich ab, während sie enttäuscht die Kette zurücklegte. „Okay, ich bin ja den ganzen Abend hier“, antwortete sie zuversichtlich als sich die beiden freundlich von ihr verabschiedeten und sich vom Stand entfernten. Taichi haderte noch immer mit seinem Gewissen, da ihm die Kette durchaus gefallen hatte. Doch war er bereit sein ganzes Geld auf den Kopf zu hauen, nur um ihr eine Freude zu bereiten? Genau genommen war das doch eher die Aufgabe ihres ach so tollen Freundes. „Irgendwie war das Armband echt ganz schön teuer gewesen“, grübelte Yamato und ließ seine Hände in den Taschen seines dunkelblauen Yukatas verschwinden. „Umtauschen kann man die sicher nicht mehr, falls es Sora nicht gefallen würde. In Schmucksachen ist sie wirklich sehr eigen.“ „Mhm…“, gab Taichi nur von sich als er abrupt stehen blieb und sich ein Herz fasste. „Ähm, weiß du…geh‘ ruhig schon mal vor! Ich muss noch etwas erledigen.“ Verwirrt zog Yamato die Augenbrauen zusammen als er eine Kehrwendung machte und ihn einfach stehen ließ. „Hey, wo willst du denn hin?“ „Ich komme gleich wieder. Nur keine Sorge“, beruhigte er ihn als er sich nochmal kurz zu ihm zuwandte, sich dann aber direkt wieder in Bewegung setzte. _ Es dauerte nicht lang, bis er den Rest gefunden hatte. Doch sein Blick lag ganz klar auf ihr. Sie trug die Haare zu einem seitlich geflochtenen Zopf und hatte einen rosafarbenen Yukata mit zartem Blumenmuster angezogen, der sich seitig an ihre blasse Haut schmiegte. Wehmütig starrte er zu ihr und konnte nicht verbergen, wie sehr es ihn schmerzte, sie so vertraut mit Makoto zu sehen. Immer wieder schenkte sie ihm einen schmachtenden Blick und kuschelte sich noch mehr in seine Arme, sodass Taichi am liebsten nur noch kotzen wollte. Mit einer versteinerten Miene ging er zu den anderen und stellte fest, dass er nicht der einzige war, von dem jegliche Spur fehlte. Während sich Mimi angeregt mit seiner Schwester und Yolei unterhielt, ging Yamato mit Juro und Ryota, der zusätzlich noch seine Freundin Akane mitgebracht hatte, gedanklich die nächsten Auftritte durch. Taichi hingegen fühlte sich ziemlich deplatziert. Er suchte angestrengt nach dem Rest, da er sich wenigstens mit Daisuke noch über Fußball unterhalten konnte, auch wenn ihn selbst dieses Thema wegen des Stipendiums bereits nervte. „Wo hast du denn deinen Bruder gelassen?“, fragte Taichi überrascht, da er Takeru und den Rest der Jungs nirgends finden konnte. Yamato beugte sich ihm etwas entgegen und deutete in die Richtung der Essenstände. „Davis hatte mal wieder Kohldampf und Takeru, Cody sowie Ken haben sich bereit erklärt ein paar Getränke zu organisieren, während sich unser Vielfraß erstmal den Bauch vollschlägt. Ich habe dir ein Bier mitbestellt, ich hoffe, dass ist okay.“ Taichi nickte nur geistesabwesend und war sich nicht sicher ob er heute überhaupt Alkohol trinken wollte. Doch auf Festen war es eben üblich und auch niemand sagte etwas zu dem alltäglichen Feierabendbier, dass sein Vater früher auch immer getrunken hatte. Mittlerweile waren aus eins, mindestens drei geworden. Wieder erhielt seine Stimmung einen gewaltigen Dämpfer, da er einfach nicht aufhören konnte, sämtlichen Alkohol mit seinem Vater in Verbindung zu bringen. Auch er würde heute mit einigen Kollegen Tanabata feiern. Bestimmt in seiner Lieblingskneipe, die zu seinem zweiten Zuhause geworden war. Und egal, was Taichi auch sagte oder tat, er wusste, dass er das Verhalten seines Vaters nicht mehr ändern konnte. Er war in einem Teufelskreis gefangen, der ihn immer weiter runterzog und seine Familie gnadenlos mitriss. Deprimiert presste er die Lippen aufeinander als er etwas sah, dass seiner miesen Stimmung die Krone aufsetzte. Mit geweiteten Augen beobachtete er, wie Makoto seine Hand über Mimis Hinterteil wandern ließ und mit gleichmäßigen Streicheleinheiten verwöhnte. Eine unbändige Wut stieg in ihm auf, sodass er die Augen zu Schlitzen zusammenkniff und kurz vorm Explorieren stand. Wie konnte es dieser Kerl nur wagen, sie in der Öffentlichkeit so zu berühren? Und wieso tat sie nichts dagegen? Gefiel es ihr etwa? Angespannt bewegte er seinen Kiefer knackend hin und her, während sich sein Herz stechend zusammenzog und er es nicht länger mitansehen konnte. „Ich muss hier weg“, grummelte er erbost zu Yamato, der völlig aus seinen Gedanken gerissen wurde und seinen besten Freund perplex anstarrte. „Was? Warum denn?“ Doch er reagierte nicht mehr auf seine Frage, setzte sich einfach nur wütend in Bewegung, während Yamato ihm etwas Unverständliches nachrief, was er allerdings nicht mehr verstehen konnte. Er musste einfach dringend hier weg. Er musste wieder runterkommen. Durchatmen und einen kühlen Kopf bewahren. Polternd kam er bei einigen Bambusbäumchen an, sah wie verliebte Pärchen ihren größten Wunsch aufschrieben und hoffnungsvoll daran befestigten. Er stöhnte genervt auf und drückte seinen schmerzenden Körper gegen eine Wand, die sich direkt neben dem Bambusbäumchen befand. Traurig fasste er in die Tasche seines Yukata und ertastete eine längliche Schachtel, die die pure Enttäuschung um sein Herz legte. Wieso war er so dumm gewesen und hatte tatsächlich diese dämliche Kette gekauft? Was hatte er sich denn nur davon erhofft gehabt? Das sie ihm direkt um den Hals fiel, Makoto augenblicklich vergaß und dann mit ihm zusammen sein wollte? Gott, er war so naiv. Am besten sollte er die Kette wieder zurückbringen und sein harterspartes Geld zurückverlangen. Doch was sollte er der Verkäuferin nur sagen? Ein „Sorry, ich hab’s mir anders überlegt“, käme sicherlich nicht gut an. Niedergeschlagen senkte er den Kopf und ließ seine Arme kraftlos neben seinem Körper baumeln, während er fieberhaft überlegte, was er mit dem Geschenk nun machen sollte. Vielleicht schenkte er es seiner Schwester zum Geburtstag oder seiner Mutter, die sich über Schmuck immer wieder freute. Jedoch war das nicht dasselbe. Schließlich hatte es ja eine tiefere Bedeutung, auch wenn er sie nicht genau kannte. Er seufzte mutlos als plötzlich eine zarte Stimme sein Ohr erreichte. „Na, willst du dir etwas wünschen?“ Überrascht blickte er sie unvermittelt an und erkannte, dass sie direkt vor ihm stand und ihn milde anlächelte. „Ich bin wunschlos glücklich“, antwortete er sarkastisch und rappelte sich auf. „Und du? Wünschst du deinem Freund ein paar Manieren herbei?“ Sein Ton war scharf und die Eifersucht spiegelte sich in jedem einzelnen Wort wieder. „Ach darum geht es dir also“, stellte sie mit einem süffisanten Grinsen fest. „Weil er mir an den Hintern gefasst hat? Ich habe doch gewusst, dass du deswegen abgehauen bist.“ Erbost blitzen ihre Augen auf, was Taichi jedoch unbeeindruckt hinnahm. Sie sollte ruhig wissen, dass es ihm etwas ausmachte. „Na und? Der Typ will doch nur mit dir ins Bett und du merkst es noch nicht mal“, pfiff er gereizt und achtete weder auf seine Wortwahl, noch darauf, was er zu ihr sagte. Es war ihm genau genommen scheiß egal. Was hatte er noch zu verlieren? „Sag mal spinnst du? Wo kommen denn auf einmal diese lausigen Unterstellungen her?“, sie stemmte die Arme in ihre Hüfte und schüttelte fassungslos den Kopf. „D-Du bist so unfair. Wir wollen heute alle eine schöne Zeit miteinander verbringen und du ziehst seit ich mit Makoto zusammen ständig ein Gesicht. Du bist echt so erwachsen, Taichi.“ Unbeeindruckt sah er sie an und lehnte sich lässig gegen die Wand. „Ach, das ist dir aufgefallen? Dann weißt du auch sicher, warum ich diese Beziehung einfach nur zum Kotzen finde.“ „Taichi!“, brüllte sie schrill und erweckte die Aufmerksamkeit der Leute, die sich in ihrer Nähe befanden. „Nein, du wirfst mir ständig vor, dass ich Scheiße gebaut habe, aber du bist selbst nicht besser“, sprach er aus und spürte, wie sich ein kalter Griff um sein Herz legte. „Erst lässt du zu, dass ich dich küsse und dann steckst du ihm genüsslich die Zunge in den Hals. Bravo Mimi, tolle Show.“ Plötzlich spürte er, wie sich sein Kopf leicht zur Seite legte und sich ein unvermittelter Schmerz auf seiner linken Wange ausbreitete. Völlig perplex fasste er sich an seine Wange und rieb behutsam darüber als er ihren Blick auffing und sie ihre Hand sinken ließ. Ihr standen die Tränen in den Augen und ihre Mundwinkel hingen schmerzerfüllt nach unten als sie sich schnurstracks von ihm entfernte und zu den abgelegenen Toiletten verschwand. Taichi fuhr sich schuldbewusst über seine Wange, da er bemerkte, dass das was er zu ihr gesagt hatte, weitaus mehr als unter die Gürtellinie ging. Dabei hatte es doch gar nicht so gemeint. Er wollte doch nur, dass sie endlich aufwachte und erkannte, dass sie ihm nicht egal war. „Mimi, warte…“, rief er ihr nach und rannte ihr hinterher. _ „Lass mich gefälligst in Ruhe“, jammerte sie weinerlich, ohne sich umzudrehen. „Warte doch“, forderte er sie auf und versuchte ihren Arm zu packen, was ihm jedoch nicht gelang. Ohne stehen zu bleiben, steuerte sie die Toiletten an, während Tai ihr mühevoll hinterhereilte. Diese dämlichen Holzsandalen! Er konnte darin gar nicht richtig rennen und drohte ständig umzuknicken, was ihm das Aufholen sichtlich erschwerte. Doch auch Mimi hatte ihre Probleme, stolperte öfters, sodass er sie doch noch kurz vor den Toiletten einholen konnte. Er packte sie am Arm und wirbelte sie herum. „Lass mich sofort los!“, brüllte sie wütend und schlug nach ihm, was Tai jedoch abfangen konnte, indem er auch ihr linkes Handgelenk ergriff. Sie wand sich umher, stieß mit der Hauswand zusammen und keuchte schmerzerfüllt auf, während er sie immer noch festhielt und versuchte sie zu beruhigen. „Tai, verdammt nochmal, lass mich los!“, schrie sie als er den Griff um sie lockerte und sie sich kraftvoll von ihm riss und einen gewissen Abstand zu ihm suchte. „Es tut mir leid, mir ist ’ne Sicherung durchgebrannt. Ich hätte das nicht sagen dürfen“, sagte er entschuldigend. Mimi sah ihn mit einem unergründlichen Blick an und ihre Miene verfinsterte allmählich immer mehr, während lautlose Tränen ihre Wangen hinunter wanderten. „Du hast kein Recht, mich hier dumm anzumachen. Nicht du! Nicht derjenige, der mir das Herz gebrochen hat“, entgegnete sie mit bebender Stimme. Taichi schluckte. „Du hattest mehr als eine Chance und immer hast du mich vor den Kopf gestoßen. Jedes Mal“, erklärte sie ihm weinerlich. „Du hast alles kaputt gemacht.“ Unruhig kaute er auf seiner Unterlippe herum, biss sich einige Hautfetzen ab, während er erkannte, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Nein, nicht nur er hatte Fehler begangen. Doch immer bekam er die Schuld in die Schuhe geschoben. Er war es einfach so leid, dass er für alles der Sündenbock sein sollte… Ein nüchterner Ausdruck legte sich über sein Gesicht als er sich zum Gegenangriff bereitmachte. „Ach ja? Ich habe alles kaputt gemacht? Wie sieht es denn mit dir aus? Hast du nie irgendwelche Fehler begangen, die du hinterher bereut hast? Oder willst du mir etwa sagen, dass das mit Michael kein Fehler war?“ Überheblich reckte er sich den Hals, wohlwissend einen ausschlaggebenden Punkt getroffen zu haben. Es war eine Wendung, die er damals weder kommen gesehen hatte, noch verstehen konnte. „Ich dachte damals ernsthaft, dass wir etwas ganz Besonders hätten, aber dann sagst du mir per SMS, dass du Michael geküsst hast und mit ihm zusammen bist. Per SMS! Weiß du wie ich mich damals gefühlt habe? Weißt du es?“, redete er sich in Rage und spürte, dass es lange überfällig war darüber zu sprechen. Sein Herz pochte wie wild gegen seine Brust. Seine traurigen braunen Augen fixierten Mimi, die sich stützend gegen die Wand lehnte und ihre Tränen nicht länger kontrollieren konnte. „Es war wahrhaftig beschissen und weißt du was noch beschissener ist?“, führte er weiter fort. „Die Tatsache, dass ich immer noch Gefühle für dich habe. Dass ich mir immer neue Hoffnungen gemacht und nach der Trennung eine zweite Chance herbeigesehnt habe. Und dann kam diese eine Nacht, die mir so unglaublich viel bedeutet hat, aber in der nächsten Sekunde einfach zu Staub zerfallen ist, so als wäre nie etwas passiert.“ Mimi stand ihm bebend gegenüber, ballte ihre Hände zu Fäusten und verzog das Gesicht. „Diese Nacht war einfach nur erniedrigend“, erwiderte sie schmerzerfüllt. Taichi stockte der Atem. „D-Du hast mir das Gefühl gegeben, etwas besonders zu sein und dann lieg‘ ich wie ausgeliefert vor dir und wünsche mir in dem Moment nur mit dir zusammen zu sein und dann, kurz bevor es soweit ist, sagst du einfach, dass du nicht kannst“, schwelgte sie mit weitgerissenen Augen in den schmerzlichen Erinnerungen der Vergangenheit. Es kehrte Stille ein und Taichi dachte über sein damaliges Verhalten nach, dass er als sehr verantwortungsbewusst aufgefasst hatte. Sie war an diesem Abend betrunken gewesen und hätte es sicher bereut unter diesen Umständen einen so wichtigen Schritt zu wagen. Er wollte sie damit ganz sicher nicht demütigen, aber er fand es falsch, ihre Situation auszunutzen, gerade weil er sich auch sein erstes Mal als etwas Besonderes vorgestellt hatte, auch wenn es letztlich nicht so war. „Du warst völlig betrunken gewesen und hattest dich von Michael erst getrennt gehabt…hätte ich das wirklich deiner Meinung nach ausnutzen sollen?“, stellte er ihr die Gegenfrage und spannte jeden Muskel seines Körpers an. Mimi überlegte kurz, fuhr sich über ihre geröteten Augen und strich sich einige störende Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten. „Ausnutzen? So nennst du das also?“, murmelte sie schwach. „Und was ist mit dem Mädchen? Mit dem Mädchen, mit dem du einfach so geschlafen hast? Wieso konntest du das nicht mit mir? Wenn ich dir so wichtig war, warum hast du einfach ’ne andere gevögelt?“, kreischte sie mit anklagender Stimme. Sein Herz setzte augenblicklich aus. War, dass ihr ernst? Wollte sie ihn verarschen? „Weil du mich in dieser Nacht eiskalt abserviert hast“, antwortet er rasend und fühlte, dass auch ihm die brennenden Tränen in den Augen standen. „Erinnerst du dich noch, an die atemberaubenden Momente, die wir miteinandergeteilt hatten? Wie wir uns gegenseitig berührt haben und die Zeit einfach nur stillgestanden hat?“ Er gestikulierte wild und ging ein paar Schritte auf sie zu, während sie förmlich in sich zusammensackte. Er baute sich vor ihr auf, stützte seine Hand neben ihrem Kopf an der Wand ab und kam ihr sachte näher. „Und im nächsten Atemzug hast du gesagt, dass es ein Fehler war. Alles. Das wir uns damals an Silvester niemals hätten küssen dürfen…“, flüsterte er ihr mit schwerer Zunge zu. Mimi kniff die Augen zusammen und schluchzte leise auf, während Taichi sich wie auf verlorenem Posten fühlte. Sein Schädel brummte und sein Herz fühlte sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart gefangen. Er wusste nicht, was er ihr noch sagen sollte. Er erkannte durchaus, dass sie mit sich selbst haderte und im Zwiespalt steckte. „Und Makoto will nur mit dir ins Bett. Ich habe gehört, wie er mit seinen Freunden darüber gesprochen hat“, setzte er noch eins drauf, auch wenn er sich denken konnte, dass diese unbedachte Äußerung Mimis Wut erneut entzündet konnte. Doch er wollte, dass sie die Wahrheit wusste. „Was fällt dir eigentlich ein?“ Ihre Stimme war ruhig, ihre Augen lagen bohrend auf seiner Haut und fixierten ihn leidvoll. „Ich bin mit ihm zusammen und du hast kein Recht irgendwelche Besitzansprüche zu stellen oder Lügen über Makoto zu erzählen.“ „Ich lüge aber nicht“, erwiderte er eindringlich als Mimi ihn barsch von sich drückte und ihm den Rücken zuwandte. „Ich will nur nicht, dass du verletzt wirst.“ Ihre gesamte Haltung verkrampfte sich und Taichi hoffte, sie doch noch erreicht zu haben. Angespannt vergrub er seine Fingernägel im rauen Stoff seines Yukata als Mimi sich über die Schulter hinweg zu ihm wandte. „Weißt du eigentlich wie ironisch sich das anhört? Ich glaube, du bist der letzte Mensch, der sowas zu mir sagen sollte. Makoto hat mich gern. Wir sind zusammen und ich mag ihn. Also halt dich da raus!“ Tai schnaubte und fuhr sich verzweifelt durch die Haare. „Was willst du mir jetzt damit sagen? Dass es endgültig vorbei ist?“ Anspannung durchzog seinen Körper als er auf ihre Antwort wartete. Es fühlte sich an wie Stunden, doch sie brauchte nur wenige Sekunden, um ihm die Antwort zu geben, die er nicht hören wollte. „Ja, das will ich“, wisperte sie unterkühlt, wandte den Blick von ihm und verschwand wieder aufs Festgelände. Kapitel 20: Im Rausch der Sehnsucht ----------------------------------- ♥ Mimi ♥ Ihr Herz raste als sie sich zurück aufs Festgelände begab und fröhlich gelaunte Menschen ihr entgegenkamen. Doch in ihr herrscht ein einziges Chaos. Ihre Gedanken sprangen zwischen Taichi und dem was er alles zu ihr gesagt hatte, hin und her. Er hätte sich keinen ungünstigeren Moment für so ein Geständnis aussuchen können. Warum tat er ihr nur sowas an? Jetzt, wo sie in einer Beziehung war, in der sie sich das erste Mal seit langem wohlfühlte. Und dann erzählte er auch noch so einen Unsinn über Makoto, nur um ihr eins reinzuwürgen. Makoto war ein Gentleman, der es noch nicht mal ernsthaft bei ihr versucht hatte. Zwar gab es zwischen ihnen schon die ein oder andere heiße Knutscherei, aber bisher waren sie noch keinen bedeutsamen Schritt weitergegangen, was Mimi verunsicherte. Klar, sie waren noch nicht lange zusammen, aber ein bisschen mehr Initiative wünschte sie sich schon, auch wenn sie das nicht einfach so sagen würde. In weniger als zwei Wochen hatte sie bereits Geburtstag. Ihren siebzehnten und nach all der Zeit war sie immer noch Jungfrau. Manchmal fragte sie sich ernsthaft, ob sie irgendetwas falsch machte, ob sie eine Beißzange dort unten hatte, die bisher alle Männer einfach nur abgeschreckte. Ja, sie war in dem Alter, wo man Erfahrungen sammeln und sich nicht von der Vergangenheit einholen lassen sollte. So würde sie niemals darüber hinwegkommen! Die harte Erkenntnis traf sie wie ein Schlag in die Magengrube und sie taumelte desorientiert über den freien Platz als sie eine kleine Mauer erreichte, gegen die sie sich benommen lehnte. Darüber hinwegkommen… Dieser Gedanke sollte sie nicht länger beherrschen. Sie wollte dieses Kribbeln in seiner Gegenwart nicht mehr spüren. Die Schmetterlinge, die in ihrem Bauch umherflatterten, wenn er ihr ein schiefes Grinsen schenkte. Der stechende Schmerz, der ihr zeigte, welcher Illusion sie sich jedes Mal hingab. Dabei wollte sie doch einfach glücklich sein. Doch was sollte sie nur tun, wenn ihr deutlich bewusst war, dass noch jemand weiteres in ihrem Herzen wohnte, der in ihr Emotionen auslöste, die ihr jedes Mal wohlige Schauer über den Rücken jagten? Sollte sie mit Makoto sprechen? Sollte sie etwa die Beziehung beenden, weil Tai immer noch einen zu großen Platz einnahm? Nein, das konnte sie nicht machen. Verzweifelt fuhr sie sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten. Sie ging etwas in die Hocke und atmete schwerfällig ein und aus. In ihren Augen standen noch immer die Tränen, die einfach nicht versiegen wollten. Hektisch fuhr sie sich über ihre Augenpartie als sie plötzlich ihren Namen hörte. Geschockt richtet sie sich auf und dachte für einen kurzen Moment, dass Tai ihr erneut gefolgt war, doch vor ihr stand nicht Tai. „Was machst du denn hier?“, fragte sie mit schwacher Stimme und fuhr sich mit dem Ärmel ihres Yukatas über ihre nassen Augen. „Naja, ich habe mir Sorgen um dich gemacht! Du bist so plötzlich verschwunden, dass ich einfach mal nach dir sehen wollte“, erwiderte er mit besorgter Stimme und trat näher an sie heran. „Ist alles in Ordnung bei dir? Du bist so blass und deine Augen…“ Mimi presste die Lippen aufeinander und überlegte für einen kurzen Moment, ob sie ihm einfach die Wahrheit sagen sollte. Dass sie verunsichert war und der Streit mit Tai, Zweifel in ihr gesät hatte. Als sie jedoch in seine tiefgrünen Augen blickte, sein warmes Lächeln betrachtete und an ihre schöne gemeinsame Zeit zurückdachte, brachte sie es einfach nicht übers Herz. „Ich glaube, ich habe einfach eine Allergie“, redete sie sich raus und rieb sich demonstrativ über die Augen. Ein sanftes Lächeln sollte ihn beruhigen, auch wenn das pure Chaos in ihrem Herzen herrschte. „Oh, wirklich? Wollen wir vielleicht kurz zu mir gehen? Ich wohne ja nur einen Block weiter. Vielleicht haben wir noch ein paar Allergiemittelchen zuhause“, antwortete er grinsend. Verblüfft starrte Mimi ihn an und konnte nicht glauben, dass er es ihr so leicht abgekauft hatte. Doch Makoto streckte ihr bereits die Hand entgegen, die Mimi nur sehr zaghaft ergriff. Seine Gesichtszüge erweichten sich als er seine Finger mit ihren verschränkte und bedacht mit ihr vom Gelände verschwand. Im tosenden Sturm der Vergangenheit machte sie sich auf den Weg zu ihrem sicheren Hafen, auch wenn sie wusste, dass sie seine Worte nicht vergessen konnte. Es fühlte sich fast so an wie damals. Wie in der Nacht, die alles zwischen ihnen veränderte. _ Sie kicherte als sie über eine kleine Mauer balancierte und ihre Arme weit ausgestreckt hatte. In einer Hand hielt sie eine Sektflasche, die sie mitgehen gelassen hatte, während er ihr behutsam folgte und stets ein Auge auf sie hatte. „Das kann ich noch voll gut“, lobte sie sich selbst und hob ihr rechtes Bein wackelnd an als er alarmierend zu ihr eilte und ihren Arm stützend erfasste. „Hey, du bist zu betrunken, um solche Experimente zu machen“, meinte er gespielt ernst, während sich ihre Miene schmollend verfinsterte. „Sei nicht so ein Spielverderber, Taichi“, motzte sie lallend und entzog sich seinem schützenden Griff. „Ich darf betrunken sein. Schließlich hat dieser Arsch mich mit einem anderen Kerl betrogen. Weißt du wie es ist mit einem Kerl betrogen zu werden?“, hakte sie nach und tippte ihm beherzt gegen die Brust, bevor sie einen großzügigen Schluck nahm. Sie setzte die Flasche an und etwas Sekt träufelte auf ihr Top, sodass sie sie abrupt von ihrem Mund absetzte und leise vor sich hin fluchte. „Nein, sowas ist mir bisher noch nicht passiert…“, antwortete er unsicher und scheute es ihrem energischen Blick standzuhalten, was Mimi ins Grübeln versetzte. Hatte sie etwa was Falsches gesagt? Möglicherweise war es wirklich unpassend gerade mit ihm über ihr jähes Liebesaus zu sprechen, besonders, weil sie immer noch sauer war und nicht verstehen konnte, warum Michael sie so belogen hatte. Gut, es konnte immer passieren, dass man sich in jemand anderen verliebte, aber in einen anderen Kerl?! Machte sie neuerdings die Männer etwa schwul? Hatte sie sich nicht genug angestrengt, oder warum fand er plötzlich einen Jungen so viel anziehender als sie? „Was hab‘ ich nur falsch gemacht?“, fragte sie niedergeschlagen und ließ die Flasche sinken. Taichi starrte sie ratlos an als er die Hände in seinen Hosentaschen vergrub und beiläufig mit den Schultern zuckte. „Sicher, dass er überhaupt auf Frauen steht?“ Entrüstet blickte Mimi ihn bei dieser Gegenfrage an und drehte sich auf zitternden Beinen zu ihm. „Willst du mir etwa sagen, dass ich die ganze Zeit seine Fake-Freundin war?“, fragte sie entsetzt nach und kam ins Straucheln. Ihr rutschte die Flasche aus der Hand, die prompt im weichen Gras landete, während sie wild mit den Armen umherfuchtelte und versuchte ihren festen Stand wiederzuerlangen. Doch die Schwerkraft entschied sich gegen sie und Mimi drohte jeden Augenblick die kleine Mauer hinunterzustürzen, als ihr Ritter in strahlender Rüstung auftauchte, um sie zu retten. Okay, wohl eher Ritter mit den wuscheligen Haaren und großen braunen Augen, die einfach voller Wärme auf ihren lagen, während sie sich auf seinen Schultern abstütze und er behutsam ihre Taille ergriff. „Das war echt ganz schön knapp, Prinzessin. Es wird Zeit, dass die holde Maid ihren Palasthof verlässt und das fleißige Fußvolk in Empfang nimmt.“ Ein Grinsen huschte über seine Lippen, während Mimi nur die Augen verdrehen konnte. „Wie lange willst du diesen Prinzessinnenvergleich noch machen? So langsam wird es wirklich sehr einfallslos.“ „Ach wirklich? Ich finde es immer wieder witzig“, entgegnete er amüsiert und wollte ihr gerade runterhelfen als der nächste Konter bereits auf ihrer Zunge lag. „Klar, dass du sowas sagst. Du könntest sicher als Clown auftreten. Mit der Frisur fehlt dir wirklich nur noch die rote Nase“, teilte sie scharfsinnig aus und wollte ihm gegen die Nase tippen, die sie prompt verfehlte. „Ich glaube, du hast für heute echt genug. Wir sollten zu den anderen gehen, schließlich wollten wir doch den ersten August unbedingt alle zusammen verbringen“, erwiderte er belustigt und hielt ihr Handgelenk sachte fest. Doch Mimi wollte nicht zu den anderen zurück. Sie wollte einfach ein bisschen Zeit mit ihm alleine verbringen, auch wenn sie das natürlich nicht zugeben würde. Es war das erste Mal seit Ewigkeiten, dass sie ihn seit der Sache mit Michael gesehen hatte. Sie hatte erwartet, dass er sie keines Blickes würdigen würde, dass er ihre Anwesenheit schlichtweg ignorierte und während des gemeinsamen Grillabend kein Wort mit ihr wechselte. Doch sie hatte sich getäuscht. Die alte Vertrautheit war nicht verflogen und das unaufhörliche Kribbeln hatte ihren Bauch eingenommen, nachdem sie nur einen kurzen Blick mit ihm ausgetauscht hatte. Sie spürte, dass noch immer etwas zwischen ihnen war. Etwas, dass man nicht beschreiben konnte, sondern sich einfach magisch anfühlte. Sie glitt die Mauer vorsichtig hinunter, seine Augen fest im Blick, bis sie ihm direkt gegenüberstand. Mimi spürte seinen warmen Körper, der sich gegen sie presste und bemerkte wie er den Kopf leicht zu ihr hinunterbeugte. Von ihren Gefühlen geleitet, streckte sie bedacht ihren Arm nach ihm aus und strich mit den Fingern zärtlich über seine Wange. Er schluckte schwerfällig, während sich seine gesamte Haltung anspannte und er scheinbar nicht wusste, was er von dieser liebevollen Geste halten sollte. Sein warmer Atem traf ihre zitternde Hand. Ihre Blicke begegneten sehnsuchtsvoll und ihnen wurde bewusst, dass das zwischen ihnen noch lange nicht vorbei war. „Mimi…ich…“, murmelte er mit rauer Stimme als ihre Bewegung einfror, sie ihre Hand sinken ließ und ihre Finger in dem weichen Stoff seines Shirts vergrub. „Bitte sag‘ jetzt einfach nichts…“, forderte sie ihn auf und spürte wie sich eine zarte Gänsehaut über ihren Körper legte, während er über ihre Arme wanderte und seine Hand hinter ihrem Nacken platzierte. „Das werde ich nicht…“, raunte er lustbetont, fuhr mit dem Daumen über ihre vollen Lippen und verkleinerte den Abstand zwischen ihnen. Er beugte sich langsam zu ihr hinunter, atmete unruhig und erfüllte ihren Körper mit purer Anspannung, die sich im sinnlichen Empfinden der Sehnsucht wiederfand und darauf wartete endlich seine Lippen schmecken zu dürfen… _ „Hier, bitte“, er reichte ein Glas Wasser an sie weiter, während sie sich auf seinem Bett bequem gemacht hatte. Sie war zum ersten Mal hier, da sie sich bisher immer nur in der Stadt oder in der Schule getroffen hatten. Seine Mutter arbeitete bei einer Gebäudereinigungsfirma und war immer noch auf der Arbeit, was bedeutete, dass sie die Wohnung für sich hatten. Dankend nahm Mimi das Glas Wasser entgegen und nippte kurz daran. Makoto entledigte sich währenddessen seinem Handy und Geldbeutel, die er auf seinem Nachttisch platzierte. Er reckte sich kurz und Mimi begutachtete sein breites Kreuz, dass in den dunkelgrauen Stoff seines Yukatas gehüllt war. Mimi konnte nur bestätigen, dass Makoto eine ziemlich gute Figur machte, auch wenn er in keiner Schulsportmannschaft war. Er war trozudem gut gebaut, groß und hatte ein markantes Gesicht, dass Mimi des Öfteren weiche Knie verursacht hatte. Vielleicht war es an der Zeit, sich fallen zu lassen. Möglicherweise, war das die einzige Chance Taichi hinter sich zu lassen. Mit Makoto einen sagenumwobenen Moment erleben, von dem sie mit Taichi nur träumen konnte. Was sprach auch dagegen? Sie waren doch fest zusammen und jedes Paar hatte irgendwann Sex. Die einen früher, die anderen eben später. Es gab keinen Zeitplan für sowas und für Mimi fühlte es sich nach der richtigen Entscheidung an, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie es nur tat, um Tai tatsächlich eins reinzuwürgen. Sie lächelte verschmitzt als Makoto zu seinem Bett schritt, sich direkt neben sie setzte und seine Hand sanft über ihre Wangen gleiten ließ. „Na, geht’s deinen Augen wieder besser“, fragte er behutsam und wagte einen kurzen Blick, um sich selbst zu vergewissern. „Denen geht’s wieder super“, lachte Mimi herzlich, reichte das Wasser an ihn weiter, sodass er es auf seinem Schreibtisch, der in der Nähe stand, platzieren konnte. „Wollen wir dann gleich wieder zurückgehen oder möchtest du noch ein bisschen hierbleiben?“ Ein keckes Grinsen schlich sich auf seine Lippen, während er sie erwartungsvoll ansah, so als würde er darauf hoffen, dass sie sich für die zweite Variante entschied. „Hier bleiben klingt auch nicht so schlecht“, raunte sie mit verführerischer Stimme und bewegte sich langsam auf ihn zu. „Wir waren ja bisher nur sehr selten alleine.“ „Das stimmt…“, bekräftigte er sie sinnlich als er seine Hand auf ihren Oberschenkel schob und sachte nach oben wanderte. Mimis Herz begann aufgeregt zu pochen und freudige Anspannung durchjagte ihren Körper, wie kleine Stromstöße, als Makoto seine Hand hinter ihrem Nacken vergrub und sie bestimmend zu sich zog. Begierig berührten sich ihre Lippen. Erst ganz zart, dann fordernder und viel wilder. Mimi krallte ihre Nägel in den rauen Stoff seines Yukata, während er mit der anderen Hand ihren Körper erkundete. Mit sanften Berührungen fuhr er ihre Seiten entlang, sodass es leicht kitzelte. Mimi grinste in den Kuss, während Makoto sich plötzlich auf sein Bett fallen ließ und Mimi mit sich runterzog, sodass sie auf ihm lag. Er wanderte mit seiner Hand ihre Taille hinunter, fuhr mit den Fingern ihr Becken entlang und legte seine Hand behutsam auf ihren wohlgeformten Po, den er wohltuend zu massieren begann. Ein leiser Seufzer löste sich von Mimis Lippen als Makoto kraftvoll zupackte und ihren Hintern mit gleichmäßigen Bewegungen durchknetete. Auch Mimi wurde etwas mutiger und verschwand mit ihren warmen Fingerspitzen unter seinem Yukata und begann zärtlich seine Brust zu streicheln, was ihm ein genüssliches Keuchen über die Lippen jagte. Er wagte den ersten Schritt und machte Anstalten ihren Obi hinter ihrem Rücken zu öffnen als Mimi doch kurz innehielt und sich einen Moment zum Nachdenken nahm. Skepsis durchdrang ihre Gedankengänge, die von Wut und Frustrationen vernebelt wurden. Wollte sie wirklich mit ihm schlafen? Er wusste nicht, dass sie Jungfrau war…was wenn es wehtat? Was wenn es völlig anders werden würde, wie sie es sich vorgestellt hatte? Würde sie sich überhaupt anders fühlen? Wäre sie danach ein anderer Mensch? Eine Frau, die man begehren konnte und sie es wert war, auf diese Art und Weise geliebt zu werden? Sie wollte diese Erfahrung schon so lange sammeln. Doch sie wollte sie mit ihm sammeln. Es in einer romantischen Atmosphäre erleben, ganz kitschig mit Rosenblättern und süßlichem Vanilleduft, der von tausend Teelichtern geschaffen wurde. Aber vielleicht war genau diese Vorstellung überholt. Sie wusste, dass Taichi und sie niemals diese besondere Erfahrung miteinander teilen würden. Er hatte sein erstes Mal lange hinter sich und hatte noch nicht mal mit der Wimper gezuckt, sie so dermaßen zu hintergehen. Wieso durfte sie nicht das gleiche Recht haben? Sie war jung und sie war es leid. Deswegen entschied sie sich dazu, es geschehen zu lassen. Ihr Verstand schrie, dass sie einen Fehler begehen würde, doch sie hatte bereits seine Hand genommen und sie erneut auf ihrem Obi platziert. Durch ein leichtes Nicken, gab sie ihm die Bestätigung, dass sie soweit war. Sie wollte es einfach hinter sich bringen. Langsam spürte sie, wie sich ihr Gürtel lockerte und er mit seinen Händen unter ihren Yukata verschwand. _ Er drückte sie sanft aufs Bett als er ihre Lippen sehnsüchtig attackierte. Mimi schlang sofort die Arme um seinen Hals und ließ sich, ohne groß darüber nachzudenken, auf seinen leidenschaftlichen Kuss ein, der ihr völlig den Verstand vernebelte. Sie erinnerte sich allerdings noch genau daran, dass er erzählt hatte, dass seine Eltern heute nicht zuhause waren und den Abend bei Freunden verbringen wollten. Als im Park ihre wilde Knutscherei begann, hätte sie nicht erwartet gehabt, dass sie in seinem Bett landen würden. Jedoch befand sich Kari immer noch auf dem Grillfest und würde auch so schnell nicht nach Hause kommen, was Mimi einfach als Gelegenheit nutzen wollte, um mit ihm ungestört Zeit verbringen zu können, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wo all das hinführen würde. Ihre Küsse wurden von Mal zu Mal intensiver und fühlten sich plötzlich so viel intimer an als die Küsse, die sie zuvor miteinander geteilt hatten. Sinnlich leckte er über ihre Lippen und drückte sich noch dichter an sie, sodass Mimi noch mehr in einem Rausch versank, begierig ihre langen Finger in seiner wilden Mähne vergrub und sich zaghaft mit der Zunge vortastete. Kaum berührten sich ihre Spitzen, war es um Mimi bereits geschehen. Leidenschaftlich begegneten sich ihre Zungen, schlugen feurig gegeneinander als Tai unvermittelt begann ihren zierlichen Körper zu erkunden. Sie zuckte leicht zusammen, während er ihre Taille entlangwanderte und mit den Fingerkuppen über den dünnen Stoff ihres Shirts hoch zu ihren Brüsten strich. Zaghaft, fast schon übervorsichtig näherte er sich ihrem Brustkorb als er die flache Hand auf ihrer rechten Brust platzierte und sie etwas unsanft durchknetete. Er ließ von ihrem Mund ab, küsste ihren Hals hinunter und saugte sich an ihrer Halsbeuge fest, sodass es leicht kitzelte. Sie legte den Kopf etwas zur Seite, damit er besser drankam, während seine Berührungen immer fordernder wurden und langsam sogar etwas wehtaten. Hatte er vergessen, dass die Dinger angewachsen waren oder war er einfach nur nervös? Ein leises Stöhnen überkam ihre Lippen, jedoch nicht, weil es sie erregte. Seine Bewegungen wurden immer unangenehmer, besonders nachdem er seine Finger in ihre weiche Brust drückte und… „Aua!“, beschwerte sich Mimi empört und drückte ihn von sich runter. „Hast du mir gerade in die Brust gekniffen? Soll ich das mal bei dir machen? Das tut weh!“ Verdattert setzte er sich auf und blickte sie völlig verblüfft an. Mit so einer Reaktion hatte er wohl ganz und gar nicht gerechnet. „Aber ich dachte euch Frauen gefällt sowas“, murmelte er beschämt. „Wo hast du das denn aufgeschnappt? In Pornos?“, wetterte sie verständnislos und verschränkte die Arme schützend vor ihrer Brust. „Naja…ähm…irgendwo muss man sich ja Inspiration holen“, lachte er nervös und fuhr sich hektisch durch die Haare und grinste schräg, was Mimi wiederum sehr niedlich fand. Ein versöhnliches Lächeln legte sich über ihre Lippen als sie sich ihm wieder näherte und seinen Mund erneut in Beschlag nahm. Überrascht erwiderte er ihre stürmische Liebesbekundung, während sie zärtlich seine Hand ergriff und sie behutsam auf ihre Brust legte. Wenn er es eben nicht besser wusste, musste sie es ihm eben zeigen. „Du darfst nicht so fest zupacken. So ist es sehr schön für mich“, flüsterte sie gegen seine Lippen und zeigte ihm wie viel Druck er ausüben musste und welche Streicheleinheiten ihr besonderes gefielen. Seine Bewegungen waren sanfter und gleichmäßiger als vorher und ließen sie in ihrer eigenen Trance versinken. Wieder verteilte er kleine Küsse an ihrem Hals, wanderte zu ihrem Dekolletee und bedeckte ihr süßliches Fleisch mit zärtlichen Liebesbissen. Ihr Puls beschleunigte sich, ihr Herz pochte unkontrolliert gegen ihre Brust und zwischen ihren Beinen spürte sie ein wohliges Prickeln, dass von ihrer eigenen Entdeckungslust angetrieben wurde. Sie ließ sich langsam wieder auf die Matratze sinken als Tai sich über sie beugte und seinen Unterleib gegen ihren presste. Sie platzierte ihre Hände auf seinem Rücken, während er wieder den Weg zu ihrem Mund zurückfand und sie in einen hitzigen Kuss verwickelte. Seine Lenden drückten genau gegen ihre heiße Mitte als sie bestimmend mit ihren kühlen Fingern seinen Rücken hinunter wanderte und unter seinem Shirt verschwand. Sie fuhr seine erhitzte Haut entlang und spürte wie sich die kleinen Härchen aufstellten, während sie versuchte das störende Stückchen Stoff weiter nach oben zu raffen. Tai unterbrach den Kuss keuchend, setzte sich etwas auf und zog sich das T-Shirt selbstständig über den Kopf. Mimi schluckte leicht, da sie ihn plötzlich ohne Shirt dasitzen sah, auch wenn sie diesen Anblick durchaus schon gesehen hatte und nicht verneinen konnte, dass er ihr sichtlich gefiel. Sie biss sich auf die Unterlippe und zog ihr Lippenfleisch begierig nach hinten, als auch sie sich aufsetzte und ihr Top auszog, achtlos auf den Boden warf sowie ihren schwarzen Spitzenbh vor ihm präsentierte. Tai schluckte hart als sie mit den Fingern hinter ihrem Rücken verschwand und den Verschluss ihres BHs öffnete. Sie streifte ihn ab und hielt die Körbchen vor ihrer Brust fest. Was tat sie hier nur? Was waren sie gerade im Begriff zu tun? Doch jeder klare Gedanke, der ihr vernunftgeleitetes Ich in so einer Situation beherzigt hätte, wurde ausgeschaltet. Sie ließ den BH sinken und entblößte ihre nackte Brust vor ihm, die er mit großen Augen unverhohlen musterte. „Ist wohl das erste Mal, dass du sowas siehst“, raunte sie verführerisch und wartete darauf, dass er wieder einen Schritt auf sie zukam, doch er saß wie versteinert vor ihr, unfähig irgendetwas zu tun. Ein wenig belustigt starrte sie ihn an, auch wenn es sie erleichterte, dass er genauso unerfahren war wie sie selbst. Oft fragte sie sich, wie weit er wohl mit anderen Mädchen gegangen war, da ihr Sora erzählt hatte, dass er seit Mimi die Beziehung mit Michael eingegangen war, sich vermehrt mit dem anderen Geschlecht auf Partys vergnügt hatte. Auch wenn es sich wohl nur um Rumknutschen handelte, konnte Mimi nicht verbergen, dass sie allein dieser Gedanke störte. Er in den Armen einer anderen. Es ließ sie fuchsteufelswild werden und die Eifersucht durch ihren Körper jagen, sowie sämtliche wirren Bilder vor ihrem inneren Auge abspielen. Sie wollte, dass es passierte. Dass es jetzt passierte. Hier mit ihm. Er war ihr erster Kuss gewesen, der erste Mensch, dem sie sich aus unerfindlicher Weise so verbunden fühlte, dass es ihr sogar manchmal Angst machte. Doch darüber wollte sie im Moment nicht nachdenken. Bestimmend beugte sie sich ihm entgegen, wanderte mit ihrer zarten Hand zu seiner Hose und berührte ihn an seiner empfindlichsten Stelle. „Mimi…was soll das?“, fragte er mit schwerer Stimme und kniff die Augen zusammen, nachdem ihre Bewegungen fordernder wurden. Sie öffnete den Knopf und zog den Reißverschluss nach unten, während sie mit ihren kühlen Finger in seiner Unterhose verschwand. Mit den Lippen erreichte sie sein Ohr und atmete unregelmäßig als sie das in Worte fasste, was sie sich von Herzen wünschte. „Bitte…schlaf mit mir“, säuselte sie zuckersüß in sein Ohr und ließ ihn erstarren. Ungläubig fing er ihren glühenden Blick auf, unfähig etwas zu sagen. „Bitte…“, flehte sie wieder und bewegte die Hand über seine erigierte Männlichkeit. Tai entwich ein leises Seufzen als sie zusätzlich noch die Lippen auf seinen Hals legte und sein empfindliches Fleisch reizte. Sie wollte es. Sie wollte ihn. Gott verdammt. Warum stellte er sich nur so quer? Fand er sie etwa nicht attraktiv genug? Wollte er deswegen diesen entscheidenden Schritt nicht mit ihr gehen? Sie wollte sich schon verunsichert von ihm zurückziehen als sie seine Finger plötzlich an ihrer Jeans wahrnahm und spürte, wie er langsam den Knopf löste. Anspannung durchzog ihren Körper, während sie ihre süßen Verführungsversuche unterbrach, ihn bestimmend ansah und merkte, dass sie ihn endlich soweit hatte. Er zog den Reißverschluss ihrer Jeans nach unten, brachte sie dazu sich hinzulegen und entfernte quälend langsam das raue Stück Stoff, das ebenfalls auf dem Boden landete. In ihren Augen spiegelte sich aufkommende Erregung wieder als er mit den Fingern ihre erhitzte Haut entlangwanderte und ihren Slip gierig nach unten zog… _ Er berührte sie so, wie Taichi sie einst berührt hatte. Mit gleichmäßigen Bewegungen, trieb er sie an den Rand des Wahnsinns, ließ ihre Lust ins Unermessliche wachsen und sie in eine Art Rausch verfallen. Nach ihrem kurzen, aber intensiven Vorspiel, rang Mimi atemlos nach Luft, während sie ihren Kopf in sein weiches Kissen drückte. Er beugte sich über sie als er ihr einen eindringlichen Kuss auf die Lippen hauchte und danach von ihr abließ, um sich ein Kondom aus der Nachttischschublade zu holen. Mimi beobachtete angespannt, wie er es sich überzog und erinnerte sich, dass sie sich bereits schon mal in haargenau der gleichen Situation befunden hatte. Damals hatte ein Satz, alles zum Einsturz gebracht. Sie stand vor der gleichen Schwelle, auch wenn sie sich sicher war, dass Makoto keinen Rückzieher machte. Als er fertig war, positionierte er sich direkt vor ihr, während ihr Herz drohte aus der Brust zu springen. Sie krallte sich angespannt in sein Spannbetttuch, als er sich langsam vortastete, vorsichtig in sie eindrang und Mimi einen brennenden Schmerz vernahm, der sie komplett verkrampfen ließ. Sie spannte ihren kompletten Unterleib an und musste gegen den Drang ankämpfen, die Beine nicht sofort zusammen zu pressen. Sie verzog das Gesicht schmerzerfüllt, während Makoto die Augen geschlossen hatte und unbeirrt weitermachte sowie versuchte noch tiefer in sie einzudringen. Sie biss die Zähne fest aufeinander und musste sich zusammenreißen, nicht jeden Augenblick vor Schmerzen laut loszuschreien. Was war das nur? Alles spannte sich an und der brennende Schmerz durchzog ihren Unterleib qualvoll. Er drückte sich noch weiter in sie als sie auf einmal ein erleichterndes Gefühl vernahm und er für einen kurzen Moment stillhielt. Mimi atmete keuchend aus, entspannte ihre Finger, die sich vor wenigen Sekunden noch ins Laken gekrallt hatten und legte die Arme um seinen Nacken, als er erneut zustieß. Sie spürte immer noch einen leichten Schmerz, aber es war erträglich, auch wenn sie sich das Ganze schon „besonderer“ vorgestellt hatte. Sie spürte abgesehen von dem leichten Schmerz rein gar nichts. Zwar versuchte Makoto sein bestes, berührte sie immer wieder an ihren empfindlichsten Stellen, aber die Gefühle von damals wollten sich einfach nicht wieder bei ihr einstellen. Weil Makoto einfach nicht er war. Ein leises Stöhnen durchzog den Raum, als Mimi die Lider schloss und sein Gesicht plötzlich vor ihrem inneren Auge erschien. Wie er sie mit seinen warmen braunen Augen ansah, ihren Körper mit begierigen Küssen bedeckte und sie mit seinen gefühlvollen Bewegungen in die unbändige Ektase trieb. Sie blinzelte leicht als Makotos Gesicht immer mehr verschwamm. Seine stechenden grünen Augen wichen dem sanften braun. Seine kurzen Haare wurden länger und heller, während das Mondlicht seine sonnengebräunte Haut zärtlich ummantelte. Wie erstarrt riss Mimi plötzlich die Augen auf und konnte nicht glauben, wen sie plötzlich vor sich sah. Er lächelte sie verschmitzt an, verwickelte sie in Sekundenschnelle in einen leidenschaftlichen Kuss, den sie nur zu gern erwiderte. Ihre Zungen strichen feurig gegeneinander, als sie wieder seine geschickten Finger zwischen ihnen spürte, die die lodernde Hitze ins Unermessliche trieb. Sie bewegte sich fordernd gegen ihn, während sie ein Tempo fanden, dass ihnen beiden zusagte. Sie seufzte während den einzelnen Küssen als er fester in sie stieß und einen reizbaren Punkt streifte, der ihr den Atem zum Stocken brachte. Von der Lust getrieben säuselte voller Erregung seinen Namen, während er laut stöhnend seinen Höhepunkt erreichte. „Taichi“, raunte sie lustbetont als er immer langsamer wurde und ihr glühendes Feuer zum Abklingen brachte und gegen pures Entsetzen eintauschte. Völlig perplex presste sie die Lippen aufeinander und konnte selbst nicht fassen, was sich gerade von ihnen gelöst hatte. Makoto zog sich langsam aus ihr zurück, während er sich erschöpft auf die andere Bettseite niederlegte und ausdruckslos zur Decke starrte. Hatte er sie überhaupt gehört? Um Gottes Willen…hoffentlich nicht. Sie hatte nicht seinen Namen genannt…wie sollte sie ihm das nur erklären, wenn er es doch mitbekommen hatte? Panik machte sich in ihr breit, doch Makoto sagte nichts zu ihr, sondern drehte sich einfach entkräftet zur Seite, ohne erneut näheren Kontakt zu ihr zu suchen. Mimi musterte seine Rückansicht wortlos, da ein dicker Kloß ihren Hals blockierte und ihr die Stimme nahm. Am liebsten wäre sie sofort aus dem Bett gesprungen, doch sie lag wie angewurzelt neben ihm. Regungslos. Völlig überfordert. Schwerfällig drehte sie sich ebenfalls zur Seite und platzierte ihre zitternde Hand unter dem weichen Kopfkissen, an dem Makotos Duft haftete. Ihre Brust wurde von einer unangenehmen Schwere umhüllt, die ihr das uneingeschränkte Atmen fast unmöglich machte. Einen gewaltigen Fehler begangen zu haben, machte sich in ihr breit. Die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart waren ihr vollkommen entglitten und zeigten ihr das, was sie sich von Herzen gewünscht hatte, aber so niemals passiert war. Sie war gefangen im Schein der unbändigen Sehnsucht, die im Schatten der Vergangenheit ruhte. _ „Ich kann das nicht“, sagte er mit zitternder Stimme und zog sich abrupt von ihr zurück. Seine Stimme hallte immer noch in ihren Ohren als sie nur sehr langsam realisierte, was er da zu ihr gesagt hatte. Sie rutschte nach oben, presste reflexartig ihre Schenkel zusammen und schützte ihren nackten Oberkörper mit ihren Armen. „Wie du kannst nicht? Aber ich sehe doch, dass du…“, ihr stockte der Atem. Was war nur plötzlich in ihn gefahren? Sie waren kurz davor miteinander zu schlafen und dann machte er einen Rückzieher? „Mimi, ich glaube wir machen da einen Fehler. Das erste Mal sollte doch etwas Besonders sein…“ Etwas Besonderes? Ihr Herz setzte aus. Das hier war also nichts Besonderes? Ein kalter Schauer erfasste sie als sie merkte, dass sie sich einer Illusion hingegeben hatte. Ihre Finger begannen zu zittern, während sie ihre Nägel schmerzvoll in ihre Haut rammte, um sich von ihrem qualvoll schreienden Herzen abzulenken. Sie hatte ernsthaft gedacht, dass dieser Abend alles hätte ändern können? Dass sie perfekt miteinander verschmolzen und eins ergaben? Dass sie erkannten, dass sie nur einen gemeinsamen Weg gab, den Mimi nur mit ihm begehen wollte? Dabei waren sie an einer Weggabelung angekommen und er hatte sich gegen sie entschieden. Mimi wurde mit voller Wucht von diesem Gedanken getroffen, der ihre Kehle zuschnürte, ihr die Luft zu Atmen raubte und ihr die Tränen in die Augen trieb. Auffällig begann sie zu blinzeln, während er einfach nur so dasaß und schuldbewusst den Kopf gesenkt hatte. „Es tut mir leid, aber das wäre nicht richtig“, startete er einen erneuten Erklärungsversuch, doch Mimi wollte es nicht hören. Reflexartig sprang sie aus seinem Bett und kramte nach ihrer Wäsche, die auf dem Boden verteilt lag. „Mimi…jetzt warte doch mal!“, rief Tai alarmierend und packte sie am Arm. Doch Mimi riss sich sofort los und sah ihn durchdringend an. „Fass‘ mich nicht an!“, brüllte sie außer sich und die Tränen glitzerten in ihren Augen. „Aber so habe ich das gar nicht gemeint! Du hast das gerade völlig falsch aufgefasst!“ „Ach wirklich? Hab‘ ich das?“, hakte sie mit schriller Stimme nach, als sie in ihre Unterwäsche stieg und sich die Haare hektisch aus dem Gesicht strich. „Du hast recht, das war ein Fehler! Alles was zwischen uns passiert ist, war ein Fehler. Angefangen mit dem Kuss an Silvester.“ Geschockt weiteten sich seine Augen, während sie ihre Hose schnappte und sie eilig wieder anzog. Sie musste dringend hier weg. Die Tränen brannten schon in ihren Augen, aber sie wollte sich nicht auch noch die Blöße geben, vor ihm zu weinen. „Das meinst du doch jetzt nicht ernst?“, fragte er mit gebrochener Stimme. „Doch“, meinte sie bestimmend, griff nach ihrem Top und zog es schnell über ihren Oberkörper, um sämtliche nackten Stellen vor ihm zu verbergen. Es war so demütigend. Er hatte sie nackt gesehen, an Stellen berührt, an denen sie noch niemand zuvor berührt hatte. Er hatte in ihr Gefühle ausgelöst, die sie noch nicht kannte. Lust, Erregung, Verbundenheit, Scham. Ein flaues Gefühl erfasste ihren Magen und ihr wurde augenblicklich schlecht. Sie hatte ihm vertraut und sich insgeheim nichts sehnlicher gewünscht gehabt, wie diesen unvergesslichen Moment mit ihm zu erleben. Doch Dornröschen war aufgewacht und leider stand kein Prinz vor ihr, der sie wachgeküsst hatte und mit ihr in den Sonnenuntergang reiten wollte. Es war ein Traum und würde immer einer bleiben. Sie wandte ihr Gesicht von ihm, als sie sich in Bewegung setzte und zur Tür stürmte. Tai rief ihr hinterher, doch sie reagierte nicht mehr. Es war vorbei. Ihr Traum war zerplatzt. _ Eine kalte Brise erfasste sie als sie sich in ihren Yukata kuschelte und völlig desorientiert durch die Gegend wanderte. Es war mittlerweile schon sehr spät geworden, sodass es keinen Sinn mehr machte, dass Tanabata zu besuchen. Das Feuerwerk war schon vor einigen Stunden gewesen und ihre Freunde waren mittlerweile bestimmt alle schon nach Hause gegangen, weshalb sie ruhelos durch die Straßen Tokios schlenderte. Sie hatte es einfach bei Makoto nicht mehr ausgehalten. In einem günstigen Moment hatte sie die Flucht ergriffen und wollte sich gar nicht vorstellen, was er am nächsten Tag über ihren plötzlichen Abgang dachte. Sicherlich wäre er enttäuscht, aber sie konnte ihm nicht noch länger das verliebte Mädchen vorspielen, dass sie nicht war. Sora hatte die ganze Zeit recht gehabt. Sie hatte sich vollkommen verrannt und ihr erstes Mal wahllos verschenkt, so als wäre es ihr nichts wert gewesen. Wütend über sich selbst, ließ sie sich an einer kleinen Bushaltestelle nieder, die sie auf dem Hinweg zu Makoto entdeckt hatte. Von ihrem schlechten Gewissen gepackt kauerte sie sich zusammen und spürte wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie hatte jemand völlig Unbeteiligten in ihr Drama mitreingezogen und unglücklich gemacht. Wie sollte sie sowas nur wieder gut machen? Bestimmt konnte sie morgen noch nicht mal in den Spiegel sehen, weil sie sich vor sich selbst einfach nur ekelte. Sie fuhr sich hilflos über ihre Augenpartie als plötzlich ein grelles Licht auf sie zukam und immer heller wurde, bis es auf einmal vor ihr erlosch. Sie legte den Kopf zur Seite und spürte, wie ihre Lippen zu zittern begangen, als er den Fahrradhelm auszog und bedacht auf sie zugeschritten kam. Ein mildes Lächeln zog sich über seine Lippen und seine kurzen Haare standen unordentlich zu Berge. Mimi biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe und schämte sich ein wenig, ihn extra aus dem Bett geklingelt zu haben. Sie wusste, dass er diese ganzen traditionellen Feste mied, weil es einfach nicht sein Ding war, sich mit so vielen Menschen auf einem Haufen zu befinden. Und dennoch hatte er sich dazu bereit erklärt, sie hier abzuholen, als sie ihn vor einer halben Stunde völlig hysterisch angerufen hatte. Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie dankbar sie ihm war. Abrupt sprang sie von der Bank auf, auf die sie sich kurz gesetzt hatte, und rannte auf ihn zu, um die Arme um seinem Herz zu legen. Herzzerreißend begann sie laut los zu schluchzen und vergrub ihr Gesicht in dem weichen Stoff seines Shirts. „Um Himmels Willen Mimi, was ist denn passiert?“, fragte er besorgt und tätschelte etwas unbeholfen ihren Hinterkopf. Mimi schniefte und zog die Nase etwas hoch, während sie ihn durchdringend ansah und die Schuld ihr Herz vereinnahmte. „Izzy, ich habe Mist gebaut“, gab sie kleinlaut zu und suchte erneut Halt in seinen Armen, den er ihr ohne einen Einwand oder nervige Nachfragen genehmigte. Izzy war einfach immer für sie da, egal was auch passierte… Bitte Nachwort beachten! Kapitel 21: Die Ruhe vor dem Sturm ---------------------------------- ♥ Taichi ♥ Sein Leben war schlichtweg zum Kotzen. Ein Drama à la Wilhelm Shakespeare, ohne Aussicht auf ein Happy End. Er versuchte zu verstehen, was am Wochenende geschehen war. Hatte er sich tatsächlich mit Mimi gestritten und sie quasi damit sogar in Makotos Arme getrieben? Er hatte gemerkt, dass er es zu weit getrieben hatte, Worte verwendete, die er hinterher zu tiefst bereute, aber nicht mehr zurücknehmen konnte. Er hatte sie sogar noch eine ganze Zeitlang gesucht gehabt, weil er sich bei ihr entschuldigen wollte, doch seine Hoffnungen auf eine baldige Versöhnung wurden jäh zerstört als Yamato ihm mitteilte, dass sie mit Makoto das Fest verlassen hatte. Seither hatte er nichts mehr von ihr gehört, obwohl er ihr einige Nachrichten hinterlassen hatte, die einen versöhnlichen Unterton anstrebten. Denn auch wenn es ihm schwerfiel, musste er akzeptieren, dass sie zurzeit in einer Beziehung war. Dass er sich nicht einfach dazwischendrängen konnte, nur weil es ihm gerade in den Kram passte. Er hatte zisch Gelegenheiten gehabt mit ihr zu sprechen, ihr zu sagen, dass sie ihm mehr bedeutete als nur eine gute Freundin, aber er hatte den Schwanz eingezogen. Die Gelegenheiten einfach verstreichen gelassen, bis es zu spät war. Er könnte sich heute noch dafür in den Hintern treten, dass er damals nach dem Kuss nicht direkt mit ihr darüber gesprochen hatte. Vielleicht wäre dann alles anders verlaufen. Schwerfällig schleppte er sich zum Schultor als er plötzlich einen Klaps gegen seinen Hinterkopf spürte. Ruckartig schnellte er herum und sah in Yamato dämlich grinsendes Gesicht. „Morgen“, brummte er schlechtgelaunt. „Man, du ziehst ja immer noch ein Gesicht! Ich dachte, du hättest es wenigstens schon ein bisschen verdaut“, flötete er erstaunlich fröhlich, was nur eins bedeuten konnte. „Na, ist deine Liebste etwa wieder fit oder warum klebt dieses nervige Grinsen auf deinem Gesicht?“, hakte er nach, ohne auf das vorherige Gespräch näher einzugehen. „Herrje, du bist aber ganz schön gehässig. Sie ist auch deine beste Freundin! Du hättest dich ruhig mal öfter bei ihr melden können“, entgegnete er leicht vorwurfsvoll und traf Taichi damit mehr als er wollte. Verbittert verzog er das Gesicht, da ihm auffiel, dass er sich aufgrund des ganzen Dramas wirklich wenig bei Sora gemeldet hatte. Er wusste noch nicht mal, ob er auf ihre letzte SMS geantwortet hatte… „Geht es ihr denn wieder besser?“, fragte er versöhnlich und hoffte, dass es Sora ihm nicht übelnehmen würde. Allerdings verstand sie ihn sogar besser als Matt, was wohl daran lag, dass sie sich schon seit der frühsten Kindheit kannten. Matt hatte oftmals andere Ansichten, wie er, weshalb sie auch immer noch manchmal aneinandergerieten. Doch genau das machte ihre Freundschaft aus. Kesse Sprüche mit einem Hauch Sarkasmus, der besonders bei dem Blonden oft unabsichtlich mitschwang. „Es war ja nur ’ne Magen-Darm-Grippe“, winkte er sofort ab. „Übermorgen will sie schon wieder in die Schule kommen. Heute und morgen wollte sie sich noch ein bisschen ausruhen, aber ich habe ihr gestern eine Kleinigkeit gekocht und sie hatte wieder guten Appetit, was ich mal als gutes Zeichen sehe.“ „Ach du hast gekocht? War wieder der Hausmann unterwegs? Also, ich glaube wirklich, dass Sora…“, er hielt augenblicklich inne als die Aufmerksamkeit der beiden auf eine große Menschentraube fiel. „Was ist denn da los?“, fragte Yamato, während Taichi nur ratlos mit den Schultern zuckte. Etwa eine Schlägerei? Nein, dass konnte er sich nicht vorstellen, dafür war es doch viel zu ruhig. „Lass uns mal nachsehen gehen“, schlug Taichi neugierig vor und bog nach links in Richtung des Schulhofs ab, statt zu den Schließfächern zu gehen. Etwas widerwillig folgte Yamato ihm, sagte jedoch nichts weiter. _ Gezielt drückten sie sich an der Menschenmenge vorbei, während Tai einige Wortfetzen der tratschenden Mädchen auffing, die er einfach nicht zusammenfügen konnte. Das Getuschel untereinander war sehr laut und beide hatten Schwierigkeiten sich durchzudrücken, was Taichi jedoch nicht davon abhielt es weiter zu versuchen. Plötzlich vernahm er eine brüllende Stimme, die ihm sofort einen Stich versetzte. Er erkannte die Stimme sofort, auch, dass sie geweint haben musste. Krächzend schrie sie ihr Gegenüber an als Taichi sich endlich nach vorne durchgedrückt hatte, dicht gefolgt von Yamato, der völlig perplex hinter ihm stehen blieb. „Das ist ja Mimi…“, kam über seine Lippen, doch Taichi war ganz auf sie fixiert. Wie sie zerbrechlich in der Mitte stand, umringt von zahlreichen Gaffern, die ihren bösen Zungen Ausdruck verliehen. „Ich hab‘ gehört, dass die beiden am Wochenende Sex hatten“, hörte er ein Mädchen neben ihm sagen, die gerade mit ihrer Freundin sprach. Sein Körper spannte sich augenblicklich an als er den Blick starr zu Mimi gerichtet hatte, die immer noch mit Makoto wild und ungehalten diskutierte. „Warum hast du das gemacht?“, fragte sie verzweifelt und ließ die Arme träge neben ihrem Körper baumeln. Erst jetzt fiel Taichi auf, dass auch Koushiro in ihrer Nähe war und einen besorgten Blick auf ihre brünette Freundin gerichtet hatte. Hektisch fuhr sie sich durch die Haare, während Makoto sie mit einem unterkühlten und abgeklärten Blick ansah. „WARUM?“, schrie sie unvermittelt und riss erbost die Augen weit auf. „Ich habe es nur Shinji erzählt. Ich konnte doch nicht wissen, dass er es gleich in der Schule rumerzählt“, erwiderte er nur verständnislos. Entgeistert klappte Mimi der Mund auf, während sie fassungslos mit sich selbst rang. „D-Du…was soll das? Warum erzählst du ihm überhaupt davon? Das war eine Sache zwischen uns beiden! Oder war das etwa nur ein bescheuertes Spiel für dich gewesen?“, hakte sie weinerlich nach und Taichi konnte sich schon denken, was das zu bedeuten hatte. Sie hatte tatsächlich mit ihm geschlafen. Ernüchterung machte sich in ihm breit und trieb die beißende Wut nach oben. Am liebsten würde er diesem Kerl sofort eine reinhauen. Er ballte die Fäuste und richtete einen hasserfüllten Blick zu Makoto, den er gar nicht bemerkte. Auf einmal bemerkte er, wie jemand sein Handgelenk berührte. Ruckartig drehte er sich zur Seite und sah in Yamatos mahnende Augen. „Beruhig dich, ja?“ Mürrisch verzog Tai die Mundwinkel nach unten, entspannte aber seine Hände wieder als Makoto erneut das Wort ergriff. „Was soll ich denn dazu jetzt sagen?“ „Na, die Wahrheit! Ich will wissen, warum du es rumerzählt hast! Was zur Hölle soll das?“ „Ach willst du das? Weißt du was ich wissen will?“, stellte er ihr die Gegenfrage und ging bedrohlich einen kleinen Schritt auf sie zu, sodass Mimi etwas zurückwich. Taichis Körper spannte sich erneut an. Er war bereit im schlimmsten Fall dazwischen zu gehen. „Warum du einen anderen Namen stöhnst, während wir Sex haben? War ich für dich etwa nur ’ne beschissene Ablenkung gewesen, weil der Kerl dich nicht vögeln wollte?“, brüllte er verletzt und wich wieder ein ganzes Stück zurück. Mimi blieb fassungslos an Ort und Stelle stehen, während sich ihre zitternden Finger im Saum ihres Rockes vergruben und ihre Tränen lautlos über ihr Gesicht rannen. Tai atmete unruhig und konnte das Gehörte gar nicht richtig verarbeiten als Mimi kurz den Blick zur Seite warf und ihn in der Menschenmenge entdeckte. Ihre Augen weiteten sich unter Schock, sodass sie panisch den Blick von ihm wandte, ihre Schultasche vor ihren Füßen schnappte, sich weinend an der Menge vorbeidrückte und zu den Toiletten lief. Für einen kurzen Moment überlegte Tai ihr nachzulaufen, doch Izzy hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und folgte ihr zügig. Yolei schien mal wieder zu spät zu kommen, da er sie noch nicht entdeckt hatte und sie spätestens jetzt Mimi hinterhergerannt wäre. Eine allgemeine Unruhe durchzog die Menge, auch wenn sich bereits innerhalb weniger Sekunden kleine Grüppchen gebildet hatten und Tai sowie Yamato ratlos zurückließen. Makoto ging zu seinen Freunden, die ihn grinsend in Empfang nahmen und ihm anerkennend auf die Schulter klopften. Makoto hingegen blickte traurig zu Boden und presste schweigsam die Lippen aufeinander. Wütend biss Taichi die Zähne zusammen als Matt Makoto nachdenklich fixiert hatte. „Was für ein Arsch. Ich würde ihm am liebsten die Fresse polieren“, gab Taichi boshaft zu. „Ich werde mit ihm reden! Jetzt!“, warf Yamato ein. „Halt dich einfach ruhig! Es bringt nichts, gleich auf ihn loszugehen, wenn du nicht genau weißest, was passiert ist.“ „Nimmst du ihn etwa in Schutz?“, fragte er scharf und runzelte die Stirn. „N-Nein, aber…halt dich einfach ruhig“, antwortete Yamato unwirsch und ging auf Makoto zu, während Taichi alleine zurückblieb. _ Seine Gedanken schwirrten wild umher, während er aufgeregt nach ihr suchte und hoffte mit ihr reden zu können. Er verspürte das Bedürfnis sich bei ihr zu entschuldigen. Er hatte sich an Tanabata in Rage geredet und nicht wirklich darauf geachtet, was er ihr alles an den Kopf geworfen hatte. Nein, er befürchtete sogar, dass er sie gerade deswegen in Makotos Arme getrieben und er ihren Verwirrtheitszustand schamlos ausgenutzt hatte. Daher wartete er direkt vor ihrer Klasse auf sie, während ihre Klassenkammeraden langsam, aber zügig an ihm vorbeischritten. Doch sie konnte er nirgends entdecken. „Nanu, was machst du denn hier?“, fragte Koushiro überrascht und kam neben ihm zum Stehen. „Ähm…“, druckste er herum und tätschelte sich unsicher den Hinterkopf. „Ich wollte mal nach Mimi sehen. Sie war ja ganz schön fertig gewesen.“ Überrascht über seine eigene Ehrlichkeit, wanderte sein Blick erwartungsvoll zu Koushiro, der nur betroffen den Kopf gesenkt hatte. „Ihr war das alles ein bisschen zu viel gewesen“, begann er leise und setzte sich gemeinsam mit Taichi in Bewegung, um zur Mensa zu gehen. „Sie ist schon nach der ersten Stunde zur Schulkrankenschwester gegangen und hat ihr gesagt, dass es ihr nicht gut geht. Ihre Mutter hat sie daraufhin abgeholt, was vielleicht auch besser ist. Dieser Makoto ist wirklich ein Arsch“, fast schon voller Ekel spuckte sein rothaariger Freund diese Worte aus und verzog angewidert das Gesicht. Tai hingegen hatte nur am Rande mitbekommen, was alles passiert war. Anscheinend hatte Makoto seinem komischen Freund Shinji eine SMS geschrieben, dass er mit Mimi geschlafen hatte, die Nacht aber alles andere als berauschend für ihn war. Diese winzige Kurznachricht hatte daraufhin ein Eigenleben entwickelt, bis immer mehr davon wussten und dass Getratsche seinen Lauf nahm. „Echt krass, dass es auf dem Schulhof so eskaliert ist.“ „Ja…der Typ hat Mimi ja regelrecht vorgeführt. Und sowas schimpft sich ihr Freund“, knurrte Taichi bissig und konnte nicht verbergen, dass ihn das Ganze mehr als nur wütend machte. „Naja, ich glaube nicht, dass die beiden nach dem Streit noch zusammenbleiben werden. Sie war auf jeden Fall ganz schön fertig gewesen“, untermauerte Koushiro fest, während sie langsam die Treppen runterschritten. „Schon als ich sie am Samstag mitten in der Nacht von dieser Bushaltestelle abgeholt hatte…sie hat nur geweint und wollte sich überhaupt nicht mehr beruhigen.“ Überrascht blieb Taichi mitten auf der Treppe stehen, sodass einige Schüler aufpassen mussten, nicht gegen ihn zu rennen. Doch das was er da hörte, war neu für ihn. „Du hast sie abgeholt? Nachdem das mit Makoto war?“ „J-Ja“, antwortete Koushiro unsicher, da sein Tonfall etwas schärfer war als sonst. Doch wieso hatte Mimi Koushiro angerufen? Er war noch nicht mal auf dem Fest gewesen… „Sie hat bei mir übernachtet, weil sie nicht nach Hause gehen wollte. Du kennst doch ihre Mutter…sie ist immer so neugierig und Mimi wollte ihr dann am nächsten Tag einfach erzählen, dass sie bei Yolei geschlafen hat“, erklärte er ihm ausführlicher. Taichi verschränkte jedoch die Arme vor der Brust und konnte dieses seltsame Gefühl, dass in ihm aufkam, nicht richtig deuten. Irgendwie störte ihn hier etwas gewaltig. Er konnte nur nicht genau sagen, was es war. „Aber in Wirklichkeit hat sie dann bei dir geschlafen?“, fragte er ruppig als das beißende Gefühl der Eifersucht ihn überkam. Er wollte sich nicht vorstellen, wie sie sich mit einem anderen das Bett teilte. Selbst wenn es nur Koushiro war. Er hatte sie in den Armen gehalten, während sie sich in den Schlaf geweint hatte. Er hatte sie getröstet, ihr gut zugesprochen, obwohl, dass seine Aufgabe gewesen wäre. Nein, er hätte sie beschützen müssen. Es verhindern sollen, solange er noch die Zeit und die Gelegenheit dafür gehabt hatte. Doch jetzt war es zu spät. Selbst bei Matt hatte Makoto nur wenig Einsicht gezeigt und spielte sowohl die SMS als auch den Streit hinunter, was ihn ärgerte und fuchsteufelswild werden ließ. Langsam steig er die Stufen hinab als er vor Koushiro direkt zum Stehen kam und ihn dringlich anblickte. „Wir müssen irgendwas machen!“ „Etwas machen? Wie meinst du das denn?“, hakte er verwirrt nach und konnte sich keinen Reim darauf bilden, auf was er hinauswollte. Doch er konnte es nicht zulassen, dass dieser Makoto ungeschoren davonkam. Bestimmt würde er auch noch Matt dazu bekommen, ihm zu helfen, da auch er sehr geschockt über Makotos Verhalten war. Und je mehr Leute er an seiner Seite wusste, desto besser. Ein spitzbübisches Lächeln schlich sich über sein Gesicht als sich bereits eine Idee in seinem Hinterkopf breitmachte. Oh ja! Dieser Kerl würde dafür büßen… „Wir werden uns an Makoto rächen! Ich habe da sogar schon eine Idee“, schlug er geheimnisvoll vor, während sein unheilvolles Grinsen ins Unermessliche wuchs. Kapitel 22: Rache ist süß ------------------------- ♥ Mimi ♥ Am nächsten Tag schleppte sie sich tatsächlich wieder zur Schule. Ihr war es unsagbar peinlich ihren Klassenkameraden unter die Augen zu treten, besonders, weil auch viele das Streitgespräch zwischen Makoto und ihr mitangehört hatten. Sie konnte immer noch nicht fassen, was er getan hatte. Aber noch weniger konnte sie fassen, dass Taichi tatsächlich mit allem recht behielt und er sie wirklich nur warnen wollte. Sie fühlte sich benutzt, hintergangen und ärgerte sich über ihre eigene Naivität, die sie in diese beschissene Lage gebracht hatte. Doch Mimi konnte keinen Tag länger zuhause bleiben - nicht mit ihrer Mutter, die sie ständig auf Schritt und Tritt verfolgte, nur weil sie spürte, dass sie ihr versuchte etwas zu verheimlichen. Ihre Mutter hatte gerade in solchen Dingen feine Antennen, die jedes Mal Alarm schlugen, wenn Mimi etwas bedrückte. Jedoch schaffte sie es ihr gestern nicht die Wahrheit zu sagen, weshalb sie Migräne als Notlüge vorschob, in der Hoffnung sie würde sie in Ruhe lassen. Spätestens an ihrem Geburtstag würde sie erfahren, dass sie sich von Makoto getrennt hatte. Jedenfalls mehr oder weniger. Eine Trennung auszusprechen, war im Anbetracht der Tatsachen nicht mehr notwendig. Es war für beide klar, dass es endgültig vorbei war. Ursprünglich hatte sie Makoto am Montag zu ihrem Geburtstag eingeladen, den sie im Kreise ihrer Familie ganz klein feiern wollte. Nichts Großes eben, er sollte viel mehr dazu dienen ihren neuen Freund vorzustellen, der jetzt nicht mehr ihr Freund war und den sie auch so schnell nicht mehr sehen wollte. Und an diesen Trottel hatte sie ihr erstes Mal verschenkt. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr bereute sie es. Zum Glück hatte sie einen guten Freund, wie Izzy, dem sie alles erzählen konnte, auch wenn er heute seltsamer Weise nicht in der Schule war. Natürlich wäre normalerweise Sora ihre erste Ansprechperson gewesen, doch sie wollte sie nicht belästigen, gerade nicht, wenn sie krank war. Zumal sie sie sowieso vor Makoto bereits gewarnt hatte. Sätze wie „Ich habe es doch gewusst“, oder „Warum wolltest du nicht auf mich hören“, konnte sie im Moment gar nicht gebrauchen. Ihr Blick wanderte zu dem leeren Platz direkt neben ihr, während Herr Kudo euphorisch vor der Tafel stand und ihnen irgendwelche neuen Matheregeln näherbringen wollte. Traurig blickte sie durch die Klasse als sie plötzlich mit den Augen bei Kaori hängen blieb, die mal wieder fleißig mitschrieb und sämtliche Kleinigkeiten notierte. Ein müdes Lächeln zog sich über ihre Lippen als sie feststellte, wie sie unterbewusst ihren Ehrgeiz heimlich bewunderte. Sie schien genau zu wissen, was sie wollte und wie sie es auch umsetzen konnte. Mimi hingegen fühlte sich völlig verloren, gefangen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. _ Als die Stunde zu Ende war, packte Mimi lustlos ihr Bento aus, während einige Schüler bereits die Klasse verlassen hatten. Als sie hochsah, erkannte sie zwei Mädchen, die gerade zu ihr starrten und leise zu flüstern begannen, während sich bei Mimi Unwohl sein ausbreitete. Sie spürte die abschätzigen Blicke auf ihrer Haut, wie sie sie herablassend musterten und sich den Mund über sie zerrissen. Mimi presste die Lippen aufeinander, da sie kleine Wortfetzen mitbekam, die ihr alles andere als gefielen. „Wie kann man nur so billig sein? Sie waren doch noch gar nicht lange zusammen“, meinte die eine wertend und richtete einen bohrenden Blick auf sie. „War von ihr auch echt nicht anders zu erwarten. Sie hat in Amerika gelebt“, murmelte die andere, bis es Mimi zu bunt wurde. „Ich kann euch hören“, sagte sie mit fester Stimme und war nicht bereit sich die Blöße zu geben. „Wenn ihr mir das nächste Mal etwas zu sagen habt und sagt es mir lieber gleich ins Gesicht und macht es nicht so.“ Erbost verließ sie den Klassenraum und krallte ihre Nägel in die unnachgiebige Box, während ihr Appetit ins Bodenlose sank. Am liebsten wünschte sie sich Izzy oder Sora herbei, die jedoch heute ausgerechnet nicht da waren. Sie war allein. In ihren Augen sammelten sich Tränen an, die sie versuchte wegzublinzeln. Sie wollte nicht, dass sie jemand weinen sah. Nicht wegen der Makoto-Sache. Plötzlich berührte sie jedoch jemand an der Schulter, als sie ruckartig über ihre nassen Augen fuhr und sich langsam herumdrehte. Überrascht blickte sie in ein bekanntes Gesicht, das ihr ein mildes Lächeln schenkte. „Ist alles okay? Die Mädels da drinnen sind wirklich wahrhaftige Zicken“, erwiderte sie augenverdrehend. „Echt furchtbar.“ „Ja, irgendwie schon. Aber Akane und Rei waren ja schon immer so gewesen“, versuchte Mimi es abzuschwächen, auch wenn ihre Worte sie ganz klar trafen. „Du solltest dir wirklich nichts daraus machen. Dieser Typ ist wirklich ein Idiot und hätte sowas niemals rumerzählen dürfen“, bestärkte Kaori sie und setzte sich augenblicklich mit ihr zusammen in Bewegung. „Du hast es also gehört?“, fragte sie überrascht. „Mimi…“, knurrte sie beleidigt. „Nochmal zum Mitschreiben: Ich lebe nicht hinter dem Mond und besitze sowohl ein Handy als auch gut funktionierende Ohren.“ Peinlich berührt senkte sie den Kopf als ihr einfiel, dass sie sie so etwas Ähnliches schon einmal gefragt hatte. „Ist ja schon gut, ich hab’s verstanden“, ruderte sie lächelnd zurück und entdeckte in ihrer Hand ebenfalls ein Bento, dass Kaori mitgebracht hatte. „Und du gehst jetzt auch Mittagessen?“ „Ähm, ja klar. Aber ich wollte draußen essen. Drinnen fühle ich mich immer so beobachtet“, erklärte Kaori mit großen Augen. „Da fühlt man sich wie ein Affe im Zoo.“ Ohja, dieses Gefühl kannte Mimi nur all zu gut. Auch wenn sie sonst gerne die Aufmerksamkeit bezüglich ihrer Person genoss, könnte sie gerade auf solche wirklich verzichten. Das Verurteilende, was sich in den Augen mancher Schüler wiederspielte, empfand Mimi als unerträglich. Wieso wurde eigentlich nur sie verurteilt und an den Pranger gestellt, während Makoto als Macho gefeiert wurde? Sie könnte wahrhaftig kotzen, wenn sie sich sein selbstgefälliges Grinsen vorstellte… „Willst du vielleicht auch draußen essen? Ich kann mir vorstellen…“ „Klar, wieso eigentlich nicht“, fiel Mimi ihr sofort ins Wort und konnte selbst nicht ganz fassen, dass Kaori und sie einmal freiwillig zusammen Mittagessen würden. Es überraschte sie generell, dass sie sie angesprochen hatte, um ihr Mut zuzusprechen, da es normalerweise nicht ihre Art war. Kaori hielt sich bei Klatsch und Tratsch meist raus, fiel in der Schule nur aufgrund ihrer guten Noten immer mal wieder auf. Doch es war ganz schön, jemanden an ihrer Seite zu wissen, auch wenn sie es bei Kaori nicht erwartet hätte. Sie hatten auch nicht mehr sonderlich viel miteinander gesprochen, seit sie die Musikhochschule besucht hatten. Mimi war sich noch nicht mal sicher, ob Kaori realisiert hatte, dass sie ihr beim Violine spielen zugesehen hatte. Sie befand sich damals wie in einer anderen Welt. Zeigte ihr eine völlig andere Seite von sich, die Mimi nachhaltig ganz schön beeindruckt hatte. Vielleicht war sie in manchen Dingen etwas Anderes eingestellt als sie, dennoch spürte Mimi eine zarte Verbindung, die sie näher entdecken wollte. _ Langsam schlenderten sie auf den Pausenhof, als bereits eine allgemeine Unruhe zu bemerken war. „Schon wieder eine Massenansammlung? Ich glaube, wir könnten unser Krisenexperiment auch ganz gut hier durchführen“, meinte Kaori trocken, als sie sich den restlichen Schülern nährten, die komischerweise nach oben starrten. „Ich frag‘ mich, was jetzt schon wieder los ist“, murmelte Mimi ehrfürchtig und hatte schon Angst, dass es mit ihr zusammenhing, doch als sie hochschaute stockte ihr der Atem. Sofort klappte ihr der Mund auf, während sie Kaori am Ärmel packte und sie anwies nach oben zu schauen. „I-Ist das eine Unterhose? Am Fahnenmast?“, fragte sie völlig irritiert und sah ungläubig zu Mimi, die es ebenfalls nicht richtig fassen konnte. „Na los, lass uns mal nachgucken gehen“, schlug Kaori neugierig vor, nahm Mimi an die Hand und zog sie einfach mit in die Menge, auch wenn sie eher widerwillig mitging. Seit dem Streitgespräch mit Makoto, hatte sie auf solche Gaffer nur noch wenig Lust. Doch als sie sich näher nach vorne durchgeschlängelt hatten, konnte Mimi gar nicht fassen welches Bild sich vor ihren Augen bot. Es stand tatsächlich Makoto nur mit einem Handtuch bekleidet vor der gesamten Schule! „Lasst diesen verdammten Scheiß! Holt sofort meine Boxershorts da runter“, forderte er jammernd und hielt krampfhaft das Handtuch stützend um seine Lenden fest. Erst jetzt erkannte sie die drei Personen, die sich vor ihm aufgebaut hatten und ihn immer kleiner werden ließen. Überrascht und sprachlos zugleich beobachtete sie die Szene angespannt, als Yamato an Makoto näher herantrat und ihn abfällig musterte. „Also ich finde ja, dass Strafe schon sein muss, denn das was du gemacht hast, war wirklich unter aller Sau.“ „Und, dass was ihr macht, ist etwa okay?!“, geiferte er erbost als sein Handtuch etwas verrutschte und seinen Hintern etwas entblößte. Hektisch schlang er das Handtuch fester um seine Hüften, während sich sein Gesicht immer mehr verfinsterte. „Was denn? Wir haben uns doch nur deine Unterwäsche ausgeliehen sowie mit deiner Schuluniform und deinen schwitzigen Sportklamotten den Kirschbaum dahinten verziert. Ist doch nichts dabei“, antwortete Tai sorglos und grinste überlegen. „Ihr seid wirklich unfassbar. Was mischt ihr euch überhaupt in Angelegenheiten ein, die euch verdammt noch mal nichts angehen?“, knurrte er bösartig. „Ich glaube, dass hättest du dir echt vorher überlegen sollen. Du hast doch damit angefangen“, meldete sich nun auch Izzy zu Wort, der sich die ganze Zeit bedeckt hielt. Deswegen hatte er also den ersten Block geschwänzt. Er war gar nicht krank, sondern hatte gemeinsam mit Tai und Matt…oh Gott, sie konnte es gar nicht in Worte fassen, was die Jungs für sie getan hatten. Mimi wusste zwar, dass Yamatos Klasse im ersten Unterrichtsblock Sport hatte, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie die Gelegenheit dazu nutzen, um Makoto während dem Duschen, seine Sachen zu klauen und seine Unterhose am Fahnenmast zu hissen. „Wow, deine Freunde sind ja richtig resolut. Aber das geschieht dem Kerl wirklich recht“, flüsterte Kaori ihr zu, während Mimi beherzt nickte. Sie war gerührt, dass ihre Freunde sie so verteidigten und Makoto das Handwerk legten. „Wie kannst du nur sowas zulassen?“, hakte Makoto entrüstet nach und richtete den Blick zu Matt, der die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt hatte. „Ich dachte wir wären ein Team! Bedeutet dir die Band denn nichts?“ „Oh doch, aber trotzdem lasse ich nicht zu, dass du meine Freunde so behandelst. Du hast doch mit Absicht die SMS an Shinji geschickt, damit er es weitererzählt, nur um Mimi zu demütigen“, antwortete er mit fester Stimme. „Und ich glaube, es wäre besser, wenn du dir eine neue Band suchst.“ Völlig perplex riss Mimi die Augen auf, während Makotos Gesicht vollkommen entglitt. Er hatte ihn aus der Band geworfen. Wegen ihr! Sie konnte es nicht fassen. Genauso wenig wie Makoto, dessen Gesicht sich vor Wut rötlich verfärbte. „Das ist jetzt nicht dein ernst?! Du schmeißt mich ernsthaft raus? Wegen einer so einer beschissenen Schl…“ Mimi hielt die Luft an, als Makoto plötzlich von einem saftigen Kinnhaken getroffen wurde und leicht ins Straucheln kam, sich aber gerade noch so halten konnte. Erst hatte sie gedacht, dass es Taichi gewesen war, doch er wurde von Matt festgehalten, auch wenn sein Gesicht wahre Bände sprach und er Makoto am liebsten selbst eine verpasst hätte. Doch er war es nicht, sondern ihr zierlicher Freund Izzy, der sonst keiner Fliege was zu leide tun konnte. Überrascht blickten alle zu ihrem rothaarigen Freund, der selbst nicht fassen konnte, was er gerade getan hatte. Immer noch ungläubig betrachtete er seine geballte Faust, während Makoto sein Kinn schmerzverzehrt hielt und einen deutlichen Sicherheitsabstand einnahm. Es ging alles so schnell, dass Mimi es noch gar nicht realisieren konnte als plötzlich Herr Ichinose auftauchte und völlig außer sich in die Menschenmasse trat. „Was ist denn hier los?“, fragte er nach, blickte prüfend in die kleine Runde und sah nach oben. „Das ist doch jetzt nicht euer ernst?! Er hatte die Unterhose entdeckt, die seicht vom Wind erfasst wurde und sich sanft bewegte. „Ihr holt sofort die Boxershorts runter“, kommandierte er die Jungs und zeigte nach oben. „Und dann kommt ihr vier auf der Stelle in mein Büro! Ich fass‘ es nicht! Seid ihr völlig von Sinnen?!“ Wütend scheuchte er die Schülerschar davon, sodass Mimis nichts anderes übrigblieb, als mit Kaori das Feld zu räumen. Aus dem Augenwinkel heraus konnte sie einen wütenden Herrn Ichinose erkennen, der wild mit seinen Händen gestikulierte und versuchte die prekäre Lage zu lösen, auch wenn Mimi das Gefühl der Genugtuung durchaus gefiel. Makoto hatte es nicht anderes verdient und sie hoffte wirklich, dass ihre Freunde wegen ihr nicht allzu großen Ärger bekamen. _ Gegen Abend war tatsächlich etwas Ruhe eingekehrt. Nachdem ihre Mutter sich spontan mit einer Freundin verabredetet hatte, verbrachte Mimi den Nachmittag über alleine zu Hause und versuchte sich auf ihre Schulaufgaben zu konzentrieren, was ihr nicht sonderlich gut gelang. Ihre Gedanken sprangen immer noch wild hin und her und ließen es einfach nicht zu, dass sie sich konzentrieren konnte. Dass was Yamato, Izzy und Taichi für sie getan hatten…sie konnte einfach nicht mehr aufhören darüber nachzudenken. Besonders nicht, nachdem sie für ihr Verhalten so viel Ärger bekommen hatten. Yamato und Taichi mussten die ganzen Woche nachsitzen, während Izzy zusätzlich einen Aufsatz über „gewaltfreies Kommunizieren“ verfassen musste. Natürlich kam Makoto ungeschoren davon, weil man das Streitgespräch zwischen ihnen nicht beweisen konnte und Rache ebenfalls keine Lösung war, auch wenn sie sich echt manchmal unfassbar gut anfühlte. Und allein das reichte Mimi schon. Sie wollte es jetzt nur noch abhaken, es ihren Eltern schonenden beibringen und Makoto in nächster Zeit lieber aus dem Weg gehen. Sie seufzte leise, als sie sich von ihrer weichen Matratze erhob und ihre Schulsachen vor sich betrachtete. Irgendwie war ihre Motivation in den Keller gesunken und ihr Magen signalisierte ihr, dass ein leichtes Hungergefühl in ihr aufstieg, dass ihr wiederrum zusätzlich das Gehirn vernebelte. Sie brauchte unbedingt eine Pause, auch wenn sie nicht sicher war, ob ihre Mutter zum Abendessen überhaupt schon zuhause war. Ihr Vater war vor einer Stunde bereits nach Hause gekommen und wollte noch eine Präsentation vorbereiten, weshalb er sich in sein Arbeitszimmer verzogen hatte. Sie wollte ihn nicht stören, weswegen sie sich mit ausgestreckten Armen auf den Rücken fallen ließ und noch ein bisschen über diesen aufregenden Tag nachdachte. Sie hätte Izzy niemals zugetraut, dass er Makoto eine verpassen würde. Er war eigentlich immer derjenige, der einen kühlen Kopf in Stresssituationen behielt, während Taichi immer impulsiv reagierte und sich meist in irgendwelche brenzlige Situationen stützte. Bei ihm hätte sie es eher erwartet gehabt, vielleicht sogar auch ein bisschen erhofft, um ihre Ehre zu verteidigen. Aber Izzy war schneller gewesen, was Mimi ganz klar beeindruckt hatte. Sie musste sich etwas überlegen, wie sie sich bei allen bedanken konnte. Gerade bei Taichi, den sie nicht ernst genommen und dem sie wirklich unschöne Dinge an den Kopf geworfen hatte. Er wollte sie wirklich nur warnen, doch sie hatte es eiskalt ignoriert, weil sie mit der Vergangenheit einfach nicht umgehen konnte. Dabei hatte er sogar gesagt, dass er noch Gefühle für sie hätte…nach all der Zeit. Ihre Wangen wurden auf einmal ganz heiß, als ihr bewusst wurde, was er da zu ihr gesagt hatte. Ihr Herz pochte kräftig gegen ihre Brust, während sie ihre zitternden Hände betrachtete, die auf ihrem Bauch ruhten. Ob sie nochmal mit ihm reden sollte? Aber was sollte sie nur sagen? Dass sie an ihn während des Sex‘ mit Makoto gedacht hatte? Oh Gott…besser nicht…sowas konnte sie ihm doch nicht auf die Nase binden. Vielleicht sollte sie… Unvermittelt hörte sie, wie es kraftvoll gegen ihre Zimmertür klopfte. „Herein“, sagte sie matt und ihr Vater streckte grinsend den Kopf in ihr Zimmer, bevor er eintrat und sich vor ihr Bett stellte. „Mama hat mir gerade eine SMS geschrieben. Sie wollte mit ihrer Freundin noch etwas essen gehen und meinte, dass wir uns doch etwas bestellen könnten. Auf was hast du Lust?“ Mimi setzte sich auf und runzelte die Stirn. „Ich kann uns auch etwas kochen, wenn du magst. Außer du hast Angst, dass ich die Küche in Brand setze.“ „Dann müssten wir aber noch ein paar Kleinigkeiten besorgen. Der Kühlschrank ist fast leer“, informierte er sie lachend und ließ sich auf ihrem Bett nieder, bedacht sich nicht auf ihre Hausaufgaben zu setzen. „Apropos Essen. Ich habe am Montag einen Tisch reserviert. Bei deinem Lieblingsitaliener – ein Tisch für vier“, brüstete er sich, während Mimis Gesichtszüge prompt einfroren und sie betroffen den Kopf senkte. „Was ist denn los? Wolltest du etwa woanders essen gehen? Oder mag Makoto kein italienisch?“ „Doch, klar…“, sagte sie leise, hob aber den Kopf nicht an. Sie biss sich auf die Unterlippe und wollte es jetzt einfach hinter sich bringen. Einfach wie ein Pflaster abziehen, damit der Schmerz nicht so groß war. „Kannst du vielleicht einen Platz stornieren. Ich glaube, wir brauchen nur ein Tisch für drei“, gab sie niedergeschlagen zu und versteckte sich noch immer hinter ihrem Haarvorhang. Auch wenn sie von Makoto enttäuscht war und ihm am liebsten sonst wo hin wüschen würde, spürte sie plötzlich einen unsäglichen Schmerz in ihrer Brust, der eine Frage in ihr aufdrängte, der sie sich einfach nicht stellen wollte. Warum konnte sie keine Beziehungen halten? War sie etwa nicht liebenswürdig genug? Warum musste Makoto sie so ausnutzen und wieso konnte der, den sie haben wollte, nicht ein bisschen mehr Initiative zeigen? Gott, ihr Liebensleben war so frustrierend. „Oh…Schätzchen…“, kam es mitleidig von ihrem Vater, der nicht so richtig wusste, was er sagen sollte. „Wann ist das denn passiert?“ Mimi schluckte und richtete sich wieder auf. „Am Wochenende. Es gab Streit und…ich…ich hab‘ gemerkt, dass er nicht der Richtige war.“ „Naja, besser ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende“, sagte er überzeugend und berief sich mal wieder auf alte Sprichwörter, die ihm ihr Großvater beigebracht hatte. Wie hilfreich. Wieso war in solchen Augenblicken auch nie ihre Mutter in Reichweite? Ihre Ratschläge waren viel besser, als die von ihrem Vater. Doch ganz unvermittelt legte er seine Hand auf ihre und sah sie mit einem unergründlichen Blick an, den Mimi zuvor noch nie bei ihm gesehen hatte. „Ich weiß, dass solche Sprüche nicht hilfreich sind. Aber wenn er nicht der Richtige war und du das bemerkst, ist es besser ihn ziehen zu lassen. Es gibt so viele Menschen da draußen, aber nur wenige die einen von Herzen glücklich machen. Die einen müssen ein bisschen mehr suchen als die anderen, aber ich denke, ich spreche aus Erfahrung, wenn ich dir sage, dass du auch noch denjenigen findest, der dich sehr, sehr glücklich machen wird“, beendete er seinen Monolog, der Mimis Herz sofort erfasste und tief berührte. Ein mildes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als sie auf einmal die Arme um ihn legte und ihn fest an sich drückte. „Danke, Papa“, murmelte sie ihm entgegen, wohlwissend das er recht hatte. Liebe war alles andere als einfach, aber sie trug die süßesten Früchte, die man sich nur vorstellen konnte. Sie war bedingungslos und rein, sodass man sich einfach fallen lassen konnte, wenn man dem EINEN begegnete. Und Mimi war sich sicher, so sicher wie noch nie, dass sie ihm schon längst begegnet war. Kapitel 23: Ein besonderes Geschenk ----------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Also irgendwie hängt das völlig schief. Auf deiner Seite muss es noch ein Stückchen höher, Taichi“, dirigierte ihn seine beste Freundin mit einem kritischen Blick. „Man Sora, vorhin musste es noch ein Stückchen runter! Entscheid‘ dich mal“, nörgelte er, während er die Girlande mühsam über seinem Kopf hielt und einen genervten Blick zu Yamato warf, der das andere Ende festhielt. Murrend stellte er sich auf die Zehenspitzen, sodass er ein Stück höher kam, so wie es Sora von ihm verlangt hatte. „Jetzt richtig?“, fragte er und warf den Blick über die Schulter, während seine beste Freundin den Kopf schräg gelegt hatte. Sie hatte bereits den Hammer und ein kleines Kästchen mit Nägeln in den Händen, ehe sie bestätigend nickte und Tai erleichtert ausatmete. „Na endlich, mir schlafen schon die Arme ein“, murrte er gequält und hielt die Girlande mit einer Hand fest, um sich einen Nagel von Sora geben zu lassen. Etwas umständlich versuchte er die Girlande damit zu befestigen, platzierte den Nagel gegen die Wand und ließ sich den Hammer anreichen, um ihn festzuschlagen. „Pass auf, dass du dir nicht auf den Daumen schlägst“, ermahnte Sora ihn als er vorsichtig zu hämmern begann. „Hallo, sowas habe ich schon öfters…aua! Verdammt“, rief er und ließ die Girlande abrupt los, die zu Boden sank. Schmerzerfüllt befeuchtete er seinen Daumen und verzog automatisch das Gesicht. „Ich hab‘ es dir ja gesagt“, flötete sie unschuldig und ging in die Knie, um die Dekoration aufzuheben. „An deiner Stelle würde ich das nächste Mal besser auf sie hören“, stimmte Yamato mit ein, der immer noch das andere Ende festhielt. „Hört gefälligst auf euch gegen mich zu verschwören! Eure Paardynamik ist manchmal echt ätzend!“, knurrte er und hielt sich noch immer den Daumen, obwohl der Schmerz langsam nachgelassen hatte. Sora kicherte als sie mit Yamato die Position tauschte und er den Nagel sachte in die Wand schlug. Fünf Minuten später hing die Girlande mit dem Schriftzug „Happy Birthday“ endlich an der Wand. Tai hatte sich gerade aufs Sofa gesetzt, ehe sich Yamato zu ihm gesellte und Sora in die Küche verschwand. „Wollt ihr etwas trinken?“ „Ein Wasser wäre nicht schlecht. Diese ganze Party-Planerei ist furchtbar anstrengend“, seufzte der Brünette theatralisch und fasste sich demonstrativ gegen seine Stirn. „Du hast doch extra angeboten zu helfen“, stellte Yamato nüchtern fest. „Und außerdem haben wir doch jetzt auch erstmal Ferien. Da kannst du schon mal was machen, um fit zu bleiben, nicht, dass Herr Ichinose wieder meckert“, gab Sora zum Besten und hielt den beiden zwei Gläser Wasser vor die Nase, bevor sie sich selbst eins eingoss und sich zu ihnen gesellte. Sie setzte sich den Jungs gegenüber auf den Sessel und musterte sie grinsend. „Ich kann immer noch nicht fassen, dass ihr Makotos Unterhose gehisst habt. Das hätte ich echt gern gesehen“, meinte sie schadenfroh und nippte an ihrem Glas. „Ja, sein Gesicht war wirklich unvergesslich gewesen, obwohl wir ganz schön Ärger bekommen haben“, erinnerte sich Tai und trank ebenfalls einen Schluck. Die ganze Aktion war bereits über eine Woche her und obwohl sie Ärger bekommen hatten und Nachsitzen mussten, hatte es sich für Taichi mehr als gelohnt. Sie hatten diesem arroganten Arsch ganz schön die Leviten gelesen und Mimis Ehre verteidigt. „Ich bin immer noch fassungslos, dass ich mich so in ihm getäuscht haben soll“, erwiderte Yamato niedergeschlagen. „Er war plötzlich ein komplett anderer Mensch. So habe ich ihn noch nie gesehen.“ „Ich glaube du solltest in Sachen Menschenkenntnis besser auf Sora vertrauen. Sie hat es von Anfang an gesagt gehabt!“, merkte Tai an, auch wenn sich Sora bei dieser Aussage sichtlich unwohl fühlte. Sie wusste genau, was für Yamato auf dem Spiel stand. Denn mit dem Rauswurf von Makoto hatte sich ein deutliches Problem entwickelt: Die Band brauchte einen neuen Gitarristen. Und dass innerhalb eines Monats, da bald der langersehnte Bandwettbewerb stattfinden sollte. Zwar suchte Yamato bereits nach einem neuen Mitglied, aber bisher hatten sie nur wenig Erfolg gehabt. „Es tut mir echt leid, dass er sich tatsächlich als Arsch entpuppt hat und ihr jetzt einen neuen Gitarristen suchen müsst“, antwortete sie entschuldigend und ließ betroffen den Kopf hängen. Yamato setzte sich leicht auf und drückte seine Ellenbogen auf seinen Unterschenkeln ab, während er das Glas in seiner Hand drehte. „Du brauchst dich am allerwenigstens zu entschuldigen. Dass, was er gemacht hat, war unter aller Sau und ich bin echt froh, dass es Mimi mittlerweile bessergeht.“ Tai zuckte bei ihrem Namen zusammen, während sich Soras trauriger Blick etwas erhellte. „Ja, darüber bin ich auch sehr froh. Und ich glaube sie wird sich sehr freuen, wenn wir heute ihren Geburtstag nachfeiern.“ „Das denke ich auch. Und es ist echt nett, dass deine Mutter uns die Wohnung überlassen hat“, bestärkte Yamato sie, als er das Glas in einem Zug austrank, aufstand und Sora einen sanften Kuss auf die Stirn hauchte, der sie zum Lächeln brachte. Bedrückt beobachtete Taichi die beiden, sah, dass sie sich allmählich wieder annäherten und die vergangenen Streitigkeiten in der Gegenwart nichts mehr zu suchen hatten. Er fragte sich, ob es bei Mimi und ihm auch so einfach werden würde. Seit Tanabata hatten sie nur belanglose Gespräche miteinander geführt, weil sie keine Gelegenheit hatten unter vier Augen über ihren Streit zu sprechen. Heute würden sie ihren Geburtstag nachfeiern und Taichi hoffte auf eine Gelegenheit, sich bei ihr entschuldigen zu können. _ Gegen Abend trudelten immer mehr Gäste ein, die die Wohnung von Sora und ihrer Mutter gänzlich ausfüllten. Die meisten waren Klassenkameraden, die Taichi nur vom Sehen kannte. Er stand mit einer Flasche Cola mitten im Raum und beobachtete die einzelnen Gäste genau, als sein Blick an ihr hängen blieb. Sie stand direkt neben Koushiro, der sich gemeinsam mit ihr und einigen Klassenkameraden angeregt unterhielt. Sie lächelte verschmitzt und berührte sanft den Arm ihres besten Freundes, der ihr Zeitgleich einen liebevollen Blick zuwarf und entspannt einen Schluck seines Getränks zu sich nahm. Tai beäugte das Geschehen mit Argwohn. Die beiden standen sich schon immer sehr nah, aber seit Koushiro Mimi vor der ganzen Schule so verteidigt hatte, schienen sie sich noch näher zu stehen, während er auf der Stelle tappte. Nicht wusste, ob sie sich überhaupt nochmal so nahestehen würden. Es ärgerte ihn daher, dass er nicht an Koushiros Stelle war. Nicht locker mit ihr reden konnte, da die Vergangenheit ihm in seinem Nacken saß. Wie gerne würde er ihr sagen, dass sie heute Abend einfach nur fantastisch aussah? So wie sie sich grazil in ihrem luftigen Sommerkleid bewegte? Dass er nicht aufhören konnte, sie begeistert anzustarren, wohlwissen, seiner eigenen Sehnsucht zu verfallen, die wie ein Tropfen auf einem heißen Stein glühend verdampfte. Er biss sich auf die Unterlippe als er mit einer Hand zu seiner Hosentasche wanderte und eine kleine längliche Schatulle ertastete. Taichi hatte sein Geschenk nicht zu den anderen gelegt, da er auf Teufel komm raus es ihr persönlich überreichen wollte, auch wenn er sich deswegen nirgends hinsetzen konnte, ohne es aus seiner Hosentasche zu entfernen. Erst hatte er es zu den anderen Geschenken gelegt, doch in einem unbeobachteten Augenblick hatte er es wieder an sich genommen, um die Gelegenheit, Mimi alleine anzutreffen, nicht zu verpassen. Er frage sich, wie sie wohl auf sein Geschenk reagieren würde. Wäre sie überrascht? Erfreut? Perplex? Er konnte ihre Reaktion gar nicht einschätzen, wollte aber unbedingt dabei sein, wenn sie es öffnete. Sein Blick wanderte weiter und erspähte seine restlichen Freunde, die unbeschwert Zeit miteinander verbrachten. Daisuke gestikulierte ausdrucksstark mit den Händen, verzog das Gesicht als hätte er in eine überreife Zitrone gebissen, während seine Schwester sich vor Lachen den Bauch hielt und Takeru mit ihrem herzlichen Gelächter förmlich ansteckte. Yolei, Ken und Cody saßen gemeinsam mit Joe auf der Couch und prosteten sich beherzt zu, während der angehende Mediziner mal wieder eine Moralpredigt über zu viel Alkohol hielt. In einem unbemerkten Augenblick durfte Cody mal kurz an Kens Bier nippen, auch wenn es der Jüngste in der Runde prompt zu bereuen schien, was Tai anhand seines angewiderten Gesichts erschließen konnte. Generell waren sie eine sehr überschaubare Gruppe, auch wenn er seine besten Freunde nirgends entdecken konnte. Er trank seine Cola aus, stellte sie auf die Küchenzeile und beschloss Sora und Yamato einfach suchen zu gehen. Die beiden konnten sich ja nicht in Luft aufgelöst haben, auch wenn er sie schon länger nicht mehr gesehen hatte. Sie waren schon ziemlich betrunken gewesen und hatten ständig ihre neuentflammten Liebe zelebriert, weshalb Taichi voller Neid gar nicht mehr hinsehen konnte. Es war ja schön und gut, dass sie die Streitereien hinter sich gelassen hatten, aber musste sie ihm ihr Glück auch noch unter die Nase reiben? Frustriert ging er in Richtung Badezimmer, während die Musik dröhnend in seinen Ohren pochte. Er kam an Soras Zimmer vorbei und sah sofort, dass ihre Zimmertür geschlossen war. Aha, daher wehte also der Wind, dachte er sofort und konnte sich ein verwegenes Grinsen nicht verkneifen. Er schüttelte nur sachte den Kopf als er sich abwandte und ins Badezimmer ging. Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich erschöpft dagegen. Langsam pfriemelte er sein Geschenk hervor und betrachtete das bunte Papier gedankenverloren, ehe er sich schlapp auf dem Badewannenrand niederließ und herzhaft schnaufte. „Was mach‘ ich hier nur?“, murmelte er, während er sich durch die Haare fuhr und sich leicht nach vorne beugte. „Im Badezimmer sitzen und Selbstgespräche führen?“, ertönte hinter ihm eine Stimme, die ihn sofort erschrocken zusammenfahren und ruckartig herumdrehen ließ. Er erstarrte als er sie plötzlich hinter sich in der Badewanne sitzen sah. Hatte er sie nicht vor wenigen Minuten noch draußen mit Koushiro und ein paar Klassenkameraden stehen gesehen gehabt? Was machte sie hier nur? Und warum saß sie in der Badewanne? Sie lächelte vage und drehte ihre Flasche mit Mix-Bier unsicher in ihren Händen, während sie auf eine Reaktion von ihm wartete. Doch er fühlte sich wie zu Eis erstarrt. Wieso musste sie ihn immer so hinterrücks überraschen? So hatte er sich das Ganze allerdings nicht vorgestellt gehabt. _ „Und warum sitzt du hier so alleine? Macht die Party dir keinen Spaß?“, fragte er behutsam als sie einen kräftigen Schluck ihres Biers zu sich nahm. „Irgendwie wurde mir, dass alles ein bisschen viel. Die Zeit rast einfach nur so davon und niemand kann sie aufhalten, auch wenn ich mir manchmal echt eine Pause-Taste wünschen würde“, erwiderte sie traurig und blickte auf glatte Fläche der Badewanne, während sie ihre Beine dicht an ihren Körper zog. „Willst du auch einen Schluck?“ Sie hielt ihm die Bierflasche direkt vor die Nase als er sie zögerlich ergriff und an seinem Mund ansetzte. Er schmeckte noch den süßlichen Geschmack ihres Erdbeerlipgloss, der an der Flaschenöffnung haftete. Als er die Flasche abgesetzt hatte, reichte er sie wieder an Mimi weiter, in der Hoffnung, dass sie sich jetzt nicht hemmungslos betrinken würden. Es war eine günstige Gelegenheit mit ihr zu reden, er wusste nur nicht, wie er anfangen sollte. „Ich glaube, irgendetwas stimmt nicht mit mir“, sagte sie matt und blickte ins Leere. Überrascht sah Taichi sie an und konnte sich keinen Reim darauf bilden, was sie ihm damit sagen wollte. „Was? Wieso glaubst du das denn?“, hakte er unsicher nach und sah auf einmal, dass die Tränen in ihren Augen glitzerten. Sie platzierte ihre Flasche auf ihrem Knie und balancierte sie unruhig hin und her, bevor sie schwerfällig weitersprach. „Ich mache immer alles falsch. Schiebe die Menschen von mir weg, die es nur gut mit mir meinen und lasse wiederum andere Menschen an mich heran, für die es okay ist mich auszunutzen und damit rum zu prahlen.“ Er schluckte und beobachtete wie eine einsame Träne ihre Wange hinunter rann, sich an ihrem Kinn bündelte und auf ihr Kleid tropfte. Sie presste qualvoll die Lippen aufeinander, während Tai bewusst wurde, dass die Sache mit Makoto sie mehr verletzt hatte, als sie zugeben wollte. Dass Rache nur bedingt Erleichterung verschaffte, aber nicht den Schmerz vertrieb, der tief im Herzen wohnte. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme und senkte den Kopf so, dass ihr ihre Haare ins Gesicht fielen. „Ich hätte auf dich hören sollen…“ Verblüfft rutschte er etwas zu ihr als das Bedürfnis in ihm aufstieg, sie einfach in den Arm nehmen zu wollen. Sie zu trösten. Die starke Schulter zu sein, die sie jetzt brauchte. „Hey…“, ertönte zaghaft seine Stimme, ehe er seine Hand behutsam auf ihrem Rücken platzierte und sanft darüberfuhr. „Wir haben beide an diesem Abend dumme Dinge zueinander gesagt. I-Ich wollte dich davon abhalten, mit ihm mitzugehen, aber habe dich mit meinen Worten nur in seine Arme getrieben.“ Qualvoll richtete sie ihre feuchten Augen zu ihm, während stumme Tränen über ihre Wangen rollten. Taichi beugte sich etwas zu ihr vor, fuhr mit dem Daumen zärtlich über ihr nasses Gesicht und fing ihre Tränen ab. „Du solltest keine Tränen mehr an diesen Idioten verschwenden. Er verdient keine einzelne davon“, raunte er ihr entgegen und wich etwas zurück, da in ihrer Nähe seine Gefühle allmählich verrückt zu spielen schienen. Der Drang, sie in seinen Armen zu wissen und seine Lippen mit ihren zu versiegeln, wuchs je näher sie sich kamen. Er schielte kurz zur Seite und entdeckte sein Geschenk, dass er neben sich gelegt hatte, um sich hinsetzen zu können. Er lächelte leicht, als er es in die Hand nahm und sich ihr wieder zuwandte. „Vielleicht hilft das ja ein bisschen dabei, dass du wieder lächelst“, erwiderte er verlegen und reichte das längliche Päckchen an sie weiter. Ihre Fingerspitzen berührten sich leicht, als sie es entgegennahm, während ein kleiner intensiver Stromschlag durch seinen Körper wanderte und ihn mit Anspannung umhüllte. Mit großen Augen sah sie ihn an und pfriemelte vorsichtig an dem bunten Geschenkpapier herum. Ohne es großartig zu beschädigen, holte sie die schmuckvollverzierte Schatulle hervor. Tais Herz klopfte mit Hochdruck gegen seine Brust, als sie den Deckel sachte öffnete. Ihre braunen Augen, die im Mondlicht golden schimmerten, wanderten ungläubig von ihrem Geschenk zur Tai und wieder zurück. Sie ließ die Schatulle auf ihren Schoss sinken und fuhr mit zitternden Fingern über die gravierte Fläche. „Ein Vergissmeinnicht?“, fragte sie euphorisch und konnte ihr glückliches Lächeln vor ihm nicht verbergen. „Aber wie…?“ „Naja, es sind doch deine Lieblingsblumen und i-ich…ich wollte dir damit eine Freude machen“, erklärte er ihr nervös. „Ich hoffe, es gefällt dir.“ „Ja, natürlich. I-Ich bin gerade einfach nur sprachlos“, erwiderte sie kichernd und nahm die Kette aus der Fassung. „Legst du sie mir an?“ Sie öffnete den Verschluss, legte sie um ihren Hals und wandte Tai ihren Rücken zu. Etwas unsanft rutschte er mit den Knien näher an sie heran, nahm den Verschluss entgegen und sah wie sie ihre Haare zusammenraffte und anhob, damit er die Ketten schließen konnte. _ Nervös versuchte er den Verschluss mit der dazugehörigen Öse zu verbinden, was ihm jedoch nicht gleich gelang, da seine Nerven ihm einen Strich durch die Rechnung machten. Er zitterte am ganzen Körper und schaffte es erst nach vier Versuch sie an Mimis grazilem Hals zu befestigen. „Du hast mir nie erzählt, warum Vergissmeinnicht deine Lieblingsblumen sind“, platzte aus ihm hervor als sie sich zum ihm hinwandte. „Ist eben mein kleines Geheimnis“, schmunzelte sie verschmitzt und lehnte sich wieder gegen die kühlen Fließen. „Ernsthaft? Mit dieser Antwort fertigst du mich jetzt ab?“, schmollte er und legte seinen Arm am Wannenrand ab, während er eine bequemere Position einnahm. Mimi grinste, nahm ihre Flasche wieder an sich und trank erneut einen kräftigen Schluck, als sie sie Tai wieder vor die Nase hielt. „Willst du mich etwa betrunken machen? Ich glaube dazu brauchst du echt mehr als nur ein Mixbier“, lachte er und trank ebenfalls, auch wenn er es etwas widerwillig tat. „Du weißt doch, dass wir beide und Alkohol keine gute Kombination ergeben.“ „Aber trotzdem sitzen wir hier in der Badewanne und trinken. Ironie des Schicksals?“, er lachte leise und reichte die Flasche wieder an die weiter, damit sie sie leeren konnte. „Mein Vater hat meiner Mutter beim ersten Date Vergissmeinnicht geschenkt“, erzählte sie auf einmal, während Tai sein Kinn auf seiner Handfläche leicht abstützte. „Er meinte damals zu ihr, dass die Blumen sie an das wundervolle Date erinnern sollten, auch wenn es in Wirklichkeit eine wahre Katastrophe war.“ „Eine Katastrophe?“, hakte er sofort nach. Mimi lächelte und spielte an der leeren Bierflasche, indem sie das Etikett etwas ab knibbelte. „Ja, den Tisch, den sie in diesem schicken Restaurant reserviert hatten, war irgendwie vergeben und meine Mutter kann wirklich grantig werden, wenn sie Hunger hat.“ „Also da kenne ich noch jemanden“, murmelte Tai als Mimi ihm einen bösen Blick zuwarf, aber dann doch unbeirrt weitererzählte. „Sie haben sich dann einfach eine Pizza mitgenommen und wollten in Ruhe im Park essen, bis mein Vater eine allergische Reaktion bekam. Anscheinend hatten sie Ananas auf die Pizza gepackt und die hatte er vor lauter Käse leider nicht gesehen, bis er bemerkt hatte, dass ihm der Hals zu schwillt.“ Taichi verzog augenblicklich das Gesicht. Das hörte sich ja wirklich nach einem Chaos-Date an. Etwas, dass sich wohl niemand wünschen würde. Gerade nicht beim ersten Date. „Jedenfalls mussten sie dann ins Krankhaus fahren und mein Vater bekam eine Allergiespritze und musste ein paar Stunden zur Beobachtung dableiben, während meine Mutter ihm keinen Zentimeter von der Seite gewichen war. Als die beiden rauskamen, war es bereits spät abends gewesen und mein Vater bekam ein unglaublich schlechtes Gewissen, weil das Date ja alles andere als toll gelaufen war“, sie lächelte unvermittelt und betrachtete die Kette, die er ihr vor wenigen Minuten um den Hals gelegt hatte. „Gegenüber vom Krankenhaus befand sich ein kleiner Blumenladen, der trotz der späten Uhrzeit noch geöffnete hatte“, erzählte sie weiter. „Mein Vater war dann gemeinsam mit meiner Mutter dort hineingegangen und wollte ihr als Entschädigung einen kleinen Strauß besorgen, aber leider hatten sie nur noch einen Einzigen da.“ „Lass mich raten…ein Sträußchen Vergissmeinnicht?“, steuerte er gewitzt bei, während Mimi spielerisch die Augen verdrehte. „Wow Sherlock, du solltest wohl wieder auf Verbrecherjagd gehen. Deinem scharfen Verstand entgeht wirklich nichts“, zog sie ihn auf, als Taichi beleidigt die Arme vor der Brust verschränkte. „Manchmal bist du echt…“ „Manchmal bin ich was? Höflich und zuvorkommend?“ „Wohl eher ziemlich frech…“, konterte er sofort. „Frech? Hallo? Hör mal…“ „Okay, wie ging es dann mit deinen Eltern weiter? Konnte der Blumenstrauß das Date retten?“, unterbrach er sie sanft. „Ich glaube, die Frage kannst du dir selbst beantworten, weil sonst würde ich wohl kaum vor dir sitzen, oder?“, ergänzte sie spitzfindig und reckte den Hals. „Auch wieder wahr…aber eine schöne Geschichte. Ich glaube bei meinen Eltern war es ganz unspektakulär gewesen. Sie sind schon in der Mittelschule zusammen in einer Klassenstufe gewesen und während der Oberschule dann zusammengekommen.“ „Das ist doch auch süß. Sie kennen sich ja dann schon eine halbe Ewigkeit“, schwärmte Mimi verträumt. „Ja…so wie wir“, antwortet er unüberlegt. Mimi schluckte, als er merkte, dass sie sichtlich nervös wurde. Ein zarter Rotschimmer legte sich über ihre Wangen, während sie wieder mit den Fingern ihre Kette ertastete. „Vielen Dank für dein Geschenk“, bedankte sie sich herzlich, ohne auf Tais vorherigen Worte einzugehen. „Gern geschehen“, murmelte er mit verhangener Stimme, als sein Mut ihn erneut verließ und ihn kraftlos in dieser erdrückenden Situation zurückließ. „Vielleicht sollten wir langsam wieder zu den anderen zurückgehen. Sie fragen sich sicher schon, wo wir sind.