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Unter den Schwingen des Horusfalken

von

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Neue Kollegen


 

M

eresanch, die sich lieber Merit nennen ließ, beeilte sich sich umzudrehen und zu verneigen als sie ihren Namen hörte. Die Gemahlin des Königs, die maat-hor, betrachtete die junge Frau. „Komm doch einmal mit.“

Natürlich, dachte Merit. Bestimmt wusste sie inzwischen von ihrer neuen Beschäftigung und war neugierig. Begabt damit den wahren Gott im menschlichen König zu sehen, die Frau an seiner Seite zu sein, blieb sie eben doch ein Mensch. Hier in der Haupthalle saßen zu viele Frauen, die schrieben und andere Arbeiten erledigten – und zuhörten. Klatsch und Neuigkeiten verbreiteten sich solcherart nur zu rasch, während das Schlafzimmer der maat-hor nicht nur abseits lag sondern auch durch eine Holztür und einen Vorraum relativ unzugänglich war. Niemand sollte hier zuhören können.

Die Königsgemahlin, die sich ihrem vierzigsten Geburtstag näherte, ordnete nachlässig ihren modisch-breiten Halskragen. „Ich war ein wenig überrascht, Merit, dass du mir nichts im Voraus sagtest, als mir der Herr der beiden Länder gestern angab, dass du Sonderaufträge übernehmen sollst.“ Da sie sah, dass das Mädchen antworten wollte: „Nein, spare es dir. Natürlich darfst du nicht reden.Weißt du, wann der Befehl kommt?“

„Das liegt im Belieben des mächtigen Horus. Soweit ich weiß jedoch bald.“

„Tage?“

„Ja.“ Die Ruhe, ja, Gelassenheit, dieser Frau war sicher einer der Gründe, warum der Herr der beiden Länder noch immer gern zu ihr ging, obwohl das Alter und acht Schwangerschaften ihre Spuren hinterlassen hatten. Sechs Söhne hatte sie dem König geboren – nur einer lebte noch, aber zwei Töchter.

„Ich wurde angewiesen für dich eine Reise zu einer der Domänen des ipet anzugeben. Sage mir, wenn es soweit ist.“

„Danke.“

„Für den Horusfalken, unter dessen Schutz wir alle leben. - Merit, ich wollte ihn das nicht fragen, aber ich kenne dich seit deinem achten Lebensjahr: wird es gefährlich?“

„Ja, das wurde mir gesagt.“

Die maat-hor fragte nicht weiter. Niemand widersetzte sich dem Befehl des Lebenden Gottes.

 

Tatsächlich erhielt Merit nur zwei Tage später ein kleines Täfelchen. Die Dienerin, die es ihr brachte, zwinkerte.

„Er scheint dich zu mögen.“

Irritiert sah sie auf die wenigen Zeichen. „Komme zum Tor des Gerichtshofes, sobald das Abendessen vorbei ist. Ich warte sehnsüchtig auf dich.“ Das Zeichen dahinter kannte sie nicht, aber es sollte wohl ein mehr als stilisierter Falke sein. Natürlich. Meruka, denn sie bezweifelte nicht, dass das von ihrem neuen Vorgesetzten kam, würde nicht die Hieroglyphe des Horus verwenden. Der Gerichtshof befand sich, wie auch die Büros des tjati direkt am Haupteingang des Palastes, denn viele Leute, Schreiber und einfache Bürger, sprachen dort vor, um Testamente bestätigen zu lassen, Besitzurkunden zu hinterlegen, gerade auch, wenn sie selbst Verwalter oder Stadtvorsteher waren und das für ihre Untergebenen erledigten. Das, was hier lag, galt in alle Ewigkeit.

 

So war sie pünktlich im nunmehr fast leeren Vorhof und blickte sich um. Meruka war nicht zu entdecken, aber eine junge Frau, die sich ebenfalls suchend umsah, dann auf sie zukam. Sie trug das weiße Kleid fast aller Ägypterinnen, darüber ein buntes Netz geworfen. Nach höfischer Mode waren mehrere Armreifen aus Halbedelsteinen um ihre Unterarme geschlungen und andere zierten die Knöchel. Die schwarzen Haare waren eine Perücke, wie es üblich war, aber an der Stirn konnte man die kurzen, eigenen Haare entdecken. Sie mochte etwas über Zwanzig sein, etwas fülliger, als es das Idealbild einer Frau darstellte. Aber sie war unbestreitbar schön – schöner als ich, dachte Merit unwillkürlich.

