№ 120 von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 16: Anruf ----------------- * „Das ist jetzt deine dritte Zigarette innerhalb von einer halben Stunde.“ Madara blies den Rauch aus dem Mund, ohne seinen Bruder anzusehen. Izuna war genervt. Da fand er Zeit, gemeinsam mit Madara zu essen, und dieser tat nichts anderes, als zu rauchen und gedankenverloren vor sich her zu starren. Der Rauch störte ihn. Madara wegen mussten sie auch noch draußen sitzen. Das Essen hatte Madara nur einmal angerührt, obwohl es nach einem fein schmeckenden Abendessen aussah. Natürlich wusste Izuna, dass etwas im Busch war. „Isst du das noch?“, fragte er trocken. Eigentlich war er voll, schließlich hatte er sich noch ein Dessert hinterherbestellt. Aber Izuna war nicht verschwenderisch. Dank seiner Freundin hatte sich diese Charaktereigenschaft umso mehr gefestigt, weswegen ihm nun das Herz blutete bei dem Gedanken, dieses teure, wunderbare Essen ungewürdigt wegzuwerfen. „Nein, du kannst es ruhig haben.“ Izuna tauschte ihre Teller. „Es ist nichts, was mit der Arbeit zu tun hat“, konstatierte Izuna nüchtern wie immer und nahm Messer und Gabel zur Hand. „Erzähl mir bitte, was nicht stimmt.“ Madara rieb sich die Augen. „Es hat etwas mit Frau Haruno zu tun.“ Die Gabel, die Izuna an seinen Mund hatte führen wollen, blieb in der Luft schweben. Sein Mund stand offen. Das Stück Fleisch, das er aufgespießt hatte, glitt von den Zinken auf den Teller. „Frau Haruno?“, fragte Izuna und zog die Lippen in den Mund, so als wäre das Stück Fleisch nicht zurück auf den Teller gefallen, sondern erfolgreich zerkaut worden. Mit einem Mal war Izuna gespannt wie ein Flitzebogen. „Nun sag schon“, forderte er Madara ungeduldig auf. „Ich habe einen neuen Betrieb für sie gefunden“, begann Madara. „Wirklich? Das ist sehr schön! … Warte. Hast du Kontakt zu ihr aufgenommen?“ Weil Izuna viele Auswärtstermine gehabt hatte und seine freie Zeit überwiegend mit seiner Freundin verbracht hatte, hatten die beiden Brüder wenig miteinander interagiert. Sonst hätte Izuna bereits einen Tag nachdem Madara Sakura getroffen hatte gemerkt, dass etwas mit Madara nicht stimmte. „Ja. Ich habe sie zufällig getroffen.“ Während seiner Erzählung ließ Madara bewusst die Umarmung aus, dachte aber in Intervallen daran. Es hatte sich schön angefühlt, ihren Körper zu spüren. „Das freut mich für sie.“ Izuna kaute genüsslich auf seinem Essen. „Sie wird da garantiert besser aufgehoben sein als bei uns. So traurig das auch klingt.“ „Mhm.“ Madara wusste nicht, ob er Izuna seine Gefühle Sakura Haruno gegenüber offenbaren sollte. Er hatte Nobuko vorgeworfen, sich auf einen Jüngling, einen Buben eingelassen zu haben, und nun hatte er sich in eine junge Frau verliebt, die bis vor Kurzem noch seine Auszubildende gewesen war. Madara argumentierte gegen sich selbst: Zu dem Zeitpunkt war er wütend gewesen. Wenn dieser Sasuke nicht jünger gewesen wäre, dann hätte er eine andere Eigenschaft gesucht, die er anprangern hätte können. Ein klebriger Kloß formte sich in Madaras Kehle. Er sah Izuna an, der sein Essen mit dem restlichen Inhalt seines Glases hinunterspülte, schluckte den Kloß mühevoll herunter und krächzte: „Ich denke…“ Er hielt inne. „Was denkst du?“, wollte Izuna wissen und lehnte sich zurück. „Wir sollten bezahlen.