“ Ernüchterung machte sich in ihm breit, als er gerade im Begriff war aus der Badewanne zu steigen und fluchtartig die Situation zu verlassen, bis er einen Widerstand bemerkte. Sein Arm wurde ruckartig zurückgezogen und brachte ihn dazu sich wieder hinzusetzen. Plötzlich spürte er, wie sie ihre zierlichen Arme um ihn schlang und ihren Kopf gegen seine Halsbeuge drückte. „Noch fünf Minuten, bitte…“, säuselte sie ihm entgegen, sodass sich eine zarte Gänsehaut auf seinem Körper ausbreitete. Er konnte sich nicht erklären, was auf einmal in sie gefahren war, aber er traute sich auch nicht irgendwelche Nachfragen zu stellen. Dafür genoss er viel zu sehr diesen winzigen Moment der puren Glückseligkeit, indem er ihre liebevolle Umarmung nur allzu gern erwiderte. Er verlor sich völlig in der Zeit und konnte nicht mehr einschätzen, wie lange sie sich in den Armen lagen, aber das war ihm auch völlig egal. Er schnupperte an ihrer braunen Mähne, die einen fruchtigen Geruch versprühte und seine Sinne vernebelte. Ungefähr in diesem Moment spürte er, dass die Umarmung schwächer wurde und sie sich langsam etwas von ihm entfernte, aber nur so weit, dass sie einander ansehen konnten. Gedankenverloren wanderte sie mit ihren Fingerspitzen, sein markantes Kinn entlang und strich ihm liebevoll einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, während er seine Hände an ihrer Taille platzierte und sie weiterhin fest in seinen Armen hielt. „Glaubst du an das Schicksal?“, durchdrang ihre Stimme den dunklen Raum. „Schicksal? Wie meinst du das genau?“ „Naja…wenn…“, sie druckste herum, während er beruhigend über ihre Seiten strich. Mimi sah ihn mit einem unergründlichen Blick an, den er gar nicht richtig fassen konnte, bis sie sich ihm plötzlich näherte. Er spürte ihren heißen Atem an seiner Wange, bemerkte, wie sie auf seine Lippen schielte, aber kurz davor stoppte. „Glaubst du, dass wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind, sie auch zueinander finden werden?“ Ihr Blick war erwartungsvoll auf ihn gerichtet, während in ihrer Stimme die pure Wehmut lag. Er wollte gerade etwas erwidern, doch sein Mund bewegte sich nicht. Die Worte wollten ihm einfach nicht über die Lippen gehen, auch wenn er gerne zu ihr gesagt hätte, dass er an das Schicksal glaubte. Dass er an sie glaubte. Doch ihm wurde auf einmal bewusst, dass es noch zu früh war, all das zu ihr zu sagen. Sie waren haargenau in der gleichen Situation wie vor zwei Jahren. Sie war frisch getrennt und er war immer noch hoffnungslos verliebt in sie. Ihre Augen wurden auf einmal ganz trüb als sie sich unvermittelt von ihm entfernte und auf Abstand ging. „Ich glaube, du hast recht, wir sollten wirklich zu den anderen gehen. Ich rede hier wirklich dummes Zeug.“ „Tust du nicht…“, löste sich von seinen Lippen und er erschrak ein bisschen als er seine eigene Stimme vernahm. Mimi hielt augenblicklich inne, während Tai all seinen Mut zusammennahm, sie mit einem festen Blick fixierte und seine Hand bestimmend hinter ihrem Nacken vergrub. „Was tust du da?“, fragte sie mit bebender Stimme, ehe er mit seiner anderen Hand Ihre ergriff und zärtlich über ihre weiche Haut fuhr. „Etwas, dass ich schon an Tanabata hätte tun sollen!“ Er kam ihrem Gesicht näher, berührte schon ihre Nasenspitze und suchte sehnsuchtsvoll mit den Lippen nach ihrem Mund als… „Mimi, bist du hier drinnen?“, ertönte Koushiros Stimme vor der Tür, bevor beide hektisch auseinanderfuhren. Taichi wandte den Blick über die Schulter und erkannte die Silhouette seines rothaarigen Freundes vor der Milchglastür des Badezimmers. „J-Ja, ich komme gleich“, antwortete Mimi unwirsch und stieg sofort aus der Badewanne, während Taichi frustriert schnaufte. Eine Sekunde, schoss ihm durch den Kopf. Eine verdammte Sekunde. Wieso musste Koushiro ausgerechnet in diesem Moment vor der Tür auftauchen? „Kommst du auch mit raus?“, fragte sie mit leiser Stimme als sie schon ihre Hand an dem Türknauf hatte. „Ich komme gleich nach“, antwortete er etwas unterkühlt, während Mimi ihm einen entschuldigenden Blick zuwarf, aber kurz danach das Badezimmer auch schon verließ. Zurück blieb ein betrübter Taichi, der mit dem Schicksal mal wieder auf Kriegsfuß stand. Kapitel 24: Das Krisenexperiment -------------------------------- ♥ Mimi ♥ „Ich bin echt froh, dass wir jetzt endlich Ferien haben“, sagte Mimi erleichtert und ließ sich auf ihrem Stuhl hinabsinken. Heute hatte sie einen Mädelsabend mit Sora veranstaltet, bei dem sie gemeinsam gekocht hatten und später noch ein paar Filme schauen wollten. „Aber nach den Ferien geht es dann richtig los. Die Abschlussprüfungen kommen immer näher“, jammerte ihre Freundin, die gerade den letzten Bissen ihres gebratenen Reises verschlang. „Immerhin hast du bald deinen Abschluss in der Tasche. Ich muss noch ein Jahr länger in der Schule versauern“, stellte Mimi nüchtern fest und spielte an ihrer Kette, die sie seit ihrem Geburtstag fast täglich trug. Sie wusste allerdings nicht genau, wie sie dieses Gespräch mit Taichi einschätzen sollte. Es war so merkwürdig gewesen, auch wenn sie sein Geschenk mehr als nur süß fand. Damit hatte sie absolut nicht gerechnet gehabt. Dass er sich so viele Gedanken um sie machte und ihr ausgerechnet so ein bedeutsames Geschenk heraussuchte. Schon als Kind fand sie die Kennenlerngeschichte ihrer Eltern furchtbar romantisch, obwohl sie erst nach dem Katastrophendate umso himmlischer weiterging. Und auch das Vergissmeinnicht an sich hatte in der langjährigen Beziehung ihrer Eltern eine noch tiefere Bedeutung, die Mimi vor Tai jedoch verschwiegen hatte. Normalerweise sprachen Vergissmeinnicht von der Bedeutung her, für sich selbst. Was die wenigstens wussten war, dass sie auch die wahre Liebe symbolisierten. Eine Liebe, die für ihre Eltern im ewigen Bund der Treue und des Respekts einherging. Denn in mitten von hunderten Vergissmeinnicht hatte ihr Vater ihrer Mutter damals die langersehnte Frage gestellt, die ein gemeinsames Leben geebnete hatte. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, während die gedankenverloren mit dem Finger immer wieder über die Gravur fuhr und Soras neugierigen Blick auf sich zog. „Von wem hast du eigentlich die Kette geschenkt bekommen? Seit der Party trägst du sie wirklich ständig“, stellte sie fest und deutete auf ihr eigenes Dekolleté, dass jedoch Schmuckleer war. „Ähm…“, Mimi lief augenblicklich rot an und senkte den Kopf, bevor sie seinen Namen leise vor sich hin säuselte. „Was? Ich habe dich echt nicht verstanden“, grinste sie und Mimi wusste sofort, dass sie sie verstanden hatte. „Ich habe sie von Taichi geschenkt bekommen“, murrte sie, während das Grinsen ihrer Freundin ins Unermessliche wuchs. „Von Tai? Habe ich irgendetwas verpasst, was ich wissen sollte?“ „Nein, hast du nicht“, spielte sie sofort hinunter, doch Soras durchdringender Blick brachte sie prompt ins Schwitzen. „Ach komm schon! Ich erzähle dir auch immer alles“, protestierte sie, ehe Mimi nur genervt die Augen verdrehte. Warum war sie nur so furchtbar neugierig? Und wieso stand sie plötzlich im Kreuzverhör? Ob sie das gleiche auch bei Taichi tat? Ihr erwartungsvoller Blick ließ nicht nach und brannte regelrecht auf ihrer Haut als sich Mimi tatsächlich geschlagen gab und ihr erzählte, was kurz vor der Nacht mit Makoto passiert war. Sie ließ kein einziges Detail aus, so als hätte sich die Wortkotze ihren eigenen Weg gebannt, um endlich ausgesprochen zu werden. „Es war wirklich nur eine Frage der Zeit, bis all das wieder zur Sprache kommt! Er hat dich gern und ihr zwei steht euch nur selbst im Weg!“, erwiderte Sora behutsam, als Mimi ihre Ellenbogen auf dem Tisch abstützte und betrübt zu ihrer besten Freundin sah, die gerade einen Schluck Wasser trinken wollte. „Während dem Sex mit Makoto habe ich seinen Namen gestöhnt“, gab sie kleinlaut zu. Sora verschluckte sich sofort und hustete röchelnd, während ihre Gesichtszüge komplett entglitten. „D-Du hast was? Sag‘ mal willst du mich umbringen?“, fragte sie heiser und stellte das Glas wieder auf dem Tisch ab. „Ich weiß auch nicht, was mich dazu geritten hat, aber irgendwie habe ich mir vorgestellt, wie es wäre mit ihm zu schlafen und dann war es auch schon passiert.“ „Und du sagst, du wärst über ihn hinweg…ich glaube, ihr würdet prompt übereinander herfallen, wenn man euch in einem Zimmer einsperren würde“, mutmaßte Sora waghalsig. „So wie du und Matt an meiner Geburtstagsfeier?“, stellte sie die Gegenfrage. „Das war etwas anderes“, redete sie sich mit geröteten Wangen heraus. „Wir haben uns wieder versöhnt und er ist immer noch etwas deprimiert, weil ohne Makoto die Band bei dem Wettbewerb nicht mehr mitmachen kann.“ „Aber ich dachte, sie haben wieder einen Aushang gemacht?“, hakte Mimi überrascht nach, weil es sie doch sehr verwunderte. Yamato zog normalerweise immer recht schnell neue Mitglieder ans Land. Diesmal schien es allerdings gar nicht gut zu laufen, was ihr Soras betrübtes Gesicht verriet. „Ich glaube, er versucht die restlichen Bands zu übertreffen und sucht nach dem Wunder-Gitarristen, der nicht nur perfekt mit dem Rest harmoniert, sondern auch frischen Wind reinbringt. Anscheinend sind die anderen Bands sehr kreativ und lassen sich dementsprechend auch etwas Neues einfallen“, erklärte Sora ihr ausführlich und ließ deprimiert den Kopf hängen. Auch wenn Mimi wusste, dass Sora alles andere als begeistert von Yamatos Karriereplänen war, unterstützte sie ihn tatkräftig dabei. Mimi erkannte, wie nervenaufreibend all das für ihre beste Freundin war, besonders, weil Yamato keine einfache Person war und oftmals auch die nervtötende Diva raushängen ließ. Dennoch war sie froh, dass sie somit das Gespräch von Taichi auf Yamato lenken konnte. Manchmal hatte sie selbst aufs Soras schlauen Ratschläge keine Lust, auch wenn sie es nur gut meinte. Sie wusste selbst, dass sie mit Taichi reden musste, doch leider war das leichter gesagt als tatsächlich getan. _ Nachdem Gespräch mit Sora vergingen die nächsten Tage wie im Flug und das Krisenexperiment stand ihnen endlich bevor. Nervös saß Mimi neben Kaori, die neben Frau Misa Platz genommen hatte. Sie sprach gerade mit ihrer Klasse und bereitete sie auf das Experiment vor, dass sie auf dem Campus der Kunsthochschule starten wollten. „Und wir bekommen auch wirklich keinen Ärger? Damit verstoßen wir doch gegen die Hausordnung“, erkundigte sich einer der Studenten verblüfft. Frau Misa stand auf und wanderte durch den Kursraum ihrer Klasse. „Ihr braucht euch wirklich keine Gedanken zu machen. Ich habe alles abgeklärt und es werden auch keine Konsequenzen drohen. Auch keinem, der währenddessen mitmacht. Es handelt sich um ein Krisenexperiment, bei dem die verschiedensten Reaktionen dokumentiert werden“, erklärte sie ausführlicher. Auch für Mimi war es eine aufregende Angelegenheit, da sie sowas noch nie zuvor probiert hatte. Kaori und sie wollten natürlich hauptsächlich die Reaktionen der anderen, nicht eingeweihten Studenten, beobachten, die wussten, dass auf dem Unigelände das Musizieren nur während der Unterrichtszeiten erlaubt war. Es gab also strikte Regeln, die selbst das Musik machen auf dem Campusgelände strengstens untersagten, da die Energie und die Leidenschaft für die Proben während der Unterrichtszeit genutzt werden sollte. Mimi war daher gespannt, was passieren würde. Wie würden die anderen Studenten reagieren? Würden sie sich entsetzt abwenden? Sich bei der Universitätsleitung beschweren? Oder würden sie sich von der Musik leiten lassen? Sich hinreißen lassen, ihrer Bestimmung als Musiker doch zu folgen? Kaori und sie würden sich im Hintergrund halten, während die bunt gemischte Klasse von Frau Misa die Musik für sich sprechen lassen würde. Es befanden sich sowohl Sänger, Tänzer als auch Studenten, die unterschiedliche Musikinstrumente spielten unter ihnen, die zusammen nicht nur eine Klangmauer ergeben sollten. Nein, es sollte etwas Bahnbrechendes entstehen. Etwas, das den Rest dazu animierte, Regeln zu brechen und sich der puren Leidenschaft hinzugeben. „Ich glaube, das wird ein großes Ereignis“, murmelte Kaori Mimi zu und lächelte zufrieden. „Manchen kitzelt es schon richtig in den Fingern.“ Sie deutete mit dem Kinn auf einen Studenten, der aufregt mit den Fingern auf seinem Tisch einen gleichmäßigen Takt vor sich hin trommelte. Wahrscheinlich war er Schlagzeuger, der es gar nicht erwarteten konnte, die Becken zu schlagen zu dürften. „Ob der Rest auch mitmachen wird?“, fragte Mimi gespannt und richtete den Blick zu Kaori, die selbst von ihrer eigenen Nervosität übermannt wurde. Sie war ganz hibbelig und konnte kaum stillsitzen, weshalb sich Mimi schon fragte, wie viel Kaffee sie bereits intus hatte. Schon als sie heute Morgen gemeinsam losgegangen waren, verhielt sie sich anders als sonst. Sie wirkte aufgeschlossener und ihre Augen strahlten diesen besonderen Glanz aus, den Mimi bisher nur bei wenigen Menschen gesehen hatte. Unter anderem bei ihrem Freund Yamato, der dieses einmalige Funkeln besaß, wenn er auf der Bühne stand und performte. Es war leidenschaftlich gefärbt, signalisierte bedingungslose Hingabe und zeigte Mimi, dass er für sein Hobby förmlich brannte. Auch bei Kaori konnte sie diese Begeisterung entdecken, auch wenn sie versuchte es noch zurückzuhalten. Mimi spürte, dass sie es nicht mehr lange konnte. Dass die Musik ihren eigenen Weg suchte und nicht um Erlaubnis bat, sich zu entfalten. Es geschah einfach, so als wäre man machtlos dagegen. „Wir sollten uns langsam bereitmachen“, sagte Kaori immer noch flüsternd. „Wir brauchen gute Plätze, um alles beobachten zu können!“ _ „Denkst du, dass das hier ein guter Platz ist?“, hinterfragte Mimi skeptisch als sie sich auf einer Bank niederließen. Viele Studenten befanden sich derzeit auf dem Außengelände des Campus und lernten, da die Prüfungsphase vor kurzem begonnen hatte. Niemand schien sich zu stören, dass die beiden sich ebenfalls dazugesellten, obwohl sie sicher auch als Studentinnen durchgegen würden. Mit einem Block und einem Stift bewaffnet, wollten die beiden die Reaktionen der einzelnen Studenten in ihrem Umfeld notieren. Da der Außenbereich sogar Videoüberwacht war, hatten sie sogar die Gelegenheit sich hinterher ihr Material nochmal in Ruhe ansehen zu können. Bestimmt war es unmöglich alle Reaktionen aufzufangen, auch wenn sie sich genau abgesprochen hatten, wer welches Sichtfenster übernahm. Mimi war für die rechte Seite zuständig, während Kaori ein Auge auf der Linken behielt. Sie hatten sich gut vorbereitet, indem sie eine Beobachtungstabelle zuvor angefertigt hatten, um die unterschiedlichen Reaktionen zu dokumentieren. Jetzt mussten sie nur noch warten, bis es endlich losging. „Hier ist es doch perfekt!“, kommentiere Kaori großspurig und sah sich um. „Ich denke, wir haben hier die Meisten im Blick und fallen auch gar nicht so sehr auf. Wir sehen einfach aus wie zwei fleißig lernende Studentinnen.“ „Ja, jetzt müssen wir nur warten bis es losgeht“, murmelte Mimi mit verhangener Stimme und beobachtete, dass sich der Außenbereich allmählich füllte. Sehr dezent mischten sich die eingeweihten Studenten unter die anderen. Diejenigen, die ein Musikinstrument spielten versuchten sich so unauffällig wie möglich zu verhalten und schlenderten ruhig aber achtsam über das Campusgelände. „Es geht gleich los“, informierte Kaori sie aufgeregt und deutete unauffällig auf eine kleine Gruppe, die den Anfang machen sollte. Gespannt beobachtete Mimi ihre Umgebung und bemerkte, dass den restlichen Studenten gar nicht auffiel, was direkt vor ihren Augen geschah, da manche wie verbissen in ihre Bücher starrten oder sich angeregt miteinander unterhielten. Erst als der erste Ton angestimmt wurde und die Stimme einer Sängerin ertönte, wurde nach und nach die Aufmerksamkeit der anderen geweckt. Ameagari no niji mo rin to saita hana mo irozuki afuredasu Akane-iro no sora aogu kimi ni ano hi koi ni ochita Shunkan no DORAMACHIKKU FIRUMU no naka no hito-koma mo Kienai yo kokoro ni kizamu kara Es kamen immer weitere Stimmen hinzu und die Musikinstrumente tanzten mit der entstehenden Klangmauer im Takt. Mimi presste die Lippen aufeinander als sich immer mehr Menschen um sie formierten und den Song voller Herzblut wiedergaben, während sie völlig sprachlos von den anderen Studenten gemustert wurden. Einigen klappte der Mund voller Entsetzen auf, während andere fast regungslos auf ihren Plätzen saßen und die Luft anzuhalten schienen. „Oh Gott, die meisten sind ja richtig entsetzt“, kommentierte Mimi amüsiert und notierte die ersten Reaktionen genau. „Ich glaube damit hat wohl keiner gerechnet“, meinte Kaori belustigt und schaute in die buntgemischte Runde als die muntere Gruppe den Refrain anstimmte. Die Instrumente gingen ineinander über, ehe sich die einzelnen Töne miteinander vermischten und eine eingehende Melodie ergaben, während die Stimmen der Sänger miteinander verschmolzen und von den Tänzern taktvoll begleitet wurden. Kimi da yo kimi nanda yo oshiete kureta Kurayami mo hikaru nara hoshizora ni naru Kanashimi wo egao ni mou kakusanai de Kirameku donna hoshi mo kimi wo terasu kara Pure Lebensfreude strömte durch ihren Körper, während sie sie beobachtete. Die Probleme der letzten Wochen, die Mimi so sehr belastetet hatten, waren in den Hintergrund gerückt und zeigten ihr, dass Musik durchaus heilsam sein konnte. Sie betrachtete die Gesichter der einzelnen Studenten, die vor ihnen standen und ihre sämtliche Leidenschaft in diese eine Performance steckten. Sie schafften einen Moment der einzigartigen Glückseligkeit, den Mimi gar nicht in Worte fassen konnte. Es fühlte sich fast so an als könnte sie schweben. In eine andere Welt abtauchen, in der die Musik als Heilmittel galt. Michibiite kureta hikari wa kimi da yo Tsurarete boku mo hashiridashita Shiranu ma ni KUROSU shihajimeta Hora ima da koko de hikaru nara Kimi da yo kimi nanda yo oshiete kureta kurayami wa owaru kara „Oh mein Gott“, flüsterte Kaori und grinste vor sich hin. „Sieh mal, da hinten!“ Sie deutete so unauffällig wie möglich auf eine kleine Gruppe von Studenten, die zuvor mit Lernen beschäftigt waren. Mimi riss prompt die Augen auf als sie das sah, was Kaori aufgefallen war. „Unfassbar“, erwiderte sie erstaunt und notierte sich das folgende Szenario. Ein junger Mann stand in mitten seiner Freunde und tippte mit dem Fuß die heitere Melodie heimlich mit, so dass es keiner mitbekam. Mimis Blick wanderte durch die Runde als sie erkannte, dass es mehreren so ging, sie es aber unbedingt versuchten zurückzuhalten, was man anhand ihrer angespannten Gesichter erkennen konnte. „Ich glaube, die meisten würden wirklich gerne mitmachen“, fiel Mimi auf, ehe ihr prompt eine Idee kam und sich ein Grinsen auf ihre Lippen schlich. „Sie brauchen bestimmt nur ein Anstoß! Wenn sich einer traut, traut sich sicher auch der Rest“, erwiderte sie überzeugend und legte den Block beiseite, während sie Kaori auffordernd musterte. „Was willst du denn damit sagen?“, hakte sie skeptisch nach, bevor Mimi ihr plötzlich den Block entriss und ihn achtlos zu ihrem legte. „Na, dass wir mitmachen sollten! Bei vielen Krisenexperimenten waren doch die Beobachter auch beteiligt gewesen. Also eine teilnehmende Beobachtung“, stellte Mimi euphorisch fest und stand auf. Sie wusste selbst nicht so recht, wo dieser plötzliche Energieschub auf einmal herkam, aber sie verspürte diesen unglaublichen Drang einfach mitzutanzen und in die mitreißende Melodie einzustimmen. „W-Was? N-Nein, warte…“, stammelte Kaori verunsichert, ehe Mimi sie plötzlich am Arm packte und sie auf ihre Füße zog. „Keine Widerrede! Es wird Zeit dein Schneckenhaus hinter dir zu lassen! Das ist die perfekte Gelegenheit dazu“, forderte sie sie auf und gab ihr keine Wahl sich ihr zu wiedersetzen. Eher widerwillig folgte sie ihr in die Menge und stand anfangs stocksteif neben ihr, während der Rest sie herzlich in Empfang nahm und ihnen die Möglichkeit gab, sich zu einem großen Ganzen zu verbinden. Kotae wa itsudemo Guuzen? Hitsuzen? Itsuka eranda michi koso unmei ni naru Nigirishimeta sono kibou mo fuan mo Kitto futari wo ugokasu hikari ni naru kara Sie befand sich wie in einem Rausch, während der eingehende Klang sie regelrecht zum Tanzen beflügelte. Mimi sah zu Kaori, die sich anfänglich stocksteif bewegte und peinlich berührt ihren Kopf senkte, während sie ständig ihre Brille zurechtrückte. In diesem Moment erinnerte Kaori sie sehr an ihren guten Freund Izzy, der sich meist auch nur im Hintergrund hielt und nicht gerne im Mittelpunkt stand. Obwohl sie in vielen Bereichen sehr selbstbewusst auf Mimi wirkte, ging sie meist in einer größeren Masse unter. Ihre Haltung lockerte sich allmählich, besonders als weitere Studenten hinzustießen und sich den Regeln wiedersetzten, die ihnen auferlegt wurden. Mimi lächelte leicht, als sie feststellte das der Flashmob immer mehr Menschen begeistern konnte und zum Mitmachen anregte. Ihr Blick wanderte zu Kaori, die sich immer noch sehr unsicher bewegte und zur Kontrolle immer wieder zu Mimi sah, die ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte, ihre Hüften kreisen ließ und einen weiteren Entschluss fasste. Unvermittelt griff sie nach ihrer Hand und zog sie in die Mitte des Flashmobs, drehte sich mit ihr freudig im Kreis und hörte wie sie leise auf quietschte. Erst wehrte sich Kaori, da sie sich versuchte wieder nach hinten zu drücken, doch Mimi wollte ihr diesen Moment im Rampenlicht ermöglichen, weshalb sie sie stur festhielt und zum Tanzen aufforderte. Nach und nach schien sie immer lockerer zu werden und bewegte sich zum Takt als das Ende des Songs angestimmt und Endposition eingenommen wurde. Sie atmete unruhig, nachdem sie ihren Platz eingenommen hatte und verstohlen zu den anderen blickte, die ein ausgelassenes Lächeln auf ihren Lippen trugen und vor lauter Euphorie kaum stillstehen konnten. Auch Kaoris Beine zitterten vor Aufregung, während Mimis Herz wild gegen ihre Brust pochte. Sie hatten es tatsächlich getan. Und Mimi hätte niemals erwartet, dass sich ein Krisenexperiment so gut anfühlen würde. _ „Hast du das gesehen? Dieser Blick sagt mehr als tausend Worte“, kommentierte Kaori den Gesichtsausdruck eines mürrisch dreinblickenden Studenten, den sie auf dem Videoband aufgezeichnet hatten. „Ohja! Oder der dahinten“, sagte Mimi und deutete auf den Bildschirm. „Ich glaube, der steht kurz vorm explorieren. Jedenfalls sagt mir, dass sein wutverzehrtes Gesicht.“ „Oh Gott, wie kann man nur so böse gucken? Das gibt sicher noch Falten“, lachte Kaori herzlich und die Unbeschwertheit schwang förmlich in ihrer Stimme mit. Es fühlte sich fast so an, als wäre bei ihr ein Knoten geplatzt, der sich vor langer Zeit gebildet hatte. „Ich glaube, du solltest auch wieder öfters Musik machen“, meinte Mimi überzeugend, ehe Kaoris Lachen abrupt verschwand und einer ernsten Miene wich. „Das war heute nur eine Ausnahme. Für das Experiment“, redete sie sich sofort heraus als Mimi den Kopf schräg legte. „Wem willst du hier eigentlich etwas vormachen? Dir oder mir? Also die Aufzeichnungen sagen wirklich mehr als tausend Worte und als du damals in der Aula gespie…“ „Ich will aber nicht mehr spielen. Ich habe das hinter mir gelassen“, erwiderte sie mit fester Stimme, jedoch ohne Mimi direkt anzusehen. „Wirklich? Dein Gesicht sagt aber etwas völlig anderes! Und als du damals auf der Bühne gestanden hast…das war magisch gewesen! Du kannst mir nicht erzählen, dass du es nicht vermisst“, antwortete Mimi verständnislos. Insgeheim versuchte sie Kaori etwas aus der Reserve zu locken, da sie absolut nicht verstehen konnte, warum sie die Musik so sehr hasste, wenn daraus so wundervolle Momente entstehen konnten. Es musste einen Grund geben… „Du verstehst sowas nicht“, grummelte sie aufgebracht und ballt die Hände zu Fäusten. „Gut, dann erklär‘ es mir! Warum hasst du die Musik? Warum suchst du ausgerechnet ein Projekt für uns aus, dass Musik beinhaltet? Warum stößt du immer Menschen von dir, die dich gerne näher kennen lernen wollen? Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns gut verstehen, aber ein anderes Mal bist du so abweisend zu mir! Ich verstehe das nicht“, eröffnete sie ihr gekränkt, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte. Sie waren doch Partner – jedenfalls so lange bis das Projekt beendet war. Sie wollte es verstehen, aber Kaori war für sie undurchschaubar. Wütend blickte Mimi sie an, während sie den Kopf gesenkt hatte und sich im Schweigen übte. Erst als sie ein leises Wimmern vernahm, wurde Mimi von ihrem schlechten Gewissen eingeholt. Was sagte sie da nur zu ihr? Sie kannten sich doch nicht sonderlich gut, auch wenn Mimi das Gefühl hatte, dass zwischen ihnen eine Art Verbindung bestand, die sie nicht ganz deuten konnte. War es eine zarte Freundschaft, die sich gerade entwickelte? „Hey…ist alles in Ordnung?“, fragte Mimi behutsam und berührte Kaoris Schulter. Sie nickte nur und fuhr sich hastig über ihre Augenpartie. „Manchmal vermisse ich es wirklich...die Musik…dieses belebende Gefühl, wenn der Takt dich erfasst und du wie auf Wolken schwebst…“ Sie atmete hörbar aus, während sie nervös an ihrem Daumennagel spielte. „Aber…sie kann auch so viel kaputt machen. Wenn ein Song zu Ende ist, hast du genau zwei Möglichkeiten: Den Nächsten zu hören oder dich in einer Dauerschleife zu verfangen, bis du den Takt nicht erträgst und du am liebsten alles hinter dir lassen möchtest...man fühlt sich wie in einem ewigen Alptraum gefangen, der einfach nicht enden will“, erklärte sie mit brüchiger Stimme und schniefte herzzerreißend. Mimi verstand nicht so ganz, was sie ihr damit sagen wollte, aber sie traute sich auch nicht näher nachzufragen, da sie jetzt schon das Gefühl hatte zu weit gegangen zu sein. Kaori war ein Mensch, der sich nur langsam öffnete. Wenn man zu viel Druck ausübte, war die Gefahr groß, dass sie sich wieder verschloss. „Ich glaube, du fühlst dich in der Dauerschleife gefangen oder?“ Sie nickte nur schwach, ohne aufzusehen. „Vielleicht solltest du einfach den nächsten Track abspielen! Indem du dich neuen Herausforderungen stellst und nicht deine Liebe zur Musik verdrängst! Denn das macht dich auf Dauer nur unglücklich“, stellte sie besorgt fest und tätschelte ihr den Rücken. „Und was soll ich deiner Meinung nach machen? Das Musikgenre wechseln und einer Emo-Hipster-Band beitreten?“, hakte sie schulterzuckend nach und ließ kraftlos den Kopf hängen. Überrascht schaute Mimi sie an, als eine Idee in ihr heranwuchs, die sich langsam in ihrem Kopf ausbreitete. Vielleicht wäre das die perfekte Möglichkeit. Und es würde nicht nur ihr helfen, sondern Mimi könnte auch wieder etwas gut machen. „Möglicherweise ist das gar keine schlechte Idee.“ „Was? Ich spiele sicher in keiner Emo-Hipster-Band“, verteidigte sie sich vehement, während sich ein Grinsen auf Mimis Lippen schlich. Sie wusste bereits genau, wie sie Kaori aus ihrem Schneckenhaus befreien konnte…sie musste es ihr nur noch etwas schmackhaft machen. Kapitel 25: Zarte Veränderungen ------------------------------- ♥ Taichi ♥ Von Anspannung durchzogen, saß Taichi am Tisch und konnte gar nicht in Worte fassen, wie unangenehm er diese Situation empfand. Es war das erste Mal seit langem, dass sie wieder als Familie gemeinsam zu Abend aßen. Normalerweise arbeitete seine Mutter durchgehend, während sein Vater seine Zeit entweder im Büro oder in der Bar mit Arbeitskollegen totschlug. Und Taichi konnte nicht behaupten, dass ihm diese Entwicklung sonderlich gut gefiel. Zwar schien die Firma sich wieder zu fangen, aber dennoch trank sein Vater ungeniert vor seinen Augen weiter und schürte seinen unbändigen Hass gegen ihn, den er versuchte gemeinsam mit den staubtrockenen Reisbällchen seiner Mutter hinunterzuschlucken. Aber immer, wenn er sah, wie er genüsslich den Mund an der Flasche ansetzte, verging ihm förmlich der Appetit. Er bemerkte, wie Kari ihn sorgenvoll musterte, da er begann lustlos in seinem Essen herumzustochern, während seine Mutter fast schon verzweifelt versuchte, ein Gespräch am Laufen zu halten. Natürlich versuchte sie nur das Beste, wollte den Familienalltag so gut es ging aufrechterhalten, aber Taichi sah, dass ihre Bemühungen qualvoll scheiterten. Kurz vor dem Abendessen hatte er einen Streit seiner Eltern mitbekommen, der immer noch an ihnen nagte und dass Trinkverhalten seines Vaters zusätzlich anheizte. Kari war zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht zu Hause gewesen und auch Taichi bekam es lediglich nur aus seinem Zimmer mit, da er sich nicht einmischen wollte. Nicht nachdem er wusste, was ihm blühen konnte. Daher hörte er nur bruchstückhaft mit, konnte sich aber viele Dinge zusammenreimen, da er sich denken konnte, dass die finanzielle Situation immer noch sehr angespannt war. Selbstverständlich waren sie noch nie im Geld geschwommen, aber sie hatten nie Probleme gehabt irgendwelche Rechnungen zu bezahlen, doch diesen Monat schien alles nur schief zu laufen. Neben einer Wassernachzahlung kam auch noch eine größere Reparatur am Wangen seines Vaters hinzu, mit der seine Eltern überhaupt nicht gerechnet hatten. Auch, dass sein Vater weiterhin so viel trank, riss ebenfalls ein gewaltiges Loch in die Haushaltskasse. Doch Taichi traute sich nicht diesbezüglich etwas zu sagen, auch wenn es ihm bereits auf der Zunge brannte. Er presste die Lippen fest aufeinander, als er hochsah und seinen Vater schon wieder dabei erwischte, wie er seine Bierflasche erneut ansetzte und den letzten Schluck in einem Zug austrank. Mit festem Blick beobachtete er ihn dabei, wie er die Flasche auf dem Holztisch abstellte und ihm plötzlich in die Augen sah. „Na Taichi, was macht die Schule? Wie läuft das Sportstipendium?“, fragte er steif und spielte an dem Etikett seiner Flasche. Unsicher kaute er auf seiner Unterlippe herum und hatte bereits eine Ahnung, warum er ihm ausgerechnet diese Frage stellte. Seit dem Vorfall hatte Taichi es bevorzugt ihn aus seinem Leben rauszuhalten und nur das Nötigste mit ihm zu sprechen, auch wenn er gerne seinen Vater an seiner Seite gewusst hätte. Generell jemanden, der ihn unterstützte. Doch bei seinem Vater war er deutlich fehl am Platz, was ihm schmerzvoll bewusstgeworden war. „Es läuft soweit“, antwortete er knapp und hoffte, dass ihm diese Antwort genügte. Kari schielte zu ihm rüber und warf ihm einen verärgerten Gesichtsausdruck zu, da sie es oftmals nicht verstehen konnte, warum er so abweisend gegenüber ihrem Vater war. Allerdings konnte er ihr die Wahrheit nicht erzählen, auch wenn er oft mit dem Gedanken gespielt hatte. „Okay, dann drücke ich dir mal die Daumen, dass alles klappt“, antwortete er versöhnlich, doch Taichi brachte nur ein schwerfälliges Nicken zu Stande, als sich sein Vater plötzlich an Kari wandte. „Holst du mir noch ein Bier, Schätzchen?“ Kari drehte sich ihm zu, ehe er ihr bereits die Flasche entgegenhielt. Unsicher streckte sie die Hand aus als plötzlich seine Mutter dazwischen ging und ihm die Flasche abnahm. „Findest du nicht, dass es für heute mal gut ist?“, fragte sie behutsam nach, um ihn nicht sauer zu machen. „Was willst du mir denn damit sagen, Yuuko? Ich habe mir doch mein Feierabendbier nach dieser anstrengenden Woche verdient oder meinst du nicht“, hakte er nach und ein scharfer Unterton war aus seiner Stimme herauszuhören. „I-Ich mein ja nur. Heute hattest du doch schon…“ „Willst du mir etwa vorschreiben, wie viel ich trinken darf?“, fuhr er sie an und ließ sie zusammenfahren. Sein Ton klang bedrohlich und Tai spannte sofort seinen Körper an, nachdem er sein wutverzerrtes Gesicht erkannte. „Ich bin alt genug und weiß, wie viel ich trinken kann! Aber gut, wenn es mir keiner holen will, dann hol ich es mir eben selbst“, knirschte er erbost und stand wütend auf, um zum Kühlschrank zu gehen. Tai beobachtete seine Mutter dabei, wie sie verzweifelt ihre Unterarme auf dem Tisch aufstützte und ihr Gesicht hinter ihren Händen vergrub. „Da ist ja nichts mehr drinnen!“, polterte er und schlug die Tür des Kühlschranks unsanft zu. „Ich habe vergessen welches zu kaufen“, gab seine Mutter kleinlaut zu und seufzte resigniert. „Aber du wirst doch auch mal einen Abend ohne aushalten. Und jetzt setz‘ dich bitte wieder hin! Wir wollen in Ruhe essen.“ Doch sein Vater stand einfach teilnahmslos in der Küche und schien einen kurzen Moment zu überlegen, ehe er auf einmal im Flur verschwand und man nur die Wohnungstür zuknallen hörte. Taichi schüttelte nur den Kopf und lehnte sich gegen seinen Stuhl, während seine Mutter nur gegen die Wand starrte und geistesabwesend ihren Teller beiseiteschob. Erst danach bemerkte Taichi ein leises Wimmern, dass nur von seiner Schwester stammen konnte. Besorgt richtete er den Blick zu ihr und sah, wie sie sich unter ihrem Haarvorgang versteckte und ein bisschen Gemüse mit den Essstäbchen aufnahm, sie aber nicht zu ihrem Mund führte. Die reine Verzweiflung kroch in ihm hoch, als er Kari so hilflos vor sich sitzen sah. Sie war sehr sensibel und litt unter diesen Streitigkeiten, die ihren Familienalltag bestimmten. Doch was sollte er nur tun? Mit seinem Vater zu reden wäre aussichtlos und pure Zeitverschwendung! Dennoch überlegte er fieberhaft nach einer Lösung, die seine Schwester von diesen ganzen Umständen etwas ablenken konnte. Er wollte, dass sie wieder lächelte, egal was er auch dafür tun musste. _ Einen Tag später hatte er sie tatsächlich dazu überreden können mit ihm gemeinsam ins Kino zu gehen. Er wollte, dass sie wenigstens die zunehmenden Streitigkeiten ihrer Eltern nicht ständig mitbekam, auch wenn sie sich anfangs durchaus geweigert hatte. Zwar hatte Taichi immer noch den Kinogutschein, den der zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, aber aufgrund des finanziellen Engpasses, lernte er auch, dass gerade solche Kleinigkeiten wie Kino oder Essen gehen, doch manchmal mehr kosteten als sein Geldbeutelt derzeit zuließ. Auch, dass er Mimi die Kette gekauft hatte, trug natürlich nicht zu einem gutgefüllten Portmonee bei. Aber er hatte sich dazu entschlossen von seinem Taschengeld seiner Schwester etwas Entspannung zu ermöglichen. Er würde es sicher hinbekommen, möglichst sparsam durch den Monat zu kommen, schließlich hatte er immer noch Ferien. „Und hast du schon einen Film entdeckt, der dir gefällt?“, fragte er Hikari, die genauestens die Filmplakate studierte. „Wie wäre es mit dem hier?“, sie deutete auf ein bestimmtes Plakat und Taichi verzog prompt das Gesicht, als er den Titel las. „Trennung mit Hindernissen? Och Kari, doch nicht so ein Weiberfilm“, jammerte er und verdrehte die Augen. „Wie wäre es mit dem neuen Superman Film? Der ist sicher voller Action!“ „Aber ich dachte, ich dürfte mir den Film aussuchen“, schmollte sie und zog die Unterlippe nach vorne. „Aber nicht noch ein Jennifer Aniston Film. Ich kann die langsam echt nicht mehr sehen, besonders nicht, nachdem du mich dazu gezwungen hast mit dir Friends zu gucken.“ „Die Serie ist doch voll lustig und charmant obendrein“, erwiderte Kari beleidigt und stemmte die Hände in ihre Hüfte. „Ja, dieses ganze Beziehungshickhack ist wirklich zum Schießen. Voll realistisch“, grummelte er und versuchte sie weiterhin von dem neuen Superman-Film zu überzeugen, auch wenn ihr trauriger Hundeblick es ihm sichtlich schwermachte. „Taichi…komm‘ bitte! Der wird sicher voll lustig“, quengelte sie und krallte sich an seinem Arm fest, während er die Augen zu Schlitzen verzog. Bevor er jedoch ein „Nein“ mit seinen Lippen formulieren konnte, wurde ihm plötzlich auf die Schulter getippt, was ihn völlig aus dem Konzept brachte und ihn herumschnellen ließ. „Sora?“, hakte er überrascht nach und blickte in das freudige Gesicht seiner besten Freundin. „Was macht ihr denn hier? Hätte ich das gewusst, hätten wir auch gleich zusammengehen können“, begrüßte sie ihn herzlich und wandte sich danach Hikari zu. Tai grinste leicht, da er heute überhaupt nicht damit gerechnet hatte Sora zu treffen. Sein Blick schweifte weiter und suchte nach seinem blonden Freund, der sonst immer an ihrem Rockzipfel hing. „Wo hast du denn Yamato gelassen?“, fragte er auf einmal, als sich Sora zu ihm umdrehte und ihn musterte. „Yamato ist heute nicht dabei. Ich bin mit Mimi hier! Sie ist gerade auf der Toilette“, informierte sie ihn knapp, während sein Herz einen gewaltigen Hüpfer machte. „U-Und in welchen Film wollt ihr gehen?“, stammelte er nervös. „In den neuen Jennifer Aniston Film und ihr?“, stellte sie die Gegenfrage. Taichi überlegte nicht lang und antwortete, bevor Kari es tun konnte. „Ach so ein Zufall, da wollten wir auch rein oder Kari?“ Verdutzt blickte seine Schwester ihn an und für eine Sekunde hatte es ihr gänzlich die Sprache verschlagen, als sich ein skeptisches und langgezogenes „Ja“ von ihren Lippen löste. „Wirklich? Vielleicht bekommen wir ja noch Plätze nebeneinander“, meinte Sora euphorisch. Tai lächelte leicht, ehe er bemerkte, wie Mimi auf sie zugesteuert kam. Er hatte sie seit ihrem Geburtstag kaum zu Gesicht bekommen und war gespannt, ob sie vielleicht sogar seine Kette tragen würde. Angespannt wippte er leicht mit den Füßen auf der Stelle, wohlwissend, dass Kari ihn beobachtete. Bestimmt fand sie seine Reaktion mehr als merkwürdig und wenn er ehrlich war hatte er auch nicht sonderlich Lust auf diesen bescheuerten Jennifer Aniston Film, aber er wollte seine Chancen nutzen, die er sicherlich nicht ständig zugeworfen bekam. Gerade an Mimis Geburtstagsfeier hatte er durchaus gemerkt, dass noch lange nicht alles zwischen ihnen vorbei war. Warum fragte sie ihn auch sonst nach Schicksal und Bestimmung? Sie wollte ihm damit etwas mitteilen. Da war er sich sicher. „Wen hast du denn alles aufgegabelt?“, fragte Mimi amüsiert und kam direkt vor den Dreien zum Stehen. „Ach, ich habe noch nach ein paar Begleitpersonen gesucht, die uns unterstützen“, antwortete Sora spaßeshalber. „Ist das so? Und Taichi geht auch wirklich freiwillig mit oder hast du ihn mit Essen bestochen?“ „Hey, was soll das denn heißen? Vielleicht mag ich ja Jennifer Aniston!“, protestierte er sofort und brachte die Mädchen zum Kichern. „Also, das kauft dir wirklich keiner ab, aber ich glaube, dein plötzlicher Stimmungswechsel hat nicht unbedingt was mit dem Film zu tun“, stellte Hikari fest und grinste überlegen, als er prompt rot anlief. „W-Was? Ach, sei still Kari!“, murrte er nur verlegen und steuerte zielstrebig auf die Kartenausgabe zu. Nachdem sie tatsächlich vier Karten für den Film ergattern konnten, hatten sie sich an der Snackbar Popcorn und Nachos geholt, die sie untereinander aufteilen wollten. Mimi griff beherzt in Soras Popcorntüte und genehmigte sich eine halbvolle Hand der fluffigen Köstlichkeit, als sie abrupt als Gesicht verzog. „Man Sora, das ist ja salzig“, bemerkte sie angewidert. „Sonst holst du dir doch immer das süße Popcorn! Ich dachte das Gesalzene magst du gar nicht.“ „Keine Ahnung, aber ich hatte heute eben Lust drauf“, konterte sie direkt. „Vielleicht gibt dir Tai ja etwas ab. Er steht ja auf dieses süße Zeug“, mischte sich Kari ein und knapperte an einem Nacho, den sie sich genüsslich in den Mund schob. „Ähm…okay…“, stammelte MImi unsicher und huschte mit den Augen zu ihm, während er sich mit einer Hand unbeholfen am Kopf kratzte. „Wir werden sicher eine Lösung finden! Notgedrungen reichen wir meine Tüte einfach rum“, schlug Taichi friedlich vor, als ihm auffiel, dass ihr Kino endlich frei wurde. Gemeinsam schlenderten sie zu dem Eingang und kramten ihre Karten hervor, während Taichi neben Mimi stehen blieb und unbemerkt ihren Hals begutachtete. Sie trug ein hochgeschlossenes Kleid, weshalb er nicht sagen konnte, ob sie seine Kette trug oder nicht. Er fixierte sie angestrengt, wandte sich aber von ihr ab, als sie ihre Karten dem Kartenabreißer hinhielten und sich auf den Weg zu ihrem Kinosaal machten. _ Nervös fuhr er sich durch seine wilde Mähne und blickte unweigerlich zu ihr, weil er sich einfach nicht auf diesen dämlichen Film konzentrieren konnte. Unwohlsein breitete sich in seinem Körper aus, da er sich wie auf dem Präsentierteller fühlte. Er hatte nicht erwartet gehabt, dass er tatsächlich den Platz neben Mimi ergattern konnte, doch Karis durchschauende Blicke streiften seinen Körper. Immer wenn er sich bewegte oder Mimi etwas Popcorn anbot, traf ihn Karis spitzfindigen Blick, den er am liebsten abschütteln wollte. Bestimmt ahnte sie etwas. Nach seiner dämlichen Aktion war dies aber auch kein Wunder. Auffälliger ging es wohl kaum. Selbst Sora schien sofort gemerkt zu haben, dass sein Sinneswandel nur mit Mimi zu tun haben konnte. Doch was sollte er nur machen? Nach all dem, was sie erlebt hatten, war sein Mut gegenüber ihr ganz schön geschrumpft, auch wenn er sich deswegen gerne selbst in den Hintern beißen würde. Wie gerne würde er ihr zeigen, was er für sie empfand, ohne gleich in Vorwürfe oder neckende Sprüche zu verfallen, die als Schutzwall dienten. Es fiel ihm unglaublich schwer, sich einfach fallen zu lassen und die Anspannung, die seinen Körper durchzog, abzuschütteln. Was war überhaupt richtig? Was war falsch? Er wollte es nicht schon wieder ruinieren, indem er einfach den falschen Augenblick wählte. Sie war gerade frisch getrennt und wahrscheinlich noch gar nicht in der Stimmung etwas Neues in Erwägung zu ziehen. Wobei es sich bei ihnen wohl eher um etwas „Aufgewärmtes“ handelte. Seit ihrem Geburtstag gab sie ihm auch keinerlei Zeichen, dass sie für mehr überhaupt schon bereit wäre. Vielmehr machte es den Anschein, dass sie ihm aus dem Weg ging und selbst nicht so richtig wusste, was sie wollte. Er seufzte leise und schielte seinen Sitz hinab. Neben ihm stand immer noch die Popcorntüte, die er extra zwischen Mimi und sich platziert hatte, damit sie zugreifen konnte. Doch irgendwie war beiden der Appetit vergangen, seit sich ihre Hände zufällig in der Tüte berührt hatten. Sie hatte ruckartig die Hand weggezogen und sah ihn verlegen an, als sie sich auch wieder zu Sora wandte und mit ihr leise über den Film quatschte. Seit einer halben Stunde war ihr Blick starr auf die Leinwand gerichtet, während Taichi immer mehr in seinem Stuhl versank und sich am liebsten aus dem Kinosaal wünschte. Auch die unangenehmen Blicke seiner Schwester machten es nicht besser. Er hatte auch gar nicht wirklich aufgepasst und bekam nur kurz mit, wie Jennifer Aniston einmal nackt durchs Wohnzimmer lief, um ihren Noch-Ehemann zur Weißglut zu treiben. Er hätte doch den neuen Superman Film ansehen sollen. Der Film ging noch über eine halbe Stunde, ohne Aussicht auf einen treibenden Plottwist, der ihn irgendwie spannend erschienen ließ. Wieso standen Frauen nur auf solchen Kitsch? Sowas würde niemals im realen Leben passieren, auch wenn sich die meisten sowas von Herzen wünschten. Die Realität sah eben anders aus und zerbrach einem auch gnadenlos das Herz, ohne ein Happy End anzupreisen. Frustriert griff er in die Popcorntüte und stopfte sich eine Handvoll des süßen fluffigen Zeugs in den Mund. Lustlos kaute er darauf herum, als würde es sich um ein Stückchen Gummi handeln, bevor er seinen Arm achtlos zwischen die Sitze sinken ließ. Teilnahmslos saß er einen kurzen Augenblick da und beobachtete das leidenschaftlich streitende Paar vor ihm auf der Leinwand, ehe er plötzlich ihre zarten Fingerspitzen vernahm, die seine Hand leicht streiften und seine Aufmerksamkeit erregten. Er schluckte schwerfällig, als er nach unten blickte und sah, wie ihre Hand sich zwischen den Sitzen zu seiner schob. Zärtlich tastete sie sich zu seiner Hand vor und kitzelte seine Handfläche mit sanften Berührungen. Zuerst saß er völlig regungslos da und wusste gar nicht wie ihm geschah, da ihn schon so eine winzige Geste förmlich aus der Bahn warf. Sein Herz schlug schneller und sein Mund wurde staubtrocken, sodass er am liebsten nach seiner Cola gegriffen hätte, um seine Kehle zu befeuchten. Doch er konzentrierte sich voll und ganz auf ihre zarten Finger in seiner Hand, die gefühlvoll zwischen seine wanderten. Er presste die Lippen aufeinander, als er ebenfalls seine Finger vorsichtig bewegte und mit dem Daumen liebevoll über ihren Handrücken strich. Genau in diesem Moment konnte er es sich nicht verkneifen sie anzusehen, da auch er nicht ganz begreifen konnte, was sie zu dieser Geste bewegt hatte. Vor ihm auf der Leinwand sah man ein ständig streitendes Paar, dessen Beziehung kurz vor dem Aus stand, aber sie schien ihm wohl etwas Anderes damit vermitteln zu wollen. Auch sie hob den Kopf an und drehte ihn unauffällig zur Seite, sodass er den Schmerz der Vergangenheit in ihren Augen erkennen konnte. Ihr Griff um seine Hand verfestigte sich und signalisierte ihm, dass sie ihn nicht loslassen wollte, weshalb auch er ihre Hand noch fester drückte, bevor sie sich wieder auf den Film konzentrierten. Doch er begriff in diesem Augenblick, dass er sie nicht ziehen lassen würde. Er würde kämpfen und ihr zeigen, dass sie eine zweite Chance miteinander verdienten. _ „Du grinst aber ganz schön vor dich hin“, stellte Kari skeptisch fest und ging neben Taichi her. Sein Lächeln verblasste augenblicklich und wich einer mürrischen Miene. „So ein Quatsch“, protestierte er sofort und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Was du dir wieder zusammenreimst.“ „Das war eine Feststellung und ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht an dem Film lag. Du hattest wirklich nur Augen für eine Person! Das nächste Mal gehe ich lieber mit Takeru! Der schenkt mir wenigstens genug Aufmerksamkeit“, brüstete sie sich und sah beleidigt zu Taichi, der sie amüsiert anlächelte. „Ach, von welcher Art Aufmerksamkeit sprechen wir hier denn? Mund zu Mundbeatmung?“ „Mensch Taichi, ich habe dir doch schon hundert Mal erklärt, dass wir nur Freunde sind! Stell‘ dir vor: Jungs und Mädchen können auch befreundet sein! Obwohl das bei dir ganz sicher nicht zutrifft. Du stehst wirklich gewaltig auf Mimi“, erwiderte sie mit herausforderndem Blick, als er seine Arme sinken ließ und sie ganz blass anstarrte. Hatte sie etwas mitbekommen, dass sie die letzte halbe Stunde des Films Händchen gehalten hatten? „Wow, dein Gesicht spricht ja wahre Bände. Ich habe es gewusst! Schon die ganze Zeit und deswegen warst du auch so mies drauf gewesen. Weil sie mit diesem Makoto zusammen war“, schlussfolgerte sie spitzfindig, während sich Taichi ihrem Gehtempo anpasste. „Man Kari, du verstehst das nicht. Dafür bist du noch zu jung“, murrte er und wollte nicht zwangsläufig mit seiner kleinen Schwester über solche Themen sprechen. Es reichte ihm vollkommen, dass Yamato und Sora Bescheid wussten und ihm bereits im Nacken lagen. Karis klugen Ratschläge brauchte er wirklich nicht auch noch. „Zu jung? Ich bin alt genug, um zu verstehen, dass ihr zwei gehörig aneinander vorbeiredet! Weil sonst wärt ihr euch doch schon längst viel nähergekommen!“, untermauerte sie ihre Ansichten. Taichi schwieg. Er wollte ihr nicht unter die Nase reiben, dass sie eine Vergangenheit miteinander teilten, die alles andere als rosig aussah, wenn man zurückblickte. Sie war dornenreich und Taichi war des Öfteren kurz davor gewesen, sie aufzugeben. Doch manchmal waren die zarten Veränderungen, kleine Anzeichen dafür, dass ihre Zukunft nicht in Stein gemeißelt und von ihnen selbst abhängig war. Kapitel 26: Im Klang der Herzen ------------------------------- ♥ Mimi ♥ „Ach Mimi, du hast mich ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr besucht“, stellte ihre Großmutter fast schon ein wenig vorwurfsvoll fest, was in Mimi prompt ein schlechtes Gewissen hervorrief. Sie wusste selbst nicht so richtig, warum sie ihre Großmutter in letzter Zeit so selten besucht hatte. Vielleicht lag es an dem Praktikum, dass in der Firma absolvieren sollte, es aber ausgeschlagen hatte. Irgendwie hatte sie für sowas zurzeit überhaupt keinen Kopf. Und eine Werbeagentur? Das interessierte Mimi so gar nicht, auch wenn sie das ihrer Großmutter natürlich nicht auf die Nase binden konnte. Schließlich handelte es sich um die gutlaufende Firma ihres Großvaters, die er einst mühsam aufgebaut hatte. „Tut mir leid, ich hatte viel mit unserem Schulprojekt zu tun. Wir präsentieren es nach den Sommerferien“, erzählte sie euphorisch, da sie zugeben musste, dass es zwischen Kaori und ihr wesentlich besser lief, als sie am Anfang erwartet hätte. Mittlerweile trafen sie sich regelmäßig, sodass Mimi bereits das Gefühl hatte, dass sich eine zarte Freundschaft zwischen ihnen entwickelt hatte, weshalb sie am Wochenende auch einen besonderen Schritt wagen wollte. Ihr geheimer Plan, Kaori die Musik wieder schmackhaft zu machen, lief auf Hochtouren, da sie sich in den Kopf gesetzt hatte, sie Yamato und der Band vorzustellen. Vielleicht war genau das, die neue Richtung, die Kaori brauchte, um sich neu in die Musik zu verlieben. Mimi fand ihren Plan wirklich perfekt, auch wenn sie sich noch nicht überlegt hatte, wie sie Kaori mitsamt ihrer Violine zum Probenraum locken sollte. Doch ihr würde sicher etwas einfallen, heute wollte sie jedoch den Tag mit ihrer Großmutter verbringen. Sie hatten sich zum Backen verabredet, etwas das sie schon früher, als Mimi noch klein war, oft gemeinsam gemacht hatten. Von ihr hatte sie sämtliche Kuchenrezepte gelernt, die sie mittlerweile in- und auswendig kannte. „Du kannst schon mal das Mehl abmessen und die Eier trennen“, wies ihre Großmutter sie direkt an und band sich ihre altbewährte Schürze um die Hüfte, auf die kleine bunte Herzen gestickt waren. „Okay“, antwortete Mimi nur und schnappte sich schon eine Schüssel sowie die Tüte Mehl, um den Inhalt abwiegen zu können. Ihre Großmutter holte den Vanillezucker und das Backpulver aus einer kleinen Dose, die sie direkt wieder in einem ihrer ordentlichen Küchenschränke verstaute. Bei ihrer Großmutter hatte alles ein System und eine Ordnung, sodass es keine fünf Sekunden dauerte, bis sie alles zusammen gesucht hatte. Mimi liebte diese unbeschwerte Zeit mit ihr zu verbringen, besonders, seit sie wieder in Japan lebten. In den USA hatte Mimi ihre Großeltern sehr vermisst gehabt, auch wenn sie sie regelmäßig in den Ferien besuchen kam. Sie fühlte sich immer richtig heimisch, wenn sie in der Küche ihrer Großmutter stand und backte. Sie befanden sich eben auf einer Wellenlänge, weshalb Mimi oftmals das angespannte Verhältnis zwischen ihrer Mutter und Oma nicht verstehen konnte. Immer wenn sie aufeinandertrafen, herrschte unweigerlich ein eisiges Schweigen, das Mimi manchmal ganz schön in den Wahnsinn trieb. Konnten sie sich denn nicht wie Erwachsene benehmen und sich einfach aussprechen? Mimi schüttelte sich kurz, als sie sich danach den Eiern zuwandte, eines davon an der Kante der Theke aufschlug und versuchte das Eigelb vom Eiweiß zu trennen. Sie hatte sich zwei Schüsseln bereitgestellt, in die sie beides jeweils verteilen wollte. „Weißt du denn schon, was du nach der Schule machen möchtest?“, fragte ihre Großmutter unvermittelt und wog bereits den Zucker genauestens ab. Ein wenig verdattert richtete Mimi kurz den Blick zu ihrer Großmutter, nachdem sie bereits das dritte Ei getrennt hatte. Wollte sie ernsthaft schon wieder dieses Thema anschlagen? Ihr Vater hatte ihr doch schon damit in den Ohren gelegen…so langsam war es wirklich mal gut. „Also, ähm…“, sie überlegte kurz, da sie ihrer Großmutter natürlich nicht auf die Füße treten, aber sie auch nicht anlügen wollte. „Ich denke, mich würde die Gastronomie sehr interessieren.“ Anspannung durchzog ihren Körper, als sie das aussprach, was sie schon länger in ihrem Herzen als Wunsch hegte. Am liebsten würde sie ein einiges kleines Restaurant führen, indem sie ihre eigenen Gerichte ausprobieren und präsentieren konnte. Sie wusste nicht warum, aber dieser Traum spukte ihr schon seit längerem durch den Kopf. Vielleicht lag es an Frau Ito, die sie im Kochkurs jedes Mal dazu inspirierte neue Rezepte zu versuchen. „Die Gastronomie? Wie kommst du denn darauf, Liebes?“, hakte sie verwundert nach, mustere sie aber interessiert. Mimi lächelte leicht, als sie von ihrer passionierten Begabung erzählte. Dass die Leidenschaft fürs Kochen sie regelrecht antriebt und Glückseligkeit in ihr auslöste. „Irgendwie habe ich das Gefühl dadurch etwas zu schaffen, was andere Menschen für den Moment einfach nur unglaublich glücklich macht. Essen hält unsere Kultur zusammen und schafft ein Gemeinschaftsgefühl“, antwortete sie überzeugend und sammelte die Schalen der getrennten Eier in einem ausgelegten Stück Zeitungspapier. Ihre Großmutter lächelte leicht, bevor ihre eigene Euphorie etwas abklang und sie nicht ganz einschätzen konnte, wie sie diese Idee letztlich aufnahm. Bestimmt hatte sie sich etwa anderes erhofft. „Dream big and do what you love“, sagte sie verschmitzt und sah Mimi verträumt an. „Das hat dein Großvater immer gesagt. Er hat klein angefangen und sich hochgearbeitet, indem er das getan hatte, was er von Herzen liebte. Ich denke, dass solltest du auch tun, auch wenn wir uns natürlich sehr gefreut hätten, wenn du Interesse an der Firma gezeigt hättest.“ Mimi hörte ein klein wenig Enttäuschung aus ihrer Stimme heraus, als sich eine Frage ihr aufdrängte, die sie sich noch nie getraut hatte ihrer Großmutter zu stellen. „Warum hat Mama eigentlich nie in Erwägung gezogen, die Firma zu übernehmen? Sie hat doch BWL studiert.“ Ihre Großmutter seufzte resigniert, während sie begann die ersten Zutaten miteinander zu vermischen. „Manchmal geht das Leben eigensinnige Wege und deine Mutter hat die Entscheidung getroffen, dass sie lieber nicht in unsere Fußstapfen treten möchte“, erklärte sie fast schon ein wenig abgedroschen, als sie auch schon die Rührmaschine einschaltete und Mimi jegliche Intension nahm, weiter nachzufragen. Anscheinend wollte sie nicht darüber sprechen, auch wenn ihr trauriger Blick Mimi etwas Anderes signalisiere. Doch sie konnte sie wohl kaum dazu zwingen. Und manchmal war es eben auch besser, die schmerzliche Vergangenheit ruhen zu lassen und in die sonnige Zukunft zu blicken. _ „Was zur Hölle soll ich denn hier? Ich dachte es geht um unser Projekt“, flüsterte sie ihr entrüstet zu und umklammerte ihren Violinenkoffer. Mimi lächelte unschuldig und berührte sie zaghaft am Arm. „Okay, vielleicht war das mit dem Projekt ein klein bisschen gelogen, aber ich wollte einfach, dass du mal die Jungs kennen lernst“, sagte sie euphorisch und sah zu einem skeptisch blickenden Yamato, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Juro und Ryota hatten sich auf der Couch niedergelassen und beobachten das Szenario aus einer sicheren Entfernungen, während Mimi all ihre Überredungskünste einsetzen musste. Sie hatte regelrecht mit Engelszunge auf Kaori eingeredet und sie überreden können zum verabredeten Treffpunkt zu erscheinen. Zwar hatte sie ihr gemeinsames Projekt als Vorwand vorgeschoben, aber hätte Mimi die Wahrheit gesagt, wäre sie ganz sicher nicht aufgetaucht. Sie wollte Kaori mit Yamato und den Jungs bekannt machen, die immer noch nach einem neuen Bandmitglied suchten. Da sich Mimi wegen der Makoto-Sache ein wenig Mitschuld gab und Kaori auf einen musikalischen Neuanfang vorbereiten wollte, hatte sie sich überlegt, einfach beides miteinander zu verbinden. Bestimmt wäre Kaori eine gute Ergänzung, während die Jungs sie mit ihrer Leidenschaft etwas beflügeln könnten. Wahrscheinlich wären sie sogar ein interessantes Team, weshalb sie bei dem Bandwettbewerb sicherlich auch eine gute Chance hätte. Mimi hatte Kaori spielen gesehen und sie war sich sicher, dass die Band mit ihr Großes vollbringen könnte. Einen Hauch Magie kreieren, der durch die unterschiedenen Instrumente entstand, auch wenn beide Parteien von Skepsis durchzogen waren. „Also ich weiß ja nicht so recht. Wir suchen einen Gitarristen und keine Geigerin“, untermauerte Yamato streng, während Kaori nervös auf ihrer Unterlippe knabberte. „Also, Kaori kann auch Gitarre spielen“, konterte Mimi sofort und legte beschützend den Arm um sie. „Aber nicht so gut wie Geige…“, murmelte ihre Freundin unsicher, während Yamato seinen angestrengten Blick gar nicht mehr ablegen konnte. Hatte er denn gar kein bisschen Vertrauen in ihren musikalischen Geschmack? „Kannst du denn mit dem Ding überhaupt etwas ‚Modernes‘ spielen? Also Chopin ist jetzt nicht so unsere Richtung“, meldete sich auch Juro zu Wort. „Hallo? Vielleicht lasst ihr sie einfach mal vorspielen?“, erwiderte Ryota stirnrunzelnd und Mimi spürte, dass sie wenigstens einen auf ihrer Seite hatte. Unsicher blickte Kaori zu ihr und schien sich etwas in die Ecke gedrängt zu fühlen, weil sie bestimmt mit sowas nicht gerechnet hatte. „Ich weiß echt nicht, ob ich das hinbekomme…“ Doch Mimi wollte sie endlich aus ihrem Schneckenhaus locken. „Natürlich bekommst du das hin“, sagte sie selbstsicher und legte beide Hände auf ihren Schultern ab. „Zeig ihnen was du draufhast. So wie damals in der Aula!“ „Das war aber eine völlig andere…“ „Keine Ausreden! Jetzt nimm‘ das Ding raus und spiel‘, als gäbe es keinen Morgen mehr“, unterbrach Mimi sie polternd. Sie wollte, dass sich Kaori fallen ließ, auch wenn sie sie sicherlich in eine Situation gedrängt hatte, die ihr unangenehm war. Aber das musste sein. Nur so schaffte sie es, die Liebe zur Musik wiederzufinden. Jedoch erkannte Mimi schnell, wie verunsichert sie war, als sie ihren überaus ängstlichen Blick auffing. „Hey, die Jungs beißen schon nicht…und w-wenn du willst singe ich einfach mit! Vielleicht kennst du ja ein Lied, dass ich mitsingen kann“, schlug Mimi versöhnlich vor, um ihr die Angst zu nehmen. Yamato stöhnte leise auf und setzte sich ebenfalls zu Juro und Ryota auf die Couch, während sich Kaoris Gesicht allmählich erhellte. „Vielleicht gibt es da wirklich ein Lied, dass du mitsingen könntest“, erwiderte sie geheimnisvoll und ging auf die Knie. Sie öffnete ihren Violinenkoffer, ehe ein kurzer Blickwechsel folgte und Mimi wieder dieses deutliche Funkeln in ihren Augen vernahm, dass sie bereits bei ihrem Krisenexperiment bemerkt hatte. Nach einem kurzen Zögern, nahm sie ihre Violine aus dem Koffer und legte sie an, während sie ihren gespannten Bogen bereithielt und ihn mit zitternden Fingern umschloss. Sie atmete tief ein, als sie konzentriert eine Melodie anstimmte. Ihr Kopf war leicht geneigt, sodass die Violine perfekt zwischen ihrem Kinn und ihrer Schulter lag. Mimi hörte gespannt zu, hatte jedoch Schwierigkeiten den Song sofort zu erkennen. Erst als Kaori den Bogen plötzlich festhielt und mit den Fingern die Saiten zupfte, fiel es Mimi wie Schuppen von den Augen. Sie kannte dieses Lied in-und auswendig, sang es oftmals unter der Dusche oder wenn es ab und an mal im Radio lief. Herausfordernd schielte Kaori zu ihr, während sie unbeirrt weiterspielte und Mimi auf die passende Stelle für ihren Einsatz wartete. You told me you loved me Why did you leave me, all alone? Now you tell me you need me When you call me, on the phone Mimi fand sich schnell zurecht, auch wenn sie den anfänglichen Einstieg verpasst hatte. Sie setzte mitten im Refrain ein und konzentrierte sich ganz auf das zarte Violinenspiel von Kaori, dass sie regelrecht dazu beflügelte mit Herzblut diesen Moment auszukosten. Sie hatte noch nie wirklich vor Publikum gesungen und sah es auch mehr als eine Art Freizeitbeschäftigung an, wenn ihr mal langweilig war. Doch irgendwie schaffte Kaori es, dass sie sich voll und ganz darauf einlassen konnte. Sie schloss die Augen und ließ sich von der Musik treiben, indem die beiden eine Klangmauer ergaben, die unumstößlich schien. Massiv, geschaffen aus der puren Hingabe zur Musik. Girl, I refuse, you must have me confused With some other guy Your bridges were burned, and now it's your turn To cry, cry me a river Sie stimmte den letzten Ton an, als die Violine ihren Abschluss präsentierte, indem sie einen hohen Laut anstimmte, der in dem kleinen Probenraum wortlos verhallte. Zufrieden blickten sich die beiden Mädchen an, als sich das Gefühl von Zusammengehörigkeit bei ihnen einstellte und ein glückliches Lächeln über ihre Lippen huschen ließ. Sie wandten sich zu den Jungs, die sie ungläubig anstarrten. „D-Das…das war der Wahnsinn“, stotterte Ryota und grinste breit, während sein Bruder Juro mit offenem Mund neben ihm saß. Yamato war völlig verstummt und schien seinen eigenen Ohren kaum zu trauen, ehe Mimi sich zu Wort meldete. „Also ich glaube, ihr solltet Kaori wirklich eine Chance geben. Sie würde wirklich gut zu euch passen“, stimmte sie fröhlich ein, während Kaori die Stirn runzelte. „Ich finde, ihr würdet beide super reinpassen“, korrigierte Ryota sie, während Yamato sich kopfschüttelnd zu ihm wandte. „Wir suchen aber einen Gitarristen!“, untermauerte er starr und wollte sich wohl nicht eingestehen, dass Kaori großartig war. „Ich kann doch auch Gitarre spielen“, führte Ryota ihm sofort vor die Augen. „So etwas Einzigartiges findest du nur einmal!“ Hilfesuchend sah er zu seinem Bruder, der immer noch völlig sprachlos auf der Couch saß und seine Gedanken sortierte. „A-Aber du bist unser Keyboarder! Willst du unsere Musik völlig durcheinanderbringen?“, warf Yamato erbost ein, während sich die Mädchen zurückhielten. „Nein, natürlich nicht, aber wir müssen uns doch…“ „Sie war fantastisch“, brachte Juro hervor und richtete den Blick zu Yamato, der ihn skeptisch musterte. „Ich weiß, dass es nicht das ist, was du dir wünschst, aber dir muss auch klar sein, dass wir uns so langsam für den Bandwettbewerb rüsten müssen. Das wäre unsere Chance.“ Mimi presste die Lippen aufeinander und konnte ein Grinsen kaum verbergen, auch wenn Yamato immer noch nicht eingeknickt war. „Von welchem Wettbewerb sprechen sie denn? Ich kann nicht vor Publikum spielen“, flüsterte Kaori ihr ängstlich zu, während sich die Jungs weiterhin beratschlagten. „Red‘ dir doch nicht sowas ein! Du spielst wunderbar und sowas darfst du der Menschheit nicht vorenthalten“, meinte Mimi überzeugt. „Aber…“ „Okay gut“, ertönte plötzlich die tiefe Stimme von Yamato und schnitt Kaori sofort das Wort ab. „Wir werden es versuchen. Ihr würdet mich ja sowieso nicht in Ruhe lassen.“ Ein erzürnter Blick streifte seine Bandkollegen, während Mimi freudig die Arme um Kaori schlang und nicht fassen konnte, dass sie ihr eine Chance gaben, auch wenn Kaori immer noch nicht sonderlich begeistert aussah. Sie würde sich sicher schon daran gewöhnen, selbst wenn Mimi auch hier wieder etwas nachhelfen musste. _ „Ich fass‘ es nicht! Du hast mich voll ins Messer laufen lassen“, beschwerte sich Kaori, als sie sich bereits auf dem Heimweg befanden. „Ich und eine Band? Oh Gott, warum habe ich nur ‚ja‘ gesagt?“ Verzweifelt fuhr sie sich durch ihre langen dicken Haare und seufzte herzzerreißend. „Ach komm‘, dir wird es sicher gefallen! Die Jungs sind super nett und ich glaube, das ist genau das, was du jetzt brauchst“, bestärkte Mimi sie. „Ist das so? Ich bin jahrelang gut ohne Musik ausgekommen“, murrte sie engstirnig. „Aber man merkt dir doch an, dass du sie vermisst. Auch wenn ich noch nicht wusste, dass du ein heimlicher Justin Timberlake Fan bist.“ Mimi grinste und konnte nicht verbergen, dass Kaori sie zutiefst beeindruckt hatte. Sie war daher Yamato sehr dankbar, dass er ihr eine Chance gab, auch wenn sie ihr versprochen hatte, anfangs zu den Proben mitzukommen, weil sie doch sehr schüchtern war und die Jungs noch nicht gut genug kannte, um sich fallen zu lassen. Doch Mimi war sich sicher, dass es sich in kurzer Zeit bereits ändern würde. Und wer weiß, vielleicht gewannen sie ja wegen Kaori auch den Bandwettbewerb, der bald stattfinden würde! „Ich bin gar kein Justin Timberlake Fan. Emi hat seine Musik immer gehört und nicht ich“, klärte sie sie leise auf und blickte angestrengt zu Boden, während sich ihr Griff um ihren Violinenkoffer verstärkte. „Emi ist deine Schwester, oder?“, fragte Mimi behutsam nach, da Kaori von sich aus noch nie etwas über sie erzählt hatte. Sie nickte nur traurig und Mimi konnte sofort erkennen, dass sie dieses Thema belastete. Doch was sollte sie nur sagen? So gut kannten die beiden sich leider nicht und sie wollte auch keine Grenze überschreiten, die ihre frische Freundschaft auf die Probe stellen könnte. „Sie studiert an der Juilliard“, begann sie mit zitternder Stimme. „Sie hat damals ein Stipendium bekommen und…und dann hat sie mich alleine gelassen.“ Überrascht wandte Mimi den Kopf zur Seite und wusste nicht wirklich, was sie darauf antworten sollte. Sie hatte Kaori alleine gelassen? Wie meinte sie das nur? Dunkel erinnerte sie sich an die Worte von Frau Misa, die eine Trennung der beiden Schwestern bereits vermuten ließ. Doch der Schmerz in Kaoris Augen signalisierte ihr, dass viel mehr dahintersteckte, als Mimi anfangs angenommen hatte. „H-Habt ihr denn noch viel Kontakt zueinander? Wie lange studiert sie schon da?“, fragte sie vorsichtig, da sie Kaori nicht zu nah treten wollte. Doch sie lächelte nur matt, während ihre Augen ganz gläsern wurden. „Wir schreiben oft miteinander, manchmal telefonieren wir auch, aber es ist einfach nicht dasselbe. Ich habe das Gefühl, sie immer mehr zu verlieren und gar nicht mehr zu wissen, wer sie eigentlich ist“, antwortete sie resigniert und machte eine kurze Pause bevor sie weitersprach. „Vielleicht ist das aber auch manchmal so. Dass man die Menschen, die man liebt, loslassen muss. Ihnen die Freiheit schenkt, damit sie sich entfalten können, in der Hoffnung, dass sie eines Tages zu einem zurückkehren.“ Ihre Worte erfassten sie zu tiefst, auch wenn sie noch nicht mal richtig verstand, warum. Sie dachte automatisch an Tai und den winzigen Moment, den sie im Kino miteinander geteilt hatten. Wie sich ihre Hände zärtlich berührten… Dabei wollte ihm Mimi lediglich ein Zeichen geben, dass sie ihn noch nicht aufgegeben hatte. Dass sie sich mehr wünschte, auch wenn sie bisher vergeblich auf eine Reaktion von ihm gewartet hatte. Und Kaori schien es wohl genauso zu gehen. Sie wartete auf die Rückkehr ihrer Schwester, die sie für ihren Traum zurückgelassen hatte, ihr somit die Sicht der schönen Dinge nahm und ihr Herz mit Verbitterung umhüllte. Manchmal wartete man vergeblich, ein anderes Mal schien ein winziger Hoffnungsschimmer durch die dunkeln Wolken, die den strahlend blauen Himmel bedeckten. Vielleicht brauchte es einfach nur ein bisschen Zeit, bis man erkannte, dass es sich um die letzte Chance handelte. Noch war Mimi geduldig, doch sie wusste, dass es nicht ewig so sein würde. Kapitel 27: Schritt für Schritt ------------------------------- ♥ Taichi ♥ Der restliche August zog wie im Schnelldurchlauf an ihm vorbei und seit ungefähr zwei Wochen hatte der Schulalltag ihn wieder eingeholt. Diesmal jedoch schlimmer als zuvor. Er war unkonzentriert und überhaupt nicht bereit seine Zukunft endlich in die Hand zu nehmen. Auch wenn er wusste, dass nächste Woche sein erstes Testspiel stattfand, dass über das Stipendium entscheiden konnte, befand er sich im Kreise seiner Freunde und feierte Koushiros Geburtstag, der auf einen Samstag fiel. Zwar verzichtete er auf sein herkömmliches Bier, doch diese Entscheidung hatte nur wenig mit dem Sportstipendium zu tun. Er war es leid geworden und konnte es nicht mehr ertragen, wie Alkohol Menschen unaufhaltsam kaputt machte, auch wenn er wohl zu den wenigen gehörte, die an diesem Abend nüchtern blieben. Sein Blick schweifte durch die Runde, die sich aus seinen Freunden, den restlichen Bandmitgliedern und einigen Klassenkameraden von Koushiro zusammensetzte. Es war eine überschaubare kleine Runde, die in Yamatos Probenraum genügend Platz fand, um einen entspannten Abend miteinander zu verbringen. Sein bester Freund unterhielt sich gerade angeregt mit Juro und wirkte auf Taichi sehr gelöst, was bestimmt an ihrem neuen Bandmitglied lag. Taichi kannte Kaori eigentlich nur vom Sehen und wusste, dass Mimi mit ihr ein gemeinsames Schulprojekt vorbereitete, dass sie am Herbstfest vorstellen sollten. Es hatte ihn sehr überrascht als Yamato ihm erzählte, dass er ein neues Mitglied aufgenommen hatte, besonders, weil sie auch ein sehr ungewöhnliches Instrument für eine Rock-Band spielte. Doch sie schienen alle gut miteinander zu harmonieren, auch wenn sie erst seit knapp zwei Wochen zusammen probten. Taichi seufzte leise, umklammerte seine Cola mit steifen Fingern und fixierte mit seinen Augen eine ganz bestimmte Person im Raum. Natürlich blieb er wieder bei ihr hängen – so wie es meistens der Fall war. Seit dem Kinobesuch hatte er kaum etwas von ihr gehört gehabt, sah sie mittlerweile jedoch wieder regelmäßig in der Schule, auch wenn er ihre Geste, nach wie vor nicht verstanden hatte. Was sollte das nur? Wollte sie ihn komplett verwirren? Warum ließ sie zu, dass sie während des Kinofilms Händchen hielten und jetzt spielte sie wieder die Unnahbare... Er verstand sie nicht…er beobachtete sie den ganzen Abend schon dabei, wie sie gemeinsam mit Koushiro und Kaori eine unbeschwerte Zeit genoss, ausgelassen tanzte und herzlich vor sich hin kicherte. Ja, sie hatte Spaß, während er sich völlig deplatziert fühlte. Wie sollte er nur die Gelegenheit bekommen mit ihr alleine zu sprechen, wenn sich ständig jemand in ihrer Nähe befand? Es war sowieso kaum zum Aushalten, da ihn die aufkommende Unsicherheit regelrecht innerlich zerfraß. Doch was sollte er nur tun? Sie einfach nach draußen entführen? Frustriert lehnte er sich gegen die kühle Wand, hatte aber immer noch den Blick auf Mimi gerichtet. „Starr‘ nicht so auffällig“, ertönte plötzlich die Stimme seiner besten Freundin, die sich an ihn herangepirscht hatte. Taichi zuckte kurz zusammen und hielt sich die Brust. „Man Sora, musst du mich so erschrecken?“ „Tut mir leid, aber deine Aufmerksamkeit scheint wirklich nur auf eine Person hier im Raum ausgerichtet zu sein“, stellte sie amüsiert fest und nippte an ihrem Wasser. Angesäuert verzog Taichi etwas das Gesicht, als ihm auf einmal das fahle Gesicht seiner besten Freundin ins Auge stach. Ihr müder Blick wurde von tiefen Augenringen betont, die trotz Make-Up immer noch zu sehen waren. „Sag‘ mal, hast du die Nacht durchgemacht oder warum siehst du so furchtbar aus?“ Entgeistert blickte Sora ihn an, während sich ihr Gesicht abrupt verfinsterte und sie ihm unsanft gegen den Arm boxte. „Du bist echt so charmant! Tut mir leid, dass ich zurzeit nicht viel Schlaf finde.“ „Ach du findest nicht viel Schlaf? Hält dich dein Freund nachts etwa so auf Trab?“, hakte er verwegen nach, während Sora knallrot anlief. „Mensch Taichi!“, zischte sie erbost und zog die Augenbrauen zusammen. „Du weißt doch, dass ich vierundzwanzig Stunden an meiner Mappe sitze. Für sowas habe ich wirklich überhaupt keine Zeit.“ „Oh, der arme kleine Yamato! Liebesentzug…ich hoffe er halluziniert nicht bald vor Entzugserscheinungen“, witzelte Taichi als sich auch Soras Miene etwas erweichte. „Manchmal bist du wirklich dämlich“, sagte sie verschmitzt und lehnte sich ebenfalls gegen die Wand, ehe sie herzlich schnaufte. „Kommst du denn gut voran?“, hakte Taichi interessiert nach. Sora legte ihre Hand in den Nacken und rieb behutsam darüber, während sie sachte mit dem Kopf schüttelte. „Ich glaube, mir wird alles im Moment zu viel. Schule, Nebenjob, Sportverein und noch die Entwürfe? Mein Tag bräuchte achtundvierzig Stunden und das wäre immer noch nicht genug. Im Moment bin ich einfach nur erschöpft und würde am liebsten einfach nur in mein Bett fallen“, erklärte sie ihm deprimiert. „Ich hoffe, dein Sportstipendium läuft besser.“ Sie schenkte ihm einen aufmunternden Blick, den Taichi ein wenig wiederwillig erwiderte. Am liebsten hätte er ihr gesagt, wie es zurzeit bei ihm aussah, doch wenn er in die müden Augen seiner besten Freundin sah, brachte er es nicht übers Herz. Sora war jemand, der sich sehr für ihre Freunde einsetzte und die Probleme von ihnen oftmals zu ihren Eigenen machte. Das wollte Taichi verhindern und entschied sich dazu gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Daher setzte er ein überzeugendes Lächeln auf und erzählte, was sie insgeheim von ihm hören wollte. _ Die Stimmung wurde im Laufe des Abends immer ausgelassener, was natürlich dem überhöhten Alkoholkonsum zu verdanken war. Taichi fand es immer anstrengender den Abend zu überstehen, da ihn diese ständige Kicherei und die Albernheiten der anderen mittlerweile nervte. Mimi schwankte bereits gefährlich hin und her, als sie ihr Mixbier in einem Zug leerte, die Flasche triumphierend in die Höhe hielt und ein alt bekanntes Spiel ankündigte. „Ladys, es wird Zeit für Wahrheit, oder Pflicht“, posaunte sie freudig heraus und rangierte die übriggebliebenen Gäste umher, sodass sie einen großen Kreis ergaben. Wiederwillig setzte sich Taichi neben Sora, die ihren Kopf an Yamatos Schulter gelehnt hatte und sich müde über ihre Augen fuhr. „Auch das noch…“, löste sich leise von Taichis Lippen, als Mimi die Flasche in die Mitte legte und sie schwungvoll drehte, um das erste Opfer zu finden. Die Flasche hielt bei Daisuke an, der sich selbstverständlich für Pflicht entschied und eine Zitrone, die für die Cocktaildekoration gedacht war, vor die Nase gesetzt bekam, in die er hineinbeißen musste. Angewidert verzog er das Gesicht, ehe Yolei ihm die Zitrone durchschnitt und anreichte. „Ich kann doch nicht die Schale mitessen“, beschwerte er sich und musterte die Zitronenhälften argwöhnisch. „Na, dann beiß halt Drumherum“, sagte Yolei locker und setzte sich neben Ken, der herausfordernd zu seinem besten Freund sah. Davis schluckte leicht, als er ohne weitere Widerworte ist das saure Fleisch biss und sofort den Mund verzog. Die Menge applaudierte und feuerte ihn immer weiter an, bis er tatsächlich das Innenleben der Zitrone verspeist hatte. „Oh Gott war das sauer“, verkündete Davis angewidert und nahm die Flasche an sich, um den Nächsten auszuwählen. Je länger sie spielen, desto mehr Alkohol floss, weshalb die Fragen immer ausgelassener wurden. Es wurde viel gelacht und auch Taichi versuchte sich etwas fallen zu lassen, was ihm jedoch nicht sonderlich gut gelang. Er war froh, wenn ihn die Flasche nicht erwischte, damit er seine Ruhe haben konnte. Daher beobachtete er die sich noch immer drehende Flasche, die immer langsamer wurde. Er hielt bereits die Luft an, als sie kurz vor ihm zum Stehen kam und auf Sora zeigte. „Soraaaa“, quietschte Mimi besonnen und kicherte verheißungsvoll, während sie mit Yolei vielsagende Blicke austauschte. „Es wird Zeit für Pflicht! Nochmal werde ich dir ‚Wahrheit‘ nicht durchgehen lassen.“ Mimi rümpfte theatralisch die Nase und fixierte Sora mit festem Blick. „Was? Ist doch meine Sache, was ich nehme“, erwiderte sie verständnislos. „Diesmal nicht! Es wird Zeit, dass du mal ein bisschen lockerer wirst“, murrte Mimi eingeschnappt und starrte sie beleidigt an, bis sich Soras ernste Miene erweichte. „Okay gut, dann nehme ich halt Pflicht“, gab sie letztlich nach, als sich auf Mimis und Yoleis Lippen ein verheißungsvolles Grinsen schlich. „Okay, tausch‘ mit deinem Göttergatten die Klamotten“, wies Mimi sie an und erntete von der kleinen Runde ein überraschtes Staunen. „Aber ihr müsst euch vor uns allen umziehen, ansonsten geht ja der Witz verloren“, ergänzte Yolei grinsend, während sich von den Lippen seiner rothaarigen Freundin ein genervter Laut absonderte. Sie war immer noch genauso nüchtern wie er und hatte sicherlich keine Lust sich vor allen Anwesenden auszuziehen. Doch bekanntlich war in solchen Momenten der Gruppenzwang meist größer, weshalb sie wiederwillig ihre Sachen auszog, während Yamato es wohl kaum erwarten konnte endlich aus seinen zu steigen. Während Sora sich schön langsam aus ihren Sachen pellte, stand Yamato bereits in Unterwäsche da und präsentierte seinen makellosen Körper vor den anderen. „Wow, ein wahrhaftiger Adonis“, steuerte Yolei kreischend bei, während Yamato tänzerisch seine Hüften bewegte. „Oh man, wie peinlich...“, grummelte Takeru, der seinen Bruder noch nicht mal ansehen konnte und sich hinter seiner Schwester Kari versteckte, die sich vor Lachen gar nicht mehr ein bekam. „Na hopp, Sora! Das muss ein bisschen schneller gehen“, tadelte Mimi sie, als sie genervt ihr Shirt sinken ließ und in schwarzer Unterwäsche vor allen stand. Taichi staunte nicht schlecht, auch wenn er sie natürlich nicht anstarren wollte. Seine Wangen verfärbten sich leicht rot, da er zugeben musste, dass seine beste Freundin in Unterwäsche gar keine schlechte Figur machte. Er biss sich bei diesem Gedanken auf die Unterlippe und bemerkte plötzlich, dass Mimi seinen eindeutigen Gesichtsausdruck aufgefangen hatte. Sofort wandte sie den Blick von ihm und fuhr sich hektisch durch ihre langen Haare, ehe sie ein falsches Lächeln aufsetzte und sich Sora wieder zuwandte. „Uhlalala, da kann sich Matt ja richtig glücklich schätzen“, erwiderte sie scharfzüngig. „Sag mal, hast du etwa obenrum zugelegt?“ „Mimi“, zischte Sora peinlich berührt und verschränkte sie Arme schützend vor ihrer Brust, als Yamato ihr bereits seine Sachen anreichte. Etwas ruppig nahm Sora ihm sein T-Shirt aus der Hand und zog es sich sofort über, um sich vor den neugierigen Blicken zu schützen. Es dauerte nicht lange, bis beide tatsächlich in den Sachen des jeweils anderen vor dem Rest standen. Yamato bekam jedoch nicht Soras Hose über die Hüfte, weshalb sie in seinen Kniekehlen hingen und auch ihr Shirt war ihm viel zu eng, während Sora in Yamatos Sachen ein wenig unterging. „Okay, können wir uns jetzt wieder umziehen gehen?“, fragte Sora etwas gereizt, während der Rest sich über die Verwandlung der beiden köstlich amüsierte. „Ach lasst uns noch ein Foto machen! Das müssen wir doch für die Nachwelt festhalten“, lachte Yolei, während Mimi bereits ihr Handy gezückt hatte und die beiden in einer seltsamen Poste ablichtete. Auch Yamato lachte unbeschwert, bis Sora ihn am Handgelenk packte und ihn in eine kleine Abstellkammer zerrte, um ihre Klamotten wieder zu tauschen. „Bleibt aber ja anständig“, rief Mimi ihnen kichernd hinterher, als auch schon die Tür ins Schloss fiel. „Okay, dann drehe ich eben jetzt für Sora!“, bestimmte Yolei und nahm die Flasche an sich. „Aber die nächste Aufgabe steht schon fest. Wir haben ja noch gar nicht an unser Geburtstagskind gedacht!“ Sie wankte zur Mitte und richtete den Blick zu Koushiro, dessen Lachen auf der Stelle verstummte. „Was? An mich?“, hakte er verwirrt nach und blickte unsicher zu Yolei, die die Flasche bereits auf dem Boden platziert hatte. „Ja! An dich, mein Lieber! Du brauchst dringend noch einen Geburtstagskuss!“, lachte sie und drehte die Flasche mit einer geschickten Handbewegung. „Sowas soll ja bekanntlich Glück bringen!“ „W-Was? Weißt du wie viele Kerle hier sind?“, fragte Koushiro stammelnd und blickte in die gutgefüllte Herrenrunde. „Naja, solche Erfahrungen sollte man doch auch mal gesammelt haben, oder?“, meinte Yolei unbeeindruckt. „Also spitz‘ schon mal die Lippen.“ Koushiros Augen weiteten sich blitzartig, als er mit purer Anspannung die Flasche verfolgte. Doch das Schicksal hatte wohl andere Pläne mit ihm. Sie wurde immer langsamer, als sie plötzlich anhielt und die Ernüchterung Taichi prompt entgegenschlug. Das durfte doch nicht wahr sein… „Uhhh, da hast du aber nochmal Glück gehabt“, flötete Yolei fröhlich, während auch Mimi abrupt verstummt war. Denn die Flasche hielt direkt vor ihr. „Na los! Worauf wartet ihr denn noch?“ „Yolei…“, grummelte Mimi kleinlaut. „Was denn? Du wolltest doch Wahrheit oder Pflicht spielen und du hast jetzt die glorreiche Aufgabe unser Geburtstagskind zu küssen.“ Sie spitzte die Lippen und schielte zu Koushiro, der sofort rot angelaufen war. „Na hopp! Ich musste eine dämliche Zitrone essen und werde wohl erst nächste Woche meinen Geschmacksnerven vollständig wiedererlagen! Ganz oder gar nicht!“, protestierte Davis und stachelte Mimi weiter an. „Aber…“ „Die Flasche hat gewählt“, meinte auch Ryota, der neben seinem Bruder saß und gespannt die Lage verfolgte. „Ich…“ „Es gibt kein Zurück mehr“, trällerte Yolei und drückte Mimi in die Mitte. Taichi atmete auf einmal sehr unruhig, als er Mimis angespanntes Gesicht auffing und bemerkte, wie sie mit sich selbst haderte, während die bohrenden Blicke auf ihrer Haut brannten. „Okay ist ja schon gut! Ich mach es ja!“, verteidigte sich Mimi und steuerte ohne Umschweife direkt auf Koushiro zu, der noch nicht mal realisierte, wie ihm geschah, bis Mimi ihre Lippen auf seine gepresst hatte. Taichi schluckte und konnte nicht fassen, welches Bild sich vor seinen Augen bot. Er sah, wie Mimi angestrengt die Augen zukniff, während Koushiro sich nur sehr vorsichtig auf den Kuss einließ. Es fühlte sich wie unzählige Stunden an, in den Taichi die beiden beobachtete. Man spürte förmlich, wie ihr unschuldiger Kuss leidenschaftlicher wurde, indem Koushiro auf einmal die Hand hinter ihrem Nacken platzierte und sich in der süßen Versuchung verlor. Taichi biss sich auf die Unterlippe und wollte am liebsten wegsehen, während die schallenden Rufe der anderen ihn wahnsinnig werden ließen. Er sah kurz zu Kaori, die ihm gegenübersaß, angestrengt ihre Finger um ihre Bierflasche gelegt hatte und alles andere als glücklich aussah. Er hingegen hielt es fast nicht mehr aus, auch wenn es sich nur um ein Spiel handelte. Doch als er erkannte, dass Izzys Zunge plötzlich hinzukam, wurde es Taichi zu viel. Ruckartig sprang er auf und sah aus dem Augenwinkel heraus, dass Mimi sich abrupt von Koushiro gelöst hatte und ihn ungläubig anstarrte – gerade als auch Sora und Matt wieder zurückkamen. „Ich muss mal an die frische Luft“, informierte er Joe, der zu seiner Rechten saß und ihn fragend anblickte. Danach ging er geradewegs zum Hinterhof hinaus, unwissend, dass die Vergangenheit hinter der Tür bereits auf ihn wartete. _ „Du gehst ihr aus dem Weg“, stellte Yamato nüchtern fest und zündete sich eine Zigarette an. „Das bildest du dir ein…“, knurrte Taichi bissig und lehnte sich gegen die Hauswand, während sein Freund genüsslich an seiner Zigarette zog. „Und warum klebst du mir schon den ganzen Abend am Hintern und redest kein Wort mit ihr? Taichi, ich kenne dich gut und merke, wenn du mir etwas verheimlichst.“ „Ich will aber nicht darüber reden“, zischte er wütend und vergrub seine Hände in seiner Hosentasche. „Das wollte ich schon damals nicht und das hat sich bis heute nicht geändert!“ Yamato seufzte resigniert und nahm einen kräftigen Zug seiner Zigarette. „Ich weiß nicht, was zwischen euch alles vorgefallen ist, aber jetzt ist sie eben wieder da und auch ein Teil unseres Lebens. Vielleicht solltet ihr einfach mal miteinander reden.“ „Miteinander reden? Sie würde mir niemals zuhören…“, erwiderte Taichi deprimiert. „Nicht nachdem, was alles passiert ist.“ „Ich glaube, du bist einfach nur zu stur um über deinen Schatten zu springen. Und ich fand es schon immer komisch, dass Mimi damals direkt nach dem ersten August nach Hause geflogen war und ihr dann den Kontakt zueinander abgebrochen hattet. Ihr standet euch nah, das hat fast jeder bemerkt und jetzt guckt ihr euch noch nicht mal mehr an! Das stinkt doch zum Himmel“, erwiderte er gereizt und unterstrich seine Aussagen mit harschen Handbewegungen. „Kannst du mich damit nicht endlich in Ruhe lassen?! Ich brauche wirklich nicht noch mehr Menschen, die sich in mein Leben einmischen und mir sagen, was ich zu tun und zu lassen habe“, brüllte er aufgebracht und wollte am liebsten von der Party verschwinden, doch wahrscheinlich würde ihm das noch mehr Ärger und weitere Fragen einbrocken. Zurzeit stand sein Leben einfach Kopf. Er kam nicht damit zurecht, dass sie wieder da war. Da half es auch nicht, dass sein bester Freund ihm gut zu reden wollte… Matts Augen blitzten erbost, doch kein einziges Wort kam über seine Lippen. Eine bedrohliche Stille legte sich über die beiden, da sich Tai bereits denken konnte, dass er mit seinem Verhalten seinen Freunden das Leben schwermachte. „Tai, du bist mir wirklich wichtig und ich will, dass du glücklich bist, aber so kann ich dir beim besten Willen nicht helfen“, unterbrach Yamato die beißende Stille, die sich über sie gelegt hatte, bevor er seine Zigarette auf den Boden fallen ließ und sie austrat. Danach verschwand er kopfschüttelnd durch die Tür, ohne ein weiteres Wort an ihn zu verlieren. Das lautstarke Knallen signalisierte Taichi, dass er sauer war, doch damit wollte er sich heute Abend nicht auch noch beschäftigen. Er drückte sich gegen die Hauswand, als ein laues Lüftchen ihn erfasste und ihn dazu brachte in den unendlich wirkenden Himmel zu schauen. Die Sterne funkelten hell am Himmelzelt und für den Moment schien er sich ganz in ihnen zu verlieren. Er wusste selbst, wie ätzend seine Laune zurzeit war, doch er schaffte es nicht sie zu ändern. Am liebsten würde er die Zeit zurückdrehen und all seine Fehler rückgängig machen, da er es leid war, Menschen zu verletzen, die ihm wichtig waren. Allerdings war dies nicht möglich, schließlich besaß er keine Zeitmaschine oder Zauberkräfte, die ihn zurückbrachten. Er war hier und alles war ihm zu viel. „Die Sterne sind wirklich ein Traum, oder?“, ertönte plötzlich eine liebliche Stimme. Erschrocken drehte er sich herum und sein Atem stockte abrupt. Mit ihr hatte er wirklich nicht gerechnet… „J-Ja, sind sie…“, brachte er mit schwerfälliger Zunge hervor und sah wie sie näherkam. Er hatte noch nicht mal die Tür gehört, weil er so sehr in seine eigenen Gedanken vertieft war. Sie stellte sich direkt neben ihn, sodass der Geruch ihres süßlichen Parfüms ihm in die Nase stieg und seine Sinne vernebelte. Doch sie starrte nur in die dunkle Nacht, die von den Sternen erleuchtet wurde. „Es ist wirklich selten, sie in Tokio so klar erkennen zu können“, meinte sie und ein zartes Lächeln legte sich über ihre Lippen, während sie sich gegen die Hauswand lehnte. Taichi nickte nur bestätigend, brachte aber keinen Ton hervor, da sie ihm mal wieder die Sprache verschlagen hatte. Heimlich musterte er sie von oben bis unten, weil er sie den ganzen Abend noch gar nicht richtig angesehen hatte. Sie trug einen dickeren hellgelben Pullover, der ihrer Figur dennoch schmeichelte, während sie ihr gewelltes Haar offen trug und es sanft über ihre linke Schulter gelegt hatte. Ihm fiel es unsagbar schwer sich zu konzentrieren, wenn sie so dicht neben ihm stand und auch noch so umwerfenden aussah, dass er kaum ein Wort rausbrachte. Was war nur mit ihm los? So schüchtern kannte er sich gar nicht, aber nachdem was alles passiert war, war es kein Wunder, dass sie sehr befangen miteinander umgingen. Er wollte sich am liebsten für sein Verhalten bei ihr entschuldigen, wohlwissend, alte Wunden bei ihr auszureißen, weshalb er sich dazu entschied nichts zu sagen. Doch diese Stille zwischen ihnen wurde unerträglicher, je länger sie anhielt. „Wie geht es dir denn so? Wir hatten heute kaum eine Gelegenheit miteinander zu sprechen“, sagte sie auf einmal und lächelte milde. Ein wenig aus dem Konzept gebracht, druckste Taichi herum und fuhr sich hektisch durch seine wilde Mähne. „Ganz gut, schätze ich…und d-dir?“, fragte er interessiert, auch wenn er bemerkt hatte, dass ihr Blick traurig wirkte und ihre Augen nicht mehr den lebensfrohen Glanz versprühten, den er immer von ihr kannte. Aber was erwartete er auch? Sie war nicht grundlos nach Japan zurückgekehrt. Ihr Großvater war erst vor kurzem gestorben, weshalb sich diese Frage auch einfach nur bescheuert anhörte. Dennoch bemerkte er, wie sie sich vor ihm zusammenriss und sich selbst zum Lächeln zwang. „Mir geht es gut! Unkraut vergeht bekanntlich nicht“, scherzte sie und lockerte ihre Beine, während Tai sie mit großen Augen ansah. Auch wenn er spürte, dass alles sehr aufgesetzt klang, hielt sie eine perfekte Fassade aufrecht, indem sie sich hinter einem strahlenden Lächeln versteckte, auf das er früher sicher reingefallen wäre. „Mimi…du brauchst mir wirklich nichts vorzumachen! Ich weiß, dass alles im Moment sehr schwer für dich sein muss und ich würde mich auch wahnsinnig gerne für mein Verhalten bei… „Tai, lass‘ es…“, unterbrach sie ihn mit einem scharfen Unterton. „Ich will deine Entschuldigungen nicht mehr hören! Es ist passiert und man kann es nicht mehr ändern!“ Geschockt betrachtete ihr Gesicht, das sich auf einmal komplett verändert hatte. Der Schmerz und die Trauer über ihre Vergangenheit waren immer noch allgegenwärtig und er war nicht in der Lage ihr diese Last von den Schultern zu nehmen, da er sie verursacht hatte. „Mimi…du weißt, dass es mir leidtut. I-Ich weiß auch nicht, wie ich alles wieder gut machen kann, aber ich möchte…“ „Hör bitte auf! Ich komme schon damit klar. Ich bin kein kleines Mädchen mehr und brauche keinen, der mich beschützt und in Watte packt!“, redete sie ihm dazwischen und ging auf Abstand. „Lass uns das Ganze einfach vergessen, okay?“, meinte sie und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. „Es ist einfach eine Erinnerung, die allmählich verblasst, ja?“ Verbittert biss er sich auf die Unterlippe und haderte mit sich selbst. Was war, wenn er es nicht vergessen wollte? Wenn genau diese Erinnerung, die Schönste seines Lebens war und ihm seine wahren Gefühle offenbart hatte? „I-Ich…“, er hielt inne, als er in Mimis weinerlichen Augen sah und sich sofort von ihr abwandte. Es dauerte einen Moment, bis er seine Stimme wiedererlangt hatte und einsehen musste, dass es manchmal vielleicht sogar zu spät war, um jemanden zu kämpfen. Dass es besser war, ihn ziehen zu lassen, auch wenn es einem selbst das Herz zerbrach. „Du hast Recht. Es bringt nichts in der Vergangenheit zu leben. Wir sollten nach vorne schauen“, löste sich schweren Herzens von seinen Lippen und hinterließ bei ihm das Gefühl, sie endgültig verloren zu haben. _ Frustriert hatte er sich nach draußen verzogen und genoss die Ruhe, die ihn umgab. Hier hatten sie sich vor über einem Jahr darauf geeinigt, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Ihrer Freundschaft eine Chance zu geben und die zarte Liebe, die sie verbunden hatte, zu vergraben. Doch er konnte es nicht überwinden. Er war immer noch in sie verliebt, unfähig zu seinen Gefühlen zu stehen, da ihn die Angst vor Zurückweisung regelrecht blockierte. Er hatte keine Ahnung, wie lange er sich schon draußen befand und ob sie dieses dämliche Spiel tatsächlich weiterspielten. Es war ihm auch scheißegal, auch wenn sich vor seinem inneren Auge immer noch das gleiche Szenario abspielte. Mimi. Izzy. Lippenkontakt. Gott, er konnte gar nicht in Worte fassen, wie rasend ihn dieser Anblick werden ließ. Unkontrolliert strömte die Eifersucht durch seinen Körper und raubte ihm jeden klaren Gedanken. Gut, die beiden waren gute Freunde und kannten sich mindestens genauso lang, wie er sie, aber küsste man so eine gute Freundin? Mit so viel Leidenschaft? Er könnte wahnsinnig werden, weshalb er unruhig im Hinterhof entlang spazierte und gar nicht bemerkte, wie sich jemand zu ihm gesellte. „Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich mit sowas deine Aufmerksamkeit errege“, hörte er ihre gebrechliche Stimme, die den dichten Nebel, der sich in seinem Kopf ausgebreitet hatte, urplötzlich durchdrang und ihn herumschnellen ließ. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und bewegte sich langsam auf ihn zu, während er immer noch wie erstarrt am selben Platz stand. „Aber vielleicht hätte ich mich auch einfach ausziehen sollen, so wie Sora. Anscheinend hat dir ihr Anblick ja sichtlich gefallen“, untermauerte sie mit gefährlich ruhiger Stimme, die Taichi verunsicherte. „Was? Wovon sprichst du überhaupt“, hakte er nach und runzelte sofort die Stirn. „Keine Ahnung…sag‘ du es mir doch! Den ganzen Abend gehst du mir aus dem Weg, dann sabberst du fast schon bei Soras Anblick und als ich Izzy küsse, rennst du auf einmal aus dem Probenraum?“, hakte sie anklagend nach und machte auf ihn einen viel nüchternen Eindruck als zuvor. Taichi schüttelte aufgrund ihrer ungeheuren Anschuldigungen nur den Kopf, da er nicht verstehen konnte, was sie sich plötzlich einredete. Und er hatte sie doch nicht ignoriert! Er war sich eben unsicher, wie er auf sie zugehen sollte, besonders, weil nach dem Kinobesuch so viele Fragen zurückgeblieben waren. „Das stimmt doch gar nicht! Ich habe dich nicht ignoriert“, verteidigte er sich vehement und stand ihr direkt gegen über. Als ob er es jemals schaffen würde sie zu ignorieren. Auch heute Abend sah sie in ihrer rosanen Bluse und der engen Jeans einfach nur umwerfend aus. „Ach nein? Den ganzen Abend hast du kein einziges Wort mit mir gesprochen und nur bei Sora gestanden! Stehst du etwa wieder auf sie, oder was?“, fragte sie hysterisch und Taichi revidierte seinen ersten Eindruck, als sie wankend noch näher auf ihn zugeschritten kam und ein trüber Blick in ihren Augen lag. „Warum antwortest du mir jetzt nicht? Habe ich etwa recht?“ Sie runzelte die Stirn und blickte weinerlich zu ihm, während Taichi ihr sprachlos gegenüberstand, unwissend, was er ihr antworten sollte. „Ich…“, er druckste herum und sah wie sich Mimis Augen mit Tränen füllten. „I-Ich…ich wusste nicht, wie ich dir gegenübertreten soll…“, murmelte er ihr entgegen und schluckte. „Was? Mir gegenübertreten? Aber warum?“ „Ich wollte nichts falsch machen“, erwiderte er sofort. „Wir befinden uns doch haargenau in der gleichen Situation wie vor zwei Jahren. Du bist frisch getrennt und ich…“ Und er war noch immer hoffnungslos verliebt in sie. Das Letzte was er wollte, war sie erneut zu enttäuschen. „Aber Taichi…denkst du wirklich ich halte im Kino grundlos deine Hand?“, hinterfragte sie spitzfindig, als er plötzlich etwas Goldenes durch ihre Bluse schimmern sah. Ungläubig starrte er auf ihr Dekolleté, ehe sein Herz einen gewaltigen Freudensprung machte. „D-Du trägst mein Geschenk“, stellte er ehrfürchtig fest, während die unbändigen Glücksgefühle in seinem Körper emporstiegen. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet gehabt, auch wenn er insgeheim gehofft hatte, dass sie ihren grazilen Hals zierte. Reflexartig umfasste Mimi ihre Kette und lächelte milde, ehe sie ihren Blick zu Boden wandte. Taichi schluckte und presste nervös die Lippen aufeinander, als er sich ein Herz nahm und seinen Mut bündelte, um endlich seine Gelegenheit zu nutzen und das längst überfällige Gespräch mit ihr zu suchen. Zaghaft berührte er ihr andere Hand und streichelte sanft mit seinem Daumen über ihren Handrücken, als sie einen verstohlenen Blick zu ihm wagte. „Ich möchte dich nicht verletzen, Mimi. Diesmal möchte ich alles richtigmachen“, erwiderte er aufrichtig und spürte auf einmal eine intensive Vertrautheit zwischen ihnen, die sein Herz beflügelte. „Wir haben oft aneinander vorbeigeredet und viel Unsinn zueinander gesagt, der uns beide sehr verletzt hat. Deswegen bin ich einfach vorsichtiger geworden, gerade weil du mir sehr wichtig bist und ich dich nicht schon wieder verlieren will.“ Mimi lächelte milde, ehe sie selbst das Wort ergriff. „Aber dann stoß‘ mich nicht ständig von dir weg. Ich weiß, dass auch ich nicht unschuldig an unserer Situation bin. Dass auch ich viel Mist verzapft habe, aber ich habe erkannt, dass das zwischen uns noch nicht vorbei ist. Und ich will doch auch nur, dass es funktioniert“, murmelte Mimi heiser und kämpfte mit den Tränen, als Taichi sich nicht länger zurückhalten konnte und die Initiative ergriff. Hingebungsvoll legte er die Arme um ihren zierlichen Körper, während sie die Fingernägel in sein Shirt krallte und ihr Gesicht gegen seine harte Brust drückte. Behutsam strich Taichi über ihren Hinterkopf, ehe die Anspannung allmählich von seinem Körper abfiel und der puren Sehnsucht wich. „Vielleicht sollten wir das Ganze langsam angehen lassen“, wisperte sie gegen seine Brust, als er überrascht zu ihr blickte und den Kopf etwas senkte. Er schluckte leicht, während er feststellte, dass sie Recht hatte. Sie hatten es in der Vergangenheit viel zu oft überstützt, weshalb sie auch in das ein oder andere Fettnäpfchen getreten waren. Sowas sollte ihm jedoch kein zweites Mal passieren. Er wollte sie diesmal glücklich machen. Kapitel 28: Unverhoffte Umstände -------------------------------- ♥ Mimi ♥ Sprachlos beobachtete Mimi die Band, die sich heute wieder zum Proben traf. Da sie Kaori versprochen hatte, die ersten Male mitzukommen und sie sowieso danach noch letzte Vorkehrungen für ihr Projekt treffen wollten, saß sie gespannt auf einem der Tische, die direkt neben der Tür zu finden waren. Sie war überrascht gewesen, wie gut die Jungs mit Kaori harmonierten und wie die Instrumente regelrecht miteinander verschmolzen, obwohl Kaoris Violine deutlich herauszuhören war. Je länger sie sie beobachtete, desto gelöster kam sie Mimi vor. Ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie gefühlvoll mit dem Bogen über die Saiten strich. Ryota und Matt begleiteten sie auf der Gitarre und dem Bass, während Juro erneut auf seinen Einsatz wartete. Voller Euphorie schlug er in die Becken, ehe das Spiel aller immer wilder wurde. Es herrschte eine gewisse Spannung im Raum, die Mimi sofort packte und fast vergessen ließ, dass sie gar nicht alleine auf dem Tisch Platz genommen hatte. Ein verstohlener Blick wanderte zu Taichi, der sich an den Tisch gelehnt hatte und mit verschränken Armen das Szenario verfolgte. Ihm war der Mund aufgeklappt, als Kaori und die Jungs mit vollster Hingabe umhertänzelten und ihre ganz eigene Magie im Raum verteilten. Belustig schielte sie zu ihm, als sie erkannte mit welcher Begeisterung er die Musik verfolgte. Sie rutschte etwas näher an ihn heran und spürte, dass ihr Herz nach seiner Nähe flehte. Seit Koushiros Geburtstag waren sie lediglich verblieben, es langsam angehen zu lassen, was aufgrund ihrer vollen Terminkalender kein Problem war. Während Mimi sich auf ihr Projekt konzentrierte, dass sie morgen bereits beim Schulfest präsentieren sollten, fand zeitgleich auch Taichis erstes Testspiel statt, weshalb er die Woche über viel Zeit auf dem Sportplatz verbracht hatte. Dennoch wollte sie nicht, dass sie in eine Art Schneckentempo verfielen, weshalb sie sich insgeheim sehr freute ihn heute nochmal kurz sehen zu können. Er war nach der Bandprobe mit Yamato verabredet, der ihn etwas von seinem wichtigen Spiel ablenken wollte, indem sie einen entspannten Männerabend miteinander verbrachten. Mimi hingegen hatte Kaori zum Abendessen eingeladen, um später noch an den Feinheiten für ihr Projekt zu Pfeilen. Ihre gemeinsame Zeit war also begrenzt, weshalb sie die Momente in seiner Nähe besonders genießen wollte. Der kleine Disput im Hinterhof war schon längst in den Hintergrund gerückt, da sie verstehen konnte, warum er so intensiv auf den harmlosen Kuss mit Izzy reagiert hatte. Er war eifersüchtig – so wie sie auf Sora, auch wenn es völlig blödsinnig war. In Izzy sah sie lediglich einen Bruder, der jedoch seit ihrem Kuss etwas komisch auf sie reagierte. Anscheinend war es ihm doch sehr unangenehm gewesen, weshalb er dieses Thema meist außen vorließ, wenn die beiden sich zum Lernen trafen. Doch das war okay für sie. Besonders weil ihre ganze Aufmerksamkeit mittlerweile Taichi galt, der sehr zurückhaltend auf sie wirkte. Es hatte sich ein seltsames Gefühl über sie gelegt, dass sich aus einer unbeschreiblichen Anspannung und einem wohligen Kribbeln in der Magengegend zusammensetzte. „Wirklich unglaublich“, hauchte Taichi beeindruckt und lehnte sich etwas näher zu Mimi, sodass sein typischer Duft in ihrer Nase kitzelte. „Ja und ich habe sie zusammengeführt! Eigentlich schuldet mir Yamato einen Dankesstrauß“, brüstete sie sich und rümpfte ihr feines Näschen. „Einen Dankesstrauß? Übertreib‘ mal nicht“, lachte Taichi, während sich Mimis Blick verfinsterte. „Hey, ohne mich wäre er sicher in einer musikalischen Depression versunken“, verteidigte sie sich beleidigt und wollte gerade Taichi gegen den Arm boxen, als er ihr Handgelenk geschwind festhielt und sie mahnend fixierte. „Na, na…also Gewalt ist aber keine Lösung!“, tadelte er sie verschmitzt und zog sie behutsam näher an sich heran, während Mimi einen zischenden Laut von sich gab. „Tse, wer so frech ist, bekommt halt keine Streicheleinheiten“, antwortete sie keck, ehe er in einem unbemerkten Augenblick den Arm um sie legte und sie schmollend ansah. „Du könntest ruhig mal etwas netter zu mir sein. Ich habe morgen mein Testspiel.“ „Und ich habe morgen meine Projektvorstellung! Ich denke, wenn dann haben wir beide etwas Liebe verdient“, erwiderte sie versöhnlich, wandte sich aber danach etwas von ihm ab, damit es die anderen nicht mitbekamen. Etwas enttäuscht sah Taichi zu ihr und nahm wieder seine Beobachtungshaltung ein, während Mimi durchaus seinen Blick mitbekommen hatte. Unauffällig wanderte sie mit ihrer Hand zu seiner und streichelte sanft darüber, bis er seine Finger zärtlich mit ihren verschränkte. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er sie verstohlen anblickte. „Was machst du eigentlich am Sonntag?“, fragte er gerade heraus und musterte sie erwartungsvoll. Mimi presste die Lippen aufeinander, um sich ein Lächeln zu verkneifen. Endlich fragte er sie! Sie hatte schon die ganze Woche drauf gewartet gehabt! „Mhm, weiß noch nicht. Kommt drauf an, wer sich um meine Gunst bemüht“, trällerte sie freudig, als die Band gemeinsam den letzten Ton anstimmte. „Du bist ganz schön frech, Prinzessin“, kam es direkt von ihm, während er theatralisch mit den Augen rollte. „Tja, eine Prinzessin will eben, dass man ihr den Hof macht“, sagte sie überzeugend. „War mir irgendwie klar gewesen“, murrte er, als sie sich plötzlich näher an ihn heran lehnte und sanft über seinen Handrücken strich. „Aber ich glaube, Sonntag klingt soweit ganz gut“, erwiderte sie verträumt, bevor sie seine Hand losließ und es insgeheim gar nicht erwarten konnte, einige Stunden alleine mit ihm verbringen zu dürfen. _ Der nächste Tag kam schneller als ihr lieb war. Gemeinsam mit Kaori hatte sie alles vorbereitet und befand sich schon den halben Morgen in der Schule, um ihren Stand aufzubauen. Sie hatten sogar das Videomaterial der Universität ausgehändigt bekommen, um ihr Experiment vorführen zu können. Ihre Ergebnisse und die Vorgeschichte des Krisenexperiments hatten sie auf Plakaten festgehalten. Gemeinsam waren sie zu dem Entschluss gekommen, dass ein Normbruch zwar bei vielen Verunsicherung und teilweise auch Verachtung ausgelöst hatte, aber, dass es durchaus auch Menschen gab, die sich ihrer Leidenschaft hingaben. Die, die sie nicht kontrollieren konnten, weil sie aus einem starken inneren Impuls bestanden, der sich einfach jeglichen Regeln wiedersetzte. „Zum Glück haben wir das Video zum Laufen gebracht“, seufzte Kaori und ließ sich auf einem der Stühle nieder, der sich hinter ihrem Stand befand. Mimi lehnte sich gegen ihren Tisch und betrachtete ihr Klassenkammeraden, die hektisch umherwuselten. Mimi kannte noch nicht mal die Projekte der anderen und selbst Izzy hatte ein riesiges Geheimnis um Seins gemacht. Sie wusste nur, dass er irgendetwas programmiert hatte, was den Alltag erleichtern würde – mehr hatte sie aus ihm nicht rausgekriegt, was sie mehr als nur fuchste. „Im Moment ist wirklich wenig los“, meinte Mimi, während sie sich kurz umschaute und einen knappen Blick auf ihre Uhr wagte. Taichis Spiel hatte bereits begonnen und auch wenn sie wusste, dass der Rest ihrer Freunde ihn anfeuerte, wäre sie gerne dabei gewesen. Sie hatten sich tatsächlich für morgen verabredet, auch wenn sie noch nicht entschieden hatten, was sie gemeinsam unternehmen wollten. Es war ihr erstes offizielles Date und Mimi war schon ganz schön nervös. Es war nicht so, dass sie sich noch nie alleine mit ihm getroffen hatte, aber in der Vergangenheit geschah alles im Schleier der Heimlichtuerei. Okay, im Moment war es bisher auch noch nichts Offizielles, aber es war ja auch noch nichts zwischen ihnen passiert, dass in geringster Weise spruchreif wäre. „Schaust du in die andere Woche?“, fragte Kaori amüsiert, als Mimi kurz zusammenschrak. Sie war ganz in ihre Gedanken vertieft gewesen. „Was? Nein…aber…“, sie druckste herum und drehte nervös an ihren Haarspitzen. „Kann ich dich vielleicht mal zehn Minuten alleine lassen? Taichi hat sein Fußballspiel und ich wollte…“ Ihre Wangen wurden ganz warm, als Kaori sie mit einem erstaunten Blick anstarrte. „Oh, ähm ja klar“, druckste sie herum und wirkte auf einmal etwas verunsichert. „I-Ich wusste gar nicht, dass ihr euch so nahesteht.“ „Naja, ähm…es ist kompliziert“, gab Mimi kleinlaut zu und knabberte an ihrer Unterlippe. Anscheinend hatte es noch niemand mitbekommen, dass Taichi und sie sich langsam näherkamen. Sie hatten sich extra zurückgehalten, auch wenn es Mimi in seiner Gegenwart immer schwerer fiel. Wie gerne würde sie ihn einfach nur küssen? In seinen starken Armen liegen? Verträumt in seine warmen braunen Augen schauen? Okay, kein Wunder, dass sie allmählich den Blick für die Realität verlor. Taichi war pure Ablenkung für sie. „Ich hatte eigentlich gedacht, dass Koushiro und du…“, sie stockte und lief augenblicklich rot an, was Mimi amüsierte. Kaori war jemand, der sich sehr zurückhielt und gerade in Liebesdingen ein Buch mit sieben Siegeln für sie war. „Ach, das war doch nur ein kleiner Schmatzer gewesen“, winkte sie ab. „Also keine große Sache. Hätte ja auch dich treffen können.“ Mimi war bedacht leise zu sprechen, da sie nicht Gefahr laufen wollte, dass Izzy ihr Gespräch mitbekam. „Mich?“, antwortete Kaori schrill, sodass sie natürlich prompt die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zog. „Ich glaube nicht, dass ich mich sowas vor allen getraut hätte“, antwortete sie diesmal mit gedämpfter Stimme. „Nächstes Mal überlasse ich dir gerne den Vortritt. Bestimmt würde sich Izzy über etwas weibliche Aufmerksamkeit sicher freuen. Interesse?“, meinte Mimi belustig, nachdem Kaori ihre knallroten Wangen mit den flachen Händen zu kühlen versuchte. „W-Was?“, stotterte sie und riss die Augen weit auf. Anscheinend schien sie das Angebot tatsächlich ernst aufgefasst zu haben, was Mimi nur noch mehr amüsierte. „Krieg‘ dich mal wieder ein. War nur Spaß gewesen. Und außerdem, habe ich nach Makoto erstmal die Schnauze von Männern voll“, lachte Mimi herzlich, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ihr Herz zeigte ihr nämlich einen eindeutigen Weg auf, den sie diesmal nicht ignorieren wollte. Kaori schnaubte nur und fuhr sich über ihre erhitzten Wangen, die zwei überreifen Tomaten glichen. „Wolltest du nicht zum Fußballspiel gehen?“, fragte sie behutsam, als Mimi bereits mit dem Absatz kehrtmachte und ein strahlendes Lächeln über ihre Schulter wandte. „Werde ich jetzt auch. Danke, dass du die Stellung hältst!“, bedankte sich Mimi überschwänglich, als sie sich auch schon auf den Weg zum Sportplatz machte. _ Obwohl sie sich beeilt hatte, erkannte Mimi bereits aus weiter Entfernung, dass die erste Spielhälfte bereits vorbei sein musste. Es herrschte aufgeregtes Gewusel auf dem Platz, während Mimi nach bekannten Gesichtern suchte. Sie steuerte auf den Spielfeldrand zu, als sie plötzlich über eine Unebenheit lief, die ihren Gang abrupt zum Stoppen brachte. Sie runzelte die Stirn und fürchtete schon in einen riesigen Matschklumpen gelaufen zu sein, da es die ganze Nacht über geregnet hatte. Aber dafür war es viel zu hart gewesen. Sie hob ihren Fuß an und entdeckte eine weiße Perle, die sie sofort stutzig werden ließ. Sowas Ähnliches hatte sie doch schon mal gesehen gehabt… Sie beugte sich hinunter und fischte vorsichtig danach, um ihre Finger nicht allzu dreckig zu machen. Mit den Fingerspitzen umfasste sie die weiße Perle und zog tatsächlich ein rotes Armband hervor, dass ihren Atem prompt zum Stocken brachte. Auch wenn der Matsch an dem Routenmuster klebte und es sicher schon einige Jahre auf dem Buckel haben musste, erkannte Mimi es sofort. Ihr klappte ungläubig der Mund auf, als sie es behutsam in ihrer Handfläche platzierte und nachdenklich betrachtete. Was hatte es nur hier zu suchen? „Mimi!