„Meresanch?“ fragte die Unbekannte nicht unfreundlich. „Meruka bat mich dich zum Treffen zu bringen, da du den Raum nicht kennst. - Ich bin Nefertari, aber nenne mich Nefer.“ Nun ja, er hatte wohl ihnen beiden Gelegenheit geben wollen sich allein kennen zu lernen. Zwei Frauen in einer solchen Gruppe würden das Gefüge verändern.

Merit lächelte eilig. „Danke, dann sage du aber Merit.“ Das war ein Test, das war ihr klar. Meruka als Vorgesetzter wusste genau wen er warum wollte – und sie bezweifelte nicht, dass er im Fall der Fälle am ehesten auf sie verzichten würde. „Ein Treffpunkt?“ fragte sie leise.

„Ja. Wir haben dort immer Besprechungen. Komm. Gewöhnlich übernachten dort hohe Beamte, die nach Ibenu-hedj kommen, aber durch die Holztür und den Vorraum können wir dort ungestört reden.“

„Du arbeitest auch im Palast“

„Nein, nicht direkt. - Ich bin Wärterin des Apis.“

Der heilige Stier war im Tempel des Ptah mit untergebracht. Merit wusste, dass es dort auch Sängerinnen und Tänzerinnen für das Symbol der Fruchtbarkeit gab, aber sie hatte irgendwie nie mit einem weiblichen Wärter gerechnet. Nun, vielleicht war das auch nur ein Titel, so, wie sie selbst auf eine Domäne reisen sollte, um die Tarnung zu wahren. Falls sie nicht bestand, aber das fragte sie sich wohl etwas spät, wie weit würde die Gruppe, oder der Siegler des Königs gehen, um sie zum Schweigen zu bringen? Irgendwie überlief sie ein Schauder. So meinte sie nur: „Ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus.“

„Das hoffe ich auch.“ Nun gut, die Kleine … nein, da sollte sie sich vor hüten, denn Meresanch war nur fünf Jahre jünger als sie selbst, schien nett zu sein, aber Nefer war lebenserfahren genug um dem ersten Anschein nicht zu trauen. „Oh. Da war jemand neugierig.“

Merit folgte ihrem Blick. Der Mann der an der Lehmziegelwand lehnte, sich aber nun aufrichtete, mochte Anfang bis Mitte Zwanzig sein. Er trug den Schurz aller ägyptischen Männer, aber der Feuersteindolch in seinem Gürtel zeigte ebenso wie die Lanze, dass er zu den „Getreuen“ des Königs zählte, den Wachen des Palastes und Leibgarde, falls sich der Lebende Gott ins Feld begab, um lästige Sandleute für Übergriffe zu züchtigen. Er war größer als sie, aber fast ebenso schmal für einen Mann wie sie es als Frau war. Dabei musste er doch mit Waffen umgehen können?

Nefer übernahm die Vorstellung. „Merit, das ist Ptahnacht. Unser Krieger, sozusagen.“

„Angenehm.“ Ptahnacht lächelte etwas. Er war überzeugt davon mit jedem Neuen auskommen zu können, wäre er nur weiblich. So hielt er es für wichtiger, wenn sich die beiden Frauen verstanden. Feindinnen konnten eine Menge anrichten. „Kommt mal lieber schnell, das Essen dürfte vorbei sein.“ Die Mahlzeiten im Palast wurden stets gemeinsam eingenommen, aus den Vorräten des Herrn der beiden Länder.

Merit wunderte sich ein wenig, dass sie so nett zu einer ihnen Unbekannten waren, schließlich hatte es geheißen, diese Arbeit sei gefährlich und streng geheim. So erkundigte sie sich leise bei Nefer.

Diese nickte – und sah plötzlich anders aus, keine liebenswürdige Frau, sondern eher wohl das, als was sie arbeitete. „Da hast du vollkommen Recht. Aber der semer sprach für dich und wir vertrauen ihm.“

Semer? Das war einer der niedrigsten Hofränge. Freund. Steigerungen waren dann Freund des Hauses oder gar Einziger Freund. Und „Semer“ gab es so einige. „Danke“, murmelte sie unsicher.