“ Madara nickte. „Ich wollte das Gleiche vorschlagen“, log er seinen jüngeren Bruder an. Sobald sie bezahlt hatten, mussten sie nur die Straße überqueren, um zum Parkhaus zu gelangen. Madara hatte im dritten Stockwerk geparkt, den die beiden Männer bis zum Aufzug erreichten – Izunas Magen war zu voll für Treppensteigen, so als hätte er den ganzen Tag gevöllert. Dabei hatte er nicht einmal ein vernünftiges Mittagessen gehabt! Izuna schnallte sich an und wunderte sich, dass Madara es noch nicht getan hatte. Überhaupt sah Madara nicht so als, als hätte er vor, in den nächsten Sekunden den Motor zu starten. „Madara, wir müssen aus dem Parkhaus raus“, sagte Izuna. In der Stimme seines jüngeren Bruders schwang Sorge mit, was Madara dazu veranlasste, sich anzuschnallen und aus der Lücke herauszufahren. Als sie auf die dunkle Straße herausfuhren, meinte Izuna: „Rede mit mir.“ „Ich denke, ich mag Frau Haruno.“ Izuna Begriff die Bedeutung dieser Worte nicht sofort. „Du…“ Er blinzelte. „Hast du gerade allen Ernstes gesagt, dass du Frau Haruno magst?“ Madara sagte nichts. Konzentriert sah er auf die Ampel, an der er soeben angehalten hatte. Somit sah er nicht, wie Izunas Gesicht sich plötzlich erhellte und seine Mundwinkel in die Höhe wanderten. „Ha!“, machte er. „Ha! Und vor Monaten hast du mir erzählt, dass du von Frauen die Nase voll hast. Hast du deine Meinung geändert?“ Und dann fügte sein jüngerer Bruder noch hinzu: „Ausgerechnet eine ehemalige Auszubildende! War an dem Gerücht doch noch etwas dran, hm?“ Madaras linkes Auge zuckte. Genau das hatte er antizipiert. Sie waren Brüder und kannten sich einfach zu gut. Der klebrige Kloß kam wieder hoch und setzte sich in seiner Kehle fest, weswegen Madara abermals schwer schlucken musste. „Zu der Zeit“, erklärte er dann, „bestand meinerseits keinerlei Interesse an Frau Haruno. Das ist die Wahrheit, Izuna.“ Izuna gluckste. Eine Weile lang sagte Madara nichts. „Frau Haruno ist ebenfalls von ihrem Ex-Partner betrogen worden. Sie hat es mir erzählt. Das Ganze hat dadurch einen merkwürdigen Beigeschmack. Außerdem bin ich einige Jahre älter als sie. Sie hat vor nicht allzu langer Zeit bei mir gearbeitet und…“ „Ich finde, gerade weil ihr beide die gleiche schlechte Erfahrung gemacht habt, habt ihr bereits eine Verbindung zueinander, eine Basis, wenn man es so will.“ Auch zu den zwei anderen Dingen, die Madara benannt hatte, hatte Izuna eine Meinung. Aber er wollte Madara nicht unter seinen Antworten und Analysen begraben. Schließlich wusste Izuna selbst nicht, wie Sakura zu Madara stand. Deswegen fragte er: „Ich nehme an, du hast mit Frau Haruno nicht darüber gesprochen.“ „Nein.“ Madara dachte wieder an die einseitige Umarmung. Auch wenn Sakura nicht erwidert hatte, so hatte er das Gefühl gehabt, dass sich ihre Arme um ihn gelegt und ihm so wohlige Wärme induziert hatten. Sie empfand das Gleiche für ihn wie er für sie. Das stand für ihn fest. „Nein, das habe ich natürlich nicht.“ „Würdest du sagen, dass sie das Gleiche empfindet? Denn wenn ja“, meinte Izuna, „dann würde ich mir an deiner Stelle einen Ruck geben. Dir entgeht sonst etwas wirklich Wunderbares. Sie ist schließlich nicht mehr in unserem Betrieb.“ * Sakura zuckte erschrocken zusammen, als sie auf ihr Mobiltelefon blickte. Sie wurde von Mikoto angerufen. Sakura wischte über den Bildschirm, um den Anruf entgegenzunehmen. „Hallo, Frau Uchiha!