“, hörte sie auf einmal schrill ihren Namen erklingen, als sie den Blick von ihrer Handfläche abwandte und nach vorne sah. Geschwind versteckte sie das Band in der Seitentasche ihres Rockes, während Yolei ihr beherzt zu winkte. Neben ihr standen Kari, Takeru und Davis, die immer noch ungläubig zum Spielfeld blickten. Yolei war also die erste, die sie entdeckt hatte. Langsam schritt sie auf ihre Freunde zu und suchte bereits nach dem Rest, da Yamato und Sora ebenfalls vorgehabt hatten, Taichi bei seinem Spiel anzufeuern, doch die beiden konnten Mimi nirgends entdecken. „Hey na, ist die erste Spielhälfte schon vorbei?“, fragte Mimi in die kleine Runde, obwohl es eigentlich offensichtlich war. „Vorbei? Ich glaube, es fängt jetzt gerade erst richtig an“, kommentierte Davis belustig und deutete auf die Spielfeldmitte. Mimis Blick wanderte weiter, als sie tatsächlich Taichi und einige seine Mannschaftskollegen auf dem matschigen Boden kniend vorfand. Yamato stand direkt daneben und redete auf Taichi ein, der jedoch erbost den Kopf anhob und wütend seinem besten Freund ins Gesicht brüllte. Yamato hob abwehrend die Hände und gestikulierte wild umher, bevor er sich von ihnen abwandte und wieder auf den Spielfeldrand zugeschritten kam. „Was machen die denn da? Rasenpflege?“, fragte Mimi irritiert, da sie sowas bei einem Fußballspiel noch nie gesehen hatte. Taichi rutschte auf seinen Knien vorwärts, während sein Trikot bereits einige Matschflecken besaß. Er war regelrecht darauf fixiert und hatte gar nicht mitbekommen, dass sie extra wegen ihm erschienen war. „Oh man, Mama wird sich sicher freuen, wenn sie sein Trikot waschen darf“, meldete sich nun auch Kari kopfschüttelnd zu Wort, als Yamato zeitgleich bei ihnen ankam. „Ich habe keinen Plan, was in ihn gefahren ist. Es ist ja fuchsteufelswild und völlig unkonzentriert“, fasste er zusammen und begab sich wieder auf die Zuschauerseite. „Unkonzentriert passt wirklich...sein Spiel ist wirklich grausam mitanzusehen. Und das kommt von mir“, erwiderte Davis bedenkend. „Ist es etwa so schlimm? Vielleicht ist er nervös, weil es das erste Testspiel ist“, warf Mimi nachdenklich ein. „Kann schon sein, aber wenn er so weitermacht, wird das nichts. Unser Basketballtrainer meinte mal, dass diese Gremien wirklich gnadenlos sind“, erklärte Takeru schulterzuckend. „Na, dann kann man nur hoffen, dass die zweite Halbzeit besser wird“, murmelte Mimi halblaut und beobachtete Taichi immer noch dabei, wie er auf allen vieren durch den Matsch wanderte. „Wo ist eigentlich Sora? Sie wollte Taichi doch auch anfeuern, oder nicht?“, fragte Mimi interessiert und blickte direkt zu Yamato, der meist ganz genau wusste, wo seine Freundin abgeblieben war. „Ähm, ach ja! Sie wollte mal zur Toilette und dann bei eurem Projekt vorbeischauen“, antwortete er sofort. „Darfst du überhaupt hier sein?“ „Kaori wollte die Stellung halten, aber wenn Sora vorbeikommt, werde ich auch mal wieder verschwinden“, informierte Mimi sie und verschwand mit ihren Händen in den Seitentaschen ihres Rockes. „Wünscht Taichi viel Glück von mir, falls er sich jemals wieder aus seinem Vierfüßlerstand erhebt“, verabschiedete sich Mimi leicht amüsiert von ihnen, auch wenn sie Taichis Verhalten skeptisch werden ließ. Suchte er etwa nach etwas Bestimmten? Ihre zitternden Finger legten sich um die raue Wolle des Freundschaftsbandes, dass sie in ihrer Rocktasche versteckt hielt… _ Nachdem sie wieder in ihre Hausschuhe geschlüpft war, machte sie sich zurück auf den Weg zu ihrem Stand. Sie hatte vor, zuvor nochmal kurz auf die Toilette zu verschwinden, um das Freundschaftsband von dem ganzen Schmutz zu befreien, da sie sich mittlerweile ziemlich sicher war, dass es jenes Band, dass sie Taichi zu seinem 15. Geburtstag geschenkt hatte. Gerade als sie auf die Toiletten verschwinden wollte, ertönte eine grelle Stimme, die nur einer Person gehören konnte. „Mimi, da bist du ja endlich!“, rief ihre Mutter, die bereits gestern schon groß getönt hatte, dass sie zum Herbstfest kommen wollte, um ihr Projekt zu bestaunen. Ein wenig wiederwillig, hielt Mimi in ihren Bewegungen inne und wandte sich ihrer Mutter zu, die erwartungsvoll neben Kaori stand. Leichtfüßig bewegte sich Mimi auf die beiden zu, wunderte sich aber, wo ihre Mutter ihren Vater gelassen hatte. Sie hoffte wirklich inständig, dass er nicht schon wieder Überstunden machte… „Hey, ich habe gedacht, du kommst erst später“, begrüßte Mimi sie herzlich. „Eigentlich hatten wir, dass auch vorgehabt. Aber ich hatte heute absolut keine Lust zum Kochen, weshalb wir hier eine Kleinigkeit essen wollten. Papa hat sich bei den Teriyaki-Spießen angestellt“, erzählte sie ihr überschwänglich und musterte die einzelnen Plakate genauestens. „So, dass ist also euer Projekt. Erzählt doch mal ein bisschen darüber, ich bin schon ganz gespannt.“ Die Euphorie war förmlich aus ihrer Stimme herauszuhören, was wohl zu den Talenten ihrer Mutter erzählte. Sie konnte sich für alles begeistern, selbst für ein ödes Schulprojekt, dessen Note sie erst Mitte nächster Woche erhalten würde. „Ähm okay, also wir haben die Reaktionen von Musikstudenten bezüglich eines Flashmopps auf dem Unigelände untersucht“, begann Mimi zurückhaltend. Irgendwie konnte sie das Projekt nicht so gut in Worte fassen, weshalb Kaori helfend einsprang. „Was man natürlich hier wissen muss, ist, dass das öffentliche musizieren auf dem Gelände strengstens untersagt ist und wir wollten testen, ob das musikalische Blut eben dicker ist, als die strengauferlegten Regeln.“ Kaori nickte bestätigend bei ihren Aussagen, während ihr Blick plötzlich an ihrer Mutter vorbei huschte und ihre Augen ungläubig aufblitzten. „Papa?“, fragte sie plötzlich, als sich ein Mann mittleren Alters zu ihnen drehte und direkt auf ihren Stand zugesteuert kam. „Du bist ja doch gekommen!“ Mimi sah wie sich Kaoris Miene abrupt erhellte und ein leichtes Lächeln ihre Lippen zierte. Sie wusste nur, dass Kaoris Vater oft nicht zu Hause war, da er im städtischen Krankenhaus als Arzt arbeitete und oftmals in Überstunden versank. Ähnlich wie ihr Vater, der sich jedoch heute auch ebenfalls für sie Zeit genommen hatte. Deswegen konnte sie Kaoris Freude darüber gut nachvollziehen. „Ja, ein Kollege konnte mich ablösen und ich muss erst heute Nachmittag wieder in die Klinik“, eröffnete er ihr freudig. „Wie cool, dann kann ich dir ja nachher mal die einzelnen Stände zeigen“, antwortete Kaori voller Vorfreude, während Mimi sich lächelnd von den beiden abwandte und zu ihrer Mutter blickte. Ihr Gesicht hatte sich urplötzlich verändert und war ganz steif geworden, während sie immer wieder einen zweifelnden Blick über ihre Schulter wandte. Mimi runzelte nur die Stirn, als auch sie unweigerlich zu Kaoris Vater blickte und zugeben musste, dass er ihr bekannt vorkam. Irgendwo hatte sie ihn doch schon mal gesehen gehabt. Allerdings war er nie zuhause gewesen, als sie Kaori besuchte hatte. Aber wo hatte sie ihn denn dann schon mal gesehen? „F- Fujitaka?!“, löste sich schwerfällig von Satoes Lippen, als der Mann, dessen Gesicht gerade noch ein Lächeln geziert hatte, sich zu ihrer Mutter herumdrehte. Sein Lächeln verschwand augenblicklich und wich einer ausdrucksleeren Miene, die Mimi nicht deuten konnte. „Satoe? Oh mein Gott, wir haben uns ja eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen.“ „Ja…über zwanzig Jahre“, antwortete ihre Mutter unruhig und wich seinen Blicken kontinuierlich aus. „Ich habe nicht gewusst, dass unsere Töchter zusammen ein Projekt machen, geschweige denn das du wieder nach Odaiba gezogen bist.“ Ihr Ton klang leicht vorwurfsvoll, was nicht nur Mimi auffiel, sondern auch Kaori blickte sie äußerst verwirrt an. Keiner der beiden hatte erwartet gehabt, dass sich ihre Eltern bereits kannten. „Woher kennt ihr euch denn?“, fragte Mimi irritiert nach und betonte besonders das Wörtchen „Ihr“. Sie konnte sich keinen Reim darauf bilden, gerade auch, weil die Atmosphäre zwischen den beiden prompt umgeschlagen war. Eine unangenehme Anspannung hatte sich über sie gelegt, während ihre Mutter verhalten zu Boden sah und ihre Lippen fest aufeinandergepresst hatte. „Oh, wir waren zusammen in einer Klasse gewesen. Seit der Vorschule“, antwortete Kaoris Vater für sie, auch wenn Mimi ihrer Mutter das pure Unwohlsein ansehen konnte. „Ja, genau. Wir waren Klassenkammeraden“, stieg sie bestärkend mit ein, obwohl Mimi spürte, dass sie etwas zu verbergen schien. „Okay, die Welt ist ja wirklich klein“, meinte Kaori in dieser überaus unangenehmen Situation. „Ja und anscheinend wird sie wohl immer kleiner“, murmelte Mimi, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Sie biss sich augenblicklich auf die Zunge, als sie Kaoris Vater an jenen Mann identifizierte, den sie auf den alten Fotos ihrer Mutter gesehen hatte. Er war zwar damals um einiges jünger gewesen und hatte noch nicht diese markanten Gesichtszüge wie heute, aber dennoch konnte man die Ähnlichkeit nicht leugnen. Er war der Ex-Freund ihrer Mutter. _ „Voll seltsam, dass sich unsere Eltern kennen, findest du nicht?“, hinterfragte Kaori argwöhnisch und ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. „Ja, und voll komisch, dass meine Mutter fast schon fluchtartig verschwunden ist. Alles sehr merkwürdig“, erwiderte Mimi kopfschüttelnd, nachdem sich ihre Mutter zu ihrem Vater begeben hatte. Kaoris Vater durchforstete immer noch die einzelnen Projekte und wollte im Anschluss eine Kleinigkeit mit Kaori essen gehen, weshalb Mimi den Stand kurz alleine übernehmen sollte. Zuvor wollte sie allerdings noch die Gelegenheit nutzen, um das Freundschaftsband von dem Schmutz zu befreien, damit es sich nicht noch mehr in der weichen Wolle festsetzte. Dass Mimi Kaoris Vater wiedererkannt hatte, behielt sie vorerst für sich, da das Schulfest sicherlich nicht die passende Gelegenheit bot, in alten Karamellen herumzuwühlen, die sie zumal noch nicht mal etwas angingen. Sie wollte erstmal ihr eigenes Liebesleben auf die Kette bekommen, bevor sie ihre neugierige Nase irgendwo hineinsteckte. „Vielleicht fühle ich ihm später mal auf den Zahn“, brüstete sich Kaori, während Mimi endlich die Gelegenheit nutzen wollte, um auf die Toilette zu verschwinden. „Okay, mach das mal, aber ich gehe vorher lieber nochmal aufs Klo. Nicht das dieses Verhör stundenlang andauert“, sie zwinkerte ihr verschwörerisch zu, bekam aber nur ein tiefes Grummeln als Antwort, während sie sich lachend von ihr entfernte. Dieses unwohle Gefühl in ihrer Magengegend begleitete sie jedoch. Sie steuerte direkt auf die Mädchentoiletten auf dem Gang zu und drückte die Tür auf, hinter der sich im Vorraum direkt die Waschbecken befanden. Zielstrebig steuerte sie darauf zu und holte das verschmutzte Band hervor, um es mit klarem Wasser abzuspülen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass eine Seite beschädigt war und dass auch eine weiße Kugel fehlte, weshalb sie sich dazu entschied es doch nochmal mit nach Hause zu nehmen, um es anständig reparieren zu können. Daher wickelte sie das nasse Bändchen in ein Papiertuch, die direkt neben dem Waschbecken zu finden waren. Gerade als sie wieder nach draußen verschwinden wollte, ertönte ein leises Schluchzen, dass jedoch laut genug war, dass es Mimi hören konnte. Zielstrebig drehte sie sich herum und steuerte auf die besagte Kabine zu. Sie verstaute das Bändchen wieder in ihrer Tasche und beugte sich etwas hinunter, sodass sie tatsächlich ein Paar Schuhe erkennen konnte. „Hallo? Wer ist denn da? Geht’s dir gut?“, fragte sie behutsam nach und wartete auf eine Antwort. Das Wimmern stellte sich augenblicklich ein und Mimi hörte wie jemand ungeniert ihre Nase hochzog. „Ja, alles gut“, versicherte ihr die Person, die nicht sonderlich überzeugend klang und dessen Stimme sie trotz des verheulten Untertons sofort erkannte. „Sora?“, hakte sie ungläubig nach und legte die Hand gegen die Kabine. „Was ist denn passiert?“ Sie verstummte abrupt, während Mimi sich bereits die wildesten Gedanken machte. Hatte sie sich etwa wieder mit Matt gestritten? Oder ging es etwa um ihre Entwürfe? „Hey, mach doch bitte auf! Ich bin für dich da“, versicherte sie ihr, als sie hörte, wie Sora sich vorsichtig aufrappelte, den Klodeckel schloss und die Tür entriegelte. Langsam öffnete sie die Klotür und Mimi atmete angespannt ein und wieder aus, als sie Sora auf dem Klodeckel sitzen saß. Sie hatte den Kopf gesenkt und knallte ihre Fingernägel und den festen Stoff ihres Rockes, während sie es scheute Mimi direkt ins Gesicht zu blicken. Behutsam ging sie ein paar Schritte auf sie zu und beugte sich zu ihr hinunter, während sie sanft über ihre Knie strich. „Was ist denn passiert? Gab es Streit, oder ist was mit deinen Entwürfen für deine Mappe?“, hakte sie direkt nach, was Sora jedoch durch ein Kopfschütteln direkt verneinte. „Was ist denn los? Rede doch bitte mit mir“, forderte sie sie auf, als Sora den Kopf anhob und einzelne Tränen über ihre Wangen rannen. „I-Ich…“, begann sie leise, ehe ihre Stimme abbrach und einem lauten Schluchzen wich. „Hey…beruhig dich doch! Es ist sicher alles nur halb so schlimm“, meinte Mimi zuversichtlich. „Doch! Es ist schlimm!“, brachte Sora brüllend hervor und versteckte ihr wutverzerrtes Gesicht hinter ihren Händen, bevor sie erneut im Tränenmeer versank. „D-Das ist alles meine Schuld…“ Ungläubig betrachtete Mimi ihre Freundin, da sie absolut nicht verstand, auf was sie hinauswollte. An was sollte sie denn bitte schön Schuld haben? Wieso sprach sie in Rätseln? „Sora, aber was ist denn nur…?“ Doch weiter kam sie nicht, als Sora sie mit einem dringlichen Blick fixierte und das aussprach, vor dem sie sich so gefürchtet hatte. „M-Mimi, ich bin überfällig.“ Kapitel 29: Regentage und Sonnenstunden --------------------------------------- ♥ Taichi ♥ Mürrisch schritt Taichi durch den kleinen Supermarkt und blickte auf den Einkaufszettel, den ihm seine Mutter in die Hand gedrückt hatte. Er konnte immer noch nicht glauben, dass alles so schiefgelaufen war und er tatsächlich Babysachen für eine Kollegin seiner Mutter besorgte. Erst am Freitag war der kleine Schreihals auf die Welt gekommen, aber seine Mutter hatte es tatsächlich innerhalb eines Tages geschafft, die komplette Station zu mobilisieren, für einen kleinen Präsentkorb etwas Geld zusammenzulegen. Aber natürlich hatte sie selbst gar keine Zeit ihn zu besorgen, da sie mal wieder im Krankhaus zu tun hatte. Taichi hatte jedoch insgeheim gehofft, dass sie diese überaus spannende Aufgabe seiner Schwester weiterleiten würde, aber Kari hatte ihn im Stich gelassen und verbrachte ihren freien Sonntag bei Yolei, die sie nach dem Herbstfest zum Übernachten eingeladen hatte. Auch er hatte sich seinen Sonntag anders vorgestellt gehabt, aber seine Träume wurden durch eine einzige SMS zerstört, die er heute Morgen erhalten hatte. Sie war von Mimi, die ihm abgesagt hatte und seine Laune in den Keller trieb. Auch wenn sie sich spontan verabredet hatten, hatte er sich auf den gemeinsamen Nachmittag mit ihr gefreut gehabt, der nun förmlich zu Staub zerfallen war. Er wollte einfach mal rauskommen. Das Wochenende ohne seinen Vater verbringen, der mal wieder lustlos auf der Couch lag und sich selbstverständlich ein Bier genehmigte. Er war es so satt. Alles schien nur noch schief zu laufen. Sein Testspiel. Sein Date mit Mimi. Seine überaus komplizierte Familiensituation, die einfach nicht besser werden wollte. Und dann hatte er auch noch ausgerechnet das Freundschaftsbändchen verloren. Ja! Das Freundschaftsbändchen, das ihm Mimi damals geschenkt hatte. Er wusste nicht, was er sich dabei gedacht hatte, es überhaupt mit auf den Sportplatz zu nehmen. Er konnte sich ja denken, dass er es beim Spiel nicht tragen durfte, aber dennoch wollte er etwas bei sich wissen, dass ihm Glück brachte. Deswegen hatte er es einfach in seine Shorts gesteckt, ohne groß darüber nachzudenken. Ein fataler Fehler, wie sich schon während des Spiels herausstellte. Denn als er in einem unbemerkten Augenblick in seine Shorts griff, war das Bändchen weg gewesen. Eine unbändige Wut stieg in ihm hinauf, sodass er sich am liebsten selbst dafür Ohrfeigen wollte. Er hatte nicht nur Mimis Geschenk verloren, nein, er hatte auch miserable gespielt, was ihm Herr Ichinose am Ende des Spiels auch rigoros an den Kopf geworfen hatte. Da es geregnet hatte und der Boden sehr matschig war, waren die Spielverhältnisse an sich sehr schwierig gewesen und hätten seine vollste Konzentration gefordert, die er nicht aufbringen konnte, da er seinen Glückbringer verloren hatte und mit den Gedanken ganz woanders war. Er könnte sich selbst für seine Unachtsamkeit in den Hintern beißen, wohlwissend, dass sich nichts daran ändern würde. Er hatte das Testspiel verhauen. Seufzend wanderte er durch die Gänge und suchte mit gerunzelter Stirn nach den Sachen, die ihm seine Mutter feinsäuberlich auf den Zettel geschrieben hatte. Ein Körbchen aus Bast, Windeln, ein kleines Kuscheltier und einen Beißring hatte er bereits gefunden. Nun brauchte er nur noch einen Schnuller und ein Lätzchen. Leicht genervt fuhr er sich durch die Haare, als er in den nächsten Gang einbog und prompt erstarrte. Ungläubig presste er die Lippen aufeinander und blickte die Person, die er vor seinen Augen entdeckt hatte, verwirrt an. Was machte sie hier nur? In der SMS hatte sie ihm doch geschrieben das sie bei einem Familienessen war… Warum hatte sie ihn nur belogen? Wollte sie etwa gar nicht mit ihm ausgehen? Hatte sie es sich vielleicht doch anders überlegt gehabt und wollte ihm die Erniedrigung eines Korbs ersparen? Nein, ganz sicher nicht mit ihm. Ohne eine Erklärung würde er sie ganz sicher nicht davonkommen lassen. Zielstrebig steuerte er auf sie, als ihr der Gegenstand, den sie argwöhnisch betrachtet hatte, aus der Hand fiel und direkt vor seinen Füßen landete. Er blieb augenblicklich stehen und sah, wie sie sofort auf die Knie ging und peinlich berührt nach der Verpackung griff, um sie vor neugierigen Blicken zu schützen. Erst danach sah sie hoch und schluckte. Auch Taichi war völlig perplex, als er den Gegenstand in ihren Händen erkannte. „Was machst du denn hier?“, brachte sie stockend hervor und versteckte die Verpackung hinter ihrem Rücken, doch es war zu spät. Er hatte sie schon längst gesehen. „Ähm, das gleiche könnte ich dich fragen“, erwiderte er empört. „Und du brauchst das nicht hinter meinem Rücken zu verstecken!“ Er stellte seinen Einkaufskorb auf den Boden und schritt näher an sie heran. „Ich habe es bereits gesehen.“ Murrend ließ Mimi die Schultern hängen und verdrehte genervt die Augen, als sie ihre Hände hinter ihrem Rücken hervorholte und tatsächlich einen Schwangerschaftstest in ihren zitternden Fingern hielt. „Ich kann dir das erklären“, versicherte sie ihm nachdrücklich, während Taichi immer noch fassungslos auf ihre Hände starrte. Ein Schwangerschaftstest? War sie etwa? Von diesem Idioten? Angewidert verzog er die Mundwinkel als sich der beißende Geschmack von Eifersucht mit dem von Ekel vermischte. Er hatte völlig verdrängt gehabt, dass dieser Widerling Makoto mit ihr geschlafen hatte. Und jetzt trug sie ernsthaft die Konsequenzen davon? Gott, er hätte wissen müssen, dass hier irgendetwas nicht stimmte… Taichis Miene war immer noch wie versteinert, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte und sie eindringlich fixierte. „Da bin ich mal gespannt! Ich bin ganz Ohr!“ _ „Wie bitte?!“, brachte er mit bebender Stimme hervor, als Mimi ihm prompt die Hand auf den Mund presste und ihn böse anstierte. „Man, sei nicht so laut! Nicht, dass uns noch jemand hört!“, maßregelte sie ihn und ließ danach von ihm ab. Taichi runzelte nur die Stirn und blickte sich um. „Wer soll uns denn hören? Ich glaube der Kassiererin ist das relativ egal! Die ist froh, wenn sie sonntags überhaupt Kundschaft hat.“ „Naja, aber du weißt nie wer hier reinkommt! Mit dir habe ich ja auch nicht gerechnet“, untermauerte sie flüsternd. „Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sora will, dass es die Runde macht. Besonders weil Yamato auch noch nichts davon weiß und du darfst ihm auch nichts davon sagen!“ Sie schritt auf ihn zu und krallte ihre Nägel in seinen Arm, sodass es bereits etwas wehtat. Doch Mimis Blick war so einschüchternd, dass Taichi nur ein leichtes Nicken zustande brachte. Er konnte sich außerdem auch gut vorstellen, dass Sora es seinem besten Freund persönlich sagen wollte. „Was machst du eigentlich hier? Und warum kaufst du lauter Babykram? Hast du neuerdings den siebten Sinn?“, fragte sie verwundert und ließ ihn wieder los. Taichi sah missmutig zu dem Korb, den er auf den Boden gestellt hatte. Widerwillig nahm er ihn wieder hoch. „Meine Mutter hat mich gebeten einen Präsentkorb für ihre Kollegin zu besorgen. Sie hat ein Baby bekommen, aber in dem Fall könnte ich ihn auch gleich Sora schenken.“ „Naja, noch wissen wir nicht Bescheid. Sie hat mich gebeten einige Schwangerschaftstests zu besorgen, damit wir Gewissheit haben“, erklärte Mimi ihm besorgt und fuhr sich fahrig durch die Haare. „Ich wollte sie eigentlich gar nicht so lange alleine lassen…“ „Tja, ich lenke dich wohl ganz schön ab“, erwiderte er nur grinsend, während Mimi sein verwegenes Lächeln mürrisch erwiderte. „Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt Taichi!“, knurrte sie und wandte sich wieder den Schwangerschaftstest zu, während Taichi zeitgleich die Schnuller erblickte. Sie standen direkt nebeneinander. Mimi suchte mit hochrotem Kopf diverse Schwangerschaftstest heraus, während Taichi die Schnuller genauer betrachtete. Es war ein Eisbär darauf abgebildet und der Hintergrund der Verpackung zierte ein freudig aussehendes Baby, dass zahnlos in die Kamera lächelte. In seinem Kopf rotierte es augenblicklich, da er immer noch nicht realisiert hatte, was ihm in den letzten fünf Minuten erzählt wurde. Sora und schwanger? Sein bester Freund Yamato würde Vater werden? Das klang einfach nur absurd. Die ganze Situation war absurd. Er stand direkt neben Mimi, kaufte Babysachen, während sie sechs verschiedene Test zusammensuchte, die das Leben seiner besten Freunde für immer verändern könnte. „G-Glaubst du wirklich, dass Sora schwanger ist?“, fragte er immer noch ein wenig ungläubig, als Mimi sich ihm leicht zuwandte und relativ abgeklärt auf ihn wirkte. „Naja, sie hat ihre Periode nicht bekommen und sie hat die typischen Symptome. Übel-und Müdigkeit, schlechte Laune und hast du mal ihre Brüste gesehen? Die sind im Vergleich zu vorher echt riesig“, untermauerte sie ihre Aussagen, ehe Taichi peinlich berührt das Gesicht von ihr wandte. Das sie auch immer so direkt sein musste. Manchmal kam er damit wirklich nicht klar. „Okay, ich schätze mal, dass das zu viele Informationen für dein sensibles Männerherz waren“, kicherte sie amüsiert und strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Bist du denn jetzt fertig? Ich wollte zur Kasse gehen.“ „Ähm…“, druckste er herum und sah kurz auf den Zettel, um nachzuschauen, ob er alles gefunden hatte. „Mir fehlt noch ein Lätzchen.“ „Also das fehlt dir wirklich! So wie du manchmal isst“, konterte sie schelmisch grinsend, während Taichi nur die Augen zu Schlitzen verzog. „Eins muss man dir ja lassen, Tachikawa…im Kontern warst du schon immer gut gewesen.“ „Wow, ein Kompliment aus deinem Mund? Dann müssen wir dir aber echt ein schönes Lätzchen aussuchen“, zog sie ihn weiter auf, lächelte aber dabei. Er grummelte nur eingeschnappt. „Na komm, dann gehen wir mal das Lätzchen suchen“, sagte sie versöhnlich und stolzierte voran, während Taichi ihr kopfschüttelnd folgte. Nach fünf Minuten hatten sie tatsächlich alles gefunden gehabt und standen gemeinsam an der Kasse. Mimi presste angespannt die Lippen aufeinander. Taichi kratzte sich nur unbeholfen am Hinterkopf und bereute es insgeheim vorgeschlagen zu haben, alles zusammen zu bezahlen. Die Kassiererin beäugte beide äußerst kritisch und fuhr die einzelnen Schwangerschaftstests über das Kassenband. „Sie müssen sich aber sehr sicher sein, wenn sie den ganzen Kram schon vorher kaufen“, warf sie ein und betrachtete den Präsentkorb, der mit Babysachen randgefüllt war. Gerade als Taichi etwas erwidern wollte, meldete sich Mimi zu Wort, die die Kassiererin mit einem vernichtenden Blick fixierte. „Sollten Sie nicht einfach Ihren Job machen, statt den Einkauf ihrer Kunden zu bewerten?“, giftete sie erbost und packte die Tests in eine Plastiktüte, die die Kassiererin bereitgelegt hatte. „Ich meinte ja nur! Wir haben auch Ovulationstest, falls es doch nicht geklappt haben sollte“, meinte sie unschuldig, während sich Taichi und Mimi ungläubig anstarrten. „Äh, ich glaube, wir sollten jetzt gehen!“, bestimmte Mimi mit hochrotem Kopf und drängelte Taichi zum Ausgang, als er gerade noch das Wechselgeld entgegennahm und hörte wie die Frau an der Kasse ihnen „Viel Glück“ hinterherrief. Kaum hatten die beiden den Laden verlassen, prusteten sie drauf los. Mimi krümmte sich vor Lachen und hielt sich bereits den Bauch, während Taichi kleine Tränen mit dem Zeigefinger abfing, die sich vor lauter Luftarmut gebildet hatten. „Oh man, da können wir nie wieder einkaufen gehen“, stellte Taichi schnaufend fest. „Nein, außer wir tauchen mit Drillingen bei ihr auf und fragen für einen Sondervorrat an Windeln“, stimmte Mimi kichernd mit ein. „Drillinge? Bist du wahnsinnig? Ich glaube, wir hätten mit einem schon mehr als genug zu tun.“ „Ich glaube, Drillinge will ich meinem Körper auch nicht antun. Der wird dann viel zu unförmig“, ruderte Mimi zurück und blies entsetzt die Wangen auf. „Reden wir jetzt ernsthaft über unsere nicht vorhandenen Kinder?“, fragte er belustig und überwand die Distanz zu ihr, indem er näher an sie heran schritt und ihr tief in die Augen blickte. Er hielt den Präsentkorb immer noch in einer Hand fest, während er mit der anderen sanft über ihr Gesicht streichelte. Mimis hellbraunen Augen waren geweitet und beobachteten seine liebevollen Bewegungen mit purster Anspannung, als sie sich etwas überfordert aus der Situation wandte, indem sie seine Hand festhielt und somit seine Berührungen unterband. Taichi zog daraufhin die Hand zurück und blickte enttäuscht zu ihr runter, während sie ein besänftigendes Lächeln auflegte und ihm ins Gedächtnis rief, warum sie eigentlich hier war. „Ich sollte jetzt zu Sora gehen. Sie wartet schon auf mich.“ „Oh, ja, stimmt“, antwortete nur und bemerkte, dass er sich eigentlich gar nicht von ihr verabschieden wollte. Doch was sollte er tun? Sich einfach selbst einladen? Das würde Sora sicher nicht gefallen, jedoch wollte auch er für seine beste Freundin da sein. „Soll ich vielleicht mitkommen?“ „Möchtest du mitkommen?“ Beide lachten, als ihre Fragen fast zeitlich ertönten. „Ich glaube, Sora braucht jetzt einen ziemlich guten Freund“, warf Mimi bestärkend ein und biss sich auf die Unterlippe, als Taichi nur ein verhaltenes Nicken zustande brachte und sich gemeinsam mit Mimi auf den Weg zu Sora machte. _ Zuerst war sich Taichi sicher gewesen, dass Sora überhaupt nicht begeistert wäre, ihn zu sehen. Doch nachdem Mimi ihr die peinliche Begegnung im Supermarkt erklärt hatte, war sie weinend in seinen Armen zusammengebrochen. „Wie soll ich das alles nur Matt erklären?“, schluchzte sie herzzerreißend und drückte sich gegen Taichis Brust, während er sich hilflos an Mimi wandte, die ebenfalls versuchte die Nerven zu behalten. „Hey“, ertönte ihre hoffnungsvolle Stimme, als sie sich vor Sora hinkniete und behutsam ihre Hand ergriff. „Wir machen jetzt erstmal einen Test, dann können wir Yamato immer noch anrufen.“ „Toll und was, wenn er positiv ist?! Was wird aus unserer Zukunft? Also ich sehe Yamato ganz sicher nicht in neun Monaten Windeln wechseln. Eher setzt er sich in den nächsten Flieger und verlässt das Land!“, antwortete sie hysterisch und setzte sich auf. „Ich glaube, du schätzt ihn da falsch ein. Er würde alles für seine Familie tun“, besänftigte Taichi sie, doch Sora konnte sich nicht beruhigen. Unkontrolliert wanderten die Tränen über ihre Wange, sodass Taichi am liebsten Yamato sofort angerufen hätte, um ihn herzubestellen. Doch im Moment war es aussichtslos Sora dazu zu bewegen. „Aber jetzt beruhig‘ dich doch mal! Für sowas sind immer zwei verantwortlich und falls Yamato in einen Flieger steigt, werde ich ihn persönlich an seinen Haaren wieder rausziehen“, meinte Mimi resolut und ein feuriger Blick flammte in ihren Augen auf, sodass Sora sich tatsächlich beruhigte. Mit großen Augen blickte sie zu ihrer Freundin, die hinter sich griff und einen der Schwangerschaftstest in die Hand nahm. „Hier, du brauchst Gewissheit.“ Schniefend nickte Sora und nahm ihr den Test aus der Hand, als sie sich langsam erhob und ins Bad schritt. Mimi nahm die restlichen Tests in die Hand und folgte ihr lautlos, während Taichi ein wenig benommen auf der Couch sitzen blieb. Seufzend fuhr er sich durch die Haare und war insgeheim sehr froh, dass Soras Mutter von all dem nichts mitbekam. Mimi hatte erzählt, dass sie sich im Blumenladen befand, um eine größere Bestellung für eine Hochzeit herzurichten. Taichi kannte Sora traditionelle Mutter nur zu gut. Sie wäre ganz sicher an die Decke gefahren, wenn sie all das mitbekommen hätte. Wahrscheinlich hatte Sora auch deswegen so eine große Angst. Sie konnte sicher überhaupt nicht einschätzen, wie ihre Eltern auf eine mögliche Schwangerschaft reagierten. Und auch Taichi war sich nicht sicher, wie Matt es aufnehmen würde. Er hatte klare Vorstellungen von seinem Leben und ein Kind passte ganz sicher nicht in seinen jetzigen Lebensplan. Genauso wenig wie in Soras. Was sollte nur aus ihrem Studium werden? Müsste sie es dann an den Nagel hängen? Angespannt starrte er auf die Uhr, während die Minuten nur sehr langsam voranschritten und sich fast schon wie unzählige Stunden anfühlten. Wie lange dauerte so ein Test nur? Nervös tippte er mit dem Finger auf die glatte Lehne der Couch, um sich in irgendeiner Weise zu beschäftigen, doch seine Gedanken kreisten nur um seine besten Freunde. Mit einem starren Blick stierte er zur Tür und hörte keinen Mucks, was ihn immer unruhiger werden ließ. Gerade als er im Begriff war aufzustehen, wurde die Badezimmertür aufgerissen. Sora trat mit einem verkniffenen Gesicht heraus und sah geradewegs auf den länglichen Streifen, den Taichi als Schwangerschaftstest identifizieren konnte. „Siehst du schon was?“, hörte er Mimi fragen, die gerade die Toilettenspülung betätigt hatte. „Bisher ist noch nichts zu sehen und bei dir?“, stellte sie die Gegenfrage und drehte sich Mimi zu, die ebenfalls mit einem Teststäbchen aus dem Badezimmer kam. „D-Du hast auch einen gemacht?“, hakte Taichi ungläubig nach und traute seinen Augen nicht. Panik kroch seinen Rücken hoch, als Mimi sorglos aufsah und mit den Schultern zuckte. „Naja, Sora hat mich regelrecht dazu genötigt“, untermauerte sie schnaubend, während Soras Blick immer verbissener wurde. „Vielleicht solltest du Matt anrufen“, sagte sie fast flüsternd, als sich in Soras Gesicht blankes Entsetzen wiederspiegelte. „Nein! Wir warten jetzt erst noch die beiden Tests ab! Vielleicht funktionieren die ja gar nicht richtig“, erwiderte sie engstirnig und klammerte sich an den letzten Strohhalm, der ihr blieb, was nur eins bedeuten konnte. Die restlichen Tests waren positiv. „Sora…du musst doch…“ „Ich muss gar nichts“, knurrte sie gereizt, als sich in ihren Augen erneut Tränen bildeten und sie den Arm sinken ließ. „Das darf doch nicht wahr sein…“ Ihre Stimme erstickte im Dunst ihrer Tränen, die qualvoll über ihre Wangen liefen. Mimi presste die Lippen aufeinander, ging ein paar Schritte auf sie zu und legte vorsichtig die Hand auf ihrer Schulter ab, während Taichi das Szenario genauestens beobachtete. Er wusste überhaupt nicht, was er sagen sollte, weshalb er Mimi das Reden überlassen wollte. Doch als Mimi verkündete, dass ihr Test – wie sie es erwartet hatte – negativ war, brachen bei Sora alle Dämme und ließ sie umgehend auf dem Boden zusammensaßen. Taichi sprang sofort auf und rannte zu ihr, ehe sich ein verzweifelter Schrei von ihren Lippen löste und im Zimmer verhallte. Verzweifelt fand sich Sora in den Armen ihrer besten Freunde wieder, die ihr den nötigen Halt gaben, den sie in diesem Moment brauchte, um nicht ins Bodenlose zu fallen. Die Veränderung lag in der Luft. Und Taichi wusste bereits, dass es kein Zuckerschlecken für sie werden würde. _ „Denkst du, es war wirklich so eine gute Idee sie jetzt alleine zu lassen“, fragte Taichi besorgt nach, während er sich mit Mimi auf den Nachhauseweg machte. Der Himmel war von dunkeln Wolken bedeckt und der Geruch nach Regen lag in der Luft, so wie schon in den letzten Tagen. „Du hast sie doch gehört. Sie möchte jetzt alleine sein und erstmal nachdenken. Ihre Mutter kommt ja auch bald nach Hause und Sora wird bestimmt mit Yamato reden, sobald sie sich etwas beruhigt hat“, meinte Mimi mit zitternder Stimme und versuchte gelassen zu wirken, auch wenn sie sich wohl genauso viel Sorgen machte, wie er. Er hatte all das noch nicht verarbeitet gehabt. Fand sich immer wieder im Sog seiner eignen Gedanken wieder, die ihm vermittelten wie unrealistisch alles klang. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Yamato und Sora Eltern werden würden… Sie waren doch gerade Mal in der Abschlussklasse. Das Leben fing doch erst so richtig an und jetzt stand ihnen eine große Verantwortung bevor, für die Taichi sich sicherlich noch nicht bereit fühlte. Ein Baby. Eine große Verpflichtung, die das Leben seiner Freunde auf eine harte Bewährungsprobe stellen würde. „Du solltest dir nicht so viel den Kopf zerbrechen. Ich werde sie nachher sofort anrufen, wenn ich zuhause bin. Vielleicht gehe ich auch nochmal vorbei. Außerdem sollte sie auch definitiv nochmal einen Arzt aufsuchen“, erklärte Mimi Taichi, um ihm die Anspannung zu nehmen, die seinen gesamten Körper durchzogen hatte. Er nickte nur, ohne ihre Worte richtig wahrzunehmen. Sein besorgtes Gesicht war immer noch allgegenwärtig, als er plötzlich eine zärtliche Berührung vernahm, die sein Herz zum Aussetzen brachte. Mimi wanderte mit ihrer Hand zu seiner und fuhr zwischen seine Finger, was ihm einen wohligen Schauer über die Fingerspitzen jagte. Er richtete den Blick zu ihren Händen und lächelte leicht vor sich hin, während er in seiner anderen Hand immer noch den Präsentkorb festumschlugen hielt. Sie schafften es nur wenige Meter, ehe ein lautes Grollen zu hören war und ein plötzlicher Regenschauer sie erfasste. Mimi quietschte auf, als ihnen der Regen entgegenpeitschte und der dunkele Himmel von hellerleuchteten Blitze übersät war. Taichi zögerte daher nicht lange und packte bestimmend nach ihrem Handgelenk und lief geradewegs drauf los, um ihnen eine sichere und trockene Unterstellmöglichkeit zu suchen. Sie rannten durch die Straßen Tokios, als bereits die ersten Pfützen entstanden, die sie unbedacht überquerten, sodass das Wasser hochspritzte und ihre Klamotten immer nasser werden ließ. Taichi zog an ihrem Handgelenk und erspähte eine kleine Überdachung, die in einem Hinterhof mündete. Zielstrebig lenkte er sie in die richtige Richtung, als beide völlig außer Puste sich unter die kleine Überdachung quetschten. Taichi ließ den kleinen Bastkorb sinken und war froh, dass die Verkäuferin ihn in eine Plastikfolie gewickelt hatte, weshalb er Gott sei Dank kaum Regen abbekommen hatte. Er stellte ihn auf einer Mülltonne ab, die sich direkt neben ihm befand, während Mimi sich erschöpft gegen ihn lehnte und beherzt schnaufte. „Oh man, das hat uns gerade noch gefehlt. Jetzt sind wir klatschnass“, stellte sie fest und schaute an sich hinunter. Ihr dunkelblaues Shirt klebte an ihrem Körper und betonte ihre Kurven, sodass Taichi kaum wegsehen konnte. Sein Gesicht war immer noch zu ihr gerichtet, als sie plötzlich zu ihm aufsah und sich ihre Blicke unweigerlich trafen. Ihre Haare klebten an ihren rosigen Wangen, während er ihr ein herzliches Lächeln schenkte und zärtlich sie von ihren störenden Haarsträhnen befreite. Ihre Körper waren dicht aneinandergepresst, als Mimi ihre Nägel in sein nassen T-Shirt krallte und ihren Kopf leicht schräg legte. „Tut mir leid, dass unser Date heute ausfallen musste“, murmelte sie ihm entgegen, während er immer noch mit zarten Streicheleinheiten ihr Gesicht erkundete. „Ist in Ordnung, auch wenn ich dafür wäre es zu wiederholen“, raunte er sinnlich. Seine Augen blieben an ihren vollen Lippen hängen, an denen ihr rosèfarbener Lipgloss schimmerte und praktisch zum Küssen einluden. „Ich glaube, das lässt sich sicher einrichten“, kicherte sie. Er schluckte, als er nervös mit seiner Zunge über seinen trockenen Lippen fuhr und sie mit seinem Speichel benetzte. „Du hast mich doch mal gefragt, ob ich an Seelenverwandtschaft glaube und ob das Schicksal zwei Menschen, die füreinander bestimmt sind, auch zusammenbringt…“, gelang über seine Lippen, auch wenn es ihn selbst überraschte. Irgendwie hatte er das Bedürfnis ihr mitzuteilen, dass er daran glaubte. Dass er an sie glaubte. „Ja…ich erinnere mich“, antwortete sie flüsternd, stellte sich ein wenig auf die Zehenspitzen und strich mit ihrer Nasenspitze spielerisch gegen seine, was ihm ein Schmunzeln ins Gesicht jagte. „Früher habe ich an sowas nicht geglaubt…aber dann gab es da ein Mädchen, dass mich an Silvester geküsst hat…i-ich glaube, sie hat mir in diesem Moment das Herz gestohlen.“ Seine Wangen glühten, als er diesen bedeutungsvollen Satz ausgesprochen hatte. Er meinte jedes einzelne Wort genauso wie er es gesagt hatte und war froh, endlich den Mut gefunden zu haben, um ehrlich zu sich selbst und vor allem zu Mimi zu sein. Er wollte nicht länger Versteckspielen. Er war bereit einen neuen Weg einzuschlagen und seine Gefühle offen zu benennen. „Sie hat dir das Herz gestohlen? An Silvester? Klingt ja unverschämt“, lächelte sie verlegen und Taichi spürte ihren heißen Atem auf seiner Haut. Er löste sich etwas von ihr, strich liebevoll über ihre Wangen und schenkte ihr einen durchdringen Blick, der so intensiv war, dass sich eine leichte Gänsehaut auf seinem Körper bildete. Liebe. Sehnsucht. Hoffnung. All das erkannte er in ihren Augen, während er ihr die entscheidende Frage stellte. „Glaubst du, dass Mädchen gibt mir nochmal eine Chance?“, hakte er etwas unbeholfen nach. Mimi senkte kurz den Blick, ehe sie verstohlen zu ihm hochsah. Mit zitternden Fingern zog sie an seinem Kragen, sodass sie sich auf einmal ganz nahe waren. Ihre Nasenspitzen berührten sich wieder, als er auf ihre Lippen schielte und angespannt auf ihre Antwort wartete. „Ich glaube, sie wäre wirklich dämlich, wenn sie dir keine geben würde“, hauchte sie ihm bedeutungsvoll entgegen, sodass er sämtliche Zweifel über Bord warf, sehnsüchtig seine Hand hinter ihrem Nacken vergrub und begierig seine Lippen auf ihre legte. Sofort schlang Mimi die Arme um seinen Hals und ließ sich auf ihren innigen Kuss ein. Taichi atmete unregelmäßig, konnte aber nicht von ihren weichen Lippen ablassen, die ihn in eine Art Trancezustand versetzten. Es war der Moment, auf den er so lange gewartet hatte. Der Moment, der die grauen Wolken seines trübsinnigen Alltags verjagte und die hoffnungsvollen Sonnenstrahlen einer langvergessenen Liebe erneut erweckte. Kapitel 30: Zwischenstand ------------------------- ♥ Mimi ♥ Die nächste Woche zog schneller an Mimi vorbei, als ihr eigentlich lieb war. Mittlerweile war es bereits Donnerstag und viele Veränderungen steuerten geradewegs auf sie zu. Veränderungen, über die sie keine Kontrolle hatte. Neben den erfreulichen Dingen, wie einer glatten Eins für ihr Projekt und dem berauschenden Moment, den sie mit Taichi in einem kleinen Hinterhof erlebt hatte, holten sie immer mehr die unmissverständlichen Tatsachen der Realität ein. Während ihre Freundin Sora immer noch versuchte, das Versteckspiel aufrechtzuerhalten, war inzwischen klar, dass sie ein Baby erwartete. Mimi hatte mit Engelszungen auf sie eingeredet und sie Anfang der Woche dazu bewegt den Frauenarzt aufzusuchen, der die Schwangerschaft lediglich nur bestätigen konnte. Sora war auch schon um einiges weiter, als die beiden Mädchen erwartet hatten. Laut Aussagen des Arztes befand sie sich ungefähr in der achten Woche, was in Sora die blanke Panik auslöste. Die ganze Woche machte sie sich Vorwürfe, redete sich ein, dass sie es viel früher hätte bemerken müssen, obwohl Mimi genau wusste, dass ihre Periode sehr unregelmäßig kam. Doch eine weitere Tatsache, die die Freundschaft der beiden belastete, war die Heimlichtuerei, in die sie sogar noch Taichi mitreingezogen hatten. Denn Yamato hatte sie noch nichts erzählt gehabt. Sie hatte es sich einfach nicht getraut und verwies auf die Tatsache, dass man ja jetzt sowieso noch nichts sehen würde. Jedoch machte sich Mimi große Sorgen um sie. Seit Tagen aß sie schlecht und war ganz blass, da sie mit Übelkeit zu kämpfen hatte. Während Taichi und sie immer wieder versuchten auf sie einzureden, schaltete Sora immer mehr auf stur. Heute war sie nicht zum Unterricht erschienen und hatte Mimi nur eine knappe SMS geschrieben, dass sie zuhause bleiben würde. Den Grund behielt sie für sich, doch Mimi hatte bereits bemerkt, dass Yamato ebenfalls stutzig geworden war. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis er es herausfinden würde. Aber dann gab es da noch ein anderes Problem, dass Mimi erfolgreich verdrängt hatte. „Findest du nicht, dass sich unsere Eltern mega merkwürdig verhalten? Mein Vater kann es immer noch nicht fassen, dass er deine Mutter auf dem Schulfest wiedergetroffen hat und wenn ich ihn nach Hintergrundinformationen ausquetschen will, wechselt er einfach das Thema! Das ist doch voll komisch, findest du etwa nicht?“, quasselte Kaori, ohne Punkt und Komma – so als hätte sie zu viel Kaffee getrunken. Mimi musterte sie argwöhnisch und ließ die Schultern seufzend hängen, als sie geradewegs auf ihren Spint zusteuerte, um ihr Geschichtsbuch für die nächste Stunde zu holen, dass in der morgendlichen Eile vergessen hatte. Auch sie hatte sich bereits den Kopf zermartert, was diese seltsame Situation zwischen ihrer Mutter und Kaoris Vater zu bedeuten hatte. Denn auch ihr war aufgefallen, dass sich ihre Mutter anders verhielt. Ihre Stimmung war sehr gedrückt und sie versprühte nicht die leidenschaftliche Lebensfreude, mit der sie sonst immer gesegnet war. „Hast du sie mal ein bisschen ausgequetscht?“, fragte Kaori neugierig, lehnte sich gegen die Spintreihe und warf Mimi einen erwartungsvollen Blick zu, dem sie jedoch nicht standhalten konnte. Denn es gab etwas, dass sie Kaori noch nicht erzählt hatte. Angespannt gab sie ihre Zahlenkombination ein und knabberte auf ihrer Unterlippe herum, als ihre Augen unauffällig zu ihr huschten. In ihrem Gesicht lag etwas, das Mimi nur schwer beschreiben konnte. Sie wirkte entschlossen. Völlig unaufhaltsam. Der Wahrheit auf der Spur. Sie musste zugeben, dass sich Kaori in den letzten Wochen ziemlich verändert hatte. Natürlich in einem positiven Sinn. Mimi spürte, dass sie durch das regelmäßige Musizieren aufblühte und neuen Lebensmut gefasst hatte, der sie auch lockerer werden ließ. Nie im Leben hatte Mimi damit gerechnet, dass sie nach dem Projekt noch mit Kaori ein Wort wechseln, geschweige denn mit ihr eine tiefere Freundschaft eingehen würde. Doch die Dinge hatten sich geändert und Mimi war es ihr schuldig, die Wahrheit zu sagen. „Naja…also es gibt da etwas, dass ich bei uns zuhause entdeckt habe“, gab sie zu, während sie ihr Geschichtsbuch hervorkramte und ihren Spint danach schloss. Sie drückte das Buch fest an ihre Brust und presste die Lippen aufeinander, als Kaori erwartungsvoll ihre Brille zurechtrückte. „Ich glaube, die beiden waren mal ein Paar. Ich habe ein altes Foto gefunden und auf dem wirken sie sehr vertraut“, eröffnete sie ihr. Kaori klappte prompt der Mund auf. „Was? Und das erzählst du mir erst jetzt? Kein Wunder, dass sie so verkrampft miteinander umgehen. Würde bestimmt jeder, wenn man den Ex-Partner plötzlich vor sich sieht, den man potenziell nackt gesehen hat“, sagte sie unüberlegt, ehe sich auch sofort ihre Augen weiteten und ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. „Oh Gott, hab‘ ich das etwa gerade laut gesagt?“ Peinlich berührt hielt sie sich die Hand vors Gesicht, als Mimi nicht mehr an sich halten konnte und laut los prustete. „Also manchmal bringst du die Dinge wirklich auf den Punkt. Bestimmt wird es nur daran liegen“, lachte Mimi und legte den Arm um ihre Schulter. „Vielleicht sollten wir uns da nicht einmischen. Ist ja schon über 20 Jahre her, oder?“ „Ja, schon, aber irgendwie…“, Kaori hielt inne, ließ sich aber von Mimi trotzdem ein Stückchen mitziehen. „Ich…ich denke, da steckt noch was dahinter.“ Mimi hob fragend eine Augenbraue an und lockerte den Griff um ihre Freundin. „Und was willst du jetzt machen? Rum schnüffeln?“, stellte sie die Gegenfrage. Kaori hingegen zuckte nur hilflos mit den Schultern. „Was Besseres fällt mir im Moment auch nicht ein“, meinte sie verbissen, während sich Mimi fragte, was hinter ihrer Neugierde steckte. Irgendwie schien es Kaori mehr zu beschäftigen als es eigentlich sollte, doch bevor Mimi nachhaken konnte, ertönte auch schon die Schulglocke, die die nächste Stunde einläutete. _ Nach dem Kochkurs schlich sich Mimi unbemerkt zur den Umkleidekabinen. Yolei hatte sie gesagt, dass sie noch etwas im Klassenraum vergessen hatte, um sicher zu gehen, dass sie nicht mitbekam, wohin sie eigentlich verschwinden wollte. Als ihre Freundin das Schulgelände verlassen hatte, steuerte sie geradewegs auf das Sportgelände zu, da sie genau wusste, dass Taichi heute Training hatte. Sie wollte ihn unbedingt nochmal kurz sehen, da ihr Herz vor Sehnsucht förmlich zersprang. Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie gerne sie endlich mal Zeit mit ihm alleine verbringen wollte, doch die Umstände ließen es einfach nicht zu. Deswegen wollte sie einfach zehn Minuten, die sie mit ihm gemeinsam auf dem Nachhausweg verbringen konnte. Auch wenn sie dafür einen kleinen Umweg in Kauf nehmen musste, doch das war ihr egal. Sie wollte einfach Zeit mit ihm verbringen. Nach und nach kamen immer mehr Fußballer aus der Umkleidekabine auf sie zugesteuert, während sich Mimi unbemerkt gegen die Hauswand der Sporthalle lehnte und sie aus der sicheren Entfernungen beobachtete. Von Taichi fehlte immer noch jegliche Spur, sodass Mimi bereits ungeduldig mit dem Fuß aufzutippen begann. Sie presste die Lippen aufeinander, als sie ihre Tasche packte, die die auf dem Boden abgestellt hatte. Sie schulterte sie und ging langsam zum Eingang der Umkleiden der Jungs – so wie sie es schon mal getan hatte. Dennoch verdrängte sie das Bild eines schwer stöhnendes Taichis aus ihren Gedanken. Sie würde ganz sicher dem Duschbereich nicht mehr zu nahekommen, doch es sprach sicherlich nichts dagegen, wenn sie drinnen auf ihn wartete. Behutsam sah sie sich um, konnte aber niemanden entdecken, sodass sie sich tatsächlich in den Vorraum traute. Auf der Bank stand lediglich eine orangene Tasche, die Taichi gehörte. Im Hintergrund hörte man das Wasser leise prasseln, weshalb sich Mimi langsam der Raummitte näherte und einen kurzen Blick zum Duschraum warf, sich dann aber gleich davon abwandte. Sie ging auf die Bank zu und sah, dass Taichis Hemd unordentlich hervorragte. Seine Hose lag bereits auf der Bank, als Mimi daneben ihre Tasche abstellte und sein Hemd hervorholte. Sie strich es glatt und wollte es schon neben seiner Hose platzieren, als sie einen verstohlenen Blick auf den glatten Stoff warf und leicht lächelte. Sie hielt es auf einmal näher an ihr Gesicht und konnte der Versuchung nicht wiederstehen, an seinem Hemd zu schnuppern und den typischen Tai-Duft einzuatmen, der sich aus seinem herben Parfum und seinem Eigengeruch zusammensetzte, dem Mimi einfach nicht widerstehen konnte. Sie drückte ihre Nase in sein Hemd und fühlte sich gleich geborgen und sicher, sodass sie noch nicht mal merkte, wie sich das gleichmäßige Prasseln der Dusche im Hintergrund einstellte und sich die Verbindungstür öffnete. Sie stand einfach da und war völlig in seinen Duft vertieft, als sie plötzlich zwei Arme um sie schlangen. „Was machst du denn da?“, raunte er in ihr Ohr und eine leichte Gänsehaut überzog ihren Körper, während sie sein Hemd sinken ließ und sich etwas zu ihm drehte. „Gar nichts…“, erwiderte sie unschuldig und fuhr zärtlich über seine starken Arme, die er um ihren Bauch gelegt hatte. „Natürlich, sag‘ doch einfach, dass du mich unwiderstehlich findest“, sagte er grinsend und küsste ihre Schläfe. „Das hättest du wohl gerne“, kicherte sie und wandte sich ihm zu, nachdem er seinen Griff etwas gelockert hatte. Nur mit einem Handtuch bekleidet stand er vor ihr, doch Mimi fühlte sich so wohl in seinen Armen, dass sie diesem Umstand kaum Beachtung schenkte. „Ich habe gedacht, dass wir vielleicht zusammen nach Hause gehen können beziehungsweise, dass du mich nach Hause bringst“, schlug sie ihm keck vor. „Im Moment ist ja alles ziemlich…“ „Turbulent?“, beendete er ihren Satz und küsste liebevoll ihre Stirn, als er sie losließ und sich seinen Klamotten zuwandte. „Ja, irgendwie schon. Ich bin gespannt, wann Sora die Bombe platzen lässt.“ Taichi kramte seine Unterhose hervor und richtete einen kurzen Blick zu Mimi, den sie sofort verstand. Sie drehte ihm den Rücken zu und spielte nervös an ihrem Daumen, da es schon ein wenig unbehaglich war, hier mit ihm alleine zu sein. Besonders weil er halbnackt vor ihr stand. Es war zwar nicht so, dass sie ihn noch nie nackt gesehen hatte, aber sie meinte ihre Worte damals sehr ernst. Sie wollte es langsam angehen lassen, auch wenn sich manchmal Bedürfnisse bei ihr meldeten, die sie zuvor noch nie in dieser Form hatte. War es seltsam, einem Menschen so nah wie möglich sein zu wollen? Bei Makoto hatte sie diese Nähe bereut gehabt, auch wenn sie es hinterher nur ungern zugeben wollte. In diesem Moment hatte eben alles einen Sinn ergeben, auch wenn sie sich nur von ihren Gefühlen für Taichi ablenken wollte. Wäre es daher falsch, ihm näher kommen zu wollen? Was wenn es ihm viel zu langsam ging? Ewig wollte sie sicher nicht auf der Stelle stehen bleiben… „Matt geht heute bei ihr vorbei…“, eröffnete Taichi ihr leise. Entsetzt drehte sich Mimi zu ihm herum und stellte fest, dass er bereits seine Hose anhatte und gerade im Begriff war sein Hemd zuzuknöpfen. „Er geht bei ihr vorbei?!“, fragte sie ungläubig und musterte Taichi eindringlich. „Ja, er hat sich von mir die Hausaufgaben geben lassen. Ich glaube, er ahnt etwas.“ „Oh man, ich hoffe, er nimmt es gut auf. Für ihn wird es sicher ein Schock sein“, untermauerte Mimi nachdenklich. „Naja, es wird sich eben viel ändern, aber ich glaube schon, dass er für Sora da sein wird. Er liebt sie doch“, sagte Taichi überzeugend und verstaute seinen restlichen Kram in seiner Sporttasche. „Ich hoffe es…“, murmelte Mimi unsicher, da sie Yamatos Reaktion diesbezüglich nicht einschätzen konnte. Sie kannte seine Träume und ein Baby passte einfach nicht hinein. „Hey, mach dir nicht so viele Gedanken, ja?“, erwiderte Taichi behutsam und ging ein paar Schritte auf sie zu. Sein Geruch stieg ihr unmittelbar in die Nase, als er seine Hände an ihrem Gesicht platzierte und sie so dazu veranlasste ihn anzusehen. „Das wird schon alles gut werden.“ Mimi presste die Lippen aufeinander, ehe sie nur ein leichtes Nicken zustande brachte, seinen Hemdkrangen ergriff und ihn etwas zu sich hinunterzog. „Ich möchte auch im Moment nicht so viel darüber nachdenken“, raunte sie mit heiserer Stimme. „Ich auch nicht, wenn ich ehrlich bin“, er grinste und stupste sie mit seiner Nase etwas an. Ein mildes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als sie ihm einen kurzen, aber intensiven Kuss auf die Lippen hauchte. „Lass uns nach Hause gehen“, schlug sie ihm vor. Taichi löste sich von ihr und grinste überheblich. „Ich darf also die holde Maid nach Hause geleiten? Welch eine Ehre.“ Er verbeugte sich förmlich, während Mimi ihm einen sanften Stoß in die Rippen versetzte. „Manchmal bist du wirklich ein Idiot“, murrte sie eingeschnappt und griff nach ihrer Tasche. „Aber, wenn schon ein charmanter Idiot“, verbesserte er sie, schulterte seine Tasche und ergriff ihre Hand, bevor sie sich gemeinsam auf den Heimweg machten. _ Erschöpft, aber glücklich ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Zufrieden lächelte sie vor sich hin, als sie ihre Kette ertastete und den Anhänger mit der Hand umschloss. Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr sie diese kurzen Augenblicke mit Taichi genoss. Sie waren nicht direkt nach Hause gegangen, sondern schlenderten durch eine nahegelegene Parkanlage und unterhielten sich angeregt über Gott und die Welt. Sie waren durch die malerische Herbstlandschaft spaziert, hielten sich an den Händen und albernd herum. Es fühlte sich plötzlich alles so leicht und unbeschwert an, sodass ihre belastende Vergangenheit immer mehr in den Hintergrund gerückt war. Sie hatten sie die ganze Zeit nur selbst im Weg gestanden. Wollten ihr Glück nicht erkennen, obwohl es genau vor ihrer Nase lag. Sie war einfach viel zu blind und verbittert, um diese Chance zu erkennen. Ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu beweisen. Natürlich war vieles zwischen ihnen falsch gelaufen, aber sie wusste, dass sie nicht unschuldig daran war. Vielleicht hatte sie zu früh aufgeben und sich damals in eine Beziehung mit Michael gestürzt, weil diese die einfachere Variante darstellte. Dabei hatte ihr Herz eine klare Richtung vorgegeben. Eine Richtung, die sie nicht länger ignorierte. Sie ließ ihre Kette blitzartig los, drehte sich zur Seite und ergriff das Freundschaftsbändchen, das auf ihrem Nachtisch lag. Sie hatte es mittlerweile repariert und wartete auf einen günstigen Augenblick, es ihm wieder zu überreichen. Sie hoffte, dass sie bald eine Gelegenheit hatten, ihr Date nachzuholen, auf das sie bereits sehnsüchtig wartete. Doch zuerst musste sie noch ihre Hausaufgaben erledigen, die sie einfach neben hingelegt hatte. Schwerfällig setzte sie sich auf, platzierte das Bändchen wieder auf ihrem Nachtisch und stand auf. Zielstrebig ging sie auf ihren Schreibtisch zu, als sie bereits ihre Mathesachen hervorholte. Im selben Augenblick ertönte das schrille Klingeln ihres Handys, dass sie prompt erschreckte. Suchend wanderte sie durch ihr Zimmer und überlegte, wo sie es abgelegt hatte. Sie ging an ihrem Bett vorbei und krabbelte auf ihre Matratze, als sie es tatsächlich in der Ecke bei ihren Kuscheltieren vorfand. Ohne richtig aufs Display zu schauen, nahm sie ab und legte sich auf ihren Bauch. „Ja?“, meldete Mimi sich und wartete auf eine Antwort. Doch sie hörte nur ein leises Wimmern am anderen Ende des Hörers. „Hallo?“, wiederholte sie und wagte einen kurzen Blick aufs Display, das den Namen ihrer besten Freundin anzeigte. „Sora? Was ist los?“ Ihre Stimme klang besorgt, doch über die Lippen ihrer besten Freundin kam kein einziger Ton. Unsicher zog sie die Beine an und setzte sich auf. „Sora? Was ist passiert?“, hakte sie mit fester Stimme nach und strich sich einige störende Haarsträhnen aus dem Gesicht. Die Anspannung jagte durch ihren Körper, als Sora schluchzend nach Worten rang. „Yamato…er…er…“, ihre Stimme brach sofort ab, sodass Mimi auf der Stelle verstand, was passiert sein musste. Sora hatte ihm von dem Baby erzählt… Kapitel 31: Im Zeichen der Liebe -------------------------------- ♥ Taichi ♥ In einer Sekunde konnte sich das Leben für immer verändern. Man traf Entscheidungen. Die einen beeinflussten das Leben kaum, während die anderen es völlig auf den Kopf stellten. In manchen Momenten war man jedoch völlig hilflos und stand vor den Scherben seiner vermeintlichen Zukunft, die zerbrochen war. Auch Taichi erkannte diese Hilflosigkeit in den Augen seines besten Freundes, der vor einer halben Stunde bei ihm aufgetaucht war. Er war ganz blass, hatte kaum ein Wort mit ihm gewechselt, sondern saß einfach nur teilnahmslos auf seinem Schreibtischstuhl und blickte ins Leere, während Taichi mit zwei Gläsern Wasser sein Zimmer betrat. Er stellte sie auf seinem Schreibtisch ab und schloss die Tür hinter sich, um ihnen etwas Privatsphäre zu schaffen. Besorgt ließ er sich auf seinem Bett nieder, während Yamato angespannt auf seiner Unterlippe knabberte. Er fuhr sich unruhig durch seine blonden, kurzen Haare, als sich ein Seufzer von seinen Lippen löste. „Du weißt es schon, oder?“, hinterfragte er mit brüchiger Stimme und betrachtete das Glas Wasser, das Taichi ihm hingestellt hatte. „Ähm…,weil ich dir ein Glas Wasser hingestellt habe?“, hakte er etwas dümmlich nach und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. „Nein, aber dein Blick war eindeutig gewesen, als ich hier aufgeschlagen bin. Wie lange weißt du es schon und warum hast du es mir nicht gesagt?“, wollte er wissen, blieb aber weitestgehend ruhig. Taichi presste beschämt die Lippen aufeinander und senkte den Kopf. Warum hatte er nichts gesagt? Weil er Sora es versprochen hatte? Weil er wollte, dass sie es untereinander klärten und ihn nicht ständig in ihre Beziehungskiste hineinzogen? Er war es so unsagbar satt, dass er bei seinen Freunden immer das fünfte Rad am Wagen sein würde. Das Ersatzrad, dass man brauchte, wenn man einen Platten hatte. Doch es war nicht seine Beziehung! Sie musste es selbst in den Griff bekommen. „Spielt das denn eine Rolle? Es ist doch jetzt vielmehr die Frage, was ihr tun wollt! Du kannst Sora damit jetzt nicht alleine lassen, aber dein Gesicht sagt mir, dass das Ganze wohl nicht sonderlich gut zwischen euch gelaufen ist“, stellte er nüchtern fest. Ertappt richtete Yamato den Blick zu Boden und knibbelte auffällig an seine Fingerkuppen – ein Indiz dafür, dass etwas nicht in Ordnung war. Taichi lehnte sich zurück und musterte seinen besten Freund argwöhnisch. „Oh Gott, was hast du zu ihr gesagt?“ Yamato schnaufte nur. „Gar nichts...“ „Matt!“ „Naja, ich war halt völlig geschockt gewesen. Wir haben immer aufgepasst und jetzt bekommen wir ein Kind. Wir sind doch selbst noch halbe Kinder“, erwiderte er hysterisch. „Weißt du, was das für ihre Zukunft bedeutet?“ Überrascht sah er den Blondschopf an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was ist mit deiner Zukunft? Ich meine, es betrifft euch doch beide.“ „Ja, aber, wenn wir mal ehrlich sind, hat sich Sora schon seit der Mittelstufe Gedanken um ihre gemacht. Ich wollte einfach nur berühmt werden, mit dem Wissen, dass es die wenigstens schaffen werden und jetzt ruiniere ich ihr damit alles.“ „Du ruinierst ihr damit alles? Sag mal hörst du dir überhaupt zu? Hier geht es doch nicht um Schuld. Ihr bekommt ein Kind und du solltest ihr das Gefühl geben für sie da zu sein. Außer du willst das nicht…“ Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, beobachtete Taichi die Reaktion seines Freundes genau. Er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er ihn somit aus der Reserve locken konnte. Yamato liebte seine Familie, auch wenn sie sehr zerrüttet war und er als Kind oftmals seine tiefen Gefühle vor der Außenwelt verstecken wollte. Sora schaffte es ein Teil seiner Familie zu werden, indem sie ihm die Liebe schenkte, die er brauchte, um sich geborgen zu fühlen. Taichi wusste, dass er diese Liebe nicht aufgeben wollte. „Ich bin vorhin völlig ausgeflippt“, gab er leise zu. „Sie hat so geweint und sagte mir, dass es auch noch andere Lösungen gäbe und wir das Kind nicht behalten müssten. Sie hätte sich im Internet bereits informiert und ich hatte das Gefühl, dass sie uns als Eltern komplett ausgeschlossen hat. Sie hat immer wieder davon gesprochen, dass ich doch auf Tour gehen wollte und ein Kind sowieso nicht reinpassen würde…aber es hat mich so wütend gemacht…ich wollte, dass sie mir zuhört, aber ich konnte mich dann irgendwann nicht mehr beherrschen. Ich habe zu ihr gesagt, wenn sie das alles über meinen Kopf hinweg entscheiden will, soll sie es tun und dann bin ich gegangen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe…“ Er beendete seinen Monolog und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen, als Taichi erkannte, was Yamato wirklich wollte. Er wollte dieses Kind behalten. „Du hast gleich gewusst, dass du das Baby mit ihr bekommen willst, oder?“, hakte er behutsam nach. „Ja, das war merkwürdig. Ich mein‘ es passt wirklich Null in unseren Lebensplan rein, aber ich würde niemals von ihr verlangen, dass sie es weggibt, oder es abtreibt. Meine Mutter war selbst erst zwanzig als ich auf die Welt kam und sie hat es auch geschafft. Mehr oder weniger“, erklärte er, während sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen legte, dass jedoch in kürzeres Zeit wieder einer ernsten Miene wich. „Was soll ich denn jetzt nur machen?“, fragte er hilflos und richtete einen mitleidigen Blick zu Taichi, der bereits überlegte, wie man Soras Herz wieder erweichen konnte. Yamato hatte es schließlich ja nicht böse gemeint. Er hatte sich lediglich unglücklich ausgedrückt. „Du solltest ihr zeigen, dass du für sie da bist. Lass ihr irgendetwas Kreatives einfallen, um ihr Herz zurückzuerobern“, schlug Taichi wage vor. „Ihr Herz zurückzuerobern? Und wie soll ich das machen? Sie ist stocksauer und wird mir sicherlich nicht zuhören, wenn ich bei ihr wieder antanze“, stöhnte er resigniert und fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirn. Doch Taichi wäre nicht Taichi, wenn er nicht schon längst einen Plan ausgearbeitete hätte. Er grinste, als er sich leicht zu ihm vorbeugte und ihn näher zu sich heranwinkte. „Ich glaube, ich habe da eine Idee“, murmelte er geheimnisvoll, während Yamato skeptisch die Stirn in Falten legte. _ „Auf gar keinen Fall. Sora ist am Boden zerstört, weil dein Freund so unsensibel reagiert hat, wie ein sturer alter Gaul, der nicht weiß, was er will“, murrte sie angesäuert und stemmte die Hände in die Hüfte. „Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, um sie zu beruhigen? Der soll mir bloß nicht über den Weg laufen.“ Erzürnt stampfte sie auf dem Boden auf und richtete ihren sturen Blick zu Taichi, der es prompt mit der Angst bekam, wenn er dieses unlöschbare Feuer in ihren Augen erkannte. Ja, sie war definitiv sauer und Yamato wollte diesen Zorn sicher nicht zu spüren bekommen, weshalb er sie besänftigen musste. Deswegen hatte er sie nach dem Mittagessen hinter die Toiletten im Außenbereich gelotst, um in Ruhe und ungestört mit ihr reden zu können. „Komm schon Mimi, ich habe dir doch gerade erklärt, dass er das nicht so gemeint hat und sich bei ihr entschuldigen möchte“, untermauerte Taichi verzweifelt und versuchte zu vermitteln. Er musste es irgendwie schaffen, Mimi von seinem Plan zu überzeugen. Er brauchte sie, alleine würde er es nicht schaffen, den Rest zu mobilisieren. Yamato konnte er bereits ohne weiteres von seinem Plan begeistern, wahrscheinlich aber auch, weil er verzweifelt war und ihm sonst nichts Besseres einfiel. Vielleicht war es auch die beste Möglichkeit, Sora seine aufrichtigen Gefühle mitzuteilen, auch wenn Taichi wohl noch ein bisschen von seiner Überredungskunst spielen lassen musste. „Nein, wieso zieht er dich überhaupt damit hinein? Er sollte selbst den Hintern hochbekommen und nicht dich vorschicken. Das ist nicht fair“, wiedersprach sie direkt. „Ich will den beiden nur helfen, aber wenn du dich so quer stellst wird der Plan nicht funktionieren“, versuchte er ihr vor Augen zu führen, als er ihre Wut jedoch damit nur noch mehr ins Unermessliche trieb. „Willst du mir jetzt ernsthaft ein schlechtes Gewissen einreden? Ich fass’ es nicht.“ Sie machte einen Auswahlschritt und ließ ihre Arme locker neben ihrem Körper baumeln, während sie ihn mit bösen Blicken strafte. Natürlich hatte sie es mal wieder in den falschen Hals bekommen. Er musste jetzt ruhig bleiben. Das letzte was er wollte, war sie noch wütender zu machen, als sie es ohnehin schon war. Behutsam ging er ein paar Schritte auf sie zu und streichelte ihr sanft über ihre zarten Wangen, was sie mürrisch über sich ergehen ließ. Sie schielte zu ihm hoch und zog schmollend die Unterlippe nach vorne. „Guck mich nicht so an...“, grummelte sie genervt, hielt aber seinem Blick weiterhin stand. „Ach, wie gucke ich denn? Bekommst du etwa schon weiche Knie?“, witzelte er kess, ehe Mimi direkt die Augen verdrehte. „Du bist unmöglich. Wir haben hier eine ernste Krise und du…du…ahh!“ Sie wandte sich aus seinem Griff und raufte sich die Haare. „Hör auf, so verdammt charmant zu sein, um mich auf deine Seite zu ziehen. Das ist jetzt wirklich unfair“, warf sie ihm vor und blieb mit verschränkten Armen vor ihm stehen. Taichi lächelte nur zufrieden und freute sich insgeheim darüber sie so aus dem Konzept gebracht zu haben. „Ich will doch nur unseren Freunden ein wenig auf die Sprünge helfen. So wie du. Ich glaube, Yamato weiß, dass er etwas falsch gemacht hat und der Plan funktioniert nur, wenn du mit an Bord bist“, antwortete er vertrauensvoll und legte zärtlich seine Hände auf ihren Schultern ab. Sie schien einen kurzen Moment zu überlegen, als sie plötzlich nachgab und widerwillig nickte. „Aber glaub ja nicht, dass ich das für Yamato mache. Er muss sich jetzt ganz schön beweisen“, warf sie nachdrücklich ein. „Das wird er schon“, versprach Taichi zuversichtlich, während Mimi sehr nachdenklich auf ihn wirkte. „Das hoffe ich. Dein Plan klingt auf jeden Fall nicht schlecht“, gab sie zu. Grinsend wanderte Taichi mit den Händen von ihren Schultern zu ihrer Taille hinunter und zog sie automatisch näher an sich heran. „Ein Kompliment aus deinem Mund, ist wie Musik in meinen Ohren“, trällerte er erfreut und trieb Mimi ein Lächeln ins Gesicht. „Wer sagt, dass es ein Kompliment war? War nur eine simple Feststellung.“ „Eine Feststellung? Also du könntest mir ruhig mehr Zuspruch geben, schließlich sind wir…“, er stoppte abrupt und konnte nicht fassen, was er beinahe unbedacht ausgesprochen hätte. Wollte er ernsthaft behaupten, dass sie zusammen wären? Konnte man das, was sie zurzeit erlebten überhaupt schon als Beziehung beschreiben? Sie verbrachten lediglich nur mehr Zeit miteinander. Ein wirkliches Date hatten sie noch nicht gehabt, auch wenn sie in Sachen Zurückhaltung deutliche Grenzen überschritten. Wie oft hatten sie sich in dieser Woche bereits geküsst gehabt? Wie oft sind sie Hand in Hand irgendwo entlanggelaufen, ohne sich Gedanken darüber zu machen? Und auch jetzt im Moment standen sie Arm in Arm, ganz dicht beieinander, ohne diese Situation in Frage zu stellen. „Schließlich sind wir was?“, hakte Mimi neugierig nach. Taichi rang nach seinen Worten und wurde sichtlich nervös, was ihm seine weichen Knie deutlich vermittelten. Sollte er es einfach aussprechen? Sollte er sie hier und jetzt einfach fragen, ob sie gemeinsam einen Schritt weitergehen sollten? „Schließlich…sind wir…wir sind Freunde“, offenbarte er ihr und wollte sich jeden Augenblick selbst dafür Ohrfeigen. Irritiert machte sich Mimi von ihm los und rang kurz um ihre Fassung, die sie vor ihm wahren wollte. „Freunde?“, fragte sie in einem verletzten Unterton und Taichi bemerkte sofort, dass er sich missverständlich ausgedrückt hatte. „Ähm…also so war das…“ „Nein, schon gut“, unterbrach sie ihn schroff, während ihr Gesicht völlig versteinert wirkte. „Ich werde jetzt mal Kaori suchen gehen. Wir brauchen sie ja schließlich auch noch für unseren Plan.“ Kaum hatte sie diesen Satz beendet, setzte sie sich auch schon in Bewegung, bevor Taichi überhaupt etwas erwidern konnte. „Shit…“, murmelte er, während er ihr hinterher sah. Er war sauer. Sauer auf sich selbst. Wieso hatte er sie nur wieder so vor den Kopf gestoßen? War er von allen guten Geistern verlassen? Warum konnte es nicht einmal in seinem Leben glatt laufen? Wieso stellte er sich immer selbst ein Bein? Hatte er Angst? Wollte er sich selbst vor einer weiteren Enttäuschung bewahren? Er wusste es nicht. Das einzige, was er wusste war, dass er sie so verlieren würde. Und genau das musste er verhindern. _ Der kalte Wind blies ihm entgegen und das salzig riechende Meer durchflutete seine Sinne. Er sank in dem kühlen Sand etwas ein, während ein wildes Gewusel vor seinen Augen stattfand. „Hier, die müssen wir noch befestigen! Dann können wir sie anstecken“, sagte Ryota und reichte Taichi eine der Fackeln weiter, die sein Bruder und er besorgt hatten. „Wo habt ihr das Zeug denn alles her?“, fragte Taichi irritiert, auch wenn er sich insgeheim freute, dass sich die beiden so für Yamato einsetzten. „Ach unsere Mutter ist Eventplanerin und eine hoffnungslose Romantikerin. Also Ryota ihr von dem Plan erzählt hatte, war sie Feuer und Flamme uns zu unterstützen. Sie hat uns sogar hergefahren“, meinte Juro tonlos, als er eine Fackel in den sandigen Boden rammte. „Du hast es deiner Mutter erzählt?“, hakte Taichi verwundert nach und runzelte die Stirn. „Na und? Wir haben eben ein inniges Verhältnis zueinander. Ich bin eben nicht so ein Eisblock wie Mister Cool hier“, Ryota rümpfte die Nase und schenkte seinem Bruder einen abschätzigen Blick, den er jedoch nicht erwiderte. „Ach hör doch auf! Du bist sogar noch schlimmer als Mama. Wenn ich daran denke, was du für Akane schon alles getan hast. Sogar einen eigenen Song hast du für sie geschrieben“, zog Juro ihn auf, während Ryota nur die Augen verdrehte Taichi lachte leise vor sich hin, als sein Blick kurz bei Kaori hängen blieb, die ihre Violine stimmte. Sie wirkte hochkonzentriert und schien ihre Umgebung gar nicht bewusst wahrzunehmen, während sein bester Freund nervös auf und abwanderte. In seinen Händen knautschte er einen kleinen Bären zusammen, den er selbst einmal zur Geburt geschenkt bekommen hatte. „Hey, du läuft noch ein Loch in den Sand“, witzelte Taichi und näherte sich ihm behutsam, ehe er abrupt stehen blieb. Mit einem angespannten Gesicht wandte er sich Taichi zu und kniff voller Anspannung die Augen zusammen. „Ich hoffe, das geht alles gut. Ich glaube, ich war noch nie so nervös in meinem Leben gewesen“, antwortete er hibbelig und schluckte schwerfällig. „Das wird schon. Mimi hat mir schon eine SMS geschrieben. Sie sind auf dem Weg und wir müssen noch ein bisschen was aufbauen, damit es auch wirklich perfekt wird“, führte er ihm vor Augen. Ein mildes Lächeln legte sich über Yamatos Gesicht, als er sachte nickte und gemeinsam mit Taichi zu den anderen ging, um ihr Werk zu vollenden. Auch Kaori legte die Violine vorsichtig beiseite und half die Fackeln aufzustellen. Sie sollten ein Herz ergeben – das gängigste Symbol der Liebe. Taichi und Kaori waren gerade dabei die letzte Fackel im Stand zu befestigen, als auch der Rest von ihnen die jeweiligen Musikinstrumente hervorholte und stimmte. Juro hatte eine seltsame Kiste mitgebracht, auf die er sich daraufgesetzt hatte und einen Rhythmus anstimmte. Neugierig beobachtete Taichi ihn dabei, wie er mit gleichmäßigen Handbewegungen den Kasten schlug und einen ebenmäßigen Beat entstehen ließ. „Das ist ein Kachon. Eine Kiste, auf der man trommeln kann“, klärte Kaori ihn auf, da sie seinen neugierigen Blick durchaus mitbekommen hatte. „Ist immer eine gute Alternative zu einem Schlagzeug. Das hätten wir hier sicher nicht aufbauen können.“ „Nein, allein schon das Transportieren wäre eine Herausforderung geworden“, stimmte Taichi mit ein, als sein Handy vibrierte. Hektisch kramte er es aus seiner Jackentasche, öffnete den Posteingang und las die Kurznachricht, die von Mimi stammte. „Sie sind in zehn Minuten da“, rief er aufgeregt und ließ sein Handy wieder in die Hosentasche verschwinden, als plötzlich alles ganz schnell ging. Gemeinsam mit Ryota steckte er die Fackeln an, während sich die anderen schon auf Position begaben. Ryota schnappte sich als Letzter seiner Gitarre. Taichi ging schnurstracks einige Schritte nach vorne, um die Mädchen abzupassen und somit sicher zu stellen, dass Sora auch mit ihnen mitkommen würde. Er stellte sich an den Straßenrand und wartete. Nervös vergrub er seine Finger in den Taschen seines Kapuzenpullis, während die Sterne lautlos über ihm funkelten. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Gehweg, der zum Strand führte. Die tosenden Wellen waren im Hintergrund zu hören, während sich das Meer in seiner Schwärze vor ihnen erstreckte. Im gedämmten Licht der Straßenlaterne sah Taichi, wie Mimi und Sora auf ihn zukamen. Sora blieb sofort stehen, als sie ihren besten Freund erkannt hatte. „Mimi, was soll das? Warum ist Taichi hier?“, fragte sie gereizt, da Mimi sie sicherlich mit einer ganz anderen Begründung aus dem Haus gelockt hatte. „Ähm…naja…“ „Mimi“, zischte sie aufgebracht, als Taichi auf die beiden Mädchen zuging. „Ich habe sie überredet dich hierher zu locken“, gab er kleinlaut zu und blickte in das zornige Gesicht seiner Freundin. „Was? Das ist jetzt nicht euer Ernst? Ich gehe keinen Schritt weiter“, meinte sie stur. „Solltest du aber. Da wartet jemand auf dich, der dringend mit dir sprechen möchte“, erwiderte Mimi sachte, doch Sora verzog nur das Gesicht. „Du meinst wohl Matt…ich fasse es nicht, dass ihr zwei euch auf seine Seite ziehen lasst“, antwortete sie weinerlich und Tränen glitzerten in ihren Augen. „Sora hier geht es nicht um Seiten. Es geht um euer Baby“, führte Taichi ihr vor Augen, als eine einzelne Träne ihre Wange hinunterrann. „Das Baby...“ „Ja, das Baby! Du solltest mitkommen und ihn anhören. Er will mit dir reden und er hat dir etwas Wichtiges zu sagen.“ Taichi streckte ihr seine Hand entgegen, die sie einen Moment schweigsam betrachtete, bevor sie sie zaghaft ergriff und sich von ihm führen ließ. Mimi folgte ihnen schweigsam, während Taichi immer wieder versuchte zu ihr Blickkontakt aufzunehmen. Doch sie zeigte ihm immer noch die kalte Schulter… „Oh mein Gott…“, hauchte Sora fassungslos und sah ungläubig zwischen ihren beiden Freunden hin und her. Taichi lächelte zufrieden, während Mimi völlig beeindruckt die Fackellandschaft vor ihnen betrachtete. Nervös schritt Yamato auf sie zu, als der zärtliche Ton der Violine sich mit dem Einklang der Trommel und der Gitarre vermischte. You had your maps drawn You had other plans To hang your hopes on Every road they let you down felt so wrong So you found another way Er drückte den Bären gegen seine Brust, während Sora wie hypnotisiert wirkte. Sie war gefangen, in herzergreifenden Melodie, die tief ins Yamatos Herzen wohnte und machtvoll nach außen drang. Die Instrumente hielten sich im Hintergrund und unterstützten Yamatos kräftige Stimme, die mit Herzblut seine wahren Gefühle offenbarte. You've got a big heart The way you see the world It got you this far You might have some bruises And a few of scars But you know you're gonna be okay Sora stand völlig baff neben Taichi und ließ seine Hand augenblicklich los, als sie zaghaft auf Matt zugesteuert kam und ergriffen seinen Worten lauschte. Die Tränen standen ihr in den Augen und quollen ihr die rosigen Wangen hinunter, sodass sie sich hektisch über ihr Gesicht fuhr. Damit schien sie nicht gerechnet zu haben. Even though you're scared You're stronger than you know Er ergriff zärtlich ihre Hand und zog sie näher an sich heran, während sie unaufhörlich weinte. Sie presste sich gegen seine starke Brust, als er sich etwas zu ihr hinunterbeugte, sanft lächelte und den Bären vor ihrem Gesicht tanzen ließ. Sora nahm ihn entgegen und drückte ihn sachte an ihre Brust. Langsam geleitete Yamato sie zu dem Herz aus Flammen, dass sie mühevoll zusammengesetzt hatten. If you're lost out where the lights are blinding Caught in all, the stars are hiding That's when something wild calls you home, home If you face the fear that keeps you frozen Chase the sky into the ocean That's when something wild calls you home, home Der Refrain setzte ein, als Yamato ihre Hand nahm und sie einmal um ihre eigene Achse drehte. Sie lächelte dabei und hielt den Teddybären immer noch fest gegen ihre Brust gedrückt. Kaoris Violine stimmte den höchsten Ton an, während ihr Bogen mit Leichtigkeit über die Saiten glitt. Juro trommelte im Takt der Violine, als auch Ryota seine Gitarre zum Singen brachte. Vor Taichis Augen ersteckte sich ein Meer aus Farben, auch wenn man sie nicht sehen konnte. Man spürte die Fülle des Lebens, die durch sämtliche Fasern seines Körpers zog und ihn förmlich mitriss. Sometimes the past can Make the ground benneath you feel like a quicksand You don't have to worry You reach for my hand And i know you're gonna be okay You're gonna be okay Yamato stimmte den letzten Ton an, als dieser langsam im Schall der Nacht verhallte. Die Instrumente verstummten und hinterließen eine angenehme Stille, die eine besondere Form der Magie darstellte. Es fühlte sich plötzlich alles so leicht an. Wie eine Feder, die durch einen sanften Windzug durch die Lüfte schwebte. Gerührt stand Sora Yamato gegenüber, der ihr Gesicht zärtlich berührte und die aufkommenden Tränen mit seinem Daumen vorsichtig abfing. „Heißt das etwa, dass du das Baby…“, ihre Stimme brach abrupt ab, doch sie brauchte nicht mehr zu sagen, als Yamato bereits nickte. „Ja, wir bekommen das schon hin. Es ist unser Kind und ich möchte, dass wir das gemeinsam schaffen. Ich werde mir nach dem Abschluss einen Job suchen, Geld verdienen, ganz egal…ich will dich nicht verlieren“, sagte er ergriffen und berührte ihren Bauch, der noch sehr flach war und keine Schwangerschaft vermuten ließ. „Ich will dich auch nicht verlieren…“, schluchzte sie herzergreifend und flüchtete sich in seine starken Arme, die ihr den nötigen Halt schenkten, die sie in diesem Moment brauchte. Gerührt beobachtete Taichi die beiden, als ihn plötzlich eine Welle der Gefühle erfasste, die er selbst kaum noch kontrollieren konnte. Er richtete den Blick zu Mimi, die voller Rührung ebenfalls weinte. Sie hatte ihre Hände vor dem Mund zusammengefaltet, während ihre Augen voller Hingabe die beiden Liebenden betrachteten. Behutsam berührte Taichi ihre Schulter, was Mimi kurz zusammenfahren ließ. „Ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte er vorsichtig nach, als sie sich einige Tränen aus dem Gesicht strich und sachte nickte. „Ja, alles bestens“, sagte sie unterkühlt und schüttelte seine Hand von ihrer Schulter ab, indem sie sich mit großen Schritten von ihm entfernte und sich zu den anderen gesellte. Verloren blieb Taichi etwas weiter abseitsstehen und beobachtete Mimi dabei, wie sie Kaori ein aufmunterndes Lächeln schenkte und die Jungs für das sagenumwobene Spiel lobte. Ryota tätschelte sich verlegen den Hinterkopf, während Juro nur ein knappes Nicken zu Stande brachte. Taichi hingegen fühlte sich einfach nur mies. Während sein bester Freund der Liebe seines Lebens öffentlich seine Gefühle gestand, schaffte es Taichi immer noch nicht zu seinen zu stehen und entfernte sich immer mehr von ihr. Deswegen musste er sich etwas einfallen lassen. Nur so konnte er ihr zeigen, was sie ihm wirklich bedeutete. Kapitel 32: Gute Freunde küsst man nicht ---------------------------------------- ♥ Mimi ♥ „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du ein Baby bekommst“, sagte Mimi staunend und betrachtete das Ultraschallbild, dass Sora ihr mitgebracht hatte. „Ich finde es auch noch alles so unwirklich. Irgendwie fühle ich mich noch gar nicht schwanger“, sie lächelte und berührte sanft ihren Bauch, während sie sich zufrieden zurücklehnte. Seit sich Yamato und Sora ausgesprochen und sich für ihr gemeinsames Baby entschieden hatten, war die Lage deutlich entspannter geworden. Zwar überlegten sie noch, wie sie das Ganze ihren Eltern schonend beibringen könnten, doch beide blickten sehr optimistisch in ihre gemeinsame Zukunft, indem das Baby die Krönung ihrer Liebe darstellte. „Wisst ihr schon, wie ihr es euren Eltern sagen werdet? Takeru scheint es ja relativ positiv aufgenommen zu haben.“ „Takeru war mega geschockt gewesen“, berichtigte Sora lachend. „Er hat zweimal nachgefragt, ob wir ihn verarschen.“ „Naja, aber am Ende hat er sich doch für euch gefreut“, stellte Mimi eisern fest. „Ja, dass schon. Ich mein‘ was soll er auch groß sagen? Ich denke, die Reaktion unserer Eltern wird heftiger werden. Und Yamato hat schon richtig Angst vor meinem Vater…“ „Ach als ob er seinen zukünftigen Schwiegersohn zusammenschlagen würde“, Mimi winkte sofort ab und lockerte ihre Schultern. „Und Yamato steht ja voll und ganz hinter dir. Ich denke nicht, dass dein Vater ihn dann noch vergraulen möchte.“ „Wow, du machst mir echt Mut“, seufzte Sora resigniert. „Aber genau deswegen fahren wir nach Kyoto zu meinen Großeltern zum Jidai-Matsuri. Hat zwar einiges an Überzeugungskraft gebraucht, aber so wie es aussieht, werden alle mitfahren. Okay, mit Ausnahme von Takeru, aber den bringen wir dann bei Taichi und Hikari unter.“ Mimi zuckte bei seinem Namen augenblicklich zusammen und auch, wenn sie sich nichts anmerken lassen wollte, fiel es ihr schwer vor Sora ihre makellose Fassade aufrecht zu erhalten. Er hatte gesagt, dass sie Freunde seien? Freunde?! War dieser Kerl von allen guten Geistern verlassen? Knutschte er etwa mit allen seinen Freunden heimlich rum, ohne auf deren Gefühle zu achten? Und nicht nur das…sie hatte ernsthaft geglaubt gehabt, dass sich diese komplizierte Beziehung in etwas Magisches verwandeln würde. Dass sie endlich zueinander fanden und glücklich werden könnten. Doch von Glück waren sie weit entfernt gewesen. „Mimi? Ist alles in Ordnung?“ Geistesabwesend fasste sie an ihre Kette und berührte den Anhänger sachte. Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie die Gravur nach und ignorierte Soras Frage völlig, da sie mal wieder ihren Gedanken nachhing. Wieso konnte es nicht einmal glatt laufen? Mussten sie es immer schwerer machen, als es eigentlich war? Es könnte so einfach sein, doch er machte mal wieder alles kaputt und hinterließ eine Spur der Verwüstung in ihrem schmerzenden Herzen. „Okay, was hat er diesmal angestellt?“, hakte Sora in einem bohrenden Unterton nach und riss Mimi unmittelbar aus ihren Gedanken. „Was? Wen meinst du?“ Sie ließ ihre Kette augenblicklich los, als sie erkannte, dass diese Geste sie verraten hatte. Sora legte den Kopf schräg und musterte sie eindringlich. „Komm schon, stell dich nicht blöd. Ich merke doch, dass da wieder was zwischen euch läuft. So wie er dich am Strand heimlich angestarrt hat…“ Er hatte sie angestarrt? Das war ihr gar nicht aufgefallen…doch spielte das überhaupt eine Rolle? Sie waren Freunde… „Na und? Ich kann eben nichts dafür. Er ist eben…“, Mimi blieb abrupt das Wort im Halse stecken, als sie an sein charmantes Lächeln dachte, dass ihre Hände zum Zittern brachte. Ihr Herz begann unkontrolliert gegen ihre Brust zu pochen, während sich ein zarter Rotschimmer über ihre Wangen legte. „Also ist wieder etwas zwischen euch gelaufen?“, schlussfolgerte Sora scharfsinnig und legte nachdenklich den Kopf in den Nacken. Mimis Körper bebte, als sich die Wortkotze plötzlich ihren eigenen Weg bahnte. Sie konnte es nicht aufhalten, sondern begann einfach zu erzählen. Sie erzählte sogar Dinge, die sie aussparen wollte, doch sie war einfach nur wütend, weshalb sie jemanden brauchte, der ihr zuhörte. „Warte? Was?“, brachte Sora nur noch hervor, als Mimi ihre Erzählungen beendet hatte. „Ihr habt auf Kazus Party bereits rumgeknutscht? Und du hast mir nichts davon erzählt? Die war doch bereits im Mai gewesen?! Das war noch vor der Sache mit Makoto“, stellte sie entrüstet fest und schnappte nach Luft. „Ich weiß“, jammerte Mimi wehleidig. „Aber er hat zu dem Kuss nichts mehr gesagt, weshalb ich es einfach abhaken wollte.“ „Indem du dich mit Makoto ablenkst?“, warf Sora in den Raum und beäugte Mimi kritisch, die auf ihrem Stuhl immer kleiner wurde. Zum Glück war ihre Mutter nicht zu Hause. Bestimmt hätte sie ihre neugierige Nase nicht aus diesem Gespräch raushalten können. „Mensch Mimi…ich fass es nicht. Du solltest wirklich mit Taichi mal Tacheles reden! Du bist doch schon seit Ewigkeiten in ihn verliebt“, führte Sora ihr vor Augen. „So lange ist das doch gar nicht“, redete sich Mimi sofort raus, obwohl sie genau wusste, dass es nicht stimmte. „Siehst du! Du machst es schon wieder! Immer redest du dich raus! Wenn du ehrlich zu dir selbst wärst, würdest du zugeben, dass du schon für Taichi schwärmst, seit wir in den Kindergarten gehen.“ „Was? Nein! Wie kommst du denn darauf?“, fragte Mimi erzürnt und runzelte die Stirn. Seit dem Kindergarten? Ging Sora damit nicht etwas zu weit? Sie waren doch noch viel zu jung dafür gewesen, um zu verstehen, was Liebe bedeutete. „Wie ich darauf komme? Erinnerst du dich nicht mehr daran, als Taichi meinte, dass er mich mal heiraten möchte?“ Mimis Herz setzte auf der Stelle aus, als Sora ihr etwas ins Gedächtnis rief, dass sie nach all den Jahren verdrängt hatte. Ihr Mund klappte auf, ehe sich ihr Herz schmerzvoll zusammenzog und sie sich blitzartig in ihre Vergangenheit zurückversetzt fühlte. „Wenn ich groß bin, werde ich Sora heiraten!“ Genau dieser Satz brachte ihr Herz schon als fünf-Jährige zum Stocken, auch wenn sie damals nicht mal verstand wieso. Es hatte sie so verletzt, dass er Sora ihr in diesem Moment vorgezogen hatte, dass sie sich am liebsten verkriechen wollte. „D-Du hast das damals mitbekommen?“, hakte sie unsicher nach. „Ich bin nicht blöd Mimi“, erwiderte Sora behutsam und lehnte sich zu ihr rüber. „Du hast so oft von ihm geschwärmt und warst am Boden zerstört, als er das gesagt hatte. Und dann schlägst du vor ihm ein Vergissmeinnicht ins Gesicht zu malen? Ich denke, das war eindeutig.“ „N-Nein…ich hatte es ihm nur ins Gesicht gemalt, weil er uns damals mit Schlamm beworfen hatte“, rechtfertigte sie sich und fühlte sich auf einmal wie ausgeliefert. Kalter Schweiß lief ihren Rücken hinunter und führte dazu, dass sie unregelmäßig zu Atmen begann, während Sora ein scharfsinniges Grinsen aufgelegt hatte. „Ich kenne die Geschichte von deinen Eltern“, flötete sie fröhlich. „Du hast immer davon geschwärmt und Vergissmeinnicht sind auch deswegen deine Lieblingsblumen. Sieh‘ es ein…du hast ihm damit indirekt deine Liebe gestanden.“ Vollkommen baff weiteten sich Mimis Augen. „Sora…was redest du denn da?“, quietschte sie schrill und wollte der Wahrheit immer noch nicht ins Auge blicken, auch wenn ihr Herz einen gewaltigen Hüpfer machte. „Also ich finde meine Überlegungen außerordentlich logisch und ich glaube nicht, dass du dich mit einer Schwangeren anlegen willst“, ermahnte sie sie, während Mimi wütend die Wangen aufblies. Wie schaffte es Sora nur immer sie so zu durchschauen? Da gab es sicherlich einen Trick. Einen Trick, den sie ihr ganz sicher nicht verraten würde. _ Nachdem Sora ihr den halben Tag in den Ohren gelegen hatte, nochmal mit Taichi zu sprechen, war Mimi froh, dass sie heute Abend etwas Ruhe genießen konnte. Da ihre Eltern ihren Hochzeitstag feierten, waren sie ausgegangen, um einen romantischen Abend zu zweit zu verbringen. Zum Glück war auch die Stimmung ihrer Mutter wieder ausgelassener, die das Treffen mit ihrem Ex-Freund jedoch ein wenig verdrängte. Doch Mimi wollte nicht näher nachfragen, auch wenn Kaori sich tatsächlich in den Kopf gesetzt hatte, herumzuschnüffeln. Ihre Recherchen verliefen jedoch praktisch im Sande, weshalb sie sich auch nicht länger damit beschäftigen wollte. Sie wollte einfach einen entspannten Abend genießen. Mimi hatte bereits frisch geduscht und war in ihren bequemen Schlafanzug gestiegen, während ihre Haare noch im Handtuch antrockneten. Derweil hatte sie beschlossen ihre Fußnägel in einem knalligen Rosaton zu lackieren, der ihre eigene Laune etwas anheben sollte. Sie schüttelte kurz die Flasche und schnappte sich ihren Zehentrenner, während sie sich ganz entspannt auf ihrem Bett niedergelassen hatte. Sie schraubte den Deckel der Nagellackflasche ab und begann mit gleichmäßigen Bewegungen die Farbe auf ihren Nägeln zu verteilen. Sie brauchte keine fünf Minuten dafür, bis der andere Fuß auch schon an der Reihe war – schließlich hatte sie darin schon mehrere Jahre Übung. Zufrieden betrachtete sie ihre Zehennägel, als sie fertig lackiert waren. Sie schraubte die Nagellackflasche wieder zu, stand behutsam auf und tippelte zartfüßig zu ihrem Schreibtisch, ehe sie den Lack in einer Box verstaute, die sie darauf drapiert hatte. Danach öffnete sie ein Fenster, um den beißenden Geruch des Nagellacks aus ihrem Zimmer zu vertreiben. Gerade als sie ihre Zimmertür öffnen wollte, um sich einen kleinen Abendsnack vorzubereiten, hörte sie auf einmal, wie etwas gegen ihre Fensterscheibe flog. Es klirrte leise und schien gleich von dem glatten Glas abzuprallen, was jedoch Mimis Aufmerksamkeit dennoch erhaschte. Argwöhnisch drehte sie sich wieder ihrem Fenster zu und hörte das Geräusch erneut. Neugierig beugte sie sich über ihren Schreibtisch hinweg und sah tatsächlich eine Person, die direkt unter ihrem Fenster stand und kleine Kieselsteine nach oben warf. Sie musste nicht zweimal hinsehen, ehe sie die Person ganz klar identifizieren konnte. Erbost öffnete sie ihr Fenster und lehnte sich hinaus. „Sag mal hast du sie noch alle? Was soll das?“ raunzte sie und konnte sich kaum zügeln, während er einfach seelenruhig davorstand. Er sagte keinen Ton, als er plötzlich in der Dunkelheit verschwand und Mimi völlig irritiert am Fenster zurückließ. Was sollte das nur? Bildete er sich ernsthaft ein, dass sie im Schlafanzug zu ihm rauskam? Das konnte er vergessen. So verzweifelt war sie wirklich nicht. Gerade als sie das Fenster wieder schließen wollte, hörte sie ein dumpfes Geräusch, das von der Feuerleiter kam, die direkt neben ihrem Fenster entlangführte. Sie sah nach unten und riss von Panik ergriffen die Augen auf. „Taichi, was zur Hölle machst du da? Bist du komplett verrückt geworden“, brüllte sie und sah wie er tatsächlich die Feuertreppe hochgeklettert kam. Er hielt sich nur mit einer Hand fest und balancierte in der anderen einen kleinen Korb, den er bereits an Hanami dabeihatte. Kaum hatte sie ihre Worte ausgesprochen, blickte sie auch schon in seine warmen braunen Augen, die ihr Herz zum Stocken brachten. Nervosität rann durch ihre Adern und vermischte sich mit Scham, da sie tatsächlich in einem kitschigen Schlafanzug vor ihm stand. Er war aus feinem Satin und war sehr enganliegend. Zumal zierten kleine rote Herzen den rosafarbenen Stoff. Peinlich berührt sah sie an sich hinunter und wollte augenblicklich im Erdboden versinken, als Taichi wagemutig etwas aus seinem kleinen Korb zog und ihr direkt vor die Nase hielt. Ungläubig betrachtete sie es und nahm es zaghaft entgegen, während ein keckes Grinsen seine Lippen zierte. „Und lässt du mich rein?“, fragte er auffordernd, als sich Mimi direkt mit seinem kleinen Präsent vom Fensterbrett entfernte und ihm somit den nötigen Platz gab, um in ihr Zimmer zu gelangen. Er stellte zuerst den Korb auf ihrem Schreibtisch ab, als er sich geschickt über das Fensterbrett schwang und kurz drauf sitzen blieb, bevor er wieder festen Boden unter seinen Füßen verspürte. „Das nenne ich mal eine Punktlandung“, kommentierte er belustig, während Mimi nur die Stirn runzelte. „Du weißt schon, dass du auch wie ein normaler Mensch an der Tür klingeln kannst“, führte sie ihm vor Augen. „Ja, ich weiß, aber ich glaube die hättest du mir direkt vor der Nase zugeknallt“, erwiderte er locker und schloss das Fenster hinter sich. „Und außerdem war so der Überraschungseffekt einfach größer.“ „Oh ja…toller Überraschungseffekt. Was wäre, wenn du runtergestützt wärst?“ „Ist da etwa jemand besorgt um mich?“, er grinste frech und lehnte sich gegen den Schreibtisch, während Mimi ihm am liebsten diesen selbstgefälligen Gesichtsausdruck austreiben wollte. „Was willst du hier, Taichi?“, stellte sie die Gegenfrage und hielt noch immer den Strauß Vergissmeinnicht in ihren zitternden Fingern. Tais Blick veränderte sich auf einmal und wirkte recht ernst auf sie. Unsicher fuhr er mit dem Finger den Korb entlang und druckste etwas herum, was Mimi wahnsinnig werden ließ. Konnte er nicht einmal den Mund aufbekommen? Er war extra über die Feuerleiter durch ihr Fenster geklettert…dass musste doch etwas zu bedeuten haben! Auf einmal wandte er ihr den Rücken zu und kramte aus dem Korb einige Sachen hervor. Er lächelte milde und hielt einige DVD in die Höhe – hauptsächlich waren es irgendwelche Liebesfilme, die Mimi sicherlich alle schon einmal geschaut hatte. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Ich hätte das nicht sagen dürfen, weil es auch nicht so ist. Das wissen wir beide.“ „Und du denkst etwa, dass mit einem Strauß Blumen und ein paar kitschigen DVDs alles wieder in Ordnung ist? Vielleicht klappt das ja bei deinen anderen Freunden“, knurrte sie und senkte den Blick. „Ähm, ich habe natürlich auch noch ein paar Snacks mitgebracht. Kari hat mir sogar beim Zubereiten geholfen, sodass sie noch genießbar sind…“, seine Stimme wurde immer dünner und verhallte schließlich in Mimis Zimmer. Argwöhnisch betrachtete sie ihn und zog ihre linke Augenbraue in die Höhe. „Du hast gekocht? Für mich?“ „Also es sind nur ein paar Kleinigkeiten und ein paar Sachen habe ich auch gekauft“, sagte er und tätschelte sich unbeholfen den Hinterkopf, was bei Mimi prompt das Eis zum Schmelzen brachte. Noch nie hatte ein Junge für sie Essen gekocht, geschweige denn sie mit einem Strauß Blumen überrascht. Sie war gerührt von seiner Geste, auch wenn sie es vor ihm nicht zugeben wollte. So leicht wollte sie es ihm auch wieder nicht machen, weshalb sie relativ locker reagierte. „Okay…ich hole uns mal etwas zu trinken. Du kannst es dir gerne bequem machen“, erwiderte sie steif, während ihr Herz förmlich vor Anspannung explodierte. Mit wackeligen Knien verließ sie das Zimmer, unwissend, wie es weitergehen sollte. _ „Und das Dorayaki hast du wirklich selbst gemacht“, fragte sie verblüfft und lehnte sich gegen ihren Kleiderschrank. Sie betrachtete die traditionelle Süßspeise und leckte sich mit der Zunge über ihre Lippen, an denen immer noch die rote Bohnenpaste haftete, die die Dorayaki zusammenhielt. „Naja Kari hat mir ein bisschen geholfen. Gerade beim Abmessen…das ist wohl nicht so meine Stärke. Ich hätte sicher wieder viel zu viel Zucker reingemacht“, antwortete er fast schon ein wenig schüchtern, während er sich eine Tasse des grünen Tees genehmigte, den Mimi extra für sie aufgegossen hatte. Die Stimmung zwischen ihnen war nach wie vor sehr angespannt, was eine lockere Unterhaltung kaum möglich machte. Es verlief sehr schleppend, was Mimi doch sehr frustete. Doch wie sollte sie diesen Knoten, der sich um beide gelegt hatte, zum Platzen bringen? Sie wartete regelrecht darauf, dass einer von ihnen, den entscheidenden Schritt wagte und endlich das ansprach, was zwischen ihnen stand. Waren sie bereit endlich eine Beziehung einzugehen, oder fanden sie sich weiterhin in einem Spalt zwischen Freundschaft und Liebe wieder, der auf immer dieses leidige Spiel vorantreiben würde? Mimi wollte Klarheit. Es konnte doch nicht sein, dass sie sich heimlich küssten, sich nah waren und vor ihren Freunden so taten, als wäre nie etwas zwischen ihnen passiert. Sie wollte eine Entscheidung. Hier und jetzt. „Tai…“ „Mimi…“ Beide stoppten abrupt, als sie den Namen des jeweils anderen hörten. Ein leichtes Lächeln legte sich über ihre Lippen und zeigte ihnen die Unsicherheit, die sich wie eine zweite Haut über sie gelegt hatte. Genau genommen, waren sie diejenigen, die sich im Weg standen. „Ähm…du zuerst“, sagte Taichi hölzern und schaffte es kaum ihrem Blick Stand zu halten, was in ihr eine gewisse Unruhe auslöste. Was wenn sie das Gespräch völlig falsch begann? Was wenn er etwas sagte, was sie nicht hören wollte? „Nein, fang du an…“, bat sie ihn eindringlich und spürte wie ihre eignen Wangen auf einmal ganz warm wurden. Ihr Puls beschleunigte sich augenblicklich, während sich beide gegen ihren Schrank lehnten und Stille einkehrte. Mimi traute sich nicht hochzusehen und betrachtete ihre zitternden Finger, die sie zu einer Faust einzog. Sie blickte über die Leckereien, die er extra für sie mitgebracht hatte und sich auf ihrem Zimmerboden vor ihr erstreckten. Ihr Blick wanderte zu ihrem Schreibtisch, auf den sie eine Vase mit dem Vergissmeinnicht gestellt hatte. Das zarte Blau wurde vom Mondschein sanft umhüllt und ließ Mimi in Erinnerungen schwelgen. Hatte sie Taichi damals im Kindergarten wirklich ein Zeichen geben wollen? Wollte sie ihm bereits damals mitteilen, wie viel er ihr bedeutete? Hatte sie es etwa bereits so lange verdrängt gehabt? War es möglich, dass er ihr bereits in jener Sekunde das Herz gestohlen hatte? Plötzlich bemerkte sie, wie er ihre Hand zärtlich umschloss. Völlig perplex sah sie hoch und erkannte erst jetzt, dass er unbemerkt an sie herangerutscht war und sie flehend fixierte. Er wanderte von ihrer Hand hoch zu ihrem Arm und hinterließ eine zarte Gänsehaut, die sich unter ihrem seidigen Schlafanzug langsam ausbreitete. Er erreichte ihre Schulter und strich ihr weiches Haar beiseite, dass immer noch etwas klamm war. Dann vergrub er seine Hand hinter ihrem Nacken und zog sie näher an sich heran, sodass sie seinen warmen Atem auf ihren Lippen spürte. „W-Was tust du da?“, fragte sie unsicher und verkrampfte sich. Wollte er sie jetzt ernsthaft küssen? Einfach so? Ohne ihr eine Erklärung zu geben, die sie schon sehnsüchtig von ihm erwartete? Sie riss die Augen weit auf, als er tatsächlich immer näherkam und sich alles in ihr blockierte. „Gute Freunde küsst man nicht…“, löste sich schwerfällig von ihren Lippen, als er abrupt jegliche Handlung abbrach und den Griff um sie lockerte. Etwas enttäuscht blickte er sie an und wich zurück. „Ach Mimi…“, seufzte er resigniert und fuhr sich hektisch durch seine wilde Mähne. „Denkst du wirklich, dass ich mir so viel Mühe geben würde, wenn ich nur ein beschissener Freund sein will?“ Sein Ton war scharf und erschreckte sie fast schon ein wenig. Ungläubig sah sie ihn an, als sie die Wehmut in seinen Augen erkannte, die sich mit einem schmerzlichen Verlangen mischte. „Tut mir leid…ich wollte mich nicht so ätzend ausdrücken, aber wieso machst du es mir immer so schwer?“, fragte er fast schon ein wenig wehleidig. „Ich mache es dir schwer?“, hakte sie entrüstet nach. „Du sagst wir wären Freunde, obwohl wir uns geküsst haben. Und du kannst mir sagen, was du willst, aber Freunde hätten sicherlich auch nicht beinahe Sex gehabt.“ Sie hob die Hände an und setzte das Wort „Freunde“ mit dem Zeige-und dem Mittelfinger in Anführungszeichen. Sie war es so leid. Und warum wollte er ihr den schwarzen Peter zuschieben? Er hatte sich auch nicht sonderlich mit Ruhm bekleckert. Verdattert blickte er sie an und wurde etwas rot um die Nase, bevor er sich peinlich berührt von ihr abwandte. „Ich weiß…u-und das damals tut mir sehr leid. Ich wollte dich nicht verletzen, aber…“ „Warum hast du damals mit mir nicht geschlafen?“, fragte sie geradeheraus und spannte ihre Stirn an, sodass eine angestrengte Falte ihre Mitte zierte. „Wolltest du nicht? War ich damals nicht hübsch genug? Hattest du noch Gefühle für Sor…“ „Ich wollte, dass es besonders schön für dich wird“, fiel er ihr direkt ins Wort und rutschte wieder näher an sie heran. „Aber wir waren beide angetrunken, du hattest dich getrennt und warst noch so verletzt gewesen, dass ich deine Situation nicht ausnutzen wollte. Ich wollte es sehr gerne, aber ich wollte einfach, dass es unter anderen Umständen passiert.“ „Und was war mit dem Mädchen? Wieso…wieso hast du…?“, ihre Stimme brach ab, als sich qualvoll ein dicker Kloß ihren Rachen empor schob und ihr prompt die Tränen in die Augen trieb. Irgendwie fühlte sie sich plötzlich so nackt und durchschaubar, dass sie sich am liebsten unter ihrer Bettdecke verkrochen hätte. Doch Tai ließ nicht locker, brachte sie dazu ihn anzusehen, indem er behutsam ihr Kinn anhob und ihr tief in ihre traurigen Augen blickte. „Das war ein Fehler...aber nachdem du mir gesagt hast, dass du alles vergessen willst, wollte ich einfach nur meinen Schmerz betäuben. Wie war mir egal…ich wollte einfach etwas Anderes fühlen und dann war es auch schon passiert“, erklärte er ihr in einem ruhigen Ton. „Und streng genommen haben wir jetzt die gleichen Voraussetzungen.“ Auch wenn er es als Witz meinte, bemerkte Mimi, dass er immer noch nicht gut damit klarkam, dass sie mit Makoto geschlafen hatte. Er verzog angewidert das Gesicht, als Mimi zwangsläufig lächeln musste. „Die gleichen Voraussetzungen? Interessant…du hast wohl gleich wieder ganz versaute Gedanken“, zog sie ihn auf, als sich die Atmosphäre schlagartig veränderte. „Versauten Gedanken? Also hör mal…“, doch weiter kam er nicht, als Mimi bereits die Hand auf seinem Mund platziert hatte und ihn somit zum Schweigen brachte. „Mir tut es auch leid. Ich glaube, dass ich in vielen Dingen sehr verletzt war, ohne zu sehen, dass ich dich auch verletzt habe“, gestand sie sich ein und ließ ihre Hand in ihren Schoss sinken. „Ich weiß“, seufzte Tai, ging etwas auf Abstand und strich ihr liebevoll durchs Gesicht. „Aber ich möchte trotzdem, dass du weißt, dass es mir ernst ist. Ich will, dass es funktioniert, dass du glücklich bist und wir einen gemeinsamen Weg finden. Darauf warte ich schon so lange…“ Ihr Herz pochte unkontrolliert gegen ihre Brust, als sie endlich die Worte hörte, die sie sich sehnlichst gewünscht hatte. Die Worte, die endlich eine Veränderung bewirkten und ihr zeigten, dass er den gleichen Pfad begehen wollte, wie sie. „Ich auch“, raunte sie ihm entgegen und überwand die Distanz, die sie in den letzten Wochen nur schwer einhalten konnte. „Lass uns den Abend einfach genießen.“ _ „Ich kann nicht glauben, dass du diesen Film mitgebracht hast“, lachte sie und kuschelte sich dicht an seine harte Brust, während sie auf ihren Laptopbildschirm blickte, der auf Taichis Bauch ruhte. „Naja, ich war halt eben für ein bisschen Nostalgie-Feeling und ich denke, nur Liebesfilme wären ja langweilig gewesen“, erwiderte er keck und küsste sanft ihre Stirn, als sie leise vor sich hin kicherte. Sie konnte nicht glauben, dass er Poltergeist besorgt hatte. Er gehörte zu ihren Lieblingshorrorfilmen, auch wenn er bereits sehr alt war und die Effekte längst überholt waren. Dennoch liebte sie diesen Film über alles. Auch wenn Taichi wohl auch an dieser Tatsache nicht ganz unschuldig war. „Das war der erste Film, den wir zusammen übers Telefon geschaut haben“, erinnerte sie sich zurück. „Ja genau“, stimmte Taichi mit ein. „Bei mir war der Film immer zehn Sekunden schneller als bei dir und du hast immer geschimpft, wenn ich dir bereits etwas verraten hatte, was bei dir noch gar nicht drankam.“ „Das war ja auch gemein gewesen“, schmollte Mimi nachdrücklich. „Aber ich konnte das doch nicht wissen“, murrte Taichi beleidigt und presste seine Stirn gegen ihre. Verlegen schielte sie zu ihm hoch und fuhr behutsam über seine stramme Brust. „Hör auf so süß zu sein“, tadelte sie ihn streng und verzog das Gesicht. Sie achteten kaum noch auf den Film, obwohl im Hintergrund die kleine Carol Ann gerade den ersten Kontakt zu den Geistern aufnahm und ihren berühmt berüchtigten Satz erwähnte. Doch das interessierte Mimi nicht mehr. Verliebt sah sie ihm in die Augen, streichelte zärtlich über seinen Arm, als ihr plötzlich einfiel, dass sie ihm noch etwas Besonderes überreichen wollte. Sie wusste, dass er nächste Woche ein weiteres Testspiel hatte, dass über seine Zukunft entscheiden könnte. Ruckartig setzte sie sich auf, lehnte sich über Taichi hinweg und öffnete ihre Nachtischschublade. Ein wenig irritiert, beobachtete er sie dabei, wie sie energisch nach etwas kramte. „Was hat dich denn auf einmal gestochen?“, lachte er, als Mimi sich wieder auf ihr Bett setzte und ihre Hand geheimnisvoll zur Faust geballt hatte. „Ich wollte dir noch etwas geben“, gestand sie ihm leise, als auch er sich überrascht aufsetzte, den Film reflexartig stoppte und den Laptop von seinem Schoss schob, um ihn vorsichtig auf dem Bett zu platzieren. „Was denn?“, fragte er interessiert und schien sich keinen Reim darauf bilden zu können, was sie meinte. Mimi lächelte nur verschmitzt. „Mach die Augen zu“, forderte sie ihn auf. „Okay“, antwortete er langgezogen und tat, was sie von ihm verlangte. Mimi biss sich auf die Unterlippe, während sie seinen Arm zärtlich entlangfuhr und sein Handgelenk erreichte. Geschickt befestigte sie etwas daran. „Gut, du kannst die Augen wieder aufmachen“, meinte sie fröhlich. Natürlich öffnete er sie sofort wieder und richtete den Blick direkt zu seinem Handgelenk. Sprachlos starrte er sie an und ertastete, dass raune Garn, dass er um sein Handgelenk trug. „W-Wo hast du das denn her? Ich dachte, ich hätte es während dem letzten Spiel verloren“, stotterte er verdattert und wirkte auf Mimi völlig perplex. „Vielleicht ist es möglich, dass ich es gefunden und repariert habe“, gestand sie ihm. „Du…hast? Oh Gott, ich dachte ich hätte es wirklich verloren“, schnaubte er erleichtert und starrte auf das kunstvoll geflochtene Muster, dass in einem leuchtenden Rot erstrahlte. Mimi beobachtete ihn dabei, wie er mit zitternden Fingern sanft darüberfuhr und immer noch fassungslos, aber glücklich seinen Blick darauf fixiert hatte. „H-Hast du d-deins eigentlich auch noch?“, fragte er fast schon ein wenig verhalten. Verwundert über seine Frage sah Mimi ihn an. Er blickte immer noch unter sich und wirkte auf einmal ganz verunsichert auf sie, weshalb Mimi sich ein Herz nahm, ihre Hand hob und behutsam über seine Wange streichelte. Er sah sie sofort an und seine warmen braunen Augen erkundeten jeden Zentimeter ihres rosigen Gesichts. Ein warmes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie sich zu ihm beugte und ihm einen sanften Kuss auf den Mund hauchte. Sie schloss sofort ihre Lider und konzentrierte sich auf das wohlige Gefühl, dass sich in ihrer Magengegend breitmachte, wenn sie seine Lippen auf ihren spürte. Es fühlte sich so an, als würden tausend Schmetterlinge emporflattern. Als würde eine Horde Ameisen über ihre Haut wandern und ihre kleinen Fußabdrücke hinterlassen, die sie als Gänsehaut wahrnahm. Ihr Herz pochte zügellos gegen ihre Brust und drohte zu zerspringen. Sie fühlte sich wie eine Eisskulptur, die unter seiner Wärme einfach so dahinschmolz. Ihr Kuss dauerte nicht lange, aber dennoch spürte sie seine Intensität, die ihren ganzen Körper einnahm und die puren Glücksgefühle durch ihre Adern fließen ließ. Sie löste sich etwas von ihm, wanderte mit ihrer Hand hinter seinen Nacken und fuhr mit ihren schlanken Fingern durch seine wilde Haarmähne. „Warum sollte ich es denn wegwerfen?