Nefer lächelte ihr wieder zu, da Ptahnacht dies auch tat. Er meinte: „Lass dich nicht einschüchtern. Meruka hätte dich trotz aller Empfehlungen des semer nicht genommen, wenn er nicht was in dir sieht. Und glaub mir, er ist unser Genie.“ Er öffnete eine hölzerne Tür, die zu einem winzigen Vorraum führte, direkt in der Wand des Traktes der tjati-Büros. Dahinter befand sich eine zweite Tür. „Bitte sehr.“

Merit folgte in ein Zimmer, das offenbar wirklich als Gästezimmer gedacht war. Ein hölzernes Bett, eine Truhe, wurden von einigen Öllämpchen beleuchtet. Fünf Hocker standen dort und auf einem saß Meruka, der aufsah.

„Gut,“ meinte er nur. „Rahotep kommt wohl auch gleich.“ Er deutete auf die zusammengebundenen Papyrusrollen neben sich. „Merit, die maat-hor weiß Bescheid?“

„Ja, sie sprach mit mir heute.“ Sie setzte sich zwischen ihn und Nefer, doch verunsichert über ihre neue Rolle. In der Theorie hatte es nach einem Abenteuer geklungen, aber das war wohl doch mehr als das. Ptahnacht ließ seine Lanze neben sich zu Boden gleiten, griff aber fast unverzüglich nach seinem Dolch, da die Außentür erneut geöffnet wurde.

„Guten Abend,“ sagte ein Mann.

Merit hörte, dass ein Riegel vorgelegt wurde, dann kam der Neuankömmling herein. Auch ohne die obligatorische Tasche hätte sie einen ausgebildeten Arzt erkannt: um seinen Hals lag eine Kette mit der Skorpiongöttin Selket und einem Zeichen, das sie erst auf den zweiten Blick als Standarte der Göttin Neith aus Sau im Delta erkannte, Göttin des Krieges und der Heilkunst. Das war also Rahotep und sie meinte sich mit ihm an einen der Assistenten zu erinnern, die um die schwerkranke Königsmutter gestanden hatte. Er mochte wohl ebenso Mitte Zwanzig sein, aber in dem Halbdunkel des Raumes war das schwer zu erkennen. Er nickte ihr zu, als er sich setzte. „Merit, nehme ich an? Ich glaube, wir kennen uns.“

„Ja.“ Sie sah lieber fragend zu dem Missionsleiter.

Meruka griff zu den Papyri neben sich und öffnete eine, seine, Zusammenfassung.

„Wir haben einen neuen Auftrag, hier in Ibenu-hedj. Eigentümlich, aber wohl nicht sonderlich gefährlich. Wobei man nie sicher sein darf. - Chnummose, einer der Zehn Großen, meldete einen seiner Schreiber, einen gewissen Menmire, als vermisst, direkt beim tjati, was er natürlich darf. Der junge Mann war neunzehn Jahre, ein aufstrebender Schreiber, der soeben Verwalter des Totengutes von Chnummose geworden war. Er kam mit einem Schiff, das die Steuer zu einem Teil beförderte. Der sab-Beamte, der die Ermittlungen übernahm, konnte bestätigen, dass Menmire und der Kapitän die Lasten im Warenhaus im Hafen abliefern ließen, mit der Bestätigung zu der Verwaltung der Doppelscheune gingen, und dort die Quittung erhielten. Dann trennten sie sich, wobei der Kapitän zum Hafen zurückkehrte und dort mit seinen Leuten in einer Herberge übernachtete. Da Menmire nicht mehr auftauchte, wartete der Kapitän zwei Tage, ehe er nach Nechen zurückkehrte, um seinem Herrn Meldung zu machen. Die Ermittlung ergab ebenso, dass kein Toter gefunden wurde, die Hofärzte von nichts wussten. Menmire ist verschwunden. Die Steuern wurden überprüft, alles lief korrekt. Der semer ...“

 

Jetzt wurde Merit klar, dass es sich dabei um den Siegler des Königs handelte. Aber ja, es gab nur einen Siegler aber hundert semers. Vorsicht war also geboten. Sie würde viel lernen müssen.