“, sagte sie. „Ich bin gerade bei einer Freu-“ „Bitte“, kam es auf der anderen Seite der Leitung. Mikoto klang überaus verzweifelt und mit den Nerven am Ende. „Bitte, Sakura. Ich weiß, welche Schmerzen Sasuke dir zugefügt hat. Wie mies mein Sohn sich verhalten hat. Aber bitte, bitte komme hierher. Fugaku und Itachi sind gerade nicht da. Sasuke war zwei Tage nicht zu Hause und davor nicht in der Universität. Gestern kam er betrunken heim und heute habe ich bis jetzt kein einziges Lebenszeichen von ihm mitbekommen.“ Sakuras Herz raste. „Was ist los?“, flüsterte ihr Ino zu. Da Mikoto laut gesprochen hatte, hatte Ino das eine oder andere aufgeschnappt. Diese Fetzen in Kombination mit Sakuras Gesichtsausdruck ließen sie glauben, dass etwas Schlimmes passiert war. Sakura hielt abwehrend die Hand in Inos Richtung hoch, ohne ihre Freundin anzusehen. Mikoto weinte nun und es brach Sakura das Herz. „Ich werde kommen“, versicherte Sakura ihr, obwohl sie sich darauf gefreut hatte, gemeinsam mit Ino einen Film zu schauen. „Ich mache mich sofort auf den Weg!“ Sie legte auf und sah Ino ernst an. Eilig fasste sie das Gespräch mit Mikoto zusammen, bevor sie sich entschuldige und sich aufbruchbereit machte. In der Straßenbahn ließ Sakura das Telefonat mit Mikoto Revue passieren und krallte die Finger in ihre Tasche. Ihr war der Gedanke gekommen, dass Sasuke sich etwas angetan haben könnte. Nein, sagte Sakura sich. Nein, das wird er nicht getan haben. Ungeduldig blickte sie zu dem Monitor an der Decke und sprang sofort auf, als die nächste Haltestelle angekündigt wurde. Sie musste eine gute Strecke in der klammen Dunkelheit zu Fuß zurücklegen. Angst hatte sie keine, ihr Kopf wurde von Sasuke dominiert. Als sie vor dem Haus der Uchihas stand, kamen alle Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit als Paar hoch. Hatte Sakura Madaras Existenz in der Bahn zwischenzeitlich verdrängt, war er nun ganz vergessen. Sakura war nach weinen zumute. In der Küche brannte Licht. Mit zittrigen Fingern berührte sie das Tor, das in den gepflegten Vorgarten führte, und öffnete es. Je näher sie der Eingangstür kam, desto schlechter wurde ihr. Sie schluckte, ehe sie die drei steinernen Treppenstufen hochging und dann klingelte. Auf der anderen Seite der Tür ertönten Schritte. Mikoto hatte sich in der Küche aufgehalten und öffnete Sakura die Tür in Windeseile. Selbst im schwachen Licht der Lampe an der Flurdecke sah man, wie geschafft Mikoto war. „Hallo, Sakura“, begrüßte Mikoto sie. „Ich bin so froh, dass du da bist.“ Sakura lächelte unbeholfen. Sich in diesem Haus aufzuhalten, schürte ihr die Kehle zu. Sie zog ihr Schuhwerk aus und sah Mikoto an. „Ich werde zu Sasuke gehen“, sagte sie, ohne Zeit zu verlieren, und ihr Gegenüber bejahte. Mikoto folgte Sakura die Treppe in das Zimmer ihres jüngsten Sohnes hoch. Sakura musste an den Tag denken, an dem sie das allererste Mal hier gewesen und auf der Treppe gefallen war. Sasuke hatte sich liebevoll um sie gekümmert und war ihr für den Rest des Tages nicht von der Seite gewichen. Ihr Hintern hatte mehrere Tage furchtbar wehgetan. Vor Sasukes Zimmertür blieb Sakura stehen und drehte sich nach Mikoto um. Diese hatte die letzten Stufen nicht überwunden, sondern stand auf der fünften Treppenstufe, den verzweifelten, ängstlichen Blick auf Sakura gerichtet. Tief atmete Sakura durch und klopfte. Nichts regte sich im Zimmer. „Sasuke“, kam es über ihre Lippen wie ein schweres Fremdwort. „Ich bin es. Mach bitte die Tür auf.