“, stellte sie ihm die Gegenfrage und rieb ihre Nasenspitze an seine. „E-Es bedeutet mir immer noch sehr viel…“ „Ja, mir auch, weshalb ich auch froh bin, dass ich es nicht verloren habe.“ Mimi gab ein zischendes Geräusch von sich. „Naja, theoretisch, hast du es schon verloren. Ich habe es nur gefunden“, verbesserte sie ihn keck, als Taichi ihre Taille erfasste und sich langsam mit ihr auf die weiche Matratze fallen ließ. „Das ist schön, vielleicht bringt es mir beim nächsten Spiel mehr Glück, obwohl es natürlich noch schöner wäre, wenn du mich anfeuern kämst. So als persönlicher Cheerleader“, erwiderte er trocken und grinste schief. „Als persönlicher Cheerleader? Ich glaube, dir ist wohl dein nichtvorhandener Ruhm zu Kopf gestiegen“, antwortete sie mit spitzer Zunge, verfestigte jedoch den Griff um seinen Hals, damit sie ihm noch näher sein konnte. Taichi fuhr ihre Taille entlang und wanderte nach oben zu ihrem Brustkorb, bis er den obersten Knopf ihres Schlafanzugs erreichte und verspielt mit seinen Fingern darüberfuhr. Er zupfte etwas daran, als er seine Stimme wiedererlangte und ihr erwartungsvoll in ihre hellbraunen Augen blickte. „Würdest du denn zu meinem nächsten Spiel kommen?“ In seiner Frage lag so viel Unsicherheit, dass er fast schon wie ein kleiner Schuljunge auf sie wirkte. Einem kleinen Schuljungen, dem sie keinem Gefallen je abschlagen konnte. Ein mildes Lächeln schlich sich auf ihr freudiges Gesicht. Ihre Augen begannen zu Funkeln, auch wenn er sie nichts Weltbewegendes gefragt hatte. Dennoch machte sie es unfassbar glücklich. Hier mit ihm zusammen zu sein, in seinen Armen zu liegen und seinem gleichmäßigen Herzschlag zu lauschen. Sie fühlte sich rundum geborgen und hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass sie sich in die richtige Richtung bewegten, weshalb es nur eine Antwort für sie geben konnte. „Ich würde sehr gerne kommen“, antwortete sie ehrlich, als sie erneut seine Lippen mit ihren versiegelte. Kapitel 33: Schicksalsschläge ----------------------------- ♥ Taichi ♥ Er seufzte genüsslich als er sich austreckte und die weiche Matratze unter seinem schmerzenden Rücken spürte. Er spannte jeden Muskel an und drehte zur Seite, ehe ihr unverkennbarer Geruch ihm in seine Nase stieg. Taichi blinzelte leicht, presste die Lider aber reflexartig zusammen, als die warmen Sonnenstrahlen durch die Jalousien seine Haut sanft kitzelten. Murrend drückte er sich näher an ihren zierlichen Körper heran, schmiegte seine Arme um ihren flachen Bauch und nahm den fruchtigen Duft ihrer Haare auf, der ihm förmlich die Sinne vernebelte. Es war bereits die zweite Nacht, die er bei ihr verbracht hatte. Nach dem schönen gemeinsamen DVD Abend war Taichi bereits verschwunden, bevor ihre Eltern zurückgekommen waren. Doch irgendwie zog es ihn immer wieder zu ihr. Sie war sein sicherer Hafen, dort wo ihm nichts passieren konnte. Und obwohl Schule war und sie gleich aufstehen mussten, genoss er diese Momente, die er mit ihr teilen durfte, in vollen Zügen. Mittlerweile war es bereits Freitag. Morgen war sein zweites Testspiel, dass über seine Zukunft entscheiden konnte, weshalb er bereits sehr nervös war. Es hing so viel daran, was ihm immer mehr bewusst wurde, besonders nachdem er mal wieder einen Streit zwischen seinen Eltern mitbekommen hatte. Natürlich handelte es sich mal wieder um das leidige Thema, dass er weder sehen noch hören wollte, aber dennoch zu seinem Leben mittlerweile dazugehörte. Da Takeru das Wochenende bei ihnen verbringen würde, hatte seine Mutter sich dafür eingesetzt, dass sein Vater sich nicht hemmungslos betrinken konnte. Sie hatte ihm in den Ohren gelegen, ihm vor Augen geführt, was es für den Ruf dieser Familie bedeuten würde, wenn Karis bester Freund etwas von seinen Eskapaden mitbekäme. Natürlich hatte er es nicht verstanden, diskutierte unerbittlich mit ihr, bis es Taichi zu viel wurde und er bei Mimi Zuflucht suchte. Er hatte sich einfach selbst eingeladen bei ihr zu übernachten, weil er die Situation zu Hause einfach nicht mehr ertrug und selbst seine kleine Schwester das Weite gesucht hatte und öfters bei Yolei oder Takeru übernachtete, als Taichi eigentlich lieb war. Manchmal fühlte er sich von Kari ganz schön alleine gelassen, auch wenn er es vor ihr niemals zugeben würde. Lieber litt er still und heimlich die Qualen seines eintönigen Lebens, dass durch Mimi jedoch wieder seine Farbe zurückerlangte. In den letzten zwei Tagen fühlte er sich einfach nur geborgen, auch wenn sie darauf achteten, dass Mimis Eltern von seinen heimlichen Besuchen nichts mitbekamen. Sicherlich waren sie nicht erfreut, dass er mit ihrer Tochter das Bett teilte, auch wenn bisher nichts passiert war. Sie wollten es eben langsam angehen lassen, besonders, weil sie ihren Freunden noch nichts erzählt hatten. Taichi musste zwar zugeben, dass es ihm schwerfiel, ihre weiblichen Reize gänzlich zu ignorieren, aber es ging ihm einfach um so viel mehr. Er wollte mit ihr zusammen sein. Deswegen schmiegte er seine Arme noch feste um sie, als sich plötzlich ein leises Stöhnen von ihren Lippen löste und sie sich sachte bewegte. Sie gähnte herzlich, ehe sie sich ihm etwas zuwandte und gegen das samtige Sonnenlicht blinzelte. „Du bist ja schon wach“, stellte sie schlaftrunken fest und Taichi konnte es sich nicht neben lassen, ihr sofort einen kurzen Kuss auf die Lippen zu hauchen. „Es ist ja auch schon viertel vor sechs. Ich muss ja noch nach Hause, um meine Sachen zu holen“, informierte er sie grinsend. „Deine Eltern haben also noch nicht bemerkt, dass du die Nächte nicht mehr zuhause verbringst?“ „Ach denen fällt das nicht auf“, meinte er unwirsch. „Notgedrungen erzähle ich ihnen einfach, dass ich wegen dem Testspiel nicht mehr schlafen konnte und zur Beruhigung spazieren gegangen bin.“ Mimi zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. „Als ob sie dir das glauben würden. Du siehst eher so aus, als hätten wir die Nacht sonst was getrieben“, erwiderte sie kess und wuschelte durch seine Haare, die zu allen Himmelsrichtungen abstanden. „Naja, wenn du nächstes Mal wieder in so einem Ding schläfst, kann ich auch nicht versprechen, dass ich mich zurückhalte“, raunte er in ihr Ohr und fuhr über ihren dünnen Schlafanzug, der ihre Kurven extra schön betonte. Mimi biss sich begierig auf die Unterlippe und drückte absichtlich ihr strammes Hinterteil gegen seine Mitte. „Hätte nicht gedacht, dass dich mein Schlafanzug auf so unanständige Gedanken bringt.“ Taichi stockte der Atem, wenn er sie so lasziv reden hörte. Sie drückte sich noch dichter an ihn heran und führte seine Hand, die auf ihrem Bauch geruht hatte, plötzlich zu ihrer Brust und legte sie sanft darauf. Er spürte wie ihr Herz gegen seine Handfläche pochte, als er sich zu ihr hinunterbeugte und seine heißen Lippen gegen ihre Halsbeuge drückte. Er benetzte ihren Hals mit sinnlichen Küssen, die ihn selbst ganz um den Verstand brachten und seine eigene Lust auf mehr ins Unermessliche trieb. Er begann ihre Brust sanft zu massieren, als Mimi sich ihm ganz zuwandte und sehnsüchtig ihre vollen Lippen auf seine legte. Sie schlang ihr Bein um seine Hüfte und kletterte so auf seinen Schoss, was ihn ganz wahnsinnig werden ließ. Sie drückte sich genau gegen seine empfindlichste Stelle, die vor Erregung bereits deutlich nach Erlösung bettelte. Er konnte gar nicht mehr klar denken, als sie etwas hinabrutschte und er sich dadurch aufsetzen konnte. Ihre Küsse wurden mit der Zeit immer intensiver. Ihre Zungen tanzten einen feurigen Tango, der die Leidenschaft zwischen ihnen immer weiter anheizte und es Taichi sehr schwer machte jetzt noch rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Er wollte sie spüren. Ihre zarte Haut auf seiner fühlen. Ihr zeigen, was er tief in seinem Herzen für sie empfand. Seine Erregung presste sich gegen ihre Mitte und er drohte den Verstand zu verlieren. Ihre schlanken Finger wanderten sein T-Shirt hinunter, bis sie darunter verschwanden und seine erhitzte Haut streichelte. Ein leises Surren löste sich von ihren Lippen, während diese seinen Hals entlangfuhren und seinen Adamsapfel liebkosten. Sie wollte gerade sein Shirt nach oben raffen, als auf dem Flur ein lautes Räuspern ertönte und sie prompt auseinanderfahren ließ. „Oh Scheiße…“, murmelte Mimi mit hochroten Kopf. „Mein Vater ist schon wach…“ Sie sah hilfesuchend zu Taichi, der jedoch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hatte. Peinlich berührt senkte er seinen Kopf und versuchte sich krampfhaft auf andere Gedanken zu bringen, was nicht sonderlich einfach war, wenn das Objekt der Begierde immer noch vor einem saß und ihn kurz zuvor mit leidenschaftlichen Küssen an den Rand des Wahnsinns trieb. Mimis Körper war komplett angespannt, während sie einen starren Blick zu ihrer Zimmertür richtete und die Ohren gespitzt hatte. Einen kurzen Moment später atmete sie erleichtert aus und sackte förmlich ineinander zusammen. „Das war ganz schön knapp…aber anscheinend war er nur mal kurz auf der Toilette“, sagte sie erleichtert. „Hätte mich auch gewundert, er wollte ja erst später in die Firma.“ Auch von Taichis Schultern fiel eine enorme Anspannung ab, auch wenn sich die Stimmung mittlerweile im Keller befand. „Vielleicht sollte ich schon mal nach Hause gehen“, flüsterte er ihr zu und stand ein wenig enttäuscht von ihrem Bett auf, um in seine Jogginghose zu schlüpfen. „Bist du jetzt sauer?“, hakte Mimi etwas unsicher nach und blieb teilnahmslos darauf sitzen und wusste scheinbar nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Doch Taichi wollte nicht, dass sie sich deswegen schlecht fühlte, weshalb er sich zu ihr hinunterbeugte und sich auf einen sinnlichen Kuss einließ. „Nein…aber ich hätte nichts dagegen, wenn wir demnächst hier weitermachen würden“, antwortete er verführerisch und trieb Mimi ein Lächeln ins Gesicht. „So, so, also wirken meine reizvollen Verführungsversuche langsam bei dir?“, hakte sie keck nach und küsste ihn erneut. „Ach, du versuchst das also schon länger?“, erwiderte er grinsend. „Möglich…aber jetzt solltest du wirklich nach Hause gehen. Ich möchte doch nicht verantworten, dass du wegen mir zu spät zur Schule kommst“, antwortete sie unschuldig und ließ von ihm ab, nachdem sie ihm einen letzten Kuss auf die Lippen hauchte. _ „Und wie werden es deine Eltern aufnehmen?“, fragte Kari ihren besten Freund, der ihr gegenübersaß und das Gemüse auf einem kleinen Holzbrett kleinschnitt. Auch Taichi hatte sich zu seiner Schwester und Takeru gesellt und half bei den Vorbereitungen für das Abendessen. Sein Vater hatte sich hingelegt, da er sich den ganzen Tag schon nicht sonderlich wohl fühlte, während seine Mutter bereits zur Nachtschicht ins Krankenhaus aufgebrochen war. Taichi war allerdings ganz froh, dass sein Vater sich an diesem Wochenende etwas zurückhielt. Vielleicht war es auch besser so, gerade weil der kleine Bruder seines besten Freundes bei ihnen übernachtete. „Keine Ahnung, ich glaube Mama ahnt schon etwas. Und dann schiebe ich auch noch eine Geschichtsklausur vor, um nicht mit zu müssen. Ich denke, das hat die Sache noch verdächtiger wirken lassen“, mutmaßte der Blondschopf und gab die gewürfelten Paprikastückchen in eine Schüssel. „Naja, du hättest ja ruhig mitfahren können. Yamato braucht sicher jede Unterstützung, die er bekommen kann“, warf Taichi ein und wollte ganz sicher nicht in der Haut seines besten Freundes stecken. Wahrscheinlich würden weder Soras noch Yamatos Eltern begeistert sein, auch wenn er den neugewonnenen Zusammenhalt seiner Freunde bewunderte. Es hatte sich etwas zwischen ihnen verändert. Ihre Beziehung schien gewachsen zu sein, auch wenn das Baby sicherlich nicht in ihren Lebensplan passte. Jedoch schweißte es sie zusammen. Sie würden eine Familie werden. „Ach das wird schon. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihre Eltern sie nicht unterstützen würden. Für seine Kinder ist man doch schließlich da“, erwiderte Kari unüberlegt und schürte in Taichi das Feuer der Verbitterung. Für seine Kinder da sein? Etwa so wie ihr Vater, der sich mehr als ein Mal das Hirn weggesoffen hatte? Er ballte seine Hände zu Fäusten und versuchte vor den beiden seine innere Wut zu verbergen. Tai konnte gar nicht in Worte fassen, wie wütend ihn das Verhalten seines Vaters werden ließ. Es brodelte regelrecht in seiner Magengegend, was seiner Schwester nicht unbemerkt blieb, weshalb sie abrupt das Thema wechselte. „Wir müssen ja auch noch gleich dein Bett beziehen“, sagte sie an Takeru gewandt. „Ein Gästefuton befindet sich schon in meinem Zimmer.“ Taichi runzelte sofort die Stirn, als er die Worte seiner Schwester vernahm. „Warum ist das denn in deinem Zimmer? Wir haben uns doch darauf geeinigt, dass Takeru bei mir schläft“, murrte er aufgebracht. „Nein, du hast das einfach bestimmt, weil dein dämlicher Beschützerinstinkt wieder mit dir durchgegangen ist“, korrigierte Kari ihn genervt. „Was denkst du denn, was wir in meinem Zimmer treiben, dass sich übrigens direkt neben deinem befindet?“ Überrascht über diese Frage, richtete Taichi einen kurzen Blick zu Takeru. Dieser fing ihn direkt auf und lief prompt rot an, während auch er ganz verlegen wurde. Doch Kari war noch lange nicht fertig. Sie blies wutentbrannt die Wangen auf und legte direkt nach. „Und außerdem bin ich nicht derjenige, der mitten in der Nacht sonst wohin verschwindet und kurz vor dem Frühstück wiederauftaucht! Seit zwei Nächten hast du dich sonst wo rumgetrieben und ich kann mir gut vorstellen, dass Mama von deinen nächtlichen Streifzügen alles andere als begeistert ist, wenn ich ihr mal ausversehen davon erzählen sollte.“ Sie nickte bestätigend und plusterte sich förmlich vor ihm auf, während Takeru immer kleiner wurde und sich gegen die Stuhllehne presste. Taichi klappte nur der Mund auf. Wollte seine kleine Schwester ihn ernsthaft erpressen? Nur damit Takeru bei ihr im Zimmer schlafen konnte? So ein verdammtes Biest. Wie er Kari kannte, würde sie es ihrer Mutter sicher auf die Nase binden, wenn er sich ihrem Willen nicht beugte. Er hasste sie dafür, ihn so in die Enge zu treiben, obwohl die nächtlichen Besuche bei Mimi das Einzige war, dass ihm zurzeit die Sicherheit lieferte, die er brauchte. Sein Leben stand Kopf. Das morgige Testspiel könnte über seine Zukunft entscheiden! Ihm eine Richtung weisen, die er dringend benötigte, um nicht den Boden unter seinen Füßen zu verlieren. Knurrend sah er zu seiner Schwester, die ihn mit einem festen Blick förmlich im Schwitzkasten hatte. Er konnte daher nicht anders und musste klein beigeben. Sich ihrem Willen beugen. „Na gut, ihr könnt zusammen in einem Zimmer schlafen“, lenkte er ein, während sich sein Gesicht dennoch verfinsterte. „Aber glaubt ja nicht, dass ich euch keine Kontrollbesuche abstatte.“ Ein Seufzen löste sich von den Lippen seiner Schwester, die genervt einen eindeutigen Augenaufschlag zu Takeru richtete. _ Nachdem gemeinsamen Abendessen hatte Taichi den Abend mit Takeru und Hikari verbracht. Sie hatten gemeinsam einen Film gesehen, während sein Vater nur kurz auftauchte, um eine Kleinigkeit zu Essen. Den Rest des Abends verbrachten sie zu dritt, was Taichi auch eindeutig lieber war, auch wenn er gerne einer gewissen Person einen kleinen Besuch abgestattet hätte. Doch er wusste, dass Mimi den Abend mit Izzy und einigen Klassenkammeraden verbrachte, um für die nächsten Klausuren zu lernen, von denen er sie auch ganz sicher nicht ablenken wollte. Seit ungefähr einer Stunde versuchte er bereits zu schlafen, doch es gelang ihm einfach nicht zur Ruhe zu kommen. Er vermisste ihren wärmenden Körper, die Geborgenheit und zärtlichen Berührungen, die ihn entspannten. Es war bereits weit nach zwölf und er hatte immer noch kein Auge zubekommen, da sein Herz in seiner Brust förmlich raste und ihn immer wieder daran erinnerte, was alles auf dem Spiel stand. Er wälzte sich hin und her. Legte sich auf den Rücken und starrte zur weißen, eintönigen Decke. Seine Augen waren bereits ganz schwer, da sich die Müdigkeit, trotz der ganzen Aufregung, an die Tagesoberfläche kämpfte. Taichi blinzelte leicht, seine Augenlider flatterten, als er sie abrupt schloss und vor seinem inneren Auge ihr Gesicht erkannte, dass ihm ein mattes Lächeln auf seine Lippen trieb. Zufrieden drehte er sich zur Seite und freundete sich schon mit dem Gedanken an, heute Nacht einfach nur von ihr träumen zu dürfen, als ihn plötzlich ein lauter Schlag aufschrecken ließ. Etwas benommen blieb er auf seinem Bett sitzen und überlegte kurz, ob er es geträumt hatte, als nur wenige Sekunden später der schrille Schrei seiner Schwester ertönte. Es dauerte keine Sekunde, bis er sich aufgerappelt hatte und in Boxershorts und T-Shirt aus seinem Zimmer eilte. Er kam jedoch nicht weit. Takeru stand mit zerzausten Haaren in Karis Türrahmen, während seine Schwester auf dem Boden saß und hysterisch losschrie. Tai war wie erstarrt, seine Gliedmaßen waren festgefroren und er war nicht in der Lage sich zu bewegen, obwohl seine Schwester ihn flehend um Hilfe bat. Takeru war der Erste, der seine Reaktionsfähigkeit wiedererlangte, in Karis Zimmer stürzte und mit seinem Handy den Notruf alarmierte. Für Taichi hingegen lief alles wie in Zeitlupe ab. Er sah, wie sich sein Vater vor ihm immer wieder zusammenkrampfte, schmerzvoll das Gesicht verzog und am ganzen Körper zitterte. Wahrscheinlich wollte er zu ihren Zimmern gelangen und war kurz davor zusammengebrochen. Hikari redete die ganze Zeit auf ihn ein, doch Tai konnte kein einziges Wort verstehen, da die Stimmen wie in einer Nebenwand verschwanden. Takeru warf sich ebenfalls auf die Knie und die beiden versuchten, seinen Vater festzuhalten, was jedoch die Kämpfe zu verschlimmern schien. Hilflos betrachtete Taichi das Szenario. Sein Hals war staubtrocken und ein deutliches Brennen war in seinen Augen zu spüren, während seine Knie allmählich den Halt verloren. Er lehnte sich gegen die Wand und schlug die Hände voller Verzweiflung vor dem Gesicht zusammen, als er erkannte, dass sein Leben aus einer dünnen Eisschicht bestand, die ihn vor dem Einbrechen nicht mehr retten konnte, denn er war bereits versunken. Hatte den tiefen Grund des dunkeln Sees der Trostlosigkeit erreicht und spürte, wie eiserne Ketten sein Herz umfassten. Er war verloren. Verloren in der Dunkelheit. Kapitel 34: An deiner Seite --------------------------- ♥ Mimi ♥ Ein lautes Vibrieren riss sie aus ihrem wohlverdienten Schlaf. Ein leises Murren löste sich von ihren Lippen, als sie ihr schläfriges Gesicht in ihr Kopfkissen drückte und blind versuchte ihr Handy zu erstasten. Sie fuhr ihren Nachtisch entlang und griff nach ihrem Mobiltelefon, dass hell aufleuchtete. Mimi kniff die Lider zusammen, da das grelle Display regelrecht in ihren Augen wehtat. Sie blinzelte mehrmals, um zu erkennen, wer sie zu so später Stunde störte. Schließlich hatte sie ja bereits geschlafen, auch wenn sie gar nicht wusste, wie spät es wirklich war. Der Name verschwamm jedoch vor ihren Augen, weshalb sie einfach abnahm und ein müdes „Hallo“ ins Telefon wisperte. Eine aufgeregte Stimme war am anderen Ende zu hören. Erst dachte sie es wäre Yamato, aber er befand sich mit Sora in Kyoto, weshalb es nur die Stimme von Takeru sein konnte. Die beiden Brüder klangen am Telefon sehr ähnlich und als Mimi einen kurzen Blick auf ihr Display wagte, erkannte sie schließlich, dass sie mit ihrer Vermutung recht hatte. Doch was wollte er nur von ihr? Sie sah kurz auf ihren Wecker und stellte fest, dass es kurz vor eins war. „Was ist denn los? Ich habe schon geschlafen“, grummelte sie, während Takeru immer noch nach seinen Worten rang. Mimi wurde schon leicht ungeduldig und überlegte, ob sie nicht einfach auflegen sollte. Bestimmt handelte es sich hier nur um einen dummen Scherz, auf den sie sich ganz sicher nicht einlassen wollte. Sie hatte schon den Finger auf den roten Hörer gelegt und wollte gerade das Gespräch beenden, als er seine Worte wiedererlangte. „Du musst ins Krankenhaus kommen…ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte. Ich habe es schon bei Yamato durchprobiert, aber die Handys sind aus und sie sind auch viel zu weit weg“, erklärte er ihr mit schwacher Stimme. Ihr Herz begann zu rasen, als ihr ins Gedächtnis gerufen wurde, dass Takeru das Wochenende bei Taichi und Hikari verbrachte. „Was ist passiert?“, fragte sie mit fester Stimme und hatte schon Angst, dass sich Taichi so kurz vor seinem wichtigen Spiel verletzt haben könnte. Doch warum rief Takeru erst jetzt an? Es musste irgendetwas anders passiert sein. Er klang besorgt, sodass Mimi wusste, dass es sich um keine Kleinigkeit handeln konnte. „Man Takeru, jetzt spuck‘ es schon aus!“, knurrte sie gereizt und hatte Schwierigkeiten ihre eigenen Gefühle zu kontrollieren. Warum konnte er ihr nicht sagen, was los war? Die Unsicherheit, aber auch ihre Wut stieg ins Unermessliche, ehe sich Takeru endlich wieder zu Wort meldete. „Ich weiß selbst nicht, was passiert ist“, antwortete er verzweifelt. „Er lag einfach am Boden und hat am ganzen Körper gezittert…“ Mimis Augen weiteten sich und sie setzte sich auf. „Von wem sprichst du? Von Tai?“, hakte sie angsterfüllt nach und wollte sich gar nicht vorstellen, was passiert war. Ihr Puls beschleunigte sich und ihr Hals schnürte sich zu, sodass ihr das Atmen immer schwerer fiel. „Nein, sein Vater…er ist einfach zusammengebrochen“, eröffnete er ihr schwerfällig. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Einerseits war sie erleichtert, dass es sich nicht um Taichi handelte. Andererseits… „Er braucht dich Mimi…“, hauchte Takeru ins Telefon, bevor sich ein Schalter in ihr umlegte und sie sich sofort aus ihrem Bett erhob. „Ich bin in zwanzig Minuten da…“, versprach sie ihm, ehe sie direkt danach auflegte und zu ihrem Kleiderschrank huschte, um sich umzuziehen. Tai brauchte sie. Und sie wollte für ihn da sein. _ Abgehetzt lief sie den langen Krankenhausflur entlang und sah sich achtsam um. Sie war lediglich in eine Jogginghose und einen rosanen Kapuzenpulli geschlüpft, bevor sie ihren Vater aus dem Bett geworfen hatte. Er war zwar nicht sonderlich begeistert gewesen, sie zum Krankhaus zu fahren, doch er verstand die Dringlichkeit hinter ihrer Bitte. Er hatte sie direkt vor dem Eingang abgesetzt, wollte sogar auf sie warten, doch Mimi hatte ihm klar gemacht, dass es länger dauern würde. Sie hatten sich daher darauf geeinigt, dass Mimi ihn anrief, sobald sie abgeholt werden wollte, allerdings ahnte Mimi bereits Schlimmes. Takeru klang am Telefon so aufgelöst, sodass sie die Lage als sehr besorgniserregend einschätzte. Ohne stehen zu bleiben, lief sie stur geradeaus. Ein klares Ziel hatte sie nicht vor Augen. Obwohl der Wartebereich sehr überschaubar war, konnte sie ihre Freunde nirgends entdecken. Verzweifelt fuhr sie sich durch ihre Haare, drehte sich einmal um ihre eigene Achse, als ihr plötzlich ein Mädchen ins Auge sprang, dass vor dem Getränkeautomaten stand und sich gerade eine Cola zog. Zielstrebig steuerte sie auf sie zu, erkannte aber bereits aus weiter Entfernung, dass sie sich getäuscht hatte. Die junge Frau sah auf und entfernte sich von dem Automaten, während Mimi verzweifelt zurückblieb. Wo sollte sie denn noch suchen? Sollte sie Takeru anrufen? Es war wohl die einzige Möglichkeit. Beharrlich kramte sie ihr Handy hervor und suchte nach seiner Nummer, als sie auf einmal ihren Namen vernahm. Sie drehte sich ruckartig herum und sah in die glasigen Augen ihrer Freundin, die wie ein Häufchen Elend vor ihr stand. Ihr Gesicht war völlig verquollen und ihre Haare standen unordentlich zu Berge, bevor sie Schutz in Mimi Armen suchte und sich fest gegen sie drückte. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist“, schluchzte sie herzzerreißend und klammerte sich zitternd an ihr fest. Behutsam strich Mimi über ihren braunen Haarschopf und versuchte sie zu beruhigen, was alles andere als einfach war. Sie weinte hemmungslos und ließ ihren Gefühlen freien Lauf, während sich Mimi sichtlich überfordert fühlte. Was sollte sie nur sagen? Dass alles wieder gut werden würde? Sie wusste ja noch nicht mal was geschehen war… „Kari, was ist denn nur passiert?“, fragte sie leise, in der Hoffnung, dass sie es ihr erzählen würde. Doch sie weinte nur noch mehr. Ihre Stimme versank im Nebel ihrer Tränen, die auf ihren Kapuzenpulli tropften. Mimi wusste sich wirklich nicht zu helfen, weshalb sie einfach nur dastand und ihre Freundin in den Armen hielt. Manchmal halfen Worte nichts, da sie den Schmerz nicht lindern konnten, sondern sogar verschlimmerten Eine Umarmung, die von Herzen kam, konnte jedoch den Heilungsprozess beschleunigen und die Kraft der Hoffnung spenden, die man in solchen Momenten am meisten benötigte. _ Gemeinsam mit Kari war Mimi zum Wartebereich der Intensivstation gegangen, die sich im hinteren Teil des Krankenhauses befand. Als sie dort ankamen, fanden sie lediglich Takeru vor, der zusammengekauert auf einem der unzähligen Stühle saß. Von Taichi fehlte jegliche Spur, was besonders Kari unruhig werden ließ. Sie steuerte umgehend auf Takeru zu, der sofort aufsprang, als er die beiden erspäht hatte. „Wo ist Tai hin?“, fragte Kari sofort und fixierte ihren besten Freund mit einem ängstlichen Blick. „Keine Sorge, er ist sich nur mal kurz die Beine vertreten gegangen. Und deine Mutter ist immer noch drinnen“, informierte er sie behutsam und streichelte ihr sachte über ihre Arme, die kraftlos neben ihrem Körper baumelten. Kari fuhr sich verzweifelt durch die Haare und murmelte etwas Unvollständiges vor sich hin, als sie in Takerus Armen Schutz suchte. Sie drückte ihr Gesicht gegen seine Brust, während Mimi etwas abseitsstand und die beiden Freunde beobachtete. Wehmütig zog sich ihr Herz zusammen und sie richtete den Blick auf den Krankenhausfuhr, der wie leergefegt wirkte. Die Zeit schien förmlich stillzustehen und jede Minute die verging, fühlte sich wie unzählige Stunden an, in denen Mimi Taichi am liebsten an ihrer Seite wissen wollte. Kari hatte ihr nur das Notwendigste erzählt, weil auch sie sich den plötzlichen Zusammenbruch ihres Vaters einfach nicht erklären konnte. Als sie im Krankenhaus ankamen, wurde auch bereits ihre Mutter informiert, die sich schon seit über einer halben Stunde auf der Intensivstation befand und nach einem Arzt suchte, der ihr eine Auskunft geben konnte. Vor zehn Minuten wurde sie zum Gespräch gerufen und war bisher noch nicht wieder zurückgekehrt, was bedeutete, dass sie weiterhin warten mussten. Eher wiederwillig setzte sich Mimi gemeinsam mit Takeru und Hikari auf die Bänke. Die Krankenhauswände waren in einem tristen Weiß gehalten, was in Mimi eine innere Leere aufkommen ließ, die sich gar nicht wirklich erklären konnte. Sie fühlte sich wie gefangen, unfähig die richtigen Worte für diese Situation zu finden. Während Takeru Hikari ein beruhigendes Mantra zuflüsterte und zärtlich ihren Kopf streichelte, wurde Mimi immer nervöser. Wie sollte sie nur auf Taichi reagieren? Bei seiner Schwester war es ihr schon schwergefallen, die Fassung zu wahren, wie sollte das bei ihm funktionieren? Angespannt knabberte sie auf ihrer Unterlippe und war ganz in ihren Gedanken versunken, bevor Kari sich plötzlich etwas erhob und sich aus dem lockeren Griff von Takeru befreite. Mimi schnellte mit dem Kopf ebenfalls zur Seite und erstarrte, als sie in seine trüben Augen sah. Diesen Blick hatte sie noch nie bei ihm gesehen gehabt. Er war schmerzverzerrt und mündete in unendlicher Traurigkeit, bei der Mimi regelrecht das Herz zerbrach. Er blieb wie angewurzelt stehen, war gefangen in der Hülle der Hilflosigkeit, die er wie eine Mauer, um sich selbst errichtet hatte. Es gab kein vor und zurück. Es herrschte Stillstand. Doch Mimi wusste, dass sie handeln musste. Deswegen stand sie einfach auf und ging auf ihn zu. Er hatte sie fest im Blick, während sie langsam auf ihn zusteuerte und sämtliche störende Gedanken beiseiteschob und einfach die Arme um ihn legte. Sie drückte ihn so fest sie konnte, um ihm zu signalisieren, dass sie für ihn da war und an seiner Seite bleiben würde. Doch er ließ es einfach über sich ergehen, erwiderte ihre Umarmung noch nicht mal, weshalb sie nach kurzer Zeit wieder losließ. Sie zwang sich zum Lächeln, da sie nicht zeigen wollte, dass seine abweisende Haltung sie verletzte. Sie konnte ihn ja verstehen. Bestimmt war ihm alles andere als nach Körpernähe! Alles stand Kopf und die Ungewissheit war allgegenwärtig. „Wollen wir uns nicht hinsetzen?“, fragte Mimi vorsichtig und wollte seine Hand ergreifen, die er jedoch sofort verkrampfte. Verbissen schüttelte er mit dem Kopf und lehnte sich gegen die kühl wirkende Wand des Flures. Mimi schnaufte nur, blieb aber in seiner Nähe, auch wenn er ihr deutlich vor Augen führte, dass er sie zurzeit nicht ertrug. Immer wieder ging er auf Abstand, lief unruhig auf und ab, während Mimi das nervöse Knirschen seiner Zähne vernahm. Ein hilfloser Blick wanderte zu seiner Schwester, die nur völlig überfordert zwischen ihrem Bruder und dem nicht zugänglichen Intensivstationsbereich hin und her blickte. Obwohl es ruhig war, herrschte eine allgemeine Anspannung, die Mimi kaum ertragen konnte. Es fühlte sich so an, als würde jeden Augenblick etwas passieren, doch sie warteten vergeblich auf eine Veränderung. Niedergeschlagen setzte sie nach einer geschlagenen halben Stunde wieder zu Kari und TK, die sich gegenseitig Trost spendeten. Mimi hingegen fühlte sich völlig deplatziert. Den Menschen, den sie aufrichtig liebte, litt vor ihren Augen Höllenqualen und sie war nicht in der Lage sie zu lindern, egal, wie sehr sie es auch versuchte. Abrupt wurde die Stille zwischen ihnen unterbrochen, als die Tür zur Intensivstation geöffnet wurde. Yuuko Yagami stand auf einmal vor ihnen und hatte einen abgeklärten Blick aufgesetzt, der sicher nichts Gutes verheißen konnte. Taichi schritt zielstrebig zu seiner Mutter, ehe Mimi eine deutliche Sorgenfalte auf seiner Stirn entdeckte. „Was ist los? Was ist mit Papa?“, fragte er aufgebracht. Yuuko presste die Lippen aufeinander und Mimi erkannte sofort, dass sie Taichis Blick ausgewichen war. Seine Mutter blickte in die kleine Runde, als sie verwundert direkt bei Mimi hängen blieb und sie eindringlich musterte, bevor Taichi seine Frage in einem energischen Unterton erneut wiederholte. Sie atmete schwerfällig aus, bevor sie die Lippen kräuselte und zu erzählen begann… _ Die Nacht rauschte förmlich an ihnen vorbei. Mittlerweile war es bereits halb sechs und Mimi hatte kein Auge zubekommen, da sie einfach keine gemütliche Position fand, in der sie etwas schlafen konnte. Nur Takeru und Hikari fanden etwas Ruhe und saßen dicht beieinander gekuschelt im Wartebereich, während Taichi am Fenster stand und den rötlichen Himmel betrachtete. Obwohl seine Mutter versichert hatte, dass sein Vater wieder auf die Beine kam und sozusagen eine Entwarnung aussprach, konnte er einfach keinen Moment stillsitzen. Er war ständig in Bewegung, war sogar eine kurze Zeit verschwunden, um mit seiner Mutter unter vier Augen zu sprechen. Danach schien er noch mehr den Abstand zu suchen, was Mimi absolut nicht verstehen konnte. Missmutig hatte sie ihm diesen Freiraum gelassen, doch jetzt wollte mit ihm reden, sich erkundigen, wie es ihm damit ging und ob sie ihm in irgendeiner Form helfen konnte. Leise tapste sie zu ihm rüber und stellte sich zu ihm an Fenster. „Unglaublich, oder?“, hauchte sie, als das satte Rot sich immer mehr von dem dunkeln Blau abhob und den Himmeln in goldenes Licht hüllte. „Mhm“, antwortete er bedacht und hatte die Arme schützend vor der Brust verschränkt, während sein Blick an die Glasschreibe geheftet war. Mimi schielte zu ihm rüber und erkannte sein trauriges Gesicht, was sie am liebsten dazu veranlasst hätte, ihn in den Arm zu nehmen, doch irgendetwas hinderte sie daran. Vielleicht lag es an seiner abweisenden Haltung. Vielleicht wusste sie aber einfach nicht, wie sie mit der Situation umzugehen hatte, da sie sowas noch nie erlebt hatte. „Willst du nicht langsam nach Hause gehen? Du bist sicher müde…“ Sie hielt für einen kurzen Moment inne, da sich sämtliche Muskeln ihres Körpers anspannten. War das jetzt sein ernst? Sie war extra wegen ihm hergekommen und jetzt wollte er sie ohne weiteres nach Hause schicken? Mimi zwang sich regelrecht dazu ruhig zu bleiben, auch wenn sein Verhalten sie rasend vor Wut werden ließ. Wieso behandelte er sie nur so? Konnte er nicht erkennen, dass sie wegen ihm hier war? „Nein, schon gut…ich bleibe gerne“, erwiderte sie nur, in der Hoffnung irgendeine Reaktion von ihm zu erhalten. Doch er starrte nur stur geradeaus, ohne auf sie zu achten. „Ich glaube, Kari braucht auch eine gute Freundin wie dich“, löste sich von seinen Lippen und entflammte Mimis Wut aufs Neue. „Glaubst du ernsthaft, dass ich hier bin, um mich um Kari zu kümmern? TK ist doch bei ihr!“, raunzte sie verärgert und krallte ihre langen Fingernägel in ihren Kapuzenpulli. „Ach, du bist also meine Anstandsdame?!“, stellte er belustig fest und streifte sie mit einem kurzen Augenaufschlag, bevor er das Gesicht wieder von ihr wandte. „Anstandsdame? Gott, was ist nur los mit dir? Du verhältst dich wie der letzte Arsch!“ „Wow, danke für deine ehrlichen Worte, aber du bist mich auch gleich los! Mein Spiel ist heute und ich habe bisher noch keine Sekunde geschlafen“, antwortete er unterkühlt, während die Fassungslosigkeit in Mimis Gesicht geschrieben stand. Gerade als er sich von ihr abwenden wollte, ergriff sie seinen Arm und brachte ihn dazu stehen zu bleiben. „Wie dein Spiel? Du gehst da doch jetzt nicht ernsthaft hin?!“, hakte sie ungläubig nach. „Als ob ich eine andere Wahl hätte! Du verstehst sowas sowieso nicht“, knurrte er bissig und riss sich abrupt von ihr los. „Was soll das denn bitte bedeuten?“, brüllte sie aufgebracht. „Ach vergiss es einfach! Ich will nicht darüber reden“, antwortete er distanziert und setzte sich in Bewegung. Fassungslos sah Mimi ihm nach, als er in Richtung der Toiletten verschwand und sie einfach so, ohne weitere Erklärung, stehen ließ. Ihre Lippen begannen zu zittern, sodass sie sie qualvoll aufeinanderpresste und gegen das Brennen in ihren Augen ankämpfte. _ Nachdem Taichi sich tatsächlich in den Kopf gesetzt hatte zu seinem Spiel zu gehen, fand sich Mimi in einem Zwiespalt wieder. Einerseits konnte sie ihn überhaupt nicht verstehen, da sein Vater immer noch zur Beobachtung auf der Intensivstation lag. Anderseits wusste sie, dass das Spiel über seine Zukunft entscheiden konnte, weshalb es für sie auch nur eine Möglichkeit gab. Während Kari und TK weiterhin im Krankenhaus blieben, hatte sich Mimi dazu entschlossen, Taichis Spiel zu besuchen, auch wenn sie sich dazu zwingen musste. Nach ihrem kleinen Streit, war er tatsächlich nach Hause gegangen, um sich noch etwas auszuruhen, während Mimi an Karis Seite wachte. Takeru hatte zwischenzeitlich sogar Yamato erreicht, der ihm versicherte auf schnellstem Wege nach Hause zu kommen, was jedoch nicht einfach war, da die Fahrzeit mit dem Auto über sechs Stunden betrug. Dennoch wollte sich Mimi nicht unterkriegen lassen und versprach Hikari ein Auge auf ihren Bruder zu haben, damit sie sich voll und ganz auf ihren Vater konzentrieren konnte. Über SMS hatte Mimi Kari und Takeru über den Verlauf des Spiels stetig informiert, auch wenn ihre eigene Frustrationsgrenze von Minute zu Minute anstieg. Taichi war überhaupt nicht bei der Sache, schoss daneben und nahm seiner Mannschaft mit seinem egoistischen Verhalten jegliche Chance zu gewinnen, da er unkonzentriert auf das Tor zu jagte, ohne seine Mitspieler zu beachten. Gegen Ende der zweiten Spielhälfte wurde er sogar ausgewechselt und Mimi beobachtete von der Tribüne aus, wie er niedergeschlagen seinen Kopf hängen ließ und anspannt das Spiel mitverfolgte. Am Ende hatten sie haushoch verloren. Mimi konnte es nicht fassen, aber noch fassungsloser machte sie Taichis Reaktion, der selbst nach dem Anschiss von Herrn Ichinose völlig ruhig geblieben war. Sie konnte ihn einfach nicht mehr verstehen. Er wirkte völlig gleichgültig auf sie, zeigte keinerlei Emotionen, sondern schlenderte einfach nur neben ihr her. Mimi hatte extra auf ihn gewartet und wollte ihn noch nach Hause begleiten, da sie ihn unter diesen Umständen ganz sicher nicht alleine lassen wollte. Nachdem sie über eine halbe Stunde auf ihn gewartet hatte, machten sie sich auf den Nachhauseweg, der sich wie Kaugummi zog, da keiner das Wort ergriff und sich eine äußerst unangenehme Atmosphäre über sie legte. Als sie bei Taichi ankamen fanden sie eine leere Wohnung vor, da sich Kari wohl noch immer im Krankenhaus befand und seine Mutter noch bei der Arbeit war. Er ließ seine Sporttasche einfach achtlos auf den Boden fallen, stieg aus seinen Schuhen und schritt in die dunkele Wohnung. Mimi folgte ihm, nachdem sie auch ihre Schuhe auszogen hatte. Sie sah, wie Taichi zum Kühlschrank ging und eine Flasche Wasser hervorholte. Ungeniert setzte er sie einfach an seinem Mund an und trank einen kräftigen Schluck, bevor er sich Mimi zuwandte und sie argwöhnisch musterte. „Willst du nicht langsam mal nach Hause gehen? Deine Eltern machen sich doch sicher Sorgen.“ „Ich habe angerufen. Sie wissen, wo ich bin“, erwiderte sie knapp und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Taichi zog eine Augenbraue in die Höhe und grinste süffisant, als er erneut einen kräftigen Schluck zu sich nahm. „Und sie haben keine Probleme damit, dass du dich mit einem Herumtreiber wie mir abgibst?“ Herumtreiber. So hatten ihre Eltern ihn mal in der Grundschule bezeichnet, nachdem Mimi einmal viel zu spät nach Hause gekommen war. Ihr Vater war von Taichi nie sonderlich begeistert gewesen, was er ihm auch deutlich vermittelt hatte, auch wenn sie seine Abneigung gegenüber ihm nie richtig verstanden hatte. „Ich denke ich bin alt genug und kann alleine entscheiden, bei wem ich bleibe“, antwortete sie standhaft und blickte ihm in seine traurigen Augen. Sein Gesicht veränderte sich auf einmal, als er die Flasche Wasser auf der Theke abstellte und zielstrebig an ihr vorbeischritt. „Und dann entscheidest du dich, bei einem Versager wie mir zu bleiben?“ Er wirbelte herum und ein stechender Blick lag in seinen Augen, den Mimi nur schlecht deuten konnte. „Was? Was redest du da nur?“ „Ich bin ein Versager! Herr Ichinose meinte, dass ich das Stipendium vergessen kann. Das letzte Testspiel wird er absagen, weil er meine Bemühungen nicht sehen kann. Toll, oder? Jetzt ist meine komplette Zukunft im Arsch“, erklärte er verbittert und atmete unruhig. Mimi hingegen verstand nur Bahnhof. Er hatte doch so viele Möglichkeiten, warum redete er sich nur so klein? „Das ist doch gar nicht wahr! Du kannst dich doch einfach an anderen Universitäten bewerben. In Tokio gibt es genug gute Unis und wenn du willst gucken wir einfach gemeinsam nach einer.“ Sie schritt optimistisch an ihn heran und wollte gerade seine Arm berühren, als er auf Abstand ging und ihre Hand beiseiteschob. „Du hast keine Ahnung! Du kannst vielleicht überall studieren, wo du magst, aber ich habe nicht die gleichen Möglichkeiten wie du! Dein Vater könnte dir sogar ’ne beschissene Privatuni bezahlen!“ Überrascht über diesen Vorwurf blieb Mimi mitten im Raum stehen. „Aber ich…“ „Es muss sicher toll sein, ein Einzelkind zu sein, dass sich um nichts Sorgen machen braucht!“ „Denkst du wirklich, dass ich es so einfach hätte?“, hinterfragte Mimi erbost. „Mein Vater will mich ständig in irgendeine Richtung drängen, in die ich gar nicht möchte und jeder Erklärungsversuch führt ins Leere, weil sich mein Vater nur sehr schlecht von anderen Möglichkeiten überzeugen lässt! Denkst du er wäre begeistert, wenn ich ihm erzählen würde, dass ich am liebsten ein Restaurant eröffnen würde, statt ins Familienunternehmen einzusteigen? Glaubst du das wirklich?“ Sie war richtig rasend vor Wut! Wie konnte ihr Taichi nur sowas unterstellen? Sie war den ganzen Tag für ihn da gewesen, wollte ihm Trost spenden und ihm versichern, dass sie an seiner Seite stehen würde. Doch das was er sagte, verletzte sie mehr, dass sie jemals zugeben würde. Sie sah, wie er angespannt auf seiner Unterlippe herum kaute und seinen braunen Augen förmlich auf ihrer Haut brannten. Jedoch verlor er kein einziges Wort. Nur ein leises Seufzen löste sich von seinen Lippen, als er sich von ihr abwandte. „Ich gehe jetzt duschen“, informierte er sie unterkühlt und schritt zum Badezimmer, während Mimi wie versteinert immer noch am selben Platz stand. Erst das Zuschlagen der Tür weckte sie aus ihrer Trance, die ihr sämtliche Sinne vernebelt hatte. Plötzlich spürte sie, wie warme Tränen ihre Wangen hinunter wanderten und Panik in ihr freisetzen. Hektisch wischte sie sich über ihr Gesicht und atmete tief ein, um sich wieder zu beruhigen. Dieser Idiot. Der konnte etwas erleben, wenn er aus der Dusche kam. So ließ sie sich nicht von ihm behandeln, selbst wenn er einen miesen Tag hatte! _ Nachdem sich Mimi wieder etwas beruhigt hatte und ihre Wut auf Taichi herunterschraubte, entschloss sie sich dazu, eine Kleinigkeit für sie zu kochen, während er noch unter der Dusche war. Im Kühlschrank der Yagamis fand sie noch drei Eier, weshalb sie sich dazu entschlossen hatte, Rührei mit frischem Gemüse zum Abendessen für sie vorzubereiten. Sie war gerade im Begriff die Paprika auf einem kleinen Holzbrett kleinzuschneiden, als sie mehrere dumpfe Schläge vernahm. Überrascht ließ sie das Messer auf das Brettchen gleiten und ging vorsichtig in Richtung Badezimmer. „Taichi? Ist alles in Ordnung?“, fragte sie behutsam und klopfte gegen die Badezimmertür. Doch alles was sie hörte, war das gleichmäßige Prasseln der Dusche, dass sie beunruhigte. „Tai?! Was ist denn los?“, hakte sie abermals nach und legte bereits die Hand auf die Türklinke, hielt allerdings plötzlich inne. Wollte sie wirklich einfach ins Badezimmer gehen? Was wenn sie ihn bei etwas Wichtigem störte? Ihre Wangen begannen plötzlich zu glühen, als sie an die Begegnung in der Männerduschkabine zurückdachte. Reflexartig ließ sie die Türklinke los und wollte sich gerade wieder in die Küche begeben, als einen leisen Aufschrei von ihm vernahm, während gleichzeitig der dumpfe Aufschlag erneut ertönte. Mimi zögerte keinen Augenblick, ehe sie auf einmal die Tür aufriss und zu Taichi eilte. Sie blieb wie angewurzelt vor der Dusche stehen, sah wie er zusammengekauert auf dem Boden saß und schmerzerfüllt seine linke Hand hielt. Sein frisches Blut vermischte sich mit dem warmen, dampfenden Wasser, während Mimi völlig fassungslos auf seine kauernde Erscheinung blickte. „Oh mein Gott, was hast du nur gemacht?!“, kreischte sie und schritt auf ihn zu. Kraftlos ließ sie sich neben ihm nieder, bevor sich ein schmerzerfülltes Wimmern von seinen Lippen löste und er sie mit einem unergründlichen Blick streifte. Seine Augen waren schmerzverzehrt und gerötet, während er immer noch seine verletzte Hand festumklammert hielt. „E-Es tut mir so leid…“, wimmerte er kaum hörbar und wandte den Kopf von ihr. Ohne groß zu überlegen rutschte sie noch näher an ihn heran und überwand jeglichen Abstand, auch wenn sie spürte, wie das Wasser ihre Klamotten durchnässte. Doch es war ihr egal. So hilflos hatte sie Taichi noch niemals gesehen gehabt. Er saß wie ein Häufchen Elend in der Dusche und konnte sich kaum beruhigen, als Mimi ihn einfach an sich heranzog und seinen nackten Körper schützend gegen ihren presste. Sie schlang ohne weiteres die Arme um ihn und drückte Taichi so fest sie konnte, an sich heran. Es dauerte einen Moment, bis er ihre Umarmung erwiderte, doch dann lösten sich alle Bedenken und Mimi spürte, wie er seine Finger hilfesuchend in ihre nassen Klamotten krallte. Er schluchzte herzzerreißend, sodass Mimi plötzlich einen dicken Kloß in ihrem Hals spürte, der ihr das Schlucken erschwerte. Er litt Höllenqualen und sie war nicht in der Lage ihm sie zu nehmen. Nackt. Schutzlos. Schwach. Er war ein Schatten seiner selbst, der in ihren Armen den Halt fand, den er in diesem schwachen Moment benötigte, um nicht zu zerbrechen. Sonst war er immer derjenige, der ihr Zuflucht bot und sie mit seinen starken Armen empfing. Heute waren die Rollen vertauscht. Er weinte hemmungslos in ihren Armen, während sie ihn einfach nur festhielt und keine Worte verschwendete. Er drückte sein Gesicht gegen ihre Brust, während Mimi zärtlich über seinen Kopf streichelte. Ein beklemmendes Gefühl löste sich von ihrer Brust, während sie nach und nach verstand, dass eine enorme Last von Taichi Schultern fiel. Auch wenn er immer noch gegen seine Tränen kämpfte und seine Sprache noch nicht widererlangt hatte, hielt sie ihn einfach nur fest. Schenkte ihm die Wärme, die er brauchte. Sie war einfach nur da. An seiner Seite. Kapitel 35: Nichts als die Wahrheit ----------------------------------- ♥ Taichi ♥ Er murrte erschöpft, als die zarten Sonnenstrahlen seine Nase kitzelten. Schwerfällig blinzelte er gegen das Tageslicht und drückte seine flache Hand gegen sein müdes Gesicht. Langsam öffnete er seine braunen Augen, die sofort auf die leere Bettseite gerichtet waren. Überrascht setzte er sich langsam auf und sah sich in seinem Zimmer um. Es war leer und nichts erinnerte daran, dass sie die Nacht bei ihm verbracht hatte. Frustriert ballte die die Fäuste zusammen und spürte augenblicklich einen stechenden Schmerz durch seine Hand fahren. Er blickte auf seine verwundeten Handknöchel, die rot hervorstachen. Gedankenversunken fuhr er darüber und schwelgte in seinen Erinnerungen. Taichi hatte Mimi fürchterlich behandelt gehabt. Sogar als verwöhntes Einzelkind hatte er sie bezeichnet. Er wusste noch nicht mal, warum all diese hässlichen Worte förmlich aus seinem Mund hervorbrachen. Er war einfach nur so wütend gewesen. Wütend auf seinen Vater. Wütend auf sich selbst. Wütend, darauf, dass es andere vielleicht einfacher haben konnten als er. Und auch wenn er kein Mitleid wollte, suhlte er sich regelrecht darin. Als Herr Ichinose ihm gesagt hatte, dass das Stipendium für ihn gestorben sei, brannte eine Sicherung in ihm durch. Er hatte die Kontrolle verloren. Verfing sich immer mehr in den Tiefen der aussichtslosen Trostlosigkeit seines Lebens. Tai hatte seine Chance vertan, auch wenn ihn das Sportstipendium nie interessiert hatte. Zwar war Fußball ein wichtiges Hobby für ihn, dass ihm nicht nur Spaß machte und ihm einen körperlichen Ausgleich bescherte, aber er bemerkte auch, je Ernstes es um seine Zukunft wurde, desto mehr verlor er den Spaß an der geliebten Sportart, die er in der ersten Klasse begonnen hatte. Es war zu einer weiteren Last geworden. Einer Bürde, die er nur sehr halbherzig verfolgte. Er brauchte das Stipendium um einen abgesicherten Studienplatz zu erhalten, nicht um seinen Traum zu verfolgen. Lediglich war es ein Mittel zum Zweck. Eine Tatsache, die ihn eingeholt hatte. Und dann verhielt er sich auch noch so schäbig gegenüber der Frau, die er von Herzen liebte. Es war also kein Wunder, dass sie einfach so gegangen war. Es hatte ihn überhaupt gewundert, dass sie die Nacht mit ihm verbracht hatte, nachdem sie ihn völlig fertig in der Dusche vorgefunden hatte. Ihm war das Ganze mehr als nur unangenehm gewesen. Wie er nackt und hilflos in ihren Armen lag…hemmungslos weinte und sich selbst nicht mehr beruhigen konnte. Er konnte noch nicht mal sagen, wie lang er in ihren Armen gelegen und sich gegen den nassen Stoff ihres Pullis gedrückt hatte. Seine Fassade war endgültig zusammengebrochen. Er hatte es ihr erzählt. Er hatte ihr alles erzählt. _ Eine bedrückende Stille kehrte über ihnen ein als Mimi behutsam seine blutenden Handknöchel mit Desinfektionsmittel reinigen wollte. Sie träufelte etwas auf ein Wattepatt und fuhr vorsichtig über seine verletzte Hand als er einen beißenden Schmerz wahrnahm und schmerzvoll das Gesicht verzog. Er zog die Hand ruckartig an seinen Körper heran, bevor Mimi ihm einen mahnenden Blick zuwarf. „Jetzt halt schon still! Sonst kann ich dich nicht anständig behandeln“, ermahnte sie ihn streng und strich sich eine nasse Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Tai betrachtete sie ausdruckslos und musterte nachdenklich das Shirt, dass er ihr geliehen hatte. Es war ihr deutlich zu groß und ging ihr bis knapp über die Knie. Ihre nassen Klamotten hatten sie auf dem Balkon zum Trocknen aufgehängt, während sie immer noch versuchte ihn zu verarzten. Für ihn war die Situation mehr als nur zu viel. Er fühlte sich unwohl in seiner eigenen Haut, spürte, dass er sich selbst verloren hatte und ein armseliges Häufchen Elend war, dass sich vor seinen eigenen Gefühlen einfach nur fürchtete. „Niemand hat dich darum gebeten mir zu helfen“, murmelte er starrsinnig und presste augenblicklich die Lippen aufeinander, da ihm seine Worte sofort leidtaten und er gar nicht genau beschreiben konnte, warum er so ätzend zu ihr war. Abrupt ließ Mimi ihn los, stellte das Desinfektionsmittel beiseite und schüttelte den Kopf. „Du bist einfach unverbesserlich…statt mit mir zu reden stößt du mich ständig von dir weg!“, erwiderte sie verletzt. Doch er fühlte sich in die Ecke gedrängt, weshalb er den Abstand suchte und aufstand. Er ging an ihr vorbei und atmete unruhig, während er seine verletzte Hand behutsam streichelte. Sein Herz schmerzte unaufhörlich, da er merkte, wie schwer es ihm fiel, die Wahrheit vor ihr zuzugeben. Taichi fühlte sich gefangen. Zwischen Verzweiflung und Hass. Liebe und Hoffnungslosigkeit. Schmerz und Freude. All das lag so nah beieinander, dass sie förmlich miteinander verschmolzen und eins ergaben. Auf der eine Seite spürte er den Hass, den er gegenüber seinem Vater und ihrer beschissenen Situation empfand. Anderseits fühlte er auch die blanke Verzweiflung, die in der Angst um seinen Vater mündete, der sich immer noch im Krankenhaus befand. Alles im Leben hatte zwei Seiten. „Vertraust du mir etwa nicht?“, fragte sie kaum hörbar, als er sich schmerzvoll auf die Unterlippe biss. Was sollte er nur tun? Tai hatte dieses Geheimnis schon so lange vor seinen Freunden verborgen. Er schämte sich. Er schämte sich, die Wahrheit zuzugeben. Zu sagen, dass sein Vater ein Problem hatte. Zuzugeben, dass seine Familie in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Den Tatsachen ins Auge zu blicken, dass er seine wichtigste Chance vertan hatte. Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals und ein deutliches Brennen breitete sich in seinen Augen aus. Er versuchte seine Zweifel hinunter zu schlucken, doch seine Augen füllten sich mit Tränen. Er blinzelte angestrengt und presste die Lippen so fest aufeinander, dass es bereits wehtat, doch je mehr er sich bemühte nicht zu weinen, desto schwerer fiel es ihm. „Du verstehst das nicht…Niemand versteht mich“, kam krächzend über seine Lippen. „Taichi…du…kannst doch mit mir reden. Ich weiß, dass das mit deinem Vater sicher ein Schock gewesen ist, aber ich bin mir sicher, dass er wieder auf die Beine kommen wird.“ Er zuckte zusammen, wandte ihr aber immer noch den Rücken zu. Seine Muskeln spannten sich an und die Wut kroch seinen Hals hinauf. „Du hast doch überhaupt keine Ahnung…“, brachte er hervor und wandte sich ihr wieder zu. Sie war mittlerweile von dem Küchenstuhl aufgestanden und musterte ihn besorgt. Doch er war blind. Blind vor Wut. „Mein Vater ist weit davon entfernt wieder auf die Beine zu kommen. Wahrscheinlich wird es nicht lange dauern, bis er wieder abstützt und uns erneut Kummer bereitet“, erwiderte er erbost und verzog die Augen zu Schlitzen. „Also tut ja nicht so, als würdest du meine Situation verstehen. Denn das kannst du nicht! Du hast alles, was man sich im Leben wünschen kann und brauchst dir um nichts Sorgen zu machen…eigentlich ist dein Leben ziemlich perfekt.“ Er lachte hysterisch, während sich Mimis Gesichtsausdruck versteinerte. „Perfekt?“, wiederholte sie fassungslos. „Erinnerst du dich nicht daran, was ich dir vorhin erzählt habe?! Mein Leben ist vieles aber ganz sicher nicht perfekt“, brüllte sie wütend und ballte ihre Hände zu Fäusten. Doch er konnte nicht aufhören. Er versuchte sich zu beherrschen, aber sah nur seine mitleidige Situation, die niemand besser machen konnte. „Deine Eltern würden doch alles für dich tun. Sie unterstützen dich bei jeder Kleinigkeit. Egal welchen Unsinn du dir auch in den Kopf gesetzt hast. Sie stehen hinter dir…besonders dein Vater“, warf er ihr mit scharfer Stimme vor. Ängstlich schritt Mimi ein paar Schritte zurück und stieß mit den Küchenthesen zusammen, während Taichi ihr immer näherkam. „Er würde sicher alles für dich tun und nicht das komplette Geld wegsaufen und in seinem elendigen Selbstmitleid versinken!“ Seine Stimme überschlug als er schluckte und jenen Satz aussprach, vor dem er sich die ganze Zeit gefürchtet hatte. „Er würde…er würde dich niemals gegen die Garderobe schubsen und zu dir sagen, dass ihm sämtlicher Alkohol wichtiger ist und deine Schwester und du nur eine finanzielle Belastung sind…“, er brach abrupt ab, während Mimis Augen weit aufgerissen waren. Er spürte wie die Nässe seine Wangen hinunter wanderte, seine Knie plötzlich nachgaben und er zusammensackte. Hilflos schlug er die Hände vor dem Gesicht zusammen und schluchzte hemmungslos, als ihn die unbändige Gewissheit traf, was er Mimi da geradegestanden hatte. Sein Körper verkrampfte sich, doch er traute sich nicht sie anzusehen, da er ihre mitleidigen Blicke nicht länger ertragen konnte. Bestimmt konnte auch sie nun eins und eins zusammenzählen. Seine Verletzung, über die er nicht reden wollte. Seine Verbissenheit, bezüglich des Stipendiums. Alles hatte nur einen Grund. Einen Grund, den er vor seinen Freunden am liebsten verbergen wollte. Doch dann bemerkte er, wie sie sich ihm näherte. Irritiert blickte er zu ihr, sah das sie ebenfalls auf die Knie gegangen war und die Arme um ihn schlang. In ihren Augen glitzerten ihre aufkommenden Tränen als sie die Arme um seinen Hals schlang und die Lippen behutsam auf seine legte. Es war kein leidenschaftlicher Kuss, aber dennoch so viel mehr. Ihre liebevolle Geste erreichte sein schmerzendes Herz, sodass er jedes einzelne Wort, dass er zu ihr gesagt hatte, auf der Stelle zurücknehmen wollte. Langsam löste sie sich von ihm und sah ihm in seine qualvoll wirkenden Augen. Ihr Blick war unergründlich, aber zeichnete sich durch eine unglaubliche Wärme aus, die ihn zu tiefst berührte. „Du bist nicht allein, hörst du?“, löste sich schwerfällig von ihren zarten Lippen, bevor sie ihm sanft durch das Gesicht streichelte. Er nickte nur verhalten, da es ihm die Sprache komplett verschlagen hatte. Wieder fand er in ihren Armen halt. Den Halt, den er zum Leben brauchte. _ Schwerfällig stieg er aus seinem Bett und schritt niedergeschlagen durch sein Zimmer. Hatte er ihr zu viel erzählt? War sie deswegen gleich am Morgen verschwunden? War sie die Nacht nur aus Mitleid bei ihm geblieben? Viele dieser Gedanken schwirrten ihm in diesem Augenblick durch den Kopf. Er hatte sich Mimi offenbart. Ihr seine verletzliche Seite gezeigt und sie in seine familiären Probleme eingeweiht, die er eigentlich niemandem verraten wollte. Hatte er ihr zu viel zugemutet? Bedächtig öffnete er seine Zimmertür als ihm ein zarter Geruch von Speck und Eiern entgegenkam. Verwirrt runzelte er die Stirn, ehe sein Blick zum Balkon wanderte. Zu seinem Erstaunen befanden sich Mimis Sachen immer noch da, was sein Herz zum Höherschlagen brachte. Rasch begab er sich in die Küche und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er sie tatsächlich am Herd vorfand. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und ihre langen Haare zu einem unordentlichen Zopf zusammengebunden, während sie immer noch sein T-Shirt von gestern Abend trug. Auf leisen Sohlen schlich er sich an sie heran. Sie schien sich völlig auf das Essen zu konzentrieren, weshalb er sich unbeirrt an sie heranschlich und sachte die Arme um ihren zierlichen Körper schmiegte. Er legte sofort seine Lippen auf ihren Hals als Mimi direkt zu Kichern begann und sich versuchte aus seinem Griff zu wenden. „Taichi, das kitzelt“, gab sie lachend zu und schaffte es sich zu ihm zu drehen. Doch er schenkte ihr nur ein schelmisches Lächeln, bevor er erneut seine Lippen mit ihren versiegelte. „Du hältst mich vom Kochen ab“, murmelte sie gegen seine Lippen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mal für mich kochen würdest. Ich dachte du willst nicht meine persönliche Köchin sein“, neckte er sie spielerisch. Sie gab ihm einen kurzen Kuss und schmiegte sich an sein Shirt. „Ich bin eben für Gleichberechtigung, aber du hast ja auch schon was für mich gekocht, also darf ich das doch auch.“ Sie fuhr ihm verträumt durch die Haare, als er sie plötzlich anhob und auf der Arbeitsplatte neben dem Herd platzierte. Überrascht blickte Mimi ihn an, doch bevor sie etwas sagen konnte, hatte er seine Lippen wieder auf ihre gedrückt und versank in einem leidenschaftlichen Kuss, der nicht nur ihm den Atem raubte. Mimi schlang die Beine hinter seinem Rücken zusammen, sodass er ihr noch näherkommen konnte, während Taichi ihre freigelegten Oberschenkel entlangfuhr. Sie klammerte sich um seinen Nacken und seufzte leise in ihren Kuss, der sämtliche Zeit an ihren Vorbeiziehen ließ. Es fühlte sich unendlich an, doch Tai konnte sich gar nicht von ihr lösen, da sein Herz so sehr nach ihr verlangte. Doch sie löste sich langsam von ihm und drückte ihre Stirn gegen seine. „Danke, dass du gestern so ehrlich zu mir warst. Ich weiß, dass dir das sehr schwergefallen sein muss“, antwortete sie mit verhangener Stimme. Er benetzte mit seiner feuchten Zunge seine trockenen Lippen, als sein schlechtes Gewissen bei ihm Sturm klingelte. Er hatte sie wirklich fürchterlich behandelt und dachte schon, dass er sie damit vergrault hätte. Doch sie war immer noch da, schenkte ihm Geborgenheit und Liebe, die er zuvor noch nie in dieser Intensivität gespürt hatte. Zärtlich ergriff er ihre Hand und verschränkte sie mit seiner. Er hob sie sachte an und gab ihr einen kurzen Kuss auf die Handfläche bevor er ihr wieder in die Augen sah. „Es tut mir leid, wie ich dich gestern behandelt habe. Ich weiß, dass du es nur gut mit mir gemeint hast, a-aber ich…mir wurde alles zu viel. Ich war echt ein Arschloch“, stammelte er schuldbewusst. Ein sanftes Lächeln legte sich auf Mimis Lippen, als sie seinen Kopf zaghaft anhob. „Ein Arschloch warst du wirklich“, sagte sie unerschrocken. „Aber ich denke, es ist dir auch alles nicht sonderlich leichtgefallen. Deswegen bin ich froh, dass du dich mir anvertraut hast.“ „Also bist du mir nicht böse?“, fragte er ein wenig überrascht. Mimi schüttelte nur mit dem Kopf und streichelte ihm sanft über seine Wange. „Ich glaube, dass wäre ich wohl eine ziemlich schlechte Freundin, wenn ich deine Lage nicht verstehen würde, oder?“ Sein Herz schlug ihm auf einmal bis zum Hals. Freundin? Was meinte sie damit nur? Freundin im Sinne von einer Beziehung oder eine rein platonische Bindung? Er zupfte mit seiner freien Hand nervös an ihrem Shirt, während diese Frage ihn einfach nicht lockerließ. Sie waren sich gestern Abend so nah gewesen, wie schon lange nicht mehr, dass er nur noch einen Gedanken hegte. Es endlich offiziell zu machen. „Meinst du mit Freundin, ‚eine‘ Freundin oder ‚meine‘ Freundin?“, fragte er unsicher und spürte wie seine Wangen zu glühen begannen. „W-Was?“ „Naja…ich…“ „Ich habe dich schon verstanden“, erwiderte sie liebevoll. „Aber mit dieser Frage habe ich jetzt so gar nicht gerechnet“, gab sie offen zu. Taichi verzog ein wenig das Gesicht und spürte wie sich sein Puls beschleunigte, wenn er ihr in ihre hellbrauen Augen sah. „Ich…naja, ich würde es schön finden, wenn es offiziell wäre. So richtig, dass es eben jeder weiß. Aber ich möchte dich auch zu nichts…“ Weiter kam er nicht, als Mimi die Hände um sein Gesicht legte und ihm einen euphorischen Kuss auf die Lippen drückte. Er erwiderte ihn sofort, drückte sich noch näher an sie heran, während ihre Antwort eindeutig schien. Sanft strich sie mit der Zunge zwischen seine Lippen und begegnete seiner mit purer Vorfreude, als sie sich einem zärtlichen Tanz hingaben, der ihnen ihre Sinne vernebelte. Sie bemerkten noch nicht mal, den angebrannten Geruch, der durch die Küche zog, geschweige denn, wie sich die Haustür öffnete. Es gab nur die beiden, in einem einmaligen Moment der Glückseligkeit. Er zog sie noch dichter an sich heran, als er plötzlich seinen Namen hörte. „Taichi? Was stinkt denn hier so?“, hörte er seine Mutter fragen und löste sich abrupt von Mimi, die sofort von der Arbeitsplatte sprang und zum Herd blickte. „Oh Scheiße“, fluchte sie leise und drückte Tai beiseite, doch das Rührei war ihr bereits angebrannt. Seine Mutter trat einen Moment später in die Küche und blickte in das verdutzte Gesicht ihres Sohnes, der sich ganz nervös am Kopf kratzte und insgeheim hoffte, dass sie nicht irgendwelche Fragen stellte. „Hab‘ ich euch beide bei irgendwas gestört?“, fragte sie übermüdet, konnte aber nicht verhindern, dass sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen schlich. „W-Was? Natürlich nicht…Mimi ist nur das Ei angebrannt“, entkräftete Taichi mit einem nervösen Unterton und lachte auffällig. Es wunderte ihn, dass sie ihn nicht gefragt hatte, warum Mimi überhaupt hier war, aber anscheinend sprach sein zerknittertes Shirt und die zerzausten Haare Bände. „Ich werde mich jetzt noch ein bisschen hinlegen“, antwortete sie wissend und gab Taichi einen unmissverständlichen Blick, der unangenehm auf seiner Haut brannte. Kurz nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, atmete Taichi erleichtert aus und blickte zu Mimi, peinlich berührt den Kopf gesenkt hatte. „Oh Gott, sie hat doch nicht etwa mitbekommen, dass wir auf ihrer Arbeitsplatte rumgeknutscht haben, oder?“ „Naja, so oft benutzt sie sie ja nicht“, konterte er sofort und kassierte von Mimi einen Stoß in die Rippen. „Sei nicht so gemein, schließlich sprechen wir immerhin über deine Mutter“, ermahnte sie ihn und stocherte niedergeschlagen in ihrem angebrannten Rührei herum. „Das ihr Frauen immer zusammenhalten müsst. Echt furchtbar!“, grummelte er, konnte sich aber nicht nehmen lassen, sie erneut an seine Brust zu drücken. „Naja, irgendwer muss sich doch gegen dich verschwören oder?“, kicherte sie, während er die Arme um ihren Bauch schmiegte und ihr einen zärtlichen Kuss auf die Schläfe gab. _ Nach dem gemeinsamen Frühstück war Taichi ins Krankenhaus gefahren, um seine Schwester abzulösen, da sie sich immer noch mit Takeru dort befand, um die Stellung zu halten. Mimi wollte später nachkommen, da sie sich erstmal frische Sachen von Zuhause besorgen wollte. Taichi hatte ein ganz mulmiges Gefühl alleine hinzufahren, aber er war es seiner Schwester schuldig, die er völlig übermüdet im Wartebereich angetroffen hatte. Zwar weigerte sie sich zuerst, dass Krankenhaus zu verlassen, doch gemeinsam mit Takerus Hilfe schaffte er es, sie dennoch zu überzeugen ein bisschen Schlaf nachzuholen. Nachdem Takeru gemeinsam mit Hikari das Krankenhaus verlassen hatte, begab sich Taichi in das Zimmer seines Vaters. Auch wenn er sich mittlerweile wieder auf der normalen Station befand und die Klinik in absehbarer Zeit verlassen konnte, fühlte sich Taichi sichtlich unwohl. Ein nervöses Kribbeln zog durch seine Magengegend, da er es meist immer noch nicht alleine mit ihm in einem Raum aushielt, ohne angstvoll zu erstarren. Doch diesmal schlief er seelenruhig, hatte den Kopf zur Seite geneigt und atmete bedächtig ein und wieder aus. Taichi blieb mitten im Raum stehen und rührte sich nicht. Er traute sich nicht näher heranzugehen und beobachtete ihn aus der Ferne. Ganze fünfzehn Minuten stand er einfach so da, ohne sich zu rühren. Unzählige Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Gedanken, die er kaum sortierten konnte. Sollte er sich etwa neben ihn setzten und warten bis er aufwachte? Sollte er endlich ein Gespräch mit ihm suchen? Ihm sagen, wie er die letzten Wochen und Monate empfunden hatte? Sein Herz klopfte unkontrolliert gegen seine Brust, während allein schon die Gedanken an eine mögliche Aussprache die pure Panik in ihm auslösten. Er presste die Lippen aufeinander, als er es einfach nicht mehr aushielt und abrupt das Zimmer verlassen musste. Er öffnete hektisch die Tür, wandte einen kurzen Blick über die Schulter, um festzustellen, dass sein Vater immer noch schlief. Danach trat er auf den Flur, schloss die Augen und drückte sich schwerfällig gegen seine Zimmertür. Ein leiser Seufzer löste sich von seinen Lippen, als er erkannte, wie feige er doch eigentlich war. Er traute sich noch nicht mal mit ihm darüber zu reden, auch wenn er ganz genau wusste, dass er es endlich aus der Welt schaffen musste, um einen möglichen Neuanfang zu wagen. Stöhnend ging er auf die großen Fenster zu, die zum Innenhof führten und fuhr sich kraftlos durch die Haare, als er plötzlich seinen eigenen Namen vernahm. Ruckartig drehte er sich herum und sah in zwei blaue Augenpaare, die sein Herz ganz schwer werden ließ. „Yamato? Was machst du denn hier?“ _ „Verstehe, deswegen ist er also ins Krankenhaus gekommen“, erwiderte sein bester Freund mit verhangener Stimme und beugte sich vorne über. Sie hatten sich draußen auf einer Bank niedergelassen und Taichi hatte ihm die schmerzliche Wahrheit erzählt. Es war ihm bereits viel leichter gefallen, weil er zuvor mit Mimi darüber geredet hatte, aber dennoch schämte er sich für seine Situation. „Warum hast du nicht eher etwas gesagt? Wir hätten dir doch geholfen“, untermauerte Yamato seine Ansicht mit einem deutlichen und tiefgreifenden Blick, den Taichi völlig aus dem Konzept brachte. „Was hätte ich denn deiner Meinung nach sagen sollen? ‚Hey mein Vater ist Alkoholiker und ich bewerbe mich nur für das Stipendium, weil ich das Geld brauche? Komm, lass uns eine Kleinigkeit essen gehen!‘ Alles hat total bescheuert geklungen u-und ich…“ Seine Stimme brach ab, während die blanke Verbitterung seinen Hals empor wanderte. Ihm fiel es immer noch schwer darüber zu sprechen. Es war ihm gut gelungen, diese zerbrechliche Seite vor seinen Freunden geheim zu halten. Aber er spürte auch, wie ihm alles nach und nach entglitten war. „Taichi…wir sind doch deine besten Freunde! Natürlich wären wir für dich da gewesen. So wie du immer für uns dagewesen bist. Ich glaube nicht, dass ich es ohne dich hinbekommen hätte, dass Sora mir jemals mehr verzeiht“, antwortete Yamato eindringlich. Taichi legte den Kopf schräg als ihm plötzlich auffiel, dass Yamato keinerlei Blessuren von dem Wochenende in Kyoto davongetragen hatte. In seinem Gesicht erkannte er dieses Strahlen, so als wäre er komplett mit sich im Reinen. „Anscheinend ist es ja mit euren Eltern gut gelaufen“, stellte Taichi grinsend fest. „Was heißt gut gelaufen?“, hinterfragte Yamato lachend. „Sauer waren sie schon gewesen, aber immerhin hat mir Soras Vater keine reingeschlagen.“ „Ich habe dir doch gesagt, dass er seinem zukünftigen Schwiegersohn niemals eine verpassen würde“, grinste Taichi, während sich Yamato auf der Bank austreckte. „Naja, ich glaube der Vorteil an der ganzen Sache ist, dass wir von vornerein gesagt haben, dass wir zusammenhalten wollten. Sora möchte ihr Studium ein Jahr später beginnen, um voll und ganz für das Baby da zu sein und ich suche mir nach dem Abschluss eine Ausbildung, damit wir unseren Lebensunterhalt zeitnah auch alleine bestreiten können. Natürlich haben unsere Eltern ihre Unterstützung zugesagt, aber wir wollen ja nicht ewig auf ihrer Tasche liegen.“ Er beendete seinen kurzen Monolog, als Taichi überrascht eine Augenbraue hob. „Okay? Und was wird aus der Band? Ich dachte du wolltest immer noch bei diesem Musikwettbewerb mitmachen, um berühmt zu werden?“ Ein dumpfes Lachen erklang, was Taichi jedoch noch mehr verwirrte. Vielleicht hatte das Wochenende seinen besten Freund mehr geschädigt, als er eigentlich zugeben wollte… „Berühmt werden…ich glaube, das ist der Knackpunkt an der ganzen Sache.“ „Der Knackpunkt?“, wiederholte Taichi langgezogen. „Ja, mir ging es schon lange nicht mehr um die Musik. Ich wollte einfach nur berühmt werden. Egal unter welchem Preis. Erst als Kaori zu uns in die Band kam, habe ich gemerkt, dass der leidenschaftliche Musiker, der aus vollem Herzen spielt schon lange nicht mehr existiert. I-Ich habe mein Ziel komplett verloren und es erst wiedergefunden, als Sora mir von dem Baby erzählt hatte.“ „Okay…wie meinst du das denn?“, fragte er vollends verwirrt, da sein bester Freund für ihn in Rätseln sprach. „Naja, manchmal bemerkt man erst was wichtig ist, wenn sich alles verändert. Als ich den Song für Sora und mein Baby gesungen hatte, wusste ich, dass die Musik für mich nur zweitrangig ist und ich beide nicht verlieren konnte. Ich bin zwar verkorkst, was Familienangelegenheiten anbelangt, aber sie ist meine Konstante im Leben. Die Person, die mir den Halt gibt, den ich brauche“, sagte er sanft und lächelte leicht vor sich hin. Vollkommen überrascht sah er zu seinem besten Freund und realisierte die Wirkung seiner Worte nur sehr langsam. Er klang so erwachsen und vollkommen verändert, dass Taichi erst einmal schlucken musste. „Wow, das klingt selbst für dich ziemlich kitschig, aber es freut mich, dass ihr alles klären konntet“, antwortete Taichi matt, während Yamato überlegen grinste und sich ihm gänzlich zuwandte. „Ach komm tu nicht so unschuldig. Drei Mal darfst du raten, wem wir in die Arme gelaufen sind und bei wem ich Sora geparkt habe“, er rümpfte triumphierend die Nase. „Geparkt? Seit wann ist Sora ein Auto?“, lachte er unbeholfen, konnte aber nicht verbergen, dass ihn die Tatsache mit Mimi unglaublich glücklich machte. Sie war also hier, um ihn zu unterstützen. Dabei waren sie noch nicht mal eine Stunde getrennt gewesen. „Anscheinend hat es ja jetzt endlich geklappt. Ich habe sie schon lange nicht mehr so strahlen gesehen.“ Sein Lächeln versiegte, als er die Handflächen unsicher aneinander rieb. „Und das obwohl ich so ätzend zu ihr war“, murmelte der halblaut. „Ich raff gar nicht warum sie überhaupt bei mir geblieben ist. Ich war wegen meinem Vater so durch den Wind gewesen und habe sie echt arschig behandelt.“ „Ich denke, unsere Mädels können sowas eher verzeihen als wir. Du hattest eine furchtbare Zeit und niemandem etwas gesagt. Ich glaube, dass sie das auch weiß und außerdem…“ Taichi hob den Kopf an und musterte seinen besten Freund fragend. „Außerdem?“ „Ich denke, wenn man jemanden liebt, ist man auch bereiter dieser Person zu verzeihen. Und ihr beide…ich glaube, sowohl dir als auch ihr ist bewusst, was ihr füreinander empfindet. Ihr traut es nur nicht auszusprechen.“ Taichis Herz setzte aus, ehe ihn die Wucht seiner Worte traf. Er war eine sehr lange Zeit feige gewesen. War vor seinen Gefühlen weggelaufen und hatte sie hinter einer massiven Mauer verborgen. Heute waren sie ein ganzes Stückchen weitergekommen, indem sie einen Teil ihrer Gefühle zuließen. Es würde sicher nicht leicht werden. Nein. Es standen viele Veränderungen bevor. Veränderungen, die er jedoch nicht alleine meistern musste. Kapitel 36: Liebesbrief mit Folgen ---------------------------------- ♥ Mimi ♥ Nach dem turbulenten Wochenende im Krankenhaus und der intensiven Zeit, die sie mit Taichi erleben durfte, fühlte sich die angebrochene Woche für Mimi regelrecht surreal an. Sie konnte gar nicht in Worte fassen, welches Chaos sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Taichis Vater befand sich noch immer im Krankenhaus und entzog sich einer Entgiftung, während sie weiterhin Tai beistand. In manchen Momenten war sie sehr an ihre eigenen Grenzen geraten. Oft war sie überfordert von ihren eigenen Gefühlen und Tais impulsiver Art, die sie durchaus verletzt hatte. Mittlerweile konnte sie verstehen, warum er so reagiert hatte. Sie war sogar froh darüber gewesen, dass er endlich den Mut fand sich ihr anzuvertrauen. Hätte sie all das schon vorher gewusst… Dabei gab es doch so viele Anzeichen und sie hatte es wegen all dem Drama, dass zwischen ihnen herrschte, einfach nicht gesehen. Sie war so damit beschäftigt ihn aus ihrem Herzen zu verdrängen, das sie gar nicht merkte, wie stark ihre Gefühle für ihn immer noch waren. Daher machte es sie unglaublich glücklich, dass sie es tatsächlich versuchen wollten. Trotz der vielen Schwierigkeiten schien sich mittlerweile alles zum Guten zu wenden. Sie war glücklich. Fühlte sich unbeschwert und frei. „Man, habe ich einen Hunger“, jammerte Yolei und riss Mimi sofort aus ihren Gedankengängen. Gemeinsam mit Izzy steuerten sie die Spindreihe an, da Mimi noch ihr Chemiebuch zurückbringen wollte, bevor sie zusammen Essen gingen. Grinsend gab Mimi ihre Zahlenkombination ein und öffnete ihren Spind als ihr plötzlich ein zusammengefalteter Zettel entgegengeflogen kam. „Nanu? Was ist denn das?“, fragte sie in die kleine Runde und hob ihn vom Boden auf. „Uh, sieht nach Liebesbrief aus“, kommentierte Yolei grinsend und drängelte sich direkt neben Mimi, die nur den Kopf schütteln konnte. Bisher wussten nur Yamato und Sora über ihre Beziehung Bescheid, weil sie Taichi im Krankenhaus besucht hatten. Dort hatten sie ebenfalls von Susumus Zustand erfahren und wurden auch in die Probleme eingeweiht, die Taichi versucht hatte vor ihnen zu verbergen. Generell fiel Mimi auf, dass zurzeit untereinander viele kleine Geheimnisse herrschten, angefangen mit Soras und Matts Baby, von dem sie die anderen jedoch bald in Kenntnis setzen wollten. Es war eine verdammt verzwickte Situation, aber dennoch wanderte ihr Blick automatisch zu dem gefalteten Zettel, den sie immer noch in ihren Händen hielt. Doch hatte Taichi ihr ernsthaft einen Liebesbrief geschrieben? So schätze sie ihn wirklich nicht ein, auch wenn er schon sehr romantisch sein konnte. Aber es war doch alles noch sehr frisch…zu frisch für einen so öffentlichen Liebesbeweis, doch als sie den Zettel aufklappte, stockte ihr der Atem. „Okay…ist es jetzt etwa doch ein Liebesbrief?“, hakte Izzy etwas unbeholfen nach und stellte sich ebenfalls neugierig neben Mimi, die die kurzen Zeilen durchlas und prompt errötete. „Oh mein Gott, Mimi…“, quietschte Yolei schrill und riss ihr den Brief aus der Hand. „Deine Augen leuchten so hell wie die Sterne. Ich verzehre mich nach deiner Nähe und kann gar nicht erwarten, wenn du wieder in meinen Armen liegst.“ Izzy beäugte beide kritisch. „Also das klingt wirklich nach einem Liebesbrief!“ „Ich möchte, dass du weißt, dass ich nur an dich denke. Immer wenn ich meine Augen schließe, pocht mein Herz vor schmerzender Sehnsucht nach dir“, las Yolei weiter vor und musste sich zusammenreißen nicht jeden Augenblick laut loszulachen, während Mimi am liebsten im Erdboden versunken wäre. War dieser Brief tatsächlich von Taichi? Nein, solche geschwollenen Worte würde er ganz sicher nicht in den Mund nehmen! Seltsamer Weise konnte sie die Handschrift überhaupt nicht zuordnen und auch dieses hochwertige Papier hatte sie in der Schule noch nie gesehen gehabt. Was war hier nur los? Irgendwie traute sie Tai sowas gar nicht zu, doch sie hatte auch keine Zeit darüber nachzudenken, da Yolei immer noch beherzt Zeilen aus dem Brief zitierte. In einem günstigen Moment riss sie ihrer Freundin das Blatt Papier aus der Hand und stopfte es in ihre Schultasche. „Man Mimi, sei doch nicht so eine Spielverderberin. Da ist wohl jemand ziemlich verschossen in dich“, zog Yolei sie auf, was in Mimi Unwohlsein auslöste. „Ach, so ein Quatsch, ist sicher nur ein Scherz“, schwächte sie ab, während ihr Herz unkontrolliert gegen ihre Brust pochte. „Lasst uns jetzt einfach Essen gehen, ja?“, schlug sie ohne weiteres vor und machte sich direkt auf den Weg in Richtung Mensa, ohne eine Antwort der beiden abzuwarten. _ Auch während des Essens musste Mimi ständig an diesen seltsamen Liebesbrief denken. Zum Glück konnte sie Yolei davon überzeugen, die ganze Sache erst einmal für sich zu behalten. Selbst Izzy stimmte stillschweigend mit ein, obwohl er auf Mimi einen sehr geknickten Eindruck machte. Taichi hatte sie daraufhin nicht angesprochen. Schlichtweg, weil sich beim Mittagessen einfach keine Gelegenheit ergab, mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Da sie sich später noch verabredetet hatten, beschloss Mimi ihm einfach dann ein wenig auf den Zahn zu fühlen – ganz dezent natürlich. Nach der Sache mit dem Stipendium war er immer noch sehr deprimiert, weshalb er auch sein heutiges Fußballtraining schwänzte. Sie wollte daher nicht die unbeschwerte Stimmung zwischen ihnen trüben, nur, weil sie einen dämlichen Liebesbrief erwähnte, der wahrscheinlich sowieso nichts zu bedeuten hatte. Vielleicht hatte sich auch einfach jemanden einen Scherz erlaubt, auch wenn ein merkwürdiges Gefühl dennoch blieb. Mimi seufzte leise und blickte zu Izzy, der an seinem heißgeliebten Oolong Tee schlürfte. Sie hatten sich nach der Schule in der Bibliothek verabredet, da Mimi mal wieder einige Mathehausaufgaben nicht verstanden hatte und Izzy sich dazu bereiterklärt hatte mit ihr die Aufgaben, die sie im Unterricht nicht verstanden hatte, durchzugehen. Sie war ihrem besten Freund unendlich dankbar, dass er sie immer so sehr unterstützte und ihr das Gefühl vermittelte, das sie sich auf ihn verlassen konnte. Egal, was auch kam. Dennoch konnte sie auch Tai nicht ganz aus ihren Gedanken verdrängen. Ihr Herz begann augenblicklich höher zu schlagen, wenn sie sich vorstellte später in seinen Armen zu liegen und sich an seine Brust zu kuscheln. Seinen typischen Duft einzuatmen und in seinem Bett einzuschlafen…irgendwie klang das doch unglaublich romantisch. Und diesmal war es kein unerfüllter Traum, dem sie hier hinterherjagte. Es war Realität. Sie fühlte sich wie auf Wolken als sich plötzlich die Spitze eines Stiftes in ihren Oberarm bohrte. Mimi schreckte auf und blickte in Izzys fragendes Gesicht. „Was?“, brachte sie nur hervor, während ihr rothaariger Freund genervt seufzte und nach der Flasche Oolong Tee griff und sein Glas befüllte. „Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders! Hat dir wieder irgendein Kerl den Kopf verdreht?“, warf er bissig ein und verzog das Gesicht. „Was? Wie kommst du nur auf sowas?“, fragte sie empört und hatte für einen kurzen Augenblick den Liebesbrief völlig vergessen, den sie in ihrem Schließfach gefunden hatte. „Na du hast doch diesen Brief bekommen…von irgendwem muss er doch schließlich sein“, murmelte Izzy kleinlaut als Mimi sich ertappt zur Seite drehte. Eigentlich hätte sie Izzy am liebsten gleich von der Beziehung zu Taichi erzählt, doch etwas hinderte sie daran. Sie wusste noch nicht mal was. Vielleicht hatte sie Angst, dass ihre neuerblühte Liebe wieder zu Bruch gehen könnte, weshalb sie sich vorerst zurückhielt und ihr Glück still und heimlich genoss. „Oh man, bitte sag mir nicht, dass du dich wieder mit Makoto vertragen hast?!“, platzte plötzlich aus ihm hervor. Entsetzt weiteten sich seine Augen, während Mimi angewidert das Gesicht verzog. An ihn hatte sie wirklich schon lange nicht mehr gedacht. „Was? Ganz sicher nicht! Der Typ kann mir gestohlen bleiben!“, murrte sie angesäuert und verdrehte die Augen. Izzy seufzte nur. „Naja, mir ist in letzter Zeit schon vermehrt aufgefallen, dass du dich anders verhältst. So wie damals bei Makoto“, erwiderte er unsicher. Überrascht sah Mimi auf. Das Gesicht ihres besten Freundes war gesenkt und er umfasste mit seiner zitternden Hand seine Flasche Oolong Tee, während er es scheute ihr direkt in die Augen zu sehen. Er wirkte nervös. So als hätte er Angst vor ihrer Antwort. Mimi biss sich auf die Unterlippe und überlegte fieberhaft, wie sie das Gespräch anfangen sollte. „Weißt du, ich…“, begann sie zurückhaltend als plötzlich ihr Handy vibrierte, dass mitten auf dem Tisch lag. Auf dem Display zeigte eine Nachricht von Taichi an, die auch Izzy sofort bemerkt hatte. Er starrte auf den leuchtenden Handyhintergrund, der ein Vergissmeinnicht zeigte, ehe sich seine angespannte Haltung auf einmal löste. Beschämt senkte Mimi den Blick. Sie war zu langsam gewesen. Er schien plötzlich eins und eins problemlos zusammenzählen zu können, was bei Mimi ein unwohles Gefühl hinterließ. „Mhm, irgendwie habe ich gewusst, dass da immer mehr zwischen euch war“, antwortete er nach einem kurzen Moment des Schweigens. Überrascht sah Mimi auf und sah in das Gesicht ihres rothaarigen Freundes, dass sie jedoch nicht deuten konnte. Er lächelte, aber seine Augen wirkten traurig, so als hätte er jemand wichtigen verloren. Mimi schluckte. Was hatte das nur zu bedeuten? Völlig verunsichert rang sie mit der Fassung, unwissend, was sie ihm antworten sollte. Er schien es geahnt zu haben. War es etwa so offensichtlich? Hatten ihre tiefen Gefühle sie etwa verraten? „Tai ist ein toller Kerl“, sagte er nickend und presste die Lippen aufeinander. Ein Lächeln zog sich erneut über sein Gesicht, doch diese unaufhörliche Anspannung blieb. Mimi fühlte sich unbehaglich in ihrer Haut, auch wenn sie noch nicht mal beschreiben konnte, an was es überhaupt lag. Er freute sich doch für sie! Allerdings… „Er wird dich sicher auf Händen tragen. So schätze ich ihn jedenfalls ein“, ergänzte er mit einem schwermütigen Unterton in seiner Stimme. Könnte es vielleicht sein…? „Izzy, ich…“, begann Mimi verunsichert als sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Doch in ihr herrschte pures Chaos und ein leiser Verdacht schien sich an die Oberfläche zu kämpfen als Izzy sich plötzlich räusperte. „Wäre es okay, wenn wir für heute Schluss machen? Ich muss noch eine Kleinigkeit für den Computerclub vorbereiten…“ Mimi biss sich auf die Unterlippe, während ihr schlechtes Gewissen ihrem Freund gegenüber kontinuierlich wuchs. Sie brachte es gerade noch fertig, sich zu einem Nicken abzuringen als Izzy wie von einer Tarantel gestochen seine Sachen zusammenpackte und sein Gesicht vor ihr verbarg. „Wir sehen uns morgen“, erwiderte er mit brüchiger Stimme und verschwand schnurstracks aus der Bibliothek, bevor Mimi noch ein Wort an ihn richten konnte… _ Nachdenklich verließ Mimi das Schulgebäude und überquerte den Schulhof. Izzys Verhalten wollte ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen, auch wenn sie sich scheute jenen Gedanken zuzulassen, der sie schon länger beschäftigte. Es war nicht das erste Mal, dass er so seltsam reagiert hatte, aber sollte sie ihn wirklich darauf ansprechen? Was wenn er ihre Vermutung bestätigte, die so einiges auf den Kopf stellen würde. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was dies zu bedeuten hatte, weshalb sie sich auch weigerte diesen Gedanken zuzulassen. Bestimmt bildete sie es sich sowieso nur ein! Sie kannten sich doch schon eine halbe Ewigkeit, sie hätte sicher schon viel eher gemerkt, wenn sich etwas zwischen ihnen verändert hätte. Ihre Beziehung war nicht so kompliziert, wie die zwischen Taichi und ihr. Jedenfalls versuchte sie sich das vor Augen zu führen. Gab es möglicherweise Signale, die sie nicht gesehen hatte? Die sie nicht sehen wollte? Sie atmete hörbar aus als sie das Schultor erreichte und überrascht aufblickte. „Was machst du denn noch hier?“, fragte sie verwundert und blickte ihr Gegenüber überrascht an. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte sich gegen einen der Pfosten, so als würde sie auf jemanden warten. „Ich? Ich warte schon eine halbe Ewigkeit auf dich!“, untermauerte sie energisch und löste ihre angespannte Haltung, indem sie ein paar Schritte auf sie zuging. „Hast du meine Nachricht nicht bekommen?“ „Nachricht?“, fragte Mimi verwirrt und holte augenblicklich ihr Handy hervor, doch sie schüttelte nur den Kopf. „Doch keine SMS! Den Brief, den ich dir ins Schließfach gesteckt habe“, klärte sie sie auf, während Mimis Gesichtszüge entglitten. Der Brief war von ihr?! Was hatte das nur zu bedeuten? „Was? Von dir war dieser Liebesbrief?“, brüllte sie lauter als gewollt und lief prompt rot an, nachdem sie ihre Stimme auf dem Schulhof verhallen hörte. Einige Schüler, die noch einen Nachmittagskurs besuchten, drehten sich selbstverständlich nach ihr um, was Mimi mehr als nur peinlich war. Aber warum machte sie nur sowas? Was wollte sie ihr damit nur mitteilen? Jetzt verstand sie wirklich gar nichts mehr… _ „Du hast den Brief in den persönlichen Sachen deines Vaters gefunden?“, hakte Mimi fassungslos nach und beugte sich auf ihrer Schaukel nach vorne. Kaori klammerte sich an der kühlen Kette der Schaukel fest und senkte schuldbewusst den Blick. Nachdem sie Mimi die Ausgangslage erklärt hatte, hatten sich die beiden Mädchen darauf geeinigt gemeinsam einen ruhigeren Ort zum Reden aufzusuchen. Ursprünglich hatte Kaori ihr noch einen Zettel an den Liebesbrief heftet, der jedoch in der Unordnung ihres Spints scheinbar verloren gegangen war. Eigentlich hatte sie auch schon eher vorgehabt mit Mimi zwischen den Unterrichtsstunden zu reden, doch dass, was sie ihr zu erzählen hatte, sollte niemand anderes mitbekommen, weshalb sie sich für diesen Weg der Nachrichtenüberbringung entschieden hatte. Langsam gab für Mimi auch alles viel mehr Sinn. Sie hatte die Handschrift keiner bekannten Person zuordnen können und auch im Nachhinein fiel Mimi auf, wie alt das Stückchen Papier bereits aussah. Dennoch verstand sie nicht so ganz, was all das mit ihr zu tun hatte? Ein Liebesbrief, der über zwanzig Jahre auf dem Buckel hatte? Warum sollte sie sowas interessieren? „Es ist nicht der einzige Brief den ich gefunden habe“, murmelte Kaori mit bebender Stimme. „Deine Mutter hieß mit Mädchennamen Ibana, oder?“ Überrascht über diese Frage, brachte Mimi nur ein Nicken zustande, da sie sich immer noch nicht vorstellen konnte, auf was sie hinauswollte. Doch Kaoris ganzer Körper spannte sich an, während sie die Finger um die Ketten der Schaukel versteifte. „Ich habe eine ganze Kiste mit Briefen an deine Mutter gefunden. Ich weiß nicht, ob er sie angeschickt hatte oder nicht, a-aber…er…er hat sie datiert.“ „Datiert?“, fragte Mimi nach als ihr Kaoris verkniffener Blick auffiel, der ihr irgendwie Angst machte. Ihr Herz klopfte plötzlich wie wild gegen ihre Brust, auch wenn sie noch nicht mal wusste, was Kaori ihr zu sagen hatte. „I-Ich habe sogar Emi sofort angerufen, aber sie war stinksauer gewesen, weil ich sie wohl aus dem Bett geklingelt hatte. Sie hat mir noch nicht mal zugehört…aber ich…“, die Ernsthaftigkeit war aus ihrer Stimme herauszuhören, was Mimi deutlich beunruhigte. Sie wurde ganz hibbelig und es fiel ihr schwer auf der Schaukel noch ruhig sitzen zu bleiben. Was war heute nur los? Erst Izzy und dann das? Wollte sie etwa irgendwer bestrafen, weil sie zurzeit so glücklich war?! „Kaori, jetzt spuck es schon aus!“, drängelte Mimi sie energisch und klang harscher als sie eigentlich wollte. Doch scheinbar zeigte es die entsprechende Wirkung, da Kaori die Lippen kräuselte und weitererzählte. „Mein Vater hat deiner Mutter über vier Jahre regelmäßig Briefe geschrieben. Von 1983 bis 1987! Er hat ihr ewige Liebe geschworen und sich dafür entschuldigt wie alles gelaufen ist. Meine Eltern waren da schon längst verheiratet gewesen und meine Schwester war damals auch schon auf der Welt! Ich verstehe das alles nicht! Was hat das zu bedeuten? Warum hat er ihr all die Jahre geschrieben und plötzlich dann nicht mehr?“, fragte sie sich und atmete unruhig. In Mimis Gesicht spiegelte sich blankes Entsetzen wieder. Ihr Puls beschleunigte sich und kalter Schweiß breitete sich aus, wenn sie an die Kiste mit den Fotos dachte. Die Fotos, auf denen ihre Mutter nicht mit ihrem Vater zu sehen waren. Die Fotos, die für sie eine Vergangenheit darstellten, die möglicherweise präsenter war als Mimi anfangs glaubte. „Hatten die beiden etwa all die Jahre noch was miteinander oder was?“, warf Kaori fragend in den Raum, doch Mimi konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ihr ganzer Körper stand unter Schock, je länger sie darüber nachdachte. 1987. Sie presste die Lippen fest aufeinander als ihr klar wurde, dass diese Zahlenfolge viel mehr bedeutete als nur eine einfache Jahreszahl. Es war das Jahr, indem ihre Eltern geheiratet hatten… Kapitel 37: Schweigsame Gefährten --------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Okay und du glaubst wirklich, dass wir das hinbekommen werden? Ich bin echt eine Niete im Backen! Das Talent habe ich tatsächlich von meiner Mutter geerbt“, führte er ihr besorgt vor Augen und begutachtete die Backutensilien, die sie auf der Theke platziert hatte sehr skeptisch. Mimi legte den Kopf schief und grinste vor sich hin. „Aber das Dorayaki hat doch auch geschmeckt“, erinnerte sie ihn. „Da hat mir Kari aber auch geholfen! Und das letzte was ich will, ist meinen besten Freund an seinem Geburtstag zu vergiften“, antwortete er theatralisch und fuhr sich hektisch durch seine abstehenden Haare. Er fragte sich ernsthaft auf was er sich hier nur eingelassen hatte. Er und backen? Diese Frau verleitete ihn zu Dingen, die er sich im Traum nie vorstellen konnte. Aber er wusste auch, warum sie all das für ihn tat. Er machte eine schwere Zeit durch, auch wenn er es am liebsten verdrängen wollte. In den letzten Wochen hatte sich viel verändert. Sowohl bei seinen Freunden, als auch bei ihm Zuhause. Sein Vater hatte sich noch während seinem Krankenhausaufenthalt dazu entschieden sich einer stationären Entgiftung zu unterziehen. Er befand sich daher zurzeit in einer Klinik in der Nähe von Kusatsu, um sich dort nicht nur zu erholen, sondern auch dem Alkohol den Kampf anzusagen. Jedoch war sich Taichi nicht sicher, ob diese Entscheidung eine Freiwillige war. Kurz bevor er das Krankenhaus verlassen hatte, hatte Taichi ein Gespräch zwischen seinen Eltern mitbekommen, indem seine Mutter klar und deutlich formulierte, dass es so nicht weitergehen würde. Natürlich konnte dies vieles heißen, aber Taichi war sich sicher, dass sie seinem Vater tatsächlich die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Seit dem Vorfall hatte Taichi auch kaum ein Wort mit seinem Vater gewechselt, weil er einfach nicht wusste, wie er das Gespräch mit ihm beginnen sollte. Auf der einen Seite war er besorgt gewesen, auf der anderen Seite spürte er noch immer die pure Verachtung, die sich um sein Herz gelegt hatte. Er wusste nicht, ob er ihm all das verzeihen konnte. Aber er musste es auch nicht heute entscheiden. Erstmal sollte sein bester Freund im Fokus stehen, der seinen achtzehnten Geburtstag feiern wollte. Mittlerweile wussten auch ihre restlichen Freunde über das Baby Bescheid, was in der kleinen Gruppe gemischte Reaktionen auslöste. Vielen waren im ersten Moment geschockt gewesen, was sich jedoch innerhalb kürzester Zeit wieder legte. Davis fragte sogar, wann er dem Baby, die erste Nudelsuppe zubereiten durfte, was Sora sehr amüsierte und zum Lachen brachte. Mittlerweile sah man bereits ihren kleinen Babybauch, denn sie auch in der Schule nicht mehr allzu lange verstecken konnte. Zwar versuchte sie es durch eine weitere Uniform zu kaschieren, aber auch ihr war bewusst, dass dieses Versteckspiel bald enden würde. „So, ich glaube wir haben alle Zutaten“, meinte Mimi stolz und zog sich die Schürze über, die sie sich extra bereitgelegt hatte. „Muss ich etwa auch sowas anziehen?“, hakte Taichi mit angezogener Augenbraue nach und sah bereits, dass sie auch für ihn eine Schürze besorgt hatte. „Naja, wenn du Flecken bevorzugst, dann zieh halt keine an“, zog sie ihn auf und fixierte ihn mit einem herausfordernden Blick. „Aber ich garantierte für keine Küchenunfälle.“ Taichi murrte genervt, schnappte sich die Schürze und legte sie sich um. Er wollte gar nicht wissen, wie bescheuert er mit dem Ding aussah, aber Mimi lächelte zufrieden und beugte sich gespannt über ihr Backbuch, dass sie zusammen mit den Zutaten auf der Theke ausgebreitet hatte. „Mhm am besten fetten wir zuerst die Backform ein, bevor wir den Teig rühren. Dann vergessen wir das auch nicht“, schlug sie vor. Taichi schritt näher an sie heran, sodass ihr zartes Parfüm in seiner Nase leicht kitzelte. „Na, wenn du das sagst, dann wird es wohl stimmen“, flötete er rau und schmiegte sich näher an sie heran. Er legte die Arme um sie und küsste sanft ihren Hals, um ihr zu signalisieren, dass er eigentlich gar keine Lust zum Backen hatte. Was sprach dagegen, wenn sie einfach ein bisschen kuscheln würden? Ihre Eltern waren ja schließlich nicht da und sie hatten die Wohnung für sich. Es war die perfekte Gelegenheit ein paar romantische Momente zu zweit zu teilen…dieser dämliche Kuchen passte ihm so gar nicht in den Kram! Wahrscheinlich würde er bei seinem Glück noch Feuer fangen. Doch plötzlich drehte sich Mimi zu ihm und blickte ihn finster an. „Wir haben noch einiges zu tun, gekuschelt wird später“, erwiderte sie schnippisch und schnappte sich die Backform. Taichi stöhnte nur genervt und folgte widerwillig ihren Anweisungen. _ „Hast du auch alles eingepackt?“, fragte sie abermals als sie bereits vor Yamatos Wohnblock angekommen waren. „Wie oft willst du mich das denn noch fragen? Wir haben das Geschenk und den Kuchen, mehr brauchen wir gar nicht“, erwiderte Tai belustigt und jonglierte die Kuchenplatte in seinen Händen, während Mimi die Tasche mit dem Geschenk schulterte. „Ich hoffe wirklich, dass du nur das eingepackt hast, was ich dir auch hingelegt habe“, sagte sie mit einem durchbohrenden Blick, während Taichi verlegen zu Boden schaute. „Aber natürlich! Mir würde niemals einfallen dir in den Rücken zu fallen“, gab er zurück und verkniff sich ein Grinsen, was Mimi jedoch kritisch beäugte. Bestimmt würde sie ihn hinterher umbringen, wenn Yamato sein Geschenk öffnete, aber diesen Spaß konnte er sich einfach nicht verkneifen. Gemeinsam schritten sie die Treppen zur Wohnung hoch und Taichi war gespannt, ob die anderen bereits vor ihnen da waren. Heute wollten sie in einer sehr überschaubaren Runde feiern. Das Kuchenbacken hatte jedoch mehr Zeit in Anspruch genommen als Taichi eigentlich lieb war. Völlig abgehetzt hatten sie sich auf den Weg zu Yamato gemacht, während der Kuchen noch nicht mal mehr Zeit hatte anständig abzukühlen, was sich auch bei Taichis Fingern bemerkbar machte. Die Platte war nach wie vor noch sehr warm gewesen, doch aufgrund der zurückgehenden Temperaturen wollte er sich besser nicht beschweren. Kurz nachdem Mimi geklingelt hatte, öffnete ihnen auch bereits eine gutgelaunte Sora die Tür. Sie trug ein weites dunkelblaues Kleid, dass ihren kleinen Babybauch gut kaschierte. Für Taichi sah sie gar nicht wirklich schwanger aus, sondern als hätte sie einfach gut gegessen, auch wenn er genau wusste, dass ein kleiner Mensch heranwachsen würde. Dennoch fühlte sich alles noch so unwirklich an, sodass er diese bevorstehende Veränderung noch gar nicht wirklich begreifen konnte. „Also ich glaube nicht, dass er in den nächsten fünf Minuten noch größer wird, egal wie lange du darauf starrst“, brummte Sora belustig und Tai fiel auf, dass er bereits viel zu lange auf ihren kleinen Babybauch gestarrt hatte. „Sorry…“, murmelte Taichi entschuldigend, während Mimi leise seufzte. Sora lachte leise vor sich hin und fuhr sich durch ihre kurzen roten Haare. „Na los, kommt endlich rein, wir warten alle schon auf euch.“ „Siehst du, ich habe dir doch gesagt, dass wir die Letzten sein werden“, grummelte Taichi zu Mimi, während beide ihre Schuhe auszogen. „Ein guter Kuchen braucht eben Zeit“, flötete Mimi übertrumpfend und rümpfte ihre feine Nase. Bevor Tai etwas erwidern konnte, schnitt Sora ihm das Wort ab und zog beide am Ärmel in das Wohnzimmer, dass sie extra für die kleine Party hergerichtet hatten. Taichi stellte den Kuchen bei den restlichen Knabbereien ab und ließ seinen Blick durch die überschaubare Runde schweifen. „Na endlich, wo ward ihr denn? Habt ihr vor lauter Zweisamkeit die Zeit vergessen?“, scherzte Yamato süffisant grinsend. „Klappe, Ishida!“, raunzten beide synchron als Taichi einen Schritt auf seinen besten Freund zuging und ihm eine herzliche Umarmung schenkte. „Alles Gute zum Geburtstag, du sturer Esel.“ Auch Mimi umarmte ihn kurz und wünschte ihm alles Gute, während Tai bereits Izzy, Joe, Juro und Ryota begrüßte und sich zu ihnen setzte. „Wow, heute sind wir aber wirklich eine sehr kleine Runde“, stelle Joe fest. „Ja, die Jugend wird immer unzuverlässiger und sogar mein eigener Bruder hat mich im Stich gelassen. Das schmerzt schon sehr“, antwortete Yamato theatralisch und legte seine Hand erzürnt auf seine linke Brust. „Ach Yamato, sei nicht so eine Dramaqueen! Wir waren doch heute Mittag mit Takeru und deinen Eltern essen gewesen. Außerdem hat er heute ein Basketballspiel“, tadelte Sora ihn amüsiert. „Tja, unsere Geschwister machen wohl lieber ihr einiges Ding“, steuerte Taichi bei und musste automatisch an seine Schwester denken, die mit den anderen lieber zu Takerus Spiel gegangen war. Doch er konnte es ihnen auch nicht verübeln. Sie waren eben keine Kinder mehr, die man einfach unter einen Hut bekommen konnte. Sie befanden sich auf dem steinigen Weg des Erwachsenwerdens, der sowohl Höhen als auch Tiefen für sie bereithielt. „Sag mal ist Kaori gar nicht gekommen?“, fragte Mimi auf einmal und runzelte die Stirn. „Ähm, ihr ging es heute wohl nicht so gut“, warf Ryota in den Raum. „Wir wollten sie abholen, aber sie hatte uns kurzfristig abgesagt. „Verstehe…“, murmelte Mimi monoton und biss sich auf die Unterlippe, was Taichi nicht unbemerkt blieb. Sie sah plötzlich so nachdenklich aus. Fast schon ein wenig besorgt. Tai wusste, dass sie und Kaori sich angefreundet hatten, auch wenn sie anfangs gar nicht miteinander klarkamen. Doch ihm war auch schon seit ein paar Tagen aufgefallen, dass Mimi sich verdächtig ruhig verhielt. Er hatte versucht, sie unbemerkt darauf anzusprechen, allerdings hatte er so ein bisschen das Gefühl, dass sie seinen Fragen bewusst auswich. Und genau diese Tatsache ärgerte ihn. Allerdings konnte er ihr schlecht Vorwürfe machen, da er in den letzten Monaten ebenfalls nicht sonderlich ehrlich zu seinen Freunden war. Vor allem nicht zu sich selbst. Dennoch wollte er wissen, was seine Freundin so sehr bedrückte. Er konnte sich ja denken, dass sie ihn nach all dem nicht zusätzlich belasten wollte, aber sie wollten doch auch, dass diese Beziehung funktionierte. Und das konnte nur klappen, wenn sie lernten zueinander aufrichtig zu sein, auch wenn es sicherlich nicht leicht werden würde. _ Nach und nach entwickelte sich Yamatos Geburtstagsfeier doch zu einer kleinen geselligen Runde. Es wurde gegessen, sich locker unterhalten und die ersten Geschenke wurden ebenfalls ausgepackt. „Oh, noch ein Baby-bezogenes Buch…also ich frage mich echt wer hier Geburtstag hat, der Kleine oder ich?“, lachte Yamato und fuhr sanft über Soras Bauch. „Der Kleine? Wisst ihr etwa schon was es wird?“, hakte Mimi neugierig nach und man konnte förmlich spüren, wie ihre Augen immer größer wurden. „Also bisher ist unser Kind darin ein bisschen zickig, da es nie so liegt, dass man etwas sehen könnte, aber anscheinend ist es für Yamato bereits ein Junge“, erwiderte Sora nickend und fuhr liebevoll über Yamatos Hand. „Also wenn es so zickig ist, kann es eigentlich nur ein Mädchen sein. Da bin ich mir ziemlich sicher“, meinte Mimi bestätigend. „Ich wäre für einen Jungen, dem kann man wenigstens Fußballspielen beibringen.“ „Als ob er Fußballer werden würde, bestimmt würde er eher zur Gitarre greifen als zu einem Ball.“ „Woher willst du das denn wissen? Sora hat doch früher auch Fußball gespielt und da Sora definitiv die Hosen anhat, wäre es nicht verwunderlich, wenn er oder sie nach ihr kommen würde“, erklärte Taichi seine logischen Ausführungen. „Du weißt schon, dass das absolut keinen Sinn macht. An deiner Stelle würde ich lieber nochmal nachdenken.“ Mimi verzog das Gesicht und schüttelte nur den Kopf. „Also manchmal machst du dich echt unbeliebt, Taichi“, murrte Yamato, während der Rest laut losprusten musste. „Echt unglaublich das ihr Eltern werdet“, meinte nun auch Joe, der die Neuigkeit erst vor kurzem erfahren hatte. „Naja, geplant war es jedenfalls nicht gewesen, aber mittlerweile freuen wir uns auch auf ihn oder sie. Es ist nicht der perfekte Zeitpunkt, aber wir schaffen das schon“, sagte Sora optimistisch und blickte Yamato hoffnungsvoll an, der ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe gab. „Und notgedrungen habt ihr wirklich genügend Babysitter“, führte Ryota ihnen vor Augen. „Da bleibt auch Zeit für romantische Stunden zu zweit.“ Er legte ein zweideutiges Lächeln auf, dass jedoch nur eins bedeuten konnte. Taichi schüttelte belustig den Kopf, da Ryota scheinbar den gleichen Humor teilte wie er selbst. „Hey, wie wäre es, wenn du jetzt unser Geschenk auspackst“, schlug Taichi vor und kramte das bunte Päckchen hervor, dass er wenige Stunde vor der Party mühevoll verpackt hatte. Der Inhalt war wirklich nichts Besonderes, da Mimi und er wohl genauso Kreativlos wie alle anderen waren und etwas für das Baby gekauft hatten. Sie hatten sich für eine Rassel und ein leeres Fotoalbum entschieden, dass man mit den ersten Schnappschüssen des Babys füllen konnte. Allerdings hatte sich Taichi dennoch einen kleinen Zusatz überlegt, der sicherlich auch seinen Zweck erfüllen würde. Sein Grinsen wuchs ins Unermessliche als Yamato das Papier öffnete und die ersten Geschenke hervorkramte. Mimi sah ihn irritiert an und verzog die Augen zu Schlitzen. „Was grinst du denn so dämlich?“, flüsterte sie ihm zu, doch Taichi zuckte nur unschuldig mit den Schultern, als Yamato sein zusätzliches Geschenk auch schon entdeckt hatte. „Ähm, ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll“, erwiderte Yamato fast schon mechanisch, während Sora ihm neugierig über die Schulter linste und ihre Gesichtszüge augenblicklich einfroren. „Was soll das denn?“, quietschte sie erbost und hielt die Verpackung hoch. Taichi lachte sofort drauf los, Izzy und Joe sahen sich völlig perplex an, während Juro unbeeindruckt in die Runde guckte. „Alter, sind das Kondome?“, fragte Ryota spitzfindig und musste ebenfalls laut lachen. Mimi hingegen blies die Wangen auf und warf einen strafenden Blick zu Taichi, der sich bereits die ersten Tränen aus dem Augenwinkel wusch. „Das ist doch nicht dein Ernst?! Wann hast du die denn reingeschmuggelt?“, fragte Mimi fassungslos und schlug ihm gegen den Arm, was ihm jedoch nicht allzu viel ausmachte. „Naja, du kannst deine Augen wohl nicht überall haben und es soll doch nur ein kleiner Scherz sein. Kommt schon, das ist doch witzig“, versuchte sich Taichi zu erklären. „Also du hast wirklich eine sehr eigene Definition von ‚witzig‘“, gab Yamato zu bedenken, dem das Lachen urplötzlich vergangen war. Sora hatte sich unter ihrem Haarvorgang versteckt und hielt die Kondomverpackung immer noch in Händen als auch Taichi bemerkte, dass sein Witz doch recht unangebracht schien. Seine beste Freundin hatte sich noch immer nicht geregt und er hatte schon Angst, dass sie in Tränen ausgebrochen war. „Hey Sora…das war wirklich…“ „Schusch“, knurrte Mimi erbost und beugte sich zu Sora rüber. „Es tut mir so leid, ich hatte keine Ahnung, dass er so etwas einpackt. Er...“ Doch dann hob Sora stirnrunzelnd den Kopf an. „Tai, die sind seit über einem Jahr abgelaufen! Sag mir bitte nicht, dass du davon noch welche benutzt hast?!“ Taichi klappte augenblicklich der Mund auf, da er mit so einer Reaktion überhaupt nicht gerechnet hatte. „Ähm, ich…die können ablaufen?“, fragte er nervös. Mimi schlug mit der flachen Hand gegen ihre Stirn, während sich nun auch Sora nicht mehr halten konnte und laut loslachen musste. „Wir sind wohl nicht die einzigen hoffnungslosen Fälle“, gab Sora kichernd zu bedenken, während Taichis Gesicht dem einer Tomate glich. Verdammt, da hatte sie ihn wohl eiskalt erwischt. Die Schamesröte belegte sein ganzes Gesicht als Sora ihm die Verpackung in die Hand drückte und dankend zurückgab. „An deiner Stelle würde ich lieber ein paar Neue kaufen, nicht das wir bald eine Krabbelgruppe aufmachen können“, sagte sie mit fester Stimme und streifte mit ihrem Blick kurz Mimi, die Taichi immer noch kopfschüttelnd ansah. „Oh man, du bist so peinlich“, gab sie zu und fuhr sich über ihr Gesicht. „Naja, dann bleibt es heute Abend wohl nur bei kuscheln“, schloss sich Yamato ebenfalls an und seine ernste Miene erweichte sich wieder und eine lockere unbeschwerte Stimmung legte sich über die kleine Gruppe, während Taichi einsah, dass er sich wohl ein Eigentor geschossen hatte. Ryota, der sich vor Lachen gar nicht mehr ein bekam, fiel fast vom Stuhl und konnte sich gerade noch an seinem Bruder festhalten, der alles mit einem abgeklärten Blick verfolgte. Auch Izzy und Joe grinsten sich gegenseitig an, während seine Freundin wohl am liebsten im Erdboden versunken wäre. „Okay, jetzt beruhigen wir uns aber alle mal wieder! Es wird Zeit den Kuchen anzuschneiden“, beschloss Yamato euphorisch und wandte sich Mimis Meisterwerk zu, den die beide mit sehr viel Liebe gebacken hatten. _ „Manchmal bist du so unfassbar peinlich. Ich habe dir gesagt, dass das nicht witzig ist“, maulte Mimi, während sie sich auf dem Nachhausweg befanden. „Und ich habe dir schon gesagt, dass es mir leidtut, ich habe nicht nachgedacht“, gab Taichi offen zu. „Das habe ich gemerkt. Sora wird mich damit bestimmt ewig aufziehen.“ „Dich? Wohl eher mich. Schließlich bin ich derjenige, der abgelaufene Kondome im Nachtschrank hatte.“ Mimi seufzte laut und rieb sich über die Augen. „Ja, ich weiß und ich bin immer noch schockiert darüber.