 

„Der semer fand das eigen, war wohl aber noch immer geneigt an einen Unfall oder sonst etwas zu glauben, als er von Anchnefer hörte, dass der Büroleiter des tjati noch einen weiteren Fall eines Verschwundenen bearbeitet hatte. Vier Monate zuvor verschwand ebenfalls ein junger Domänenvorsteher aus Sau, der offenbar Wein aus dem Delta ablieferte. Wie auch Menmire war Sennefer neunzehn, gerade ernannt und beide waren nie zuvor in Ibenu-hedj. Bei Beiden war ein erfahrener Kapitän, der ihnen auch die Wege zeigen sollte. Beide trennten sich von ihrem Begleiter und wurden nie wieder gesehen. Beiden wurde viel für die Zukunft zugetraut. - Im Moment wird noch immer im Archiv gesucht, ob es weitere Fälle gab, aber diese zwei, durch vier Monate getrennt, scheinen bislang die Einzigen zu sein. Das Problem ist, dass es auch nur die Einzigen sein könnten, die bis an das Büro des tjati gelangt sind. Und, dass zwei Männer spurlos in der Stadt verschwunden sind. Wir sollen herausfinden, was geschehen ist.“

„Womöglich nutzten sie die Gelegenheit die Stadt anzusehen,“ schlug Nefer vor. „Und sie gerieten in Streit, wurden erschlagen und derjenige geriet in Panik und verbarg die Toten.“

„Oder sie gingen in die westliche Wüste?“ Ptahnacht sah zu seinem Vorgesetzten. „Weder von Sau noch von Nechen aus kommt man so gut zu den Oasen. Und dort hat unsere Verwaltung momentan nicht gerade viel zu sagen. Falls sie Unterschlagungen begangen haben, oder ähnliches, wären sie dort sicherer als in Sau oder Nechen.“

„Es ist ja nicht gesagt, dass beide Fälle miteinander zu tun haben“, meinte Rahotep. „Sau und Nechen liegen auseinander. Wobei – du sagtest, beide waren noch nie in Ibenu-hedj? Aber als Domänenverwalter müssten sie Lesen und Schreiben können.“

„Da hast du Recht.“ Meruka sah noch einmal nach. „Sie waren beide nie in dieser Stadt, aber das liegt daran, dass sie in der doch recht neuen Schreiberschule am Tempel des Re in Iunu ausgebildet wurden. Sie sind aus keiner hohen Beamtenfamilie und diese Schule hat der mächtige Horus eröffnen lassen, damit sein tjati mehr Nachwuchs an Beamten bekommt. Dorthin gehen Jungs von einfacheren Leuten, auch Bauernsöhne die durch Verstand auffielen. In Iunu ist auch die Bauleitung stationiert, so können ebenso Schreiber weiter zu Architekten ausgebildet werden.“

„Hm. Einfache Leute, die es schon in ihren Jahren zu Domänenvorstehern schafften.“ Nefer blickte rasch zu ihrer Nachbarin, fuhr jedoch fort: „Sie haben eine glänzende Karriere vor sich. Wieso sollten sie sie freiwillig im Stich lassen?“

„Das werden wir herausbringen.“ Meruka sah kurz in die Runde. „Ptahnacht, Nefer, ihr beide geht morgen zum Königssee, zum Nordhafen. Dort hat das Schiff aus Sau angelegt und ausgeladen. Von dort aus geht ihr den Weg, den der Kapitän und Sennefer genommen haben. Achtet auf eurem Weg zur Verwaltung der Doppelscheune auf alles, was einem jungen Mann interessieren könnte, der das erste Mal in einer so großen Stadt ist. - Merit und ich werden das Gleiche vom Haupthafen im Süden aus tun, wo Menmire ankam. Wir treffen uns dann an der Verwaltung. Dort ist auch ein Markt, so dass wir nicht auffallen sollten. - Rahotep, höre dich doch noch einmal in der Ärzteschaft um. Es gab keine Toten, die gefunden wurden und fremd in der Stadt waren.“

„Nicht schwer Leichen verschwinden zu lassen,“ erwiderte Ptahnacht prompt. „Der Fluss ist tief und spätestens im Delta erledigt sich alles im Dickicht der Papyrussümpfe, bis sich die … nun ja, Sobeks Freunde darum kümmern.“