“ Sogar Mikoto hörte, wie Sasuke in Bewegung kam. Eilig verschwand sie nach unten, und als Sasuke die Tür öffnete, war Mikoto bereits wieder in der Küche. Sasuke sah sie wie ein Durstiger in der Wüste an, der eine Oase in der Ferne entdeckt hatte. Nur war es keine Täuschung – die Oase war da, sie war tatsächlich da! „Sakura“, keuchte er mit großen, vor Unglauben geweiteten Augen. Er war nur noch ein Schatten seines Selbst: Unter seinen Augen schienen lilafarbene Halbmonde, seine Haut war stumpf und fahl, sein Haar eine fettige Katastrophe, seine Kleidung war mit Flecken übersät, und von ihm ging ein strenger Geruch aus, der dafür sorgte, dass Sakura sich versteifte. Schweiß, Parfüm, Spirituose. Daneben hatte Sasuke ein paar Kilo zugenommen. „Ich…“ Sasuke fasste sich in die Haare und wirkte gebrochen. „Es tut mir leid. Ich bin in keinem guten Zustand.“ Sakura sah an Sasuke vorbei ins Zimmer. Es sah mindestens genauso schrecklich aus wie er selbst. Sakura runzelte die Stirn und sah Sasuke mitleidig an. Dass die Trennung solche Folgen für Sasuke nach sich ziehen würde, das hatte keiner der beiden gedacht. „Willst du trotzdem reinkommen?“, fragte Sasuke aufgeregt. „Ich bin mir nicht sicher…“, murmelte Sakura wahrheitsgemäß. Sasuke entfernte sich, um ein wenig Ordnung in sein Zimmer zu bringen. Flaschen klirrten, Rascheln ertönte. Sakura wartete eine Weile, dann betrat sie sein Zimmer, wo sie unzählige Erinnerungen überrollten. Sie musste sich beherrschen, um nicht loszuweinen.   „Setz dich.“ Sasuke war nervös und das sah man ihm auch an. Er hatte für Sakura Platz auf seinem Bett gemacht. Sakura setzte sich unsicher hin und ließ ihren Blick über das Zimmer schweifen. Nie und nimmer hätte sie gedacht, dieses Zimmer nach der Trennung jemals wieder zu betreten. Es hatte sich nichts verändert, nur dass es unordentlicher und miefiger war. In einer Ecke standen unzählige leere Bierflaschen. Sasuke konnte Bier damals nichts abgewinnen. „Kann ich mich zu dir setzen?“, wollte Sasuke wissen. Sakura zuckte kaum merklich die Schultern. In ihren Augen war Sasuke zu kaputt, um etwas zu versuchen. „Ja.“ Sasuke setzte sich neben Sakura auf das Bett. Sie fühlte sich unwohl. Das merkte er ihr auch an, weswegen er Abstand zu ihr hielt. „Mein Leben ist aus dem Ruder gelaufen“, sprach Sasuke das Offensichtliche aus. „Ohne dich hat nichts mehr einen Sinn. Nichts.“ Er sah auf seine Hände. „Ich bin froh, dass du da bist.“ „Deine Mutter hat mich angerufen“, sagte Sakura, den Blick nach vorne gerichtet. Sie schielte aus den Augenwinkeln zu Sasuke. „Sie hat sich Sorgen um dich gemacht.“ Schuldbewusst ließ Sasuke den Kopf hängen. „Ich enttäusche alle.“ Sakura wollte etwas Niederschmetterndes, Böses antworten, konnte das aber nicht übers Herz bringen. „Sasuke, du musst dich zusammenreißen.“ Sasuke vergrub kurz das Gesicht in den Händen. „Es ist meine eigene Schuld und dessen bin ich mir absolut bewusst. Ich habe mein Wort gehalten und habe dich keinmal kontaktiert. Ich wollte, dass du aus freien Stücken zu mir kommst. Jetzt bist du hier. Nicht aus freien Stücken, aber allein deine bloße Abwesenheit tut gut.“ Sakura drehte den Kopf zu ihm. Obwohl er sein Äußeres die letzte Zeit vernachlässigt hatte, sah man, dass er eigentlich ein hübscher junger Mann war. Erst glaubte sie, es sich einzubilden, dass sein Gesicht ihrem immer näher kam. Doch da trennten ihre Lippen nur noch wenige Millimeter voneinander. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)