“ Taichi verzog das Gesicht. Es war ja nicht so, dass er sie benutzt hatte. Schließlich hatte er ja schon eine längere Zeit keinen Sex mehr gehabt, aber welcher Mann gab sowas gerne zu? Er wartete eben auf die perfekte Gelegenheit, die einfach nicht kommen wollte. Es war nicht so, dass die beiden sich nicht näherkamen, aber dennoch schien ihn irgendetwas zu blockieren. Seine Freunde wussten mittlerweile über ihre Beziehung Bescheid und freuten sich auch für die Beiden, aber er hatte immer mehr das Gefühl, dass sie ein bisschen feststeckten. Es war so viel passiert. Er hatte ihr so viel zugemutet und jetzt wo sie die unbeschwerte Zeit genießen sollten, konnte er es nicht. Seine Gedanken kreisten immer noch um seinen Vater, die angespannte finanzielle Situation sowie die Angst in dieser neuen Beziehung zu versagen und endgültig ihre Freundschaft zu riskieren. Er hatte mit Mimi noch nie darüber gesprochen gehabt, weil er die Befürchtung hatte, dass sie es in den falschen Hals bekommen könnte. Er verstand auch nicht, warum er sich über all das so viele Gedanken machte, schließlich verbrachten sie ja wundervolle Momente miteinander, die jedoch durch den Schatten der Vergangenheit getrübt wurden. „Ist alles in Ordnung? Du siehst so nachdenklich aus…“, stellte Mimi sorgenvoll fest. Da war es wieder. Dieses besorgte Gesicht, dass sie seit dem Krankenhausaufenthalt seines Vaters immer mal wieder an den Tag legte. Er konnte es nicht mehr sehen. Er wollte, das sie glücklich war und sich nicht von seinen Sorgen zerfressen ließ. Ein müdes Lächeln zog sich über sein Gesicht als er ihre Hand ergriff und seine Finger mit ihren verschränkte. „Es ist alles in Ordnung! Mach dir keine Gedanken“, erwiderte er schwach und zog sie plötzlich in seine Arme. Er wollte einfach ihre Nähe spüren, ihren Duft einatmen und ihre süßen Lippen schmecken. Mimi blickte ihn mit großen Augen an und schien nicht einschätzen zu können, auf was er hinauswollte. Doch er streichelte ihr beruhigend über die Wange und lächelte leicht dabei als er sich zu ihr hinunter beugte und ihr einen sanften Kuss auf die Nasenspitze gab. „Lass uns jetzt einfach nach Hause gehen“, murmelte er ihr entgegen, während sie ein leichtes Nicken zu Stande brachte. Manchmal waren Worte einfach zu viel, auch wenn Reden der Schlüssel zum Verständnis war. Kapitel 38: Geheime Verbindungen -------------------------------- ♥ Mimi ♥ „Spürst du eigentlich schon etwas?“, fragte Mimi neugierig während sie langsam und vorsichtig den Teig ausrollte. Sora lehnte sich gegen die Küchenzeile und griff nach einem Ausstechförmchen, die Mimi extra für das Backen bereitgelegt hatte. Mittlerweile war es bereits Anfang Dezember und die weihnachtliche Vorfreude hatte sie förmlich überrollt, sodass sie sich spontan zum Plätzchen backen verabredet hatten. „Nicht wirklich, manchmal bilde ich mir ein etwas zu spüren, aber vielleicht sind das einfach nur Magenschmerzen vom vielen Durcheinanderessen“, berichtete Sora schulterzuckend. „Ich wäre nur froh, wenn wir endlich erfahren, was es ist. Ich hoffe, dass wir heute endlich mehr erfahren.“ Mimi nickte verständlich, da Sora und Matt immer noch quasi im Dunkeln tappten, da sich das Baby immer ungünstig gelegt hatte, wenn der Arzt ihnen das Geschlecht mitteilen wollte. Heute hatte sie den nächsten Termin und Matt wollte sie später bei ihr abholen kommen, um gemeinsam zum Arzt zu gehen. Mimi war schon wahnsinnig gespannt, ob ihre beste Freundin einen Jungen oder ein Mädchen erwartete. Noch hatte sie sich sehr zurückgehalten, einen süßen Strampler für das Baby zu kaufen, weil ihr die meisten geschlechtsneutralen Kleidungsstücke einfach nicht gefielen. Und Mimi tendiere einfach zu Team Rosa. Ihre Gruppe brauchte dringend weibliche Unterstützung, auch wenn das Baby in erster Linie natürlich gesund zur Welt kommen sollte. „Joe war übrigens ein bisschen eingeschnappt gewesen, weil er es als Letzter erfahren hatte“, erzählte Sora munter weiter und drückte die Sternform in den weichen Teig. „Auch das mit dir und Tai.“ Mimi runzelte augenblicklich die Stirn und strich sich eine störende Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, hinter ihr Ohr. „Naja, das zwischen uns ist ja auch noch nicht so lange offiziell“, gab sie kleinlaut zu, auch wenn die anderen tatsächlich viel früher davon erfahren hatten. Kari hatte es schon vor dem Krankenhausaufenthalt ihres Vaters geahnt gehabt, während Yolei ihr „Ich habe es gleich gewusst“, ins Ohr geträllert hatte. Die anderen hatten es nach und nach erfahren, da sie sich auch nicht länger verstecken wollten. Selbst ihre Eltern wussten bereits Bescheid, die jedoch diese Nachricht sehr zwiespältig aufgenommen hatten. Ihre Mutter hatte es sich nicht nehmen lassen, Taichi prompt zu ihrem weihnachtlichen Familienessen einzulassen, während ihrem Vater diese Entwicklung deutlich zu schnell ging. Zwar hatte er nichts gesagt, aber Mimi konnte seinen Blick ziemlich genau deuten, der alles andere als Begeisterung ausstrahlte. Aber sie konnte ihn auch irgendwie verstehen. Es war noch nicht allzu lange her, wo sie ihm niedergeschlagen von dem Beziehungsaus mit Makoto berichtet hatte und jetzt schwebte sie wieder auf Wolke sieben? Sie schluckte. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihr breit als sie in Grübeln kam und nachdenklich den Teig betrachtete. „Ist alles in Ordnung? Du siehst plötzlich so traurig aus“, stellte Sora besorgt fest und strich ihr sanft über ihre linke Schulter. „Naja…“, druckste sie eintönig und wich den neugierigen Blicken ihrer Freundin konsequent aus, was sie doch zu bemerken schien. „Ist etwas zwischen dir und Tai vorgefallen?“, fragte sie schließlich und die Verbitterung kroch in Mimi hoch. Etwas vorgefallen? Genau das war doch das Problem! Genau genommen steckten sie fest und ein weiterer Schritt in ihrer Beziehung lag in weiter Ferne. War es denn nicht normal, dass man sich in einer Beziehung auch körperlich näherkam oder sah sie es einfach viel zu extrem? Sie wusste ja, was er durchgemacht hatte und die Sache mit Kaori nagte ebenfalls an ihrem Gewissen. Es fühlte sich irgendwie falsch an ihre Eltern hinter ihrem Rücken auszuspionieren, doch Kaori schien ihr Ziel nicht mehr aus den Augen zu verlieren und hatte sich sogar mit ihrer Schwester zerstritten, weshalb sie auch nicht zu Yamatos Geburtstagsfeier gekommen war. Sie hatte Mimi erzählt, dass ihre Schwester Emi und sie an diesem Tag miteinander geskyped hatten. Kaori hatte ihr von dem Inhalt der Briefe erzählt, die sie immer noch durcharbeitete, aber Emi schien die ganze Sache nur wenig zu interessieren, weshalb das Gespräch zwischen den beiden auch im Streit endete. Heute wollte Kaori auch noch bei ihr vorbeikommen, um einige Briefe durchzusehen, auch wenn Mimi nur wenig Lust darauf hatte. „Erde an Mimi“, ertönte plötzlich die Stimme von Sora, die sie die ganze Zeit angestarrt hatte. „Was ist denn nur los mit dir? Du scheinst völlig durch den Wind zu sein.“ Sora legte den Kopf schief und musterte Mimi besorgt, die sich in die Ecke gedrängt fühlte. „Ach Sora, was soll ich denn sagen? Es läuft halt alles nicht so super“, brach plötzlich aus ihr hervor, was Sora einen überraschten Blick entlockte. „Was? Das kann ich mir gar nicht vorstellen! Ihr seid doch ein Herz und eine Seele.“ „Ja, dass schon, aber…“ „Aber was?“, hakte Sora sofort nach. Mimi presste die Lippen aufeinander und ihr wurde augenblicklich unangenehm heiß. Sie schloss die Augen und schluckte schwerfällig, da sie nicht glauben konnte, welche Worte auf ihrer Zunge praktisch brannten. „Wir hatten noch keinen Sex und er macht auch nicht die Anstalten irgendwas in der Richtung mit mir zu tun“, eröffnete sie ihr leise und wollte am liebsten vor Scham im Erdboden versinken. Was Sora jetzt wohl von ihr dachte? Dass es ihr nur um Sex ginge? Ach, warum war das alles nur so kompliziert? Konnte es nicht einmal einfach laufen? „Ach du meine Güte Mimi, sowas passiert meist, wenn du es am wenigstens erwartest und er hatte ja auch keine leichte Zeit. Du weißt doch, was mit seinem Vater los war und da wird sich einfach noch keine Gelegenheit ergeben haben, nicht wahr?“, formulierte sie als Frage und sah Mimi durchdringend an. Sie streifte jedoch ihren Blick nur kurz, da es sicher schon mehr als eine Gelegenheit gab, in denen sie hätten miteinander schlafen können. Doch er ging immer nur bis zu einer gewissen Grenze, aber nie über sie hinaus. Sie müsste leugnen, wenn sie es nicht schön fand, aber sie wünschte sich mehr. „Das weiß ich Sora, aber ist es so falsch, dass ich mir einfach mehr Intimität wünsche? Ich mein, es ist ja nicht so, dass wir noch nie an diesem Punkt waren“, murrte sie verletzt und riss die Augen weit auf. Sora legte ein mildes Lächeln auf und legte die Ausstechform beiseite, um sich Mimi voll zuwenden zu können. „Ich weiß. Aber du solltest dich da nicht unter Druck setzen, da es dafür einfach kein richtig oder falsch gibt. Du solltest einfach mit ihm reden und ihm auch offen sagen, was du dir wünschst.“ Mit ihm reden? Dachte sie wirklich, dass es so einfach war? Nicht, dass es Tai noch als Vorwurf auffassen würde…denn das wollte sie auf keinen Fall. „Aber es hat doch schon mal nicht funktioniert und dann hat er sich auch einfach eine andere gesucht, statt mit mir…naja du weißt schon“, seufzte sie niedergeschlagen und gab das erste Mal zu, was ihr wirklich Kopfschmerzen bereitete. Sie hatte Angst, dass es nicht funktionieren könnte… „Ach Mimi“, sagte Sora behutsam und legte den Arm um sie. „Wir haben doch damals schon so oft darüber gesprochen gehabt. Es war eine sehr verzwickte Situation für ihn und er wollte deinen Zustand damals nicht ausnutzen. Aber jetzt ist das doch ganz anders.“ „Aber trotzdem hat er damals mit dieser anderen geschlafen und ich habe langsam das Gefühl, dass er mit mir gar nicht schlafen will“, erwiderte sie trotzig, auch wenn ihr Soras Worte bekannt vorkamen. Tai selbst hatte sie schon an sie gerichtet, doch irgendwie fiel es ihr schwer sie zu glauben. Sie konnte gar nicht verstehen warum. Vielleicht weil er zu ihr gesagt hatte, dass das erste Mal etwas Besonderes sein sollte und er diesen besonderen Moment mit einem unbekannten Mädchen erlebt hatte. Und deswegen konnte sie es auch so schwer akzeptieren, auch wenn sie wohl ihre eigene Jungfräulichkeit genauso weggeworfen hatte wie er. „Rede einfach mit ihm. Nur so könnt ihr eure Kommunikationsprobleme beheben“, riet Sora ihr und drückte sie fest, bevor sie sich wieder dem gemeinsamen Backen zuwandten. Mimi biss sich währenddessen auf die Unterlippe, da sie wusste, dass Sora Recht hatte, aber ihr dennoch dieser Schritt so unglaublich schwerfiel. Auch wenn Ehrlichkeit das beste Rezept für eine gesunde Beziehung war. _ Nachdem Sora von Yamato abgeholt wurde, dauerte es tatsächlich nicht lange bis Kaori bei ihr aufschlug und tatsächlich alle Briefe in einem Schuhkarton mitgebracht hatte. Zum Glück verbrachten ihre Eltern das Wochenende nicht zuhause, da ihr Vater anscheinend die unzähligen Überstunden bei ihrer Mutter durch ein Wellnesswochenende wiedergutmachen wollte. Und es war ihr auch ganz Recht, dass dieses Thema so wenige wie möglich mitbekamen. Sie konnte nicht verstehen, warum Kaori sich so hineinsteigerte und ihr seit einer halben Stunde sämtliche Briefe laut vorlas, um nach jeder Zeile erneut einen Wutanfall zu zelebrieren. „Ich weiß, dass ich einen Fehler begangen habe, den ich nicht wieder gut machen kann. Ich würde mir wünschen, dass ich die Zeit zurückdrehen und wir von vorne anfangen könnten“, las sie laut vor und schnaubte augenblicklich. Mimi saß auf einem der Küchenstühle und lehnte sich seufzend zurück. Wie lange sollte dieses Trauerspiel noch gehen? Und vor allem, was wollte sie damit bezwecken? „Okay, von welchem Fehler spricht er? Und hast du gehört, er will die Zeit zurückdrehen! Der Brief ist von 1986! Kannst du das fassen?!“ Sie atmete unruhig und presste wütend die Lippen aufeinander, während sich Mimi immer unwohler in ihrer Haut fühlte. „Kaori, das sind doch nur Briefe, die eine Ewigkeit alt sind. Ich verstehe nicht, warum du dich da so reinsteigerst! Wir haben doch schon vermutet, dass sie mal ein Paar waren“, gab Mimi zu bedenken, auch wenn der Inhalt und der Zeitraum der Briefe bei ihr ein mulmiges Gefühl hinterließen. Es war schon komisch, dass Kaoris Vater ihrer Mutter so lange regelmäßig Briefe schrieb und nach der Hochzeit ihrer Eltern abrupt damit aufhörte. Hatte er sich etwa all die Jahre Hoffnungen gemacht? „Du klingst wie meine Schwester! Die nimmt das Ganze auch nicht ernst, obwohl sie eigentlich wissen müsste, was das für unsere Familie bedeuten würde“, antwortete Kaori fast schon panisch, bevor sie sich auf dem Platz gegenüber von Mimi niederließ. Sie ließ den Brief auf den Tisch sinken und raufte sich verzweifelt die Haare. Resigniert beugte sich Mimi zu Kaori. „Ich kann dich ja verstehen, aber wir sollten uns da echt nicht einmischen. Wir wärmen da sicher nur alte Kamellen auf.“ Kaori hob sofort den Kopf an und sah sie mit einem unergründlichen Blick an, den Mimi überhaupt nicht richtig einschätzen konnte. Sie wirkte so unfassbar traurig auf sie, dass sie erkannte, dass noch mehr hinter ihren Sorgen stecken musste als sie eigentlich zugab. „Ward ihr eine glückliche Familie?“, fragte sie auf einmal. Überrascht hob Mimi eine Augenbraue an und bewegte knackend ihren Kiefer hin und her. Sie musste nicht lange überlegen, um diese Frage beantworten zu können. „Ja, natürlich gab es auch mal Streit, aber wir haben immer zusammengehalten“, erinnerte sie sich und schwelgte für einen kurzen Moment in vergangenen Kindheitserinnerungen, die vor ihrem inneren Auge erschienen. Wie ihre Eltern sie an die Hand nahmen und wie einen Engel fliegen ließen oder wie ihr Vater ihren Sandkuchen, den sie als Vierjährige für ihn ‚gebacken‘ hatte, probierte. „Weißt du“, antwortete Kaori nach einer Weile. „Meine Familie war immer schon ein bisschen anders gewesen. Ich war noch sehr klein als meine Mutter gestorben war, aber ich habe auch immer dieses glückliche Bild einer Familie vor meinem inneren Auge, wenn ich an die Zeit zurückdenke. Und jetzt soll all das eine Lüge sein? Mein Vater hat einer anderen Frau seine ewige Liebe geschworen, obwohl er mit meiner Mutter schon verheiratet und Emi auf der Welt war.“ Ihre Augen waren ganz gläsern und Mimi konnte sich nicht erinnern, sie schon einmal so emotional erlebt zu haben. „Ich möchte einfach wissen, was das zu bedeuten hat und ob ich einfach nur ein Versöhnungskind war, um ihre kaputte Ehe zu retten.“ Mimis Augen weiteten sich als sie die volle Wucht von Kaoris Satz traf. Darum ging es ihr also. Sie wollte wissen, ob sie einfach nur ein Mittel zum Zweck war oder ob die heile Welt, in der sie einst glaubte zu leben, tatsächlich existierte. Mit einer schnellen Handbewegung fuhr sich Kaori über ihre Augenpartie, doch sie konnte sich nicht die Verzweiflung aus dem Gesicht wischen. „Kaori…“, murmelte Mimi zaghaft als ihr bewusst wurde, wie wichtig ihr die Wahrheit war. Und auch wenn sie sich vielleicht in Teufelsküche begab, konnte sie sie durchaus verstehen. Mimi krampfte die Finger ineinander, stand ruckartig auf und verschwand schnurstracks in das Zimmer ihrer Eltern. Sie öffnete die Kommode ihrer Mutter, setzte ihre Blusen vorsichtig auf dem Boden ab und entdeckte tatsächlich die Kiste, die sie vor ein paar Monaten eher zufällig gefunden hatte. Sie hob sie raus und begab sich wieder in die Küche, in der Kaori immer noch auf sie wartete. „Was ist das denn?“, hakte sie irritiert nach, nachdem Mimi die Kiste auf dem Tisch abgestellt hatte. Nachdenklich betrachtete sie die massive Holzkiste und versuchte das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend zu unterdrücken, dass ihr sagte, dass sie ihre Mutter gerade im Begriff war zu Hintergehen. „Darin habe ich die Bilder gefunden…“, eröffnete sie ihr schwer atmend, wohlwissend eine eindeutige Grenze zu überschreiten. Doch sie hatte keine andere Wahl. Kaori brauchte Antworten. Und wenn sie ehrlich war, brauchte sie sie auch. _ „Ich fass‘ es nicht, dass sie all das aufgehoben hat“, murmelte Mimi fassungslos und betrachtete die Bilder einer einst sehr harmonischen Beziehung. Kaoris Gesicht wurde immer bleicher, nachdem sie nach und nach die unzähligen Aufnahmen durchgeschaut hatten. Sie zeigten romantische Urlaube, die typischen Pärchenbilder und einige traditionelle Feste, die sie gemeinsam besucht hatten. Ihre Mutter wirkte so unfassbar glücklich auf sie, sodass sie Kaori immer mehr verstehen konnte. Ein seltsames Gefühl, dass ein rasendes Unwohlsein in ihr auslöste, durchzog ihren Körper und brachte sie zum Grübeln. Wenn sie so happy miteinander waren, warum hatten sie sich überhaupt getrennt gehabt? War ihr Vater nur die Notlösung gewesen? Mimi schluckte. Eine Notlösung. Augenblicklich musste sie an Makoto denken, den sie auch nur dazu benutzt hatte, um Taichi und ihre Gefühle für ihn zu verdrängen. Was wenn es hier genauso war? Was wenn, die ausgewogene Ehe ihrer Eltern auf einem Lügengerüst erbaut wurde und ihr Vater von all dem nichts wusste?! „Wow, ich glaube, ich weiß jetzt wie du dich fühlst“, meinte Mimi niedergeschlagen, während Kaori immer noch die einzelnen Bilder betrachtete. „Da muss doch noch mehr drin sein!“, erwiderte sie auf einmal und schnappte sich hysterisch die Kiste. Mimi beobachtete sie dabei, wie sie verzweifelt die letzten Fotografien und Polaroidschnappschüsse hervorholte, die jedoch immer das gleiche Bild abzeichneten. Das Bild einer überaus liebevollen Partnerschaft, dass ganz sicher nicht in die aktuelle Situation passte. „Ich glaube mehr ist da nicht drin! Es sind eben alte Erinnerungen. Vielleicht haben sie sich getrennt, weil sie sich in andere Menschen verliebt haben, sowas kommt doch vor“, versuchte sich Mimi zusammenzureimen, doch sie schenkte ihren eigenen Worten keinen Glauben. Kaori hingegen wirkte auf sie völlig verbissen. Sie inspizierte die leere Kiste von vorne bis hinten und drehte sie sogar auf den Kopf, um weitere Hinweise zu finden. Sie schüttelte sie heftig, während Mimi resignierte. „Kaori, hör auf damit! Das bringt doch…“ Weiter kam sie jedoch nicht, da sich plötzlich der Boden der Kiste ein Stück löste. „Ich wusste es doch“, sagte Kaori wissend, drehte die Kiste wieder herum und stellte sie auf den Tisch. „Der Boden hat sich irgendwie hohl angehört und meine Schwester hatte früher auch so eine Kiste gehabt, um ihre Tagebücher zu verstecken!“ Mimi runzelte nur die Stirn und blickte skeptisch zu Kaori, in die wohl Sherlock Holmes höchstpersönlich gefahren war. „Du hast die Tagebücher deiner Schwester gelesen?“, hakte sie nach, ohne auf Kaoris unbändigen Detektivdrang näher einzugehen. Sie war fuchsteufelswild, völlig verbissen endlich die Wahrheit herauszufinden. „Das spielt doch jetzt überhaupt keine Rolle!“, antwortete sie bissig. „Sowas besitzt man nur, wenn man etwas zu verbergen hat!“ Sie versuchte immer noch mit ihren Fingernägeln den abstehenden Boden zu lösen, doch ihre Hand zitterte so stark, dass Mimi nicht mehr länger hinsehen konnte. „Ach geh mal zur Seite! Ich habe viel längere Nägel als du“, informierte sie sie und hielt ihre Finger hoch, dessen Nägel sie in einem satten Pinkton lackiert hatte. Ohne zu zögern nestelte sie am Boden und schaffte es tatsächlich mit ihren Nägeln darunter zu greifen, auch wenn sie wohl Gefahr lief, dass ihr einer tatsächlich abbrechen könnte. Aber auch sie wollte die Wahrheit wissen, denn hier stank gewaltig etwas zum Himmel. Sie rüttelte etwas daran, sodass sich der Boden tatsächlich komplett löste und ein Geheimfach offenbarte. „Was ist das denn?“, fragte Mimi irritiert und blickte auf die Papiere, die sich darin befanden. Fragend drehte sie sich zu Kaori, die auch nur unwissend mit den Schultern zuckte. Etwas zögerlich holte Mimi den Papierstapel aus dem doppelten Boden hervor und drehte ihn angespannt auf die Vorderseite. Ihr Atem stockte abrupt und ihr Herz setzte aus als sie erkannte, was für Dokumente sie in Händen hielt. Ihr Blick wanderte über das Papier, das wohl mehrere Jahre in der Kiste versteckt war. Sie presste die Lippen fest aufeinander und spürte wie sich ihr trockener Hals schmerzvoll zusammenzog. Das konnte nicht wahr sein… Name: nicht eintragen. Geschlecht: Männlich. Geboren am: 10. Februar 1982. Vater: Nakamura, Fujitaka. Mutter: Ibana, Satoe. Mimi schüttelte fassungslos den Kopf als sie hilfesuchend zu Kaori sah, die jedoch mit ihren eigenen Tränen zu kämpfen hatte. Ruckartig drehte sie sich zur Seite, während Mimi wieder auf das Stückchen Papier blickte, dass ihr Leben für immer verändern würde… Kapitel 39: Frustrationsgrenze ------------------------------ ♥ Taichi ♥ Angespannt lief er durch sein Zimmer und knabberte immer wieder an seinem Daumennagel. Die Nervosität stieg ihm langsam zu Kopf und raubte ihm jeden klaren Gedanken. Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie er sich eigentlich fühlte. Tai war einfach zu unruhig, sein Herz klopfte wie wild und er fuhr sich immer wieder hektisch durch seine wilde Mähne. Er war alleine zu Hause und dennoch hatte er das Gefühl, dass ihm jeden Augenblick die Decke auf den Kopf fallen könnte. Sein Vater kam heute nach Hause. Drei Wochen befand er sich in einer stationären Entgiftung und hatte nur sehr spärlichen Kontakt zu seiner Familie gehabt, was Taichi jedoch gar nicht mal so schlecht fand, auch wenn er es ungern zugab. Er fühlte sich das erste Mal seit langem wieder zuhause wohl und konnte durchschlafen, was er vor dem Zusammenbruch seines Vaters nur bei Mimi geschafft hatte. Er konnte sich diesen Zwiespalt einfach nicht erklären. Einerseits freute er sich schon, dass sein Vater wieder nach Hause kam, andererseits hatte er Angst, dass alles wieder von vorne losgehen würde. Zwar hatte seine Mutter sämtliche alkoholischen Getränke entsorgt, aber sein Vater war erwachsen. Er könnte sich problemlos Bier oder Schnaps kaufen, da die Leute schließlich nicht wussten, dass er damit ein Problem hatte. Schließlich war die Bezeichnung „Alkoholiker“ nicht auf seine Stirn tätowiert, weshalb er allen auch solange etwas vormachen konnte. Deswegen hatte sich Tai auch dagegen entschieden gehabt, ihn gemeinsam mit seiner Mutter und Schwester abholen zu fahren. Noch immer konnte er ihm nicht ins Gesicht sehen, ohne die pure Verachtung für ihn zu spüren. Nein, er hatte ihm nicht verziehen. Er war sich noch nicht mal sicher, ob er es überhaupt jemals konnte. Es kam wohl darauf an, ob er tatsächlich etwas ändern würde oder die Entgiftung nur gemacht hatte, weil seine Mutter ihm mit Trennung drohte. Den ganzen restlichen Monat war er noch krankgeschrieben, um sich zu erholen. Taichi hatte sich schon gewundert, warum sein Chef ihn nicht einfach gefeuert hatte, da es um die Firma immer noch kritisch stand, aber sie sich im Moment tatsächlich auf dem Weg der Besserung befanden. Seine Mutter meinte, dass der Chef seines Vaters wohl in der eigenen Familie bereits mit Alkoholmissbrauch Erfahrung gemacht hatte, weshalb wohl auch viel Mitleid unterbewusst mitschwang, was Taichi jedoch noch wütender werden ließ. Wieso hatten plötzlich alle Mitleid mit ihm? Seine Familie hatte schließlich all das ebenfalls durchmachen müssen! Er schüttelte einfach nur den Kopf und setzte sich schwerfällig auf sein Bett. Mal wieder konnte er seine Gedankengänge nicht verstehen. Er wollte doch gar kein Mitleid, aber er wollte auch nicht, dass es seinem Vater zuteilwurde. Er hatte sich doch erst in die Situation gebracht, aber auch seine Mutter und Hikari schienen ihn in Watte einpacken zu wollen. Sogar sein Lieblingsessen hatten sie gekocht, nur damit er sich zuhause auch ja wohl fühlte. Gott, er war so froh, heute Abend außer Haus zu sein, da Yamato ihn zu seinem Abschlusskonzert eingeladen hatte. Sein bester Freund hatte tatsächlich eine Entscheidung getroffen! Eine Entscheidung, mit der Taichi niemals gerechnet hätte. Mit der Hilfe seines Vaters hatte Yamato bereits eine Ausbildungsstelle als Elektroniker gefunden und würde diese direkt nach seinem Abschluss antreten, um Geld für seine kleine Familie zu verdienen. Plötzlich ging alles so unfassbar schnell, sodass Taichi bemerkte, wie er einfach nur auf der Stelle trat. Nachdem das Stipendium geplatzt war, hatte er keinerlei Alternativen, außer eine Vorbereitungsuniversität zu besuchen, die ihm allerdings auch nicht viel bringen würde. Man sagte ja „Ohne Moos nichts los“ und er hatte niemals erwartet, dass dieser simple Spruch auch auf seine Zukunft zutreffen würde. Er wollte Politikwissenschaften studieren und ihm fiel es schwer eine Alternative in Form einer Ausbildung zu finden, weshalb er seine ganzen Hoffnungen in die Vorbereitungsuniversität legte. Vielleicht würde er hier irgendeine Möglichkeit finden, die ihn zufrieden stellte und ihm neue Wege eröffnete. „Taichi, wir sind wieder da“, hörte er auf einmal die Stimme seiner Mutter rufen. Ein leiser Seufzer löste sich von seinen Lippen als er behutsam aufstand und sein Zimmer widerwillig verließ. _ Er beugte sich runter, um seine Schuhe zu binden, da er es gar nicht erwarten konnte die Wohnung zu verlassen. Das Abendessen war einfach ein einziger Krampf gewesen und schlug ihm mal wieder auf seinen gesunden Appetit. Während sich seine Mutter und Hikari bemühten die Stimmung aufrecht zu erhalten, war seine bereits ins Bodenlose gefallen, nachdem sein Vater von seinen vermeintlichen Erfolgen berichtete. Er hatte seit 28 Tagen keinen Alkohol mehr angerührt und war sehr stolz auf sich, auch wenn Taichi wusste, dass die schwerste Aufgabe erst bevorstand. Denn nun befand sich sein Vater wieder in seinem Alltagstrott, der den Alkoholentzug sicher nicht einfacherer machte. Die Verführungen waren allgegenwärtig und sogar der kleine Supermarkt um die Ecke hatte eine reichhaltige Auswahl an alkoholischen Getränken, bei dem sein Vater leicht wieder schwach werden konnte. Und er ertrug es immer noch nicht mit ihm alleine zu sein, weshalb er die Wohnung auch schnellstens verlassen wollte. Zwar waren seine Mutter und Hikari nur schnell die Wäsche machen, doch er spürte wieder dieses beklemmende Gefühl, dass sich über seinen Brustkorb legte. „Du willst schon wieder gehen?“, fragte plötzlich die Stimme seines Vaters, die ein wenig enttäuscht klang. Taichi wandte sich ihm nur kurz zu, konzentrierte sich dann aber wieder ganz auf das Zuschnüren seiner Schuhe. „Matt hat ein Konzert und ich habe versprochen zu kommen“, antwortete er unterkühlt und stand auf. Er griff nach seiner Jacke und wollte sie sich gerade überziehen als er aus dem Augenwinkel heraus sah, wie sein Vater näherkam. Er schrak kurz zusammen und suchte den Abstand, den er einfach von ihm brauchte, um nicht völlig durchzudrehen. Er konnte seine Nähe nicht ertragen, egal wie sehr er sich auch bemühen würde. „Taichi…“, hörte er seinen Namen sagen. Seine Stimme klang brüchig und hallte quälend in seinen Ohren. „Es tut mir leid. Ich habe dir, deiner Schwester und deiner Mutter sehr viel zugemutet und ich weiß, dass du allen Grund hast, sauer auf mich zu sein. Aber ich werde mein Bestes versuchen, dass alles wieder in Ordnung wird“, versprach er zitternd, doch Taichi schenkte ihm nur einen fassungslosen Blick. „Das alles wieder in Ordnung wird?“, wiederholte er und fühlte die rasende Wut durch seine Adern pulsieren. „Wie willst du das machen? Du kannst deine Handlungen nicht mehr zurücknehmen! Und du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir einfach so verzeihen werde. D-Du hast mich gegen den Schrank geschubst und mir gesagt, d-dass Kari und ich nur eine B-Belastung sind“, erwiderte er von Trauer erfüllt. Er konnte selbst nicht fassen, dass er tatsächlich den Mut aufbrachte, offen mit ihm darüber zu sprechen, aber er war es leid geworden alles runter zu schlucken! „Du musst mir auch nicht verzeihen“, eröffnete er ihm, was Taichi verwunderte. „Ich weiß selbst, dass ich mir dein Vertrauen erst wieder verdienen muss. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich etwas verändern will. So will ich nie wieder sein und ich habe erkannt, dass ihr das Wichtigste in meinem Leben seid. Und ich will euch nicht verlieren!“ Seine Gesichtszüge wurden auf einmal ganz weich und Taichis fiel es schwer seine Wut gegenüber ihm aufrecht zu halten, auch wenn er sich dagegen sträubte. Er wollte nicht einknicken! Es musste doch jemanden in der Familie geben, der ihm die Stirn bot und ihm zeigte, wie inakzeptable sein Verhalten doch war! Daher durfte er sich nicht weichkochen lassen. „Okay gut, dann streng‘ dich an! Überzeugt bin ich noch lange nicht“, sagte er schweren Herzens und biss sich auf die Unterlippe, bevor er die Tür öffnete und ohne ein weiteres Wort an ihn zu verlieren, die Wohnung verließ. _ Die Atmosphäre im Club war stickig, da viele Fans von Knife of Day gekommen waren, um sich ihr letztes offizielles Konzert anzusehen. Denn Yamato hatte sich schweren Herzens dazu entschieden gehabt, die Band vorerst aufzugeben. Aufgrund der jetzigen Situation war Beständigkeit das, was er zum Leben brauchte. Er wollte sich auf die Abschlussprüfungen konzentrieren, um ohne Verzögerungen in den Berufsalltag einsteigen zu können. Auch Juro hatte sich dazu entschieden, sich bald seinem Jurastudium zu widmen, dass er direkt nach dem Abschluss beginnen konnte. Nur Ryota schien genauso planlos wie Taichi selbst zu sein. Und Kaori hatte, wie seine Freundin, noch ein ganzes Jahr Zeit, um sich zu entscheiden, doch das Schicksal der Band wurde endgültig besiegelt. Es war an der Zeit loszulassen, auch wenn Taichi merkte, wie schwer es seinem besten Freund fiel. In seiner Stimme lag die blanke Melancholie, die den Raum mit einer gewissen Schwere erfüllte. Sie stimmten gerade den letzten Song an, während sein Blick zu Sora wanderte, die wie hypnotisiert zur Bühne starrte und gedankenverloren ihren Bauch streichelte. Izzy stand ebenfalls beeindruckt daneben und lauschte der Musik. Mimi stand neben Ryotas Freundin Akane und beide prosteten sich gegenseitig zu, was Taichi allerdings mit Argwohn beobachtete. Für seinen Geschmack hatte Mimi schon viel zu viel getrunken, doch sie dachte gar nicht ans Aufhören, sondern drehte von Schluck zu Schluck immer mehr auf. Taichi ließ dieses Verhalten rasend werden, doch er konnte ihr ja schlecht das Trinken verbieten, nur weil er wegen seines Vaters ein Problem damit hatte. Kopfschüttelnd drehte er sich wieder der Bühne zu und nippte an seiner kalten Cola, während er Yamatos sanften Stimme lauschte. Oshiete oshiete yo sono shikumi wo Boku no naka ni dare ka iru no Kowareta kowareta yo kono sekai de Kimi ga warau nani mo miezu ni Die Instrumente gingen ineinander über, man hatte das Gefühl, dass der Klang die Kontrolle verlor, doch genau das Gegenteil war der Fall. Es steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Ryota glitt mit einer unglaublichen Geschwindigkeit über die Tasten seines Keyboards, während Yamato in die Saiten seiner Gitarre haute bis Kaori die Melodie mit ihrem zarten Violienspiel anfing. Es wurde sehr ruhig als Yamatos Stimme erneut den Raum durchdrang und fast flüsternd auf ihn wirkte. Er zog das Tempo an als er sich dem Refrain näherte. Seine Stimme entlud sich wie ein Blitzeinschlag, der während eines tosenden Unwetters folgte. Yureta yuganda sekai ni tatta boku wa Sukitootte mienakunatte Mitsukenai de boku no koto wo Mitsumenaide Dare ka ga kaita sekai no naka de Anata wo kizutsuketaku wa nai yo Oboete te boku no koto wo Taichi war wahrhaft beeindruckt. So hatte er seinen besten Freund noch nie gesehen. Noch nie in seinem Leben hatte er mit so viel Leidenschaft gesungen, weshalb Taichi seine Wehmut förmlich spüren konnte. Es war das Ende eine Ära und er konnte nicht einschätzen, ob Yamato diesen Schritt irgendwann bereuen würde. Er wusste, dass sein Freund sich entscheiden musste und auf sein Verantwortungsgefühl hörte, aber dennoch gab er einen wichtigen Teil von sich auf. Es war wie eine Hommage an die Musik, die die Trauer des Abschiedes nicht so schwermachen sollte, aber bei Taichi genau das Gegenteil auslöste. Er konnte nur ahnen, wie sich Yamato auf der Bühne fühlte, auch wenn er sein Gesicht nicht erkennen konnte. Er richtete wieder den Blick zu Sora, die einige Tränen verdrückte und hastig den Kopf zur Seite drehte. Sie wusste, was er für sie aufgab und auch wenn sie sich oft über seine Musik in der Vergangenheit geärgert hatte, war ihr bewusst, wie viel sie ihm bedeutete. Doch manchmal musste man sich entscheiden. Auch wenn man durch seine Entscheidung etwas verlor, dass einem all die Jahre sehr wichtig gewesen war. Es gehörte zum Erwachsenwerden dazu. Das Loslassen. Das Voranschreiten. Das Neuentdecken. Und auch wenn es nicht einfach werden würde, glaubte Tai an seine beiden Freunde, die er auch weiterhin auf ihrem Weg begleiten wollte. Oshiete oshiete Boku no naka ni dare ka iru no? _ „Oh mein Gott, das war so toll gewesen“, gratulierte Mimi überschwänglich und umarmte Kaori, die sich nur zu einem matten Lächeln abringen konnte. „Jetzt müssen wir echt anstoßen!“ Sie zerrte an Kaoris Arm und steuerte augenblicklich den Stehtisch an, auf dem sie ihre Getränke platziert hatten. Taichi schnaubte nur resigniert als er sah, wie Mimi und Kaori einen Shot hinunterkippten und Mimi Anstalten machte gleich die nächste Runde zu bestellen. Was war heute nur los mit ihr? Sie war völlig überdreht! Aber auch Kaori schien sich voll und ganz darauf einzulassen, obwohl sie immer die Vernünftigere der beiden gewesen war. Doch anscheinend wollte sie es genauso krachen lassen, weshalb auch sie das nächste Shotglas griff. „Oh man…“, murmelte Taichi nur augenverdrehend und wandte sich seinen besten Freunden und Izzy zu, die etwas weiter abseitsstanden. Yamato machte einen bedrückten Eindruck auf ihn, auch wenn er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Sora hatte sich an ihn gekuschelt und küsste behutsam seine Wange als plötzlich Mimi sich dazwischen drängelte und einige Gläser auf einem Tablett schwankend balancierte. „Hey kommt allemal her“, rief sie die Band zusammen und drückte jedem ein Glas in die Hand. „Wir müssen alle noch auf Team Rosa anstoßen“, giggelte sie und informierte Sora, dass sie ihr einen Orangensaft besorgt hatte, bevor sie das Tablett auf dem Tisch abstellte und sich zu Taichi mit einem Getränk durchschlängelte. Sie grinste und drückte es ihm ohne weiteres in die Hand. Wankend drehte sie sich herum und sprach einen Toast auf die werdenden Eltern aus. „Auf Sora und Matt und ihre kleine Prinzessin, die von Tante Mimi selbst verständlich zum Shoppen mitgenommen und Papas Kreditkarte zum Glühen bringen wird! Auf euch drei!“ Sie hob das Glas, während Matt Blick sich augenblicklich verfinsterte. „Ich besitze gar keine Kreditkarte und selbst wenn ich eine hätte, würde ich meiner Tochter sie nur anvertrauen, wenn du nicht dabei wärst.“ Mimi rümpfte beleidigt die Nase und wandte sich Taichi zu, der misstrauisch an seinem Getränk roch. Der beißende Geruch von Wodka vereinnahmte seine Nase und ließ ihn erschaudern. „Taaaai“, sagte Mimi langgezogen und sah ihn mit ihren hellbraunen Augen flehend an. „Sag was!“ „Was? Also dir würde ich meine nicht vorhandene Kreditkarte auch nicht anvertrauen“, erwiderte er grinsend und sah wie Mimi schmollend vor ihm stand. Wütend verzog sie die Augen zu Schlitzen, fixierte kurz Kaori und griff nach ihrer Hand. „Lass uns tanzen gehen, mein Freund hat sich gerade gegen mich verschworen“, eröffnete sie schnippisch und zog mit der angeheiterten Kaori von dannen. Doch Taichi war einfach nur genervt. Er hatte heute keine Lust sich von Mimi provozieren zu lassen, nur weil sie schlechte Laune hatte. Deswegen ließ er sie einfach ziehen und beobachtete sie beim Tanzen. Auch Izzy, Ryota und Akane gesellten sich dazu, während Taichi sich den Abend über mit Juro über sein Studium unterhielt. Auch wenn er es nicht zugeben wollte, frustrierte ihn dieses Gespräch, doch er wollte sich nichts anmerken lassen. Sora und Matt hatten sich derweil bereits verabschiedet gehabt. Sora war müde und konnte kaum die Augen aufbehalten, weshalb Yamato sie nach Hause gebracht hatte. „Irgendwie ist es schon komisch die Band aufzugeben“, meinte Juro auf einmal und klang sehr sentimental – etwas, dass man von Juro gar nicht kannte, da er immer einen kühlen Kopf behielt. „Naja, aber es ist wohl im Moment die bessere Entscheidung. Es heißt ja nicht, dass ihr nie wieder Musik machen dürft“, hakte Taichi hoffnungsvoll ein, da er sich schon vorstellen konnte, die Band irgendwann wieder auf einer Bühne sehen zu können, auch wenn es erst in weiter Ferne war. Juro nickte nur bestätigend und wollte gerade etwas erwidern als Mimi dazu stieß und die Arme um Taichi schlang. „Izzy und Kaori haben mich im Stich gelassen, weil sie zur Toilette mussten und für Ryota und Akane bin ich quasi Luft“, protestierte sie und deutete auf das verliebte Pärchen, dass engumschlungen auf der Tanzfläche umherwandelte. „Tanz doch auch mal mit mir“, bettelte sie wehleidig und krallte sich mit den Nägeln in sein Shirt. Allerdings er hatte unter diesen Umständen keine Lust zu tanzen. „Ich unterhalte mich doch gerade mit Juro. Ich kann ihn doch nicht einfach so stehen lassen“, knurrte er ihr zu, allerdings blieb Mimi unbeeindruckt. „Komm schon Tai! Bitte!“ „Nein, ich habe heute einfach keine Lust, okay?“, antwortete er ruppiger als er eigentlich wollte. Mimi zog die Unterlippe nach vorne und sah ihn mit glasigen Augen an. „Gib‘ doch zu, dass du mit mir keine Zeit verbringen willst“, unterstellte sie ihm weinerlich und er erkannte tatsächlich aufkommende Tränen in ihren Augen, was in ihm Panik auslöste. Sie wollte sich gerade von ihm zurückziehen als er ihr Handgelenk packte. „Man Mimi, das war doch gar nicht so gemeint! Ich sollte dich wohl besser nach Hause bringen.“ Er warf Juro einen entschuldigen Augenaufschlag zu, den er jedoch sofort verstand. „Komm wir gehen jetzt!“ „Aber ich will mich noch von Kaori verabschieden“, murrte Mimi widerwillig. „Du kannst ihr nachher eine SMS schreiben. Wir gehen jetzt!“, beschloss Taichi felsenfest. Mimi seufzte nur theatralisch und strich sich die Haare aus dem Gesicht, die jedoch an ihrer schweißbenetzten Stirn festklebten. Auch wenn ihr Blick eindeutig war, stellte sie ihre Widerworte erstaunlich schnell ein und verließ gemeinsam mit ihm den Club, um sich in die kühle Dezembernacht zu begeben. _ Sie ließ sich lachend auf ihr Bett fallen, während Taichi leise ihre Zimmertür hinter sich schloss. „Nicht so laut, deine Eltern schlafen doch“, erinnerte er sie und ging schnurstracks auf sie zu, um ihr die Stiefel auszuziehen. „Ist mir doch egal. Die können ruhig wach werden“, grummelte sie verständnislos und sah zu, wie Taichi sich zu ihr runterbeugte und ihre Schuhe vorsichtig entfernte. Sie grinste schelmisch und setzte sich ein wenig auf, um ihn besser ansehen zu können. „Du könntest ruhig ein bisschen näherkommen“, raunte sie verführerisch. „Ich beiße auch nicht.“ Tai stellte die Schuhe auf ihrem Fußboden ab und blickte fragend auf sie hinab. „Versuchst mich gerade anzumachen?“, hakte er belustig nach, blieb aber weiterhin stehen, was Mimi ungeduldig werden ließ. Sie schaffte sich auf ihre Knie, wankte umher und konnte gerade in Taichis Armen Halt finden, der sie verkrampft festhielt. Doch sie kämpfte sich weiter nach oben, schlang ihre Arme hinter seinen Nacken und ihr alkoholgetränkter Atem wehte ihm entgegen, sodass er automatisch wieder an seinen Vater denken musste. Ohne inne zu halten, presste Mimi plötzliche begierig ihre Lippen auf seine und wollte ihn in einen innigen Kuss verwickeln, den er jedoch nicht genießen konnte. Er erwiderte ihren Kuss zwar, aber eigentlich hatte er heute überhaupt keine Lust auf solche Aktivitäten. Mimi jedoch wanderte mit ihren Händen nach unten und nestelte an seinem Hemd, was eine innere Unruhe in ihm auslöste. Er unterbrach den Kuss und drückte sich etwas von ihr ab. „Was soll das denn?“, fragte er lächelnd, obwohl er genau wusste, was sie hier vorhatte. „Ich weiß nicht, was du meinst“, flötete sie unschuldig und begann seinen Nacken zu kraulen. Ihre Augen wirkten müde und sie konnte ihre Lider kaum offenhalten, aber dennoch hörte sie nicht auf! Sie begann sogar seinen Hals zu liebkosen, doch das Gefühl von Erregung wollte sich bei ihm einfach nicht einstellen, selbst als sie mit ihren schmalen Fingern zu seiner Hose wanderte und sich am Knopf zu schaffen machte. Ruckartig hielt er ihre Hände fest und brachte sie dadurch zum Innehalten. Genervt stöhnte sie auf und sah ihn durchdringend an. „Man Tai, was soll das denn?“, fragte sie vorwurfsvoll und setzte sich zurück aufs Bett. „Mir ist halt heute nicht danach“, rechtfertigte er sich. „Dir ist schon seit wir zusammen sind nicht danach! Sag mal bist du irgendwie asexuell? Oder hast du schwule Tendenzen von denen ich wissen sollte?“ Asexuell? Schwule Tendenzen? War sie noch ganz bei Sinnen? Hatte sie denn keine Ahnung, wie abtörnend betrunkene Menschen auf ihn wirkten? „Du bist betrunken und alles andere als bei Trost“, erwiderte er nur und stand auf. „Wie bitte?“, rief sie so schrill, dass Taichi schon Angst hatte, dass sie ihre Eltern dadurch aufwecken könnte. „Tut mir leid, dass ich mir Intimität mit meinem Freund wünsche, was in einer Beziehung ja auch vollkommen normal ist!“ „Das schon, aber du musst mich auch verstehen! Ich habe keine Lust mit dir zu schlafen, wenn du so hackedicht wie mein Vater bist“, klagte er sie an, sodass es Mimi prompt die Sprache verschlug. „D-Du vergleichst mich ernsthaft mit deinem Vater?“, hakte sie fassungslos nach und ließ die Schultern hängen. Er biss sich auf die Unterlippe und zog diese nach hinten. Was sollte er nur sagen? Er wollte sie doch gar nicht dumm anmachen, aber er kam damit nicht klar, sie so betrunken zu sehen. Wieso konnte sie das nicht verstehen? „Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen. Ich will mich nicht mit dir streiten und wir sollten vielleicht reden, wenn du wieder nüchtern bist“, schlug er vor, auch wenn er bemerkte, dass sein Angebot für sie wenig versöhnlich klang, sondern eher nach einem Vorwurf, den er ihr gar nicht machen wollte. Er wollte nicht so zu ihr sein. Er wollte ihr nicht verbieten Alkohol zu trinken. Er wollte einfach mit ihr zusammen sein. Und natürlich konnte er ihren Wunsch nach Intimität verstehen. Er wollte es doch auch, nur unter anderen Umständen. „Okay…“, antwortete Mimi leise und presste die Lippen aufeinander, sodass sie einen schmalen Stich ergaben. „Es tut mir leid.“ Tai sah auf sie hinab, wie sie wie ein Häufchen Elend vor ihm saß. Er gab sich einen Ruck, beugte sich zu ihr hinab und drückte ihr einen sanften Kuss zum Abschied auf die Wange, um ihr zu signalisieren, dass er eigentlich gar nicht mit ihr streiten wollte. Ihre Blicke trafen sich kurz, bevor er sich aufrappelte und leise zu ihrer Zimmertür schritt. Er wandte sich wieder zu ihr und ein mattes Lächeln legte sich über seine Lippen, bevor er sie kräuselte und ihr einen guten Nacht Gruß zurief, den sie jedoch nicht mehr erwiderte. Sie ließ die Schultern hängen und versteckte sich unter ihrem Haarvorhang, während Taichi sich schweren Herzens auf den Nachhauseweg machte. Kapitel 40: Verletzlichkeiten ----------------------------- ♥ Mimi ♥ „Ich bin einfach ein Idiot“, murmelte sie ihr weiches Kissen und drückte ihr Gesicht hinein. „Ich denke, dass hast du wirklich oft genug gesagt und außerdem dachte ich, dass ihr euch wieder vertragen habt“, antwortete Kaori und setzte sich von ihrem Bett auf. Mimi lag neben ihr auf dem Boden, auf dem sie das Gästefuton ausgebreitet hatten. Sie hatte sich spontan dazu entschieden bei ihr zu übernachten, weil ihr Vater einen Ärztekongress besuchte und sie ungestört miteinander reden konnten. Mittlerweile waren sie bei dem leidigen Thema Beziehung angekommen und Mimi berichtete ihr von der frustrierenden Nacht, die sie letztes Wochenende mit Taichi verbracht hatte – oder wohl eher nicht verbracht hatte. Er war so wütend und enttäuscht gewesen, dass sich Mimi am liebsten selbst in den Hintern gebissen hätte. Wie konnte sie nur so blöd sein und sich an diesem Abend hemmungslos betrinken sowie ihn dann noch regelrecht dazu zu nötigen mit ihr zu schlafen? War sie von allen guten Geistern verlassen…sie wusste doch, dass sein Vater erst aus der Entgiftung zurückgekommen war! Doch sie versuchte ihre eigenen Probleme durch den Alkohol zu verdrängen, was erstaunlich gut funktionierte. „Ja wir haben uns ausgesprochen und ich habe mich auch für mein Verhalten entschuldigt, aber…“ Sie hielt für einen kurzen Moment inne und überlegte, ob sie sowas tatsächlich aussprechen sollte. „Irgendwie hat es sich richtig gut angefühlt alles für den Moment zu vergessen“, sprach sie schließlich doch aus und schämte sich automatisch für diesen Gedanken. Sie hatte noch niemandem von den neusten Entwicklungen erzählt gehabt – nur Kaori war eingeweiht, was sich von selbst erklärte, da sie an jenem Nachmittag, der ihr Leben veränderte, ebenfalls anwesend war. Sie konnte sich noch nicht durchringen mit ihrer Mutter zu sprechen, auch wenn es ihr förmlich auf der Zunge brannte und sie es satt hatte die heile Familie vorzuspielen, die sie nicht waren. Taichi hatte sie von all dem noch nichts erzählt, da sie ihn nicht unnötig belasten wollte. Er hatte genug mit sich zu tun und sie wollte ihm nicht noch mehr Probleme bereiten, auch wenn dieses Geheimnis sie innerlich zerfraß. „Ich weiß, was du meinst. Ich kann meinem Vater im Moment kaum in die Augen schauen und mit Emi habe ich auch noch nicht geredet, weil ich mich nicht getraut habe“, gab Kaori nachdenklich zu und drückte ihr Kissen schützend an ihren Körper. Mimi drehte sich zur Seite und schaute zu ihr hoch. Sie hatten noch nie wirklich über Emi geredet, aber sie wusste, dass die Beziehung der beiden sehr kompliziert war seit sie die Familie verlassen hatte. „Kann ich verstehen, sie hat ja beim letzten Mal sehr genervt darauf reagiert und vielleicht solltet ihr wirklich von Angesicht zu Angesicht reden. Sie kommt doch bald zu Besuch. Über Weihnachten richtig?“ Kaori nickte nur beiläufig und ließ augenblicklich den Kopf hängen. „Ich bin mal gespannt wie das wird, ihre Besuche enden so gut wie immer im Chaos“, erwiderte sie schnaubend. „Ihr versteht euch wohl nicht mehr so gut oder?“, wollte Mimi wissen. „Naja sie war, nachdem meine Mutter gestorben war, alles für mich gewesen. Mein Vater war schon immer oft arbeiten gewesen und sie hat sich immer um mich gekümmert. Bis sie dieses dämliche Stipendium in New York bekommen hat…“, erzählte sie verbittert. „Sie hätte auch hier an der Musikhochschule studieren können, aber ich glaube, dass wollte sie nicht. Wegen mir.“ Mimi setzte sich hastig auf und blickte Kaori verdutzt an. „Was? Das glaubst du doch selbst nicht!“ „Doch“, behauptete sie felsenfest. „Sie ist es leid geworden sich um mich zu kümmern und wollte ihre Freiheit haben, die sie jetzt bekommen hat.“ Ein verbittertes Lächeln zog sich über ihr Gesicht und sie drückte das Kissen noch dichter an sich heran, so als hätte sie Angst es zu verlieren. „Glaubst du das wirklich? Hast du deswegen mit dem Spielen aufgehört?“ „Was bringt Musik, wenn du durch sie alles verlierst? Meine Mutter war Pianistin in einem großen Orchester und Dozentin an der Musikhochschule gewesen. Während der Heimfahrt von einem Auftritt, ist sie in einen Autounfall geraten und gestorben. Emi hat mich immer ermutigt weiter Musik zu machen, um ihr Andenken zu wahren und dann lässt sie mich wegen der Musik bei der erst besten Gelegenheit alleine, weil sie Sängerin werden will. Was soll ich davon halten?“, erwiderte sie weinerlich und Mimi sah wie ihr die ersten Tränen über die Wangen liefen. Sie schniefte laut als sich Mimi auch schon zu ihr aufs Bett geschafft hatte. Behutsam tätschelte sie ihr die Schulter und sah sie mitleidig an. „Hey, beruhig dich erstmal!“, sagte sie sanft und nahm sie in den Arm. „Ich kann mir vorstellen, dass man da irgendeinen Schuldigen sucht, auch wenn es in dem Fall keine Person ist, aber du spielst so wunderschön und mit so viel Herz. Das kannst du doch nicht wegwerfen!“ „Wow, du hörst dich echt an wie Emi als ich ihr gesagt hatte, dass ich mit dem Spielen aufhöre. Bestimmt würdet ihr euch gut verstehen“, meinte Kaori lächelnd. „Weißt du was, du solltest sie einfach zu unserer Weihnachtsfeier mitbringen!“, schlug Mimi euphorisch vor und wischte ihr die kullernden Tränen aus dem Gesicht. „Weihnachtsfeier?“, wiederholte sie skeptisch. „Ja, da hätten wir auch die Gelegenheit in Ruhe mit ihr zu sprechen. Über unseren Bruder und was wir jetzt genau mit dieser Information machen wollen.“ „Naja, ich glaube, wenn wir mehr wissen wollen, müssen wir mit unseren Eltern sprechen. Daran kommen wir nicht vorbei“, stellte Kaori nüchtern fest. „Ich glaube es auch, aber jetzt sollten wir uns erstmal beruhigen und vielleicht eine Pizza bestellen“, legte Mimi ihr ans Herz, da sie mal wieder ihren Bauch grummeln hörte. Wenn sie Hunger hatte, konnte sie einfach nicht richtig denken und sie hatten viel zu besprechen. Mimi hatte nämlich bemerkt, dass Kaori deutlichen Redebedarf hatte, auch wenn sie es noch nicht wahrhaben wollte. Es wurde Zeit. Es wurde Zeit einen bedeutenden Schritt in ihrer Freundschaft weiterzugehen. _ „Wow, das habt ihr ja ziemlich…aufgehübscht“, sagte Taichi und betrachtete sich die glitzernden Girlanden und die künstlichen Tannenzweige, die die Mädchen im ganzen Probenraum aufgehängt hatten. Es war wohl die letzte Weihnachtsfeier, die sie hier in Yamatos Probenraum verbringen würden. Sein Vater hatte bereits den Mietvertrag gekündigt, der Ende des Jahres auslaufen würde. Alles ging mittlerweile Schlag auf Schlag, was man auch anhand von Yamatos Stimmung ablesen konnte. Traurig blickte er sich um und konnte nicht verbergen, wie schwer ihm das Ende seiner Musikkarriere fiel, obwohl diese noch nicht mal richtig begonnen hatte. Er lächelte jedoch zaghaft als Sora auf ihn zugesteuert kam und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte. Ihr Babybauch war im Vergleich zum letzten Mal sogar noch ein bisschen gewachsen und kam in dem roten engen Kleid besonders gut zur Geltung. „Wir sollten unbedingt noch den Mistelzweig aufhängen, um unser weihnachtliches Werk zu vollenden“, trällerte Mimi fröhlich und schnappte sich prompt die Leiter, die noch vom Schmücken parat stand. Zügig kletterte sie die Stufen hoch und ließ sich von Taichi den Mistelzweig reichen, den sie an einer günstigen Stelle, direkt über ihren Köpfen befestigte. „So das müsste halten“, informierte Mimi die anderen zufrieden und stieg auch bereits die Leiter wieder hinab als sie jedoch leicht ins Straucheln geriet. Sie fuchtelte wie wird mit den Armen hin und her, während auch die Leiter langsam etwas kippelte. Mimi hörte, wie Sora verzweifelt ihren Namen rief und sie sich schon auf das Schlimmste einstellte. Doch plötzlich spürte sie seine Arme, die ihr den nötigen Halt spendeten, um nicht zu fallen. Ihr Herz klopfte wie wild gegen ihre Brust als sie sich krampfhaft an Taichi festhielt und Yamato reflexartig zur Leiter griff und diese am Umfallen hinderte. „Puh, das war aber knapp gewesen“, meinte Matt schnaufend als Taichi sie von der Leiter runter hob und sie wieder auf ihren eigenen Füßen stand. „Unsere Prinzessin wollte wohl zu hoch hinaus! Gut, dass ich hier war, um sie mal wieder zu retten“, grinste Taichi breit und hielt sie immer noch fest in seinen Armen. „Was heißt hier mal wieder? Hört sich ja an als wäre ich ständig irgendwelchen Gefahren ausgesetzt“, schnaubte sie. „Naja ohne mich wäre dir auch sicher schon der ein oder andere Nagel abgebrochen“, knauserte er und erinnerte sie daran, dass er ihre Cola Dose geöffnet hatte, da sie sich ihre frischlackierten Fingernägel nicht ruinieren wollte. „Du bist so ein Idiot“, knurrte Mimi spielerisch aber zog ihn dann doch noch näher an sich heran, um ihn einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen. Er erwiderte ihn sinnlich, sodass Mimi ihn gar nicht enden lassen wollte, doch sie waren ja schließlich nicht allein. Bestimmt würden… „Hey, ihr könnt später euren Liebesbekundungen nachgehen! Wir haben noch einiges zu tun“, warf Yamato ein und deutete auf die Tische, die sie noch für die Snacks aufstellen wollten. Seufzend beendet Mimi den Kuss und blickte den Freund ihrer besten Freundin mürrisch an. „Du bist so ein Spielverderber“, murrte sie aber ließ es sich nicht nehmen sich noch etwas an ihren Freund zu kuscheln. Sora kicherte nur, während Yamato bereits die nächsten Anweisungen verteilte. Sie hatten auch nicht mehr allzu viel Zeit, da Joe und Izzy in einer halben Stunde das Essen und die Getränke vorbeibringen wollten. Doch Mimi wollte sich erst gar nicht von Taichi trennen. Nach ihrem Streit war sie wie geläutert. Sie hatte verstanden, dass sie sich so ganz sicher nicht näherkommen würden. Ihr Verhalten hatte sie eher entzweit, weshalb sie in nächster Zeit auch keinen Alkohol trinken wollte. Es war ein sensibles Thema für ihn und das letzte was sie wollte, war einen erneuten Streit vom Zaun zu brechen, den sie durchaus vermeiden konnte! Sie wollte Taichi die Freundin sein, die er auch verdiente. Und heute würde sie ihm beweisen, dass sie sich sehr wohl benehmen konnte. _ Nach und nach füllte sich der Probenraum und eine entspannte Atmosphäre legte sich über die immer größer werdende Gruppe. Mimi stand direkt neben Sora, die sich angeregt mit Joe unterhielt und beobachtete die Menschen um sich herum. Ihr Freund und Yamato waren natürlich wieder beim Essen zu finden und schaufelten sich gemeinsam mit Daisuke den Teller voll. Auch Juro und Ryota waren da und hatten sich gemeinsam mit Akane auf der Couch niedergelassen, die sie an die Wand geschoben hatten, damit sie niemand störte. „Hier wird es ja immer voller“, meinte Izzy auf einmal zu ihr und reichte ihr die Cola weiter, die er für sie besorgt hatte. Auch er nippte an seinem Getränk und schweifte mit seinem Blick über die kleine Runde. Mimi blieb an der jüngeren Generation hängen, die sich angeregt unterhielten. Yolei stand direkt neben Ken und lachte herzlich, während Mimi zugeben musste, dass die beiden schon ein schönes Paar abgeben würden. Sie wusste bereits, dass Yolei in Sachen Jungs sehr viel Pech hatte. Bisher hatte sie noch nicht mal einen geküsst, was Mimi absolut nicht verstehen konnte! Yolei war ein sehr hübsches und vor allem aufgewecktes Mädchen, das ursprünglich keine Probleme hatte auf Menschen zuzugehen. Allerdings fehlte ihr in diesem Punkt scheinbar der nötige Mut, den Mimi ihr unbedingt beschaffen wollte! Sie sah nach oben und grinste als sie den Mistelzweig entdeckte, den sie vor der Feier aufgehängt hatte. „Halt das mal kurz“, sagte sie abrupt zu Izzy und reichte ihm ihren Becher. Ein verschwörerisches Grinsen legte sich über ihre Lippen als sie sich Yolei langsam nähere. Sie tippte sie an und Yolei wandte überrascht den Blick zu ihrer Freundin. Fragend betrachtete sie sie und schien nicht zu verstehen, warum Mimi so plötzlich zu ihr gekommen war. „Ich hoffe du hast gemerkt, worunter du stehst“, flötete sie fröhlich und zeigte ungeniert nach oben. Yolei folgte ihrer Geste und wurde auf einmal ganz blass. „Was?! Mimi!“, zischte sie und krallte ihre Finger um ihren Becher, bevor sie feuerrot anlief. „Du weißt, was das bedeutet, also spitz‘ ruhig schon mal die Lippen“, trällerte sie amüsiert und wandte sich direkt an Ken, ehe Yolei reagieren konnte. „Hast du gesehen, worunter ihr beide steht?“, fragte sie mit einem süffisanten Unterton und schielte nach oben. „Nanu, wie ist der denn da hingekommen?“, fragte Ken nervös und sah unsicher zu Yolei, die am liebsten im Erdboden versunken wäre. Doch Mimi wollte sie diesmal nicht davonkommen lassen! Es wurde Zeit, dass die Kussjungfrau endlich erlöst wurde. „Das spielt keine Rolle, aber du schuldest dieser entzückenden Dame eindeutig einen Kuss“, entgegnete Mimi felsenfest und stemmte die Hände in die Hüfte. „Mimi…hör auf!“, knurrte Yolei peinlich berührt, doch Mimi tat so als würde sie sie nicht hören. Scheinbar schien niemand ihr Gespräch näher mitzubekommen, da die Musik eindeutig zu laut war. Der Bass hämmerte sogar in ihrem Bauch, doch das störte sie kaum. Sie liebte dieses Gefühl sogar, da die Musik dadurch spürbar wurde. „Ich kann nichts dafür, dass ihr euch darunter gestellt habt“, antwortete Mimi unschuldig und wandte sich Ken wieder zu. „Also musst du auch deiner Pflicht als Mann nachkommen!“ „Du bist unmöglich“, zischte Yolei und warf Ken einen entschuldigenden Augenaufschlag zu. „Ach kommt schon, das ist doch nur Spaß!“ „Mimi…“, begann Yolei bedrohlich als sie von Ken jedoch abrupt unterbrochen wurde. „Gut, dann geben wir ihr eben, dass was sie will“, murmelte Ken einsichtig, zog Yolei reflexartig an sich heran und legte die Lippen einfach auf ihre. Zufrieden beobachtete Mimi den Kuss, der noch nicht mal zehn Sekunden dauerte. Völlig perplex lösten sich die beiden voneinander, während Mimi sich in einem unbemerkten Augenblick prompt aus dem Staub machte. Yolei konnte sich später bei ihr bedanken, auch wenn sie nicht gerade glücklich aussah. Aber manchmal musste man Freunden einfach weiterhelfen! Jedenfalls war das Mimis Devise. „Was zum Teufel hast du gemacht?“, hinterfragte Izzy, der scheinbar als einziger das Szenario mitbekommen hatte. „Ach ich habe die beiden nur zu ihrem Glück gezwungen mehr nicht“, winkte sie ab. „Zu ihrem Glück gezwungen?“ „Ja! Ich finde die beiden wären ein schönes Paar“, antwortete Mimi unbeschwert und sah zu den beiden, doch Yolei war bereits verschwunden, was sie wunderte. „Man Mimi, lass doch so einen Mist!“, grummelte Izzy genervt. „Warum denn? Die beiden standen doch unter dem Mistelzweig!“, erwiderte sie verständnislos. „Und weiter? Du musst dich doch nicht überall einmischen“, murrte er grantig und Mimi verstand nicht, was auf einmal mit ihrem besten Freund los war. „Bist du etwa mit dem falschen Fuß aufgestanden?“ Verärgert verschränkte Mimi die Arme vor der Brust und richtete einen vernichtenden Blick zu Izzy, den er jedoch kaum beachtete. Er hatte seine Augen zur Tür gerichtet, wandte jedoch das Gesicht sofort wieder zu Boden. „Ich geh‘ mal schnell aufs Klo“, informierte er sie nur, stellte sein Becher bei Joe ab und verschwand schneller als Mimi reagieren konnte. Irritiert blickte sie ihm nach als sie auf einmal ihren Namen hörte. Ruckartig drehte sie sich herum und blickte in das freudige Gesicht von Kaori, die sie herzlich begrüßte. „Schön, dass du hier bist“, sagte Mimi und sah hinter sie. Sie war also tatsächlich gekommen, schoss Mimi durch den Kopf und betrachtete die junge Frau hinter Kaori genau. Es gab keinen Zweifel, dass die beiden Schwestern waren. Sie hatten die gleichen haselnussbraunen Haare und grünblauen Augen, die auf Ihren lagen und sie neugierig musterten. „Hallo, ich bin Mimi“, stellte sie sich vor und streckte Emi die Hand entgegen, die sie sofort entgegennahm. „Emi. Freut mich dich kennenzulernen“, antwortete sie starr und wirkte auf Mimi sogar etwas unterkühlt. Ihr Gesichtsausdruck war angestrengt und ihre Augen wanderten durch die kleine Runde. Sie rümpfte die Nase und ließ die Schultern hängen. „Ist ja wie auf einem Kindergeburtstag“, flüsterte sie Kaori zu, sodass es Mimi ebenfalls hören konnte. Kaori sah sie entsetzt an und zog wütend die Augenbrauen zusammen. „Deine schlechte Laune hättest du wirklich mal zuhause lassen können!“ „Was auch immer“, erwiderte sie nur und zog ihre Winterjacke aus. Darunter trug sie ein hautenges schwarzes Kleid, dass ihre Kurven unverschämt gut betonte. Ihre langen Haare fielen locker über ihre Schulter, sodass Mimi ganz neidisch auf ihre volle Haarpracht wurde. „Ich hole mir mal was zu trinken“, informierte sie Kaori und drückte ihr die Jacke in die Hand. Kaum hatte sie sie angekommen, war sie auch in der Menge verschwunden. Kaori seufzte nur. „Tut mir leid. Anscheinend ist sie schon so miesgelaunt aus dem Flieger gestiegen“, entschuldigte sie sich direkt. Doch Mimi schüttelte nur den Kopf und nahm ihr die Jacke ab. „Mach dir keine Sorgen! Sie wird sich sicher schnell einleben und ihren Spaß haben. In einer Stunde sieht es vielleicht schon ganz anders aus“, beruhigte Mimi sie und hängte die Jacken auf, bevor sich beide ins Getümmel stürzten. _ „Warum versteckst du dich denn da in der Ecke?“, fragte sie Izzy, der seit Kaoris und Emis Ankunft nicht mehr aufgetaucht war. Nachdem Kaori sich zu Akane, Ryota und Juro gesellt hatte, machte sich Mimi auf die Suche nach Izzy, der aus irgendeinem Grund schlecht gelaunt war. „Ich verstecke mich überhaupt nicht! Du solltest dir nicht so komische Sachen einreden“, antwortete er unwirsch und wandte sich wieder dem Essen zu. Mimi grummelte nur leise, doch sie wusste auch, dass es sinnlos war mit Izzy in diesem Augenblick zu sprechen, weshalb sie sich auch dem Getränketisch zuwandte und sich eine kühle Cola gönnte. „Habt ihr nur Softdrinks da?“, fragte sie eine unbekannte Stimme, die sie herumschnellen ließ. Plötzlich blickte sie in das Gesicht von Kaoris Schwester Emi, die mit einem genervten Blick über den Tisch huschte. „Naja, das ist eine Weihnachtsfeier unter Freunden. Außerdem sind wir alle nicht volljährig“, antwortete Mimi, obwohl sie früher schon Bier und Glühwein parat stehen hatten. Doch dieses Jahr wurde besonders auf Taichi und Hikari Rücksicht genommen, die in diesem Jahr sicherlich die Schnauze voll von Alkohol hatten. Mimi hatte sich sogar extra dafür eingesetzt, doch das schien Emi gar nicht zu gefallen. „Anscheinend bin ich ja wirklich auf einem Kindergeburtstag gelandet“, murrte sie augenverdrehend und schnappte sich ebenfalls einen Becher Cola. „Sorry, wenn wir deine Erwartungen leider nicht erfüllen, aber das hier sind auch Freunde von deiner Schwester“, untermauerte Mimi und konnte die schlechte Laune mancher Gäste einfach nicht verstehen. Erst Izzy und dann Kaoris Schwester? War irgendwas ins Essen gemischt geworden? „Sie scheint ja wirklich tolle Freunde zu haben. Freunde, die sie regelrecht kirremachen und ihr komische Flausen in den Kopf setzen.“ „Was soll das denn bedeuten?“ fragte Mimi etwas gereizt, konnte sich aber bereits denken, auf was sie hinauswollte. Bestimmt gefiel es ihr nicht, dass sie Kaori mit ihrem Verdacht unterstützt hatte. Jedoch war sie sehr wohl auf dem richtigen Weg gewesen, denn hier stimmte etwas gewaltig nicht! Mimi wusste nicht, ob Emi bereits von ihrem Bruder wusste, aber sie würde sich sicher auch umsehen, wenn sie ihr die Geburtsurkunde unter die Nase hielt, weshalb sie sich auch nicht von ihr unnötig provozieren lassen wollte. „Du weißt genau was ich meine! Meine Schwester braucht keine Freunde, die sie gegen ihre Familie aufhetzen!“ Mimi biss sich augenblicklich auf die Zunge und presste die Lippen wutentbrannt aufeinander. Wenn sie doch bloß die Wahrheit wüsste… Sie musste sich wirklich zusammenreißen, ihr nicht augenblicklich vor die Füße zu kotzen, aber sie wollte Kaori nicht diese Möglichkeit nehmen, weshalb sie einfach ihre Wortkotze unterschluckte. „Bald wirst du es auch noch verstehen“, antwortete sie nur und wollte sich eigentlich von ihr abwenden als Taichi direkt auf sie zugesteuert kam. Er lächelte verschmitzt und erst jetzt fiel Mimi auf, dass sie den ganzen Abend kaum Zeit miteinander verbracht hatten. Und das wollte sie dringend nachholen und sich den Abend nicht länger von so einem Miesepeter verderben lassen! „Hey, holst du dir auch gerade was?“, fragte er sie und bemerkte Emi im ersten Moment gar nicht. „Ja und ich habe mich gerade ein bisschen mit Kaoris Schwester unterhalten! Sie studiert in New York und ist über Weihnachten hier“, stellte sie sie höflichkeitshalber vor. Sie lächelte gestellt, was Emi genauso erwiderte. Taichi wandte sich ihr zu und Mimi erkannte, dass sich sein Gesicht augenblicklich versteinerte. Er begutachtete sie von oben bis unten, so als würde er einen Geist sehen, was Mimi ziemlich wunderte. Kannte er sie etwa? Und warum sah er so geschockt aus? Emi hingegen lächelte nur wissend. „Ach ist das etwa dein Freund? Ist ja interessant.“ „Wieso? Kennt ihr euch etwa?“, fragte Mimi verunsichert. Emi schüttelte nur den Kopf. „Kennen zu viel gesagt, aber ich glaube wir waren mal zusammen feiern oder? Wie war dein Name gleich nochmal?“ „T-Taichi“, stotterte er und wurde auf einmal ganz steif neben Mimi. „Stimmt, Taichi. Ich wusste doch, dass es irgendwas mit T war.“ Sie reichte ihm die Hand und stellte sich noch einmal vor, während er sie immer noch ungläubig betrachtete. Mimi hingegen erfasste plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. Sie waren zusammen feiern gewesen? Wie lange war das denn schon her? Emi studierte doch mindestens zwei Jahre schon in New York… „So ich lasse euch Turteltauben mal lieber allein. Zweisamkeit ist wichtig“, sagte sie in einem seltsamen Unterton und zwinkerte Taichi zu, was Mimi noch stutziger machte. „Was war das denn?“, hakte Mimi nach, doch Taichi hatte sich sofort dem Getränketisch zugewandt. „Kennst du sie etwa näher?“, fragte sie deutlicher nach. Doch Taichi wich ihrem fragenden Blick gekonnt aus. „Was heißt näher, wir waren wohl mal feiern. Ich wusste noch nicht mal ihren Namen! Wundert mich, dass sie sich an mich erinnern konnte“, antwortete er unwirsch und zuckte mit den Schultern. „Okay, aber das muss doch schon lange her sein oder?“ „Ich weiß es nicht mehr, Mimi“, erwiderte er etwas bissig und schenkte sich etwas Sprite in seinen Becher. „Aber sie konnte sich ja sehr wohl noch an dich erinnern.“ „Und weiter? Liegt sicher an meiner unverschämt guten Frisur“, er lächelte gezwungen und fuhr sich demonstrativ mit der anderen Hand durch seine wilde Mähne. Doch diese Antwort beruhigte Mimi nicht im Geringsten. Warum schien heute jeder nur Geheimnisse vor ihr zu haben? Was durfte sie nicht wissen und vor allem warum? Sie seufzte nur, schnappte sich ihre Cola und gesellte sich wieder zu den anderen. _ „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mich Kaoris Schwester nicht leiden kann“, klagte Mimi und sah mürrisch zu Sora, die gemeinsam mit ihr an einem Stehtisch stand. „Mich hat sie auch ganz merkwürdig angeguckt, besonders auf meinen Bauch“, stellte sie nachdenklich fest und bewegte ihre Beine unruhig hin und her. Mimi beobachtete sie dabei und sah wie sie ihr Gesicht immer mehr verzog. Scheinbar taten ihr allmählich die Füße weh, weshalb sie auch wohl nicht mehr allzu lange bleiben würde. Doch auch Mimi hatte langsam keine Lust mehr, wenn sehr ehrlich war. Zwar hatte sie sich ziemlich gut mit Ryota und Kaori unterhalten, aber Taichi war seit zehn Minuten unauffindbar, was sie wunderte. Yolei war wohl auch nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen, weil sie ihr seit der Mistelzweigaktion aus dem Weg ging und auch Izzy versuchte seine schlechte Laune an ihr auszulassen! „Ich glaube ich verschwinde mal aufs Klo“, informierte sie Sora, die sich gegen den Stehtisch lehnte. Sie brachte nur ein müdes Nicken zu Stande und Mimi verschwand zur Toilette. Als sie fertig war, wusch sie sich gedankenverloren die Hände und überlegte, ob sie sich nicht allmählich auf den Nachhauseweg machen sollte. Zwar würde ihre Mutter sie sicher fragen, warum sie so zeitig zu Hause war, aber das war ihr egal. Vielleicht würde Taichi sie auch begleiten und ihre Mutter würde sie dann in Ruhe lassen, da es Mimi zurzeit sehr schwerfiel, unbeschwert mit ihr zu reden. Seit sie von ihrem potentiellen Bruder wusste konnte nicht gar nicht mehr klar denken. Sie hatte bisher noch niemandem davon erzählt gehabt. Nur Kaori und sie wussten Bescheid, was in ihr eine unbändige Unruhe auslöste. Sollte sie mit ihrer Mutter darüber sprechen? Oder sogar mit ihrem Vater? Bestimmt wusste er nichts von dem Kind und wenn sie darüber ein Wort verlieren würde, könnte das einen riesigen Streit vom Zaun brechen, den Mimi eigentlich nicht beschwören wollte. Dennoch hatte sie sie all die Jahre belogen gehabt… Und vor allem wo war ihr Bruder? Hatte sie ihn zur Adoption freigegeben? War er vielleicht sogar gestorben? War deswegen das Verhältnis zu ihrer Großmutter so angespannt? Mimi biss sich auf die Unterlippe. Ihr Kopf begann wehtun und sie stellte das Wasser ab, um sich die Hände zu trocknen. Vielleicht machte sie sich zu viele Gedanken und in Wirklichkeit gab es eine Erklärung, die nur halb so schlimm war. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto weniger glaubte sie daran. Sie stöhnte auf und verschwand auf den Flur. Gerade als sie zu den anderen zurückgehen wollte, um sich zu verabschieden, sprang ihr der Abstellraum ins Auge, aus dem plötzlich Licht brannte. Langsam schritt sie heran, da sie sicher war, dass zuvor alles dunkel gewesen sein musste. Leise schlich sie sich näher heran und schaute durch den schmalen Türschlitz. Sie konnte niemanden sehen, aber sie konnte zwei Stimmen hören, die ihr sehr bekannt vorkamen und ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagten. Warum befanden sich die beiden in der Abstellkammer und über was redeten sie nur? Mimi spitzte die Ohren und hörte jedes einzelne Wort, das sie lieber nicht hören wollte. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns nochmal wiedersehen werden. Ist schon eine lange Zeit her. Zwei Jahre oder?“, fragte sie ihn, doch er antwortete ihr nicht. „Du hast deiner Freundin scheinbar nichts von uns erzählt, richtig?“, stichelte sie weiter. „Da gibt es nichts zu erzählen“, brummte er und seine Stimme hörte sich sehr unruhig an. „Sicher? Das hat sich damals aber anders angehört“, raunte sie und Mimi sah sie durch den Türschlitz, wie sie sich auf etwas setzte. „Ich denke manchmal noch gerne daran zurück.“ „Hör auf! Das war nichts Ernstes“, redete er sich heraus und Mimi spürte wie ein Stich durch ihr Herz ging. Könnte es etwa sein…? „Das weiß ich selbst, aber trotzdem hatten wir sehr viel Spaß, oder etwa nicht Taichi?“ „Das war damals“, entgegnete er sofort, „und Mimi darf davon nichts erfahren! Hätte ich gewusst, dass du Kaoris Schwester bist, dann…“ „Dann hättest du mich nicht angefasst?! Hey ich möchte dich nur daran erinnern, dass die Initiative oft von dir ausging. Oder wie oft hast du mir in den sechs Monaten geschrieben, dass du mit mir feiern gehen willst, obwohl es dir nur um das eine ging“, führte sie weiter aus und Mimi schluckte hart. Sechs Monate? Sechs Monate?! Hatte sie sich gerade etwa verhört? Sie wusste ja, dass was mit einem unbekannten Mädchen hatte, aber…ihr ganzer Körper begann zu zittern und ihr Brustkorb wurde auf einmal ganz schwer. In Magen fühlte sich so an als hätte sie einen Stein verschluckt. Ihre Augen brannten schon, doch sie war nicht in der Lage sich zu Bewegen. Sie fühlte sich wie festgeklebt und hörte weiterhin die Worte mit an, die für ihre Ohren nicht bestimmt waren. „Emi, ich meine es ernst! Halt deine…“ „Wow, ist ja schon gut! Reg dich mal ab! Seit wann bist du so empfindlich?“, unterbrach sie ihn leicht gereizt. „Ich bin nicht empfindlich, aber ich hätte nicht erwartet, dass…“ „Dass du mich jemals wiedersiehst? Überraschung, meist sieht man sich immer zweimal im Leben.“ Sie lachte und schlug die Beine provokativ übereinander. Mimi wurde abrupt sehr schlecht, wie sie sie vor ihm sitzen sah. Ihr Blick war lasziv und sie wollte sich nicht vorstellen, dass die beiden sonst was miteinander getrieben hatten. Doch auch Taichi schien über diese Begegnung alles andere als begeistert zu sein. „Du bist eine wahrhaftige Hexe!“ „Ach komm‘ das hast du immer besonders an mir gemocht, aber gut! Ich werde meinen Mund halten, damit dein kleines Porzellanpüppchen nicht vor lauter Kummer auf dem Boden zerschellt.“ Ihre Stimme wirkte herablassend und Mimi fragte sich ernsthaft, was sie ihr getan hatte?! Sie kannten sich noch nicht mal zwei Stunden und aus irgendeinem Grund konnte Emi sie nicht leiden. Und das schlimmste von allem: Sie war das Mädchen, an das Taichi seine Jungfräulichkeit verloren hatte! Eine Welle der Übelkeit überkam sie und sie hielt sich die Hand vor den Mund. Der beißende Geschmack von Erbrochenem breitete sich in ihrem Mund aus und sie fühlte sich auf einmal wieder wie fünfzehn. Hastig rannte sie zurück zur Toilette und riss die Kabinentür auf. Sie kniete sich auf den Boden, riss den Klodeckel nach oben und übergab sich in die Schüssel. Sie würgte erbarmungslos und spürte die heißen Tränen auf ihren Wangen, die ihr signalisierten, dass sie nicht träumte und dieser Alptraum tatsächlich real war. Wieder musste sie würgen und hatte den würzigen Geschmack der gebratenen Nudeln auf ihrer Zunge, der ihre Übelkeit jedoch verstärkte. Zwar dauerte es nicht lange bis sie sich beruhigt hatte, aber danach fühlte sie sich einfach nur noch schwach und lehnte sich schweratmend gegen die Kabinenwand. Ohne darüber nachzudenken, wischte sie mit ihrem Ärmel über ihren Mund und ließ ihre Hand sinken, die sich so schwer wie Blei anfühlte. Ihr Herz schmerzte noch immer und die Tränen liefen immer noch über ihre Wangen, ohne, dass sie es kontrollieren konnte. Sie fühlte sich verascht und war enttäuscht. Von Tai, da er eine längere Affäre mit Emi hatte. Von Emi, die sie grundlos hasste, nur weil sie mit ihrer Schwester befreundet war. Von sich selbst, da sie die Beherrschung verloren und sich in ihrer eigenen Verbundbarkeit wiederfand, die vor Jahren hinter sich gelassen hatte. Doch letztlich war sie immer noch dieses kleine unsichere Mädchen, das zu tiefst verletzt war und nun ihren schlimmsten Befürchtungen gegenübertreten musste. Kapitel 41: Vorweihnachtlicher Unfrieden ---------------------------------------- ♥ Taichi ♥ Sie stöhnte auf und ließ die Hüften kreisen, was ihn in den Wahnsinn trieb. Er konnte gar nicht mehr klar denken und versuchte sich zurückzuhalten, aber ihre laszive Art steckte ihn jedes Mal aufs Neue an. Er spürte ihre Hand auf seiner Brust, während sie sich leidenschaftlich mit ihm gemeinsam bewegte, genüsslich den Kopf in den Nacken legte und leise genießerisch seufzte. Es dauerte nicht mehr lang. Er spannte seine Muskeln an, sog scharf nach Luft und fühlte wie die Welle der Erregung auf ihn zukam. Sie erfasste ihn abrupt und ließ ihn vollkommen atemlos zurück. Er drückte sich in die weiche Matratze und sah wie sie von ihm grinsend hinunterkletterte. „Wow, du wirst ja immer besser“, sagte sie anerkennend und krabbelte zum Bettrand. Tai hingegen fühlte prompt diese Leere, die sein Herz einnahm, immer nachdem er mit ihr geschlafen hatte. Er hatte ein schlechtes Gewissen, aber aus irgendeinem Grund konnte er auch nicht darauf verzichten. „Ich geh duschen“, informierte sie ihn und wandte sie ihm zu. „Die Tür ist offen, falls du Lust auf Runde zwei hast.“ Hüllenlos schritt sie ins Bad und ließ die Tür einen Spaltbreit offen, in der Hoffnung das Tai ihr folgen würde, doch er musste seine Gedanken ordnen, die wild durch seinen Kopf sprangen. Er hatte Emi vor ungefähr einem Monat beim Feiern kennengelernt. Sie war zwei Jahre älter als er und befand ich bereits im Abschlussjahrgang. Nach der Schule wollte sie eine Musikschule besuchen – welche wusste sie noch nicht genau. Das war so ziemlich alles, was er über sie wusste. Mehr wollte er auch gar nicht über sie wissen. Es klang egoistisch, aber an dem Abend, an dem sie sich in dieser kleinen stickigen Bar trafen, hatten sie sich auf Anhieb verstanden gehabt. Yamato war mit seinen Bandkollegen weitergezogen, nachdem Taichi sich mit diesem außerordentlich hübschen Mädchen verquatscht hatte. Natürlich hatten sie auch einiges getrunken gehabt, weshalb sich die Stimmung schneller lockerte als Taichi eigentlich lieb war. Es hatte mit einem einfachen Kompliment begonnen, gefolgt von zärtlichen Berührungen, die ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Als sie die Bar verlassen hatten, überraschte Emi ihn mit einem spontanen, aber sehr lustvollen Kuss, der ihm die Sprache verschlug. Danach folgte eins nach dem anderen und sie waren in einem nahegelegenen Love Hotel gelandet, dass sie seither regelmäßig besuchten. An sein erstes Mal konnte er sich kaum erinnern, da er zu betrunken war. Laut Emi hatte es noch nicht mal fünf Minuten gedauert, bis er schlappgemacht hatte. Doch er hatte sich deutlich verbessert – jedenfalls waren das ihre Worte gewesen. Ein leiser Seufzer löste sich von seinen Lippen als er sich zur Seite drehte und seinen nackten Körper mit einer dünnen Decke verdeckte. Er verstand selbst nicht, was mit ihm los war und warum er einfach so eine Affäre mit einem wildfremden Mädchen angefangen hatte. Doch seit der Sache mit Mimi war er einfach nur frustriert. Sie hatte sämtliche Kontaktbrücken zu ihm abgebrochen. Reagierte weder auf SMS noch auf Anrufe. Meist erfuhr er nur über Sora oder Mixi, was in ihrem Leben vorging. Erst vor kurzem hatte sie ein Bild von einer Party gepostet, dass sie mit einem anderen Typen zeigte – glücklich lächelnd in die Kamera. Tai hätte kotzen können, allerdings war das der Abend an dem er Emi erneut kontaktierte und wieder mit ihr die Nacht verbrachte. Es wurde zu einer Art Ritual. Einem Geheimnis, dass noch nicht mal seine engsten Freunde kannten. Er vernahm das gleichmäßige Prasseln der Dusche und überlegte, ob er ihr nicht wirklich noch einen kurzen Besuch abstatten sollte. Mit Emi fühlte er sich nicht allein. Die Einsamkeit in seinem Herzen konnte gelindert werden. Auch wenn es sich nur um einige Stunden handelte. In diesen Momenten musste er nicht an seine komplizierte Beziehung zu Mimi denken oder wie sehr sie ihn mit ihren Worten verletzt hatte. Er fühlte sich frei und unbeschwert. Begehrenswert und attraktiv. Taichi schluckte als er Emis grazilen Rücken und den wohlgeformten Po durch den Türschlitz erblickte. Letztlich war auch er nur ein Mann, der sich ihren offensichtlichen Reizen geschlagen geben musste. Ohne weiter nachzudenken stand er auf und schritt bedächtig zur Badezimmertür… _ Schweißgebadet wachte er auf und setzte sich ruckartig auf. Er presste die Lippen aufeinander und schämte sich augenblicklich für seinen Traum, den er lange in der Vergangenheit einst gelebt hatte. Er schluckte hart und blickte unter die Decke als er feststellte, dass nicht nur er wach geworden war. „Na toll…“, murrte er und versuchte an seine alte Sportlehrerin aus der Mittelschule zu denken, deren Männertöter er einmal während des Unterrichts erblickt hatte. Meist kühlte ihn diese Vorstellung ab und er sparte sich die kalte Dusche am Morgen, aber diesmal waren die Gedanken an Emi einfach viel zu prägnant. Er hatte ein schlechtes Gewissen und wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Und ausgerechnet heute stand das Weihnachtsessen bei Mimi und ihren Eltern an, auf das er so gar keine Lust hatte. Nicht nachdem eine Person in seinem Leben aufgetaucht war, die er nicht erwartet hatte jemals wiederzusehen. Ihm fiel ihm schwer Mimi in die Augen zu blicken, ohne sein schlechtes Gewissen zu deutlich zu spüren. Sie hatte ihm gebeichtet, dass sie sich in ihrer Beziehung mehr Intimität wünschte, aber aufgrund seiner jetzigen Situation war ihm oft nicht danach, was ihm unglaublich leidtat. Gerade weil er so eine intensive Vergangenheit mit einem anderen Mädchen hatte und Mimi nicht das geben konnte, was sie sich gerne von ihm wünschte. Und jetzt hatte ihn dieser verdammte Traum komplett aus dem Konzept gebracht! Er ärgerte sich über sich selbst. Wie war er nur in diese äußerst beschissene Situation geraten und wie kam er nur aus ihr wieder raus? Emi stellte ganz klar eine Gefahr dar, die ihm sein Leben noch schwerer machen könnte. Denn er hatte ihr mehr erzählt als er eigentlich wollte. Sie wusste genau von seiner unglücklichen Liebe und warum es zu ihrer Affäre gekommen war. Damals war er offener und aufrichtiger als heute, was ihm sicher noch Probleme einbringen würde! Zwar hatte Emi ihm versprochen, Mimi nichts zu erzählen, aber er konnte nicht wirklich behaupten, dass er ihr glaubte. Sie spielte gerne mit Leuten und sicherlich war auch er eines ihrer Spielzeuge gewesen, ohne es zu wissen. Daher musste er verhindern, dass die Wahrheit jemals ans Tageslicht kommen würde. Er wollte Mimi nicht verlieren, indem er sie kränkte und ihr das Gefühl gab, dass es noch eine andere geben könnte. Denn die gab es nicht! Und vielleicht war genau dieses Familienessen ein guter Anfang! Auch wenn er das Gefühl hatte, dass Mimis Vater ihn nicht sonderlich gut leiden konnte. Er würde es Mimi zu Liebe durchziehen und der Freund sein, den sie sich wünschte. _ Gegen Abend machte Taichi sich tatsächlich auf den Weg zu den Tachikawas. Seit der Weihnachtsfeier, vor zwei Tagen, hatte er nur sehr wenig von Mimi gehört. Sie war gemeinsam mit Yamato und Sora nach Hause gegangen, während Taichi einer der Letzten war, um den Probenraum abzuschließen. Heute Morgen hatte er Mimi extra nochmal geschrieben und gefragt, ob er noch etwas mitbringen sollte, doch sie hatte ihm nicht mehr geantwortet, weshalb er spontan ein paar Plätzchen im Supermarkt gekauft hatte. Es dauerte nicht lang bis er tatsächlich vor der Haustüre der Tachikawas stand und klingelte. Ein nervöses Kribbeln wanderte durch seine Magengegend und er hielt krampfhaft die Plätzchenschachtel in seinen schwitzigen Fingern fest. Er konnte sich noch nicht mal einen Reim darauf bilden, warum er so nervös war. Er kannte doch Mimis Eltern bereits. Aber dennoch stand er vor einer neuartigen Situation. Er war der neue Freund ihrer Tochter, den sie sicher nun anders beäugen würden als zuvor. Kritischer und vielleicht sogar strenger, wenn er an die Sache mit Makoto zurückdachte. Viel Zeit lag wirklich nicht zwischen den beiden Beziehungen, aber das war ihm völlig egal. Er wollte ihren Eltern einfach zeigen, dass er es ernst mit ihr meinte. Dass er sie aufrichtig liebte, auch wenn er diese Worte noch nie über die Lippen gebracht hatte. Bevor er diesen Gedanken weiterdenken konnte, wurde ihm auch bereits die Tür geöffnet. Freudig begrüßte Frau Tachikawa ihn. „Taichi, schön dass du da bist! Das Essen braucht noch einen kurzen Moment“, sagte sie und nahm lächelnd seine Jacke ab. Tai zog seine Schuhe aus und stellte sie zu den anderen. „Ich habe noch ein paar Plätzchen mitgebracht“, erwiderte er und hielt sie Frau Tachikawa direkt vor die Nase. „Das ist aber sehr aufmerksam von dir! Komm setz dich schon mal hin. Mimi macht sich noch fertig“, antwortete sie und deutete auf den festlich gedeckten Esstisch an dem Herr Tachikawa bereits saß und seine Zeitung las. Taichi wurde ein wenig mulmig zu Mute, da er schon länger bemerkt hatte, dass Mimis Vater ihn nicht sonderlich gut leiden konnte. „G-Guten T-Tag“, stammelte er und fühlte sich richtig unwohl in seiner Haut. Er hatte gehofft, dass Mimi wenigstens schon zurechtgemacht sei und ihm Gesellschaft leisten würde. Zurzeit war er nicht besonders bewandert in Sachen Smalltalk. Ihm fiel es ziemlich schwer über seine Zukunft zu sprechen, die nicht allzu rosig aussah. Er hatte sein Stipendium verloren und seine Eltern waren zurzeit nicht in der Lage ihm die Uni zu finanzieren, weshalb er einen anderen Weg finden musste. Tai hatte sich überlegt, erst einmal ein paar Vorbereitungskurse zu besuchen und sich über eventuelle Unterstützungsmöglichkeiten informieren zu können. Nebenbei wollte er arbeiten gehen, doch einen anständigen Nebenjob zu finden war gar nicht so einfach mit den ganzen Prüfungsvorbereitungen, die ihn zusätzlich quälten. Eigentlich hatte er nie Schulprobleme gehabt, aber dennoch waren die Abschlussprüfungen eine andere Hausnummer. Sie würden direkt nach den Winterferien, im neuen Jahr, stattfinden und er war bereits sehr nervös deswegen. Doch das konnte er schlecht bei den Eltern seiner Freundin zugeben. Dennoch legte Keisuke Tachikawa seine heißgeliebte Zeitung nieder, grinste verschwörerisch und Taichi stellte sich auf das schlimmste Gespräch seines Lebens ein, dass ihn sicherlich nachträglich noch beschäftigen würde. _ Das Gespräch stellte sich als harmloser raus als erwartet, was Taichi erleichterte. Mimis Vater ging nicht allzu sehr auf seine Zukunftswünsche ein, sondern quetschte ihn vielmehr über seine schulischen Leistungen aus. „Keisuke, lass dem Jungen doch mal ein bisschen Luft zum Atmen!“, hörte er Frau Tachikawa belustig sagen. Sie hatte einen gefüllten Truthahn besorgt und kümmerte sich gerade um die Bratensoße. „In den USA haben wir sowas an Weihnachten immer gegessen! In Japan war allerdings der Truthahn schon schwer zu bekommen. Ich musste drei Geschäfte aufsuchen, bevor ich einen Anständigen gefunden habe“, erzählte sie und versuchte das Gespräch ein wenig aufzulockern. Taichi war ihr sehr dankbar deswegen, auch wenn er sich Mimi an seine Seite wünschte. Sie schien sich immer noch fertig zu machen, was auch ihrer Mutter scheinbar bitter aufstieß. „Mimi, bist du langsam mal fertig? Taichi ist schon da und es gibt gleich essen“, hörte er Satoe Tachikawa rufen, doch Mimi reagierte nicht. „Furchtbar…“, grummelte sie vor sich, probierte danach aber ihre Soße, die sie nickend abschmeckte. „Ich glaube, wir können jetzt essen, falls MADAME sich endlich mal aus ihrem Zimmer bewegt.“ Madame betonte sie besonders laut, damit es Mimi hörte. Taichi blickte ebenfalls zu Mimis Zimmer, aus dem er keinen Mucks zu hören schien. Ihre Mutter seufzte nur genervt und schüttelte den Kopf. „Keisuke, vielleicht probierst du es einfach mal! Auf mich scheint sie immer noch schlecht zu sprechen zu sein“, schlussfolgerte sie und richtete sich hilfesuchend an ihren Mann, der sich stöhnend von seinem Platz erhob. Er schritt zu Mimis Zimmertür und klopfte energisch. Währenddessen richtete Satoe das Essen auf dem Tisch an und setzte sich Taichi gegenüber, nachdem sie den Truthahn in der Mitte platziert hatte. „Tut mir leid, sie ist wohl ein bisschen eingeschnappt. Wir haben uns heute Morgen ein bisschen gestritten“, gab sie kleinlaut zu. Überrascht blickte Taichi sie an und hatte nicht mit so viel Ehrlichkeit gerechnet, aber scheinbar wusste ihre Mutter bereits, dass sie ihre schlechte Laune nicht verbergen konnte. Nach gutem Zureden von ihrem Vater kam sie tatsächlich aus dem Zimmer. Taichi stand sofort auf, um sie zu begrüßen, doch er wusste auch, dass er sie nicht vor ihren Eltern einfach so küssen konnte. „Hey…“, brachte er nur hervor und zog sie in eine kurze Umarmung, die sie jedoch kaum erwiderte und so schnell wie möglich löste. Ihr Gesicht wirkte wütend, aber auch gleichzeitig sehr verbissen auf ihn. Sie hatte sich widerwillig auf ihrem Stuhl niedergelassen und verschränkte die Arme vor ihrem schwarzen Kleid, dass sie sehr blass erschienen ließ. „Mimi, jetzt zieh‘ nicht so ein Gesicht“, ermahnte sie ihr Vater als er sich ihr gegenübersetzte. Mimi verzog jedoch keine Miene, sondern kaute nur angesäuert auf ihrer Unterlippe herum. Taichi würdigte sie keines Blickes, was ihn sehr wunderte. War sie etwa auch sauer auf ihn? Was hatte er ihr nur getan? „Okay, da wir jetzt alle am Tisch sitzen, können wir auch mit dem Essen beginnen“, schlug Frau Tachikawa fröhlich vor. „Ich habe aber immer noch keinen Hunger“, kam es direkt von Mimi, die angewidert auf den Tisch blickte. „Mimi, nicht schon wieder! Wir haben einen Gast!“ „Und weiter? Tai stört es sicher nicht, wenn ich nichts esse oder?“ Sie sah ihn durchdringend an, doch er wusste nicht wirklich was er darauf antworten sollte. Schließlich wurde er ja zum Weihnachtsessen eingeladen, um gemeinsam mit allen zu essen. „Naja, ich…“ „Jetzt benimm‘ dich bitte“, unterbrach Satoe ihn barsch. „Du verhältst dich seit einigen Tagen wirklich unmöglich!“ „Ich? Ist das jetzt dein Ernst? Wer zwingt mich denn regelmäßig zum Essen? Ich habe dir doch gesagt, dass ich keinen Hunger habe“, untermauerte sie starr. „Mimi du weiß genau, dass ich mir nur Sorgen um…“ „Ach tust du das? Und warum lügst du uns dann jahrelang an?“, fragte sie, während sich eine Zornesfalte auf ihrem Gesicht abzeichnete. Taichi folgte dem Gesehenen perplex, da er nun gar nichts mehr verstand. Was war hier los und von was sprach Mimi da nur? „Schätzchen, von was redest du da?“, hakte auch ihre Mutter verständnislos nach. Doch Mimis Wut wurde somit ins Unermessliche geschürt. „Stellst du dich jetzt ernsthaft dumm?“, raunzte sie und sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Taichi beobachtete sie skeptisch. In ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, den er noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Ihre Augen waren glasig und ihre Lippen zitternd, da sie sie fest aufeinandergepresst hatte. Ihre Stirn war runzelig und ihre Hände, die sich auf der Tischplatte abstützen, waren zu Fäusten geballt. „Mimi wie redest du denn mit deiner Mutter?“, mischte sich nun auch Herr Tachikawa ein, der seine Tochter sprachlos betrachtet hatte. Taichi blieb immer noch stumm. „Du verstehst das nicht! Sie hat uns all die Jahre angelogen und tut so als wäre sie die Übermutter, die sie ganz sicher nicht ist!“, brüllte sie und einige Tränen lösten sich und rannen lautlos ihre Wange hinunter. „Mimi, was redest du da denn? Ich habe euch nie…“ „Hör gefälligst auf zu lügen! Ich weiß Bescheid! Von deinem kleinen Geheimnis, dass du seit Jahren verheimlichst!“ Ihre Stimme war kratzig, ihre Haltung angespannt. Ihr Gesicht sah unfassbar traurig aus und die Tränen liefen unkontrolliert über ihre Wangen, sodass Taichi sie am liebsten in den Arm genommen hätte. Was war nur passiert? Und von welchem Geheimnis sprach Mimi da nur? Er fühlte sich hilflos. Er hasste es sie so zu sehen, doch er konnte ihr nicht helfen. Sie war immer noch voll und ganz auf ihre Mutter fixiert, die um ihre eigene Fassung rang. „Wovon sprichst du nur?“, flüsterte sie und senkte beschämt den Kopf, so als würde sie genau wissen, auf was Mimi hinauswollte. Seine Freundin schüttelte nur mit dem Kopf und blickte blinzelnd nach oben. „Warum kannst du nicht ehrlich sein? Was ist mit ihm passiert? Und wehe du leugnest es jetzt! Ich habe die Geburtsurkunde gefunden“, stellte Mimi verbissen klar und sah ihr dringlich in die Augen. Satoe Tachikawa klappte der Mund auf und blankes Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. „Du hast in meinen Sachen geschnüffelt?“, fragte sie ebenso gereizt wie Mimi und stand ebenfalls auf. Taichi blickte unsicher zwischen Mutter und Tochter hin und her, während Keisuke Tachikawa verstummt war. „Ist das alles was dir dazu einfällt? Du hast mich siebzehn Jahre lang belogen und ich will endlich die Wahrheit wissen. Das bist du Papa und mir schuldig“, untermauerte sie hartnäckig. Satoe allerdings schnaubte nur verächtlich. „Mimi, das ist etwas aus meiner Vergangenheit! Es wird schon einen guten Grund geben, warum ich es dir nicht erzählt habe!“ „Das ist doch alles nur eine beschissene Ausrede! Ihr habt uns angelogen und könnt noch nicht mal dazu stehen“, schrie sie verzweifelt und schlug mit der Faust auf den Tisch, der zu wackeln begann. Taichi erschrak augenblicklich und war sichtlich verwirrt. Was redete sie da nur? Er blickte überhaupt nicht mehr durch, aber er wusste, dass er eingreifen musste, bevor es eskalierte. Deswegen nahm er seinen Mut zusammen und ergriff ihr Handgelenk, dass sie jedoch ruppig von ihm wegriss. „Misch dich da nicht ein, Taichi! Du bist genauso ein Lügner wie sie!“, unterstellte sie ihm, was ihn völlig überrumpelte. „Was? Mimi beruhig‘ dich jetzt erstmal! So kenne ich dich gar nicht“, antwortete er schockiert. Doch Mimi ließ sich nicht beirren und machte ungeniert weiter. „Hört alle auf! Ich werde mich ganz sicher nicht beruhigen! Ich will die Wahrheit wissen!“ „Mimi…“, brachte ihre Mutter verzweifelt vor und Tai sah, dass auch sie bereits den Tränen nah war. So hatte er sich ganz sicher nicht dieses Weihnachtsessen vorgestellt gehabt! Es eskalierte vollkommen und so wütend hatte er Mimi noch nie gesehen gehabt. Es war fast schon ein wenig beängstigend und er traute sich auch kaum zu bewegen, doch irgendwer musste doch etwas tun! „Jetzt setzt dich bitte. Wir reden heute Abend in Ruhe, in Ordnung?“, mischte sich dann doch Herr Tachikawa ein, der sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte. Doch seine Frau hatte sich weinend auf den Stuhl gesetzt und den Kopf zu Boden gerichtet. Mimi hingegen war die einzige Person, die immer noch stand. Ihre Augen hatten sich entsetzt geweitet, nachdem ihr Vater versuchte ihre Mutter zu beruhigen. „Du weißt darüber also Bescheid…“, schlussfolgerte sie sprachlos. „Ihr seid also alle Lügner! Alle die hier sitzen!“ Kurz nachdem sie diese harten Worte ausgesprochen hatte, entfernte sie sich zügig. Während ihre Eltern immer noch am Tisch saßen, brauchte Tai keine Sekunde, um sich aufzurappeln. Sie war vollkommen durcheinander! So konnte er sie doch nicht gehen, zumal sie ihn auch als Lügner bezeichnete! Das durfte er nicht auf sich sitzen lassen! „Mimi, komm mal wieder runter. Lass uns in Ruhe darüber reden!“ Er griff sie am Handgelenk und drehte sie zu sich, doch sie wehrte sich gleich, indem sie ihn von sich drückte. „Ich will alleine sein! Geh doch zu Emi und vögel‘ sie durch, wie du es sechs Monate lang getan hast!“ Sein Gesicht entgleiste und er war nicht mehr in der Lage irgendetwas zu ihr zu sagen. Allerdings hatte er in ihre schmerzerfüllten Augen blicken können, die sein Herz unglaublich erschwerten. Sie hatte alles mit angehört! Sie wusste von ihm und Emi. Und er hatte gehofft, dass sie es niemals erfahren würde. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie schlimm Geheimnisse sein konnten. Er hörte Mimis Mutter hinter sich immer noch weinen, auch wenn er die Zusammenhänge immer noch nicht verstanden hatte. Mimi war in ihr Zimmer verschwunden und hatte die Tür lautstark hinter sich zugeknallt. Er hingegen stand verloren Mitten im Raum, unwissend, was er als Nächstes tun sollte. Kapitel 42: Realitätsverlust ---------------------------- ♥ Mimi ♥ Sie lag erschöpft und langgesteckt auf ihrem Bett. Ihr Kopf pochte schmerzhaft und ihre Wangen fühlten sich wegen ihrer Tränen leicht klebrig an. Ihr Gesicht hatte sie in ihr weiches Kissen gedrückt, doch sie kam einfach nicht zur Ruhe. Sie war vor allen völlig ausgerastet, aber ihr taten die Worte nicht leid, die sie gesagt und in den Raum gestellt hatte. Anscheinend hatten alle sie belogen. Selbst ihr Vater, der überhaupt nicht überrascht war, sondern ihre Mutter sogar getröstet hatte. Sie allerdings war es leid geworden! Der berühmte Tropfen war übergelaufen, besonders nachdem ihre Mutter ihr heute Morgen das Frühstück aufzwängen wollte. Sie hatte mitbekommen, dass es ihr nach der Weihnachtsfeier nicht sonderlich gut ging und nur sehr wenig gegessen hatte, weshalb ihre Alarmglocken scheinbar dauerhaft klingelten. Jedoch konnte Mimi sie nicht mehr verstehen. Bei ihr war sie immer so fürsorglich gewesen, meist war es schon zu viel des Guten, aber dann verschwieg sie ihr einfach ihren Bruder, den sie ohne weiteres weggeben hatte? Es machte sie einfach so rasend vor Wut. Und es machte sie noch wütender, dass nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihr Vater sie angelogen hatte. Bestimmt kannte jeder aus der Familie ihr kleines Geheimnis und hatte es vor ihr verschwiegen. Und dann war da auch noch Tai, der ausgerechnet mit Kaoris Schwester eine Affäre gehabt hatte. Ihr wurde immer noch schlecht, wenn sie daran dachte. Wenn sie sich die Bilder ausmalte, wie sie lasziv vor ihm lag und er ihren ganzen Körper mit Küssen bedeckte…sie konnte nicht fassen, dass er mit so einer Hexe regelmäßig geschlafen hatte. Er hatte sie ihr vorgezogen. Ihr etwas gegeben, dass sie sich schon damals von Herzen von ihm wünschte. Intimität. Leidenschaft. Liebe. Ihr Hals schnürte sich zu und die Tränen standen in ihren Augen. Sie war innerlich aufgewühlt, doch gleichzeitig fühlte sie sich auf verlorenem Posten. Mimi wollte nichts essen, wollte niemanden mehr sehen, sie wollte einfach nur ihre Ruhe haben und sich in den Schlaf weinen, der einfach nicht eintreffen wollte. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, war aber zu kraftlos sich auf die Seite zu drehen, um auf ihren Wecker sehen zu können. Daher blieb sie einfach liegen und hoffte, dass dieser Tag schnell zu Ende ging. _ Dieser Wunsch wurde ihr jedoch nicht erfüllt. Gegen Abend hörte sie ein zaghaftes Klopfen an ihrer Zimmertür, dass sie nur mit einem Grummeln quittierte. Sie zog sich das Kissen über den Kopf und hoffte einfach, dass die Person an ihrer Tür bald verschwinden würde. Sie wollte nicht reden. Sie wollte einfach ihre Ruhe haben! Mittlerweile hing allerdings ihr Magen tatsächlich in den Kniekehlen. Sie hatte seit zwei Tagen nicht richtig gegessen gehabt, weshalb ihr Bauch schmerzvoll knurrte. Doch sie würde diese Qual aushalten! Dieser Schmerz würde sie von all den anderen Schmerzen ablenken und irgendwann würde selbst das Hungergefühl verschwinden, da war sich Mimi sicher. Allerdings war das im Moment sogar ihr kleinstes Problem! Sie hörte, auch wenn sie sich das Kissen über den Kopf gezogen hatte, dass sich ihre Zimmertür öffnete. „Verschwinde“, zischte sie laut genug, dass man sie verstehen musste. Die Person sagte hingegen nichts, sondern ließ sich einfach auf ihrer Matratze nieder. Wütend raffte sich Mimi auf und warf ihr Kissen zur Seite. „Hau ab, ich will nicht…“, sie hielt inne als sie in das Gesicht ihres Vaters blickte. Eigentlich hatte sie mit ihrer Mutter gerechnet. Mimi hielt die Luft an und wusste selbst nicht so wirklich, was sie zu ihrem Vater sagen sollte. Sie hatte ja keine Beweise, dass er tatsächlich Bescheid wusste, all das war nur eine Vermutung gewesen! Doch hätte er nichts davon gewusst, hätte er doch sicher anders reagiert?! Jedenfalls sagte das ihr klarer Menschenverstand! „Was willst du?“, knurrte Mimi bissig und presste ihren Rücken gegen ihre Zimmerwand. Schützend legte sie die Arme um ihre Knie und zog sie nah an ihren Körper heran, während ihr Vater sie besorgt musterte. „Wie lange weißt du es schon?“, fragte er in einem ruhigen Ton. „Wie lange weißt du es denn schon?“, stellte sie die Gegenfrage und betrachtete ihn abschätzig. Sie hatte also die Bestätigung. Er wusste Bescheid und sie war sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht. Einerseits schien die Ehe ihrer Eltern wenigstens nicht auf einer Lüge aufzubauen. Andererseits konnte sie nicht verstehen, dass beide ihr dieses Geheimnis jahrelang verschwiegen hatten! „Mimi…wir haben oft miteinander darüber gesprochen und wollten es dir sagen, wenn du etwas älter bist“, erklärte er mit sanfter Stimme. „Ach wirklich? Wann wolltet ihr es mir erzählen? Wenn ich dreißig bin?“, raunzte Mimi und merkte selbst wie ungehalten sie wurde. Die ruhige Art ihres Vaters ließ sie heute besonders aus der Haut fahren und zum Platzen bringen! Konnte er nicht wenigstens jetzt zu ihr ehrlich sein?! „Ach Schätzchen, diese Sache hat deine Mutter immer sehr belastet und ich wollte sie nicht dazu drängen, mit dir darüber zu sprechen. Sie ist ganz aufgelöst!“ „Schön für sie! Dann kann sie vielleicht ein bisschen nachvollziehen, wie es mir in den letzten Tagen gegangen ist!“ „Mimi, sei nicht unfair! Du kennst die Geschichte nicht und…“ „Dann erzähl sie mir gefälligst! Ich habe ein Recht sie zu erfahren!“, brüllte Mimi aufgebracht. Schon wieder sammelten sich verzweifelte Tränen, die in ihren Augen brannten. „Lass deiner Mutter noch ein bisschen Zeit, bitte! Sie wird es dir erzählen, wenn es ihr…“ „Vergiss es! Ihr könnt mich doch nicht ewig hinhalten“, unterbrach Mimi ihn schroff. „Ich habe einen Halbbruder und weiß nichts über ihn! Ich weiß noch nicht mal, ob er überhaupt lebt!“ Sie schmeckte etwas Salziges an ihren Lippen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und zeigten den puren Schmerz, die blanke Enttäuschung, die sie gegenüber ihren Eltern empfand. Noch nie im Leben hatte sie sich so hintergangen gefühlt wie in diesem Moment. Und niemand war in der Lage ihr eine anständige Antwort zu erteilen. Sie war doch kein kleines Mädchen mehr! Verdammt noch mal! Ihr Vater seufzte und fasste sich an die Stirn. „Dein Halbbruder wurde kurz nach der Geburt von einem Pärchen aus Osaka adoptiert. Es war eine geschlossene Adoption, weshalb deine Mutter auch nicht viel mehr weiß. Aber damals war es die beste Entscheidung für alle Beteiligten gewesen, glaub mir das“, versuchte er ihr zu erklären, doch Mimi konnte es nicht verstehen. Ihre Mutter würde doch nicht so ohne weiteres ein Baby weggeben! Das passte überhaupt nicht zu ihr! „Papa, ich will jetzt die ganze Wahrheit wissen! Mama hätte niemals ihren Sohn weggeben! So ist sie nicht und das weißt du auch!“ Betroffen senkte ihr Vater den Kopf und rang mit seinem Gewissen. Insgeheim wusste Mimi, dass sie ihn in eine missliche Lage brachte. Natürlich wollte sie auch die Sicht ihrer Mutter hören, aber sie konnte nicht mehr länger warten, weshalb sie ihn intensiv ansah, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie ihm keine andere Wahl ließ. „Dein Großvater hatte die Adoption veranlasst“, gab er schweren Herzens zu. „Deine Mutter hätte deinen Bruder gerne behalten, aber das ging damals einfach nicht.“ Mimi schüttelte nur mit dem Kopf. Ihr Großvater sollte die Adoption veranlasst haben? Das dufte nicht wahr sein! Nein, ihr Vater suchte doch nur nach einem Schuldigen, den man nicht mehr belangen konnte. „Das glaube ich dir nicht! Ich war immer Opas größter Stolz gewesen! Das kann nicht wahr sein“, antwortete sie ungläubig, wandte den Blick von ihrem Vater und stand zügig von ihrem Bett auf. Sie konnte nicht mehr neben ihm sitzen. Sie hatte diese ganzen Lügen einfach nur satt. „Mimi ich sage dir aber die Wahrheit“, versicherte er ihr bestimmend. „Ach wirklich? Und warum soll er das gemacht haben?“, fragte sie gereizt und drehte sich ihm wieder zu. Er saß immer noch auf ihrem Bett und fixierte sie mit einem klaren Blick. „Weil dein Bruder taub geboren wurde!“ _ Sie hatte keine Ahnung, wie sie zu ihr gelangt war. Ihre Füße hatten sie einfach zu ihrer Haustür getragen, wo sie weinend zusammengebrochen war. Sie hatte es nicht länger ausgehalten zuhause zu bleiben, da ihr nach dem Geständnis ihres Vaters ihr die Decke auf den Kopf gefallen war. Es war ihr einfach zu viel, weshalb sie schluchzend einfach alles erzählte. Sie weinte erbärmlich, zitterte vor Wut und atmete unregelmäßig, sodass sie schon Angst hatte vor ihrer Freundin zu kollabieren. Doch sie wusste sofort, was zu tun war, breitete ohne zu zögern das Gästefuton in ihrem Zimmer aus und kochte zwei heiße Tassen Tee, bevor sie sich in ihrem Zimmer verzogen. Mimi hatte sich in eine dicke Decke gekuschelt und hielt die dampfende Tasse Pfefferminztee in ihren schwächlichen Händen, bevor sie die Tasse neben sich abstellte, da der Tee noch viel zu heiß zum Trinken war. Ihre Augen brannten und waren so sehr gereizt, dass sogar das Blinzeln schmerzte. „Und du bist sicher, dass ich hierbleiben kann“, fragte sie kaum hörbar, da sie Angst hatte ihr Umstände zu bereiten. Schließlich wollte sie ihre Freundin nicht in dieses ganze Drama mitreinziehen, aber sie wusste nicht wohin. Die einzige Person, die das gleiche Schicksal mit ihr teilte, lebte mit dem Feind zusammen, den Mimi in nächster Zeit lieber nicht begegnen wollte. „Ach, du hast doch schon öfter hier übernachtet und meine Mutter wird nichts dagegen haben. Sie ist noch im Blumenladen, weil spontan ein Auftrag reinkam, daher wird es eh spät bei ihr“, versicherte ihr Sora mit sanfter Stimme. „Ich kann verstehen, dass du jetzt erstmal Abstand brauchst.“ Mimi presste verbittert die Lippen aufeinander und konnte den Schmerz in ihrem Innern kaum begreifen. Sie fühlte sich einfach nur verloren, so als hätte sie ein Teil ihres Selbst verloren, den sie zuvor jedoch nicht kannte. Ihren Bruder. Er war ein Phantom, der sie die letzten Wochen begleitet hatte. Konnte man überhaupt einen Menschen vermissen, den man noch nicht mal kannte? Wieso fühlte sie dann diese klaffende Leere, die ihr jeglichen rationalen Gedanken nahm und ihre Wut gegen diejenigen schürte, die ihr diese Erfahrung genommen hatten? Einen Bruder zu haben. Die Wahrheit zu wissen. All das hatte ihren standfesten Untergrund erschüttert und eine tiefe Schlucht hervorgerufen, in die sie drohte zu stützen, wenn sie keiner auffing. Zu Taichi konnte sie ebenfalls nicht gehen, weil er sie belogen hatte und nicht ehrlich zu ihr sein konnte. Auch davon hatte sie Sora bereits erzählt, die ihr aufmerksam zuhörte und sie kein einziges Mal unterbrach, selbst wenn sie vor lauter Tränen selbst ins Stocken kam. Ohne eine weitere Reaktion von Mimi abzuwarten, stieg sie von ihrem Bett und legte die Arme behütend um sie, sodass ihre Fassade langsam zerbröckelte und ihr wahres verletztes Wesen zum Vorschein kam. „Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Tai hat mich angelogen und meine Eltern ebenfalls! Sora…was soll ich nur tun?“, fragte sie verzweifelt und drückte ihr Gesicht gegen ihre Halsbeuge. Behutsam fuhr Sora über ihren Rücken und drückte sie fest an sich. „Ich weiß es leider auch nicht…“, flüsterte sie überfordert und Mimi bemerkte, was sie ihrer Freundin aufbürdete. Sie hatte genug mit sich selbst zu tun, vor allem wegen dem Baby! Und jetzt schüttete sie Sora mit ihren Problemen zu! „Es tut mir leid, dass ich dich da mitreinziehe“, sagte sie mit schwacher Stimme und löste sich von ihr. „Ach Mimi, sag doch sowas nicht! Ich bin für dich da, egal was auch passiert. Du kannst hierbleiben, bis du bereit bist mit deinen Eltern zu reden! Und Taichi kann sich wirklich was von mir anhören, wenn ich ihn beim nächsten Mal wiedersehe!