Merit schluckte, aber sie vermutete, dass sie damit nun einfach zurecht kommen musste. So fragte sie nur mühsam: „Was soll ich für diesen Weg zum Hafen anziehen?“

Der Missionsleiter schenkte ihr einen wohlwollenden Blick. Hatte er sie doch richtig eingeschätzt. „Nefer wird es dir sagen. Sie kümmert sich stets um unsere passende Garderobe oder Schmuck. Jedenfalls keine höfische Kleidung.“

„Ich begleite dich zum ipet, dabei erzähle ich es dir.“ Nefer folgte der Hierarchie. Überdies hatte sie doch etwas das Gefühl, dass sich die junge Frau aus dem Palast nicht heraushängen lassen würde, dass sie Schreiberin war – weder sie, Nefer, noch Ptahnacht hatten das je gelernt, wie die allermeisten Menschen in kemet.

 

So trug Merit, als sie am Morgen aus einem Nebenportal des Palastes auf eine schmale Straße trat, auf der Frauen und Männer allerlei Waren in und aus dem Königshaus trugen, ein weißes, bodenlanges Gewand, wie es von der Königin bis zur Bäuerin jede Frau tragen konnte. Nur das feinere Leinen mochte für ein geübtes Auge noch verräterisch auf Reichtum oder eher Beziehungen zum König deuten. Gewöhnlich hätte sie freilich noch ein Netz mit Perlen darüber geworfen, sei es aus Muscheln oder Halbedelsteinen, auf Nefers Rat hin davon jedoch Abstand genommen. Ebenso verzichtete sie auf ihre goldene Kette, die sie innerhalb des ipet und des Palastes stets mit Stolz trug, da sie ein Geschenk der verstorbenen Königinmutter war. Allerdings war an dem Geier und dem Falken auf dem Medaillon nur zu deutlich zu sehen, dass es eben „Königinmutter“ hieß. An ihren Unterarmen lag jetzt jeweils nur eines ihrer Armbänder und auch nur eines um die Fußknöchel.

Sie lächelte, als sie ihren Vorgesetzten erblickte, der im Schatten eines Vorsprungs der Palastmauer wartete. Auch er trug nur den weißen Schurz aller Ägypter, kein Schmuck verriet ihn und auch die Perücke hätten hunderte anderer Männer tragen können. Selbst seine Augenschminke war anders. Wo ein Höfling zerriebenes Malachit tragen konnte, war sein Lidschatten nun aus mit Ruß gefärbtem Ocker. Ohne auszugehen wäre natürlich für Männer und Frauen undenkbar gewesen, gleich welchen Standes. Das brachte nur Unglück. „Guten Morgen“, sagte sie höflich.

„Guten Morgen. Dann komm. Ich vermute einmal, du bist selten so durch die Stadt gegangen?“ erkundigte er sich leise.

„Ja. Nun ja, eigentlich nie. Entweder ich war noch ein Kind oder schon im Dienst. Gewöhnlich nur mit … mit meiner Herrin.“ Königsmutter sollte sie dann wohl auch nicht sagen.

Ein rasches Lächeln Merukas galt ihr. Sie war vorsichtig. „Sehr gut,“ lobte er daher auch. „Wir kommen jetzt gleich auf einen Marktplatz, wo Leute auch von außerhalb der Stadt ihre Überschüsse anbieten. Dann geht es weiter, am Tempel des Ptah vorbei. Den kennst du sicher.“

„Ja, natürlich.“ Sie war im Gefolge der Königinmutter dort schon gewesen bei Zeremonien. Natürlich nicht im Allerheiligsten, das dem Horus und dem höchsten Priester als seinem Stellvertreter vorbehalten war. Aber sie hatte, wie jeder Einwohner von Ibenu-hedj, bei dem Lauf des Apis und des Horus um die Mauern zur Sicherung der Fruchtbarkeit des Landes teilgenommen.oder war auch, mit Knoblauch bekränzt, der Prozession zu Ehren des Sokar gefolgt. So ergänzte sie nur: „Als der mächtige Horus vor acht Jahren dort den Schrein der Sachmet eröffnete, war ich sogar im Innenhof.“