“ Sie blies die Wangen auf und zog die Augenbrauen zusammen, sodass sich Mimi ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Manchmal waren Freunde genau das, was man in solchen aussichtslosen Situationen benötigte. Mimi wusste, dass die nächste Zeit sicher hart für sie werden würde, da sie sich auf einem unbestimmten Pfad befand, dessen Ziel sie nicht klar einordnen konnte. Doch mit Sora an ihrer Seite, wusste sie, dass sie alles überstehen würde. Kapitel 43: Ein ausgeklügelter Plan ----------------------------------- ♥ Taichi ♥ Wie konnte er nur so dumm sein? Er ärgerte sich über sich selbst und konnte diese brodelnde Wut kaum in Worte fassen, die ihn seit Tagen einnahm. Er hatte versucht mit Mimi Kontakt aufzunehmen, doch die Winterferien machten es ihm unmöglich sie zu erreichen. Gemeinsam mit seiner Familie hatte er Weihnachten gefeiert, auch wenn es eher unüblich in Japan war. Doch seine Mutter bestand darauf, Familienzeit einzuberufen, um dem Zusammenhalt untereinander zu stärken. Zwar hatte Taichi das Gefühl, dass sich sein Vater tatsächlich versuchte zu ändern, aber ihm fiel es schwer an den Frieden zu glauben, da er in diesem Jahr einfach die Hölle auf Erden mitmachen durfte. Noch nie in seinem Leben hatte er es so herbeigesehnt, dass ein Jahr endlich zu Ende ging, wie dieses hier. Doch die Probleme wollten einfach nicht abbrechen. Mimi wollte ihn zurzeit nicht sehen und unterband jeglichen Kontakt zu ihm, was ihm große Sorgen bereitete, denn so wie beim Weihnachtsessen hatte er sie noch nie erlebt. Von Yamato hatte er erfahren, dass sie die letzten Tage über bei Sora verbracht hatte, nachdem der Streit zwischen ihren Eltern und ihr komplett eskaliert war. Er wusste noch immer nicht, was zwischen ihnen vorgefallen war, aber er kannte Mimi gut genug, um zu wissen, dass es sich um keine Lappalie handeln konnte. Heute Nachmittag wollte er sich gemeinsam mit seinem besten Freund und Sora treffen, um die Lage zu besprechen, auch wenn Sora ihm sicher die Leviten lesen würde. Doch darauf hatte er sich bereits eingestellt und hoffte, dass er Sora erklären konnte, dass die Sache mit Emi damals für ihn völlig bedeutungslos war. Natürlich hatte er an seine eigenen Gelüste gedacht und wollte Mimi dadurch vergessen, was ihm allerdings nicht wirklich gelungen war. Allerdings waren die beiden damals ebenfalls kein Paar gewesen, weshalb er Mimis abweisende Haltung nur bedingt verstehen konnte. Er hatte damit gerechnet, dass sie sauer wäre, aber nicht damit, dass sie den Kontakt zu ihm völlig unterbinden würde. Er fühlte sich einfach wieder zurück in die Vergangenheit versetzt, nachdem die Nacht zwischen den beiden passiert war und sie ebenfalls einen Schlussstrich daruntergesetzt hatte. Taichi hatte demnach Angst, dass sie wieder so engstirnig handeln würde, was in ihm eine deutliche Unruhe auslöste. Angespannt wanderte er durch sein Zimmer und ging sämtliche Szenarien durch, wie er Mimi die Sache mit Emi anständig erklären könnte. Doch er kannte seine starrköpfige Prinzessin, die von ihm Taten erwartete, statt Worte. „Willst du etwa ein Loch in den Boden laufen?“, ertönte plötzlich die Stimme seiner Schwester, die sich gegen seinen Türrahmen lehnte und ihn mit angezogener Augenbraue beobachtete. „Wie lange stehst du denn schon hier?“, fragte er überrascht, da er sie gar nicht kommen gehört hatte. „Du scheinst ja wirklich neben der Spur zu sein“, stellte sie fest, betrat sein Zimmer unweigerlich und setzte sich gespannt auf seinen Schreibtischstuhl. „Was ist denn los? Ich habe dich sogar vorhin gerufen, weil Mama wissen wollte, was sie uns für Silvester zum Essen kaufen soll.“ Stimmt. Das hatte er ja fast schon wieder vergessen. Seine Eltern würden Silvester und Neujahr bei seinen Großeltern auf dem Land verbringen, um dem Trubel der Stadt zu entfliehen. Er hatte die Aufgabe auf seine kleine Schwester acht zu geben, die jedoch schon ihre eigenen Pläne für Silvester mit ihren Freunden geschmiedet hatte. „Willst du darüber sprechen?“, hakte sie nach und beäugte ihn neugierig. Taichi seufzte nur und ließ sich auf seinem Bett nieder. „Was soll ich denn groß sagen? Ich habe Mist gebaut und weiß nicht, wie ich das wieder gut machen soll“, antwortete er grimmig und ließ sich mit dem Rücken auf seine weiche Matratze fallen. „Du hast also Stress mit Mimi“, stellte Kari nüchtern fest. „Um was geht es diesmal?“ „Das kann ich dir nicht so genau sagen…“, brummte er peinlich berührt, da er vor seiner Schwester ganz sicher nicht seine Sexeskapaden auspacken wollte. „Natürlich…warum machst du aus allem so ein Geheimnis, wenn ihr beide sowieso wie wilde Tiere übereinander herfallt?“ „Was?“, blaffte Tai und setzte sich augenblicklich auf. „Wovon redest du denn?“ „Naja, Yolei hat mir erzählt, dass das zwischen euch schon seit Mai geht! Ihr hättet auf der Poolparty wie wild rumgemacht! Mit Zunge! Und du wärst sogar mit der Hand unter ihrem Kleid verschwunden!“, stellte Kari in den Raum und blickte ihren Bruder mit einem abgeklärten Blick an. Taichi hingegen wurde feuerrot. „Was? Das stimmt doch gar nicht!“, beteuerte er waghalsig, wohlwissend, dass seine Schwester tatsächlich von der Wahrheit sprach. Er erinnerte sich noch gut an den Kuss und welche Auswirkungen dieser bei ihm hatte. Er war der Anfang. Der Hoffnungsschimmer, an dem er sich die ganze Zeit festgehalten hatte. „Ich verstehe echt nicht, warum du mich jetzt so eiskalt anlügst! Ich bin kein kleines Kind mehr und ich weiß, dass du sie liebst! Warum ist es dann immer so kompliziert zwischen euch? Ist das in einer Beziehung etwa normal? Wenn ja, will ich lieber keine haben!“, murmelte sie aufgebracht. Taichi blickte seine Schwester sprachlos an und verstand nur sehr langsam, was sie gerade zu ihm gesagt hatte. Selbstverständlich waren Beziehungen nie einfach, aber waren sie wirklich so kompliziert, wie es sich zwischen Mimi und ihm darstellte? Wieso konnten sie ihre Zweisamkeit nicht einfach genießen und ganz normalen Pärchenaktivitäten nachgehen? Er hatte immer das Gefühl, dass es sich um einen Kampf handelte. Einen Kampf den er nur verlieren konnte, da er sich selbst nicht gerecht werden konnte. „Nein Kari, so ist das normalerweise nicht. Aber wenn man einen Menschen schon mal verletzt hat, fällt es einem sehr schwer alles locker zu sehen, da man ihn nicht wieder verletzten möchte“, gab er zu und merkte, was ihn wirklich hemmte. Ja, er liebte Mimi und er wollte mit ihr zusammen sein, aber er hatte Angst, dass jeder Schritt den sie gemeinsam gingen, ihr Letzter sein könnte. Dass sie wieder scheiterten und vor den Trümmern ihrer Beziehung und Freundschaft standen. Doch er hatte vergessen, dass er sie so ebenfalls nicht glücklich machen konnte. „Aber glaubst du nicht, dass du sie damit nicht noch mehr verletzt? Mimi ist nicht aus Watte und so bleibt ihr doch immer auf der Stelle stehen. So wie Mama und Papa. Er hätte sich niemals geändert, wenn Mama ihm nicht die Augen geöffnet hätte!“ „D-Du hast das mitbekommen?“, fragte er erstaunt und konnte nicht fassen, dass seine kleine Schwester ein besseres Verständnis in Sachen Liebe hatte als er. „Natürlich, ich bin weder taub noch verschließe ich meine Augen vor der Realität! Und du solltest das auch nicht tun! Zeig Mimi was du für sie empfindest, bevor du sie verlierst! Sie war an deiner Seite gewesen als es uns schlecht ging und ich erinnere mich noch gut an ihren besorgten Blick als sie mitten in der Nacht extra für dich im Krankenhaus aufgetaucht war. So ein Mädchen findest du echt nie wieder, also halt dich ran!“, Kari beendete ihren Monolog, der einen auffordernden Unterton enthielt. Taichi war einfach nur baff. Seine Schwester war ihm eindeutig voraus. Um Längen sogar, auch wenn er es nur ungern vor ihr zugeben würde. Doch ihre Worte hatten ihn aufgerüttelt. Er musste etwas tun, um sie nicht zu verlieren und er hatte schon die passende Idee, was er machen könnte, um Mimis Herz wieder zurückzuerobern. _ „Und werdet ihr mir helfen?“, fragte er hoffnungsvoll und blickte in die Gesichter seiner beiden Freunde, die er von seiner Idee unbedingt begeistern wollte. „Du nimmst dir ja einiges vor“, antwortete Yamato lächelnd. „Hätte nicht gedacht, dass in dir ein wahrer Romantiker schlummert.“ Verlegen tätschelte sich Taichi den Hinterkopf und wanderte zu Sora, die sich noch nicht geäußert hatte, sondern ihren kleinen Babybauch zärtlich streichelte. „Was meinst du Sora? Wärst du dabei?“, hakte Taichi nach, da ohne sie sein Plan nicht funktionieren würde. „Vergiss nicht, dass mir die beiden damals auch geholfen haben. Am Strand“, erinnerte Yamato sie eindringlich, um sie zusätzlich zu motivieren. Sein bester Freund hatte sich vor allzu langer Zeit genau in der gleichen Lage befunden und konnte ahnen, wie wichtig Taichi diese Aktion war. Er wollte sich entschuldigen und ihr obendrein zeigen, wie viel Mimi ihm bedeutete. Es hatte fast schon etwas von einer Offenbarung, was ihm schon Überwindung kostete. Doch er wollte alles auf eine Karte setzen. Denn wer nichts riskierte, konnte auch nichts gewinnen. „Bitte“, flehte Taichi nachdrücklich, während Sora angespannt die Lippen aufeinanderpresste. Sie bewegte sie unruhig hin und her, bevor sie ihn mit einem dringlichen Blick fixierte. „Weißt du denn überhaupt, was genau zwischen ihren Eltern und ihr vorgefallen ist?“ Überrascht über diese Frage, zuckte er nur überfordert mit den Achseln. Woher sollte er es denn wissen? Mimi hatte jeglichen Kontakt zu ihm verweigert gehabt! „Taichi…ich glaube nicht, dass sie im Moment diesen Romantikkram braucht. Klar, sie ist verletzt, weil sie die Wahrheit über Emi und dich erfahren hat, aber ich glaube sie braucht viel mehr als das, was du geplant hast“, erklärte sie mit einem ruhigen Ton. „Aber ich will ihr doch zeigen, wie sehr ich sie liebe“, murmelte er etwas beleidigt, da er seine Idee unfassbar romantisch fand und sich mehr Unterstützung von seiner besten Freundin erhofft hatte. „Das weiß ich und ich finde das auch unglaublich süß, aber…sie sollte dir selbst erzählen, was vorgefallen ist.“ „Man Sora sprich doch nicht ständig in Rätseln! Wie soll ich denn bitte schön an sie rankommen, wenn sie mich komplett abblockt! Du müsstest doch nur mit ihr in die Stadt kommen, den Rest überlässt du einfach mir!“, versicherte er hartnäckig. „Aber…“ „Ich flehe dich an! Du weißt selbst, was sie für ein Dickkopf ist“, führte er ihr vor Augen – etwas dem Sora nicht widersprechen konnte. Sie seufzte und legte den Kopf in den Nacken. Erschöpft fuhr sie sich über ihr Gesicht, bevor sie sich wieder richtig hinsetzte und Taichi direkt in die Augen blickte. „Gut, ich mach’s! Aber versprechen kann ich dir wirklich nichts!“, erwiderte sie knapp. Taichi hingegen grinste und konnte nicht fassen, dass er in wenigen Tagen seinen Plan in die Tat umsetzten würde. _ Nervös wanderte er durch die Wohnung und richtete die letzten Feinheiten her, die er mühevoll seit gestern Abend vorbereitet hatte. Kari hatte ihm noch beim Essen geholfen, bevor sie sich zu Yolei aufmachte, um gemeinsam mit ihr und den anderen Silvester zu feiern. Sogar ein Schokofondue mit frischem Obst hatte Taichi besorgt, um Mimi eine kleine Freude zu bereiten. Er hatte sich dieses besondere Datum nicht ohne Grund ausgesucht. Denn an Silvester hatten sie sich das erste Mal geküsst. Es war der perfekte Moment, um ihr endlich offen und ehrlich zu sagen, was er für sie empfand. Dass keiner zwischen ihnen stand und die Vergangenheit nicht ihre Zukunft beeinflussen würde. Ein wohliges Kribbeln durchzog seine Magengegend, wenn er sich das fertige Ergebnis betrachtete. Er hatte Tempura zubereitet und sowohl Fleisch als auch Fisch sorgsam frittiert, damit Mimi entscheiden konnte, was sie lieber essen wollte. Er hatte sogar verschiedene Soßen besorgt, die er extra von seinem Taschengeld gekauft hatte. Auf dem Tisch fand sich ein wunderschöner Strauß Vergissmeinnicht, den er vor einer Stunde frisch beim Floristen abgeholt hatte. Auch sein Zimmer hatte er blitzblank aufgeräumt und sogar gesaugt, da er hoffte, dass sie auch die Nacht bei ihm verbringen würde. Von Kari hatte er sich einige Duftkerzen ausgeliehen, die er auf seinen Schränken großzügig verteilt hatte, um eine romantische Atmosphäre zu erzeugen. Egal, was heute Abend auch passierte, er war für alles gewappnet! Normalerweise war er in solchen Fällen nicht so akribisch genau, doch er wusste, was er zu verlieren hatte. Erschöpft ließ er sich auf dem Küchenstuhl nieder und kramte sein Handy aus der Hosentasche hervor. Sora müsste ihm jeden Augenblick eine SMS schreiben, um ihm mitzuteilen, wann sie sich mit Mimi auf den Weg in die Stadt begeben würde. Er war schon richtig ungeduldig und sein rechtes Bein zitterte die ganze Zeit, weshalb er sich kaum auf etwas anderes als sein Handy konzentrieren konnte. Apathisch sah er auf das Display, dass immer wieder schwarz wurde, wenn er eine längere Zeit drauf starrte. Er schnappte nach Luft und legte es danach auf den Tisch. Je länge er es im Auge hatte, desto wahnsinniger wurde er! Er musste runterkommen! Bisher lief alles nach Plan und er war sich sicher, dass er alles mit Mimi klären konnte, wenn er nur eine Gelegenheit dazu bekam. Sie würden das schon schaffen! Da war er sich sicher. Im selben Moment hörte er sein Handy vibrieren, sodass er es schnell an sich riss und sich innerlich schon darauf einstellte loszugehen, doch die Freude wich aus seinem Gesicht und hinterließ eine bittere Miene. Mimi ist zu ihren Eltern gegangen, um mit ihnen zu reden! Es tut mir leid, aber es ist wirklich wichtig für sie. Ich hoffe, du verstehst das! -Sora- Ungläubig starrte er auf die Nachricht, als seine Welt von dem ein auf den anderen Moment einfach zusammenbrach. Er blickte sich um und sah auf den Tisch, den er kurz zuvor so liebevoll gedeckt hatte. Enttäuschung machte sich in ihm breit, auch wenn er die Sachlage verstehen wollte. Natürlich hatte die Familie eine besondere Stellung, aber er hatte sich den Abend einfach anders vorgestellt gehabt. Traurig stand er auf und begann die Teller zusammen zu räumen. Er blies die Kerze aus und ärgerte sich, dass er alles auf die leichte Schulter genommen hatte. Manchmal ging das Leben eigensinnige Wege. Man konnte es nicht beeinflussen, sondern nur das Beste daraus machen. Kapitel 44: Erinnerungen an Damals ---------------------------------- ♥ Mimi ♥ Sie war überrascht als ihr Vater bei Sora anrief und mit ihr sprechen wollte. Er hatte am Telefon gar nicht viel gesagt, sondern ihr vielmehr ein Versprechen gegeben. Ihre Mutter wollte ihr endlich die ganze ungeschminkte Wahrheit erzählen! Selbstverständlich war Mimi sehr skeptisch gewesen, da sie ihren Eltern über eine Woche aus dem Weg gegangen war und nur mit Sora sowie Kaori über die Situation gesprochen hatte. Auch bei ihrer Schulfreundin hing der Haussegen gewaltig schief, nachdem die Tatsachen offengelegt wurden. Kaoris Vater weigerte sich noch immer seinen Töchtern Näheres zu erzählen, während Emi scheinbar ihrer Schwester endlich Glauben schenkte, nachdem sie die Geburtsurkunde ihres gemeinsamen Bruders gesehen hatte. Nach wie vor wollte Mimi eigentlich nichts mit Emi zu tun haben, doch auch sie hatte ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren, egal wie Erbarmungslos sie auch schien. Mimi war bereit die Geschichte ihres Bruders zu hören, auch wenn sie dafür sämtliche Pläne des Tages canceln musste. Nach dem Anruf hatte sie sich zielstrebig auf den Nachhauseweg gemacht. Ihr war es unfassbar schwer gefallen die Wohnung zu betreten, da sie sich wie fremd fühlte und im Lügengebilde ihrer Mutter versunken war. Es kostete sie eine ganze Hand voller Mut, doch sie schloss eigenständig die Tür auf und schritt hinein. Anstandshalber zog sie sich sogar die Schuhe aus, auch wenn sie noch nicht abschätzen konnte, wie lange sie tatsächlich bleiben würde. Ihr Herz klopfte unregelmäßig gegen ihre schwere Brust als sie den Wohnraum betrat und ihre Eltern auf der Couch sitzen sah. „Mimi…“, ertönte die schwächliche Stimme ihrer Mutter, die sofort aufgesprungen und auf sie zugegangen war. Doch Mimi verkrampfte nur die Arme vor der Brust und signalisierte ihr so, dass sie ihre Nähe im Moment nicht aushalten konnte. Sie hielt augenblicklich inne und Mimi sah in ihre müden Augen, die ihr zeigten, dass sie in der letzten Woche wohl genauso wenig Schlaf fand wie sie. „Papa hat gesagt, dass du mir endlich die Wahrheit erzählen willst…“, murmelte sie und ging auf Abstand, indem sie sich auf den Sessel setzte, der sonst für ihren Vater immer freigehalten wurde. Ihre Mutter schenkte ihr nur ein müdes Lächeln und nickte beiläufig, bevor sie sich wieder neben ihren Vater setzte. Sofort schlag er den Arm um sie und hielt ihre Hand, was Mimi mit knackendem Kiefer beobachtete. Sie wirkten wie eine unerschütterliche Einheit, die sich gegen sie verschworen hatte. Noch war Mimi sich nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, wieder zurückzukommen, doch nur so konnte sie mehr erfahren! Sie war es nicht nur sich selbst schuldig, sondern auch Kaori, die ihre komplette Existenz in Frage stellte. „Okay, ich bin ganz Ohr“, sagte sie monoton und richtete einen erwartungsvollen Blick zu ihrer Mutter, den sie diesmal sogar erwiderte. _ „Ich war noch sehr jung als ich Fujitaka das erste Mal in meinem Leben sah. Er war neu hergezogen und wohnte drei Häuser weiter. Ich war damals gerade sechs Jahre alt geworden und besuchte das letzte Jahr der Vorschule und hatte mich sehr gefreut, dass ich nun immer jemanden hatte, mit dem ich zur Schule gehen konnte“, schwelgte sie in Erinnerungen. Mimi hörte nur zu, auch wenn sich ihr Puls bei dem eben Gesagten bereits beschleunigte. Sie kannten sich also schon aus Kindertagen! Eine Freundschaft, die sich in mit den Jahren verändert hatte. Nervös strich ihre Mutter ihrem Vater immer wieder über den Handrücken und Mimi bemerkte sofort, dass es ihr alles andere als leichtfiel, ihr diesen verborgenen Lebensabschnitt mitzuteilen. Immer wieder presste sie die Lippen zu einem schmalen Strich und suchte nach einem festen Punkt am Boden, um nicht in Tränen auszubrechen. „Fujitaka, Akio und ich haben immer zusammen auf der Straße gespielt, wenn wir unsere Hausaufgaben erledigt hatten. Seine Eltern waren sehr traditionell eingestellt und zumal sehr streng, da sie für ihn bereits einen genauen Plan zurechtgelegt hatten. Er sollte Arzt werden und den Traum seines Vaters weiterleben.“ Sie lächelte kurz, bevor sich ihre Miene verfinsterte. „Mit 13 lernte ich Yuuka kennen, Kaoris Mutter. Sie war eine alte Freundin aus der Heimat und kam ihn seit dieser Zeit immer in den Sommerferien besuchen. Erst ein paar Jahre später erfuhr ich, dass sie einander versprochen waren. Doch das hielt mich nicht davon ab, mich in ihn zu verlieben.“ Ihre Stimme klang dünn und sie hielt sich krampfhaft an Mimis Vater fest, der einfach mit einem starren Blick zuhörte – so als hätte er diese Geschichte mehr als nur einmal gehört. Mimi hingegen versuchte sich ganz auf ihre Mutter zu konzentrieren, die ab und zu eine kurze Pause einlegte, bevor sie weitersprechen konnte. Schwerfällig fuhr sie sich über das Gesicht als sie ihre Erzählungen wehmütig fortsetzte. „Wir sind in der Oberstufe ein Paar geworden. Anfangs haben wir uns immer heimlich getroffen und aufgepasst, dass uns niemand erwischt, doch je älter wir wurden, desto schwieriger fiel es uns, unsere Liebe geheim zu halten. Letztlich war es mein eigener Bruder gewesen, der uns erwischt hatte und bei Großmutter den Mund nicht halten konnte. Damals war es eine Tragödie gewesen, da Fujitaka bereits versprochen und ich mich dazwischengedrängt hatte. Dein Großvater hatte alles versucht uns zu trennen, allein weil er den Ruf der Firma wahren wollte, aber je mehr er es versuchte, desto mehr wehrten wir uns dagegen“, führte sie weiter aus. „Mit 18 bin ich damals von zuhause ausgezogen, um zu studieren. Doch eigentlich hatte ich es nicht mehr ausgehalten. Das Leben im Studentenwohnheim war damals mein Befreiungsschlag gewesen und Fujitaka und ich dachten, dass unsere Eltern unsere Liebe irgendwann akzeptieren würden. Er studierte tatsächlich Medizin und ich Betriebswirtschaftslehre. In der ersten Vorlesung habe ich dann auch deinen Vater kennengelernt.“ Sie schenkte ihm ein knappes Lächeln, das jedoch sehr traurig wirkte. Mimi ahnte schon das Schlimmste. War sie etwa in eine Dreiecksbeziehung geraten? Aber das würde, die Sache mit ihrem Bruder immer noch nicht erklären! Ein leiser Seufzer löste sich von ihren Lippen, da sie allmählig ungeduldig wurde. Warum erzählte sie ihr das alles? Wieso konnte sie ihr nicht direkt sagen, was mit ihrem Bruder damals geschehen war?! Es war wirklich zum Mäuse melken, doch die Geschichte ihre Mutter war noch lange nicht beendet. „Aber du warst doch noch mit Fujitaka zusammen! Wie ist es auseinandergegangen oder hast du ihn mit Papa betrogen?“, fragte sie unverblümt. Ihr Vater kicherte nervös – etwas das sie bei ihm noch nie gehört hatte und ihn deutlich verdächtig erscheinen ließ. Ihre Mutter blieb jedoch ganz ruhig und schüttelte sachte den Kopf. „Nein, wir waren wirklich nur Kommilitonen gewesen. Später sogar recht gute Freunde, wobei…“ „Ich habe schon immer für deine Mutter so ein bisschen geschwärmt gehabt, aber als sie mir Fujitaka als ihren Freund vorgestellt hatte, war für mich klar, dass mehr als Freundschaft nicht drin sein würde“, erklärte ihr Vater verlegen. „Besonders nicht nachdem ich schwanger wurde. Ich war erst neunzehn und es war nicht geplant gewesen, da es die Situation zwischen unseren Familien verkomplizierte, denn beide wollten ihr Enkelkind nicht anerkennen.“ „Auch Großmutter nicht? Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, platzte aus Mimi hervor. „Schätzchen, deine Großmutter hatte bei deinem Großvater nicht viel zu sagen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass sie sich für mich einsetzt, aber dem war nicht so, weshalb wir uns alleine durchschlagen wollten. Wir wollten heiraten und aufs Land ziehen, nachdem er sein Studium beendet hatte. Aber am Schluss kam alles anders als geplant.“ Ein seltsames Gefühl erfasste Mimis Körper, da sich plötzlich alles so falsch anfühlte. Ihre Eltern hatten nicht diese romantische Liebesgeschichte, die sie sich auch für sich erträumt hatte. Es streckte viel mehr dahinter. Mehr als sie je erwartet hätte. Ihre Mutter atmete hörbar und blies die Luft schwerfällig aus ihren Lungen, bevor sie den letzten Teil ihrer Geschichte erzählte. „Ich bin nochmal zu meinen Eltern gegangen, um mit ihnen zu sprechen. Irgendwie hatte ich die Hoffnung doch noch nicht aufgegeben und suchte deswegen auch dieses Gespräch, von dem ich mir so viel erhofft hatte. Ich war schon im siebten Monat gewesen, weshalb man die Schwangerschaft auch nicht länger verleugnen konnte. Einen Namen hatten wir auch schon ausgesucht“, sagte sie immer leiser werdend und schluchzte leise auf. Mimi sah wie die stummen Tränen über die Wangen ihrer Mutter wanderten. In ihrem Hals wuchs ein dicker Kloß heran, der ihr das Schlucken deutlich erschwerte. Denn auf einmal fühlte sie sich mittendrin. Mitten in der Vergangenheit, die alte Wunden aufriss und ihr den Schmerz aufzeigte, den ihre Mutter erdulden musste. _ „Wieso versteht ihr uns denn nicht? Wir lieben uns und wollen zusammen sein!“, brüllte sie und sprang auf. „Satoe, weißt du welchen Eindruck das hinterlässt? Er ist verlobt! Damit würde der Ruf der Firma den Bach runtergehen“, erwiderte Yutaka Ibana starrsinnig. „Aber Fujitaka und ich wollen heiraten! Er wird die Verlobung zu Yuuka lösen, damit wir eine Familie werden können“, sagte Satoe verträumt und fuhr sich behutsam über ihren Bauch. „Du lebst wahrhaftig in einer Traumwelt! Als ob das die Nakamuras zulassen würden. Es wäre besser, wenn du diese Hirngespinste vergisst und eine Lösung für dein Problem findest.“ Er deutete eindeutig auf ihren Bauch, was sie rasend vor Wut werden ließ. Ihr Blick wechselte zu ihrer Mutter, die ihre Hände in ihrem Schoß vergraben hatte und sich nicht traute ihrer Tochter in die Augen zu sehen. „Hast du denn gar nichts dazu zu sagen? Wollt ihr, dass ich mein Kind weggebe? Verlangt ihr das wirklich von mir?“, stellte sie die Gegenfrage in den Raum und hoffte, damit wenigstens ihre Mutter zu erreichen, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie diese kranke Vorstellung unterstützte. Sie war doch selbst Mutter und ein Kind brauchte diese auch! „Schätzchen…die Situation ist nicht zu unterschätzen! Nachher stehst du ganz alleine da“, löste sich mühsam von den Lippen ihrer Mutter, was in ihr das blanke Entsetzen auslöste. Das hatte sie nicht gerade wirklich zu ihr gesagt? Dachten sie ernsthaft, dass Fujitaka sie für Yuuka verlassen würde? Er liebte sie doch gar nicht, sondern sollte einem Versprechen nachkommen, dass deren Eltern über ihren Kopf hinweg geschlossen hatten! „Ich kann euch doch nicht ernsthaft so egal sein! Wollt ihr nicht das ich glücklich werde?“, fragte sie verzweifelt und spürte auf einmal ein deutliches ziehen im Unterleib. Anscheinend hatte sie sich zu sehr aufgeregt, doch bei sowas konnte sie einfach nicht ruhig bleiben! „Selbstverständlich wollen wir das! Du hattest doch ein Ziel vor den Augen. Dein BWL-Studium. Und dann wolltest du die Firma übernehmen, wenn ich in den Ruhestand gehe“, untermauerte ihr Vater und klang verständnisloser denn je. „Das war immer dein Traum gewesen! Nicht meiner“, antwortete Satoe felsenfest und versuchte ihre aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Sie war einfach nur enttäuscht und hatte sich weitaus mehr von diesem Treffen erhofft, wenn sie ehrlich war. Doch ihre Eltern waren in ihren Ansichten einfach zu festgefahren, um sich zu ändern. Ihr Vater redete noch immer auf sie ein, allerdings hörte sie nicht weiter zu. Die Schmerzen im Unterleib wurden immer stärker, sodass sie sich am liebsten wieder hinsetzen wollte, aber sie biss lieber die Zähne zusammen und blieb weiterhin stehen. „Ich werde jetzt gehen…“, eröffnete sie ihren Eltern schnaufend und drehte sich bedächtig zur Tür. Sie konnte keine großen Schritte gehen, da der Schmerz allgegenwärtig war und ihr den Atem raubte. „Du kannst doch jetzt nicht einfach verschwinden! Du machst einen gewaltigen Fehler“, sagte ihr Vater vorhersagend und sprang wütend auf. Doch Satoe reagierte nicht mehr auf seine Worte, sondern hatte die Haustür fest im Blick. Sie wollte gerade nach dem Türknauf greifen als eine gewaltige Schmerzwelle sie erfasste. Sie griff sich den Bauch und stützte sich an der Wand ab. Sie sog nach Luft und riss die Augen weit auf, bevor sie auf die Knie ging und ohnmächtig wurde. Als sie wieder zu sich kam, erschrak sie augenblicklich. An ihrem Handgelenk spürte sie die Infusionsnadel und in ihrem Kopf fühlte sich alles noch sehr schwammig an. Sie konnte nicht ausmachen, wo sie war, geschweige denn wie sie hergekommen war. Ängstlich fasste sie sich an ihren Bauch, weil sie es meist beruhigte die zarten Bewegungen ihres Kindes zu fühlen, doch auf einmal wurde es ihr ganz anders. Ihr wurde schlecht und sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es herrschte eine beißende Ruhe, die ihr aufzeigte, dass etwas nicht stimmen konnte. Warum spürte sie ihr Baby nicht mehr? _ „Ich hatte einen Notkaiserschnitt, weil ich mir eine Schwangerschaftsvergiftung eingefangen hatte. Es ging wohl alles sehr schnell. Ich war zuhause ohnmächtig geworden und mein Vater hatte den Notarzt verständigt. Ich wurde in Narkose gelegt und mein Sohn wurde direkt auf die Intensivstation gebracht. In den ersten Augenblicken wusste ich gar nicht wie mir geschah“, erzählte sie weinerlich. Mimi beobachtete ihre Mutter und konnte ihre eigenen Tränen nicht mehr zurückhalten. Erst nach und nach verstand sie, warum ihre Mutter ihr diese Geschichte nicht schon früher erzählt hatte. Sie litt beim Erzählen Höllenqualen und brachte auch ihre heile Welt ins Wanken. Die Großeltern, zu denen sie immer aufgesehen und die sie stets bewundert hatte, existieren nicht mehr. Und Mimi ahnte nicht, dass das noch nicht der schlimmste Teil der Geschichte war. „Ich erholte mich sehr schnell davon. Aber er konnte nicht hören, weshalb ich mir große Vorwürfe machte. Hätte ich eher etwas bemerkt, dann…“ Ihre Stimme brach ab und sie drückte die Hand vor ihren Mund, um nicht laut loszuschreien. „Das war nicht deine Schuld“, hörte Mimi ihren Vater liebevoll flüstern. „Ich weiß“, antwortete sie geschwächt. „Aber ich hätte mich nicht auf das alles einlassen dürften. Ich hätte Masuyo nicht weggeben dürfen.“ Masuyo. Das war also sein Name. Ihr Bruder trug also den gleichen Anfangsbuchstaben wie sie. Ein hohler Schmerz erfüllte ihre Magengegend. Plötzlich schämte Mimi sich unglaublich, ihre Mutter wegen ihrer Lügen angefahren zu haben. Nicht nur sie hatte einen Bruder verloren, sondern ihre Mutter auch ihren Sohn. „Was ist denn danach passiert?“, hakte Mimi nach auch wenn sie bereits Angst vor der Antwort hatte. „Masuyo hätte viele teure Therapien benötigt, die wir ihm als Eltern nicht hätten bezahlen können. Fujitaka war zuerst eingeknickt und redete sehr lange mit mir über das Thema Adoption. Es wäre das Beste für ihn. Dass wir ein Pärchen finden würden, die ihm die besondere Fürsorge geben konnten. Ich habe dann irgendwann klein beigegeben und wir fanden ein Pärchen aus Osaka, die ihn adoptierten. Danach war alles anders. Fujitaka hatte sich von mir distanziert, weil er mit seinem Gewissen nicht zurechtkam und wir haben uns getrennt. Mit meinem Vater habe ich mich nie aussprechen können, was ich mittlerweile sehr bereue…“, gab sie zu und rieb sich die linke Schläfe, während sie sich erschöpft gegen Keisuke lehnte. „Ich habe gedacht, dass es eine gute Idee wäre, den Job in der Firma deiner Großeltern anzunehmen. Deine Mutter hat zwar nicht mehr die Chance sich mit Großvater auszusprechen, aber Großmutter ist immer noch hier und ich hatte gehofft, dass ihr beide irgendwann über euren Schatte springen würdet“, offenbarte ihr Vater nach einem kurzen Moment des Schweigens. „Keisuke…“, hörte Mimi die schwache Stimme ihrer Mutter als sie sich auf einmal in seinem Hemd vergrub und wieder zu weinen begann. Ihr Vater streichelte sanft über ihren Hinterkopf, während Mimi das Szenario sprachlos betrachtete. „Papa…du hast, dass also alles nur wegen Mama gemacht?“ „Ja. Ich möchte sie nie wieder so traurig sehen, wie damals. Als deine Mutter Masuyo zur Adoption freigegeben hatte, waren wir uns nach und nach nähergekommen. Ich hatte die Schwangerschaft ja ebenfalls mitbekommen, traute mich aber anfangs nicht, sie darauf anzusprechen“, übernahm ihr Vater nun das Wort. „Und wann seid ihr zusammengekommen? Ich mein‘ wie war das nach all dem möglich? Mama hat Fujitaka doch wirklich geliebt“, sagte sie unvorsichtig. Schnell wurde ihr bewusst, was sie in den Raum geworfen hatte, weshalb ihre Wangen ganz warm wurden. „Tut mir leid, so war das nicht gemeint! Ich wollte damit…“ „Man kann für mehrere Menschen starke Gefühle empfinden. Ich weiß, dass Fujitaka immer ein wichtiger Mensch in dem Leben deiner Mutter sein wird und das respektiere ich auch. Aber ich habe mich damals einfach sofort in sie verliebt und wollte sie deswegen auch wieder glücklich sehen. Was in der Vergangenheit war spielt für mich keine Rolle mehr. Deine Mutter und ich lieben uns und sind froh, dass du in unserem Leben bist. Du machst für uns alles komplett.“ Er beendete seinen Monolog und Mimi konnte vor Rührung kaum an sich halten. „Außerdem war dein Vater, der erste Mensch, der mich nach dieser schwierigen Zeit zum Lachen gebracht hatte. Er war immer für mich da gewesen, wie ein Fels in der Brandung. So standfest und stark. Ich glaube, es war Schicksal gewesen, dass wir uns begegnet sind und du in unser Leben getreten bist“, ergänzte ihre Mutter rührselig. Danach konnte Mimi nicht länger an sich halten. Sie stand sofort auf und begab sich in die schützenden Arme ihre Eltern, die sie nur zu gerne empfingen. Sie hatte es verstanden. Manchmal verschwieg man gewisse Dinge, um den anderen nicht zu verletzen und den richtigen Moment abzuwarten. „Es tut mir so leid! I-Ich habe mich furchtbar verhalten und ich wollte euch keine Sorgen bereiten“, wimmerte sie und drückte sich noch fester gegen sie. _ Mit geröteten Augen und zerzausten Haaren stand sie nun vor seiner Wohnungstür. Ihr war etwas unwohl, weshalb sie auch noch nicht geklingelt hatte. So viele Gedanken und Worte gingen ihr durch den Kopf, die sie zu ihm sagen wollte. Aber in erster Linie war sie ihm eine Entschuldigung schuldig. Sie hatte ihm gemeine Sachen an den Kopf geworfen und verstand selbst nicht so wirklich, was in sie gefahren war, denn eigentlich hatte ihr Vater mit seinen Worten recht gehabt. Es war egal, was in der Vergangenheit passiert war. Nur ihre Zukunft spielte noch eine Rolle! Sie wollte ihn sehen, ihn in den Arm nehmen und am liebsten gar nicht mehr loslassen. Daher drückte sie einfach auf den Klingelknopf. Sie atmete hörbar aus und richtete sich ihre Haare, um ihn nicht völlig zu erschrecken. Die wenigen Minuten, die sie wartete bis sich die Tür öffnete, fühlten sich wie unzählige Stunden an, in deren ihre Nervosität deutlich anstieg. Was wäre, wenn er ihr die Tür vor der Nase zuschlagen würde und sie gar nicht sehen wollte? Dann würde sie einfach vor seiner Wohnungstür campieren und erst wieder gehen, wenn man ihren kalten Körper von den Fliesen entfernen müsste. Ihr Herz setzte aus als sich die Tür auf einmal öffnete und Taichi tatsächlich vor ihr stand. Sein Gesicht wirkte überrascht, aber gleichzeitig auch sehr traurig, was in Mimi erneut, das schlechte Gewissen hervorrief. Sie presste die Lippen aufeinander und spannte sämtliche Gliedmaßen ihres Körpers an, während sie ein leises „Hi“ zur Begrüßung hervorbrachte. „Was machst du denn hier? Hat Sora dich geschickt?“, fragte er irritiert. „Sora? Nein, ähm ich bin einfach so vorbeigekommen“, stammelte sie und fühlte sich sehr verkrampft. „Oh, okay“, antwortete er nur langgezogen und beobachtete sie kritisch, was Mimi noch mehr verunsicherte. Sie ließ den Kopf hängen und spielte nervös an ihren Fingern. „Tai, ich…ich weiß nicht wo ich anfangen soll“, erwiderte sie gebrechlich und sah ihn wieder an. „Ich bin wohl eine ziemlich blöde Kuh, die wirklich dumme Sachen gesagt hat.“ Sie zog die Unterlippe nach vorne und schämte sich inständig für ihr Verhalten, doch die passenden Worte dafür zu finden, war manchmal gar nicht so einfach. „Ich wollte…“ Weiter kam sie jedoch nicht, da Taichi an ihrem Handgelenk zog und sie fest mit seinen Armen umschloss. „Hör auf zu reden und mach dich nicht schlechter als du bist“, flüsterte er in ihr Ohr und küsste liebevoll ihren Haaransatz. Mimi krallte sich in sein dünnes Shirt und drückte ihr Gesicht gegen seine starke Brust. „Es tut mir leid“, säuselte sie, doch er sagte nichts, sondern strich sorgsam über ihren zierlichen Rücken, was bei ihr wohlige Schauer auslöste. Sich geborgen und sicher zu fühlte, stellte sich bei Mimi ziemlich schnell ein, je länger Taichi sie in seinen Armen hielt. Danach ließ er sie wieder los und fuhr besorgt über ihre Wangen, die die Spuren ihrer salzigen Tränen nicht verbergen konnten. „Lass uns erstmal reingehen. Ich glaube, wir sollten reden“, schlug er in einem sanften Ton vor. Mimi stimmte ihm nur durch ein bestätigendes Nicken zu und folgte ihm lautlos in die Wohnung. Kapitel 45: Aufrichtige Gefühle ------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Warum hast du mir nichts davon erzählt?“, fragte er, ohne vorwurfsvoll zu klingen. Doch Mimi senkte nur beschämt den Kopf. Sie hatte ihm alles erzählt. Von ihrem Bruder. Dem Familiengeheimnis, dass ihre Eltern jahrelang vor ihr verbogen hatten. Ihrer eigenen Verzweiflung, die sie regelrecht aufgefressen hatte. „Ich wollte dich nicht noch mehr belasten…“, murmelte sie und knibbelte schuldbewusst an ihrem Daumennagel. „Und dann habe ich auf der Weihnachtsfeier gehört, dass Emi und du…naja, dass ihr länger was am Laufen hattet. Da ist dann komplett eine Sicherung bei mir durchgebrannt.“ „Aber Mimi, das hatte für mich nichts zu bedeuten“, erklärte er und strich ihr liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich habe mich damals nur auf sie eingelassen, um dich zu vergessen, was mir nicht sonderlich gut gelungen ist.“ Mimi sah nach oben und lächelte vage. „Kommt mir irgendwie bekannt vor…“ Bestimmt dachte sie an die Sache mit Makoto, die sie doch mehr belastet hatte als sie eigentlich zugeben wollte. Doch Taichi wollte nicht, dass sie sich schlecht fühlte. „Hey, wir beide haben viele Fehler begangen und ich möchte einfach, dass du weißt, wie wichtig du mir bist. Mir ist Emi scheißegal, aber ich wollte auch nicht, dass du es erfährst, weil ich wusste, dass es dich sehr verletzen würde“, beteuerte er geläutert. Hätten sie einfach viel früher miteinander gesprochen, wäre dieses Missverständnis erst gar nicht entstanden. Auch, dass er sie ständig vor den Kopf gestoßen hatte, tat ihm hinterher unglaublich leid, da er sich nichts sehnlicher wünschte, auch in dieser Hinsicht endlich mit ihr zusammenzufinden. Doch in letzter Zeit war alles so unfassbar kompliziert, dass er sich nicht fallen lassen konnte und er wollte, dass gerade so ein besonderer Moment unter den passenden Umständen passierte. Allerdings wie sollte er ihr das nur anständig erklären? Er hielt kurz inne und streichelte über ihre Wange, sodass sich ihr Blickkontakt intensivierte und er sie am liebsten geküsst hätte. Jedoch blockierte ihn etwas. Mal wieder. „Ich schätze, dass ich wohl ziemlich eifersüchtig in dem Moment war“, eröffnete Mimi ihm plötzlich und ging etwas auf Abstand zu ihm. Überrascht hob Taichi fragend eine Augenbraue. „Ich weiß, es klingt bescheuert, aber es hat mich so unglaublich verletzt, dass du mich immer wieder abgewiesen hast. Und dann gibt es da ein Mädchen, mit dem du nicht nur die erste wichtige Erfahrung teilst, sondern die dich auch auf diese Art und Weise kennen lernen durfte, während ich dir einfach nicht so nah kommen konnte. Ich weiß, dass wir alles langsam angehen lassen wollten, aber ich will mir dir zusammen sein! Und ich finde, dass auch das dazu gehört…“, sagte sie immer leiser werdend und lief abrupt rot an, während Taichi von ihrer Ehrlichkeit vollkommen ergriffen war. Sie hatte deutlich mehr Mumm als er, da sie ihre Wünsche deutlich formulieren konnte – ganz im Gegensatz zu ihm. Er war einfach nur sprachlos und hatte nicht erwartet, dass sich ihr Gespräch in so eine eindeutige Richtung wendete! Ihm wurde auf einmal ganz heiß, schließlich befanden sie sich ja tatsächlich alleine in seiner Wohnung! Aber er konnte doch nicht einfach über sie herfallen wie ein wildes Tier?! Nein, er hatte sich ein perfektes Bild geschaffen, wie sein erstes Mal mit Mimi aussehen sollte! Allerdings war er sich nicht sicher, ob er sich einfach nur eine Illusion aufgebaut hatte. Sicherlich würde nicht alles glatt laufen, er hatte sich ja auch schon beim ersten Versuch recht ungeschickt angestellt. Und jetzt konnte er ihr noch nicht mal eine anständige Antwort geben. „Ähm…ich…ich…“, stammelte er und brachte keinen vollständigen Satz zusammen, was Mimi anscheinend amüsierte. Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während er seine stotternden Worte immer noch nicht beendet hatte. „Es tut mir leid“, brachte er gerade noch hervor, als Mimi wieder näher rückte, seine Hand ergriff und sie bereitwillig auf ihrer Brust platzierte. Taichi schluckte. Was hatte sie nur vor? Wollte sie jetzt etwa Nägeln mit Köpfen machen? „Spürst du das?“, fragte sie und legte beherzt ihre Hand auf seiner ab. Ein gleichmäßiges, kräftiges Schlagen war zu spüren. Es war ihr Herz, dass gegen seine Hand schlug. „Das habe ich nur bei dir…alles fühlt sich so warm und kribbelig an, wenn ich bei dir bin und ich werde immer gleich so nervös, sodass mein Herz gleich viel schneller schlägt“, gab sie fast flüsternd zu. Taichi konnte gar nicht in Worte fassen, was diese Geste in ihm auslöste. Er hielt seine Hand noch immer gegen ihre Brust und suchte augenblicklich ihre Nähe, die er schmerzlich vermisst hatte. Er beugte sich etwas zu ihr hinunter, sodass sich ihre Nasenspitzen sanft berührten und er seine Stirn gegen ihre lehnte. „Ich glaube manchmal bin ich einfach zu feige, um etwas zu riskieren. Ich wollte, dich nie zurückweisen, aber ich habe mich selbst deswegen immer unter Druck gesetzt, weil ich wollte, dass dieser Moment unvergesslich wird. Aber dabei habe ich dich immer wieder von mir gestoßen…das tut mir unfassbar leid“, schämte er sich, da es für sowas wohl nie eine passende Richtlinie gab, die man einzuhalten hatte. Es ging um Gefühle, die er noch nie so stark für eine Person empfunden hatte wie für Mimi. Daher überwand er den letzten Abstand und küsste sie sehnsuchtsvoll – so als hätte er ewig darauf gewartet gehabt. _ „Und du bist sicher, dass du nicht rausgehen möchtest? Wir können auch noch bei Sora und Matt vorbeischauen, wenn du magst“, schlug Taichi ihr vor, da er sich nicht vorstellen konnte, dass sie Silvester nur in der Wohnung feiern wollte. Mimi drehte sich über Schulter hinweg und runzelte die Stirn. „Ich habe es mir gerade bequem gemacht und außerdem werde ich ganz sicher nicht so rausgehen“, sagte sie und stemmte die Hände in die Hüften, um Taichi sein eigenes Shirt zu präsentieren, dass er ihr zum Schlafen geliehen hatte. Es reichte ihr bis zu den Knien und Taichi konnte nicht leugnen, dass es ihr wesentlich besser stand als ihm. Nachdem sie gemeinsam gegessen hatten, bestand Mimi darauf etwas Bequemes anzuziehen, weshalb Taichis Shirt herhalten musste. „Du willst dich noch nur nicht vom Schokofondue wegbewegen“, gab Taichi zu bedenken, während Mimi eine in Schokolade getränkte Erdbeere in ihrem Mund verschwinden ließ. „Ist das etwa so offensichtlich?“, fragte sie schmollend und schnappte sich schon das nächste Stück, dass sie prompt in die Schokolade hielt. „Hätte ich gewusst, dass man dich mit Schokofondue ködern kann, hätte ich schon viel eher eins besorgt und hey, hör auf alles alleine zu essen! Ich will auch noch was haben!“ Er ließ sich neben ihr nieder und schmollte, nachdem Mimi auch das Stückchen Banane in ihrem Mund verschwinden ließ. „Oh, du Armer! Du bist halt nicht schnell genug“, pfiff sie fröhlich und bediente sich erneut. „Du könntest ruhig ein bisschen netter zu mir sein, schließlich habe ich all das alleine vorbereitet“, jammerte er und kuschelte sich an sie heran. „Du Lügner! Kari hat dir geholfen! Das hast du selbst gesagt“, konterte sie sofort und schnappte sich etwas Melone. „Ach komm schon, du könntest mich doch ruhig etwas füttern“, murrte er und schlang die Arme um sie, sodass er sein Kinn auf ihrer rechten Schulter ablegen konnte. „Tut mir leid, wir haben leider kein Lätzchen für dich“, sie drehte den Kopf kurz zu ihm, bevor sie abbiss und genüsslich schmatzte. Verärgert verzog Taichi das Gesicht und blies die Wangen auf. „So eine Unverschämtheit! Gib das sofort her! Du hast Fondueverbot!“, ermahnte er sie und versuchte ihr die dazugehörige Gabel abzunehmen, was sich jedoch nicht all als zu einfach erwies. Mimi hampelte wild umher und machte die Arme lang, sodass er nicht richtig drankam, während er es schaffte sie auf seinen Schoss zu ziehen. Sie saßen auf dem Boden und hatten vor der Couch gemütliche Decken ausgebreitet, um den Abend gemeinsam ausklingen und das neue Jahr einläuten zu lassen. „Du bist so kindisch“, merkte er an, nachdem er nach all seinen Bemühungen noch immer keinen Erfolg erzielt hatte. Er versuchte nun Plan B und begann sie zu Kitzeln, weshalb sich Mimi noch schlimmer hin und her wandte. „Hör auf damit“, sagte sie atemlos. „Das ist unfair.“ Doch kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, hatte Taichi auch endlich die Gabel ergriffen und hielt sie stolz in die Lüfte. „Na endlich!“, seufzte er erleichtert auf und schnappte sich sofort ein Marshmallow, um ihn mit Schokolade zu versehen. Beleidigt blickte Mimi ihn an, während er genüsslich seinen Sieg feierte und schmatzend das Marshmallow verschlang. „Und ich bin kindisch, natürlich“, erwiderte sie angesäuerte, bewegte sich aber nicht von seinem Schoß runter. „Du hättest mir halt eher was abgeben müssen“, flötete Taichi unschuldig, Mimi verdrehte hingehen nur die Augen. „Du hättest ja alles weggegessen, du Vielfraß!“, unterstellte sie ihm vorsätzlich. „Das stimmt doch gar nicht! Soziale Gerechtigkeit ist mein Zweitname!“ „Wären das nicht zwei Namen? Vielleicht solltest du es doch eher mit Vielfraß versuchen“, antwortete sie überlegen. „Du bist ziemlich frech! Als Freundin sollte man dem Freund lieber ein bisschen Zuwendung schenken!“, appellierte er an ihr Herz, doch Mimi brachte nur ein schrilles Pfeifen zu Stande. „Also Zuwendung zu heute ausverkauft“, meinte sie gespielt ernst, lachte aber dann, bevor sie ihn in einen leidenschaftlichen Kuss verwickelte. Überrascht riss Taichi die Augen auf, doch es dauerte keine Sekunde bis er sich voll und ganz auf sie einließ. Sie drehte sich herum und schlang die Arme um seinen Nacken, um dem Kuss mehr Tiefe zu schenken. Ihre Lippen berührten sich erst zaghaft, aber wurden von der langverborgenen Leidenschaft einfach übermannt. Er küsste sie eindringlich und verlangte auf einmal nach so viel mehr. Sein ganzer Körper war erhitzt und seine heißte Mitte trieb ihn in den Wahnsinn, sodass er sich kaum zurückhalten konnte und immer wieder sanft mit seiner Zunge über ihre Unterlippe strich. Er bemerkte noch nicht mal, wie Mimi ihren Griff um seinen Nacken langsam löste und mit einer Hand seinen Arm hinunterwanderte. Er wurde allmählich ungeduldig und startete einen offensiveren Versuch, indem er sanft auf ihre Unterlippe biss und flehend um Einlass bat. Langsam spürte er wie sie den Mund öffnete und sich vorsichtig mit ihrer Zunge vortastete. Ihre Spitzen berührten sich leicht und forderten sich gegenseitig zu einem leidenschaftlichen Tango auf, der Taichi der Atem raubte. Mimi presste sich noch dichter an ihn und er spürte, dass sich ihre Körper genau im Einklang miteinander befanden und die süße Erregung allmählich seinen Kopf vernebelte. Gott, warum saß sie auch nur in T-Shirt vor ihm und presste sich ausgerechnet so dicht gegen ihn? Wollte sie, dass er endgültig den Verstand verlor? Plötzlich beendete sie den Kuss und lächelte verwegen. „So leicht lässt du dich also ablenken“, flüsterte sie ihm zu und präsentierte ihm voller Stolz die Gabel, die sie ihm einfach so aus der Hand genommen hatte, ohne dass er etwas davon bemerkte. Verdutzt blickte er sie an und konnte nicht fassen, wie durchtrieben sie doch war! Es war wahrhaftig unglaublich! „Tja, dann hast du dein Ziel wohl erreicht“, raunte er und kam ihrem Ohr näher. „Aber ich habe keinen Hunger mehr.“ „Ach habe ich dir etwa den Appetit verdorben?“, fragte sie und machte ein unschuldiges Gesicht. Doch Taichi lächelte nur und blickte in ihre wunderschönen Augen. „Du hast ihn wohl eher angeregt“, erwiderte er lustvoll und konnte kaum noch an sich halten. Sie saß immer noch genau da! Oh Gott, er hielt es fast nicht aus. Machte sie das etwa mit Absicht? Mimi biss sich auf die Unterlippe und ließ auf einmal die Gabel auf den Boden fallen, als Taichi auf einmal ihren Hintern berührte und mit den Fingern unter ihrem Shirt verschwand. Er berührte ihre weiche Haut und spürte mit den Fingern, dass sich auch die kleinsten Härchen magisch aufstellten. Er wanderte bis zu ihrem BH, doch Taichi stoppte kurz vor dem Verschluss, da er kurzer Hand in Mimis haselnussbraunen Augen verlor. Es dauerte keine Sekunde, um in ihren Augen den Wunsch abzulesen, den sie schon seit mehreren Wochen insgeheim hegte. Auch ihm ging es nicht anders dabei, weshalb er sich wieder nach unten tastete und den Saum ihres Shirts erfasste… _ Sein Herz pochte aufgeregt gegen seine Brust als sie sich halbnackt musterten. Sein Blick blieb direkt an ihrem grazilen Hals hängen, den ein besonderes Schmuckstück zierte. Er presste die Lippen aufeinander und fuhr mit dem Finger über den Anhänger. Mimi folgte seinen Bewegungen und sah ihn durchdringend an. „Ich habe sie kaum ablegt seit du sie mir geschenkt hast.“ Tai lächelte zufrieden, da sein Geschenk eine besondere Verbindung zu ihnen darstellte. Auch er trug immer noch das Freundschaftsband, dass sie ihm geschenkt und wieder reparierte hatte. Vorsichtig fuhr sie zu seinen starken Armen und berührte das raue Band, dass sie mühevoll geflochten hatte. „Du solltest deins auch tragen, so wüsste jeder das wir zusammengehören“, murmelte Tai halblaut. „Aber das wissen sie doch auch so. Und außerdem kann ich doch rot nicht zu allem tragen. Bei der Kette sieht es schon anders aus“, antwortete sie und rutschte auf seinem Schoss etwas nach vorn. Tai stöhnte leise auf, da seine Hose allmählich störte und viel zu eng wurde. „Außerdem…“, begann Mimi verführerisch und küsste zuerst seine Lippen. „…es ist ziemlich unfair, dass du noch so viel anhast und ich nur noch in Unterwäsche vor dir sitze.“ Sie wanderte mit ihren Küssen zu seinem Hals und legte ihre Hand auf seiner nackten Brust ab, da er sein Shirt, bereits ausgezogen hatte. Konzentriert biss er die Zähne zusammen, um einen lustvollen Seufzer zu unterdrücken, aber Mimi machte es ihm unglaublich schwer, sich zusammenzureißen. Er hielt es einfach nicht mehr aus und stoppte sie abrupt, was Mimi mit einem unsicheren Blick quittierte. „Was ist denn los?“, fragte sie zaghaft, aus Angst erneut von ihm vor den Kopf gestoßen zu werden. Doch Taichi brauchte erstmal einen Moment zum Atmen, bevor er ihren Mund erneut begierig attackierte. „Du machst mich wahnsinnig“, raunte er atemlos zwischen den einzelnen Küssen. „Ach wirklich? Dann habe ich ja mein Ziel erreicht“, flüsterte sie ihm mit rauer Stimme zu und machte sich danach an dem Knopf seiner Jeans zu schaffen. Tai hielt sofort die Luft an als er ihre zarten Finger an seinem Hosenbund spürte. Er schluckte hart und schloss seine Lider, während sie seine Hose bedacht öffnete und nach unten zog. Doch er konnte es gar nicht erwarten dieses störende Kleidungstück endlich loszuwerden, weshalb er sie einfach in die nächstbeste Ecke warf und sich danach gleich wieder auf Mimi fixierte. Sein Herz pochte unsagbar schnell, da er wusste, was ihn erwartete. Sein Mund zog sich zusammen, da er ganz trocken war, doch bei diesem Anblick blieb einem einfach die Spucke weg. Mimi trug ihren pinken Spitzenbh mit dem dazugehörigen Slip, die ihre Kurven einfach nur betonen konnte. Seit dem letzten Mal hatte sich ihr Körper jedoch etwas verändert, da sie noch weiblicher geworden war. Er konnte gar nicht mit dem Starren aufhören, auch wenn er merkte, dass sie peinlich berührt zu Boden blickte. „Guck mich nicht so an, du weißt doch ganz genau wie ich nackt aussehe“, entgegnete sie nur. Doch sie hatte sich mit den Jahren sehr verändert. Ihr Bauch war immer noch flach, während ihre Hüften deutlich kurviger sowie ihre Brüste deutlich größer geworden waren. Natürlich musste er diesen Anblick erst einmal verarbeiten! „Du bist so wunderschön“, eröffnete er ihr sprachlos und fühlte sich wie der letzte Idiot, weil es aus einem dämlichen Kitschfilm stammen könnte. Mimi kicherte nur nervös. Wahrscheinlich waren beide mit der Situation überfordert, was auch im Anbetracht ihrer Vergangenheit kein Wunder war. Sie standen sich erneut halbnackt gegenüber und waren dementsprechend verwundbar. Je länger er Mimi betrachtete, desto unsicherer schien sie ebenfalls zu werden. Verkrampft zupfte sie an der Spitze ihre Wäsche und schob ihre Lippen aufgeregt hin und her. Was sie wohl dachte? Damals hatte sie den Anfang gemacht, doch diesmal zögerte sie, was Taichi jedoch verstehen konnte. Vielleicht war es Zeit für ihn den ersten Schritt zu wagen, auch wenn es im ersten Moment sicher unangenehm sein könnte. Dennoch schluckte er alle Zweifel hinunter, richtete sich auf und zog seine Boxershorts zügig nach unten, um sie auf den restlichen Kleiderhaufen zu befördern. Seine Wangen wurden auf einmal ganz warm als er sich so schutzlos vor ihr zeigte. Er war eindeutig bereit, nein sogar mehr als das. Unsicher blinzelte er zu Mimi, die beeindruckt, aber auch ein wenig ängstlich auf seine erigierte Männlichkeit starrte. „Was soll der Blick denn? Hast du etwa Angst?“, zog er sie auf, wohlwissend, dass sie viel weniger Erfahrung in solchen Dingen hatte als er. „So ein Quatsch“, rechtfertigte Mimi sich sofort, fuhr hinter ihren Rücken und öffnete ihren BH, der sofort zu Boden segelte. Sie entfernte auch ihren Slip, sodass die Gleichberechtigung wiederhergestellt war. Jedoch wirkten beide ein wenig verloren, da sie fast schon ehrfürchtig die Körper des jeweils anderen betrachteten. „Wow, ist wirklich ein seltsames Gefühl“, meinte Mimi aufrichtig. „Ich glaube, ich fühle mich gerade so ein bisschen wie fünfzehn.“ „Du weißt, dass wir das nicht machen müssen“, erinnerte Taichi sie. „Ich weiß, aber…“, sie pirschte sich langsam heran und legte die Arme um seinen Hals. „Aber ich möchte dir gerne nah sein.“ „Ich dir auch“, flüsterte er ihr zu und strich mit seiner Nase zärtlich über ihre, bevor er sie wieder küsste. Diesmal drückte er sie auf die weichen Decken und beugte sich über sie. Die Leidenschaft zwischen ihnen erwachte erneut und schnell fand ich Tai ganz im Sog der Sehnsucht wieder. Wie lange hatte er darauf gewartet gehabt? Wie lange wollte er sie wieder so berühren und ihre liebliche Stimme dabei hören? Ihre Zungen begegneten sich feurig und schlugen sinnlich gegeneinander, während Taichi neugierig ihren Körper mit den Händen zu erkunden begann. Er strich über ihre linke Brust und massierte sie zärtlich. Mit dem Finger fuhr er ihre Brustwarze nach, was bei Mimi ein genüssliches Surren entlockte. Er konnte sich es jedoch nicht nehmen lassen, noch weiter nach unten zu Wandern. Er streichelte die Innenseite ihrer Oberschenkel und benetzte ihren Hals mit heißen Küssen, die nicht nur sie um den Verstand brachten. Er musste sich echt beherrschten, weshalb er schneller zu ihrem Lustzentrum gelangte, als Mimi erwartet hatte. Sie stöhnte auf, während er mit schnellen aber gefühlvollen Bewegungen ihren empfindlichsten Punkt reizte. Mimi klammerte sich an ihm fest und krallte sich mit den Nägeln in seinen Rücken, während sie leise seinen Namen seufzte. Er erreichte wieder ihren Mund und hauchte ihr einen abverlangenden Kuss auf die Lippen als er zeitgleich mit dem Finger sanft in sie eindrang und zusätzlich verwöhnte. Seine eigene Erregung stieg währenddessen ins Unermessliche. Er konnte gar nicht mehr klar denken, weshalb er seine Bewegungen beschleunigte. Mimi wand sich unter ihm vor Lust und bewegte sich ihm entgegen. „Tai…“, stöhnte sie und plötzlich spürte sie ihre zarte Hand an seiner Erregung. „Ich will dich! Jetzt sofort!“, bettelte sie und brachte ihn dazu seine reizvollen Streicheleinheiten zu unterbinden. Er zog sich aus ihr zurück und fing ihren lustverhangenen Blick auf, der in ihm sämtliche klaren Gedanken auslöschte. Dennoch dachte er gerade noch rechtzeitig daran, ein Kondom aus einer Hosentasche hervorzuholen und sich überzuzuziehen, bevor er den entscheidenden Schritt weiterging. Er beugte sich über sie und drängelte sich zwischen ihre Beine, sodass er ihre Wärme bereits deutlich spüren konnte. Gerade als er in sie eindringen wollte, bemerkte er eine Veränderung in Mimis Gesicht. Ihre Lippen ergaben einen schmalen Strich, ihre Stirn war ganz krausgezogen und auch ihre Körperhaltung wirkte auf einmal sehr angespannt, was ihn wunderte. „Mimi ist alles in Ordnung?“, fragte er behutsam nach und sah wie sie langsam die Augen wieder öffnete. „Was ist los? Du guckst so, als würdest du auf Glas beißen.“ Mimi verdrehte nur die Augen. „Naja ich stelle mich halt auf das Schlimmste ein. Nur Vorsichtshalber.“ Taichi lachte und Mimi setzte sich empört auf. „Hey hör auf mich auszulachen, das ist nicht witzig“, murrte sie und schlug ihm gegen den nackten Arm. „Naja wenn du so eine Einstellung hast wird es auf jeden Fall wegtun, so viel ist klar.“ „Ach wirklich?“, fragte sie verunsichert. „Hat…hat es denn beim ersten Mal auch sehr weh getan?“, fragte Taichi vorsichtig nach, auch wenn so wenig wie möglich über die Nacht zwischen Makoto und ihr wissen wollte. Aber er wollte auch, dass sie sich wohlfühlte und das konnte er nur schaffen, wenn sie darüber redeten. „Schon, aber ich halt das schon aus“, versicherte sie ihm und wollte sich Taichi wieder nähern. Jedoch ergriff er sofort ihre Hand und hielt sie fest. „Wir können ja auch eine andere Position ausprobieren. Ich habe gehört, dass es für die Frau angenehmer sein soll, wenn sie oben ist“, er grinste ein verlegen und schluckte bei diesem Gedanken. Auch Mimi sah weiterhin verunsichert aus, nickte aber, während sie ihm einen liebevollen Blick schenkte und ihn unvermittelt küsste. Sie verschränkten die Finger miteinander als Mimi sich über seinen Schoss beugte und ihn fest mit ihrem Blick fixierte, der voller Liebe war. „Entspann dich…“, murmelte er ihr zu und half ihr die richtige Position zu finden, bevor sie sich langsam absenkte. Er spürte wie er langsam und vorsichtig in sie eindrang. Die Empfindungen, die sich in diesem Moment freisetzen fühlten sich unglaublich an! Mimi saß auf seinem Schoss und hatte die Augen geschlossen, während sich Tai an dieses unfassbare Gefühl erst gewöhnen musste. „Ist alles in Ordnung?“ Mimi nickte nur und schlang sofort die Arme um seinen Hals. Ihre heißen Lippen lagen begierig auf seinen, während er sich behutsam zu bewegen begann. Ein mattes Keuchen durchzog den Raum, der nur ihnen gehörte. Mimi presste zusätzlich die Beine um seinen Körper, um ihm noch näher sein zu können, weshalb Taichi noch tiefer in sie eindringen konnte. Sie war warm und ein wildes Kribbeln erfasste seine Magengegend, je länger sie sich in dieser intimen Position befanden. Sie küssten sich die ganze Zeit und hatten einander immer im Blick, während sie sich sehnsüchtig liebten und ihre Bewegungen einen gleichmäßigen Rhythmus fanden, denen beiden zusagte. Kleine Schweißperlen rannen seine Haut hinunter und er spürte allmählich das er seinem Höhepunkt immer näherkam, weshalb er das Tempo drosselte, denn er wollte noch nicht das es vorbei war. Er wollte diesen Moment genießen, ihn mit jeder Faser seines Körpers erfassen, sodass er sich auf ewig daran erinnern konnte. Denn diese aufrichtigen Gefühle empfand er nur für sie und er wollte ihr unbedingt zeigen, wie sehr er sie liebte. _ Vollkommen erschöpft aber glücklich lagen sie dicht nebeneinander. Mimi lag auf seiner Brust, während er ihr liebevoll durch die Haare strich und sich in die warme Decke kuschelte, die beide umhüllte. „Das war echt unglaublich schön“, schwärmte Mimi verträumt und sah zu ihm hoch. „Naja, ich bin auch ein wahrer Liebesexperte, wie man ganz klarsehen kann.“ „Liebesexperte? Hast du zu oft Dr. Yoshitoki gelesen?“, stichelte Mimi grinsend. Dr. Yoshitoki war ein Experte, der für Jugendzeitschriften kluge Ratschläge an ratlose Teenager weitergab. Seine Schwester las solche Zeitschriften wirklich oft und band ihm das ein oder andere peinliche Thema gerne mal auf die Nase, selbst wenn er es nicht hören wollte. „Na du kannst jetzt nicht behaupten, dass du nicht auf deine Kosten gekommen bist“, untermauerte er standhaft, doch Mimi lächelte nur verwegen und verschwand mit ihrer Hand hinter seinem Nacken, um ihn etwas näher heranziehen zu können. „Vielleicht habe ich ja auch einfach nur so getan?“ Sie hatte einen süffisanten Gesichtsausdruck aufgelegt und musterte ihn herausfordernd. „Also so eine gute Schauspielerin bist du wirklich nicht“, untergrub er ihre Aussage prompt. „Ich durchschaue dich, Prinzessin.“ „Tse, sei nicht immer so überzeugt von dir.“ „Vielleicht kannst du mich auch einfach mal loben? Ich will doch auch nur ein bisschen Liebe, sonst gehe ich ein wie eine Primel.“ Er zog seine Unterlippe nach vorne und versuchte dadurch ein schlechtes Gewissen bei Mimi auszulösen, was jedoch nicht sonderlich gut wirkte. „Jetzt bist du aber hier der schlechte Schauspieler, denn du kannst jetzt nicht behaupten, dass du heute zu wenig Liebe bekommen hast“, sagte sie und kuschelte sich noch näher an ihn heran. „Das stimmt allerdings und ich fand es echt schön“, offenbarte er ihr ehrlich. „Ja, ich auch“, stimmte Mimi mit ein und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen als plötzlich ein lauter Knall zu hören war und der Himmel in bunte Lichter gehüllt wurde. Überrascht lösten sie sich voneinander und blicken aus dem Fenster, dass ihnen die Hochhäuser von Tokio präsentierte. In ungleichmäßigen Abständen sah mal wie die Feuerwerkskörper den schwarzen Himmel in bunte Farben tauchte und somit das neue Jahr ankündigte. Es war ein Jahr voller neuer Möglichkeiten, doch was es besonders machte: Es war das erste Jahr, dass sie als Paar gemeinsam einläuteten. Ihre Gefühle füreinander waren klar definiert und die schmerzliche Vergangenheit lag endlich hinter ihnen. Vor ihnen zeigte sich eine strahlende Zukunft, die sie als Paar gemeinsam entdecken wollten. Kapitel 46: Umzugsfreuden ------------------------- ♥ Mimi ♥ „Um Himmels Willen, das ist doch viel zu schwer für dich“, tadelte Mimi ihre beste Freundin und nahm ihr den Umzugskarton sofort aus der Hand. Mit einem strengen Blick fixierte sie Sora, die nur ein herzergreifendes Seufzen zustande brachte. „Mimi, ich schwanger und nicht todsterbenskrank“, murrte sie und deutete auf ihren wohlgeformten Babybauch, der bereits erahnen ließ, dass es bald soweit sein würde. Der Geburtstermin war schließlich Ende April, nur noch einen knappen Monat entfernt! Sie hatten schon Mitte März und Zeit schien praktisch gegen sie zu arbeiten. „Trotzdem sollst du doch darauf Acht geben, nicht mehr so schwere Kisten zu heben“, rief Mimi ihr in Erinnerung und musterte ihre rothaarige Freundin besorgt. Sie wusste ja selbst, dass Sora ungern die Zügel aus der Hand gab, aber für den heutigen Tag hatten sie ausreichend Helfer organisiert. „Du hörst dich an wie Yamato. Ich glaube, er würde mich am liebsten in Watte einpacken bis das Baby auf der Welt ist.“ Genervt trottete sie in die Wohnung und hielt sich angespannt den Rücken. Ihre Füße waren etwas geschwollen, weshalb sie trotz der milden Temperaturen ihre offenen Sandalen trug. Mimi folgte ihr nur belustig und staunte nicht schlecht, als sie erneut die kleine Wohnung von Yamato und Sora betrachtete. Nach dem schmalen Flur folgte der großzügige Wohnbereich, der alles Wichtige umfasste. Eine kleine Küchennische, in der sich alle notwendigen Gerätschaften und eine große Arbeitsfläche befanden. Ein geräumiger Tisch, den man ausziehen konnte, wenn Gäste zu Besuch kamen – natürlich auch mit den dazugehörigen Sitzmöglichkeiten. Und ein großflächiges Wohnzimmer, dass allerdings noch recht karg wirkte, da die Möbel erst im Laufe des Tages geliefert wurden. Zusätzlich befand sich in der Wohnung ein kleines aber feines Badezimmer, das weiß gefliest war. „Einfach unglaublich, wie riesig das hier alles ist“, sagte Mimi beeindruckt und drehte sich mit dem Karton im Kreis. „Da hinten sind die Schlafzimmer oder?“ Sie deutete auf beiden Türen, die sich im hinteren Bereich des Wohnraumes befanden. „Ja, genau. Rechts ist unser Schlafzimmer und links von der Kleinen“, erklärte ihr Sora außer Atmen, bevor sie sich erschöpft auf einem der Stühle niederließ. „Ach, das ist echt unfassbar“, seufzte Mimi und kam aus dem Staunen nicht mehr raus. Während ihre Freunde nicht nur ihren Abschluss in der Tasche hatten, sondern auch gleich in eine eigene Wohnung zogen, befand sich Mimi noch auf einem langen Weg. Im April würde ihr Abschlussjahr begingen und sie war gespannt, was sie alles erwarten würde. Natürlich hatte sie durch Sora, Matt und Tai einiges mitbekommen, aber dennoch war sie nervös. Große Entscheidungen würden anstehen, die ihr Leben, nein sogar ihre Zukunft beeinflussen könnten. In den letzten Monaten hatten die Wogen deutlich geglättet. Seitdem sie das neue Jahr eingeläutet hatten, schienen sich die angestauten Probleme des letzten Jahres allmählich in Wohlgefallen aufzulösen. Natürlich würde es noch Zeit brauchen, aber ihre Eltern hatten den ersten Schritt in die richtige Richtung gewagt, indem sie ein klärendes Gespräch mit Fujitaka suchten. „Ich habe noch eine Kiste“, ertönte plötzlich die abgehetzte Stimme von Kaori, die sich ebenfalls dazu bereit erklärt hatte zu helfen. Mimi lächelte bei ihrem Anblick und stellte die Kiste ab. Seit sich ihre Eltern ausgesprochen und ihnen die Wahrheit erzählt hatten, hatte Mimi das Gefühl ihr noch näher gekommen zu sein, da es eine Sache gab, die sie wohl auf ewig miteinander verbinden würde. Das komplette Gegenteil stellte tatsächlich Emi dar. Auch wenn Mimi mittlerweile die Sache mit Taichi und Emi nichts mehr ausmachte, spürte eine deutliche Abneigung, die Emi gegenüber ihr ausstrahlte und die sie absolut nicht verstehen konnte. Ihr war klar, dass sie wohl nicht die besten Freunde werden würden, aber dennoch hoffte sie auf einen Waffenstillstand, da sie mit Emi unausstehlicher Art überhaupt nicht zurechtkam. Besonders nicht, nachdem klar wurde, dass sie wohl länger in Japan bleiben würde, als Mimi sich erhofft hatte. „Was hat denn so lange gedauert?“, fragte Mimi amüsiert, doch ihr freudiger Gesichtsausdruck verschwand augenblicklich, nachdem sie Kaoris verfinsterte Miene vernahm. „Ich habe noch mit Emi telefoniert. Sie will wohl heute Abend Garnelen essen und ist zu faul sich selbst welche zu kaufen.“ Wenn man vom Teufel sprach…. „Und jetzt will sie, dass du ihr welche mitbringst?“, hakte Sora nach und rieb sich geistesabwesend den Bauch. „Das hat sie nicht so gesagt…“, schwächte Kaori ab und stellte den Karton neben Mimis Kiste ab. „Aber garantiert so gemeint“, warf Mimi schnaubend ein. „Sie denkt wohl, dass sie sich alles erlauben kann, nachdem sie von der Uni geworfen wurde.“ „Naja etwas unverschämt ist sie schon…“, gab Kaori zu und setzte sich Sora direkt gegenüber, während Mimi mit verschränkten Armen und einer angezogenen Augenbraue skeptisch stehen blieb. „Etwas, ist weit untertrieben. Sie krümmt keinen Finger seit sie wieder zuhause ist und hat euch noch nicht mal erzählt, dass sie wegen Alkoholmissbrauch von der Uni geflogen ist!“ Immer wenn das Gespräch auf Emi kam, schäumte Mimi vor Wut. Es lag nicht daran, dass sie einen schlechten Start hingelegt hatten – nein, durch Emi schien es ihrer Freundin schlechter zu gehen. Jedenfalls sprach ihr bedrücktes Gesicht Bände. Doch sie konnte schlecht was dagegen unternehmen. Emi war wieder ein Teil ihres Lebens. Ein Teil, der ihr nicht gut tat. „Wisst ihr was, lasst uns heute einfach nicht an sie denken! Wir müssen noch einige Kisten nach oben tragen und Hikari wartet unten mit den Jungs beim Transporter“, antwortete sie, um das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. Resigniert senkte Mimi den Kopf und warf einen unauffälligen Blick zu Sora, die nur hilflos mit den Achseln zuckte. _ Völlig erledigt räumten sie die vorerst letzten Kisten ins Wohnzimmer, bevor sie sich am Küchentisch niederließen. Sora hatte jedem bereits ein Glas Wasser eingeschenkt, was Mimi jedoch in einem Zug direkt austrank. Eigentlich hatte sie doch Ferien, aber Erholung sah deutlich anders aus! „Ich glaube ich nehme noch ein Glas“, erwiderte Mimi atemlos und sackte ihren Stuhl hinab. Ein entschuldigendes Lächeln schlich sich auf Soras Lippen, während sie ihr Glas erneut befüllte. „Ryota, Juro und Takeru sind ein letztes Mal bei Yamato vorbeigefahren, um den Rest seiner Sachen zu holen“, informierte Kari sie und wusch sich beherzt den tropfenden Schweiß von der Stirn. Seit Stunden waren sie schon am Werkeln, aber das Ende war noch lange nicht in Sicht! „Zum Glück hat ihre Mutter den Transporter! Sonst wären wir noch Stunden damit beschäftigt gewesen“, räumte Mimi erschöpft ein. „Tai und Matt müssten allerdings auch bald wiederkommen. Sie wollten mit Yamatos Vater nur Farbe zum Streichen besorgen. Heute wollten wir eigentlich das Kinderzimmer noch schaffen“, zählte Sora auf und blickte nachdenklich in die kleine Mädelsrunde. „Vielen Dank, dass ihr uns bisher so sehr geholfen habt. Ohne euch wären wir echt aufgeschmissen.“ „Ach so ein Quatsch, das machen wir doch gerne“, versicherte Mimi ihr aufrichtig. „Und wir wären sicher auch noch mehr Helfer gewesen, wenn uns einige nicht im Stich gelassen hätten.“ „Naja, dass Yolei und Ken nicht können, ist ja indirekt sogar dein Verdienst“, unterstellte Kari ihr grinsend. Ertappt biss sich Mimi auf die Unterlippe, da sie mit ihrer Behauptung gar nicht so viel Unrecht hatte. Sie war danach schuld gewesen, dass Yolei und Ken seit der Weihnachtsfeier ein Herz und eine Seele waren. Zwar wollte sie den beiden nur einen kleinen Schubs geben, doch sie hätte niemals gedacht, dass sie damit so erfolgreich sein würde. „Und am Anfang war sie wegen dem Kuss noch richtig sauer auf mich gewesen. Aber jetzt schwebt sie auf Wolke sieben. Ich sollte mich wirklich Armour nennen“, brüstete sie sich und erhob stolz ihr Haupt. „Vielleicht haben die beiden wirklich nur den nötigen Anstoß gebraucht. Yolei hat ja früher oft von Ken geschwärmt, aber beide haben sich nie wirklich getraut den nächsten Schritt zu wagen. Der Einzige, der all dem ein bisschen pessimistisch gegenübersteht ist Davis“, meinte Kari nachdenklich. „Aber Davis ist auch eine kleine Dramaqueen!“, untermauerte Mimi felsenfest und brachte die kleine Runde zum Lachen. „Vielleicht hat er ja einfach ein bisschen Angst, dass Ken nicht mehr so viel Zeit für ihn haben wird“, warf Sora bedenkend ein. „Ach was, dafür besuchen wir heute doch alle zusammen sein Fußballspiel, um ihn anzufeuern“, winkte Kari sofort ab. „Immerhin hatte er eine gute Ausrede heute nicht zu kommen! Aber von Joe und Izzy bin ich schon etwas enttäuscht“, murrte Mimi mit verschränkten Armen. „Mimi, Joe muss lernen und Koushiro hat sich entschuldigt, weil er sich heute Morgen nicht so wohl gefühlt hat“, erwiderte Sora kopfschüttelnd. „Klingt ja überhaupt nicht nach Ausrede, besonders bei Izzy! Oder meinst du nicht Kaori?“, fragte sie ihre Freundin, die sich die ganze Zeit bei dem Gespräch zurückgehalten hatte. Sie schrak zusammen und blickte verunsichert zu Mimi. „N-Naja, wenn es ihm doch nicht gut geht…dann sollte er sich eher ausruhen“, antwortete sie vage und wisch Mimis skeptischen Blick kontinuierlich aus, was sie verwunderte. Schon länger bemerkte sie, dass Izzy ihr aus dem Weg ging. Zuerst hatte sie gedacht, dass es an ihrer Beziehung zu Taichi lag, da er im letzten Jahr, etwas zu ihr gesagt hatte, dass Mimi ganz klar verdrängen wollte. Allerdings hatte sie bemerkt, dass auch zwischen ihm und Kaori eine deutliche Anspannung lag, die sie sich nicht erklären konnte. Kaori hatte ihr nichts erzählt gehabt. Doch sie saß verunsichert neben ihr und rückte ständig ihre Brille zurecht, was sie meist tat, wenn sie etwas beschäftigte. Vor Sora und Kari wollte sie sie nicht darauf ansprechen, weshalb Mimi ihre quälende Neugierde, die auf ihrer Zunge brannte, einfach hinunterschluckte. Bestimmt würde sie bald eine passendere Gelegenheit erhalten. _ „Was ist das denn? Grau? Euer Ernst?“, fragte Mimi ungläubig und starrte in den Eimer, wo sich die trostlose Farbe befand. „Grau ist eben neutral und wir wollten den Rest des Zimmers in Minttönen halten“, erklärte Sora und sah bestätigend zu Yamato, der diese Geschmacksverirrung hier angeschleppt hatte. Mittlerweile waren sie nur noch zu viert, da Takeru und Hikari zu Daisukes Fußballspiel aufgebrochen waren. Kaori war von Ryota und Juro mitgenommen worden und würde scheinbar ihrer Schwester ihre dämlichen Wünsche von den Augen ablesen, weil sie ein viel zu gutes Herz hatte. Taichi und sie hatten sich hingegen dazu entschieden, noch bei dem Streichen des Kinderzimmers zu helfen, bevor sie gegen Abend ins Kino gehen wollten. Für einen Film hatten sie sich noch nicht entschieden, doch Taichi wollte sicher wieder einen Actionfilm sehen, in dem sich die Kerle sinnlos den Kopf wegballerten, während Mimi definitiv zu etwas Witzigem tendierte. Doch zuerst standen sie vor diesem katastrophalen Farbdilemma! Was hatten sich Sora und Matt nur dabei gedacht? Grau? Das arme Kind! „Aber ihr bekommt doch ein kleines Mädchen! Grau ist doch viel zu trist! Rosa mit weißen Akzenten wäre doch echt traumhaft“, schwärmte sie und richtete das Zimmer bereits ganz nach ihren Vorstellungen ein, als sich auch Taichi zu Wort meldete. „Igitt, doch nicht Rosa! Da würde ich ja Augenkrebs bekommen. Aua! Hey, was soll das?“ Mimi hatte ihm aufgrund seiner Aussage prompt den Ellenbogen in die Rippen gerammt und musterte ihn unverhohlen. „Also meine Tochter wird auf jeden Fall ein richtiges Mädchenzimmer bekommen“, protestierte sie, während Tai nur genervt stöhnte. „Ob es dir passt oder nicht!“ Taichi verdrehte nur die Augen. „Okay, jetzt hören wir aber mal auf von euren noch nicht existenten Kindern zu sprechen. Unsere Tochter bekommt ein neutrales graues Zimmer mit mintgrünen Akzenten!“, sprach Yamato endlich ein Machtwort, während sie Taichi immer noch erbost anblickte. „Tse, darüber reden wir nochmal!“, murrte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Natürlich, also ob ich die rosa Farbnote je aus deinem Kopf bekommen könnte.“ „Tja denn gib dich halt geschlagen“, tönte Mimi überlegen. „Nie im Leben“, pfefferte er zurück und wirkte auf einmal beleidigt auf sie. „So ein Kindskopf.“ „So eine Zicke.“ „Also manchmal glaube ich echt, dass wir schon längst Eltern sind“, gab Sora zu bedenken, während sich die beiden auf einen erneuten Schlagabtausch einstellten. _ Verärgert sah sie auf ihren roten dünnen Pullover, den sie extra zum Streichen angezogen hatte. Ein langer grauer Streifen zog sich quer über ihre Brust und auch ihre Haare hatten graue Farbe abbekommen, was Mimi wirklich zur Weißglut trieb. „Man, so können wir doch später nicht ins Kino gehen! Ich sehe aus als hätte ich graue Haare! Das bekomme ich bestimmt nicht so einfach raus“, nörgelte sie und blickte in den kleinen Handspiegel, den sie aus ihrer Tasche geholt hatte. „Ach Mimi, sei nicht so theatralisch! Guck mal wie ich aussehe“, meinte Tai und breitete sie Arme aus. Sein Gesicht war voller Farbe, was auf seiner sonnengebräunten Haut natürlich viel extremer zu Geltung kam als bei ihr. Auch seine Haare hatten Farbspritzer abbekommen, von seinen Klamotten ganz zu schweigen. „Warum provozierst du mich auch immer! Jetzt sind Sora und Matt extra nochmal los, um Farbe zu kaufen, nur weil du mich damit angemalt hast.“ „Korrektur: Du hast angefangen und die beiden wollten sicher ihre Ruhe vor uns haben - deswegen sind sie nochmal los“, stellte Taichi klar. Fassungslos schüttelte Mimi den Kopf und stand vom Boden auf. Zum Glück hatten sie alles abgedeckt, weshalb die Farbe nur auf die Abdeckplane und nicht auf das Laminat getropft war. Dennoch war Mimi ziemlich sauer! Taichi war wohl heute komplett mit dem falschen Fuß aufgestanden und unausstehlich, was Mimi wirklich untragbar fand. Schließlich waren sie doch hier, um ihren Freunden zu helfen und nicht noch mehr Unordnung zu veranstalten. Sie hatten gerade mal zwei Wände geschafft, bis der heillose Farbenkrieg entstanden war. Dabei hatte Mimi ihn doch nur ausverstehen getroffen, weil sie zu viel Schwung genommen hatte! „Bist du heute irgendwie mit dem falschen Fuß aufgestanden oder warum bist du so mies drauf?“, hakte sie nach, auch wenn sie sich schon vorstellen konnte, warum er so schlecht gelaunt war. Er hatte schon nach den Abschlussprüfungen angefangen in einem Lager zu arbeiten, indem täglich Lieferungen für Geschäfte sortiert und eingeladen werden mussten. Ein Knochenjob, aber er versuchte zurzeit alles, um doch noch studieren zu können. Seit letzter Woche besuchte er Vorbereitungskurse, die er sich mit seinem Gehalt gerade so leisten konnte. Es war eine schwierige Situation, die Mimi allerdings auch nicht abfangen konnte. „Ich bin überhaupt nicht mies drauf“, knurrte er, als ihn jedoch die Einsicht traf. „Okay, vielleicht ein bisschen.“ „Was ist denn passiert? War heute Morgen, was auf der Arbeit gewesen?“ „Nicht direkt“, murmelte er und wandte den Blick von ihr. „Mein Chef ist halt sehr streng und meckert öfter, wenn ich zu langsam bin.“ „Aber du arbeitest doch noch gar nicht lange da“, äußerte Mimi ihr Unverständnis. „Ich glaube, das ist ihm herzlich egal“, meinte Taichi bedrückt, fuhr ihr aber liebevoll über ihr Gesicht, um ihr eine störende Strähne hinter ihr Ohr zu streichen, die sich aus ihrem hohen Zopf gelöst hatte. Er sah sie direkt an und lächelte leicht. „Das grau steht dir. Lässt dich viel erwachsener wirken.“ Empört blies Mimi die Wangen auf und funkelte ihn erbost an. „Dir macht das doch Spaß, mich auf die Palme zu bringen“, stellte sie fassungslos fest und tippte ihm bestimmt gegen seine harte Brust. Er lachte auf und ergriff ihr Handgelenk. „Vielleicht ein bisschen, aber deine Tobsuchtsanfälle heitern mich wenigstens immer wieder auf.“ Dieses unverschämte und dazu äußerst charmante Grinsen! Da konnte sie einfach nicht auf ihn böse sein. „Du bist echt ein Idiot“, hauchte sie ihm entgegen und stellte sich auf die Zehenspitzen, während sie seine starken Arme auf einmal hinter ihrem Rücken spürte. „Ich glaube du wiederholst dich“, sagte er bevor er sehnsüchtig seine Lippen mit ihren versiegelte. Das Feuer, dass er jedes Mal aufs Neue entfachte, brannte wohlig über ihre Haut und ließ sie völlig vergessen, wo sie sich befand. Es gab in diesen besonderen Momenten nur ihn und sie, gefangen in der Unendlichkeit der Zeit. Abrupt drehte er sie herum und drückte sie begierig gegen die Wand, die sie noch nicht in Farbe getaucht hatten. Ihre lustvollen Küsse vernebelten ihr völlig den Verstand, sodass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Er ließ von ihrem Mund ab und begann ihren Hals mit Küssen zu benetzen, während er sanft über ihren wohlgeformten Po streichelte. Tai saugte sich an ihrer Halsbeuge fest und entlockte Mimi ein leises kehliges Stöhnen. Was taten sie hier nur? Waren sie gerade im Begriff…? Hier im Kinderzimmer? Ihr Herz pochte kräftig gegen ihre Brust, als sie feststellte, dass er seine Wanderung beherzt fortsetzte und sich zwischen ihre Beine drängelte… _ Atemlos lehnte sie sich gegen ihn und konnte nicht fassen, was sie gerade getan hatten. Ihre Klamotten lagen tatsächlich auf dem Zimmerboden und ein zufriedener Gesichtsausdruck legte sich über ihre Lippen. Es war verrückt. Verrückt zu was einem die Liebe tatsächlich trieb. „Wow, das war…intensiv“, meinte Taichi und sein Grinsen wuchs ins Unermessliche. „Also für so eine spontane Aktion wäre ich in Zukunft öfter.“ Er sah sie verwegen an und Mimis Wangen begannen zu glühen. „Das war mir irgendwie klar gewesen“, meinte sie augenrollend. „Naja dein ganzer Körpereinsatz war auch echt beeindruckend gewesen“, lobte er sie ehe er in seine Unterhose stieg. Mimi war bereits wieder in ihren Slip und ihre Jeans geschlüpft, während die mit ihren Augen nach ihrem BH Ausschau hielt, den Taichi sonst wo hin gefeuert hatte. „Sag mal, wo hast du denn meinen BH hingeschmissen?“, fragte sie verwundert, nachdem sie ihren dünnen Pulli gefunden hatte. Doch er zuckte nur hilflos mit den Schultern und war inzwischen wieder vollständig angezogen, während Mimi schützend die Arme vor ihren Brüsten verschränkte. „Das gibt es doch nicht“, fluchte sie verzweifelt, als sie plötzlich die Tür hörte. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie zu Taichi, der auch panisch das Gesicht verzog. „Wir sind wieder da!“, hörten sie Yamatos Stimme durch den Flur hallen. „Scheiße, Taichi wo ist mein BH?!“, knurrte sie panisch und lief in dem kleinen Raum wie von der Tarantel gestochen umher, aber sie konnte ihn einfach nicht finden! „Ist doch egal! Zieh dir einfach den Pulli über“, antwortete er hektisch und hatte die geöffnete Zimmertür im Blick. Hibbelig versuchte sie ihn anzuziehen, stellte aber fest, dass ein Teil auf links war, weshalb sie immer nervöser wurde. Schnell drehte sie die Ärmel auf die richtige Seite und schlüpfte gerade noch rechtzeitig mit dem Kopf durch die Pulloverhals, bevor Sora und Matt im Türrahmen standen. „Nanu, das Zimmer steht ja sogar noch“, meinte Matt belustig, während seine beiden besten Freunde ein unschuldiges Gesicht machten. Mimis Herz schlug bis zum Hals und sie konnte es sich nicht nehmen lassen einen unauffälligen Blick zu Taichi zu wagen, der jedoch nach außen hin vollkommen cool wirkte. Wahrscheinlich hatte er einfach ein besseres Pokerface als sie, doch das war ihr egal, solange sie es nicht rausbekommen würden. Den BH konnte sie sicher auch später… „Was liegt denn da?“, fragte Sora verwundert und deutete zu Boden. Yamato bückte sich nach unten und raffte das Stück Stoff auf, dass sich direkt neben der Tür befunden hatte. Mimis Augen weiteten sich und die Schamesröte schoss ihr sofort ins Gesicht, als Yamato tatsächlich ihren BH emporhielt. „Wie kommt der denn neben die Tür?“ Sein belustigter Blick zeigte bereits, dass er genau wusste, warum der BH neben der Tür lag. Sora fasste sich augenblicklich an die Stirn und schüttelte nur ungläubig mit dem Kopf. „Das ist doch jetzt nicht euer Ernst?!“ Ein peinliches Schweigen kehrte ein und keiner der beiden traute sich nur ein Wort zu sagen, weshalb sich Yamato eine scharfe Spitze nicht nehmen lassen konnte. „Tja, dann hoffen wir mal das der potenzielle Nachwuchs nicht lange auf sich warten lässt“, sagte er und warf Mimi ihren BH zu, den sie gerade so auffing. Peinlich berührt senkte sie den Kopf, während Taichi etwas Unverständliches vor sich hin grummelte. Warum geriet sie immer nur in solche fragwürdigen Situationen? Anscheinend hatte ihre Libido die Kontrolle über ihren Körper und ihre rationale Denkfähigkeit genommen. „Das ist alles deine Schuld, du hast mich verführt“, klagte sie Taichi an, der sie nur verblüfft anblickte. „Meine Schuld? Wer hat mich denn angebettelt nicht aufzuhören?“ „Taichi!“, kreischte Mimi und blickte zu ihren beiden Freunden, die sich vor Lachen nicht mehr einkriegen konnten. „Ihr beiden seid wirklich unverbesserlich“, sagte Sora. „Euch darf man wirklich keine fünf Minuten alleine lassen.“ Zähneknirschend presste Mimi die Lippen aufeinander und krampfte ihren BH in den Fingern zusammen. Wer solche Freunde hatte, brauchte wirklich keine Feinde mehr. Kapitel 47: Alltägliche Gelegenheiten ------------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Yagami! Das geht doch auch schneller! Du wirst nicht fürs rumstehen bezahlt“, fluchte sein Chef Herr Itori lauthals, was ihn augenblicklich zusammenfahren ließ. Er war gerade im Begriff die Kisten auf den Stapler zu räumen, doch scheinbar arbeitete er mal wieder zu langsam. Frustriert biss er die Zähne zusammen und hievte Kiste um Kiste, auch wenn sich die erste Erschöpfungswelle bereits bei ihm bemerkbar machte. Schließlich war er schon seit fünf Uhr am Ackern und hatte immer noch eineinhalb Stunden vor sich. In der Regel arbeite er jedoch immer länger als neun, da die Kisten einfach kein Ende nahmen und sie zusätzlich noch in den passenden LKW geladen werden mussten. Das dauerte meist den ganzen Vormittag, aber heute musste er pünktlich Schluss machen, um seinen Vorbereitungskurs für die Uni nicht zu verpassen. Auch wenn fast sein komplettes Geld für den Kurs draufging hatte Taichi trotzdem das Gefühl, dass es ihn weiterbrachte. Mit seinem Tutor wollte er heute nach Möglichkeiten suchen, sich die Uni trotz finanzieller Engpässe dennoch finanzieren zu können. Es würde sicher nicht leicht werden, aber es war eben sein Traum. Ein Traum für den es sich zu Kämpfen lohnte. „Man, jetzt träum gefälligst nicht herum! Mach hinne!“, kam es erneut von Herrn Itori, dessen Zornesfalte bereits sichtbar seine Stirn zierte. Taichi seufzte nur und versuchte seine aufkommenden Rückenschmerzen zu ignorieren, die ihn seit er diese Arbeit angefangen hatte, fast täglich quälten. Aber was machte man nicht alles für ein bisschen Geld? In manchen Momenten fragte er sich wirklich, warum er nach der Schule keine Ausbildung wie Yamato begonnen hatte? Er arbeitete seit Anfang April als Elektriker und schien sich in seinem Umfeld mehr als nur wohlzufühlen. Er hatte nette Kollegen und einen verständnisvollen Chef, der ihm ohne weiteres sofort frei geben würde, falls das Baby früher kommen sollte. Vielleicht wäre es einfacherer einen festen Job zu haben und sich auf ein geregeltes Einkommen zu freuen als, als Lagerarbeiter förmlich zu versauern. Doch er hatte nicht die gleichen Möglichkeiten gehabt wie sein bester Freund. Seit er von Soras Schwangerschaft erfahren hatte, bemühte er sich um einen Ausbildungsplatz, während Taichi immer noch seinen unrealistischen Träumen hinterhergejagt war. Das Sportstipendium, dass er als seine einzige Möglichkeit sah, war ein Hirngespinst, dass sich in seinem Kopf festgesetzt hatte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, wusste er, dass Profisportler nie als Berufsoption zur Debatte stand, auch wenn die meisten Stipendien genau an diese Option gebunden waren. In seltenen Fällen konnte man sich das Studienfach tatsächlich frei wählen. Auch wenn er Fußball nach wie vor über alles liebte, war es nur ein Hobby für ihn – nicht mehr und nicht weniger. Als Berufung würde er es niemals bezeichnen, weshalb er sich möglicherweise auch nicht sonderlich angestrengt hatte. Allerdings stand er jetzt ohne jegliche Entscheidungsvielfalt dar. Er hatte nicht viele Möglichkeiten, das war ihm deutlich bewusst, weshalb sämtliche Wünsche und Träume vor seinem inneren Auge zerschmettert wurden. Wenn er ehrlich war, ging es größtenteils am Geld. Geld, dass seine Familie nicht besaß und er niemals ohne Hilfe aufbringen konnte. Er packte die letzte Kiste auf den Stapler und gab seinem Kollegen ein Zeichen, dass er losfahren konnte. Erschöpft fuhr er sich mit dem Ärmel seines Overalls übers Gesicht und schnaufte herzlich. Er brauchte dringend eine Pause, doch die strengen Blicke seines Chefs lagen bereits in seinem Nacken. „Gut, jetzt gleich die nächste Ladung! Und diesmal geht das sicher schneller, Yagami!“, hörte er ihn rufen, während Taichi wütend die Lippen aufeinanderpresste. War er etwa ein Packesel, den man einfach so herumkommandieren konnte? Sei Chef rührte selbst keinen Finger, sondern scheuchte einfach nur seine Mitarbeiter rum, die Angst hatten, dass er ihnen das Gehalt kürzen könnte, wenn sie nicht in der vorgeschriebenen Zeit arbeiteten. Es war also ein Spiel mit der Angst und Taichi ahnte schon, dass er den Kürzeren ziehen würde, wenn er jetzt den Mund aufmachte. Herr Itori saß einfach am längeren Hebel, weshalb Taichi sich nur zu einem stummen Nicken abrang und stur weiterarbeitete. - Prüfend blickte sein Tutor Hideyoshi über seine Schulter, während sie gemeinsam am Computer saßen und seine letzten Testergebnisse auswerteten. In den Vorbereitungskursen schrieb man des Öfteren Test und füllte Orientierungsbögen aus, um die Interessen und Kompetenzen herausfiltern zu können. Er konnte sich kaum noch auf dem Stuhl halten, weil er einfach so unfassbar müde war. Letztlich hatte er doch bis halb elf gearbeitet und schaffte es gerade noch rechtzeitig zur Uni, da er zuhause noch duschen wollte. Hideyoshi kannte allerdings seine Situation, weshalb er auch keine Vorwürfe zu erwarten hatte. Er nahm sich immer sehr viel Zeit für ihn und versuchte ihm neue Möglichkeiten aufzuzeigen, um aus seinem eintönigen Alltag entfliehen zu können. Auch wenn es privat bei ihm gut lief, musste er zugeben, dass ihn seine triste Zukunft sehr unglücklich machte. Während des Umzugs hatte er sogar seine miese Laune an seiner Freundin ausgelassen, was ihm hinterher sehr leidtat. Doch er befand sich in einem tiefen Loch, aus dem er alleine einfach nicht mehr rauskam, selbst wenn sich das Rettungsseil direkt neben ihm befand. Nach der Sache mit seinem Vater hatte er einfach keine Kraft mehr es zu ergreifen und sich hochziehen zu lassen. Er brauchte jemanden, der ihm die Hand reichte und ihn so festhielt, dass er gar nicht mehr abstürzen konnte. Und dieser jemand war in seinem Fall Hideyoshi gewesen. „Also das sieht ja schon mal nicht schlecht aus“, informierte er ihn stolz. „In den Test schneidest du eigentlich ziemlich gut ab, gerade im Bereich Politik bist du im überdurchschnittlichen Bereich!“ „Wirklich?“, fragte Taichi ungläubig. Zwar hatte er sich in der Schule schon immer für Politik interessiert gehabt und auch in Bürgerkunde immer gute Noten geschrieben, aber mit diesem Ergebnis hatte er dennoch nicht gerechnet gehabt. „In deinem Abschlusszeugnis hattest du ja auch in Politik und Wirtschaft eine glatte eins, das schafft in diesen Fächern auch nicht jeder“, meinte Hideyoshi beeindruckt. Geschmeichelt blickte Taichi ihn an und hörte weiterhin aufmerksam zu. „Hast du schon mal über ein Stipendium nachgedacht?“, fragte er auf einmal. Verblüfft runzelte Taichi die Stirn. „Ich habe dir doch erzählt, dass ich mich für ein Sportstipendium beworben hatte.“ „Ja, das weiß ich doch, aber es gibt viele unterschiedliche Arten von Stipendien. Du musst nicht ein talentierter Sportler sein, um eins zu bekommen.“ „Ach echt nicht? Aber ein Stipendium fördert doch nur die besonders Begabten oder?“ „Das denken die meisten, aber du brauchst eigentlich nur eine gute Abschlussnote, die du ja hast und eine gute Motivation“, erklärte er ausführlich. „Also warum du ausgerechnet dieses Fach studieren willst und was du in Zukunft erreichen möchtest.“ „Aber das weiß ich doch gar nicht. Eigentlich bin ich völlig planlos“, gab Taichi frustriert zu. Hideyoshi legte nur den Kopf schräg und blickte erneut auf den flimmernden Bildschirm des PCs. Plötzlich deutete er auf das Ergebnis seines letztens Tests im Bereich Politik. „Du hast dort 97 Prozent erreicht! Ich denke du weißt genau, was dir liegt und was nicht. Wovor hast du also Angst?“ Stumm betrachtete er ihn und senkte betroffen den Kopf. Hatte er wirklich Angst? War das der Grund, warum er sich nicht ausreichend genug über weitere Stipendien informiert hatte? Stand er etwa seinem eigenen Glück im Wege, nur weil so vieles in dem letzten Jahr einfach nur schiefgelaufen war? „Ich weiß es nicht…“, antwortete er verunsichert. „Du siehst gar nicht, was du alles auf dem Kasten hast! Ich glaube, du brauchst viel mehr Vertrauen in deine eigenen Fähigkeiten. Und genau deswegen solltest du es auf jeden Fall versuchen! Ich helfe dir auch“, bestärkte Hideyoshi ihn standhaft. „Okay, aber was muss ich bei so einem Stipendium beachten?“ „Naja, du musst dich gut verkaufen können und dem Gremium vor Augen führen, warum ausgerechnet du dieses Stipendium verdient hast. Deine Tests und deine Abschlussnote könnten da wirklich hilfreich sein.“ „Aha u-und wo bewerbe ich mich dann?“, hakte er unbeholfen nach, da er von sowas überhaupt keine Ahnung hatte. „Also wir werden einfach aufs Ganze gehen und uns überall, wo die Chance auf ein Stipendium besteht bewerben. Meist hat man bei kleineren, etwas ländlich gelegeneren Unis mehr Glück, da dort die Bewerberzahl eher überschaubar ist. Aber ich schätze deine Aussichten generell als sehr gut ein, wenn wir uns im Politikbereich bewegen“, informierte er ihn euphorisch. Seine grünen Augen glänzten richtig und sein positiver Gemütszustand färbte auf Taichi ab. Auf einmal schien wieder alles möglich zu sein. Er konnte der tristen Eintönigkeit seines Lebens entfliehen, wenn er sich jetzt ins Zeug legte und sich ernsthaft bemühte. Oftmals kannte man den Umfang seiner Möglichkeiten überhaupt nicht und ließ viele Potenziale unerforscht, die einem im Leben sicher weiterbringen könnten. Und allein deswegen wollte er es versuchen. Kapitel 48: Überraschungen -------------------------- ♥ Mimi ♥ „Vielen Dank für deine Hilfe. Ohne dich wäre der Kuchen sicher noch nicht im Ofen“, meinte Mimi anerkennend und nickte Kaori bestätigend zu. Zufrieden betrachtete sie die aufwendige Schokotorte, die sie für Taichis Geburtstag vorbereitet hatte und die nur noch durchbacken musste. Anschließend wollte sie sie noch etwas mit Zuckerguss verzieren und einen kurzen Geburtstagsgruß draufschreiben, um sie noch ein bisschen zu verschönern. „Kein Problem, in letzter Zeit bin ich echt froh, wenn ich nicht so oft zu Hause bin“, gestand sie offen und genehmigte sich einen großzügigen Schluck ihres Wassers. „Ist es mit Emi immer noch so schlimm?“, hakte Mimi umsichtig nach. Doch Kaoris Gesicht sprach wahrhaftig Bände. „Naja, sie fängt oft Streit mit unserem Vater an, besonders nachdem die Sache mit unserem gemeinsamen Bruder rausgekommen ist. Ich glaube, sie ist einfach nur geschockt darüber, weshalb sie rebelliert und sich gegen Papa auflehnt.“ „Habt ihr denn mal alle miteinander gesprochen? Sowas hilft meistens“, erwiderte Mimi und dachte an das klärende Gespräch, dass sie mit ihren Eltern geführt hatte. Es war zwar nicht einfach gewesen, aber dennoch hatte es ihr geholfen, die Beweggründe ihrer Mutter besser nachvollziehen zu können. Immer wieder redeten sie offen über ihren Verlust und Mimi hatte ebenfalls das Gefühl, dass es ihrer Mutter half, endlich darüber unbeschwert sprechen zu können. Das einzige Problem war nach wie vor ihre Großmutter, der Mimi ebenfalls zurzeit eher aus dem Weg ging als sich der überfälligen Konfrontation zu stellen. Vielleicht ging es ihr hier sehr ähnlich wie Emi. Sie war unfassbar enttäuscht von ihrer Großmutter gewesen, da sie damals nichts unternommen hatte, um ihre Mutter zu unterstützen, nur weil sie sich ihrer Meinung nach, in den falschen Mann verliebt hatte. Mimi konnte gar nicht in Worte fassen, wie rasend sie diese engstirnigen Gedankengänge ihrer Großeltern werden ließ. Dennoch musste sie irgendwann mit ihr reden, genauso wie Emi, die ihrem Vater nicht ewig aus dem Weg gehen und mit Vorwürfen zumauern konnte. „Ich glaube, dass sie es nicht verstehen will. Sie fühlt sich hintergangen, was ich auch verstehen kann, weil’s mir oft genauso noch geht. Eigentlich war die Ehe unserer Eltern eine einzige Lüge gewesen und ich frage mich oft, was passiert wäre, wenn es diese Zwangsheirat nicht gegeben hätte. Bestimmt würden wir dann alle nicht existieren“, teilte sie ihre dunklen Gedanken mit und senkte beschämt den Blick. Auch Mimi trafen ihre Worte mehr, als sie bei ihr zugeben wollte. Wahrscheinlich wäre einiges anders gelaufen, wenn sich ihre Mutter und Kaoris Vater für ihren Sohn sowie ihre Beziehung entschieden hätten. Weder Emi, noch Kaori oder Mimi wären dann auf diese Welt gekommen, was sie sehr traurig stimmte. Es war ein zwiespältiges Gefühl, dass sich durch ihre Magengegend bohrte. Einerseits tat es ihr unglaublich leid, was mit ihrem Bruder passiert war. Dass er seine leiblichen Eltern nie kennen lernen konnte und mit dieser Ungewissheit des eigenen Ursprungs leben musste, während sie in einer glücklichen, intakten Familie aufwuchs. Andererseits wäre sie ohne diesen Schicksalsschlag nie geboren worden. Und Mimi bereute es nicht auf dieser Welt zu sein. Nein, im Gegenteil. Sie liebte ihr Leben, ihre Familie und Freunde, die sie immer stets begleiten hatten. Deswegen wollte sie sich nicht schuldig fühlen, aber dennoch konnte sie diesen dumpfen Schmerz nicht abschalten, der ihr aufzeigte, dass etwas in ihrem Leben fehlte. Dass sie ein Leben führte, dass ihr Bruder vielleicht sogar gerne gehabt hätte. Es macht sie wirklich krank nicht zu wissen, was aus ihm geworden ist. War er glücklich? Hatte er so tolle Eltern wie sie? Wie kam er mit seiner Behinderung zurecht? Hatte er viele Freunde? Was machte er beruflich? War er vielleicht sogar schon verheiratet und hatte eigene Kinder? War sie vielleicht schon Tante, ohne es zu wissen? Viele dieser Fragen geistern durch ihren Kopf, wohlwissend, dass sie wohl niemals beantwortet werden würden. Das war die quälende Gewissheit, die eine geschlossene Adoption mit sich trug. „Tut mir leid, ich wollte keine negative Stimmung verbreiten“, sagte Kaori auf einmal als Mimi auffiel, dass sie ihr gar nicht geantwortet hatte. „Ach so ein Quatsch“, erwiderte sie eindringlich. „Ich stelle mir oft solche Fragen, aber es ist ziemlich schwierig ihn ausfindig zu machen.“ Plötzlich wurde Kaori hellhörig und ein Leuchten erfasste ihre trüben Augen. „Das ist es! Wir sollten ihn suchen!“, antwortete sie und blickte Mimi euphorisch an, sodass sie allerdings nur die Stirn runzeln konnte. „Suchen? Also so habe ich das jetzt…“ „Das ist doch die perfekte Idee! So könnte man sicher alles verarbeiten und auch in gewisser Weise abschließen.“ „Ich denke nicht, dass das so einfach geht.“ „Bestimmt wird man ihn irgendwie finden können. Übers Internet zum Beispiel“, führte Kaori ihr vor Augen und verbiss sich immer mehr in ihrem verrückten Plan, der keinesfalls funktionieren konnte. Sie wussten doch nur, dass er von einem Paar aus Osaka adoptiert wurde! Keiner konnte ihnen sagen, ob er dort überhaupt noch lebte! „Und wie willst du das machen? Das ist doch vollkommen utopisch. Das ist wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen“, murrte Mimi pessimistisch. „Also unmöglich ist es nur, wenn man nicht daran glaubt. Wir könnten doch einen Computerspezialisten engagieren“, schlug Kaori beherzt vor und schien sich in ihren Plan immer mehr hineinzusteigern. Ihre Verzweiflung war spürbar, allerdings wusste Mimi, dass sie im Moment nicht klar denken konnte. Sie versuchte alles um Antworten zu finden. Antworten auf Fragen, die sie der betroffenen Person noch nicht mal stellen konnten. „Und wen willst du fragen? Izzy vielleicht? Ich glaube nicht, dass er uns da weiterhelfen könnte“, entgegnete Mimi unruhig. Sie musste sie von dieser Schnapsidee bringen, da sie sich mit dieser hoffnungslosen Suche sicherlich selbst nur ins Unglück reißen würde. Doch kaum hatte sie den Namen ihres besten Freundes ausgesprochen, verstummte Kaori plötzlich. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte Mimi unsicher, während ihre Freundin krampfhaft den Blick von ihr gewandt hatte. „N-Nein, es ist alles gut“, antwortete sie monoton, rückte aber auffällig ihre Brille zurecht – etwas, was sie öfter tat, wenn sie nervös wurde. „Sicher? Irgendwie verhaltet ihr euch beide echt merkwürdig“, stellte Mimi besorgt fest, da sie schon länger das Gefühl hatte, dass die beiden sich aus dem Weg gingen. „Ist zwischen euch etwas vorgefallen, was ich wissen sollte?“ Ihr Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich, da sie diese Frage eigentlich gar nicht stellen wollte. Sie fand es komisch, wenn zwischen Izzy und Kaori etwas vorgefallen wäre und ihr niemand etwas gesagt hätte! Zumal die Lage mit Izzy nicht ganz unkompliziert war. Ihr war aufgefallen, dass er oft traurig auf sie wirkte, seit sie eine Beziehung mit Taichi führte. Nichtsdestotrotz hatte sie nie den Mut aufgebracht, ihn darauf anzusprechen. Die Angst, eine eindeutige Antwort zu erhalten, die ihre Beziehung für immer verändern könnte, war zu groß gewesen. Dennoch wollte sie wissen, was zwischen ihm und Kaori vorgefallen war! Kaori schien sich immer noch zu sammeln, was Mimi ungeduldig werden ließ. Sie hasste Geheimnisse, die meist nur Unglück mit sich brachten! Daher hing sie förmlich an Kaoris Lippen, die vor Unsicherheit zu Zittern begannen… _ Mimi war immer noch vollkommen durch den Wind, während sie versuchte, den Tisch festlich zu decken. Ihre Eltern waren heute Abend zum Essen verabredet, weshalb sie die Wohnung für sich hatte. Seit alles rausgekommen war, hatte Mimi das Gefühl, dass ich ihre Eltern näherstanden als zuvor. Es freute sie, dass wenigstens die beiden, etwas Positives aus der Situation mitnehmen konnten. Und zwar die aufrichtige Liebe zueinander. Dennoch brachte sie Kaoris Geständnis zum Nachdenken, da sie absolut nicht damit gerechnet hatte. Sie wusste, dass Kaori schüchtern war, aber als Freundin hätte sie doch eigentlich eher etwas bemerken müssen. Zumal ihr ja auch aufgefallen war, dass Izzy und sie sich komisch verhielten, aber sie hatte einfach nicht nachgefragt. Vielleicht wollte sie es auch einfach nicht wissen, da zu viel passiert war, dass ihr komplettes Leben plötzlich auf den Kopf stellte. Denn nichtsdestotrotz war Izzy immer noch ihr bester Freund und sie hatte all die Jahre ein ganz besonders Verhältnis zu ihm gehabt. Die Tatsache, dass sich Kaori in ihren besten Freund verliebt hatte, passte ihr daher irgendwie nicht. Auch, dass sie es ihm unter Alkoholeinfluss gestanden hatte, war für sie ein Schock gewesen. Izzy hatte Kaori daraufhin keine Antwort gegeben, da sie sich im nächsten Augenblick direkt vor seinen Füßen übergeben hatte, doch Mimi konnte wirklich nicht einschätzen, welche Veränderungen dieses Liebesgeständnis mit sich bringen würde. Sie hatte Kaori nie von ihrem Verdacht erzählt, dass Izzy sich heimlich in sie verliebt haben könnte. Noch nicht mal Tai wusste davon! Wie sollte sie mit diesen Informationen nur umgehen? Sie konnte all das Kaori wohl kaum sagen und sie hatte auch Angst mit Izzy darüber zu sprechen, da sie nicht wusste, wie er darauf reagieren würde. Vielleicht würde sie eine Kettenreaktion auslösen, die sie unweigerlich ins Unglück stürzen könnte. Denn mit einem Liebesgeständnis von Izzy konnte sie definitiv nicht umgehen! Sie seufzte leise und stellte den Kuchen, den sie mühevoll zubereitet hatte in die Tischmitte. Taichi würde jeden Augenblick kommen, weshalb sie bereits die Kerzen ankündete und ihre aufwühlenden Gedanken versuchte zu unterdrücken. Sie wollte nicht daran denken. Nicht an Taichis Geburtstag! Kaum hatte sie an ihn gedacht, klingelte es auch schon an ihrer Tür. Geschwind eilte Mimi in den Flur und öffnete sie überschwänglich, doch die Ernüchterung traf sie prompt, als sie sein niedergeschlagenes Gesicht vor sich sah. „Hey“, begrüßte sie ihn bedrückt. „Hi“, erwiderte er monoton und küsste sie kurz zur Begrüßung, bevor er seine Schuhe auszog sowie seine Tasche daneben platzierte. „Langer Tag, oder?“, fragte Mimi behutsam und schloss die Tür hinter ihm. Taichi rang sich nur zu einem Nicken ab und fasste sich an die Stirn. „Ja, ich bin von der Arbeit direkt zu Hideyoshi gerannt, der sich extra wegen mir Zeit genommen hatte, obwohl heute die Golden Week anfängt und sogar Sonntag ist! Natürlich wurde ich auf der Arbeit mal wieder nicht rechtzeitig fertig. Ich konnte noch nicht mal duschen“, beschwerte er sich. Mimi lächelte milde und schritt auf ihn zu. „Du kannst dich doch gleich hier ein bisschen frisch machen. Wir haben den gesamten Abend für uns“, antwortete sie warmherzig und schlang ihre Arme um ihn. „Ich will ein heißes Bad“, murmelte er erschöpft und presste seine Stirn gegen ihre. „Das lässt sich sicher einrichten, aber zuerst musst du noch die Kerzen auspusten!“, sagte sie sanft, nahm seine Hand und führte ihn zum Küchentisch. „Kerzen? Auspusten?“, vollkommen irritiert blieb er vor der Schokoladentote stehen, die den Schriftzug „Happy Birthday“ trug. Rundherum flackerten neunzehn Kerzen, die sein neues Lebensjahr ankündigten. „Oh Gott, das habe ich ja voll vergessen“, sagte er und zog Mimi liebevoll an sich heran. „Ich war so im Stress, dass ich überhaupt nicht gecheckt habe, dass heute mein Geburtstag ist.“ Überrascht blickte Mimi ihn an. „Hat dir denn noch niemand gratuliert?“ „Naja, ich bin heute Morgen früh aus dem Haus und mein Handy hatte ich den Tag über noch gar nicht angemacht.“ „Das ist doch nicht dein Ernst? Du hast deinen eigenen Geburtstag vergessen?“ Mimi war regelrecht empört, da Tais Chef noch nicht mal an seinem Geburtstag, der wie jedes Jahr auf die Golden Week fiel, Ruhe walten lassen konnte. Dass Sonntag war, kam auch noch erschwerend hinzu! Für ihn zählte wohl nur das schnelle Geld. „Ja, so wie es aussieht hinterlässt der Stress wahrhaftig Spuren“, meinte er, doch ein glückliches Grinsen schob sich auf seine Lippen. „Danke“, hauchte er ihr entgegen und küsste sie liebevoll auf ihre vollen Lippen. Mimi spürte immer noch dieses sagenumwobene Kribbeln, dass ihre gesamte Magengegend einnahm. Auch wenn Taichi so unglaublich müde auf sie wirkte, konnte sie das Strahlen in seinen Augen deutlich erkennen. Anscheinend hatte er mit sowas überhaupt nicht gerechnet gehabt! „So, du musst aber jetzt deine Kerzen auspusten und dir etwas wünschen, bevor das Wachs auf die Torte träufelt.“ „Ach ich dachte Torte mit Wachsnote läge jetzt im Trend“, zog er sie auf. „Naja, wenn du noch länger wartest, werde ich dir sicher ein großes Schoko-Wachs-Stück zurechtschneiden können.“ „Ich glaube ich verzichte, lieber“, antwortete er lachend und pustete auf Anhieb alle Kerzen aus, bevor er sich wieder Mimi zuwandte und sie in einen innigen Kuss verwickelte. _ „Mimi, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, murmelte er ungläubig und starrte auf das Geschenk, dass sie ihm vor wenigen Minuten freudestrahlend überreicht hatte. Sie konnte gar nicht erwarten sein Gesicht zu sehen, doch seine Freude hielt sich in Grenzen. Unsicher blickte er auf die bunte Geburtstagskarte, indem sich sein Geschenk verbarg. „Das ist doch viel zu teuer“, löste sich auf einmal von seinen Lippen, was in Mimi Unverständnis hervorrief. Sie hatte sich Wochenlang Gedanken gemacht, was sie ihm bloß schenken sollte. Letztes Jahr hatte sie ihm ein Fotoalbum geschenkt und mit zahlreichen Erinnerungen gefüllt. Mit dieser Überraschung wollte sie jedoch neue Erinnerungen schaffen! Ihr war auch egal, wie teuer es war! Schließlich war es doch ein Geschenk für sie beide! Doch Taichi schien sich einfach nur überfordert zu fühlen. „Tai, es ist erstens ein Geschenk für uns beide und zweitens hast du mir doch letztes Jahr auch die Kette geschenkt. Und die war sicher alles andere als günstig gewesen“, führte sie ihm vor Augen und deutete auf ihren Anhänger, der sie seit dieser Zeit treu begleitet hatte. Verstand er nicht, dass sie ihm etwas Gutes tun wollte? Wenn er nicht aufpasste, würde der ganze Stress ihn sicherlich innerlich zerfressen! Er brauchte auch mal eine Auszeit und genau diese wollte Mimi ihm liefern. „Aber das kannst du doch nicht damit vergleichen! Ich habe dir eine Kette geschenkt und du schenkst mir ein Wochenende nach Biei?“ „Also theoretisch schenken meine Eltern uns dieses Wochenende. Wir fahren erst im Juli. Kurz nach meinem Geburtstag. Also ist es ein Geschenk für uns beide“, versicherte sie ihm, in der Hoffnung ihn dadurch zu beruhigen. Doch der skeptische Blick wich nicht von seinem Gesicht. Sie musste wohl überzeugender werden! „Hör zu, ich wollte dort schon immer mal hin und das wussten meine Eltern auch. Aber sie würden mich natürlich nie alleine hinfahren lassen, weil es viel zu weit weg ist. Aber wenn mein Freund mitfahren würde, dann hätten sie auch nichts dagegen. Deswegen kannst du mein Geschenk gar nicht ablehnen. Ich will da unbedingt hin“, schmollte sie und sah ihn durchdringend an. Sie rutschte auf den Knien näher zu ihm, während er sich gegen ihre Zimmerwand lehnte und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. „Bitte“, bettelte sie weiter und kletterte ungefragt auf seinen Schoss. „Hey, das ist unfair!“, murrte er und wollte seine angespannte Haltung nicht lösen, obwohl Mimi sich noch dichter an ihn presste. „Das ist überhaupt nicht unfair. Ich versuche dich nur mit meinem weiblichen Charme zu überzeugen! Außerdem brauchst du auch mal eine Auszeit und meine Eltern schenken uns die Reise wirklich gerne. Also?“ Sie zog schmollend die Unterlippe nach vorne und griff nach seinen Händen, die sich aus ihrer angespannten Haltung lösten. „Du bist einfach unglaublich“, schnaufte er und schränkte seine Arme hinter ihrem Rücken. „Also ich fasse das jetzt als ein Kompliment auf“, sie grinste und fuhr mit den Händen hinter seinen Nacken, während sie seinem markanten Gesicht näherkam. „Kann ich das also als ein Ja deuten?“ Taichi legte den Kopf in den Nacken und schnaufte kurz auf, bevor er sie wieder ansah. „Dir kann ich doch sowieso nichts abschlagen“, antwortete er liebevoll. „Das liegt nur an einer unwiderstehlichen Aura“, brüstete sie sich, obwohl sie kaum an sich halten konnte. „Das liegt wohl eher an deinem sturen Dickkopf, dem man einfach nichts abschlagen kann“, erwiderte er lachend, zog sie danach aber fordernd an sie heran. Mimi schmiegte die Arme um ihm und lauschte dem gleichmäßigen Schlagen seines Herzens, dass sie ganz euphorisch werden ließ. Es machte sie unfassbar glücklich, dass sie gemeinsam mit dem Mann, den sie über alles liebte, diesen besonderen Ort besuchen durfte. Sie wusste, dass sie diese Reise sicherlich niemals vergessen würden. Kapitel 49: Glücksmomente ------------------------- ♥ Taichi ♥ Ein schrilles Klingeln bohrte sich hämmernd durch seinen Kopf. Knurrend blinzelte er leicht, konnte aber nichts weiter erkennen. Durch die Jalousien schien kein Licht, was ihm signalisierte, dass es noch früh am Morgen sein musste. Widerwillig versuchte er sich aufzusetzen und bemerkte prompt einen Widerstand, der gegen deine Brust drückte. Ein leises Grummeln war zu hören, während sie langsam ihren Kopf bewegte. „Was ist denn los?“, fragte sie verschlafen. Tai drehte sich etwas umständlich zur Seite und tastete nach seinem Mobiltelefon, dass er auf Mimis Nachttisch platziert hatte. „Ich weiß es nicht“, murmelte er mit heiserer Stimme und schaute auf sein Display, dass ihm nicht nur den unbekannten Anrufer, sondern auch die Uhrzeit anzeigte. „Verdammt nochmal es ist vier Uhr morgens“, murrte er bösartig, nahm aber trotzdem ab. Er begrüßte den Anrufer grimmig und brachte nur ein knappes „Hallo“ hervor, dass brummig über seine Lippen glitt. „Wer ist das denn?“, fragte Mimi neugierig und hielt sich die Bettdecke schützend vor ihre nackte Brust. „Ist ja unverschämt um diese Uhrzeit anzurufen.“ Doch Taichi reagierte nicht auf ihre Worte. Angespannt hörte er der Stimme zu, die sich am anderen Ende befand und ihm vollkommen euphorisch die Neuigkeiten unterbreitete. „Was? Ernsthaft? Bist du alleine da? Wie lange sind sie denn schon dort?“ Tai blickte unweigerlich zu Mimi, die jedoch verwirrt die Stirn gekräuselt hatte. „Was ist denn los?“, hakte sie erneut nach, doch Taichi nickte nur während des Zuhörens immer wieder, ohne auf sie einzugehen. „Okay gut, dann kommen wir am besten gleich! Du bist sicher nervös“, er grinste, bevor er sich verabschiedete und auflegte. Danach sprang er sofort aus dem Bett und schlüpfte in seine Boxershorts, während Mimi immer noch wie versteinert auf dem Bett saß. „Hallo? Redest du auch mal mit mir? Wo willst du ihn?“ „Ins Krankenhaus. Takeru war am Telefon! Das Baby kommt!“ „Was?“, quietschte Mimi schrill und schien auf einmal hell wach zu sein. „Sora liegt in den Wehen?!“ „Ja, Takeru ist mit seiner Mutter vorhin hingefahren! Anscheinend ging es schon kurz nach zwölf los. Yamatos Vater hat sie ins Krankenhaus gefahren!“, informierte er sie knapp. Mehr hatte Takeru ihm auch nicht erzählt. Er klang sehr nervös und hatte ihm lediglich berichtet, dass von Yamato persönlich der Auftrag kam, ihn zu benachrichtigen. Anscheinend brauchte sein bester Freund jemanden an seiner Seite! Jemandem, dem er blind vertrauen konnte. Auch Mimi war hektisch in ihre Sachen gestiegen und stand bereits mit zerzausten Haaren vor ihm. „Na los! Wir sollten fahren! Yamato und Sora brauchen uns“, sagte sie voller Elan. Er musste schmunzeln als er ihr energiegeladenes Selbst sah, dass sich vor wenigen Minuten noch im Land der Träume befand. „Ich rufe uns ein Taxi“, erwiderte er ruhig, aber bestimmt, bevor sie sich ihre Jacken anzogen und auf den Weg machten. _ Hand in Hand liefen sie den langen Krankenhausflur entlang, der in ihm ein wirres Kribbeln auslöste. Sein Magen zog sich zusammen und Erinnerungen an seinen Vater zeigten sich vor seinem inneren Auge. Auch wenn er nicht daran denken wollte, brachte der sterile Geruch von Desinfektionsmittel vergangene Momente zurück und ließen sie erneut lebendig werden. Er spürte wie seine Hand zu schwitzen begann, was ihm unangenehm war, dennoch wollte er den Griff um Mimis Hand nicht lösen. Er brauchte jemanden an seiner Seite. Jemanden, der ihn führte. „Oh mein Gott, ob das Baby schon da ist?“, fragte Mimi nervös nachdem sie in den Aufzug gestiegen waren, um zur Entbindungsstation hochzufahren. Die Fahrt fühlte sich wie unzählige Minuten an, obwohl sie nur wenige Sekunden bis in den zweiten Stock brauchten. Taichis Herz begann aufgeregt zu klopfen, da er nach und nach realisierte, welche große Veränderung auf alle zukommen würde. Seine besten Freunde waren im Begriff Eltern zu werden. Vielleicht waren sie es sogar schon! Etwas, dass sich Tai zurzeit gar nicht vorstellen konnte, auch wenn er in seiner Zukunft durchaus Kinder sehen konnte. Doch zurzeit war alles sehr unsicher geworden. Heimlich hatte er sich tatsächlich für einige Stipendien beworben, ohne seiner Familie oder seinen Freunden von seinen Plänen zu erzählen. Er wollte keine unnötigen Hoffnungen schüren, die sich möglicherweise sowieso in Rauch auflösen konnten. Er stand quasi in der Luft, ohne zu wissen, was ihn tatsächlich erwarten würde. Tai hatte auf Hideyoshis Rat gehört und sich bei mehreren Universitäten für ein Stipendium im Politikbereich beworben. Der Haken an der Sache war allerdings, dass sich viele der Unis außerhalb von Tokio befanden, was ein Umzug in den meisten Fällen unausweichlich werden ließ. Natürlich hatte er sich auch innerhalb von Tokio beworben, aber Hideyoshi machte ihm nicht allzu große Hoffnungen genommen zu werden, da die zahlreichen Bewerber nicht zu unterschätzen waren. Deswegen hatte er auch den Umkreis erweitert. Eine der Universitäten lag sogar zehn Stunden von seinem jetzigen Wohnort entfernt, was ihm etwas Angst bereitete. Was wenn er dort genommen werden würde? Was sollte er nur tun? Sollte er den Platz annehmen, obwohl er wusste, dass seine Familie eine schwere Zeit durchmachte? Er konnte seine Mutter und seine Schwester doch damit nicht alleine lassen und was sollte aus ihm und Mimi werden? Sie hatten doch erst zusammengefunden und sollten dann eine Fernbeziehung führen? Wie sollte er das nur aushalten, seine Freundin, Freunde und Familie nur alle paar Wochen an den Wochenenden sehen zu können? Seufzend presste er die Luft zwischen seine Lippen und versuchte seine wirren Gedanken zu ordnen. Heute sollte es doch gar nicht um ihn gehen! Und trotzdem versank er im Sumpf seiner ewig anhaltenden Gedankenspirale, die ihm nicht nur ein schlechtes Gewissen bereitete, sondern auch seine Laune enorm trübte. „Ist alles in Ordnung? Du bist so blass“, stellte Mimi besorgt fest, während sie den Flur zum Wartebereich entlang schritten. Ertappt presste er die Lippen aufeinander und verlangsamte seine Schritte. Es brannte ihm regelrecht auf der Zunge mit ihr über diese verzwickte Situation zu sprechen, aber er hatte Angst, dass Mimi sauer werden könnte, da er sie in seine Entscheidung, sich für die Stipendien zu bewerben, nicht miteinbezogen hatte. Er wusste, was sie sich vom Leben vorstellte und welche Wege sie sich bereits in ihrem Kopf ausgemalt hatte. Nach langem hin und her, war sie zum Entschluss gekommen, nach der Schule doch BWL zu studieren. Aber nicht um den Fußspüren ihrer Familie zu folgen. Nein, sie hatte ihr einiges Ziel vor Augen, was Taichi immer noch unglaublich bewunderte. Sie wusste genau, was sie wollte und wie sie es erreichen konnte. Mimi träumte eigentlich schon, seit er sie kannte, von einem eigenen Restaurant, dass sie mithilfe eines BWL-Studium eröffnen wollte. Sie träumte nicht nur, sondern machte auch Nägel mit Köpfen, indem sie ihre Vorstellungen lebendig werden ließ. „I-Ich…“, stammelte er, bevor er abrupt den Satz abbrach und stehen blieb. Niedergeschlagen blickte er zu Boden und ärgerte sich über sich selbst, da die Worte einfach nicht seine Lippen verließen. Er schluckte und versuchte erneut den Satz zu beginnen, als Mimi behutsam über seine Wange streichelte. Überrascht blickte er ihr in ihre warmen braunen Augen. „Das ist bestimmt nicht leicht für dich. Das letzte Mal als wir hier waren...dein Vater…“, murmelte sie bedacht. „Aber heute sind wir wegen einem sehr freudigen Moment hier! Unsere Freunde werden Eltern und wir wollen die Kleine in unserem Kreis willkommen heißen.“ Sanft setzte sie ihre zärtlichen Streicheleinheiten fort und schenkte ihm ein mildes Lächeln, dass seine Knie ganz weich werden ließ. Sachte zog sie ihn in eine innige Umarmung und stellte sich auf die Zehenspitzen, um seinen Nacken zu erfassen und ihn dichter an sich heranzuziehen. „Du bist nicht allein, vergiss das nicht“, murmelte sie ihm entgegen und näherte sich seinen Lippen. Eine zarte Gänsehaut legte sich über seinen Körper und ein Lächeln zog sich über seine Lippen, dass jedoch sofort wieder verblasste, nachdem ihre Worte sein Ohr erreichten. „Wir sind ein Team und wir schaffen das zusammen.“ Er schaffte es gerade so ein Nicken zustande zu bringen, bevor sie ihm einen kurzen süßen Kuss auf die Lippen hauchte, der im Angang jedoch sehr bitter schmeckte. Ein Team. Zusammen. Sein schlechtes Gewissen überrannte ihn unvermittelt und brachte ihn endgültig zum Schweigen. Er wollte ihr alles erzählen, doch er wusste, dass hier und jetzt der falsche Moment dazu war. _ „Oh Gott, wie lange dauert das denn?“, fragte Takeru aufgeregt und bewegte sein Bein auf und ab, was Taichi allmählich in den Wahnsinn trieb. Kurz nachdem sie im Wartebereich platzt genommen hatten, hatte ein kreidebleicher Yamato für fünf Minuten den Kreissaal verlassen, um zu Atem zu kommen. So hatte Taichi seinen besten Freund noch nie erlebt gehabt. Er wirkte vollkommen neben der Spur und blickte angsterfüllt zum Kreissaal, indem Sora versuchte die gemeinsame Tochter auf die Welt zu bringen. Anscheinend wurde ihm alles zu viel, weshalb Mimi ihre Hilfe anbot und gemeinsam mit Yamato in den Kreissaal zurückkehrte. Taichi wusste, dass sich Sora gewünscht hatte Mimi bei der Geburt dabei zu haben – einen Wunsch, den er nach Yamatos erschreckendem Gesicht ziemlich gut verstehen konnte. Schon seit eineinhalb Stunden war niemand mehr vor die Tür getreten und Taichi machte sich langsam Sorgen, da er ab und an tatsächlich Schmerzensschreie durch die Tür vernehmen konnte. Soras Mutter sah das ganze recht entspannt und erklärte, dass eine Geburt schon mal mehrere Stunden dauern konnte, was Yamatos Mutter munter bestätigte. Yamatos Vater verzog daraufhin nur das Gesicht, da scheinbar alte Erinnerungen geweckt wurden. Kurz danach verließ er auch die kleine Runde, um eine Beruhigungszigarette zu rauchen. „Das ist mal wieder typisch“, erwiderte Natsuko Takashi augenverdrehend. „Bestimmt kommt er erst wieder, wenn er die Schachtel leer geraucht hat.“ „Mama…“, knurrte Takeru peinlich berührt. „Was denn? Du kennst doch deinen Vater. In brenzligen Situationen sucht er gerne das Weite.“ Takeru verstummte und schluckte schwerfällig, was Taichi sofort auffiel. Auch wenn Takeru ein sehr offener und fröhlicher Junge war, war die Scheidung seiner Eltern etwas, das ihn nach all den Jahren immer noch beschäftigte. Seine Schwester hatte ihm einmal erzählt, dass er sogar immer noch hoffte, dass seine Eltern nach all den Jahren wieder zusammenfinden würden. Doch die Mimik von Takerus Mutter sprach wahrhaftig Bände und auch die Tatsache, dass Yamato ihm erzählt hatte, dass sein Vater sich seit einigen Monaten mit einer unbekannten Frau traf, ließ nur wenig Hoffnungen auf eine Versöhnung der Eltern zu. Allerdings konnte Taichi Takeru dies nicht unter die Nase binden, zumal Yamato ihn darum gebeten hatte vorerst den Mund zu halten, da sein Vater des Öfteren nicht nennenswerte Liebschaften hatte. „Vielleicht sollten wir uns einfach mal einen Kaffee holen“, schlug Soras Mutter wohlwollend vor. „Da hinten gibt es einen Getränkeautomaten. Möchtet ihr auch etwas?“ „Ich glaube ich bekomme nichts runter“, erwiderte Takeru starr. „Ich möchte im Moment auch nichts, danke“, antwortete Taichi höflich. „Okay, dann werden wir uns mal kurz die Beine vertreten und uns einen leckeren Kaffee gönnen“, erwiderte sie und zog Takerus Mutter bestimmend mit sich, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Eine Idee, die Taichi befürwortete. Es wäre sicher nicht in Yamatos oder Soras Interesse, wenn ihre Eltern einen Streit vom Zaun brechen würden. Soras Vater war noch nicht mal hier, da er über die Golden Week trotzdem arbeiten musste und sich zurzeit in Kyoto befand. Wahrscheinlich war er schon auf dem Weg, aber es dauerte sicher noch ein paar Stunden bis er tatsächlich hier eintreffen würde. „Und wie geht’s dir? Nervös? Bald bist du Onkel“, stellte Taichi fest, um das Eis zwischen ihnen zu brechen. Doch Takeru blickte nur ins Leere, während sein angestrengtes Gesicht stur zu Boden gerichtet war. „Hast du denn schon Hikari angerufen?“, fragte er, da er sich denken konnte, dass die beiden sicherlich Stunden lang miteinander schrieben oder telefonierten, gerade in solchen einzigartigen Momenten. „Ich habe ihr eine SMS geschrieben“, antwortete er knapp. „Sie hat sie wohl noch nicht gelesen, aber sie schläft sicher noch.“ „Das kann gut sein, aber irgendwie hatte ich erwartet, dass sie hier ist. Ihr steht euch ja immer sehr nah“, sagte Taichi unbedacht, obwohl er die Beziehung der beiden schon immer hinterfragt hatte. Sie wirken sehr innig zusammen, was ihn manchmal stutzig werden ließ. Hikari hatte immer behauptet, dass nicht mehr als Freundschaft zwischen ihnen sei, doch manchmal war er sich da nicht so sicher – dass sagte ihm sein Instinkt als Bruder, der in vielen Fällen allerdings schon überreagiert hatte. Jedoch gab ihm Takerus verbittertes Gesicht zu denken. „Was soll denn diese Aussage bedeuten? Willst du uns wieder eine Beziehung andichten?“, hakte er gereizt nach. „Nur zu deiner Info, da läuft nichts und wird nichts laufen.“ „Ach wirklich? Du reagierst aber ganz schön gereizt darauf und Yamato hat mir erzählt, wie sehr du von meiner Schwester schwärmst.“ „Was? Man…kann der nicht einmal die Klappe halten“, murrte er angesäuert und fuhr sich durch die kurzen blonden Haare. Taichi grinste und beugte sich zu ihm rüber. „Also hat er recht?“ Takeru verzog das Gesicht und runzelte angestrengt die Stirn. „Und wenn schon. Ist doch sowieso egal.“ „Ach wirklich? Hört sich aber nicht so an“, stichelte er weiter, in der Hoffnung ihn aus der Reserve zu locken. „Hör bitte auf zu fragen“, erwiderte er gereizt. „Aber ich bin sehr neugierig, besonders wenn es um meine Schwester geht!“ „Vielleicht solltest du das mal ein bisschen zurückschrauben. Sowas kann einem dezent auf den Wecker gehen. Besonders wenn es eben nicht so ist, wie du es darstellst.“ Takerus Blick verschärfte sich, doch das beeindruckte Taichi reichlich wenig. „Wie stelle ich es denn da? Ihr schlaft zusammen in einem Zimmer und du kannst mir nicht erzählen, dass du noch nie daran gedacht hast, wie sie nackt aussehen könnte“, unterstellte er ihm vorsätzlich, was die Schamesröte in Takerus Gesicht trieb. „Ich war auch mal vierzehn und weiß wie die Jungs in diesem Alter ticken.“ „Ich bin fünfzehn“, korrigierte er ihn sofort. „Noch schlimmer. Da spielen die Hormone noch mehr verrückt und irgendwann kannst du diesem Drang nicht mehr widerstehen und tust Dinge, die mit Freundschaft nichts mehr zu tun haben.“ „Oh Gott, bitte hör auf!“, kreischte er und versuchte sich die Ohren zuzuhalten, doch Taichi packte ihm am Arm. „Aber über sowas sollte man sprechen, besonders wenn man noch jung und unerfahren ist. Kondome können Leben retten.“ „Boah Taichi!“, knurrte Takeru und riss sich los. „Du brauchst dir wirklich keine Gedanken darüber zu machen!“ „Ach wirklich? Da bin ich mir aber nicht so sicher“, murmelte er und schielte zum Kreissaal. Bei der Familie war ungeplanter Nachwuchs wohl wahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto. „Man Tai, deine Schwester hat mich gefriendzoned! Da wird nie was passieren!“ „Ge-was?“, Taichi zog die Augenbraun zusammen. Was hatte das nur wieder zu bedeuten? „Das ich nur ein Freund für sie bin. Mehr nicht. Und wenn du mir nicht glaubst, solltest du mal mit auf ein Basketballspiel von mir kommen. Kari ist nämlich ganz sicher nicht wegen mir da“, raunzte er und ließ sich auf den Stuhl sinken. „Sie findet Kazu aus der Mannschaft wohl ziemlich klasse, also halt lieber mit ihm dein Aufklärungsgespräch!“ Kazu? Diesen Namen hatte er ja noch gar nicht gehört! Warum hatte Kari ihm nie etwas von ihm erzählt? Okay, diese Frage konnte er sich wohl selbst beantworten. „Ähm, okay. Und warum bist du dir da so sicher? Also das sie dich gefrienddingst hat?“ Takeru schnaufte auf und verschränkte wütend die Arme vor der Brust, bevor er den Kopf wütend zu Taichi wandte. „Erstens bin ich nicht blöd und habe Augen im Kopf. Sie guckt ihn immer so verliebt an und redet bei mir ohne Punkt und Komma von ihm, obwohl die beiden kaum ein Wort miteinander gewechselt haben und sie sich ohne mich noch nicht mal kennen würden.“ Seine Stimme klang noch immer sehr angespannt, aber dennoch konnte Taichi die Traurigkeit aus ihr heraushören. Anscheinend hatte Takeru wirklich etwas für seine Schwester übrig und befand sich nun in der gleichen Situation, wie er vor einigen Monaten. „Und zweitens“, begann er nach einer kurzen Pause. „hat sie gesagt, dass wenn wir uns küssen, es sich so anfühlt, als würde sie ihrem Bruder einen Schmatzer geben.“ Aua. Das tat sicher weh. Sowas wollte man doch nicht hören, wenn man in denjenigen verliebt war. Ein Schmatzer…besser hätte man es nicht beschreiben…Moment mal! „Du hast meine Schwester geküsst?“, platzte aus Taichi hervor, nachdem er die Worte von Takeru verarbeitet hatte. Auch Takeru wurde auf einmal sehr wohl bewusst, was er Taichi hier anvertraut hatte. Mit geweiteten Augen wandte er den Blick von ihm, während sich in Taichis Magengegend die Wut mit dem Unverständnis vermischte. „Ich kann das erklären…“, murmelte er kleinlaut, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Takeru erleichtert in die Augen seines Bruders blickte. Taichi wandte sich ebenfalls Yamato zu, dessen Augen freudig strahlend. „Sie ist da! Meine Tochter ist endlich da!“, sagte er atemlos und ein glückliches Lächeln zog sich über sein ganzes Gesicht. - Bedächtig folgte er Yamato, dessen Hände vor Aufregung immer noch zitterten. Takeru wartete draußen auf die Rückkehr seiner Eltern und wollte in wenigen Minuten nachkommen. Das Gespräch von vorhin war in den Hintergrund gerückt und die Vorfreude dominierte die aktuelle Lage. Sein bester Freund war Vater! Er konnte es immer noch nicht glauben! Yamato und Sora waren tatsächlich Eltern. Es dauerte nicht lang, bis sie bei der frischgebackenen Mutter ankamen. Sie lag erschöpft im Bett und hielt dieses kleine Bündel Glück in ihren Armen, so als würde es schon ihr ganzes Leben zu ihr gehören. Mimi stand neben Soras Bett und lächelte müde, bevor Yamato das Wort ergriff. „Da ist sie“, sagte er sanft und schritt zu Soras Bett. Auch Taichi näherte sich behutsam und blickte seinem besten Freund über die Schultern, während dieser zärtlich über den zarten rotblonden Haarflaum seiner Tochter strich. Sie war bereits fertig angezogen und trug einen grünen Strampler, auf dem sich kleine Elefanten abgebildet waren. Sora hatte sie in eine gelbe Decke gewickelt und blickte erwartungsvoll zu ihm, doch er war ganz fasziniert von diesem kleinen rosigen Gesicht und dieser Stupsnase, die sie definitiv von Sora hatte. Sie war so klein, aber ihre großen blauen Augen fixierten ihn aufgeweckt an und wickelten ihn prompt um den Finger. „Oh mein Gott…s-sie ist wunderschön“, stammelte Taichi und konnte in ihrem Gesicht so viel von ihren beiden Elternteilen erkennen, dass es fast schon ein wenig beängstigend war. Seine besten Freunde hatten ein Kind…er konnte es immer noch nicht fassen. Es fühlte sich seltsam an, sie plötzlich als Eltern eines kleinen hilflosen Wesens zu betrachten, da sie selbst noch so jung waren, aber dennoch gleich viel erwachsener auf ihn wirkten. „Wie heißt sie denn jetzt? Ihr habt gesagt, dass ihr den Namen verratet, wenn Taichi da ist“, meldete sich nun auch Mimi zu Wort, die ebenfalls sehr erschöpft aussah. Yamato streichelte immer noch über das Köpfchen seiner Tochter, als er und Sora einen kurzen Blick miteinander tauschte. „Wir möchten sie Haruko nennen. Sie ist im Frühling geboren und ein wahrhaftiger Sonnenschein“, antwortete Sora entzückt. „Oh, das ist aber ein wunderschöner Name, nicht wahr Haruko?“, sagte Mimi begeistert und streichelte über ihr kleines Händchen. Plötzlich spürte Taichi, wie Yamato den Arm um ihn legte. Überrascht sah er ihn an. „Na möchtest du sie mal halten?“ „Was ich?“, hakte Taichi nach und versuchte sich die innerliche Panik nicht anmerken zu lassen. Sie war doch noch so klein…was, wenn er irgendetwas falsch machte? „Ich weiß nicht so recht…“, murmelte er verunsichert. „Ach komm schon, sie muss doch Onkel Tai ein bisschen näher kennen lernen“, erwiderte er euphorisch und hob Haruko ganz vorsichtig aus Soras Arm. „Du musst nur ein bisschen auf das Köpfchen Acht geben“, sagte Sora, um ihn zu beruhigen, doch bei Taichi verkrampfte sich auf einmal alles. Er hielt seine Arme hin und sah wie Yamato Haruko langsam hineingleiten ließ. „So und jetzt schön das Köpfchen halten“, erinnerte ihn Yamato, während sich Taichi zu einem unsicheren Lächeln abrang. „Mhm, steht ihm gut oder?“ Vorsichtig schaukelte er Haruko in seinem Armen, was sie sich auch ohne weiteres gefallen ließ. Er hingegen war starr vor Angst, bis er in Mimis Gesicht sah. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und blickte ihn mit diesem besonderen Strahlen an, dass er zuvor noch nie bei ihr gesehen hatte. Zugern hätte er gewusst, was sie in diesem Moment gedacht hatte. Er mit einem Baby. Ob sie sich bereits ihre Zukunft ausgemalt hatte? Dass auch sie irgendwann eine Familie wären? Taichi schluckte und wurde augenblicklich rot. Allein dieser Gedankengang fühlte sich merkwürdig an, da für ihn alles noch so unendlich weit entfernt war, aber er dennoch das Baby seine besten Freunde in den Armen hielt, die wie er noch nicht mal volljährig waren. Vielleicht war es immer Situationsabhängig. Wenn man sich nicht in dieser Lage befand, konnte man es sich auch schwer vorstellen. Doch manchmal brauchte es eben auch nur einen kurzen Blickwechsel, der das ganze Leben veränderte. Der Dinge möglich machte, die man sich vor einem Jahr noch gar nicht vorgestellt konnte. Kapitel 50: Klärende Gespräche ------------------------------ ♥ Mimi ♥ „Oh man, das sieht so lecker aus“, meinte Yolei, so als würde ihr bereits das Wasser im Munde zusammenlaufen. „Es schmeckt auch lecker! Die Macht der Süßkartoffel ist nicht zu unterschätzen!“, meinte Mimi überzeugt und schlug ihr Kochbuch, dass sie mitgebracht hatte, zu. Sie holte ihre Einkaufstasche hervor und breitete sie Zutaten auf der Theke aus. Sie hatte drei große Süßkartoffeln besorgt, eine bunte Mischung Gemüse, etwas Hähnchenfleisch und Quark, den sie mit Kräutern anrichten wollten. „Zuerst müssen wir die Süßkartoffeln gut waschen und dann mit einer Gabel etwas einstechen, um sie für eine Stunde im Backofen zu backen. Während sie im Ofen ist, können wir uns schon mal um die Füllung und den Quark kümmern“, bestimmte Mimi und schnappte sich auch schon die Süßkartoffeln, um sie unter klarem Wasser sorgsam abzuspülen. Yolei holte schon ein Blech hervor und bedeckte es mit Backpapier, als Mimi die Kartoffel darauf platzierte, eine Gabel zur Hand nahm und sie sachte einstach. „Drei sind für uns sicher zu viel, oder?“ „Naja meine Schwester kommt später noch von der Uni nach Hause. Vielleicht möchte sie ja mal probieren“, antwortete Yolei sofort. „Okay, aber es ist echt schade, dass Kari so kurzfristig abgesagt hat. Das ist doch sonst nicht ihre Art“, meinte Mimi etwas verärgert, da sie kurz nachdem sie bei Yolei angekommen war, erst davon erfahren hatte. Es hatte sie ziemlich verärgert, da auch der Rest zuvor schon nach und nach abgesagt hatte. Sora war seit zwei Wochen zuhause und hatte mit Haruko alle Hände voll zu tun. Stillen, Windeln wechseln, alle paar Stunden aufstehen. Das Leben mit Baby war alles andere als leicht, wenn sich Mimi Soras deutliche Augenringe anschaute. Auch Kaori hatte ihnen abgesagt, jedoch aus einem sehr guten Grund. Ihr Vater hatte sich extra frei genommen und wollte einen erneuten Annährungsversuch starten, der sich bei Kaoris Schwester Emi alles andere als leicht gestalten würde. Dennoch hoffte Mimi, dass sie es endlich untereinander klären konnte, denn sie wusste, wie sehr Kaori unter der Situation zuhause litt. Auch das sie sich in den Kopf gesetzt hatte, ihren gemeinsamen Bruder zu finden, machte es nicht leichter, sondern umso komplizierter. Mimi wusste nicht warum, aber sie hielt von der Idee nicht sonderlich viel. Genau genommen wussten sie über ihn kaum etwas. Es war wie die besagte Nadel im Heuhaufen zu suchen. Da sie auch gerade von Emi sehr viel Widerstand bekamen, war es wohl doch eher das Heu im Nadelhaufen ausfindig zu machen. Egal wie sehr sich Mimi auch bemühte, Emi wollte weder mit ihr noch mit der Situation richtig warm werden. „Offiziell ist Kari bei uns. Inoffiziell ist sie heute bei einem Date“, informierte Yolei sie verschmitzt und Mimi durchbrach auf einmal ihre niederschlagende Gedankenspirale. „Was? Bei einem Date? Etwa mit Takeru?“, hakte sie nach und ließ überrascht die Gabel sinken. Yolei verdrehte nur die Augen. „Warum glauben denn alle, dass Kari mit Takeru ausgeht? Sie empfindet doch überhaupt nichts für ihn. Jedenfalls nicht auf dieser Ebene.“ „Naja, aber beide wirken immer so harmonisch miteinander und bei dir und Ken hatte ich ja auch den richtigen Riecher“, brüstete sich Mimi stolz, auch wenn Yoleis Blick ihr unmissverständlich klarmachte, dass sie sich auf dem Holzweg befand. „Das mit dem Mistelzweig war wirklich eine miese Aktion von dir. Meinen ersten Kuss habe ich mir wirklich anders vorgestellt“, grummelte sie eingeschnappt und nahm das Blech hoch, um es in den Ofen zu schieben. „Ach ich habe dir doch nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung gegeben und du kannst ja nicht behaupten, dass es nicht geklappt hat.“ „Das war kein kleiner Schubs gewesen, das war ein gewaltiger Stoß“, erwiderte Yolei empört. Ihre Augen weiteten sich, während ihre Stirn unschöne Falten schlug. Doch es dauerte keine Sekunde, bis sich ihr Gesicht wieder entspannte. „Aber du hast recht, bestimmt hätte ich mich sonst nie getraut, etwas in diese Richtung zu starten. Ich mochte ihn ja schon länger, aber ich bin einfach viel zu schüchtern“, gab sie zu. „Ken ist aber auch kein Draufgänger. Aber es läuft zwischen euch doch zurzeit ziemlich gut, oder?“ Yolei senkte denk Blick und fasste sich an ihre erröteten Wangen. „Ja, das schon. Vielleicht ist es nicht mehr so kompliziert, wenn man den ersten Schritt mal gewagt hat und sich seiner Gefühle bewusst ist“, rätselte sie. „Glaub mir, Beziehungen sind immer etwas kompliziert. Tai und ich reden auch oft aneinander vorbei und bekommen uns dann in die Wolle. Wichtig ist, dass man sowas nicht im Raum stehen lässt und darüber redet.“ „Ja, das stimmt wohl, obwohl ich auch ziemlich froh bin, dass Ken und ich noch keinen großen Streit hatten. Im Kompromisse schließen sind wir wohl ziemlich gut, auch wenn Davis uns ständig in den Ohren liegt, wir würden ihn alle vernachlässigen.“ Yolei stöhnte leise auf, nachdem sie den Satz beendet hatte. „Heute machen Takeru, Ken und er einen Männerabend“, erzählte sie und setzte Männerabend mit den Fingern in Anführungszeichen. Verwirrt blickte Mimi sie an. „Okay und was heißt Männerabend bei den drei?“, hakte sie nach und imitierte Yoleis Geste. „Sie zocken Playstation bei Ken zuhause.“ Mimi lachte auf. Ja, so stellte sie sich einen typischen Männerabend vor. Mit Pizza und Playstation auf der Couch. „Ach ja, unsere Jungs sind wirklich einmalig. Tai ist wieder mit seinem Tutor verabredet und wollte ihn wegen seine vielen Tipps zum Essen einladen. Er hat extra sich etwas Geld dafür zurückgelegt.“ „Die Situation ist immer noch ziemlich angespannt…Kari erzählt nur sehr selten darüber, weshalb ich mich echt für sie freue, dass sie heute mal etwas Ablenkung erhält“, antwortete Yolei und hinterließ eine bedrückende Stimmung. Auch wenn sich die Lage bei den Yagamis deutlich entspannt hatte, wusste Mimi, genau wie alle anderen auch, dass sie es dennoch nicht leicht hatten. Taichi ackerte sich weiterhin im Lager ab, bekam nur sehr wenig Geld für seine harte Arbeit und wurde fast jeden Tag von seinem Chef angeschrien und unter Druck gesetzt. Mimi traute sich oftmals nicht, mit ihm über seine Zukunft zu sprechen, weil sie Angst hatte, dass es ihn zu sehr deprimieren könnte. Und auch Hikari hatte viel durchgemacht, auch wenn sie, wie Yolei bestätigte, nur sehr wenig darüber sprach. „Mit wem hat sie sich denn jetzt verabredet?“, fragte Mimi auf einmal neugierig nach, da es Yolei ihr immer noch nicht verraten hatte. „Er heißt Kazu und spielt bei Takeru in der Mannschaft. Sie steht schon seit einem halben Jahr auf ihn und er hat sie vor ein paar Tagen nach einem Date gefragt. Beziehungsweise Takeru.“ „Takeru?“, überrascht zog Mimi eine Augenbraue in die Höhe. „Anscheinend dachte er auch, dass zwischen den beiden etwas läuft, weil sie sich so nahestehen.“ „Sag ich ja! Das kann man schon missverstehen“, bestärkte Mimi und holte langsam das Gemüse hervor, um die Füllung vorzubereiten. „Vielleicht ein wenig, aber Kari hat sich echt darüber gefreut, weshalb sie uns sozusagen auch als Ausrede benutzt. Tai sollte davon besser nicht erfahren.“ „Ohja, er ist echt schlimm, wenn es um sowas geht. Ich frage mich ernsthaft, ob er diesen übertriebenen Beschützerinstinkt irgendwann ablegen kann“, seufzte Mimi und überlegte ob sie nicht einmal mal mit ihm unter vier Augen darüber sprechen sollte. Doch womöglich könnte sie dann auch genauso gut mit einer massiven Wand sprechen. Taichi war in dieser Hinsicht einfach unverbesserlich. Wahrscheinlich könnte er Kari noch nicht mal richtig loslassen, wenn sie bereits verheiratet und Mutter zweier Kinder wäre. „Ich glaube, das wird er niemals ablegen. Aber dafür sind wir ja da.“ „Stimmt, wir Mädels müssen zusammenhalten“, meinte Mimi und legte bestimmend ihren Zeigefinger auf die Lippen. „Sehr gut, aber jetzt habe ich wirklich Kohldampf. Lass uns endlich anfangen“, schlug Yolei vor und holte die notwendigen Küchenutensilien hervor, um ihr Werk zu vollenden. _ Einige Tage später befand sich Mimi auf dem Weg zu ihrer Großmutter. Es hatte sie sehr viel Überwindung gekostet, doch sie wollte ihr nicht länger aus dem Weg gehen. Während ihre Mutter nach all den Jahren noch nicht bereit war, mit ihrer Großmutter ein klärendes Gespräch zu suchen, hatte Mimi unzählige Fragen, die nur sie ihr beantworten konnte. Sie wollte endlich die andere Sicht kennenlernen. In den letzten Wochen und Monaten hatten sie sich intensiv darüber Gedanken gemacht. Zuerst wollte sie, wie ihre Mutter, den Kontakt komplett einschränken, weil sie so enttäuscht von ihr gewesen war. Doch je länger sie darüber nachgedacht hatte, desto schwerer fiel es ihr zu dieser Entscheidung zu stehen. Menschen machten nun mal Fehler. Niemand war fehlerlos, auch wenn manche dazu neigten, genau das zu behaupten, obwohl es eine eher haltlose Behauptung war. Natürlich war es einfacher, einen Menschen mit Hass und Missachtung zu begegnen, da man sich so nicht mit ihm auseinandersetzen musste. Doch wahre Größe zeichnete sich dadurch aus, auch jemandem für seine Fehler zu verzeihen, da sie eben menschlich waren. Mit klopfendem Herzen stand sie nun vor der Haustür ihrer Großmutter. Sie hatte die Klingel gerade losgelassen und hörte wie im Inneren der schrille Ton nachhallte. Ihr Herz pochte aufgeregt gegen ihre Brust, während sie sehnsüchtig darauf wartete ihrer Großmutter nach so einer langen Zeit wieder in die Augen sehen zu können. Die Tür öffnete sich langsam und Mimis Hals schürte sich augenblicklich zu. Sie blickte ist das Gesicht, zu dem sie all die Jahre aufgesehen hatte. Doch nun vermischten sich sämtliche Empfindungen, die einen deutlichen Zwiespalt in ihrem Herzen hinterließen. „Mimi…es freut mich, dass du gekommen bist“, ertönte die gebrechliche Stimme ihrer Großmutter und ein müdes Lächeln erstreckte sich über ihre schmalen Lippen. Mimi nickte nur schwach und betrat ihre geräumige Wohnung, die ihr plötzlich eng und stickig vorkam. Alles fühlte sich auf einmal so falsch an. Wie oft hatte sie bei ihrer Großmutter gespielt und als Kind ihre Freizeit bei ihren Großeltern verbracht? Wie oft hatte sie ihrer Großmutter vorgejammert, dass sie gerne einen Bruder oder eine Schwester gehabt hätte? Wie oft hatte ihre Großmutter sie deswegen belogen? Eine unbändige Wut brodelte in ihrem Bauch, sodass sie sie kaum kontrollieren konnte. Mühsam zog sie die Schuhe aus und betrat den Wohnraum. Da sie ihren Besuch angekündigt hatte, war der Tisch gedeckt. Zwei Tassen und eine Schale mit Plätzchen befanden sich darauf und luden förmlich dazu ein verspeist zu werden, doch ihr Hunger hielt sich in Grenzen, besonders nachdem ihr das Sideboard ins Auge sprang. Darauf war ein Foto ihres Großvaters in einem schwarzen Rahmen platziert. Räucherstäbchen und Kerzen umrahmten das Foto, das in ihr nicht nur Trauer hervorrief, sondern auch großes Unverständnis, dass sie gar nicht in Worte fassen konnte. Wieso hatte er das nur getan? Wie konnte man seinen eigenen Enkel nur in dieser Weise abschieben und dennoch den wundervollen Großvater mimen, der für Mimi all die Jahre so präsent war? „Ich kann das alles nicht verstehen“, murmelte sie fassungslos und stand immer noch verloren mitten im Raum. „Warum habt ihr mich all die Jahre nur so schamlos angelogen?“ Sie drehte sich zu ihrer Großmutter, die immer noch im Flur stand und betroffen zu Boden schaute. „Weißt du wirklich, wie ich mich in den letzten Wochen gefühlt habe? Kannst du mir wirklich, die Fragen beantworten, die mir auf dem Herzen liegen oder suchst du auch nur nach fadenscheinigen Ausreden, um den Schein der Familie zu wahren?“ Auch wenn Mimi nicht wollte, dass ihre Worte anklagend klangen, konnte sie sich diesen schwermütigen Unterton in ihrer Stimme einfach nicht verkneifen. Sie war sauer, enttäuscht und fühlte sich auf verlorenem Posten. All das, an das sie festgehalten hatte, baute auf einer großen Lüge auf. Ihre Großeltern waren nicht die gutherzigen Menschen, die sie mitaufgezogen hatten. Sie hatten ein dunkles Geheimnis, dass sie stets zu schützen versuchten. „Mimi, lass uns hinsetzen. Ich weiß nicht, ob ich dir all deine Fragen beantworten kann, aber ich werde es versuchen, okay?“ Ihre Augen waren gläsern, aber strahlten dennoch eine gewisse Hoffnung aus, die Mimi dazu veranlasste ihren Worten zu folgen. Auch wenn sie es widerwillig tat. Sie wollte die Wahrheit wissen. Die nackte Wahrheit, die vor ihr verborgen wurde. _ „Ich denke, es gibt keine Entschuldigung für unser Verhalten und ich möchte, dass du weißt, wie sehr mir das ganze leidtut“, begann sie, nachdem sie den Pfefferminztee verteilt hatte. Sie saßen sich direkt gegenüber und Mimi folgte aufmerksam ihrer zarten, aber sehr schwachen Stimme. Scheinbar fiel es ihr alles andere als leicht, über diese Situation zu sprechen, auch wenn sie bereits über zwanzig Jahre her war. „Dein Großvater war nie sonderlich begeistert von Fujitaka gewesen und auch ich hatte meine Zweifel, weil er aus einer Ärztefamilie stammte, die hohe Ansprüche verfolgte. Und als dein Onkel uns erzählt hatte, dass deine Mutter und er ein Paar seien, war ich im ersten Moment doch sehr überrascht gewesen“, erzählte sie. „Warum überrascht? War Mama deiner Meinung nach nicht gut genug für ihn?“, hakte Mimi nach und bemerkte selbst, dass ihre Frage sehr provokant gestellt war. „Nein, aber seine Eltern haben sich immer für etwas Besseres gehalten und ich wollte nicht, dass deine Mutter irgendwann mit diesem Klassenunterschied konfrontiert und von ihm verlassen wird. Es war bekannt, dass er schon als kleiner Junge einem anderen Mädchen versprochen wurde, da die Eltern miteinander befreundet waren. Seine Zukunft war sozusagen vorgeplant und Satoe war diejenige, die in sein Leben nicht reinpasste.“ Mimi schluckte. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie es war einem Menschen versprochen zu werden, den man nicht liebte, aber dass die Person, die man liebte, als Störfaktor galt, hinterließ bei ihr ein unwohles Gefühl, auch wenn sie den Ausgang der Geschichte bereits kannte. Es war keine Liebesgeschichte, in der sich beide fanden und glücklich bis an ihr Lebensende zusammenlebten. Es war die Geschichte einer Liebe, die am Leben zerbrach. „Und als dann auch noch Fujitakas Eltern davon erfuhren, wurde alles schlimmer und schlimmer. Sie waren von der Beziehung noch weniger begeistert als wir und versuchen schon in der Oberstufe sie zu torpedieren, während wir uns eher zurückgehalten hatten und deine Mutter langsam, aber sicher zur Vernunft bringen wollten. Aber gerade, wenn man dagegenspricht, will man an gewissen Dingen noch mehr festhalten. Und die beiden waren ein starkes Paar, dass all den Widrigkeiten strotzte bis…“, ihre Stimme wurde auf einmal sehr dünn und ihre Lippen bildeten einen schmalen Strich. Auch Mimi wusste, auf was sie als Nächstes hinauswollte. Es war der Höhepunkt einer Liebe, der tragisch endete. „Als deine Mutter ungewollt schwanger wurde, wurden auch wir immer mehr von Fujitakas Familie unter Druck gesetzt. Sie rieten zu einer Abtreibung und führten uns vor Augen, dass diese Situation auch für uns und unser Geschäft Konsequenzen hätte. Das Problem war einfach, dass Fujitaka eine Verlobte und deine Mutter sich an einen versprochenen Mann rangemacht hatte…“ „Aber das stimmt doch gar nicht! Mama hat gesagt, dass Fujitaka sich von seiner Verlobten trennen wollte“, unterbrach Mimi sie schroff und sprang auf. „Außerdem wurde die Verlobung geschlossen als sie noch Kinder waren, das kann man dann doch nicht miteinander vergleichen!“ „Das weiß ich Mimi. Aber vor zwanzig Jahren war das ein Skandal gewesen! Unser Geschäft lief zu dieser Zeit erst richtig an und wir wollten nicht, dass wir unsere Existenz dadurch verlieren. Wir hatten zwei Kinder, die beide studieren wollten! Und außerdem…“ „Also ging es euch nur um euren verdammten Ruf! Mama war euch also völlig egal?“ Mimi stand noch immer, doch sie merkte bereits, dass ihre Knie vor Wut zu zittern begangen. Waren ihre Großeltern so berechnend gewesen? Konnte man sich in Menschen wirklich so sehr täuschen? Oh Gott, am liebsten wollte sie die Flucht ergreifen! „So stimmt das nicht!“, rechtfertigte sich ihre Großmutter mit ruhiger Stimme. „Und wie ist es dann? Ihr wolltet, dass Mama meinen Bruder zu Adoption freigibt, damit ihr eure Kunden nicht verliert“, fasste Mimi aufgebracht zusammen und gestikulierte wild umher. „Das mit der Adoption war ein Vorschlag von uns gewesen, weil die beiden es schwer gehabt hätten. Fujitaka hätte von seinen Eltern für sein Studium kein Geld mehr erhalten und wir hätten die drei nicht durchbringen können. Dein Großvater dachte, dass es die beste Entscheidung wäre und man dem Kind somit die beste Zukunft ermöglichen könnte“, versuchte sich ihre Großmutter zu erklären. „Dem Kind? Du meinst wohl deinem Enkel, der taub geboren wurde! Für euch war doch seine Taubheit die perfekte Gelegenheit ihn loszuwerden!“ „Mimi, das stimmt nicht und das weißt du auch!“, entgegnete ihre Großmutter und Mimi erkannte, dass ihre Mimik sich verändert hatte. Ihre Augen wirken traurig und ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt. „Ach und wie ist es dann? Du kannst mir nicht sagen, dass ihr das für Mama gemacht habt! Wenn ihr es für sie gemacht hättet, hättet ihr sie unterstützt und nicht fallen gelassen!“, untermauerte Mimi felsenfest, als sich auf einmal ihre Großmutter erhob und wutentbrannt ihr Gesicht verzog. „Wir haben all das nur für unsere Familie getan! Deine Mutter war uns am wichtigsten gewesen und wir hätten sie auch unterstützt, wenn wir das Geld dazu gehabt hätten, aber das ging zu dieser Zeit eben nicht!“ „Und warum nicht? Ihr hattet doch die Firma und all das! Am Geld kann es doch wohl kaum gelegen haben! Wenn es nicht das war, was war es dann?“ „Oh mein Gott, Mimi. Dein Großvater hatte MS und er hat die Diagnose kurz vor der dem Gespräch mit deiner Mutter erfahren. Deswegen wollten wir, dass sie das Baby zu Adoption freigibt, weil wir nicht gewusst haben, wie lange dein Opa mit dieser Krankheit leben kann.“ Ihre Aussage traf sie durch Mark und Bein. MS. Das war doch die Kurzform von… „Opa hatte Multiple Sklerose? Aber Mama hat nie davon etwas erzählt…“ „Das liegt daran, dass es deine Mutter nicht wusste“, antwortete ihre Großmutter schwach und setzte sich wieder. „Nachdem sie ihren Sohn weggegeben hatte, war der Kontakt immer mehr abgebrochen. Erst als du geboren wurdest, sahen wir uns wieder öfter, allerdings kamen wir nie an Satoe ran. Wir hatten sie zu sehr verletzt.“ „Aber…aber wir haben nie etwas bemerkt“, stellte Mimi fassungslos fest und konnte nicht länger stehen. Ihre Beine sackten zusammen und sie landete etwas unsanft auf dem Stuhl, der mittlerweile kalt geworden war. „Das lag daran, dass dein Großvater eine schleichende Form der MS hatte. Seine Schübe haben sich meist wieder zurückgebildet. Erst in den letzten drei Jahren war das Ende immer mehr abzusehen, aber ihr wart in den USA und wenn ihr uns mal besuchen kamt, versuchten wir es vor euch zu verbergen“, erklärte sie verbittert. „Warum? Warum wollte ihr nicht, dass wir es wissen?“, fragte Mimi aufgewühlt nach und konnte die Intension ihrer Großmutter überhaupt nicht nachvollziehen. Sie hatte die ganze Zeit gedacht, dass ihr Großvater plötzlich verstorben sei, dabei war seine Krankheit ein schleichender Prozess, der ihn immer mehr veränderte. „Das gleiche hat dein Onkel auch immer gefragt, aber dein Großvater wollte deine Mutter nicht noch mehr verletzen. Wir wussten, dass wir ihr damals sehr wehgetan hatten, weshalb dein Großvater ihr nicht noch mehr ihr Leben verbauen wollte. Er wusste nämlich, dass sie zurückkommen würde, wenn sie von seiner Krankheit erfuhr. Wir hatten nicht das Recht sie an uns zu binden, auch wenn wir ihr gerne die Wahrheit mitgeteilt hätten, aber irgendwann war es einfach zu spät. Manche Wunden heilen, selbst wenn man sie nicht behandelt. Vielleicht heilen sie langsamer und wahrscheinlich wird immer eine Narbe zurückbleiben, aber das Leben geht weiter. Es bleibt nie stehen, weshalb es irgendwann zu spät für eine Entschuldigung war und wir mit dieser Bürde leben mussten.“ Mimi blickte starr in das Gesicht ihrer Großmutter. Sie konnte erkennen, dass sie traurig und mitgenommen war, aber dennoch spiegelte sich die Erleichterung wieder. Die Erleichterung die Wahrheit gesagt zu haben. Niemand musste mit solch einer Bürde leben, selbst wenn sie sich selbst auferlegt hatte. Das Leben war dazu da, auch Veränderungen vorzunehmen und da man die Vergangenheit nicht ändern konnte, blieb einem nur noch die Zukunft. Die Zukunft auf eine Versöhnung. Eine Versöhnung, die all die Jahre überfällig war. Vielleicht würde ihre Großmutter tatsächlich eine alte Wunde aufreißen, die mittlerweile eine dünne Narbe zierte. Aber dennoch war es wichtig, die andere Seite zu kennen und Mimi wusste, dass ihre Mutter ebenfalls die Wahrheit erfahren musste. Kapitel 51: Neue Zukunftsperspektiven ------------------------------------- ♥ Taichi ♥ Manchmal verging die Zeit wie im Flug, jedenfalls war genau das Taichis Eindruck, nachdem die Tochter von seinen besten Freunden geboren wurde. Heute auf den Tag genau, war Haruko einen Monat alt und bereicherte das Leben ihrer jungen Eltern zusehends, was Taichi jedes Mal belustig feststellen musste. „Also irgendwie fühlt es sich immer noch so unwirklich an. Ich meine, dass ihr jetzt ein Kind habt“, sagte er und lehnte sich zurück. Gemeinsam mit Sora saß er auf einer Parkbank und genoss das gute Wetter und die warmen Sonnenstrahlen, die seine vorgebräunte Haut kitzelten. „Ich denke sowas ist Gewöhnungssache, aber man findet sich langsam rein“, antwortete Sora sanft und blickte behutsam in den Kinderwagen, indem Haruko ihr Mittagsschläfchen hielt. Sie hatten sich ganz spontan verabredet gehabt, da Taichi heute seinen freien Tag hatte und Sora bei dem schönen Wetter unbedingt spazieren gehen wollte. Mimi verbrachte den ganzen Tag in der Schule, da sie wieder ihren heißgeliebten Kochkurs hatte, während sich Matt auf der Arbeit befand. Sie waren also das erste Mal seit langem nur unter sich – eine Zeit die Taichi manchmal sehr vermisste. Sora war schon seit dem Kindergarten eine seiner besten Freunde, weshalb es ihm ebenfalls sehr schwerfiel, dass sie kaum noch Zeit für ihn hatte. Es gab so viel, dass er ihr gerne erzählen wollte, doch manchmal ging es einfach wegen des vielen Stresses unter. Deswegen war er gerade für diese kleinen Momente unfassbar dankbar. „Und hast du schon etwas von den Stipendien gehört?“, fragte Sora vorsichtig, da es ein sensibles Thema für ihn war. Mittlerweile hatte er seinen Freunden von seinen Bewerbungen erzählt, auch wenn sie es sehr gemischt aufgenommen hatten. Mimi störte die Tatsache, dass er sich auch an Universitäten beworben hatte, die mehrere Stunden von Tokio entfernt waren, weshalb es auch schon einen kleinen Streit diesbezüglich gab. Allerdings konnte er sie wieder beruhigen, da er sich auch bei genügend Universitäten in der Nähe beworben hatte, auch wenn dort seine Chancen nicht so hoch waren, wie bei den kleinen Hochschulen. Er wollte ja selbst nicht umziehen und lieber in der Nähe bleiben, doch leider wurde positive Stimmung ziemlich getrübt als die ersten Absagen eintrudelten. Taichi schnaubte leise und verschränkte seine Finger ineinander. Missmutig blickte er zu Boden. „Ich habe von der Universität in Tokio eine Absage bekommen und auch zwei weitere Universitäten in der Umgebung meinten, dass sie mich aus Kapazitätsgründen nicht aufnehmen könnten. Mimi meinte, dass ich es nicht so eng sehen soll und ja noch andere offene Bewerbungen habe, aber es ist einfach so frustrierend. Ich hätte gerne wenigstens eine Zusage, um überhaupt erstmalig die Wahl zu haben“, gestand er sich ein und spürte dieses unruhige Kribbeln in seiner Magengegend, dass ihn schon seit ein paar Tagen begleitete. Er hatte all seine Hoffnungen in dieses Politikstipendium gesteckt, sodass er sich keine andere Alternative überlegt hatte. Er wollte studieren! Doch wahrscheinlich scheiterte es tatsächlich an den finanziellen Möglichkeiten. „Das tut mir sehr leid für dich. Aber Mimi hat recht, bestimmt kommt noch eine Zusage. Du hast dich ja bei so vielen Universitäten beworben. Eine wird definitiv für dich dabei sein“, untermauerte Sora und beugte sich zu ihm. „Ich glaube an dich! Und das solltest du auch tun!“ Sie klopfte ihm auf den Oberschenkel und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, was bei ihm allerdings nicht allzu viel bewirkte. Er fühlte sich einfach gefangen. Gefangen in einer Abwärtsspirale, aus der es einfach kein Entrinnen gab. _ Auch die nächsten Wochen vergingen, ohne dass sich etwas änderte. Frustriert ließ sich Taichi auf Mimis Bett nieder und starrte zur Decke, während sie noch an ihren Hausaufgaben saß. Er hatte sich heute wieder mit Hideyoshi verabredet, der ihm mal wieder gut zusprach, obwohl sich seine Absagen seither verdoppelt hatten. Es war einfach unglaublich frustrierend! Er ackerte sich ab und kam einfach nicht voran. Tai fühlte sich wie ein gestrandeter Fisch, der sich nach dem kühlen Nass sehnte. Leise stöhnend schloss er die Augen und legte seinen Arm über seine geschwitzte Stirn. Diese unbändige Hitze machte ihn wahrsinnig und das obwohl Mimis Eltern eine Klimaanlange besaßen! Er hielt es kaum noch aus! Im wahrsten Sinne des Wortes! Er öffnete seine schweren Lider und blickte auf einmal in zwei braune Augenpaare, die auf ihn hinabblickten. „Hast du nicht gerade noch am Schreibtisch gesessen?“, fragte er spitzfindig und bemerkte das zusätzliche Gewicht auf der Matratze. „Ja, aber ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Mathe ist der Antichrist“, jammerte Mimi theatralisch und ließ sich bestimmend neben ihm nieder. Auch wenn ihm bereits warm war, störte ihn ihre Nähe nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Er liebte es sie in seinen Armen zu halten. Ihr Trost und Geborgenheit zu spenden, wohlwissend, dass sie es wohl genauso nötig hatte wie er selbst. Auch in ihrem Leben lief zurzeit einiges schief. Das war ihm bewusstgeworden, als sie nach dem Gespräch mit ihrer Großmutter völlig aufgelöst bei ihm aufgeschlagen war und ihn von den neuen Erkenntnissen unterrichtete. Erschöpft legte sich Mimi neben ihn und kuschelte sich in seine Arme. „Ich bin so froh, wenn Sommerferien sind. Ich kann nicht mehr“, murrte Mimi und vergrub ihr Gesicht in seinem Shirt. „Warte erstmal die Abschlussprüfungen ab! Die Zeit war die stressigste meines Lebens“, untermauerte Taichi, obwohl er eigentlich gerne an seine Schulzeit zurückdachte. Es war einfacher. Er musste sich nicht über so viele Dinge Gedanken machen. Und jetzt lag er hier und bangte um seine unsichere Zukunft. „Willst du mir etwa Angst machen?“, knurrte Mimi und drückte ihr Kinn in seinen Brustkorb. Taichi lächelte nur unschuldig. „Natürlich nicht. Du schaffst das schon. Notgedrungen kannst du wiederholen!“ „Was?! Taichi! Du gemeiner Trottel!“, konterte Mimi sofort und wollte sich aus seinem Griff befreien, doch er hielt sie so fest, dass sie sich kaum von ihm lösen konnte. „Du gemeiner Trottel? Dir sind früher echt kreativerer Beleidigungen eingefallen. Anscheinend bist du ja richtig handzahm geworden“, lachte er und küsste ihre Nasenspitze, während Mimi wütend die Wangen aufblies. „Ich bin überhaupt nicht handzahm! Ich kann auch kratzen und beißen“, meinte überzeugend und setzte einen verführerischen Blick auf. „Aha, erzähl‘ mir ruhig mehr davon“, flüsterte er ihr zu und biss sich auf die Unterlippe. Sie schaffte es einfach immer wieder ihn in ihren Bann zu ziehen. Er betrachtete ihre vollen Lippen, die wegen ihres Lipglosses leicht schimmerten und praktisch zum Küssen einluden. „Vielleicht sollte ich es dir einfach zeigen“, hauchte sie ihm sinnlich entgegen und kletterte auf seinen Schoss. Ohne zu zögern, knöpfte sie sich die Bluse auf und streifte sie sich über ihre Schultern. Taichi beobachtete sie dabei und konnte die Anspannung, die seinen Körper durchzog, kaum beschreiben. Es war genau das, was er zurzeit brauchte. Mimi beugte sich zu ihm hinunter und benetzte seine trockenen Lippen mit zärtlichen Küssen. Taichi wanderte mit seinen rauen Händen ihren grazilen Rücken entlang. Er spürte wie sich ihre feinen Härchen langsam aufstellten und sich die Atmosphäre zwischen ihnen veränderte. Die Luft war stickig und wirkte auf einmal elektrisierend auf ihn. In diesem Moment gab es nur die beiden. Alles andere war nebensächlich geworden. Es zählte nur dieser eine Moment. _ Zufrieden machte sich Taichi auf den Heimweg und grinste glücklich vor sich hin. Auch wenn in seinem Leben nicht alles glatt verlief, gab es eine Person, die er nicht mehr missen wollte. Er wusste nicht, wie sie es schaffte, aber immer, wenn er bei ihr war, kreisten seine Gedanken nicht wild umher. Seine Sorgen schienen wie weggeblasen, was er nicht allein auf den Sex schob. Es waren viel mehr die Augenblicke, die er gemeinsam mit ihr genoss. Das anschließende Kuscheln, dass ihn jedes Mal zur Ruhe kommen ließ. Ihre Körper, die sich einander gegenseitig Wärme spendeten, die bis in sein Herz vordrang und ihm zeigte, wie hoffnungslos verfallen er ihr doch war. Eigentlich wollte er noch gar nicht nach Hause gehen, doch er war bereits den ganzen Tag unterwegs gewesen, weshalb er zum gemeinsamen Abendessen vorbeischauen wollte. Seiner Mutter war es nach wie vor wichtig, gemeinsame Rituale zu schaffen, was bei zwei Teenager oftmals nicht gelang. Auch die Tatsache, dass das Verhältnis zwischen seinem Vater und ihm nach wie vor angespannt war, erleichterte diese Art der Zusammenführung keineswegs. Tai merkte, dass ihn seine Füße eher widerwillig nach Hause führten und er lieber in Mimis Bett liegen geblieben wäre. Doch er versuchte sich zu beherrschen. Es war ja nicht so, dass sich sein Vater nicht bemühte und sich nicht verändert hatte. Er versuchte sein Bestes, doch die Angst, dass alles wieder seinen gewohnten Ablauf finden würde, war allgegenwärtig. Langsam schritt Taichi die Treppenstufen zu seiner Wohnung nach oben und kramte bereits den Haustürschlüssel hervor. Wenige Minuten später fand er sich auch schon in dem kleinen Flur wieder, an den er nach wie vor schlechte Erinnerungen hegte. Sein Blick wanderte zwangsläufig zur Kommode, die immer noch unerschüttert den Eingangsbereich zierte. Er sah zu Boden und stellte fest, dass sowohl die Schuhe seiner Schwester als auch die seiner Mutter fehlten. Langsam und ehrfürchtig schritt er in den Wohnbereich und fand seinen Vater vor dem Fernseher sitzend vor. Schlechte Erinnerungen an damals zeigten sich vor seinem inneren Auge und sein Puls beschleunigte sich augenblicklich als er versuchte das Getränk in seinen Händen zu identifizieren. Erst als er sich sicher war, dass es kein Bier oder andere alkoholische Getränke waren, räusperte er sich leise. „Ich bin wieder zuhause“, informierte er seinen Vater mit trockener Kehle und wollte sofort in sein Zimmer verschwinden, ehe sein Vater aufsprang und in ihm alles erstarrte. „Warte einen Moment“, rief er ihm zu und Taichi vergewisserte sich immer wieder, dass er nicht betrunken war und es von Cola auch gar nicht sein konnte. Dennoch irritierte ihn seine freudige Miene, die er sich einfach nicht erklären konnte. Erst als er zum Küchentisch schritt und einen Umschlag anhob, konnte er das hoffnungsvolle Gesicht seines Vaters verstehen. „Du hast Post bekommen! Von der Uni in Matsue! Keine Sorge, ich habe noch nicht reingesehen, aber der Umschlag ist wirklich ziemlich dick“, erwiderte er, nachdem Taichi ihn entgegengenommen hatte. Unsicher betrachtete er das gelblich aussehende Papier und wusste nicht, ob er den Brief vor seinem Vater öffnen wollte. Matsue…eigentlich war das eine seinen letzten Wahlmöglichkeiten gewesen. Er hatte sich eigentlich nur beworben, weil Hideyoshi es ihm empfohlen hatte. Es war eine kleine Universität mit einem guten politik- und rechtwissenschaftlichen Fachbereich, für den sich Taichi sehr interessierte. Doch Matsue war über neun Stunden von Tokio entfernt, weshalb die Uni auf seiner Wunschliste weit nach unten gerutscht war. Daher wäre es ja auch nicht so schlimm, wenn er eine Absage bekommen würde. Bestimmt hatte er an einer näheren Uni genauso gute Chancen, obwohl Hideyoshi ihm bereits gesagt hatte, dass die kleineren etwas ländlicher gelegenen Universitäten eher Stipendien vergaben als zentral Erreichbaren. Dennoch musste er erstmal diesen Umschlag öffnen, um überhaupt Näheres erfahren zu können! Mit zitternden Fingern riss er die Seite des Briefes auf und holte den Inhalt hervor. „Sehr geehrter Herr Yagami…“, las er leise für sich und huschte über die geschriebenen Worte. „Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu dürfen…“ Sein Herz setzte unvermittelt aus und seine Augen weiteten sich ungläubig. „Was steht denn drin?“, fragte sein Vater, dessen Anwesenheit er für einen kurzen Moment einfach ausgeblendet hatte. Doch Taichi schüttelte nur ungläubig den Kopf. Das konnte nicht wahr sein! „Ich wurde angenommen“, brachte er schwerfällig über die Lippen, während er nur sehr langsam realisierte, dass sich seine Zukunft ab heute komplett verändern würde. Kapitel 52: Wünsche zu Tanabata ------------------------------- ♥ Mimi ♥ Sie wusste, dass dieses Zusammentreffen ein großer Fehler sein würde. Mimi konnte noch nicht mal genau sagen, warum sie sich überhaupt darauf eingelassen hatte! Vielleicht weil sie Kaori einen Gefallen tun wollte. Vielleicht auch, weil sie endlich die Vergangenheit hinter sich lassen musste, um nach vorne zu sehen. Sie konnte an den Gegebenheiten schließlich nichts ändern, dennoch fiel es ihr unglaublich schwer ihr in die Augen zu sehen. Ihr überheblicher Blick und das süffisante Grinsen bohrte sich auf ihre Haut und brannte unerträglich, weshalb sie am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Doch das konnte sie Kaori nicht auch noch zumuten! Sie wusste, dass sie in den letzten Wochen und Monaten viel durchgemacht und die Sache mit ihrer Schwester sie sehr belastet hatte. Dennoch wünschte sie sich am liebsten an einen anderen Ort – weit weg von Emi! „Und wie geht es deinem Freund?“, fragte sie übertrieben freundlich, nur um sie bewusst zu quälen. „Emi, lass das“, zischte Kaori sofort, doch Emi schien es zu lieben, in der offenen Wunde zu bohren. Mimi müsste lügen, wenn ihr die Tatsache, dass Emi und Tai eine Affäre gehabt hatten, nichts ausmachen würde. Sie hatte sich, auch nachdem Tai und sie sich wieder vertragen hatten, lange damit beschäftigt gehabt und viele Gespräche mit ihm darüber geführt, um die Gründe seines Handelns besser zu verstehen. Besonders weil sie es damals, mit fünfzehn, eben nicht konnte. Sie hatte ihn insgeheim dafür verflucht und ihm irgendwelche fiesen Krankheiten an den Hals gewünscht, auch wenn sie es selbstverständlich nicht so gemeint hatte. Letztlich war ihr bewusstgeworden, dass beide Fehler begangen hatten und die Distanz eine Mitschuld an dieser ganzen Misere gehabt hatte. Und genau aus diesem Grund wollte sie sich von Emi nicht unterkriegen lassen! Vorsichtig kräuselte die Lippen. „Ist ja interessant, dass du immer noch so an meinem Freund interessiert bist. Scheinst ja wohl besessene Tendenzen zu besitzen“, erwiderte sie und versuchte unbeeindruckt zu wirken. „Wow, dafür hast du aber ganz schön lange gebraucht, aber Schlagfertigkeit scheint ja nicht unbedingt deine Stärke zu sein“, antwortete sie und blickte Mimi missbilligend an. „Und du scheinst gerne Schwierigkeiten und Probleme zu ignorieren. Du lenkst auf meinen Freund, obwohl wir wegen etwas ganz anderem hier sind.“ „Oh mein Gott, wie oft willst du denn noch erwähnen, dass er dein Freund ist? Bist du etwa so besitzergreifend? Vielleicht solltest du ihn brandmarken, damit auch jeder weiß, dass er dein Eigentum ist.“ Sie grinste gehässig, während es in Mimis Bauch zu brodeln begann. „Du bist echt…“ „Okay, dass reicht jetzt!“, unterbrach Kaori sie bestimmend. „Ich habe nicht vor meinen Nachmittag mit Streitereien zu verbringen. Wir haben etwas Wichtiges zu besprechen!“ Kaori sah sich in dem kleinen Eiscafé um, doch es war nur sehr spärlich besucht, weshalb ihre Freundin es wohl auch ausgesucht hatte. Mimi konnte sich schon denken, warum sie sie versammelt hatte. „Es geht um unseren Bruder! Ich finde immer noch, dass wir ihn suchen sollten“, eröffnete Kaori fast schon flüsternd, während Emi stöhnend ihren Stuhl hinab sank. „Nicht dieses Thema schon wieder“, knurrte sie angesäuert und rührte trotzig in ihrer Eisschokolade. „Was soll das denn heißen? Bist du überhaupt nicht neugierig? Möchtest du kein bisschen wissen, wie er ist? Also ich möchte ihn kennenlernen.“ „Wie immer jagst du einer Traumphantasie hinterher! Wir wissen nichts über ihn und hast du dir schon mal überlegt, dass er uns vielleicht gar nicht kennen lernen möchte? Er ist doch schon volljährig und hätte uns schon längst aufsuchen können. Hat er aber nicht“, untermauerte Emi willensstark, während Mimi immer mehr ins Grübeln kam. Sie wusste, dass es Kaori ein Anliegen war, ihren gemeinsamen Bruder zu finden, aber auch Emi hatte mit ihren Aussagen nicht unrecht. Was wenn er gar nicht gefunden werden wollte? Doch an Kaoris gläsernen Blick konnte sie erkennen, dass sie sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben würde. „Sagst du gar nichts dazu, Mimi? Noch nicht mal nach dem, was dir deine Großmutter alles erzählt hat?“ Mimi schluckte augenblicklich und spürte einen deutlichen Widerstand in ihrem Hals. Was sollte sie nur antworten? Einerseits verstand sie ihre Verzweiflung, andererseits wollte sie sich nicht in das Leben eines für sie Fremden einmischen! Denn genau das war ihr Bruder für sie. Ein Fremder, dessen Phantom sie seither jagte und quälte. Wollte sie ihn kennenlernen? Wissen, ob sie sich ähnlich waren? Gemeinsamkeiten und Abneigungen teilten? Irgendwie ja, aber auch gleichzeitig nein. War es in Ordnung sich in das Leben eines anderen Menschen einzumischen, nur weil man die gleiche DNA teilte? Dabei war Familie mehr als nur Blutsverwandtschaft. Sie war der sichere Hafen, zu dem man zurückkehren konnte, wenn man ins Wanken geriet. Und Mimi war sich sicher, dass er diesen sicheren Hafen bereits besaß. „I-Ich weiß nicht so recht. Wir wissen gar nicht wie er heißt und er hat eine Familie, die ihn aufgezogen hat und ihn liebt. Wollen wir das wirklich durcheinanderbringen?“, fragte Mimi in die Runde. „Also auch wenn ich sie nicht sonderlich leiden kann, muss ich ihr da recht geben! Vielleicht wäre es egoistisch ihn zu suchen und ihn aus seinem Umfeld zu reißen“, meinte auch Emi schulterzuckend, während Kaori sprachlos die Augen aufriss. „Ihr findet es also vorkommen in Ordnung, was ihm widerfahren ist? Er kennt die Wahrheit noch nicht mal! Genauso wenig wie unsere Eltern!“ Mimi presste ertappt die Lippen aufeinander. Sie hatte es immer noch nicht übers Herz gebracht ihrer Mutter die Wahrheit zu sagen, da sie nicht einschätzen konnte, wie sie reagieren würde. Wenn sie diese Sache von ihrem Vater erfuhr würde sie sich sicher Vorwürfe machen! Das wusste Mimi, auch ohne es ihr anvertraut zu haben. Schuldbewusst senkte sie den Kopf. „Sagt ihr jetzt überhaupt nichts mehr dazu?“, fragte Kaori mit einem hysterischen Unterton, sodass sich die wenigen Gäste des Eiscafés sich bereits nach ihnen umdrehten. Allerdings schien manchmal jedes Wort zu viel. Deswegen versank Mimi im Strudel des Schweigens, auch wenn ihre Zunge regelrecht Feuer gefangen hatte und sie sich nur schwer zurückhalten konnte. „Okay gut. Dann weiß ich Bescheid“, murmelte Kaori und stand auf. Sie kramte aus ihrem Rucksack ihren Geldbeutel hervor und legte es passend neben ihre halbvolle Tasse Tee, die noch vor sich hin dampfte. Mimi sah auf und konnte gerade noch erkennen, wie sie sich schniefend mit dem Arm über ihre Augenpartie wusch. Mimis schlechte Gewissen wuchs unmittelbar, doch so konnte sich kaum rühren. Selbst als Kaori ihren Stuhl anschob und Anstalten machte zu gehen, war Mimi immer noch wie erstarrt. Was sollte sie denn sagen, damit es ihr wieder besserging? „Kaori jetzt warte doch mal“, kam schwerfällig über ihre Lippen. „Nein, ich bin es leid zu warten und mir ständig nur Lügen erzählen zu lassen. Wenn ihr mir nicht helft, mache ich es eben allein“, sagte sie verbissen und stürmte aus der Tür des Cafés. Mimi wollte ihr schon hinterherrennen, als abrupt ihr Arm ergriffen wurde und sie herumschnellte. „Lass sie allein! Sie war schon immer so und beruhigt sich auch wieder“, erklärte ihr Emi ehe sie ihren Arm wieder losließ. „Sie kompensiert. Das hat sie auch nach dem Tod unserer Mutter getan. Sie klammert sich an Möglichkeiten, die unsere Familie zusammenhalten, obwohl sie genau weiß, wie kaputt wir eigentlich sind.“ Das erste Mal konnte Mimi eine schwache Emotion in Emis Augen erkennen. Sie konnte nicht klar differenzieren, ob es sich um Trauer oder sogar Wut handelte, aber dennoch konnte sie eine Sache ganz klar erkennen. Nicht jeder hatte das Glück eine intakte Familie zu haben. Und bei Kaori und Emi war dieser dunkle Schatten ihr Wegbegleiter geworden, der sie jederzeit heimsuchte. „Gerade deswegen braucht zu jemanden an ihrer Seite!“, brachte Mimi hervor und pfriemelte ebenfalls ihren Geldbeutel hervor, um ihren Milchkaffee zu bezahlten. Auch Emi war aufgesprungen und funkelte sie wütend an. „Du bist aber nicht ihre große Schwester“, widersprach sie starr. „Da hast du recht, aber vielleicht bin ich gerade das, was sie in diesem Moment braucht: Eine Freundin“, antwortete Mimi wortgewandt, ehe sie aus dem Café stürmte und Emi ohne weiteres zurückließ. Manchmal gab es eben nur diesen einen Moment, der eine Veränderung schaffen konnte. Und Mimi wusste, dass sie ihre Chance nutzen musste, bevor sie vorbei war. _ An diesem Tag hatte Mimi Kaori nicht mehr auffinden können. Wie Emi es ihr vorhergesagt hatte, beruhigte sich Kaori wenige Tage später und Mimi war in der Lage ein langes und intensives Gespräch mit ihr zu führen. Auch wenn sie sie nicht ganz von ihrem Vorhaben abbringen konnte, konnte Mimi ihre Freundin um einiges besser verstehen. Es war eine verzwickte Situation, die keiner kontrollieren konnte. Dennoch hatten sie sich vorerst darauf geeinigt, die Suche nicht fortzusetzen. Jedenfalls vorerst. Mimi wollte zuerst mit ihrer Mutter sprechen und ihr die Geschichte ihres Großvaters erzählen, wenn der richtige Moment gekommen war. Doch wann war genau dieser Augenblick? Dass fragte sich Mimi nun schon seit mehreren Wochen. Mal wieder stand ihr Geburtstag und auch die Reise, die Taichi und sie geplant hatten, vor der Tür. Heute feierten sie Tanabata, gemeinsam mit ihrer alten Clique, die schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr zusammengefunden hatte. Sie hatten sich dazu entschieden ein kleines Picknick im Shiokaze-Park auszurichten und später einen der festlich geschmückten Schreine zu besuchen, um ihre Wünsche an den aufgestellten Bambusbäumchen aufzuhängen. Gemütlich hatten sie sich auf den mitbrachten Decken niedergelassen und einen kleinen Grill mitgebracht, um gemeinsam Hähnchenspieße und Gemüse zuzubereiten. Sora saß etwas erschöpft neben Matt, der den Grill vorbereitete. Joe durfte zum ersten Mal Haruko in seinen Armen halten und hielt vorsichtig ihr Köpfchen, während Izzy ihn ehrfürchtig dabei beobachtete. Mimi schmunzelte leicht und kuschelte sich in Taichis Arme, während er ebenfalls das Geschehen beobachtete. „Vielleicht sollte Koushiro die Kleine auch gleich mal halten“, kommentierte er belustig, während sich Izzys Körper versteifte. „W-Was? N-Nein lieber nicht. Nachher lasse ich sie noch fallen“, stammelte er und sah hilfesuchend zu Sora, die nur milde lächelte. „So ein Quatsch. Wir sitzen hier ja alle dicht beisammen. Da kann nichts passieren.“ „Genau“, stimmte Mimi fröhlich mit ein. „Aber ich glaube Joe sieht nicht so aus, als würde er sie nochmal hergeben.“ „Das stimmt doch gar nicht“, wehrte sich Joe sofort. „Ich will sie nur nicht wecken. Sie schläft gerade so schön.“ Lächelnd betrachtete er das schlafende Gesicht von Haruko, die sich in den Armen des Ältesten sichtlich wohl fühlte. „Ich glaube, du kannst demnächst mal zum Babysitten kommen. Bei dir ist Haru-chan wirklich tiefenentspannt“, lachte Yamato und schürte das kleine aufflammende Feuer. „Ohja, ich wäre sehr dafür! Und so ein Baby auf dem Arm steht dir unwahrscheinlich gut“, bestätigte Sora ihn, während Joe knallrot anlief. „Findest du?“, hakte er unsicher nach. „Klaro, wird Zeit das du dir eine Frau suchst mit der du ganz viele Babys machen kannst“, witzelte Taichi schief grinsend und kassierte prompt von Mimi einen kräftigen Stoß in die Rippen. „Aua, das war mein Ernst gewesen!“, rechtfertigte er sich beleidigt und schenkte Mimi einen grimmigen Blick. „Vielleicht sollten Mimi und du bald damit anfangen, damit Haru-chan etwas Gesellschaft bekommt“, kommentierte Yamato süffisant und grinste dreckig. „Yamato!“, kam es von allen Richtungen, doch der Blondschopf ließ sich nicht beirren. Unbeeindruckt zuckte er nur mit den Schultern und sah zu, wie die Flamme immer kleiner wurde, sodass nur noch die Glut vorhanden war. „Ich glaube, ich werde mit meinem Medizinstudium die nächsten Jahre wirklich genug zu tun haben. Ich habe ja jetzt schon kaum Freizeit. Außerdem investieren meine Eltern ziemlich viel Geld in meine Ausbildung und die passende Frau habe ich auch noch nicht gefunden“, antwortete Joe und versuchte nicht deprimiert zu wirken, was ihm jedoch nicht sonderlich gut gelang. „Ach komm, jeder findet irgendwann den passenden Deckel“, intervenierte Mimi sofort und dachte automatisch an die turbulente Zeit, die Taichi und sie hinter sich hatten. Vor einem Jahr hätte sie sich nie träumen lassen, hier in seinen Armen zu liegen, geschweige denn ihn als ihren Freund bezeichnen zu dürfen. Aber das Leben war meistens unberechenbar und hielt Überraschungen bereit, die keiner von ihnen erwartet hätte. Ihr Blick blieb automatisch an Haruko hängen, die immer noch in Joes Armen seelenruhig schlief. Mittlerweile sah sie Matt immer ähnlicher, jedenfalls kam es Mimi so vor. Ihre Haare wurden immer heller und auch die stechendblauen Augen hatte sie von ihrem Vater geerbt. Vor einem Jahr war an sie noch nicht mal zu denken, doch mittlerweile hatte sich mehr verändert als Mimi eigentlich bewusst war. Izzy und sie befanden sich im Abschlussjahrgang. Joe studierte Medizin. Yamato machte einer Ausbildung zum Elektriker, während Sora ihr Studium im nächsten Frühjahr aufnehmen würde. Nur Taichi hing weiterhin in der Luft, was er sich jedoch nicht anmerken ließ. Jedenfalls vorerst. „Wisst ihr eigentlich schon, für welche Fächer ihr euch an der Uni einschreiben wollt?“, fragte Joe an Izzy und Mimi gewandt. Beide tauschten einen kurzen Blick miteinander, bevor sie zielsicher antworteten. Selbst Mimi überraschte es, dass sie sich schon so viele Gedanken über ihre Zukunft gemacht hatte. Vielleicht lag es tatsächlich an ihrem Vater, der sie immer wieder in die richtige Richtung stupste und ihr auch den nötigen Denkanstoß für ihr Studienfach gab. „Ich werde mich für Wirtschaftswissenschaften einschreiben. Ich denke, das ist die beste Alternative, wenn ich später mal ein eigenes Restaurant eröffnen möchte“, antwortete Mimi selbstsicher. „Und ich werde Informatik studieren, aber ich glaube das wundert hier sicher keinen“, lachte Izzy und tätschelte sich unbeholfen den Hinterkopf. „Das ist wirklich keine Überraschung“, steuerte Sora grinsend bei, als auch sie auf einmal ihren Blick zu Taichi wandte, der auf einmal sehr ruhig geworden war. „Hast du noch etwas von deinen Stipendien gehört?“, fragte sie behutsam. Mimi schielte augenblicklich zu ihm und sah wie sein Gesicht sich versteifte. Verbissen presste er seine Lippen aufeinander. „Es stehen noch ein paar Antworten aus, aber die Universität in Tokio hat mich leider nicht genommen. Aber ich habe mich noch an der Universität in Kanagawa und an der Universität Nagoya beworben. In beiden Fällen für Rechtswissenschaften“, erzählte er verhältnismäßig locker, auch wenn Mimi sich beherrschen musste bei der Stadt Nagoya nicht mit den Augen zu rollen. „Aber wir hoffen mal, dass es an der Universität in Kanagawa klappt, weil Nagoya über vier Stunden von Tokio entfernt ist. Kanagawa nur eine halbe“, informierte Mimi ihre Freunde. „Ach das wird bestimmt noch klappen“, meinte Sora optimistisch. „Aber jetzt sollten wir erstmal den gemeinsamen Abend genießen!“ Sora hatte sicher recht, aber dennoch blieb Mimis innere Unruhe bestehen. Sie hatte bereits mehr als nur einmal mit Taichi über ihre Situation gesprochen. Natürlich wollte sie, dass er einen Studienplatz erhielt, aber er sollte nicht vier Stunden von ihr entfernt wohnen. Wie sollte sie das nur aushalten? Schon damals hat die Entfernung ihre Beziehung kaputt gemacht und das wollte sie auf gar keinen Fall zulassen! Daher hoffte sie jeden Tag auf die Zusage in Kanagawa, aber bisher war noch keine gekommen, was sie allmählich unruhig werden ließ. Taichi hingegen schien auf einmal die Ruhe selbst zu sein, auch wenn sich Mimi nicht erklären konnte, wo dieser Sinneswandel plötzlich herkam. Er war entspannt, auch wenn Mimi sich nicht sicher war, ob er ihr in diesem Fall etwas vormachte. _ Nach dem gemeinsamen Abendessen im Park trennten sich zunächst die Wege der Freunde wieder. Während Sora und Matt Haruko bei Soras Mutter ablieferten, bereitete sich der Rest von ihnen für die eigentlichen Festlichkeiten vor. Mimi hatte ihren schönsten Yutaka rausgekramt, der ein buntes florales Muster besaß. Er war in einem zarten Rosa gehalten und schmeichelte dennoch ihrer blassen Hautfarbe. Taichi hatte sich für einen Dunkelgrünen entschieden und fluchte mal wieder über die unbequemen Holzsandeln, die er passend zu seinem Yutaka trug. Eine Stunde später hatten sich alle am Schrein eingefunden und liefen gemeinsam über das festlich geschmückte Gelände. Die Lampions hüllten die Stände und Bambusbäumchen in ein wärmendes Licht und traditionelle Musik erklang über den Platz, sodass die Atmosphäre Mimi sofort verzauberte. Tanabata war schon immer ihr Lieblingsfest gewesen, weshalb sie auch schon ganz aufgeregt zu den Bambusbäumen stürmte und die anderen dazu aufforderte ihre Wünsche niederzuschreiben. Mimi war ganz euphorisch, was vielleicht auch daran lag, dass sich ihr langgehüteter Wunsch endlich erfüllt hatte. Daher wusste sie gar nicht so genau, was sie sich überhaupt wünschen sollte. Sie hatte ja alles, was sie glücklich machte! Zufrieden sah sie sich um, konnte aber dennoch alle überreden ihre Wünsche für dieses Jahr auf einem Zettel festzuhalten und an einem der Bambusbäume zu befestigen. Sie sah gerade wie Taichi sich von seinem Bäumchen entfernte als sie auch schon auf ihn zugestürmt kam und neugierig anblickte. „Und was hast du dir gewünscht?“, fragte sie spitzfindig und griff nach seiner Hand. „Das verrate ich dir nicht“, trällerte er fröhlich und verschränkte seine Finger mit ihren. „Sonst geht es doch nicht in Erfüllung.“ „Hey, ich würde es auch keinem verraten“, versicherte sie ihm und zog schmollend die Unterlippe nach vorne. Taichi grinste nur. „Netter Versuch, aber ich verrate es dir trotzdem nicht.“ „So eine Unverschämtheit“, knurrte Mimi spielerisch, doch ihr Freund ließ sich mal wieder nicht beirren. Tse, sie würde schon herausbekommen, was er sich gewünscht hatte. Später würde sie einfach bei den Bambusbäumen der Jungs vorbeischauen! Seine Schrift würde sie allemal erkennen! Da war sie sich sicher. Doch zuerst wollten sie sich einen ruhigen Platz suchen, um ein paar Getränke zu organisieren. „Da hinten sieht es ganz gut aus! Da gibt es sogar einen kleinen Mauervorsprung“, Joe deutete in die Richtung und schritt zielstrebig voran. Kaum hatten sie sich niedergelassen, sorgten Joe und Tai auch schon für die erste Runde der Getränke. Mimi hatte sich einen alkoholischen Cocktail gewünscht, der mit einer Ananasscheibe verziert wurde. Kurz nachdem Taichi ihr das Getränk gereicht hatte, zog sie auch schon ungeduldig am Strohhalm. „Gott, dass schmeckt ja lecker“, schwärmte Mimi träumerisch, während sich der Geschmack von fruchtigen Erdbeeren und saurer Limette auf ihrer Zunge verbreitete. „Wir sollten anstoßen“, schlug Sora vor und hob ihr Glas an. „Auf eine schöne Zeit.“ Auch der Rest erhob die Gläser, bis auf Yamato eher widerwillig dem Gruppenzwang folgte. „Das wir auch immer anstoßen müssen, wenn wir sechs zusammen sind“, murrte er angesäuert, als Sora ihm einen bösen Blick zuwarf, der sich jedoch nicht lange auf ihrem Gesicht hielt. Sie wandte sich wieder der kleinen Runde zu und lächelte breit, so als hätte sie Yamatos Worte nicht wahrgenommen, was Mimi skeptisch werden ließ. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich Yamatos Gesichtsausdruck seit dem abendlichen Grillen verändert hatte. Ein leerer Blick zierte sein Gesicht und ließ es wie eine ausdrucksschwache Hülle seiner selbst wirken. Hatten sich die beiden etwa gestritten? Aber worüber? Mimi konnte nicht länger darüber nachdenken, da die Gläser geräuschvoll gegeneinanderstießen und den gemeinsamen Abend einläuteten. _ Das kalte Wasser traf ihre Handgelenke und die duftende Seife schäumte in ihren Handflächen auf, während lautstark die Klospülung ertönte. Mimi fuhr sich sorgsam zwischen ihre Finger und verteilte die Seife in sämtlichen Zwischenräumen bis sie sie mit klarem Wasser abspülte und zu den rauen Papiertüchern griff, um sich ihre Hände zu trocknen. Erst danach trat Sora aus der Kabine und schritt zum Waschbecken, um sich ebenfalls die Hände zu waschen. Unauffällig beobachtete Mimi ihre Freundin und sah wie ihre müden Augen auf ihr eigenes Spiegelbild gerichtet waren. „Zum Glück gibt es Concealer. Meine Augenringe sehen furchtbar aus“, seufzte sie und trockene sich die Hände ebenfalls ab. Mimi warf das zerknüllte Papiertaschentuch in den nächstbesten Mülleimer und fuhr sich mit ihren Fingern durch ihre langen braunen Haare, während Soras Blick immer noch an ihrem gespiegelten Selbst haftete. „Alles in Ordnung? Du siehst so traurig aus“, stellte Mimi sorgenvoll fest. „Was heißt schon in Ordnung? Mit Kind wird das Leben eben stressiger“, versuchte sie sich rauszureden und entsorgte ebenfalls das Papiertuch, das von ihren Händen völlig durchnässt war. „Sicher, dass es sich um Haruko dreht? Yamato scheint auch nicht sonderlich gut gelaunt zu sein.“ Sora seufzte nur und drehte sich Mimi zu, indem sie sich mit den Händen am Waschbecken abstützte. „Er ist sauer auf mich. Und das eigentlich schon den ganzen Tag, aber während dem Grillen konnte er sich noch gut beherrschen, aber nachdem wir Haruko zu meiner Mutter gebracht haben, haben wir uns erneut in die Haare bekommen.“ Überrascht hob Mimi ihre Augenbrauen an. „Warum das denn? Was hat ihn denn verärgert?“ „Die Band wurde nochmal für einen Gig angefragt für nächstes Wochenende und Yamato war mega euphorisch ein letztes Mal mit seinen Bandkollegen zu spielen, dass er vollkommen vergessen hatte, dass mein Vater uns zu seinem Geburtstag eingeladen hatte. Er meinte, dass der Auftritt doch erst abends wäre, aber die Probenabende und die Tatsache, dass die anderen von ihrem Glück noch gar nichts gewusst haben, schob er einfach beiseite. Und jetzt bin ich der Buhmann, weil ich ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht habe. Ich meinte, er hat jetzt einen festen Job und vor allem eine Familie!“, regte Sora sich überschwänglich auf. Mimi schenkte ihr einen mitleidigen Blick. Auch hier fiel es ihr unsagbar schwer Partei für jemanden zu ergreifen, da sie beide Seiten verstehen konnte. Sie hatten sich eben für das gemeinsame Kind entschieden und natürlich bedeutete dies auch zurückzustecken und Gegebenheiten akzeptieren zu lernen. Allerdings hatte Yamato auch seinen Traum aufgegeben. Einem Traum, an dem er lange festgehalten hatte. Ein Gig wäre daher sicher kein Weltuntergang. Doch das sollte sie Sora lieber nicht sagen. „Tut mir leid, ich wollte die Stimmung nicht verderben. Bestimmt haben wir uns morgen wieder vertragen“, erwiderte Sora auf einmal. „Wollen wir uns vielleicht die Wunschbäumchen angucken gehen?“ Nickend stimmte Mimi zu und folgte Sora schweigend auf den großen Platz zurück. Nachdenklich lief sie hinter ihrer Freundin her und überlegte, ob sie nicht doch etwas sagen sollte. Vielleicht sollte sie Sora einfach vor Augen führen, dass es für Matt einfach ein längerer Prozess war und man sich nicht von heute auf morgen von seiner Leidenschaft verabschieden konnte. Das hatte sie bei Kaori bemerkt, die regelrecht aufblühte, wenn sie die Geige in Händen hielt. Auch ihr hatte Band gutgetan und plötzliche Verlust darüber war Kaori ebenfalls anzumerken. Es fehlte einfach etwas und Mimi war sich sicher, dass Yamato genauso fühlte. Dennoch traute sich kein einziges Wort über ihre Lippen. Schweigsam wanderte sie hinter Sora her und ließ sich von den Wünschen der Menschen berieseln. Ich wünsche mir, den Mann meiner Träume zu finden. Mimi schmunzelte bei diesem Wunsch, weil es so viele Menschen auf dieser Welt gab, die immer noch auf der Suche waren und noch nicht das Glück hatten, einen geeigneten Partner an ihrer Seite wissen zu dürfen. Manche brauchten einfach ein bisschen länger als andere. Das Problem war einfach, dass es viele Menschen gab, die gut zusammenpassen könnten, aber nur wenige sich auch tatsächlich fanden. Manchmal mal es eine einfache Schicksalsbegegnung. Ich wünsche mir, meine Träume eines Tages ausleben zu dürfen. Auch dieser Wunsch stimmte Mimi sehr nachdenklich. Wenn sie ehrlich war, war sie immer jemand, der seinen Träumen nachjagte, egal ob sie in Erfüllung gingen oder nicht. Wichtig hierbei war allein der Versuch des Möglichen. Eines Tages mit dem „Was wäre, wenn“ zu leben, konnte sich Mimi einfach nicht vorstellen. Dennoch gab es Menschen, die ihre Wünsche und Träume unter der Hoffnungslosigkeit vergruben und den grauen Alltag in ihrem Herzen einzogen ließen. Ich wünsche mir, dass ich eines Tages meine eigene Familie haben werde. Ein schöner Wunsch, dachte Mimi sofort. Eine einige Familie. Auch sie hegte diesen Traum, den sie sich in einigen Jahren einmal erfüllen wollte. Am liebsten mit ihm. Auch wenn es völlig bescheuert klang, aber mit Taichi konnte sie sich tatsächlich alles vorstellen. Okay, vielleicht erst in ein paar Jahren aber dennoch hatte sie eine klare Zukunftsaussieht, die sie nur mit einem Mann an ihrer Seite realisieren wollte. Ich wünsche mir, dass ich ein Studium beginnen und erfolgreich abschließen kann. Mimi blieb augenblicklich vor diesem Zettel stehen, der einerseits etwas für sie völlig Selbstverständliches darstellte, aber für manche überhaupt nicht selbstverständlich war. Nein, es ging nicht darum, ein Studium erfolgreich abzuschließen, denn sowas lag meist in der eigenen Hand. Aber die Tatsache ein Studium beginnen zu dürfen, war für Mimi nichts besonders. Schließlich hatten ihre Eltern die finanziellen Mittel dazu, sie zu unterstützen. Doch… Auf einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Eigentlich hätte sie seine Handschrift doch sofort erkennen müssen. Allerdings will man manchmal die Dinge, die am Offensichtlichsten sind, gar nicht erkennen. Man verdrängt die Tatsachen, weil man sich mit dem Schmerz, der andere beschäftigt, nicht belasten will. Schuldbewusst blieb Mimi vor dem Zettel stehen, dessen Wunsch für viele so bedeutungslos und einfach klang, dass man ihn schmunzeln hinnahm und sich noch nicht mal darüber Gedanken machte, welche traurige Geschichte sich wohl dahinter verbergen mochte. Doch Mimi kannte sie. Sie kannte sie gut genug und dennoch hatte sie die Augen vor der Wahrheit verschlossen. Erst als sie Taichis Wunsch vor Augen hatte, konnte sie erkennen, wie wichtig es für ihn tatsächlich war. Wie sehr er sich diesen Studienplatz wünschte. Allerdings war das Leben kein Wunschkonzert. Man konnte sich nicht aussuchen, wohin die Wege einen führten. Sei es nach Nagoya oder Kanagawa. Mimi wurde bewusst, dass weder sie noch Taichi darauf Einfluss hatten. Manchmal durfte man wählen, aber in vielen Fällen wurde für einen gewählt. Das Leben war chaotisch und hinter jedem Horizont wartete der nächste große Schritt, den man jedoch erst wagen musste. Kapitel 53: Die Stunde der Wahrheit – Teil 1 -------------------------------------------- ♥ Taichi ♥ Völlig erschöpft ließ er sich auf dem harten Futon nieder, der in den nächsten Tagen sein Bett ersetzen würde. Auch wenn sie nicht lang unterwegs waren, war Taichi einfach nur müde. In den letzten Tagen hatte er hart gearbeitet und war jeden morgen früh aufgestanden. Auch heute war er bereits um halb fünf zum Flughafen gefahren, um diesen pünktlich zu erreichen. Während er gerne noch eine Runde schlafen wollte, war Mimi vollkommen aufgeregt und euphorisch. Sie plapperte munter drauf los und unterhielt ihn somit den ganzen Flug, auch wenn er ab und zu während des Flugs weggenickt war. Anscheinend hatte sie sich bereits genau überlegt, was sie in den nächsten Tagen alles sehen wollte. Fast schon pedantisch hatte sie alles auf einer Liste notiert und konnte es scheinbar kaum erwarten endlich in Biei anzukommen. Nachdem sie in Ashikawa gelandet waren, mussten sie knapp eine Stunde mit dem Zug fahren, um den malerischen Ort zu erreichen. Schon auf der Fahrt fuhren sie an einigen Blumenfeldern vorbei, die die aufregende Sonne in den prachtvollsten Farben umrahmte. Und auch, wenn Tai kein Blumenkenner war, konnte er Mimis Vorfreude durchaus verstehen. Sie hatte ihm erzählt, dass ihre Eltern vor einigen Jahren ebenfalls einen Ausflug in Biei unternommen und eines der schönsten Vergissmeinnichtfelder entdeckt hatten, dass Mimi auch unbedingt sehen wollte. Doch Taichi musste sich jetzt erstmal erholen, was allerdings gar nicht so leicht war, da seine Freundin wie ein wildgewordener Flummi durch kleinen Raum sprang, der aus zwei Futons, einer Kommode und einem kleinen Nachtschränkchen mit Lampe bestand. Die Gemeinschaftsbäder waren im unteren Bereich des Hotels, während sich die Toiletten auf jeder Etage am Ende des Gangs befanden. Allerdings hatte Taichi nicht sonderlich viel Lust sich in der nächsten Stunde groß zu bewegen, auch wenn Mimis Herumgewusel ihn durchaus ablenkte. „Willst du dich nicht auch noch ein bisschen ausruhen?“, fragte er mürrisch und hob kurz den Kopf an bevor er sich zur Seite drehte. „Ausruhen? Ich bin völlig aufgedreht! Wir sind in Biei!“, kreischte sie aufgeregt und wanderte wieder zu dem kleinen Fenster, dass die malerische Landschaft vor ihnen präsentierte. „Wir sollten am besten gleich rausgehen und uns Fahrräder ausleihen! Bestimmt können wir zum Ken und Mary Baum fahren!“ „Zum Ken und Mary Baum?“, Taichi runzelte die Stirn, da er keinen blassen Schimmer hatte, was das mal wieder bedeuten sollte. „Na der Ken und Mary Baum! Aus dem Werbespot! Der ist doch total bekannt! Wir könnten dann auch noch den Eltern-Kind-Baum besuchen! Und danach schauen wir uns die ersten Blumenfelder an!“, zählte sie freudig auf. „Hallo, es ist gerade mal zehn Uhr! Hast du zu viel Kaffee getrunken?“, fragte Taichi belustig und starrte sie an. Verständnislos wandte Mimi den Blick zu ihm. „Aber wir sind nur bis Sonntag hier! Und ich habe mich so darauf gefreut! Außerdem habe ich Geburtstag!“ „Korrektur: Du hattest Geburtstag! Und zwar am Dienstag!“, erinnerte er sie neckend. „Ja und?“, schmollte sie und ging schnurstracks zum Futon. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah ihn zornig an. „Also das Kleid, dass ich dir geschenkt habe, steht dir echt gut“, versuchte sich Taichi zu retten und betrachtete seine Freundin genau. Der zarte hellblaue Stoff schmiegte sich um ihre blasse Haut und das passende florale Muster wirkte trotz alledem dezent und unauffällig, weshalb Taichi sofort ein Auge darauf geworfen hatte. Das es sogar im Angebot war, spielte eine unbedeutende Nebenrolle. „Lenk ja nicht ab und schwing lieber mal deine müden Knochen! Deine Faulheit ist wirklich äußerst unattraktiv!“, sie rümpfte ihre feine Nase und schenkte ihm einen missbilligenden Blick. „Faul und unattraktiv? Soll ich mal mein T-Shirt ausziehen?“, fragte er überheblich und zog provokant die rechte Augenbraue in die Höhe. „Nein lass mal, ich will…“, ein kurzer Schrei überkam ihre Lippen, den sie jedoch sofort wieder unterband, indem sie sich auf die Unterlippe biss. Taichi hatte sich einfach aufgesetzt und zog sie ohne weitere Vorwarnung auf seinen Schoß, womit sie nicht gerechnet hatte. „Sag mal, hast du sie noch alle? Musst du mich so erschrecken? Bestimmt hat das jemand gehört, die Wände sind doch…“ Sie stoppte abrupt als er einfach gierig seine Lippen auf ihre presste. Er spürte wie sie gegen seine Schultern drückte und sich von ihm lösen wollte, doch er ließ sich nicht beirren und küsste sie leidenschaftlich, sodass sie leise aufseufzen musste. „Tai...chi“, stöhnte sie leise, während seine Lippen von ihrem süßen Mund abließen und ihren Hals weiterwanderten. Er verschwand mit seinen warmen Fingern unter ihrem Kleid und strich behutsam ihren grazilen Rücken nach oben, bis er ihren BH-Verschluss erreichte. „Warte…“, sagte sie sofort, als er Anstalten machte ihn zu öffnen. „Wir können doch nicht hier…die Wände sind viel zu dünn.“ „Dann sind wir halt leise“, meinte er schulterzückend, ließ aber ihren BH-Verschluss ab und kam mit seinen Händen unter ihrem Kleid wieder hervor. „Du bist verrückt“, grummelte Mimi verärgert. „Ja, ich weiß. Verrückt nach dir“, säuselte er ihr entgegen und spürte wie sein eigenes Herz schneller zu schlagen begann. „Man du bist echt ein verdammter Schleimer“, stellte Mimi grinsend fest, während er nachdenklich ihr Gesicht entlangfuhr. Auch er rang sich zu einem Lächeln ab, doch sein Innerstes war unruhig und sein schlechtes Gewissen Mimi gegenüber schien Sturm zu klingeln. Eigentlich hatte auch er sich auf diesen Ausflug gefreut, doch seine Euphorie bekam einen gewaltigen Dämpfer, nachdem er sich mit der unweigerlichen Realität auseinandersetzen musste. Er hatte Mimi immer noch nichts von seiner Zusage aus Matsue erzählt! Nicht, weil er sich nicht darüber freute. Nein, er hatte bis vorgestern immer noch die Hoffnung gehabt, dass eine Uni in seiner näheren Umgebung aufnehmen würde. Doch sowohl die Universität in Kanagawa und die Universität von Nagoya hatten im Absagen erteilt. Er solle sich nächstes Semester nochmal bewerben, stand in dem Ablehnungsschreiben der Universitäten drinnen. So als wäre es das einfachste der Welt. Doch seine Hoffnungen wurden auf einen Schlag zerschmettert. Neben der Zusage in Matsue hatte er, wie Hideyoshi es ihm vorhergesagt hatte, nur Zusagen an weitentfernten Universitäten erhalten. Die meisten befanden sich sogar noch weiter von Tokio weg als Matsue, etwas das er Mimi unbedingt sagen musste. Bisher wusste nur seine Familie Bescheid, die sich selbstverständlich für ihn freute. Aber wie würde Mimi reagieren? Sie hatte ihm deutlich klargemacht, dass sie ihn in der Nähe haben wollte. Wie sollte er ihr nur beibringen, dass er dieses Versprechen möglicherweise nicht halten konnte? Er blickte in ihr aufgewecktes Gesicht. Ihre Augen lagen liebevoll auf seinen, sodass jedes Wort, dass er sich zurechtgelegt hatte, im Keim erstickte. Er hatte seine Sprache verloren und wusste nicht, wie er sie wiedererlangen sollte. „Vielleicht hast du recht! Wir sollten etwas unternehmen!“, gab er schließlich nach und strich sanft eine braune Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Ach wirklich?“, sie biss sich freudig auf die Unterlippe. „Hat dich meine Euphorie etwa angesteckt oder möchtest du den Nachtisch lieber für heute Abend aufheben?“ „Nachtisch? Sind dir die Wände jetzt etwa doch nicht mehr zu dünn?“, fragte er amüsiert und zog sie noch etwas dichter an sie heran. Doch Mimi schüttelte nur geheimnisvoll den Kopf. „Das wirst du dann heute Abend sehen“, flötete sie unschuldig, drückte sich von ihm weg und stand unweigerlich auf. „Aber jetzt erkunden wir erst Biei.“ Taichi seufzte theatralisch, wusste aber augenblicklich, dass er ihr diesen Wunsch nicht abschlagen konnte. _ „Hey jetzt warte doch mal! Ich bin nicht so schnell“, schnaufte sie erschöpft, während Taichi bremste und von seinem Rad abstieg. „Man, du hast echt keine gute Kondition“, murmelte er leicht genervt, da sie diese Radtour vorgeschlagen hatte. Mimi hatte sich sogar extra noch umgezogen und tauschte ihr luftiges Kleid gegen eine bequeme Hotpans und ein weites gelbes Shirt, dass ihre linke Schulter zeigte. „Ich hätte nicht gedacht, dass hier so viele Hügel sind. Runterfahren geht ja noch, aber hoch. Ich kann nicht mehr“, sie atmete schwer und stieg ebenfalls von ihrem Rad ab, um einen Schluck Wasser zu trinken. Vor ihnen erstreckte sich ein ländlicher Weg, der links und rechts mit bunten Blumenfeldern umrahmt wurde. Sie hatten sich bereits den Eltern-Kind-Baum angesehen. Eigentlich waren es drei Bäume, wovon einer etwas kleiner war als die anderen beiden. Für Taichi war es nichts Besonderes, auch wenn ihn die weite Landschaft faszinierte. Mittlerweile waren sie schon den ganzen Vormittag unterwegs und hatten zufällig ein kleines Nudelsuppenlokal um die Mittagszeit entdeckt gehabt. Nachdem sie sich den Magen vollgeschlagen hatten, bestand Mimi darauf mit den Fahrrädern den Ken und Mary Baum zu besuchen und einige Fotos zu machen. Doch die Motivation seiner Freundin schien bereits nach einer halben Stunde völlig verflogen zu sein, was ihn belustigte. Mimi war noch nie ein Sportass gewesen und tendierte dazu bei körperlicher Anstrengung oftmals zu Meckern. Auch heute war es mal wieder soweit, allerdings hatten sie noch einen weiten Weg vor sich, weshalb Taichi hoffte, dass sie sich dennoch zusammenriss. „Ich glaube, ich will wieder ins Hotel. Lass uns morgen mit dem Bus hinfahren“, nörgelte sie und setzte ihre Flasche wieder ab, bevor sie sie wieder in ihrer Tasche verstaute. „Das war doch deine Idee gewesen und wenn wir dem Weg folgen, sind wir in einer halben Stunde da“, informierte Taichi sie und deutete in die Richtung, die sie gewählt hatten. „Aber meine Beine tun jetzt schon weh. Ich komme niemals zurück“, jammerte sie und stützte sich an ihrem Lenker ab. „Tja, dann müssen wir wohl im Feld schlafen“, meinte Taichi schulterzuckend und stieg wieder auf. Überrascht riss Mimi die Augen auf. „Was? Ganz sicher nicht! Hey, du kannst doch nicht einfach weiterfahren!“ Er hörte ganz genau wie seine Freundin hinter ihm zu fluchten begann und ebenfalls wieder versuchte auf ihr Rad zu steigen. Zufrieden trat er in die Pedale, machte allerdings langsam, sodass Mimi ihn problemlos wieder einholen konnte. „Man Taichi, das ist gemein! Du kannst mich doch nicht einfach zurücklassen!“, beschwerte sie sich lauthals und schien langsam wieder zu ihrer alten Form zurückzukehren. „Was denn? Ich motivierte dich doch nur!“, erwiderte er grinsend und beide radelten nebeneinander her. Die hügelige Strecke wisch einer geraden Straße, neben der ein Radweg verlief. Das ländliche Flair entfaltete sich, je weiter sie kamen. Die Landstraße war eher ruhig und nur wenige Autos fuhren an ihnen vorbei. Vereinzelt fand man einige Häuser, die jedoch unbewohnt schienen, aber dennoch von der Gemeinde gut gepflegt wurden. Hochhäuser suchte man hier vergeblich und die klare saubere Luft durchströmte Taichis Lungen, die sich schon an den Smog Tokios gewöhnt hatten und jetzt erst richtig auflebten. Ja, das Landleben sprach schon deutlich für sich. Es war ruhig und äußerst belebend. Etwas, dass in Tokio aufgrund der städtischen Hektik kaum möglich war. „Komm lass uns ein Wettrennen veranstalten. Wer zuerst bei dem Schild dahinten ist“, schlug Taichi vor und ließ sich von seinem kindlichen Ehrgeiz mitreißen. Er deutete auf das Schild und wartete erst gar nicht auf Mimis Einwilligung, sondern fuhr ungestüm wie immer los. „Hey, warte! Das sind unfaire Voraussetzungen“, brüllte Mimi ihm nach und trat ebenfalls in die Pedale. Doch Taichi spürte auf einmal die pure Lebensfreude durch seinen Körper strömten. Er war sich nämlich sicher, dass er sich an das ländlichere Leben durchaus gewöhnen könnte. _ „Oh man, morgen spüre ich meine Beine nicht mehr“, meckerte Mimi und schlüpfte in ihren luftigen Yukata. Taichi kramte bereits seine Badesachen zusammen und freute sich darauf seinen müden Knochen etwas Wärme zu gönnen. Nachdem sie tatsächlich bei dem Ken und Mary angekommen waren und einige Erinnerungsfotos geschossen hatten, war der Rückweg tatsächlich mühsamer als erhofft. Auch er hatte den Weg ganz schön unterschätzt gehabt und war froh als sie vor einer Stunde das Hotel erreicht hatten. Zwar hatte Mimi mit dem Fluchen immer noch nicht aufgehört, doch allein schon der Gedanken den Abend im Onsen ausklingen zu lassen, war einfach himmlisch. Sie hatten zuvor noch eine Kleinigkeit zu Abend gegessen und machten sich danach voller Vorfreude gemeinsam auf den Weg zum Badebereich. Vor der Umkleide trennten sich ihre Wege jedoch, da es üblich war, sich vorher zu säubern, bevor man die heiligen Quellen betrat. Taichi war noch nicht so oft in einem Onsen gewesen, weshalb die strengen Verhaltensregeln ihn immer noch verwunderten und er ebendiese doch als sehr veraltet ansah. Allerdings besaß dieses Badehaus eine Besonderheit, die in vielen Onsen eher unüblich war. Zwar waren die Umkleiden und Duschkabinen getrennt, aber der Badebereich an sich war sowohl für Männer als auch für Frauen freigegeben, weshalb Taichi auch hier die Zeit mit Mimi verbringen konnte. Deswegen hatten sie auch nur eine kurze Mahlzeit gewählt, da während des Abendessens der Badebereich recht leer sein müsste und für ungestörte Stunden zu zweit perfekt geeignet wäre. Daher beeilte sich Taichi, auch wenn das gründliche Waschen nicht zu kurz kommen durfte. Deswegen sprang er unter die Dusche und seifte sich sorgsam ein. Wie er erwartet hatte, war kein weiterer Mann im Duschbereich zu sehen, da der Rest sich wohl noch beim Abendessen befand. Das warme Duschwasser traf seinen erschöpften Körper und erfrischte ihn zusehends. Schnell brauste er den restlichen Schaum ab, stieg aus dem Duschbereich und trocknete sich großzügig ab, bevor er sein Handtuch um seine Hüften schlang. Danach bewegte er sich zielstrebig auf den Eingangsbereich der heißen Quellen zu. Er öffnete die Milchglastür und entdeckte auch schon Mimi, die sich die Haare zusammengebunden und zu einem Dutt hochgesteckt hatte. Auch ihren zierlichen Körper hatte sie mit ihrem Handtuch verhüllt. „Wow hier ist ja kaum was los“, stellte sie fest und schritt auf ihn zu. Tatsächlich befanden sich im Innenbereich des Bades nur fünf weitere Gäste, die die heißen Quellen genossen und ihnen keinerlei Beachtung schenken. „Ja, und wir scheinen den Altersdurchschnitt wirklich enorm anzuheben“, ergänzte Taichi, nachdem er festgestellt hatte, dass tatsächlich nur Rentner im Innenbereich des Bades befanden. Doch das eigentliche Highlight war die Quelle im Außenbereich des Badehauses, auf die beide schon zuvor ein Auge geworfen hatten. „Lass uns nach draußen gehen“, forderte ihn Mimi ohne Zögern auf und ergriff sofort seine Hand, um ihn nach draußen zu führen. Taichi ließ sich nicht beirren und folgte ihr ohne Bedenken. Sie erreichten wieder eine Glastür, die diesmal zum Außenbereich führte. Mimi drückte sie auf und Taichi staunte nicht schlecht welcher Anblick sich vor ihm bot. Das Becken war von Natursteinen umrandet und versprühte eine rustikale Atmosphäre. Auch die farbenfrohe Landschaft erstreckte sich vor ihnen und wurde in sanftes Mondlicht gehüllt, dass die verschiedenen Blumen dennoch hervorhoben. Es fühlte sich beinahe so an, als würden sie sich einfach mitten in den Bergen befinden. „Komm, lass uns reingehen“, flüsterte Mimi ihm zu und führte ihn zu den Steintreppen, die ins warme Wasser führten. Kurz darauf ließ Mimi seine Hand los und entledigte sich ihrem Badetuch, dass sie sachte am Beckenrand deponierte. Danach wandte sie ihr Gesicht zu ihm und schenkte ihm ein Lächeln über die Schulter hinweg. Taichi staunte nicht schlecht als er ihre Rückansicht betrachtete. Es war sicher nicht das erste Mal, dass er seine Freundin nackt sah, aber dieser verführerische Blick und diese wohlgeformten Pobacken…Gott er musste sich beherrschen! Sie befanden sich doch in der Öffentlichkeit! Er schluckte schwerfällig und bewegte sich ebenfalls leichtfüßig zum Becken. Mimis makelloser Körper tauchte in das warme Wasser ein und ein befreiender Seufzer löste sich von ihren Lippen, ehe sie ihren Kopf genüsslich in den Nacken legte. „Oh das Wasser ist herrlich“, säuselte sie und bewegte sich anmutig zum Beckenrand, während Taichi sachte sein Handtuch beiseitelegte und langsam das warme Wasser auf seiner Haut spürte. Er ging vorsichtig zu ihr, doch Mimis Blick war bereits zum Himmel richtet, der mit Sternen bedeckt war. „Wow, in Tokio sieht man sie nie so klar“, flüsterte sie ehrfürchtig. „Naja, das liegt am ganzen Smog, da muss man viel Glück haben, um überhaupt etwas zu erkennen.“ „Das stimmt leider, schade das wir nur das Wochenende über hier sind“, meinte sie enttäuscht und richtete ihre hellbraunen Augenpaare wieder zu Tai, der die Wehmut in ihrer Stimme klar erkennen konnte. Vorsichtig näherte er sich ihr und legte zärtlich die Arme um sie. „Vielleicht können wir nächstes Jahr wieder hinfahren“, schlug er unüberlegt vor. Nächstes Jahr war noch eine Ewigkeit hin und er hatte gar keine Ahnung wie sein Leben als zukünftiger Student aussehen würde. Wahrscheinlich müsste er immer noch mit Geldsorgen kämpfen und hatte überhaupt keine finanziellen Mittel um solche Versprechungen überhaupt in den Mund zu nehmen. Dennoch wollte er ihr eine gemeinsame Zukunft aufweisen, auch wenn sie möglicherweise bald eine Fernbeziehung führen mussten. Eine Tatsache, die Mimi immer noch nicht wusste und wie ein dunkler Schatten an seinen Schultern haftete. „Nächstes Jahr ist noch weit entfernt. Ich möchte lieber das hier und jetzt genießen“, antwortete sie mit rauer Stimme und drehte sich ihm zu, sodass sich ihre Oberkörper sanft berührten. „Ich möchte nämlich nicht, dass diese Zeit hier endet. Alles soll so bleiben wie es ist.“ Taichi schluckte schwer und die Schwere in seiner Brust wurde auf einmal unerträglich. Es war ein einfacher Wunsch – fast schon ein wenig banal. Aber dennoch nachvollziehbar. Warum sollte man etwas ändern, dass sich so gut anfühlte wie dieser Moment? Wehmütig verschränkte er die Arme hinter ihrem Rücken und bemerkte, wie sie ihr Gesicht gegen seine Brust drückte. Er hingegen presste seinen Rücken gegen die massive Steinwand, die ihm signalisierte, dass ein Entkommen unmöglich war. Es war an der Zeit die Wahrheit zu offenbaren. Wohlwissend diesen innigen Moment von der einen auf die andere Sekunde zu zerstören. Daher fuhr er sich mit der Zunge über seine rauen Lippen und erschrak etwas als er seine eigene Stimme vernahm. Doch er hatte keine andere Wahl. Ihm blieb keine weitere Abzweigung. Er konnte nur noch gerade ausgehen. „Mimi, ich muss dir etwas sagen.“ Kapitel 54: Die Stunde der Wahrheit – Teil 2 -------------------------------------------- ♥ Mimi ♥ Warum konnte die Zeit in entscheidenden Momenten des Lebens nicht einfach stehen bleiben? Sie lag hier, hatte den Kopf sanft auf seinen Schoss gebettet und lauschte seiner wohltuenden Stimme. Der Schmerz, der ihr Herz beschwerte, versuchte sie konsequent zu ignorieren. Es war ihr letzter Abend in Japan. Der letzte Abend, den sie vor ihrer Abreise mit ihm verbringen durfte. Sie hatten sich im Park getroffen, ganz in der Nähe seines Wohnhauses. Gemeinsam hatten sie eine große Decke ausgebreitet und betrachteten den dunkeln Nachthimmel, der kaum Sterne zierte. „Schade, dass man die Sterne hier nicht erkennen kann“, murmelte sie enttäuscht. „Sag ja nicht, dass man sie in New York erkennen könnte!“, entgegnete er belustig und fuhr durch ihre langen braunen Haare. Dieses Gefühl, dass er dabei hinterließ konnte sie kaum in Worte fassen, da es sich einfach unbeschreiblich schön anfühlte. Es war so als würde sie auf Wolken schweben. Jede Berührung von ihm löste wohlige Schauer aus und ließ ihr Herz höherschlagen sowie Schmetterlinge in ihrem Bauch wild umhertanzen. Unweigerlich legte sich ein zufriedenes Lächeln über ihre rosigen Lippen, die nur sehnsüchtig darauf warteten endlich wieder von ihm geküsst zu werden. Doch je länger sie in dieser innigen Position verharrten, desto schmerzhafter wurde die Vorstellung des baldigen Abschiedes. „Ich wünschte, ich könnte einfach hierbleiben“, sprach sie aus und erregte somit seine erneute Aufmerksamkeit. „Aber dann würden deine Eltern dich doch ganz schön vermissen“, stellte er fest, bevor sie sich aufrichtete und ihm durchdringend in die Augen blickte. „Du würdest mich doch auch vermissen. Und so wie es aussieht darf ich erst wieder in den Winterferien nach Japan kommen.“ Enttäuscht blickte sie zu Boden und konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum sie nicht auch in während Thanksgiving ihre Freunde besuchen durfte. Sicher hätten ihre Großeltern nichts dagegen, aber ihre Mutter stellte sich mal wieder quer, nachdem das letzte Familienessen mal wieder in einem unnötigen Streit endete. „Aber wir hätten im November sowieso Schule und bis Dezember wäre es dann auch nicht mehr allzu lange“, versuchte Taichi sie aufzuheitern. Doch Mimi sah nur die Distanz, die zwischen ihnen herrschen würde. New York war eben kein Katzensprung und auch wenn Taichi sich scheinbar keine Sorgen machte, hatte Mimi ein unwohles Gefühl in der Magengegend. Sie hatte sich zum ersten Mal verliebt und das so richtig. Das Letzte was sie wollte, war von ihm getrennt zu werden. Plötzlich bemerkte sie, wie in ihren Augen die Tränen aufstiegen. „Hey“, kam es von Taichi sofort, der behutsam ihr Gesicht erfasste. „Du brauchst nicht zu weinen. Wir können doch Skypen und uns schreiben. Da geht die Zwischenzeit bestimmt schnell rum.“ Er hatte wirklich leicht reden. Vergaß er etwa, dass die Zeitverschiebung es ihnen doppelt schwermachte? „Glaubst du wirklich, dass es mit der Zeitverschiebung so einfach wäre? Wenn es bei mir morgen ist, ist es bei dir Abend. Wie soll das funktionieren?“ Die Hysterie war in ihre Stimme gefahren und ließ sie brüchig und schwach werden, sodass sie gegen ihre eigenen Emotionen ankämpfen musste. Ihre aufkommenden Tränen brannten in ihren Augen, sodass eine einsame Träne sich löste und ihre Wange hinunterrann. Entsetzt weiteten sich ihre Augen. So hatte sie sich den letzten Abend mit Taichi definitiv nicht vorgestellt! Sie wollten doch ihre letzten gemeinsamen Momente miteinander genießen und jetzt fing sie einfach so an zu weinen und verdarb damit die romantische Stimmung, die vor wenigen Minuten noch geherrscht hatte. „Tut mir leid“, schniefte sie und versuchte sich aus seinem Griff zu befreiten, doch er ließ sie einfach nicht los. Im Gegenteil. Augenblicklich und unvermittelt zog er sie noch näher an sich heran, ehe sie seinen herben Duft vernahm, der ihre Wehmut noch mehr verstärkte. Doch dann fuhr er mit seinen starken Händen beschützend über ihren schmalen Rücken, sodass sie sich vollkommen fallen lassen konnte. Sie drückte ihn näher an sich heran und ließ ihren Emotionen freien Lauf, auch wenn sie bemerkte, dass seine liebevolle Geste sie allmählich zu beruhigen schien. Ihre Tränen waren immer noch da, doch seine bestimmte Umarmung zeigte ihr, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine war. Beiden stand der dornige Weg einer unfreiwilligen Trennung bevor. „Wir werden das schon hinbekommen“, versicherte er ihr flüsternd. „Okay?“ Mimi nickte nur schwach und drückte sich noch näher gegen seine breite Brust. „Okay.