„Sehr schön.“ Meruka bog auf den großen Platz vor dem Palast, wo sich Wartende für die Büros drängten. „Dort links ist die Mauer zu dem Viertel der Goldschmiede und Gießer. Weißt du, warum die Mauer dort ist?“

„Es ist wertvoll? Schutz vor Dieben?“

„Auch dieses. Aber Gießer arbeiten mit Feuer. Die Lehmziegel dort sind fast zwei Meter dick. Sie sollen verhindern, dass bei einem Unglück die gesamte Stadt in Mitleidenschaft gezogen wird. - Dort ist das Haus des Ptah. Wir gehen weiter nach Süden. Der große Hafen liegt dort.“

„Wie lange gehen wir?“

„Gut zwanzig Minuten. - Im Augenblick brauchst du auf nichts zu achten, erst auf dem Rückweg.“

Merit nickte und beobachtete dann auch mit gewisser Erheiterung einen Mann, sicher den Marktaufseher, mit einem Affen an der Leine, der seinerseits offensichtlich gern einige Datteln aus einem Korb gestohlen hätte. Stöcke wurden hier feil gehalten, Sandalen, Stoffe. Andere Leute bummelten durch, mit Säcken in der Hand, um ihrerseits Dinge zum Tausch anzubieten. Jetzt, nach der Ernte, gab es auch Getreide, Öle aller Arten. Was nicht für die Steuer oder dem Selbstverbrauch diente, wurde in den Städten und Dörfern getauscht.

 

Je weiter sie aus dem Stadtzentrum kamen, umso schmaler wurden die Seitengassen, damit Schatten und Kühle spendend. Nur die Straße, der sie folgten, blieb breiter, schon, um schwer beladene Esel durchgehen zu lassen. Hohe Mauern grenzten die Wohnsitze der Beamten ab, aber selbst die einfacheren Häuser hatten nur schmale Fensterschlitze oben, Belüftungskamine auf dem Dach. Die Hitze des Sommers wurde auf diese Art draußen gehalten, und im Winter, der doch kühl war, die Wärme des Herdes drinnen. Die Lautstärke, die sie durchaus kannte, schien ihr immer zuzunehmen. Meruka schob sie beiseite, damit sie eine Eselskarawane vorbeilassen konnten. Natürlich, dachte Merit zerknirscht. Sie durfte nicht vergessen, dass sie hier nicht im Gefolge der Königinmutter ging, der Männer mit Stöcken den Weg frei machten. Hier galten andere Regeln. Um ihren Fehler wieder gut zu machen, erkundigte sie sich: „Eine Karawane aus der westlichen Wüste? Von den Oasen?“

„Ja, denke ich. Waren werden gewöhnlich auf dem Fluss gebracht, außer aus den Wüsten.“ Er sah voraus. „Gut. Gleich erreichen wir den Hafen. Warte etwas, dann sage mir, was du dort sehen würdest, wenn du ankommst und noch nie diese Stadt gesehen hast.“

 
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel kommt erst übernächste Woche, da ich in Urlaub bin.

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Miyu-Moon
2017-06-20T19:12:26+00:00 20.06.2017 21:12
So, da Pc wieder da ist, kann ich auch kommentieren. Ist das farbig-modische Netz eine Fantasie oder ein neuerlicher Fakt ägyptischer Mode? Ich habe einige Bücher hier, gerade mit Wandmalereien und da ist mir so ein Kleidungsstück nie aufgefallen. Das sie eine Verkleidungsspezialistin haben macht Sinn, wenn deren Arbeit es nötig macht, sich durch alle Gesellschaftsschichten zu bewegen. Ich kann mich an kein fiktives Team erinnern, wo eine ähnliche Position besetzt wurde, Glückwunsch.
Nur verstehe ich nicht ganz, was genau Anchkas Aufgabe war, vor ihrem Unfall.
Antwort von:  Hotepneith
23.06.2017 07:20
Danke für den Kommentar.

Das modische Netz ist Fakt - auf den Bildern in dden Gräbern sind die Farben nur etwas verblasst.

Ich halte mich diesbezüglich an Ermano Zoffili: Kleidung und Schmuck im alten Ägypten.

hotep
Antwort von:  Hotepneith
23.06.2017 08:17
Übrigens: auf den Wandmalereien wird auch nie die Wintermode dargestellt, also, mit langen Ärmeln und Stola etc ...


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