“ _ Erschrocken öffneten sich ihre Lider und Tränen rannen bedingungslos über ihre Wangen. Die Realität hatte sie eingeholt. Der Traum, den sie glaubte zu leben, war geplatzt. Schwerfällig drehte sie sich zur Seite und erkannte Taichis Rückansicht. Er atmete gleichmäßig und schien immer noch seelenruhig zu schlafen, etwas das Mimi nicht behaupten konnte. Mimi hatte die halbe Nacht wach gelegen und über ihre Situation gegrübelt. Sie war einfach so enttäuscht und wütend gewesen, sodass sie sogar die beiden Futons auseinandergezogen und mit Taichi kein einziges Wort mehr gewechselt hatte. Wie konnte er ihr sowas nur antun? Wieso hatte er ihr seine Zusage verschwiegen? Dachte er ernsthaft, dass den Mund zu halten und vor der Realität zu entfliehen es einfacher machte? Gott, sie war so wütend auf ihn! Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, doch vor lauter Schock hatte es ihr die Sprache verschlagen. Völlig perplex hatte sie sich gestern von ihm gelöst und das Bad hektisch verlassen, bevor sie sich in ihrem gemeinsamen Zimmer verkroch. Taichi selbst kam erst eineinhalb Stunden später hoch, doch Mimi ignorierte ihn und hatte das innerliche Bedürfnis auf der Stelle nach Tokio zurückzukehren. Doch sie wusste, dass dieses überstützte Handeln sie ganz sicher nicht weiterbringen würde. Erschöpft quälte sie sich aus ihrem Futon und kramte hier Handy hervor, dass sie in ihren Rucksack gesteckt hatte. Angestrengt prüfte sie ihre Nachrichten. Wusstest du, dass Taichi in Matsue angenommen wurde? Sie hatte diese SMS an Sora geschickt, um herauszufinden, ob sie die Letzte war, die von dieser Lebensveränderteren Neuigkeit herfuhr. Erneut sammelten sich Tränen in ihren Augen als sie die Antwort von Sora öffnete. Was? Nein, davon hat er mir nichts erzählt! Aber das ist doch super! Endlich hat er einen Platz bekommen! Verbitterung stieg in ihr hoch, während sie eine Nachricht zurücktippte. Wie konnte Sora nur so naiv sein? Wusste sie denn nicht, wie weit Matsue von Tokio entfernt war?! Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. War sie wirklich so selbstsüchtig? Konnte sie sich denn gar nicht für Taichi freuen? Aber warum musste es ausgerechnet Matsue sein? Wie sollte sie das nur überstehen? Verzweifelt legte sie das Handy beiseite und wartete erst gar nicht auf Soras Antwort, da sie sich denken konnte, was sie auf ihre SMS zurückschreiben würde. Bestimmt hielt sie sie für vollkommen hysterisch. Doch eine räumliche Trennung von Tai? Das hatte sie schon so oft hinter sich! Mittlerweile war sie es leid geworden! Sie waren doch so glücklich! Zusammen in Tokio. Unweigerlich kam ihr sein Wunschzettel in den Sinn, den sie heimlich an Tanabata gelesen hatte. Verbittert verzog sie das Gesicht und versuchte diese Erinnerung schnellstmöglich zu verdrängen, indem sie ruckartig aufstand und nach ihren Sachen kramte. Ohne länger zu überlegen, schnappte sie sich ihre Klamotten und verschwand aus dem gemeinsamen Zimmer. _ Sie betrachtete den Teller, den ihre Mutter ihr auf den Schreibtisch gestellt hatte. Sie hatte sich heute mal wieder besonders viel Mühe gegeben und extra Reis mit Gemüse für sie gekocht. Eines ihrer Leibspeisen, doch ihre Appetitlosigkeit quälte sie schon seit Wochen. Je länger sie den Teller betrachtete, desto üblerer wurde es ihr. Frustriert schob sie ihn beiseite und widmete sich ihren Hausaufgaben. Ihr Bauch zog sich schmerzhaft zusammen und grummelte laut auf, sodass sich Mimi kaum konzentrieren konnte. Die letzten Wochen waren für sie kaum auszuhalten. Sie vermisste ihre Freunde, ihre Großeltern und vor allem ihn. Solche Gefühle hatte sie noch nie für einen Menschen empfunden gehabt und sie hätte nie erwartet, dass ausgerechnet Taichi Yagami dieser besondere Mensch war, der bei ihr solche Gefühle auslösen würde. Dennoch war der Schmerz unerträglich geworden. Je öfter sie mit ihm skypte, je öfter sie sein Gesicht sah, je öfter ihr bewusstwurde, dass sie so weit voneinander entfernt waren, desto schlimmer wurde es. Sie hatte erneut mehrere Kilo innerhalb weniger Wochen verloren, weil sie einfach nichts mehr runter bekam und der Liebeskummer ihr Herz bedingungslos erschwerte. Er fehlte in ihrem Leben. Ihr Blick war starr auf ihr Schulheft gerichtet und ihre Finger versteiften sich um ihren Kugelschreiber. Der Geruch von gebratenem Reis stieg ihr unweigerlich in die Nase und ließ die Übelkeit in ihr aufsteigen. Doch sie konnte es nicht schon wieder stehen lassen. Langsam hatte ihre Mutter bereits bemerkt, dass sie abgenommen hatte und kaum noch etwas aß. Deswegen betrieb sie diesen ganzen Aufwand doch erst! Sie wollte, dass es ihr wieder besserging, allerdings war das natürlich leichter gesagt als getan. Wie sollte sie die Sache mit Taichi hinter sich lassen? Der Abschied im Januar war für einfach unerträglich gewesen. Zu wissen, dass sie ihn erst in den Sommerferien wiedersehen würde, fraß sie innerlich auf. Auch die Tatsache, dass in wenigen Wochen Valentinstag war und sie mit dem Menschen, den sie liebte, nicht zusammen sein konnte, trübte ihre Stimmung gewaltig. Sie fühlte sich einfach verloren. Sie war in New York, einer Traumstadt, aber dennoch fühlte sie sich hier nicht länger heimisch. Sie wollte einfach nur noch zurück! Plötzlich vibrierte ihr Handy und riss sie aus ihren Gedankengängen. Mimi schielte auf das Display und sah, dass sie eine Nachricht von ihrem Freund Michael bekommen hatte. Bedacht öffnete sie seine SMS. Hey Mimi, ich wollte ins Kino gehen. Lust mitzukommen? Du darfst auch den Film aussuchen! Mimi lächelte als sie seine Kurzmitteilung gelesen hatte. Michael war der erste Freund, den sie in New York getroffen hatte. Er war in den letzten Wochen immer für sie da gewesen und wusste wie er sie aufheitern konnte. Immer wenn sie mit ihm zusammen war, konnte sie ihr eigenes Gefühlschaos für einen kurzen, aber bedeutungsvollen Moment hinter sich lassen. Daher wusste bereits, was sie ihm antworten würde. _ Nach dem Frühstück hatte sie sich alleine auf den Weg zu den Blumenfeldern gemacht, um ein bisschen Zeit zum Nachdenken für sich zu finden. In ihrem Kopf herrschte das reinste Chaos und sie hatte fast schon das schlechte Gewissen verdrängt, dass sie gegenüber Taichi hatte, weil sie auf eigene Faust aufgebrochen war. Er wusste nicht, wohin sie unterwegs war, aber das war ihr auch ganz lieb so. Sie konnte ihm im Moment nicht unter die Augen treten, ohne in Tränen auszubrechen. Mit dieser vermeintlichen Trennung hatte sie nicht gerechnet gehabt. Sie war fest davon überzeugt gewesen, dass ihn eine Universität in der Nähe schon aufnehmen würde. Sie hatte sich überhaupt keine Gedanken darübergemacht, was wäre, wenn Taichi tatsächlich umziehen müsste. Genau genommen hatte sie diesen schmerzvollen Gedanken immer weit von sich weggeschoben. Mimi wollte nicht wahrhaben, dass irgendwas ihre Liebe in nächster Zeit erschüttern könnte. Eine Fernbeziehung war für sie das Schlimmste, was ihr je passieren konnte. Auch wenn sie damals gar nicht zusammen waren, konnte sie sich noch gut daran erinnern, wie sich die Trennung von ihm anfühlte. Dass sie jetzt in einer Beziehung waren, würde es sicher nicht einfacher machen. Wahrscheinlich konnten sie sich noch nicht mal jedes Wochenende sehen, weil sie mit Lernen beschäftigt waren und Taichi bereits gesagt hatte, dass er neben dem Stipendium noch einen Nebenjob bräuchte, um sich über Wasser zu halten. Wo sollte da noch Platz für sie sein? Was wäre, wenn sie sich wieder wegen der Distanz auseinanderleben würden? Verzweifelt steuerte sie auf eines der Felder zu, dass sie magisch anzog. Das helle Blau ersteckte sich vor ihren Augen und trieb ihr die Tränen in die Augen. Vergissmeinnicht. Soweit das Auge reichte. Doch ihre Gedanken drehten sich nur um ihn und ihre gemeinsame Zukunft, die allerdings in weite Ferne gerückt war. _ Tränenüberströmt saß sie im Badezimmer und wusch sich erneut über den Mund. Der Geschmack von Erbrochenem benetzte ihre Zunge und trieb die Übelkeit erneut nach oben. Ruckartig drehte sie sich erneut zur Toilette und spürte wie die ätzende Flüssigkeit ihren Hals hochwanderte. Lautstark würgte sie und hielt sich krampfhaft an der Kloschüssel fest, in die sie sich schon zum zweiten Mal übergab. Es dauerte einige Sekunden bis sie sich wieder gefangen hatte. Kraftlos erhob sie sich langsam und fuhr mit der flachen Hand über ihre feuchten Lippen. Der Gestank war unerträglich, weshalb sie sofort die Spülung betätigte und sich danach gegen die Wand drückte. Hilflos zog sie die Beine an und bettete ihren viel zu schweren Kopf auf ihren Knien. Die Realität schien immer mehr zu verschwimmen, dennoch hallte die klare Stimme ihrer Freundin Sora immer noch in ihrem Kopf nach. Taichi hat auf einer Party mit einem anderen Mädchen geschlafen. Er hat es Yamato erzählt, aber mehr konnte er aus ihm auch nicht rausbekommen. Es tut mir so leid, Mimi. Wütend drückte sie ihre Schneidezähne in ihr Lippenfleisch und konnte immer noch nicht fassen, was Sora ihr anvertraut hatte. Er hatte mit einer anderen geschlafen? Nach all dem, was sie zusammen erlebt hatten? Welche Gefühle bei ihnen im Spiel waren? Wollte er sie etwa nur verarschen? Er konnte mir ihr nicht schlafen, aber suchte sich dann die Nächstbeste? Gott, sie war so dumm gewesen! So unfassbar dumm! Sie hatte jemandem ihr Herz geschenkt, der es ihr einfach gebrochen hatte. Und jetzt hatte sie sich an den Scherben dieser verblassten Liebe auch noch geschnitten! Und dieser Schnitt war tiefgehend. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so gedemütigt gefühlt. Sie war austauschbar. Nichts Besonderes. Für keinen. Michael hatte sie nur benutzt, um seine Neigungen zu verstecken. Und Taichi? Er hatte ihr etwas vorgemacht. Die große Liebe vorgespielt, die niemals existiert hatte. Alles war eine einzige Lüge. Sie war es nicht wert, geliebt zu werden! Diese Erkenntnis traf sie wie einen Schlag in die Magengrube. Weinerlich roch sie wieder zur Kloschüssel und konnte ihren eigenen Körper nicht länger kontrollieren. Es fühlte sich so an, als hätte er ein Eigenleben entwickelt. Als würde sie die Handlungen ihres Leibes nicht eigenständig ausführen, sondern von einer unerfindlich starken Macht geführt werden. Ohne groß zu überlegen, führte sie ihre Finger zu ihrem Mund und fuhr über ihre rauen Lippen, die aufgeplatzt waren. Sie öffnete den Mund und schob zwei Finger hinein, bis sich der Würgereiz erneut meldete. Es war nicht das erste Mal, dass sie es tat. Und sie wusste, dass es falsch war. Doch manchmal war gerade der falsche Weg, der Einzige, der sich in der Dunkelheit zeigte. _ Sie wusste nicht, warum ausgerechnet jene Erinnerungen ihr den Kopf vernebelte. Vielleicht weil sie an jenem Tag an ihrem Tiefpunkt angelangt war. Vielleicht auch, weil sie an jenem Tag ausgerechnet von ihrer Mutter erwischt wurde und sie ihr Verhalten nicht länger verstecken konnte. Es war eine dunkele Phase in ihrem Leben, die sie ohne ihre Mutter nie alleine überstanden hätte. Sie hatte es selbst wieder hinbekommen, auch wenn das nicht einfach war. Aber sie befand sich wohl erst am Anfang einer Essstörung, weshalb es möglich war sich wieder zu fangen. Mittlerweile hatte sie wieder ein gesundes Verhältnis zum Essen entwickelt, aber dennoch blieben die Erinnerungen an diese Zeit bestehen. Doch was, wenn ihre Vergangenheit sich in ihre Zukunft verwandeln würde? Sie schluckte und sah sich betrübt um. Mimi saß in mitten der zahlreichen Vergissmeinnichte und spürte die warme Sonne auf ihrer blassen Haut. Was sollte sie nur tun? So machen als würde es ihr nichts ausmachen, nur um sich selbst zu belügen? Sollte sie ihn beten, das Stipendium auszuschlagen, weil sie Angst hatte, dass ihre junge Beziehung diese Hürde nicht überstehen würde? Nein. Sowas konnte sie nicht von ihm verlangen. Nicht nachdem sie wusste, wie sehr er sich dieses Studium wünschte. Verzweifelt zog sie ihre Beine an und fand ich im unendlichen Sog ihrer eigenen Empfindungen wieder, die ihr jeden klaren Gedanken raubten. Daher bemerkte sie auch nicht die leisen Schritte, die immer näherkamen. Erst als er direkt vor ihr stehen blieb und seine markante Stimme ertönte, erkannte sie das sie nicht länger alleine war. „Ich wusste doch, dass ich dich hier finde“, murmelte er sanft. Mimi lächelte gequält und schielte kurz zu ihm rüber. „Anscheinend bin ja ziemlich durchschaubar.“ Ihre Stimme war tränenverhangen und es fiel ihr unsagbar schwer sich tatsächlich vor ihm zusammenzureißen. Doch solange sie ihm nicht direkt in die Augen schaute, konnte sie ihre eiserne Fassade weiterhin aufrechterhalten. „Tut mir leid, ich hätte es dir sagen sollen“, erwiderte er schuldbewusst und setzte sich mit Abstand neben sie. Mimi reagierte kaum, sondern lauschte einfach seiner Stimme. „Ich hatte die ganze Zeit gehofft, dass ich noch eine Zusage hier in der Nähe bekomme, aber anscheinend wollten die mich alle nicht“, erklärte er verbittert. „Ich wollte es dir nicht verheimlichen, aber ich weiß auch, dass es dich beschäftigt hätte. Und dir gehen doch zurzeit so viele Sachen durch den Kopf. Außerdem wollte ich, dass diese Tatsache die Stimmung zwischen uns nicht trübt.“ Sie drückte ihr Gesicht auf ihre Knie und bemerkte, dass er auch wohl Angst gehabt haben musste. „Also dachtest du, dass es besser wäre nichts zu sagen? Wann hättest du es mir denn erzählt? Wenn du kurz vor der Abreise stehst?“, fragte sie verzweifelt. „Nein, natürlich nicht, aber ich…“ „Du hattest einfach nicht genug Mut! Weil du genau wusstest, dass sich zwischen uns etwas verändern würde.“ „So ein Quatsch. Was soll sich denn zwischen uns verändern?“, stellte er die Gegenfrage und schien allmählich unruhig zu werden. Mimi hingegen fühlte sich auf einmal sehr leer und eine zunehmende Gleichgültigkeit stieg in ihr auf. Jetzt konnte sie sowieso nichts mehr ändern. „Glaubst du wirklich, dass wir eine Fernbeziehung durchhalten?“ „Was?“ Auch wenn sie sein Gesicht nicht sehen konnte, spürte sie förmlich sein blankes Entsetzen. „Du weißt, was wir in der Vergangenheit alles durchgemacht haben…du kannst mir nicht sagen, dass du keine Bedenken hast.“ „Wovon redest du da nur Mimi? Glaubst du ernsthaft, dass wir deswegen Schluss machen? Das ist das Letzte, was ich will“ Zitternd presste die ihre Lippen aufeinander als plötzlich warme Tränen unkontrolliert über ihre Wangen rannen. „Fragst du mich auch mal, was ich will? Glaubst du ernsthaft, dass wir eine Fernbeziehung durchstehen können? Bist du so naiv?“ „Sag mal spinnst du jetzt total?“, brüllte er sie an und griff nach ihrem Arm, doch Mimi weigerte sich, aus ihrer Starre zu lösen. „Lass das Tai! Lass mich los“, zischte sie, ohne groß den Kopf anzuheben. „Nein, das ist das Letzte, was ich tun werde! Wir können das schaffen!“, meinte er überzeugend. Doch Mimis Zweifel waren groß. Fast schon massiv. „Ach ja? Und was macht dich da so sicher?“, schrie sie und hob augenblicklich ihren Kopf an, sodass er ihren Schmerz anhand ihres Gesichtes ablesen konnte. Ihre Augen waren geschwollen und blickten in sein erstarrtes Gesicht. Er schien keinen Augenblick zu überlegen, bevor er ihr eine eindeutige Antwort lieferte. „Na, weil ich dich liebe! Das ist doch klar!“ Sprachlos starrte sie ihn an, während ihre Tränen lautlos über ihre Wangen wanderten. Nur sehr langsam konnte sie die tatsächliche Bedeutung seiner Worte verarbeiten. Hatte er etwa? Nein! Das konnte nicht wahr sein. „Was?“, brachte sie nur perplex zu Stande. Er hingegen ließ sich nicht länger beirren und zog sie näher an sich heran, sodass sie seinen erhitzten Körper neben sich deutlich wahrnehmen konnte. „Ich weiß, dass du Angst hast, aber diese Angst ist unbegründet“, erwiderte er liebevoll und streichelte zärtlich über ihre geröteten Wangen. „Wir können das schaffen! Damals waren wir noch Kinder gewesen und auch viel weiter voneinander entfernt. Aber ich weiß, was ich will und vor allem mit wem ich meine Zukunft verbringen will. Und das bist ganz allein du, Mimi.“ „Aber…“ „Es gibt kein Aber. Ich liebe dich und will mit dir zusammen sein, auch wenn ich in Matsue oder sonst wo studieren werde. Wir werden das hinbekommen“, versicherte er ihr aufrichtig und strich gefühlvoll über ihre Nasenspitze. „Tai…ich liebe dich auch und ich möchte auch, dass wir das schaffen“, gab sie zu, auch wenn erneut das Aber in ihrer Stimme lag. Doch ihre Zweifel wurden sofort von ihm unterbunden, indem er da Wort übernahm. „Wir werden das auch schaffen. Ich glaube an uns und alles andere ist unwichtig. Es wird sicher nicht leicht werden, aber ich bin bereit diesen Weg zu gehen. Mit allem was dazu gehört.“ Vollkommen sprachlos starrte sie ihn an und konnte sich lediglich zu einem Nicken abringen, bevor er sie in eine liebevolle Umarmung zog und sie so fest an sich drückte, dass sie ihm jedes Wort glaubte. Vielleicht war sie einfach ein Pessimist. Sie hatten es ja noch nicht mal versucht. Dennoch blieben ihre Zweifel bestehen, auch wenn sie diesen Moment durchaus genoss. Es war das erste Mal, dass er ihr seine Liebe gestanden hatte. Direkt und unverblümt. Ihre Gefühle waren aufrichtig und beruhten auf Gegenseitigkeit, weshalb sie diese Chance nicht verstreichen lassen konnte. Manchmal war es einfacher, etwas zu beenden, bevor der Schmerz einen einholen konnte. Jedoch war der Schmerz manchmal das Einzige, dass einem zeigte, was man nie wieder loslassen wollte. Und Liebe konnte bekanntlich Berge versetzten, wenn man daran glaubte. Gemeinsam saßen sie eine Zeitlang im Vergissmeinnichtfeld, indem sie sich ein Versprechen gaben. Ein Versprechen, dass ihre gemeinsame Zukunft besiegeln sollte. Kapitel 55: Wohnungssuche in Matsue ----------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Sieht recht geräumig aus“, meinte seine Mutter und wanderte durch die kleine Studentenwohnung, die sich in der Nähe der Shimane Universität befand, die sie im Anschluss besuchen wollten. Auch wenn er von der langen Fahrt noch sehr müde war, konnte er es kaum erwarten, sein Studentenzimmer näher zu inspizieren, dass er bisher nur auf Fotos im Internet gesehen hatte. Der Neubau wurde vor einem guten Monat eingeweiht, weshalb Taichi sich problemlos auf ein Zimmer bewerben konnte. Auch das die Universität eher eine geringere Studentenzahl aufwies, kam ihm letztlich zum Vorteil, da er die Wartelisten von den Studentenwohnheimen in Tokio nur allzu gut kannte. Joe hatte ihm schon einige Horrorgeschichten erzählt und auch sein Tutor Hideyoshi konnte nur bestätigen, dass es gerade in Tokio selbst lange dauern konnte, bis man ein anständiges Zimmer gefunden hatte. Doch hier in Matsue war es doch leichter gewesen als er es erwartet hatte. „Ich hätte nicht gedacht, dass das erste Zimmer schon so toll sein würde“, erwiderte er und ging durch den leeren, sehr hellen Raum. Die Wände waren weiß und das große Fenster schenkte dem Raum eine angenehme Tageslichtquelle. In der Ecke befand sich eine kleine Kochnische, die jedoch alles beinhaltete, was er zum Leben benötigte. Einen Kühlschrank, zwei Herdplatten und eine winzige Arbeitsfläche, um Lebensmittel ausreichend zubereiten zu können. Einzig ein Herd fehlte, doch diesbezüglich hatte seine Mutter schon die perfekte Idee parat. „Wir können dir ja unseren kleinen Backofen mitgeben. Meine Eltern haben ihn uns geschenkt als wir in unsere erste Wohnung gezogen sind. Ich glaube, sie war damals auch nicht viel größer gewesen als diese hier“, sie lächelte verschmitzt und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche. „Klingt echt toll“, antwortete Taichi begeistert und hatte immer noch nicht alle Eindrücke verarbeitet, die auf ihn niederprasselten. Neben dem großzügig geschnittenen Raum, indem auch die kleine Küche integriert war, befand sich direkt neben dem Eingang ein praktisch eingerichtetes Bad mit Dusche, dass er sich zum Glück nicht mit anderen Studenten teilen musste. Auch das seine Mutter ihn heute begleitet hatte, machte ihn sehr glücklich. Es war mitten in der Woche, weshalb er auch schlecht Mimi oder jemand anderen Fragen konnte. Genau genommen hatte er noch nicht mal seine Mutter gefragt, sondern sie kam auf ihn zu und bot an als Beraterin mitzufahren. Sie hatte sich sogar extra frei genommen und ein Auto gemietet, damit sie problemlos hin und zurückfahren konnten, wann sie wollten. Heute Abend würden sie in einem kleinen Bed and Breakfast Hotel übernachten, um sich den Tag über in Ruhe die Stadt anschauen zu können. Tai war schon richtig euphorisch und konnte es kaum erwarten seine Uni-Stadt für die nächsten drei Jahre näher zu erkunden. „Wolltest du nicht noch ein paar Fotos machen?“, fragte seine Mutter auf einmal und erinnerte ihn unweigerlich daran, was er Mimi versprochen hatte. „Stimmt ja, Mimi und die anderen wollten ja auch noch ein paar Bilder sehen“, sagte er und zückte prompt sein Handy. Seine Mutter beobachtete ihn schweigsam dabei, wie er versuchte den leeren Raum in Szene zu setzen. Er knipste mehrere Ecken der kleinen Wohnung und verschwand daraufhin kurz ins Badezimmer, um es ebenfalls abzulichten. Als er wieder zurückkam, blickte seine Mutter nachdenklich zu ihm. „Hast du was?“, erwiderte er irritiert, da er ihren Blick nicht einschätzen konnte. „Nein…nicht wirklich“, druckste sie herum und führte ihren Daumen und Zeigefinger gedankenverloren zu ihrem Kinn. Etwas, dass sie immer tat, wenn sie sich den Kopf über etwas zermarterte. Taichi blickte nur verständnislos zu ihr. „Ich habe mich nur gefragt, wie Mimi mit der ganzen Sache zurechtkommt. Eine Fernbeziehung ist sicherlich nicht einfach. Gerade wenn man so jung ist wie ihr.“ „Was soll das denn bitte schön heißen?“, raunzte Taichi verärgert. „Glaubst du wir schaffen sowas nicht? Ich denke wir haben schon viel gemeinsam durchgemacht! Außerdem werde ich an den Wochenenden des Öfteren nach Hause fahren!“ Überzeugend verpackte er diese aussagekräftigen Worte mit Nachdruck, damit seine Mutter den Ernst der Lage aus seiner Stimme raushörte. Natürlich wusste er, dass es nicht einfach werden würde! Aber sagte man nicht immer, dass Liebe Berge versetzen konnte? Warum sollte es also nicht auch bei ihnen funktionieren. Wütend schüttelte er den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum ihn die Worte seiner Mutter so aus der Haut fahren ließen. Vielleicht weil sie einen wunden Punkt traf und mit ihrer Behauptung gar nicht so Unrecht hatte. Nein. So durfte er nicht denken! Auch wenn es schwierig werden würde, sie würden es gemeinsam schaffen. Da war er sich sicher. Dennoch wandte er sich niedergeschlagen von seiner Mutter ab, kramte sein Handy hervor und blickte auf sein Display. Er entsperrte den Bildschirm und sah die MMS, die er an Mimi geschickt hatte. Ganz stolz hatte er ihr die Bilder seiner ersten eigenen Wohnung geschickt! Die Wohnung, die er alleine beziehen würde. Ohne sie. Erst jetzt stieg der bittere Beigeschmack auf, den er die ganze Zeit versucht hatte zu verdrängen. Es war nicht zu verleugnen. Ab September würde sich einiges verändern. _ Nach dem ganzen hin und her, hatte sich Taichi schnell wieder beruhigt. Die Zeit verging wie im Flug, während sie sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt ansahen. Zuerst besuchen sie tatsächlich den Universitätscampus, der im Gegensatz zu den Universitäten in Tokio recht überschaubar war. Knapp 7000 Studenten waren hier eingeschrieben und tummelten sich auf dem Campusgelände. Es herrschte reger Betrieb, weil sie sich immer noch mitten im Semester befanden und zu den ein oder anderen Vorlesungen hetzten. Seine Mutter und er ließen sich hingegen Zeit. Sie sahen sich die einzelnen Gebäude an, in denen die Vorlesungen und Seminare stattfinden sollten. Auch die kleinen Cafeterien wurden genauer unter die Lupe genommen. Nachdem sie den weiteren Nachmittag auf dem Campus verbracht hatten, entschlossen sie sich dazu auch die Sehenswürdigkeiten der Stadt genauer zu betrachten. Auch wenn Matsue eine Großstadt war, herrschte ein ganz anderes Gefühl als in Tokio. Die Passanten wirkten allesamt sehr entspannt und genossen das schöne Wetter. Die Meeresbrise zog durch die Straßen und der Geruch von Salzwasser kribbelte durchgehend in seiner Nase. Im weiteren Verlauf des Tages besuchten sie neben dem traditionellen Tempel auch Matsue-Jo, die als eine der ältesten Burgen Japans gilt. Nach der zweistündigen Besichtigung war Taichi ziemlich erschöpft und war froh das seine Mutter das kleine Café in der Nähe entdeckt hatte. Es war ziemlich gut besucht und sehr viele Studenten tummelten sich an den Tischen, um einen Kaffee zu genießen. Beide ließen sich in einer Ecke nieder und warteten darauf, dass sie bedient wurden. „Das ist ja wirklich sehr schön hier! Alles ist sehr lichtdurchflutet und einen Blick aufs Meer hat man auch“, sagte seine Mutter begeistert. Taichi nickte nur und kramte sein Handy hervor, dass er in den letzten Stunden nicht in der Hand hatte. Ihm zeigten mehrere Nachrichten an, die er gespannt öffnete. Die Erste war von seinem besten Freund Yamato. Na wie ist es in Matsue? Ich hoffe du bringst uns ein Souvenir mit! Grüße Yamato, Sora & Haru-Chan Taichi schmunzelte leicht, während er die Nachricht seines Freundes las. Mittlerweile schickte er immer Grüße von der ganzen Familie, was Taichi wirklich sehr süß von ihm fand, auch wenn er es ihm nie ins Gesicht sagen würde. Sowas machten Männer untereinander dann doch eher nicht. Die nächste Nachricht war von Mimi, die auf seine MMS geantwortete hatte. Wow, sieht echt toll aus! Ein wenig enttäuscht blickte er auf ihre knappe Antwort und wusste nicht wirklich, was er davon halten sollte. Hatte sie nicht mehr zu sagen? Schnaubend klickte er sich zur nächsten und stellte fest, dass auch Hikari die Bilder seiner Einzimmerwohnung erhalten hatte. Das ist ja gar nicht so winzig wie auf den Fotos! Da kann ich dich ja sogar besuchen kommen. Du schläfst dann natürlich auf dem Fußboden :D Taichi verrollte die Augen. Das war typisch seine Schwester. Er hatte sich noch nicht mal eingerichtet und sie dachte schon an den ersten Besuch, der noch in der Zukunft stand. Dennoch wirkte ihre Reaktion freudiger als die von seiner eigenen Freundin, was ihn schon traurig machte. „Tai?“ Ja, es war schwer, aber sie hatten doch darüber gesprochen gehabt! Und dann schreibt sie ihm so eine knappe Nachricht? Enttäuschung machte sich breit, auch wenn er es sich vor seiner Mutter nicht anmerken lassen wollte. Sie hatte mit ihrem Gespräch vorhin genug losgetreten, dass er zurzeit überhaupt nicht hören wollte, auch wenn ein Stückchen Wahrheit dahintersteckte. Doch sie gehörten zu den Paaren, die es schaffen konnten! Da war sich Taichi sicher! „Tai? Der junge Mann würde gerne deine Bestellung aufnehmen!“, ertönte die Stimme seiner Mutter energisch. Er zuckte nur kurz zusammen und blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, der ihn freundlich anlächelte. „Ach nur kein Stress. Hier sind alle ziemlich entspannt“, erwiderte er mit ruhiger Stimme. Doch Taichi war auf einmal vollkommen abgelenkt, da seine Arme mit bunten Tattoos geschmückt waren. Auch seiner Mutter fielen die zahlreichen Körperbilder auf, die sie skeptisch musterte. „Sie haben aber ganz schön viele Tattoos“, stellte sie argwöhnisch fest, während Taichi die einzelnen Bilder zu differenzieren versuchte. Es war gar nicht so einfach, weil viele ineinander übergingen und ein Gesamtkunstwerk ergaben. Taichi erkannte einen Kompass, der keine klare Richtung aufwies, mehrere Sprüche, die scheinbar von englischsprachigen Songtexten stammten, die er jedoch nicht kannte und seine Fingerknöchel zeigten den Schriftzug „Pray“, der laut seines Wissens „beten“ heißen musste. „Ist ihr Chef damit einverstanden, dass sie so viele Tattoos haben?“, fragte seine Mutter plötzlich unverblümt und brachte den Kellner unweigerlich zum Lachen, während Taichi ihr sofort einen bösen Blick zuwarf. „Mama“, zischte er. „Sowas kannst du doch nicht fragen!“ „Ach schon gut. Solche Fragen bekomme ich öfter gestellt, als Sie erwarten! Man fällt halt auf, aber zum Glück bin ich mein eigener Chef“, antwortete er gelassen und stand immer noch mit seinem kleinen Notizbuch vor ihnen. „Ach dieser hübsche Laden gehört Ihnen? Wie kommt es denn, dass wir vom Chef höchstpersönlich bedient werden? Welch eine Ehre!“ „Mama“, knurrte Taichi wieder und wurde auf seinem Stuhl immer kleiner. „Die Klausurenphase hat bei einigen meiner Mitarbeiter begonnen und da muss ich dann öfter mal einspringen, aber das ist in Ordnung“, winkte er ab und schnappte sich seinen Stift. „Was kann ich Ihnen denn bringen?“ „Zwei Kaffee bitte“, bestellte seine Mutter für sie, während der Kellner nickend alles notierte, bevor er hinter dem Tresen verschwand. „Manchmal bist du echt peinlich“, kommentierte Taichi angesäuert. „Hier kann ich mich bestimmt nicht mehr blicken lassen!“ „Ach komm schon Taichi, seit wann bist du so eine Drama Queen? Das ist eine normale Konversation gewesen und ich als deine Mutter muss doch wissen, in welchem Café mein Sohn zukünftig Kaffee trinkt.“ Erneut verdrehte Taichi genervt die Augen. „Manchmal bist du unglaublich.“ Seine finstere Miene erhellte sich allerdings wieder als er in das Gesicht seiner Mutter sah, die ihn milde anlächelte. Letztlich war er froh gewesen, diese schönen Momente mit ihr gemeinsam erleben zu dürfen. Diese Mutter-Sohn-Augenblicke würden immer etwas besonders bleiben – da war er sich sicher. Kapitel 56: Zukunftsängste -------------------------- ♥ Mimi ♥ Nachdenklich saß sie auf ihrem Bett und blickte ins Leere. Es war eine knappe Woche er, seit sich Taichi mit seiner Mutter sein Studentenzimmer angesehen hatte. Mittlerweile war es bereits Mitte August und die kostbare Zeit rann ihr einfach so durch die Finger. In ungefähr einem Monat stand sein Umzug nach Matsue an und Mimi war alles andere als bereit dazu. Doch sie hatten sich beide dazu entschieden. Mehr oder weniger. Denn nach allem hin und her, war sie immer noch nicht begeistert von dieser Idee. Wenn sie allerdings Gespräche von Taichi und den anderen mitbekam sowie feststellte, mit welcher Euphorie er über seinen neuen Lebensabschnitt redete, konnte sie einfach nichts dagegen sagen. Es war seine einzige Chance, die sie ihm nicht kaputt machen wollte, auch wenn sie täglich darunter litt. Mittlerweile fiel ihr auch das Essen deutlich schwerer, auch wenn sie diese Tatsache vor ihrer Mutter zu verbergen versuchte. Ihr wurde einfach alles zu viel! Der Kummer wurde immer größer, obwohl Tai und sie so oft darüber gesprochen hatten. Aber egal wie oft er ihr versicherte, dass sie es schaffen würden, Mimis Kopf sprach eine andere Sprache als ihr Herz. Ihr Herz sagte ihr immer wieder, dass die Liebe zu ihm einzigartig ist und sie ihn nicht gehen lassen konnte. Es wäre eine Herausforderung, die sie gemeinsam meistern würden und in ein paar Jahren darüber sicher lachen würden. Schließlich waren es nur sechs Semester. Drei Jahre. Nur drei Jahre. Sie wusste, dass sie sich einen gewaltigen Bären aufband. Ihr Kopf sagte ihr, dass drei Jahre eine Ewigkeit bedeuten konnten, gerade wenn man sich nicht regelmäßig sah. Was wenn sie sich in dieser Zeit verändern würden? Was wenn sie diese Veränderung nicht mitbekämen und nur noch nebeneinander her lebten? Was wenn ihre Herzen eines Tages ebenfalls nicht mehr miteinander kommunizieren konnten, weil einfach zu viel Zeit vergangen war. Diese Angst ließ sie einfach nicht los und beherrschte sie Tag für Tag. Des Öfteren hatte sie versucht mit Taichi über ihre Ängste zu sprechen, doch jedes Mal erkannte sie diesen trüben Blick in seinen Augen, der ihr signalisierte, dass er sich über so deprimierende Gedanken keinen Kopf machen wollte. Er wollte hoffnungsvoll in die Zukunft starten und daran glauben, dass sie alles schaffen konnten, wenn man sich nur genug Mühe gab. Jedoch war es manchmal nicht genug. Mimi biss sich auf die Unterlippe und schloss die Arme fest um ihren Körper. Ein beunruhigendes Gefühl stieg in ihr hoch, doch sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alles war wirr und konfus. Nichts ergab mehr Sinn. Jedenfalls für den Moment. „Mimi? Es gibt Mittagessen!“, hörte sie ihre Mutter aus der Küche rufen und sie erschrak sofort dabei. Übelkeit stieg in ihr hoch und ihr trockener Mund zog sich qualvoll zusammen. Ihr Magen verknotete sich und sie schluckte schwerfällig. „I-Ich komme gleich“, brachte sie schwerfällig hervor, obwohl sie keinerlei Appetit verspürte. Doch sie musste etwas essen. Sie durfte sich ihrem Kummer nicht geschlagen geben! Langsam rutschte sie nach vorne zur Bettkante und erhob sich bedächtig – so als wolle sie versuchen möglichst viel Zeit zu schinden. Zeit, die deutlich gegen sie lief. Sie hatte doch sowieso keine andere Wahl. Sie hatte sich dazu entschieden diesen Weg zu gehen. Und mit diesen Konsequenzen musste sie jetzt leben. _ Nachdem sie widerwillig ihr Essen runtergewürgt hatte, machte sich Mimi auf den Weg in die Stadt. Sie wollte sich auf andere Gedanken bringen und hatte sich überlegt einen ausgedehnten Shoppingnachmittag einzuplanen. Da Taichi einige Sachen für den Umzug besorgen wollte und ohnehin keine Lust hatte mit ihr Shoppen zu gehen, wollte Mimi eigentlich ihre beste Freundin fragen, doch mit Baby war das gar nicht mal so einfach. Haruko schlief zurzeit nur sehr unruhig, da die ersten Zähne bereits durchbrachen und raubte ihren Eltern den wohligen Schlaf, der sich bei beiden bemerkbar machte. Sora hatte immer noch nicht auf ihre SMS geantwortet weshalb Mimi vermutete, dass sie sich etwas Ruhe gönnte und die wenige Zeit, die sie zum Schlafen hatte, nutze. Yolei war heute mit Ken verabredet, weshalb sie ebenfalls ausfiel. Das Gleiche galt für Kari, die sich mit diesem Kazu scheinbar regelmäßiger zu treffen begann. Natürlich ohne das Taichi etwas davon wusste. Doch ihr Freund war wirklich selbst daran schuld, dass seine kleine Schwester ihm so wenig wie möglich miteinbezog, da er selten die Füße tatsächlich stillhalten konnte. Als ihr auch noch Kaori abgesagt hatte, verstand Mimi allerdings die Welt nicht mehr. Hatten all ihre Freunde heute schon was anderes vor? Okay gut, sie war sehr spontan, aber dennoch hatte sie gehofft, dass sie jemanden finden würde, der sich ihr anschließt. Alleine machte Shoppen tatsächlich nur halb so viel Spaß, weshalb Mimi lustlos durch die Einkaufspassage lief und kaum auf die Schaufenster achtete. Ihr verging einfach zu schnell die Lust daran, sodass sie nach einer halben Stunde bereits überlegte, wieder nach Hause zu fahren. Vielleicht war eine Packung Eis und eine gute Serie in dem Fall doch eher das Richtige für sie. Seufzend ließ sie die Schultern hängen und achtete überhaupt nicht mehr auf ihre Umgebung. Sie blendende alle störenden Geräusche aus und versank tief in ihren eigenen Gedankengängen. Warum fühlte sie sich auf einmal nur so allein? Niemand konnte ihr Sorgen richtig nachvollziehen. Sora nahm das Ganze recht locker, obwohl ihr bester Freund in Zukunft acht Stunden von ihr entfernt wohnen würde. Man konnte ihn nicht einfach kurz besuchen, sondern musste eine lange Fahrt investieren, um ihn überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Mimi dachte augenblicklich an ihre Zeit in Amerika. Wie sie damals mit Tai an jedem Wochenende geskypt hatte und trotzdem in ihrer tiefen Sehnsucht zerfloss. Es war eben nicht mehr dasselbe, wenn man nicht Tag für Tag zusammen sein konnte. Alles verkomplizierte sich auf einen Schlag. Die Beziehung, die sie sich die ganze Zeit gewünscht hatte, war ein trauriger Schatten ihrer Hoffnungen. Sie war in die Vergangenheit zurückkehrt – ohne Aussicht auf vorläufige Wiederkehr. Vollkommen von ihren Gedanken eingenommen, blickte Mimi stur zu Boden und achtete überhaupt nicht darauf, dass jemand direkt auf sie zugesteuert kam. Plötzlich spürte sie einen Widerstand und kam ins Straucheln. Sie konnte sich gerade noch so halten und wedelte mit ihren Armen wild umher. „Oh, dass du mir aber echt leid“, sagte sie bedauernd und blickte auf, ehe sich unweigerlich ihre Augen weiteten. Mit ihm hatte sie bestimmt nicht gerechnet gehabt. Sie war ihm genau genommen aus dem Weg gegangen, in der Hoffnung, dass sich ihre Wege nicht allzu bald kreuzen würden. Doch das Schicksal machte ihr einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Denn vor ihr stand tatsächlich Makoto, der sich unbeholfen den Hinterkopf tätschelte. _ „Hier“, er reichte ihr eine Dose Zitronenlimonade weiter, die er vor wenigen Augenblicken an einem Automaten gezogen hatte. Mimi saß auf einem kleinen Mauervorsprung und betrachtete die Dose nachdenklich. Diese Begegnung hatte ihr gerade noch gefehlt. Warum ausgerechnet Makoto?! Was sollte sie denn nur mit ihm reden? Warum hatte sie sich überhaupt dazu bereit erklärt mit ihm eine Limo zu trinken? War sie von allen guten Geistern verlassen? Aber wahrscheinlich war ihr schlechtes Gewissen gegenüber ihm am Ende doch stärker gewesen. Auch wenn er viel Mist gebaut hatte, war sie nicht unschuldig an dieser miesen Situation. Sie hatte ihn ausgenutzt, um ihre Gefühle für Taichi zu vergessen und war demnach keinen Deut besser als er. Vielleicht war ihr gerade deswegen diese Situation so unangenehm. Ihre Hände schwitzen als er sich neben sie setzte und seine Dose öffnete. Mimi versuchte sie am Verschluss aufzuziehen, aber ihre schwitzigen Finger ließen es nicht zu. Verärgert runzelte sie die Stirn und ließ die Dose grummelnd sinken. „Wollen wir vielleicht tauschen?“, fragte er höflich und hielt ihr seine geöffnete Dose hin. Zögerlich nahm sie sie an und reichte ihr Getränk an ihn weiter. Problemlos öffnete er sie und nahm einen kräftigen Schluck, ehe Stille zwischen ihnen einkehrte. Auch Mimi nippte kurz an ihrem Getränk und beobachtete ihn aus dem Augenwinkel heraus. Er wollte kurz reden, hatte er gesagt. Doch er verlor keinen einzigen Mucks, was die angespannte Situation zwischen ihnen nicht besser werden ließ. Mimi presste ihre Lippen aufeinander und formte einen schmalen Strich. Das konnte doch echt nicht wahr sein! Sollte sie jetzt etwa das Gespräch beginnen? Was sollte sie nur sagen? In ihrem Kopf herrschte auf einmal gähnende Leere, weshalb sie nervös ihre Dose in ihrer Hand drehte. Sie pfiff etwas Luft zwischen ihre Lippen und fasste sich ein Herz, da sie es einfach nicht länger aushielt so schweigsam nebeneinander zu sitzen. Jedoch kam er ihr im entscheidenden Moment zuvor. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen“, begann er leise und blickte betroffen zu Boden. „Das was ich damals gemacht habe, war nicht in Ordnung gewesen und es tut mir aufrichtig leid, dass es soweit kommen musste.“ Überrascht sah sie ihn an und ihre Blicke trafen sich unweigerlich. Ein schüchternes Lächeln legte sich auf seine Lippen, ehe er weitersprach. „Ich war wohl ziemlich gekränkt gewesen und wollte nicht akzeptieren, dass du eigentlich jemand anderen magst. Auch wenn es ziemlich offensichtlich war.“ „Offensichtlich? Wie meinst du das denn?“ „Ich habe deine Blicke gesehen, mir aber oft nichts dabei gedacht. Schließlich wart ihr ebenfalls befreundet gewesen. Bis dann die eine Nacht kam, die alles verändert hatte“, gab er kleinlaut zu. „Das tut mir echt wahnsinnig leid. Ich…“, begann sie, doch stockte abrupt wieder. Ihre Wangen wurden auf einmal sehr warm und sie spürte wie ihr die Schamesröte in Gesicht stieg. „Ich schätze ich wollte meine Gefühle einfach verdrängen. Und ich dachte, ich hätte gute Chancen mich in dich zu verlieben. Du warst immer unfassbar nett zu mir gewesen und ein richtiger Gentleman. Aber ich schätze…“ „…dass es nicht gereicht hat“, beendete er ihren Satz wehmütig. „Ich denke, sowas tut immer weh, da niemand gerne abgewiesen wird, aber dennoch hätte ich das auf dem Schulhof niemals zu dir sagen dürfen. Ich war einfach wütend gewesen und habe mich verarscht gefühlt. So wie damals mein Vater zu mir meinte, dass er meine Mutter nicht mehr betrügen würde, sich aber dann doch nicht darangehalten hatte.“ Mitleidig sah sie ihn an und erkannte ihn auf einmal gar nicht mehr wieder. Er sah so zerbrechlich aus, als würde er bei der feinsten Berührung zusammenfallen. Er war nicht der Draufgänger, der er vorgab zu sein, sondern ein empfindliches Pflänzchen, dass man behutsam behandeln musste, damit es nicht einging. „Und diese dumme Wette war auf Shins Mist gewachsen! Ich hätte dich niemals unter Druck gesetzt, sondern wollte einfach nur, dass er in diesem Moment die Klappe hält. Ich bin nicht der Typ, der mit irgendwelchen Mädchen schläft.“ Mimi runzelte verwirrt die Stirn. Sie hatte doch ganz andere Geschichten über ihn gehört. Er sei ein wahrhaftiger Weiberheld, vor dem man sich in Acht nehmen sollte. Doch wenn sie ihn so ansah, glaube sie ihm seine Worte. Obwohl sie es sich nicht nehmen lassen konnte, nachzuhaken. „Irgendwie wurden mir immer so viele Geschichten über dich erzählt, aber du scheinst anders zu sein, als man es erwartet“, erwiderte sie bedacht. „Manchmal sind es auch eben nur Geschichten. Ich muss auch zugeben, dass ich selbst schuld daran bin, da ich nie das Gegenteil behauptet habe. Aber für mich spielen Gefühle schon eine große Rolle.“ Betroffen sah Mimi zu ihrer Limodose, die sie immer noch in Händen hielt. Scheinbar hatte sie ihn sehr enttäuscht, indem sie ihm Gefühle vorgaukelte, die sie nicht hatte. Dabei wollte sie ihn niemals verletzten, auch wenn beide genau das einander angetan hatten. „Wir haben wohl beide ziemlich Mist gebaut. Ich wollte dich nicht verletzen und hätte mir dir reden sollen, als mir bewusstwurde, dass ich noch Gefühle für Taichi habe. Aber ich bin weggelaufen und das war nicht fair.“ Makoto blickte auf einmal in den Himmel und blinzelte gegen die Sonne. „Gefühle sind eine unbeschreibliche Sache. Ich war auch mal in jemanden verliebt, in die ich mich nicht besser hätte verlieben sollen. Aber das Herz will eben das, was es will. Man kann es nicht beeinflussen, egal wie sehr man sich dagegen wehrt“, erzählte er in Richtung Himmel gerichtet. „Vielleicht hätten wir einfach Freunde werden sollen. Du bist echt ein toller Mensch und die Gespräche mit dir fehlen mir wirklich, Mimi.“ Er richtete den Blick wieder zu ihr und lächelte matt, während Mimi im ersten Augenblick nicht wusste, was sie sagen sollte. „Ähm…danke. Das freut mich zu hören“, antwortete sie unbeholfen, was Makoto zum Lachen brachte. „Du scheinst wirklich mit dir im Reinen zu sein. Du wirkst wirklich glücklich“, stellte er fest. „Das bin ich auch. Ich hoffe, du auch.“ Makoto zuckte nur beiläufig mit den Achseln und trank einen weiteren kräftigen Schluck. „Ich denke, ich bin auf einem guten Weg. Im Moment versuche ich mein Leben zu ordnen und habe eine Ausbildung als Installateur angefangen.“ „Das klingt doch schon mal sehr gut. Verstopfte Rohre gibt es sicher überall.“ „Du weißt hoffentlich schon, dass meine deine Aussage äußerst zweideutig auslegen kann“, stellte er sofort die Gegenfrage und hinterließ bei Mimi einen entsetzten Gesichtsausdruck. „Also hör mal, ich meinte jetzt ganz sicher nicht das!“, rechtfertigte sie sich, während er erneut zu lachen begann. „Schon klar, ich wollte dich nur ein bisschen aufziehen“, antwortete er und trank seine Limo aus. Danach stand er auf und sah auf sie hinab. „Ich habe gleich noch einen Termin, aber es war sehr schön dich getroffen zu haben. Ich hoffe, dass du auch weiterhin so glücklich bleibst. Das steht dir wirklich sehr gut.“ Nachdenklich blickte sie ihm nach, während er sich langsam von ihr entfernte. War sie wirklich so glücklich? Oder versuchte sie verzweifelt ihr Glück festzuhalten, um das sie so lange gekämpft hatte? Angespannt fuhr sie mit den Zähnen über ihr zartes Lippenfleisch, als sie plötzlich wie von der Tarantel gestochen aufsprang und Makoto nachrief. Er drehte sich sofort zu ihr um und lauschte ihren Worten bedingungslos. „Danke für dieses Gespräch! Und danke für die Limo. Ich hoffe, dass du dein Glück bald finden wirst.“ Seine Lippen zierte ein sanftes Lachen, ehe sie sich kräuselten. „Ich hoffe auch, dass du so glücklich bleibst, auch wenn ich nicht derjenige sein durfte, der dir dieses Lächeln ins Gesicht zaubert. Danke, dass du dir Zeit genommen hast.“ Kaum hatte er seine letzten Worte an sie gerichtet, trennten sich ihre Wege auch wieder. Mimi stand noch eine Zeitlang am gleichen Fleck und blickte in die Ferne, die ihr einen hellblauen Himmel zeigte. Ein Himmel der unendlich schien. Zahlreiche Möglichkeiten zuließ und ihr die Hoffnung zurückgab, die sie verloren hatte. Kapitel 57: Zerreißprobe der Gefühle ------------------------------------ ♥ Taichi ♥ In wenigen Wochen war es soweit. Er würde endlich in seine eigenen vier Wände ziehen. Ein großes Abenteuer stand ihm bevor, dass er noch gar nicht so richtig realisiert hatte. So langsam suchte er seine Habseligkeiten durch und entschied welche er mit nach Matsue nehmen würde. Heute half ihm sogar Mimi dabei, die gemeinsam mit ihm Kleidungsstücke sortierte. Da es im September und Oktober noch recht warm wurde, entschloss er sich dazu vorwiegend luftigere Kleidung einzupacken und erst die zweite Fuhre mit den nötigen Winterklamotten zu versehen. Mimi blickte konzentriert auf seine Sachen und ordnete sie nach der entsprechenden Jahreszeit. Sie runzelte die Stirn, faltete seine T-Shirts und legte sie aufeinander. „Wow, du machst deine Arbeit aber wirklich hervorragend. Ich sollte dich besser mitnehmen und dich als meine persönliche Wäschebeauftragte einstellen“, witzelte er und rutschte näher an sie heran. Er wollte ihr einen Kuss auf die Schläfe geben, doch sie wisch seiner Geste aus und schüttelte beiläufig den Kopf. „Wir haben noch so viel zu tun. Keine Ablenkungen“, murmelte sie unterkühlt und ging weiter auf Distanz, was Taichi mit einem Seufzen quittierte. Schon seit Tagen benahm sie sich komisch. Annährungsversuche blockte sie sofort ab und versuchte so wenig wie möglich Körperkontakt zu ihm zuzulassen, was er absolut nicht verstehen konnte. „Sag mal bist du irgendwie sauer auf mich?“, fragte er unbeholfen nach. Mimi reagierte sofort, indem sie ihm einen scharfen Blick zuwandte. „Warum sollte ich denn sauer sein?“, stellte sie schnippisch die Gegenfrage, bevor sie sich von ihm abwandte und stur ihrer Tätigkeit weiterhin nachging. Taichi presste angesäuert die Lippen aufeinander und konnte ihr Verhalten einfach nicht nachvollziehen. Was hatte er ihr denn getan? Warum benahm sie sich denn wie eine Zicke? „Das frage ich dich doch! Du gehst mir doch aus dem Weg und nicht ich!“ „Dann frag dich besser mal warum!“ „Hallo? Was ist denn in dich gefahren? Hast du deine Tage oder was?“ Empört blickte sie ihn an, setzte aber dann einen unberechenbaren Gesichtsausdruck auf. „Genau genommen, bin ich spät dran, aber mach dir keine Gedanken. Das passiert öfter“, schnalzte sie und studierte seine Reaktion. Taichi klappte augenblicklich der Mund auf und er spürte wie ein eiskalter Luftzug ihn erfasste. Meinte sie das etwa ernst?! „Willst du mich veräppeln? Mimi, lass diese Scherze! Du weißt genau, dass Sora und Matt letztes Jahr in der Situation waren! Das ist überhaupt nicht lustig“, verteidigte er sich und spürte die blanke Panik in ihm hochsteigen. Ihr Gesichtsausdruck war für ihn nicht deutbar. Jedoch seufzte sie nur und blickte ihn kopfschüttelnd an, bevor sie sich wieder seinen Klamotten zuwandte. „Beruhig dich, das war nur ein Witz gewesen“, klärte sie ihn auf, wirkte aber auf einmal sehr traurig auf ihn. Etwas, dass er sich nicht erklären konnte. Was sollte das? Was wollte sie mit so einer Aktion nur bezwecken? „Ich versteh dich nicht“, grummelte er verständnislos und suchte automatisch den Abstand zu ihr. „Was wolltest du denn damit bezwecken? Willst du mir Todesangst einjagen?“ Mimis Bewegung fror augenblicklich ein und ihre Unterlippe begann zu zittern. „Ich jage dir Todesangst ein? Nur weil ich behauptet habe überfällig zu sein? Tja, wie denkst du, wie es mir geht? Hast du darüber schon mal nachgedacht?“ Taichi zog die Augenbrauen zusammen. „Wovon redest du bloß?“ „Davon das du vorhast erst im November oder Dezember wieder nach Tokio zu kommen! Das wären knapp zwei Monate!“, platzte aus ihr hervor und ihr trauriger Ausdruck verwandelte sich in eine wutentbrannte Miene. Taichi schluckte und konnte sich denken, von wem sie diese Information hatte. Er hatte schließlich nur mit zwei Personen bisher darüber gesprochen gehabt. „H-Hat dir das Sora erzählt?“, hakte er stotternd nach. „Ihr ist es rausgerutscht. Sie dachte ich wüsste bereits Bescheid“, antwortete sie und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. „Wann wolltest du mir das denn erzählen? Ich dachte du wolltest schon Mitte Oktober das erste Mal zurückkommen.“ Sie sah ihn von der Seite an und Taichi spürte fühlbar ihren brennenden Blick auf seinem Körper, der deutliches Unwohlsein in ihm auslöste. Was sollte er nur zu ihr sagen? Er hatte es doch nicht böse gemeint! Aber er sich halt etwas verschätzt. Hideyoshi hatte ihm klargemacht, dass er so schnell vorerst nicht nach Hause kommen würde. Neben den Einführungsveranstaltungen, begannen auch die Seminare und Vorlesungen Anfang Oktober, denen er nicht fernbleiben wollte. Und jedes Wochenende nach Hause zu fahren lohnte sich beim besten Willen nicht, auch wenn er Mimis Unmut verstehen konnte. „Ich habe mich halt völlig verschätzt. Die Veranstaltungen beginnen doch erst Mitte Oktober und ich denke auch, dass ich es mir finanziell nicht leisten kann, jedes Wochenende nach Hause fahren zu können. Ich will mir doch erst noch einen Job suchen!“, erklärte er ihr, in der Hoffnung auf Verständnis zu stoßen. Doch Mimis Blick wurde trüb und sie senkte betroffen den Kopf. „Und wie soll das mit uns funktionieren, wenn es jetzt schon solche Probleme gibt?“, flüsterte sie fragend. Taichi stockte der Atem, weil er mit solch einer Frage nicht gerechnet hatte. „I-Ich…Mimi was soll ich denn dazu nur sagen? Du machst dir unnötige Gedanken. Ich werde doch dann Anfang November kommen!“, versicherte er ihr und rutschte näher an sie heran, was sie jedoch mit einem deutlichen Sicherheitsabstand unterband. Sie wollte seine Nähe nicht. Jedenfalls nicht im Moment. „Weißt du…, dass alles erinnert mich an die Zeit, in der ich in Amerika gelebt habe. Wie oft haben versucht uns zu sehen und Treffen entgegengefiebert, zu denen es manchmal nicht gekommen ist. Soll das etwa wieder genauso werden?“ „Nein…natürlich nicht!“, widersprach er sofort, erkannte aber ihre Verletzlichkeit, die sie sonst immer hinter eine Maske zu verstecken versuchte. Sie schüttelte nur mit dem Kopf und kämpfte mit ihren Tränen. „Ich sollte besser gehen. Ich brauche Zeit für mich“, sagte sie, bevor sie in Tränen ausbrechen konnte. „Warte, nein lass uns darüber reden“, erwiderte Tai sofort und wollte ihren Arm ergreifen, doch sie war bereits aufgestanden. Er konnte sich nicht rühren, da er merkte, dass sie seine Nähe einfach nicht ertragen konnte. Diese Erkenntnis traf ihn schwer, sodass er nicht aufstehen konnte und am Boden sitzen blieb. Mimi entfernte sich jedoch von ihm und verließ zügig den Raum, ohne dass er angemessen reagieren konnte. Am liebsten hätte er ihr hinterhergeschrien, dass sie alles schaffen konnte, wenn sie es sich nur fest vornahmen, doch auch ihn quälten die Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Deswegen bewegte er sich keinen Meter. Ließ ihr die Luft zu Atmen, die sie brauchte um einen klaren Kopf zu fassen. Er blieb zurück und stand zwischen seiner Gegenwart und Zukunft, die ihn zu zerreißen drohte. _ Nachdem er seine aussortierten Sachen in den entsprechenden Umzugskartons untergebracht hatte, lag er ausgestreckt in seinem Bett und dachte nach. An Mimis Worte. Ihre Ängste. Ihre Zweifel. Wenn er ehrlich war, konnte er sie voll und ganz verstehen. Es war nicht so, als würden sie diese Trennungssituation das erste Mal durchstehen. Beim ersten Mal hatte es jedoch nicht gereicht. Sie waren zu jung und ließen sich von den Widrigkeiten des Lebens verunsichern. Doch jetzt? Jetzt, wo sie sich zu ihrer Liebe bekannt hatten? Sollte dieses Band nicht stark genug sein, um auch die Entfernung zu überstehen oder war er einfach zu naiv? Zu leichtgläubig? Er wusste, dass die Distanz nicht einfach werden würde. Er konnte nicht einfach so vorbeikommen, sie in den Arm nehmen, wenn ihm danach war oder sie einfach zu einem Date überraschen, dass er liebevoll geplant hatte. Es würde sich definitiv etwas verändern. Dennoch wollte er ihre Liebe festhalten! Er wollte sie kein zweites Mal verlieren. Gedankenverloren schnappte er sich sein Handy vom Nachttisch und rollte sich zur Seite. Er hatte das dringende Bedürfnis sie anzurufen und einfach ihre Stimme zu hören, um ihr mitzuteilen, dass sie alles schaffen konnten. Taichi wollte ihr die Sicherheit zurückgeben, die sie scheinbar verloren hatte. Doch bevor er ihre Nummer wählte, entdeckte er eine SMS auf seinem Handy, die tatsächlich von ihr stammte. Behutsam öffnete er sie und las über die wenigen Zeilen, die sie ihm geschrieben hatte. Es tut mir leid. Ich habe überreagiert und möchte mich bei dir entschuldigen. Kannst du vorbeikommen? Ich liebe dich. Mimi Er musste nicht lange nachdenken, um seinem Herzen zu folgen. Geschwind sprang er aus seinem Bett und eilte die Tür hinaus, um in den Flur zu gelangen. „Wo willst du denn hin? Das Abendessen ist gleich fertig“, erinnerte ihn seine Mutter, die den halben Nachmittag in der Küche gestanden hatte. Doch nachdem ihm der Geruch von angebranntem Fisch in die Nase gestiegen war, rümpfte er diese unauffällig. „Ich bin noch mit Mimi verabredet. Wir wollten heute Abend zusammen kochen“, log er, während er seine Schuhe anzog. „Du kannst sie auch gerne zum Essen einladen! Ich habe genug für alle gekocht“, winkte seine Mutter ab, was Taichi den kalten Schweiß auf die Stirn trieb. Seine Mutter war wirklich viel, aber ganz sicher keine gute Köchin. „Das ist lieb, aber Mimi wartet schon und hat bereits angefangen“, redete er sich raus und schnappte sich seinen Haustürschlüssel. „Bis später!“ Ohne eine Reaktion von seiner Mutter abzuwarten, stürmte er aus der Tür. Er wollte keine Zeit verlieren. Mimi und er mussten reden! _ Ein leises, aber gleichmäßiges Stöhnen hallte durch ihr Zimmer. Sie lag unter ihm und hatte ihre Arme hinter seinem Nacken verschränkt, während er sich fordernd in ihr bewegte. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn und ein zufriedenes Seufzen löste sich von seinen trockenen Lippen, ehe sie ihn noch dichter an sich zog und ihre Beine um seine Hüften schlang. „Du machst mich verrückt“, säuselte er und nahm ihren lustverhangenen Blick auf, während seine Bewegungen immer schneller wurden. „Hör ja nicht auf“, bettelte sie und krallte sich in seine Rücken. Taichi grinste dabei und küsste sie stürmisch, aber liebevoll. Gott, er liebte diese Art von Versöhnungen. Diese Leidenschaft, die sie umgab war einfach einzigartig. Ihre Gefühle spielen im völligen Einklang und zeigten ihren, was ihre beiden Herzen zum Leben verlangten. Diese Nähe wollte er nicht missen, wohlwissend, dass er hierbei einem Traum hinterherjagte. In den nächsten Wochen würde sich vieles verändern, das war ihm bewusst, auch wenn er im Moment nicht daran denken wollte. Erneut hatten sie sich ausgesprochen, ihre Ängste und Wünsche miteinander geteilt, die sie in ihrer gemeinsamen Zukunft sahen. Sicherlich würde es nicht leicht werden, aber das war es bekanntlich nie. Er wollte nur mit ihr zusammen sein. Mit niemand anderem. Und genau das wollte er ihr heute zeigen. Er beschleunigte erneut seine Bewegungen, haftete an ihren süßlich schmeckenden Lippen und teilte mit ihr einen intensiven Blickkontakt, der sich in seiner Erinnerung einbrannte. Sie lebten im hier und jetzt. Es gab kein morgen oder in einer Woche für sie, sondern nur ein heute. „Ich liebe dich“, flüsterte er begierig gegen ihre Lippen. Auch wenn es nur drei Worte waren, bedeuteten sie unglaublich viel. Vertrauen. Geborgenheit. Treue. All das spürte er, wenn er in ihre hellbrauen Augen blickte. Ihr Gesicht erweichte sich plötzlich und ein zartes Lächeln zog sich über ihre Lippen. „Ich liebe dich auch.“ Zu wissen, dass man geliebt wurde, war ein unbeschreibliches Gefühl, dass man einfach nicht in Worte fassen konnte. Es war ein wohliges Kribbeln, dass sich im ganzen Körper ausbreitete und ihn mit Wärme erfüllte. Er hatte das Glück, seinen Herzensmenschen bereits gefunden zu haben. Und egal welche Widrigkeiten sich ihnen auch in den Weg stellten, er würde sie niemals loslassen. Kapitel 58: Herz versus Kopf ---------------------------- ♥ Mimi ♥ Angespannt saß sie an ihrem Schreibtisch und versuchte sich zu konzentrieren. Doch je länger sie vor dieser bescheuerten Planung saß, desto mehr schien ihr Kopf zu blockieren. Taichi war erneut nach Matsue gefahren, um den Mietvertag zu unterzeichnen und noch einige persönliche Unterlagen an der Uni abzuholen. Diesmal war er das erste Mal alleine aufgebrochen, würde aber morgen schon wieder zurück sein, was Mimi im ersten Moment erleichterte. Denn an Abschied wollte sie gar nicht erst denken, auch wenn sie hier saß und ironischerweise seine Abschiedsfeier plante. Später war sie sogar mit Sora und Matt verabredet, mit denen sie alles Weitere besprechen wollte. Heute fiel ihr die Konzentration besonders schwer, da das getrennt sein von Taichi an ihr nagte. Zweifel waren an der Tagesordnung, auch wenn sie so oft über ihre Zukunft gesprochen hatten und klar war, was sie eigentlich wollten. Jedenfalls für Taichi. Mimi musste zugeben, dass sie das Gespräch mit Makoto und der Streit mit Taichi nachdenklich gemacht hatte. War sie wirklich glücklich? Mit ihrer Beziehung? Mit der Tatsache, dass eine räumliche Trennung unausweichlich war? Mit der Belastung ihn jeden Tag zu vermissen und sich durch ihren Alltag zu quälen? Sah sie all das zu dramatisch? Mimi versteifte die Finger um ihren Stift und drückte ihn ins Papier. Ihr war doch bewusst gewesen, welche Veränderung auf sie zukam. Doch als sie von Sora erfahren hatte, dass Taichi frühestens erst im November nach Tokio kommen würde, war eine Sicherung bei ihr durchgebrannt. Sie hatte ja auch keine Ferien, um ihn in Matsue besuchen zu können und für einen Wochenendtrip war die Strecke einfach zu weit, weshalb sie diesen Gedanken auch schnell wieder verwarf. Seufzend ließ sie den Stift sinken und blickte auf das Blatt Papier, auf dem sie ihre Partyideen festhalten wollte. Fein säuberlich hatte sie als Überschrift „Taichis Abschiedsparty“ auf die Linien geschrieben und musterte ihre eigene Schrift für einige Minuten lang. Abschied. In ihr zog sich alles zusammen. Sie begann zu wimmern und sah wie eine Träne ihre Nasenspitze hinunterwanderte und auf das Papier tropfte. „Na toll“, murmelte sie und fuhr mit der flachen Hand über die nasse Stelle, die ihre Träne lautlos hinterlassen hatte. Wenn es ihr jetzt schon so beschissen ging, wie sollte es dann werden, wenn Taichi wirklich mehrere Monate weg war und sie nur über das Handy oder den PC kommunizieren konnten? Warum hatte ihn auch keine Universität in der Nähe aufgenommen? Es schien fast so, als wolle es ihnen das Universum besonders schwer machen. Dabei lief es anfangs doch so gut und jetzt spürte sie wie sich langsam eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen errichtete. Auf einmal ertönte ein gleichmäßiges Klopfen, was Mimi panisch durch ihr Gesicht fahren ließ. Sie zog ungeniert die Nase hoch und wusch sich mit ihren Fingern über ihre Augenpartie, ehe sie sich zur Tür wandte und ein leises „Herein“ über ihre Lippen wich. Die Tür öffnete sich sofort und ihre Mutter trat mit einem gutgefüllten Tablett herein, was bei Mimi prompt die Übelkeit emporstiegen ließ. „Ich habe dir einen kleinen Snack gemacht. Du hattest ja heute Mittag nicht viel Hunger“, erwiderte sie und klang alarmiert. Ertappt wandte Mimi den Kopf von ihr und sah gerade noch, wie das Tablett auf ihrem Nachttisch platzierte sowie sich auf ihrem Bett niederließ. „Danke, aber ich gehe später noch zu Sora und Matt. Ich denke wir werden uns dort etwas bestellen“, log sie, da sie schon die letzten Tage so wenig wie möglich gegessen hatte, um ihren Schmerz zu ertränken. Lieber spürte sie ihren knurrenden Magen als ihr weinendes Herz. Doch das konnte sie ihr nicht sagen, weshalb sie hoffe, dass sie sich damit zufrieden gab und sie nicht weiter löchern würde. Allerdings hatte Mimi ganz klar die Rechnung ohne ihre Mutter gemacht, die sie wohl besser kannte, als es ihr lieb war. „Ich habe schon gemerkt, dass du die letzten Tage weniger gegessen hast, weshalb ich auch erst wieder gehen werde, wenn du etwas gegessen hast!“ „Was?“, Mimi drehte sich ihr zu und blickte sie entsetzt an. „Ich bin doch kein kleines Kind mehr! Du kannst mir nicht vorschreiben, wann ich etwas essen muss und wann nicht. Das kann ich selbst entscheiden!“ „Bist du dir da wirklich so sicher?“, stellte sie sofort die Gegenfrage und blickte ihre Tochter sorgenvoll an, was Mimi prompt ein schlechtes Gewissen machte. Sie wusste ja selbst, dass es nicht normal war und sie ihren Kummer so nicht loswerden würde! Aber dennoch...sie wollte wenigstens die Kontrolle über ihren Körper behalten, wenn schon sonst alles auseinanderbrach und aus den Fugen geriet! „Schatz, ich mache mir Sorgen um dich!“ „Das brauchst du aber nicht“, versicherte Mimi ihr energisch. „Mir geht es gut!“ Wen versuchte sie hier von zu überzeugen? Ihre Mutter oder sich selbst? Vor ihr saß die Frau, die sie kotzend vor der Kloschüssel sitzend vorgefunden hatte. Diejenige, die sie in den Arm genommen und über den Kopf gestreichelt hatte, während sie ihr wie ein Mantra vorbetete, dass alles wieder gut werden würde. Ihr konnte sie nichts vormachen! Egal, was sie ihr auch sagte, ihre Mutter würde ihr nicht glauben. Plötzlich spürte sie wieder diesen Kloß, der schon seit Tagen in ihrem Hals saß und ihr die Luft abschnürte. Ihr Hals brannte förmlich und das Schlucken fiel ihr schwer. Ihre Augen wurden feucht und Tränen sammelten sich darin. Sie versuchte sie zurückzuhalten, da sie sich nicht die Blöße geben wollte vor ihrer Mutter zu weinen, doch sie verstand es sofort. Ohne ein Wort zu verlieren stand sie auf und ging vor ihr auf die Knie. „Liebeskummer ist ein beschissenes Gefühl. Ich kenne das. Man verliert den Appetit und glaubt nicht, dass es jemals besser wird“, sagte sie leise und legte ihre Hände behutsam auf ihre. „Es wird auch nicht besser. Nur schlimmer“, brachte Mimi weinerlich hervor. „Schätzchen, du musst darüber mit Taichi reden. Du hast ihm sicher nicht gesagt wie schlecht es dir damit geht.“ „Was soll ich denn noch groß mit ihm reden?“, hakte Mimi gereizt nach und ließ die Schultern hängen. „Ich kann ihn nicht davon abhalten zu gehen. Das wäre nicht fair!“ Unkontrolliert strömten die Tränen über ihre Wangen und ihr lang gehüteter Schmerz fand endlich sein Ventil. Sie hatte ihm nie gesagt, wie sehr sie damals tatsächlich unter der Trennung von ihm litt. Das diese Art von Liebeskummer sie beinahe krank gemacht hätte und sie jetzt mit einem Bein wieder kurz davor stand zusammenzubrechen. Verzweifelt sah sie ihrer Mutter direkt in die Augen und erkannte erst jetzt welch eine Wärme sie ausstrahlten. Mit ihrer Hand fuhr sie über ihre Wange und lächelte bitterlich. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich deinen Schmerz nachvollziehen kann. Beziehungen sind nie leicht und eine Fernbeziehung ist eine sehr große Belastung für so ein junges Mädchen wie dich…“ „Was willst du mir denn damit sagen? Soll ich etwa mit Taichi…?“, ihre Stimme brach ab und Mimi runzelte angespannt die Stirn. Wollte sie ihr etwa durch die Blume sagen, dass es das Beste war die Sache zu beenden? Kampflos aufzugeben? War das ihr Ernst? Entsetzt schüttelte sie ihre Hand ab und zog sich augenblicklich zurück. Ihre Mutter zuckte nur ratlos mit den Schultern und setzte sich vor sie auf den Boden. „Mimi, ich kann dir diese Entscheidungen nicht abnehmen, aber du musst schauen, was auch für dich das Beste ist. Es ist wichtig jemanden an seiner Seite zu wissen und aufrichtig geliebt zu werden. Aber weißt du was noch wichtiger ist?“ Mimi schüttelte den Kopf und presste trotzig die Lippen aufeinander, da sie dieses Gespräch jetzt schon leid war. Warum glaubten Erwachsene immer, dass sie die Weisheit mit Löffeln gegessen hatten? Egal, was sie auch sagte, es würde ihre Probleme nicht ändern. Jedenfalls dachte sie das. Denn manchmal trafen die Worte genau in Schwarze und konnten alles verändern. Auch wenn man es selbst nicht hören wollte. _ Langsam ging Mimi die Treppen zur Soras und Matts Wohnung nach oben. Das Gespräch mit ihrer Mutter hatte ihr gut getan, aber gleichzeitig auch ziemlich deprimiert, sodass sie gar nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand. Was war richtig, was war falsch? Sie war verwirrt und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Vielleicht sollte sie mit Sora sprechen, die in solchen Situationen meist immer einen guten Ratschlag für sie parat hatte. Als sie allerdings bei ihnen Freunden ankam, stellte sie schnell fest, dass hier etwas nicht stimmte. Die Stimmung war angespannt, fast schon gereizt, weshalb sich Mimi deutlich unwohl fühlte und am liebsten wieder gehen wollte. Doch Sora hatte ihr einfach Haruko in den Arm gedrückt, um ein paar Gläser zu holen. Yamato hatte sie nur kurz begrüßt und war danach ins Badezimmer verschwunden, um zu Duschen. Er kam direkt von der Arbeit und hatte sich extra beeilt, damit sie möglichst viel heute noch geschafft bekamen. Dennoch wurde Mimi das Gefühl nicht los, dass etwas zwischen ihren Freunden vorgefallen war. Seit die beiden Eltern waren, gab es des Öfteren Streit, meist nur um Banalitäten, aber ihre Beziehung schien darunter mehr zu leiden als sie jemals zugeben würden. Mimi ging zu Sora in die Küche und schaukelte Haruko auf ihrem Arm. „Ist alles in Ordnung? Du wirkst so gestresst!“, stellte Mimi besorgt fest. „Alles bestens“, antwortete Sora knapp und ging mit den Gläsern in ihren Händen an ihr vorbei. „Was möchtest du trinken?“ „Wasser ist schon in Ordnung“, erwiderte sie sanft, doch Sora war am Rotieren. „Gute Wahl, mehr haben wir leider auch nicht mehr zuhause, weil der Herr vergessen hat nach der Arbeit einzukaufen!“ Ihre Stimme war bewusst laut, so als wolle sie damit erreichen, dass Yamato sie auch unter der Dusche noch hörte. Genervt blickte sie zur Badezimmertür und schüttelte anschließend den Kopf, da eine Reaktion, wie erwartet ausblieb. Erschöpft ließ sich Sora auf einem Küchenstuhl nieder. Sie stellte ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab und drückte ihre flachen Handflächen ins Gesicht. „Alles in Ordnung?“, fragte Mimi vorsichtig nach und setzte sich mit der glucksenden Haruko ihr direkt gegenüber. Sora schielte nach oben und gab einen undefinierbaren Laut von sich. „Er ist einfach verantwortungslos! Ich muss an alles denken, den Haushalt schmeißen und mich um unsere Tochter kümmern, während er nach der Arbeit noch nicht mal an den Einkauf denken kann. Ich bin einfach nur genervt“, erklärte sie ihr. Mimi sah sie betroffen an und konnte verstehen, warum sie so aufgebracht war. Scheinbar schienen die Absprachen zwischen den beiden rein gar nicht zu funktionieren. Irgendwie erleichterte es sie aber auch, dass nicht nur in ihrer eigenen Beziehung Probleme bestanden, sondern auch Matt und Sora mit dem Teufelskreis, genannt Alltag, zu kämpfen hatten. „Aber es ist ja egal. Ich kann mich so viel aufregen wie ich will, ändern wird er sowieso nichts! Also muss ich wie immer ran!“, führte sie weiter fort und stand auf. „Würdest du auf Haru-chan aufpassen? Ich gehe dann noch schnell in den Supermarkt.“ „Klaro, kein Problem“, erklärte sich Mimi sofort bereit. „Danke, du bist mir eine große Hilfe!“, bedankte sich Sora aufrichtig und schnappte sich auch prompt ihre Einkaufstasche. Sie drückte Haruko einen Kuss auf die Wange, den sie quietschend und glucksend erwiderte. „Bis gleich“, verabschiedete sich Sora, schlüpfte in ihre Schuhe und schlug unsanft die Wohnungstür zu, während Mimi mit Haru alleine zurückblieb. „Anscheinend ist echt normal das Erwachsene immer solche komplizierten Probleme haben. Werd‘ also bloß nicht so schnell erwachsen“, riet Mimi Haruko und wiegte sie gefühlvoll in ihren Armen, während sie sich auf ihrem Stuhl bequem machte. _ „Ist sie sehr sauer?“, fragte Yamato während er lässig das Handtuch um seine Schultern gelegt hatte. Er war vor wenigen Minuten aus der Dusche gekommen und noch nicht mal überrascht, dass Mimi alleine mit seiner Tochter in der Wohnung saß. Wahrscheinlich hat er doch mehr gehört als Mimi vermutet hatte. Doch sie wollte ich beim besten Willen nicht in die Beziehung der beiden einmischen, zumal sie mit ihrer eigenen zu kämpfen hatte. „Ich denke, du solltest einfach später mit ihr reden“, schlug Mimi nüchtern vor. „Als ob ich das nicht versucht hätte“, antwortete er sofort und nahm ihr Haruko aus dem Arm. Er setzte sich ihr gegenüber und roch nachdenklich am zarten Haarflaum seiner Tochter, was Mimi sogar irgendwie süß fand. Auf Haruko ließ er wirklich nichts kommen, selbst wenn die Beziehung zu Sora immer schlechter wurde. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich ihr nicht mehr genüge und nur für das Finanzielle zuständig bin. Und wenn ich dann nach der Arbeit etwas vergesse, ist sie so unfassbar sauer, obwohl ich selbst einen zehn Stunden Tag hinter mir habe“, seufzte er niedergeschlagen. „Ich weiß, dass sie viel zu tun hat und sich um den Haushalt sowie unsere Tochter kümmert, aber es ist ja nicht so, als hätte ich für sie nichts aufgegeben.“ Mimi wurde auf einmal hellhörig und musterte ihren Freund genau. Erst jetzt fiel ihr auf, dass seine Augen leer und traurig wirkten. Genau genommen war das letzte Mal, wo sie ihn gelöst und glücklich gesehen hatte, auf der Bühne gewesen. Mimi musste zugeben, dass sie Yamato schon immer für seine Leidenschaft bewundert hatte. Es faszinierte sie, wenn sich jemand seinem Hobby hingebungsvoll widmete und seinen Traum lebte. Doch von Yamatos Traum war lediglich ein Schatten übrig geblieben. „Bist du denn glücklich?“, fragte Mimi unverblümt und biss sich sofort auf die Zunge, da sie ihm nicht zu nah treten wollte, aber dennoch diese unsägliche Neugierde verspürte. „Glücklich? Ich glaube, dass ist Definitionssache!“, er lächelte milde und sah auf seine Tochter hinab. „Wenn ich in ihre Augen blicke und sie lächeln sehe, bin ich wahrhaftig sehr glücklich.“ Auch Mimi musste lächeln, da sie einfach diese Starke Verbindung zwischen Vater und Tochter förmlich spüren konnte. Allerdings war sein Lächeln nur von kurzer Dauer. „Wenn ich mich allerdings zurückerinnere, was ich für meine Zukunft eigentlich geplant hatte, werde ich ganz sentimental und traurig. Es ist nicht so, dass ich meine Familie nicht liebe, aber dennoch hätte ich gerne meinen Traum gelebt, einfach um zu wissen, ob es sich gelohnt hätte.“ Die Bitterkeit war aus seinen Worten herauszuhören, auch wenn die Wahrheit einfach nur die Wahrheit war und keinen wertenden Charakter kannte. Doch Mimi wusste, dass wenn Sora ihn so sprechen hören würde, sehr verletzt wäre. Es war nie leicht eine Entscheidung zu treffen, da es immer nur einen Weg gab, den man bestreiten konnte. Er war seinem Verstand gefolgt, während sein Herzenswunsch auf der Strecke blieb. Und im Moment gab es kein Zurück, sondern nur ein voranschreiten, dass ihn unglücklich machte. Wäre es vielleicht besser gewesen, einen anderen Weg zu wählen? Wohlwissend, jemanden im ersten Moment zu verletzen, auch wenn es hinterher doch das Beste für ihn war? Verbitterung stieg in ihr auf, da sie unweigerlich an die Worte ihrer Mutter erinnert wurde. Vielleicht sahen die Situationen auf den ersten Blick verschieden aus, doch die Beziehungsprobleme ihrer Freunde waren ihren Schwierigkeiten gar nicht so unähnlich. Auch Taichi und sie standen vor einer großen Veränderung, die ihre Beziehung auf eine harte Probe stellen und Mimi in ein tiefes Loch reißen würde. Die Stimme ihrer Mutter hallte in ihrem Kopf und Mimi spürte wie sich ein kalter Griff um ihr Herz legte. Es ist wichtig jemanden an seiner Seite zu wissen und aufrichtig geliebt zu werden. Aber weißt du was noch wichtiger ist? Mimi schluckte und spürte den Kloß ihren Hals hochwandern. Ein Stechen breitete sich aus und sie japste leise nah Luft, sodass es Yamato zum Glück nicht bemerkte. Der Griff um ihr Herz verstärkte sich und ihre Brust wurde auf einmal ziemlich schwer. Manchmal traf man Entscheidungen mit dem Kopf, ein anderes Mal mit dem Herzen. In Mimis Fall war ein wirres Bauchgefühl ausschlaggebend, um alles zu hinterfragen, was sie ohne weiteres akzeptiert hatte. Die Stimme ihrer Mutter meldete sich erneut. Sie erreichte ihr Innerstes und erweckten die Zweifel, die sie scheinbar bereits vergraben hatte. Es ist wichtig sich selbst genauso zu lieben, wie man von anderen geliebt werden möchte. Deswegen solltest du auf deine innere Stimme hören, auch wenn sie dir Dinge sagt, die du nicht hören und akzeptieren möchtest. Sie meint es nur gut und will das Beste für dich! Yamato hatte seine Erzählungen noch nicht beendet, doch Mimi hörte ihm nicht mehr zu. Sie fühlte sich komplett taub, da die Erkenntnis, die sie traf, niederschmetternd war und all ihre Hoffnungen in Frage stelle. Sie fühlte sich verloren. Gefangen im Käfig ihrer eigenen Empfindungen. Ihr Herz hatte aufgegeben und stellte sich nun ihrem Kopf, der eine klare Entscheidung gefällt hatte. Kapitel 59: Letzte Vorbereitungen --------------------------------- ♥ Taichi ♥ Taichi saß mitten in seinem Zimmer und konnte jeden Tag beobachten, wie seine Habseligkeiten immer weniger wurden und in Kisten verschwanden, die sich bereits stapelten. Die letzten Wochen vergingen wie im Fluge und der Tag der Tage war gekommen. Sein Umzug nach Matsue stand unmittelbar bevor. Bereits morgen Nachmittag würde er sich gemeinsam mit seiner Mutter auf den Weg in seine erste eigene Wohnung machen. Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie aufgeregt er war! Es war das erste Mal, dass er vollkommen auf sich gestellt war und alleine klarkommen musste. Eine große Herausforderung, auf die er sich jedoch auch schon sehr freute. Dennoch gab es auch Zweifel, die sich in seinem Innersten manifestiert hatten. Was wenn er es alleine nicht schaffen würde? Wenn er feststellte, dass ihm alles aus den Fingern glitt, sein Studium zu viel und das Stipendium nicht ausreichen würde, um seinen Traum zu verfolgen? Was wenn er nicht gut genug war? Was wenn er versagte? Er schüttelte sich bei dem Gedanken, da er wusste, dass er solchen Spekulationen keinen Raum lassen sollte. Er musste doch positiv in die Zukunft starten und mutig alle Herausforderungen trotzen! Doch etwas hielt ihn am Boden. Es war stärker als die Schwerkraft, die ihn am Abheben hinderte. Viel mehr spürte er diese negative Energie schon länger, da sich sein Leben von heute auf Morgen verändert hatte. Das erste Mal seit langem hatte er unbändige Angst. Auch die Tatsache, dass sich seine Freundschaften und Beziehungen verändern könnten, machten ihm mehr zu schaffen als er zugeben wollte. Mit Mimi hatte er in den letzten Wochen fast jede freie Minute verbracht und jede einzelne Sekunde mit ihr genossen. Seit einigen Tagen spürte er ebenfalls eine Veränderung, die er auf den baldigen Abschied schob. Alles fühlte sich auf einmal so intensiv an. Jede Berührung, jeder Kuss, jedes Wort hinterließen tiefe Spuren in seinem Herzen – so als wolle er die Momente sammeln wie in einem Fotoalbum, um sie nicht zu vergessen. Er seufzte gequält und bewegte seine Beine, die im Schneidersitz bereits eingeschlafen waren. Vor ihm befand sich seine Vergangenheit, die ihm so viel Leid aber auch gleichzeitig unendliches Glück bereitet hatte. Er war nicht der typische Sammler, aber dennoch hob er einige Erinnerungsstücke auf, die ihm besonders am Herzen lagen. Glücklich betrachtete er das Freundschaftsband, dass ihm Mimi geschenkt und wieder geflickt hatte. Er trug es seither immer noch stolz an seinem Handgelenk und wagte es auch nicht es abzulegen. Lächelnd nahm er ein weiteres Geschenk seiner Freundin in die Hand. Es war das Fotoalbum, dass sie ihm damals zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Mittlerweile waren viele gemeinsame Fotos hinzugekommen und Taichi liebte es ihre gemeinsame Geschichte durch die Bildersammlung erneut zu erleben. Vorsichtig legte er es in die Kiste und holte ein scheinbar wertloses Stück Papier hervor, dass seine Zukunft lange bestimmt hatte. Es war das Empfehlungsschreiben von Herrn Ichinose für sein Sportstipendium, dass er letztlich nicht erhalten hatte. Auch wenn er sich mittlerweile damit abgefunden hatte, ärgerte es ihn nach wie vor. Hätte er damals das Stipendium bekommen, müsste er nun nicht nach Matsue ziehen! Ob ihn das Sportstipendium allerdings glücklich gemacht hätte? Mittlerweile bezweifelte Taichi es stark, da er andere Interessen hatte und Fußball nach wie vor als sein Hobby ansah. Vielleicht waren die Wege, die man bestreiten musste unergründlich. Es gab kein warum oder wieso. Es war, was es ist. Er griff nach weiteren Dokumenten, die er unbedingt in dieser Kiste verstauen wollte. Stolz hielt er seine Zusage von Matsue in Händen und betrachtete das Stammblatt des ersten Semesters. Yagami. Taichi. 1. Semester. Rechts -und Politikwissenschaften. Es fühlte sich einfach richtig an. So als würde er die grauen Wolken aus seinem Leben vertreiben, die sich störrisch vor ihm errichtet hatten. Er brach einfach durch! Vollkommen befreit legte er die Unterlagen ebenfalls in die Kiste und hielt inne als er auf einmal ein leises Klopfen an seiner Tür vernahm. Ohne groß zu überlegen, bat er die Person hinein und musste mit Erstaunen feststellen, dass es sich um seinen Vater handelte. Er schenkte ihm ein mildes Lächeln und schloss die Tür direkt hinter sich, was bei Taichi ein allgemeines Unwohlsein auslöste. Nach all den Wochen und Monaten hatte sich sein Vater wirklich angestrengt. Er besuchte eine Suchtgruppe, hatte keinen Alkohol mehr angefasst und arbeitete auch seit kurzem wieder regelmäßig. Dennoch war die Distanz zwischen ihnen deutlich zu spüren. Tai konnte ihm einfach nicht mehr blind vertrauen, denn immer, wenn er seinem Vater in die Augen blickte, sah er den Mann, der ihn damals vor den Schrank geschubst hatte. Egal wie oft er sich auch entschuldigte, die Erinnerung blieb weiterhin. „Was ist denn los?“, fragte Taichi etwas ungeduldig. „Nichts, ich wollte einfach nur sehen, wie du vorankommst“, sagte er und stand immer noch an der Tür, so als bemerkte er, dass er sich in dem Zimmer seines Sohnes nur bedingt aufhalten durfte. Dass er geduldet war, mehr aber auch nicht. „Ich denke, ich werde die Kisten bis heute Abend fertig haben. Mimi kommt mich später abholen und wir verbringen den Abend bei Matt und Sora“, informierte er ihn steif. „Klingt nach einem schönen Abend“, erwiderte er starr. „Falls du Hilfe brauchst, ich hätte…“ „Das ist lieb, aber ich komme schon zurecht“, antwortete er unterkühlt und drehte sich von ihm weg. Eine eisige Stille legte sich über sie und Tai hoffte, dass er bald sein Zimmer verlassen würde. Doch er blieb und war immer noch an seine Zimmertür gelehnt. Genervt seufzte Taichi auf und richtete einen giftigen Blick zu ihm, um ihm zu zeigen, dass er hier fehl am Platz war. Dass er in Ruhe weiterpacken wollte, um in seine glänzende Zukunft zu starten. Jedoch war sein Vater nicht auf den Kopf gefallen und versuchte erneut ein Gespräch zu seinem Sohn aufzubauen. „Ich weiß, dass du mich nach wie vor noch hasst und ich wohl auch nichts tun kann, um deine Meinung zu ändern. Aber ich möchte, dass du weißt, wie sehr ich dich liebhabe und sehr stolz auf dich bin.“ Fragend zog Taichi eine Augenbraue in die Höhe. Wollte er sich jetzt etwa an schmusen und eine Versöhnung erzwingen, nur weil er auszog und seinen eigenen Weg ging? Das durfte nicht wahr sein! Wie konnte er nur so egoistisch sein?! Konnte er ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Allerdings spitzte er schon erneut die Lippen und Taichi musste dem Drang widerstehen, seine Augen zu verdrehen. „Ich kann verstehen, dass du mich nach all dem hasst und mir nicht verzeihen kannst. Und ich möchte dir auch sagen, dass du es auch nicht musst. Ich habe euch und besonders dir, widerwertige Dinge angetan, die man als Vater nicht entschuldigen kann. Dennoch möchte ich wieder für dich da sein! Dich unterstürzen, auch wenn du es vielleicht nicht willst. Du bist mein Sohn und ich hoffe, dass du mir eines Tages vergeben kannst“, erwiderte er weinerlich. Vollkommen perplex starrte Taichi seinen Vater an und war nicht in der Lage auf seine unmittelbaren Worte zu antworten. Ihm klappte vor Sprachlosigkeit der Mund leicht auf, da er mit diesen Worten einfach nicht gerechnet hatte. „Ich…ähm…“, stammelte er unsicher, da er wirklich nicht wusste, was man auf sowas antworten konnte. Schließlich war er wirklich noch nicht bereit ihm endgültig zu verzeihen, auch wenn seine Worte sein Herz schon erweichten! „Du brauchst nichts zu sagen! Ich wollte nur, dass du es weißt!“, unterbrach er ihn bestimmend und öffnete ohne weiteres die Tür. Sein Blick wirkte traurig, aber dennoch bereit – so als hätten ihn seine Worte erlöst. „Papa“, brachte Taichi über seine Lippen und er erschrak vor seiner eigenen Stimme. Papa – so hatte er ihn schon ewig nicht mehr angesprochen. Sein Vater hielt sofort inne und wandte sich Taichi erwartungsvoll zu. „Danke, das bedeutet mir sehr viel“, untermauerte er aufrichtig und bemerkte wie die Distanz zwischen ihnen geringer wurde. Möglicherweise war dies ein guter Anfang, der ihm den Neustart erleichtern würde. _ Den halben Nachmittag dachte er an die Worte seines Vaters, die etwas bei ihm in Bewegung gesetzt hatten. Vielleicht war es wirklich an der Zeit ihm zu verzeihen, wohlwissend, dass er diese schwere Zeit wohl nie ganz aus seinem Leben streichen konnte. Dass Verzeihen große Stärke bedeutete, die er einfach nicht besessen hatte, weil er mit seinem eignen Leben unglücklich war. „Du siehst so nachdenklich aus?“, stellte Mimi fest, die neben ihm herlief. Sie hatte ihn vor wenigen Minuten abgeholt und sie machten sich gemeinsam auf den Weg zu ihren Freunden, bei denen sie ihren letzten Abend verbringen wollten. Taichi freute sich schon sehr darauf, da er wusste, was sie geplant hatte, auch wenn sie es vor ihm zu verbergen versuchte. Zufälligerweise hatte er ausgerechnet die Planung für seine eigene Abschiedsfeier gefunden als er das letzte Mal bei Mimi übernachtet hatte. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, es vor ihm zu verbergen, weshalb er die Überraschung auch nicht verderben wollte. Freudig ergriff er daher Mimis Hand und genoss die zarten Berührungen, die er in den nächsten Monaten missen würde. „Es ist alles in Ordnung! Ich will einfach nur die Zeit mit euch genießen“, offenbarte er ihr und verschränkte seine Finger mit ihren. Natürlich fiel ihm ihr trauriges Gesicht auf, dass sich jedes Mal zeigte, wenn sich der baldige Abschied andeutete. Auch er wollte sich nicht von ihr trennen, da sie in all den Monaten seine größte Stützte war. Allerdings waren es nur drei Jahre, in denen sie diese Art von Fernbeziehung führen mussten. Tai war daher optimistisch genug, dass ihre Liebe auch diese Strapazen überstehen würde. Bisher hatten sie alles überstanden. Höhen und Tiefen gestrotzt, sich aufeinander verlassen, sich leidenschaftlich geliebt und gestritten, sodass es keine andere Möglichkeit blieb als die Zähne zusammen zu beißen. Denn diese besondere Frau wollte er nicht mehr verlieren. Er wollte zwar nicht zu weit gehen, doch er konnte sich vorstellen, irgendwann mit ihr eine Familie zu haben und alt zu werden! Zwar waren sie davon noch weit entfernt, aber die Hoffnung in seinem Herzen stärkte die Vorstellung auf eine gemeinsame Zukunft, die sie sicherlich haben würden. „Wir sollten uns beeilen“, sagte Mimi. „Die anderen warten sicher schon auf uns!“ Lächelnd überquerten sie die Straße und steuerten auf den Häuserblock zu, indem ihre besten Freunde wohnten. Langsam schritten sie die Treppen zu ihrer Wohnung hoch und Taichi merkte, dass Mimi schon ganz hibbelig wurde. Anscheinend war sie aufgeregter als er, da sie ja nicht ahnen konnte, wie dankbar er für diese kleine Party war. Ohne zu zögern betätigte er die Klingel und spürte ebenfalls ein nervöses Kribbeln in seiner Magengegend. Erst jetzt realisierte er, was alles auf ihm zukommen würde! Der Abschied stand unmittelbar bevor. Auch wenn es nur eine vorrübergehende Trennung war. Er wollte jede Sekunde genießen! Mit seinen Freunden und seinen Liebsten. Kapitel 60: Abschiedsschmerz ---------------------------- ♥ Mimi ♥ Die Tür wurde aufgerissen. Lautstark und durcheinander riefen ihre Freunde „Überraschung“ und breiteten freudig die Arme aus. Mimi schnürte sich augenblicklich der Hals zu, als sie das Banner las, dass sie gestern noch mühevoll aufgehängt hatten. „Auf Wiedersehen, Taichi!“, zierte in bunter Schrift den Eingangsbereich von Soras und Matts Wohnung. Überwältigt trat ihr Freund ein und schlang sofort die Arme um seine besten Freunde, die am Eingang auf sie gewartet hatten. Verhalten ging Mimi hinterher und zog ihre Schuhe aus. Sie zwang sich zum Lächeln und begrüßte nach und nach den Rest. Heute hatten sich all ihre Freunde Zeit genommen und waren gekommen, um Taichi gebührend zu verabschieden. Mimi hatte auch seinen Tutor eingeladen, der ihn bei seinen Bewerbungen unterstützt hatte. Ihr Blick wanderte durch die Menge und blieb bei einem bekannten Gesicht hängen. Zartfüßig schlich sie zu ihr rüber, während Taichi eine kleine Runde machte, um alle anständig zu begrüßen. „Das Herlocken hat ja schon mal super funktioniert“, sagte Kaori zufrieden und genehmigte sich einen Drink. Auch Mimi verspürte unglaubliche Lust Alkohol zu trinken, doch heute musste sie sich beherrschen, um nicht schwach zu werden. Sie umfasste ihre Tasche und drückte sie dichter an ihren Körper. Sie wusste, was sich dort drinnen befand und was es für ihre Zukunft bedeuten würde. Die ganze Nacht hatte sie daran gesessen, geflucht und mit den Tränen gekämpft, um die richtigen Worte zu Papier zu bringen. Worte, die sie sich niemals getraut hätte ihm ins Gesicht zu sagen… „Alles in Ordnung? Du bist so blass“, stellte Kaori besorgt fest, doch Mimi zuckte nur zusammen, während die heimlich an ihrer Kette gespielt hatte. „Klar, ich habe heute Nacht nur schlecht geschlafen“, antwortete sie unwirsch, obwohl sie wusste, dass Kaori mittlerweile zu denjenigen gehörte, die sie locker zu durchschauen schien. Doch sie durfte sich nichts anmerken lassen! Sie musste ihre Fassade aufrechterhalten, wenigstens den Abend über! Daher blieb ihr keine andere Möglichkeit! „Hast du eigentlich nochmal mit Izzy gesprochen? Vielleicht wäre heute eine gute Gelegenheit“, mutmaßte sie spitzfindig. Kaoris Gesicht wurde auf einmal selbst ganz blass. „Nein, spinnst du? Ich werde ihm aus dem Weg gehen! Das ist mega peinlich! Und außerdem ist er schon auf Alarmbereitschaft. Den Sicherheitsabstand hält er schon von alleine ein“, antwortete sie und wirkte auf Mimi sehr niedergeschlagen. Verständlich, wenn man wusste, dass sie Izzy sehr gern hatte und es ihm im Vollrausch zudem auch noch gestanden hatte! Mimi hatte keine Ahnung, wie sie dieses Problem zwischen ihren Freunden lösen konnte, ohne einem von beiden gewaltig wehzutun. Kaori ahnte nicht, dass Izzy möglicherweise Gefühle für sie hatte, die sie niemals erwidern würde. Und Izzy fand sich in einer Situation wieder mit der er heillos überfordert war! Sie kannte ihnen Computerliebenden Freund! Von Frauen hatte er überhaupt keine Ahnung! Jedoch hatte auch sie gelernt, dass es nicht immer gut war, sich in die Gelegenheiten anderer einzumischen, auch wenn sie bei Yolei und Ken einen Volltreffer landete. Ihr Blick schweifte zu den beiden Verliebten, sie liebevoll gekuschelt beieinanderstanden. Mimi wurde ganz neidisch, wenn sie die beiden sah, auch wenn sie streng genommen gar keinen Grund dazu hatte. Jedenfalls bis jetzt. Sie seufzte herzzerreißend und spürte ein starkes Gewicht, dass auf ihren Brustkorb drückte, obwohl rein gar nichts da war. Doch ihre Seelenschmerzen verwandelten sich von einer Feder in eine niederschmetternde tonnenschwere Bürde. „Ich werde mir auch mal etwas zu trinken holen“, informierte Mimi Kaori hastig, um einen Moment für sich zu haben. Mit schnellen Schritten bewegte sie sich in die Küche und stellte sich so hin, dass es aussah als wollte sie sich etwas zu trinken aussuchen. In ihrem Inneren herrschte allerdings ein unbändiger Sturm, der ihr sämtliche Entscheidungsgewalt nahm und sie auf den nächsten Eisberg zusteuern ließ. _ Der Abend entwickelte sich dennoch zu einer geselligen Runde, in der viele lockere Gespräche geführt wurden. Mimi stand neben Sora und beobachtete ihre Freunde nachdenklich. „Ich bin echt froh, dass Yamato und ich heute mal etwas Zeit für uns haben. Zum Glück konnte meine Mutter heute Haruko übernehmen.“ „Mhm…“, murmelte Mimi und drehte ihr Glas in ihrer Hand, während ihr Blick seit wenigen Minuten an Taichi haftete. Er lachte gelöst und unterhielt sich angeregt mit Joe, der ihm anerkennend auf die Schulter klopfte. „In letzter Zeit war alles sehr schwierig gewesen, aber wir bekommen das schon hin“, redete Sora unbeirrt weiter. „Ja, bestimmt“, antwortete Mimi geistesabwesend und sah ihre Freundin noch nicht mal an, was sie allerdings kaum zu stören schien. Munter erzählte sie ihre Leidensgeschichte weiter und Mimi konnte es einfach nicht mehr hören! Konnte sie nicht einmal dankbar dafür sein, was sie hatte? Yamato riss sich für sie den Arsch auf und dennoch sah sie nur die Probleme ihrer Beziehung, die Mimi mittlerweile lächerlich vorkamen. Allerdings konnte sie ihr das wohl kaum sagen, ohne einen wunden Punkt zu treffen. Und einen Streit heute noch loszutreten, war sicher nicht ihre Absicht. Plötzlich ertönte ein leises Klirren, dass von Taichi selbst kam. Er hatte mit einem kleinen Teelöffel gegen sein Glas sachte geschlagen und richtete somit die Aufmerksamkeit auf sich. Alle stellten ihre Gespräche ein und verstummten sofort. Sie richteten sich zu Tai, der das Wort ergriff. „Ich möchte mich bei allen bedanken, die heute extra wegen mir gekommen sind! Ich bin ganz schön nervös, weil mir eine große Veränderung bevorsteht und ich vielleicht nicht immer so mutig bin, wie ich es gerne wäre. Aber ich möchte euch allen ganz herzlich Danke sagen. Ihr wart alle an meiner Seite gewesen und habt an mich geglaubt“, sagte er gerührt und fixierte auf einmal sie mit seinem warmen Blick. „Besonders möchte ich aber meiner Freundin Mimi danken.“ Sie schluckte und ihr Gesicht entgleiste voller Entsetzen. Nein, das durfte nicht wahr sein! Warum machte er es ihr denn noch schwerer? Als ob sie es nicht schon schwer genug hätte… „Sie war auch in schwierigen Zeiten immer für mich da und hat mir den Rücken gestärkt. Deswegen bin ich unfassbar froh dich an meiner Seite zu wissen.“ Ein eiskalter Schauer erfasste sie und ein Klammergriff umfasste ihr Herz, sodass ihr die Tränen in die Augen getrieben wurden. „Oh mein Gott, wie süß“, hörte sie Sora schwärmen und ihr schlechtes Gewissen klingelte Sturm. Taichi bewegte sich auch noch ausgerechnet auf sie zu, sodass sie schnell ihre aufkommenden Tränen weg zu blinzeln versuchte. Er blieb direkt vor ihr stehen und ihr stockte der Atem. Die Luft wurde immer dünner und sie verfestigte den Griff um ihr Glas. Ihre Nägel drückten dagegen, ehe sie seine Hand zärtlich an ihrer Wange spürte. „Danke für alles“, hauchte er ihr entgegen und küsste sie unvermittelt. Mimi hatte keine Zeit zu reagieren und hörte die unterschwelligen Jubelrufe ihrer Freunde, die die Übelkeit in ihr aufstiegen ließen. Zum Glück war ihr Kuss kurz und bittersüß, weshalb sie sich schnell zurückziehen, aber Taichis Nähe dennoch nicht ausweichen konnte. Sie spürte seine warme Hand in ihrem Rücken wie sie behutsam ihre Wirbelsäule nach oben stich. Normalerweise beruhigte sie so eine liebevolle Geste sofort, doch heute war es ihr einfach nur zu viel. Sie kämpfte mit ihren inneren Dämonen, die ihr zeigten das Liebe alles aber auch nichts sein konnte. _ Weit nach dreiundzwanzig Uhr machten sich Taichi und Mimi auf den Heimweg. Nach und nach hatte sich die kleine Gruppe immer weiter aufgelöst. Kari übernachtete heute bei Yolei, während Taichis Eltern sicher schon schliefen, weshalb sie besonders leise in sein Zimmer schlichen. Auf dem Weg hierher hatten sie kaum miteinander gesprochen und waren Händchen haltend zu Tais Wohnblock geschlendert. Mimis Beine wurden immer schwerer je näher sie seiner Wohnung kamen. Es gab kein Zurück mehr. Die Würfel waren gefallen. Sie sah sich in seinem Zimmer um, erblickte die Umzugskartons, die seine Zukunft aber ihre Vergangenheit darstellten. Von Trauer erfasst blieb sie mitten im Raum stehen und fühlte sich wie erstarrt. Am liebsten wollte sie weinen, doch das konnte sie noch die ganze Nacht. Wehmütig wandte sie sich zu Taichi und ergriff einfach sein Hemd, um ihn näher an sich heranzuziehen. Ein letztes Mal wollte sie ihn spüren. Sein Gesicht sehen. Ihn schmecken. Seinen Duft einatmen. „Was soll das denn?“, fragte er, obwohl er genau wusste, was sie vorhatte. Doch sie wollte nicht mit ihm reden. Ohne zu überlegen stellte sie sich auf die Zehenspitzen, fuhr mit den Fingern in seine Haare und küsste ihn unvermittelt, aber so leidenschaftlich wie sie ihn noch nie geküsst hatte. Diese Nacht sollte etwas besonders werden. Der Mond schien durch sein Fenster und hüllte sie in wärmendes Licht. Sie fuhr mit den Fingerspitzen begierig durch seine wilde Mähne und bemerkte recht schnell, dass er sich am Saum ihres Shirts zu schaffen machte. Sie ließ ihn einfach gewähren, spürte seine warmen Finger auf ihrer Haut und unterbrach kurz ihren sinnlichen Kuss, damit er ihr das Stück Stoff über den Kopf ziehen konnte. Kaum war es zu Boden gefallen, fanden ihre Lippen wieder zueinander. Mimi ging ein paar Schritte rückwärts und stoppte abrupt als sie an Taichis Bett angekommen war. Behutsam ließ sie sich darauf fallen und riss Taichi mit sich nach unten. Er richtete sich hastig auf und zog sein eigenes T-Shirt über den Kopf ehe er sich an ihrer Jeans zu schaffen machte. Er öffnete ihren Knopf und streifte sie nach unten. Mimi wand sich umher und schaffte nach wenigen Sekunden sich aus dem störrischen Stoff zu befreien. Lustverhangen blickte er zu ihr und Mimi zögerte keinen Augenblick. Begierig zog sie ihn zu sich und presste erneut die Lippen auf seine. Diesmal biss sie leicht zu, sodass er seinen Mund leicht öffnete und sich ihre Zungen begegnen konnten. Hitzig lieferten sie sich einen unbändigen Kampf, der deutlich Lust auf mehr machte. Mimi ließ nicht von ihm ab, sondern löste lediglich eine Hand, die ihre Wanderschaft nach unten fortsetzte. Sie machte sich nun an seiner Hose zu schaffen und ihr gelang es den Kopf dieser mit einer Hand ohne Probleme zu öffnen. Auch wenn sie gierig nach mehr war, wollte sie jeden einzelnen Moment genießen. Sie unterbrach den Kuss und setzte sich leicht auf. Liebevoll strich sie über sein markantes Gesicht und versuchte sich all seine Merkmale einzuprägen. Seine buschigen Augenbrauen. Seine warmen braunen Augen, die im Mondlicht schimmerten. Seine weichen Lippen. Sein sanftes Lächeln, dass sein komplettes Gesicht zum Strahlen brachte. „Ich liebe dich“, löste sich schwerfällig von ihren Lippen, da sie heute Nacht die letzte Gelegenheit dazu hatte, diese bedeutungsvollen Wörter zu ihm zu sagen. Sie meinte es auch so. Noch nie im Leben hatte sie einen Menschen so geliebt wie Taichi. Deswegen fiel ihr das hier auch so schwer. Sie hatte sich nicht gegen ihn entschieden, weil die Liebe nicht ausreichend war. Sie hatte sich gegen ihn entschieden, weil sie es sich selbst schuldig war und es nicht ertrug sich selbst und andere ins Unglück zu reißen. Für viele mag es sicher egoistisch klingen, zumal sie ihm die letzten Tage etwas vorgespielt hatte. Doch sie konnte es ihm einfach nicht erklären, weshalb sie ihre Worte aufgeschrieben hatte und ihm nun zeigen wollte, wie viel er ihr bedeutete. Taichi sah sie voller Liebe an und strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich liebe dich auch“, hauchte er ihr entgegen und schon war es um Mimi geschehen. Sie ließ sich von ihren Gefühlen leiten. Ließ ihrem Herzen die letzte Möglichkeit sich endgültig zu verabschieden. Fieberhaft entledigten sie sich ihren übrig gebliebenen Klamotten und Taichi drängelte sich ungeduldig zwischen ihre Beine. Ohne ein großes Vorspiel drang er stürmisch in sie ein und Mimi zerrte ihn direkt dichter an sie heran. Sie schloss ihre Augen und drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter, während er sich rhythmisch in ihr bewegte. Ihr Hals zog sich zu und sie presste die Augen noch fester zusammen, da sie nicht wollte, dass er ihre Tränen mitbekam. Das Gefühl von Verbundenheit stellte sich schnell ein und brachte ihr schmerzendes Herz zum schneller schlagen, dass sich nach mehr sehnte, aber nicht mehr bekommen würde. Ein gleichmäßiges Stöhnen zog sich durch den Raum, doch für sie hatte es nichts mit Erregung zu tun. Sie liebte ihn ein letztes Mal. Denn das was sie tat, würde ihm sicher das Herz brechen. Ihre Stimme erstickte in einem leisen Wimmern und Tränen kullerten lautlos über ihre Wangen. Auf einmal wurde es ganz still und die Luft im Raum veränderte sich. Sie war elektrisierend und einzigartig. Dennoch läuteten sie das Ende ein. Das Ende dieser unfassbar schönen Beziehung. _ Kaum hatte sie seine Wohnung verfassen, taumelte sie orientierungslos durch die Straßen Tokios. Sie weinte unaufhörlich, schleppte sich aber dennoch einige Meter weiter, bevor sie vor einer Häusergruppe zusammenbrach. Sie rutschte die Hauswand hinunter, ihre Beine zitterten und sie ließ sich einfach auf ihren Hintern fallen. Mimi stieß einen leisen Schrei aus, bedeckte allerdings hastig ihren Mund mit ihren flachen Händen. Was hatte sie nur getan? Sie hatte ihre Beziehung beendet. In Form eines Briefes, weil sie einfach zu feige war, ihm dabei in die Augen zu sehen. Wut vermischte sich mit einer unsäglichen Trauer über den Verlust ihrer Beziehung, den sie selbst verursacht hatte. Doch es half nichts mehr. Sie hatte diese Entscheidung für sich getroffen! Weil sie sich selbst liebte und wusste, dass sie an dieser Fernbeziehung endgültig zerbrochen wäre. Daher gab es kein Zurück, sondern nur ein Vorwärts schreiten, egal wie schwer ihr auch die Schritte fielen. Sie musste wieder aufstehen, um nach vorne blicken zu können! Schwerfällig richtete sie sich auf, stützte sich an der Hauswand und fuhr sich mit den Fingern über ihre geschwollenen Augenlider. Es war die richtige Entscheidung gewesen! Jede Faser ihres Körpers stimmte mit dieser Aussage überein und sie wagte den ersten Schritt. Ein Umkehren kam für sie nicht mehr in Frage, weshalb sie sich auch nicht mehr umblickte. Auch wenn es schwerfiel. Selbst wenn etwas in ihr zerbrach und sie einen Menschen ziehen lassen musste, den sie von Herzen liebte. Sie konnte die Scherben ihrer Liebe nicht mehr zusammenfügen. Sie hatten hart gekämpft und mussten sich eingestehen, dass sie letztlich gescheitert waren. Das Leben hatte ihnen unterschiedliche Wege aufgezeigt, die sie ab nun alleine bestreiten mussten. Er würde für immer in ihrem Herzen wohnen und vielleicht hatten sie eine gemeinsame Zukunft, die sie noch nicht kannten. Die Betonung lag hier ganz klar auf vielleicht. Man konnte nicht wissen, was die nächsten Jahre für sie bereithielt. Mimi konnte nur hoffen, dass er sie verstehen und das Schicksal sie eines Tages wieder zusammenführen würde. Epilog: Wasurenagusa -------------------- ♥ Taichi ♥ Er fühlte sich wie betäubt als er die Zeilen wieder und wieder las, aber nicht verstand, was geschehen war. Wut vermischte sich mit Enttäuschung, während er sich fassungslos über die Stirn strich. Ungläubig schüttelte er den Kopf und biss sich absichtlich auf seine Unterlippe, um festzustellen, ob er immer noch träumte. Doch dieser Alptraum war wahr. Als er heute Morgen aufwachte und eine leere Bettseite vor sich fand, hatte er sich nichts weiter dabei gedacht, da Mimi öfters früher aufstand und ihnen Frühstück zubereitete. Er schlüpfte daher unbedacht in seine Boxershorts und wollte sich in die Küche schleichen, ehe ihm etwas in Auge sprang, dass er zuvor nicht gesehen hatte. Es war ein Brief, der auf seinem Nachtisch platziert wurde. Er konnte nur von Mimi sein, da ihre Kette, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, dabei lag und in ihm ein unwohles Gefühl auflöste. Warum sollte sie die Kette nur ablegen? Seit er ihr sie geschenkt hatte, hatte sie sie noch kein einziges Mal abgenommen! Was sollte sie also dazu bewegen? Ungeduldig ergriff er den Brief und öffnete den Umschlag. Er faltete das Papier auseinander und las die Zeilen, die sie ihm hinterlassen hatte. Liebster Taichi, mir fällt es nicht leicht dir diesen Brief zu schreiben, weil mir bewusst ist, was ich damit alles zerstören werde. Unsere Beziehung. Unsere Freundschaft. Uns. Ich hatte mir oft vorgenommen mit dir darüber zu sprechen, doch immer, wenn wir alleine waren, fehlten mir die Worte. Ich war verstummt und hatte den Mut verloren. Und jetzt bin ich feige und hinterlasse dir diesen Brief, der dir den Boden unter den Füßen wegziehen wird. Er schluckte und wollte ihre Worte nicht nochmal lesen. Doch er wollte sie verstehen. Verstehen, warum sie nicht mit ihm reden konnte. Warum sie ihm diesen jämmerlichen Erklärungsversucht hinterlassen hatte. Kurz bevor er einen neuen Lebensabschnitt startete. Denn ich muss dir sagen, dass ich das alles nicht mehr kann. Ich habe es versucht zu akzeptieren, dass wir in den nächsten drei Jahren eine Fernbeziehung miteinander führen werden, doch ich habe gemerkt, wie sehr mich es innerlich zerrissen hat, mich mit diesem Gedanken anzufreunden. Ich will keine Beziehung, die mich unglücklich macht und vor Sehnsucht jedes Mal zerfließen lässt. Schon damals haben mir die Trennungen immer so weggetan, dass ich tagelang nichts essen konnte und immer nur an dich gedacht habe. Taichi schluckte, da er davon nichts geahnt hatte. Er hatte nicht gewusst, dass es ihr so schlecht ging. Genau genommen hatte auch er die Trennung von ihr verdrängt und runtergespielt, weil er sich mit dieser Herausforderung noch nicht auseinandersetzen wollte. Er redete sich ein, dass sie noch Zeit und genügend Möglichkeiten hatten, um ein solches Gespräch zu führen. Doch genau diese Leichtgläubigkeit hatte sich gegen ihn gewandt. Jetzt bekam er die Quittung dafür. Mein größter Wunsch war es mit dir zusammen zu kommen und ein glückliches Leben zu führen. Mit allem was dazugehört. Höhen und Tiefen. Ängsten und Hoffnungen. Und vor allem mit viel Liebe. Die letzten Monate hast du mich zur glücklichsten Frau gemacht, denn ich habe mich noch nie so wohl in einer Beziehung gefühlt wie mit dir. Dennoch kann ich so nicht weitermachen, weil ich selbst merkte, dass ich daran zu Grunde gehen werde! Sein Herz wurde schwer und er realisierte nur sehr langsam, was sie mit diesen Worten ausdrücken wollte. Er hoffte, sich verlesen zu haben, doch die knallharte Realität traf ihn wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht. Es gab keine Möglichkeit dieses Unglück von sich abzuwenden. Denn er hatte sie bereits vor längerem verloren, ohne es zu merken. Ich möchte allerdings das du deine Träume weiterhin lebst, selbst wenn wir uns vorerst von diesem Traum verabschieden mussten. Vielleicht ist dieser Weg uns vorbestimmt und wir müssen ihn gehen, um uns selbst zu finden. Ich möchte, dass du weißt, wie sehr ich dich liebe und das sich das auch niemals ändern wird. Seine Hände begannen unweigerlich zu zittern und er drückte das Papier an den Seiten ein. Das Bedürfnis zu schreien wuchs je mehr er las. Warum war er nur so leichtgläubig gewesen? Wie konnte er nur denken, dass sie diese Hürde einfach so schaffen würden, wenn sie es damals schon nicht geschafft hatten? Waren sie älter und erwachsener geworden? Ja, aber dennoch konnte er die widrigen Gegebenheiten nicht ändern, die selbst Erwachsene an den Rand der Verzweiflung treiben konnte. Dabei waren sie noch so jung. Jung und naiv. Mimi hatte lediglich die Reißleine gezogen, weil sie erkannte, dass sie einer Traumvorstellung hinterherjagten, die sich im Moment einfach nicht erfüllen konnte. Doch ich möchte dich gehen lassen! Denn wenn du jemanden liebst, dann sollte man ihn frei lassen, statt ihn zu erdrücken und genau das würde ich tun, wenn ich diesen Schritt nicht gehen würde. Erinnere dich an die Momente, die uns ausgemacht haben. An die Liebe, die wir miteinander geteilt und für einander empfunden haben. Für einen kurzen Moment dachte er daran sie sofort anzurufen und sie von dem Gegenteil zu überzeugen, so wie er es die letzten Monate versucht hatte. Aber ihre Worte waren entschlossen, sodass er feststellte, dass egal was er auch sagte, sie nicht umstimmen würde. Es war zu spät. Er hatte sie bereits verloren. Ich werde es niemals vergessen und hoffe, dass du mir eine Bitte erfüllst. Ich weiß, dass ich nicht in der Position bin eine solche zu äußern, aber ich möchte nicht, dass es das Ende sind, sondern lediglich ein Neuanfang, der uns vielleicht irgendwann wieder zusammenbringt. Daher bitte ich dich, vergiss mich nicht. In Liebe deine Mimi Tränen sammelten sich seine Augen als er wieder und wieder ihre Bitte las. Wut stieg in ihm auf, sodass er den Brief einfach zusammenknüllte und in die nächste Ecke warf. Verzweifelt lehnte er sich nach vorne und raufte sich die Haare. Er hatte noch nicht mal die Gelegenheit gehabt zu kämpfen. Sie hatte sich einfach entschieden. Und auch wenn er sie teilweise verstehen konnte, war die Enttäuschung groß. Größer als er sich vorstellen konnte. In seinem Kopf hallten ihre letzten Zeilen wie ein Mantra, dass ihn quälte und ihm zeigte, dass er nun seine Zukunft ohne sie bestreiten musste. Er war mal wieder auf sich allein gestellt und steuerte nun auf einen unbewanderten Pfad zu, der alles verändern würde. Ihm blieb nur noch die Erinnerung. Die Erinnerung an sie. Die Liebe ist eine unbezwingbare Macht, die manchmal jedoch ihre Opfer fordert und einen erkennen lässt, dass der Verlust zum Leben dazugehört. Nichts ist für die Ewigkeit, aber dennoch hinterlässt die Liebe konstante Spuren in Form von Erinnerungen. Erinnerungen, die so zeitlos blühen wie ein Vergissmeinnicht. Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)