№ 120 von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 11: Wärme ----------------- * Das erste Mal seit längerer Zeit beschäftigte Madara in seiner Freizeit etwas, das nichts mit seinem Beruf zu tun hatte. Er konnte überhaupt nicht sagen, weshalb er sich solche Gedanken um seine Worte bei der Versammlung und Sakuras Reaktion darauf machte. Möglicherweise wollte sein Gehirn sich endlich um etwas anderes kümmern als Arbeit und seine Steuerberaterpflichten, und der Fokus hatte sich aus diesem Grund auf Sakura verschoben, so banal die Sache, objektiv betrachtet, auch war. Madara saß ohne Begleitung im Restaurant und aß zu Abend. Ursprünglich wollte er gemeinsam mit Izuna hierher kommen, aber der hatte seinem eigenen Fleisch und Blut kurzfristig abgesagt – wegen einer Frau. Madara war sich nicht sicher, was ihn am meisten störte: Dass er versetzt worden war oder der Grund, weshalb man ihn versetzt hatte. Er freute sich für Izuna, er wäre ein schlechter Bruder, wenn er es nicht täte, aber nun musste er damit rechnen, dass Izuna seine Freizeit anders einteilte. Sein Mobiltelefon leuchtete auf; Izuna rief an. Madara wischte sich mit einer Serviette eilig über den Mund und ging ran. Izuna entschuldigte sich bei ihm dafür, dass er ihn versetzt hatte, versprach aber, später am Abend vorbeizukommen. Madara beendete in Ruhe sein Abendmahl und fuhr dann nach Hause. Seine Gedanken rund um Sakura vermochte er nicht komplett einzustellen, doch er dachte wenigstens nicht mehr kontinuierlich über das Ereignis nach, als er auf der Autobahn fuhr. Izuna brachte eine Tupperdose mit, bei deren Inhalt es sich um Kuchen handelte – Kuchen, den seine Freundin gebacken hatte. Izuna machte sich selbstständig und bereitete Kaffee vor, zu dem sie den Kuchen essen wollten. „Mach die Vorhänge auf, du lebst wie ein Vampir“, kritisierte Izuna, als er das Wohnzimmer mit Kaffee und Kuchen betrat. Er stellte das beladene Tablett ab und ging zum Fenster, um die Vorhänge beiseite zu schieben. Sie würden der Sonne beim Untergehen zusehen. „Wie macht sich, findest du, Frau Haruno?“, fragte Madara, nachdem er den Kirschkuchen, der wirklich gut schmeckte, probiert hatte. Verwundert schaute Izuna von seiner Tasse Kaffee auf, die er gerade zu seinen Lippen geführt hatte. „Nimmt deine Arbeit deine Freizeit derart ein, dass du jetzt auch noch neben allem anderen über die Leistungen der Auszubildenden reden willst? ... Macht das, was ich eben gesagt habe, überhaupt Sinn?“ „Nicht Plural, Singular“, meinte Madara trocken, ohne auf den zweiten Teil einzugehen, und nahm einen Schluck Kaffee. Izunas linke Augenbraue wanderte in die Höhe und er stellte die Tasse ab. „Weißt du, dein Interesse an Frau Haruno ist gerade sehr verdächtig, wenn man sich vor Augen führt, dass ihr letztens erst Opfer eines unangenehmen Gerüchts geworden seid.“ Madara sagte nichts. „Sie ist gut“, sagte Izuna schließlich, da er annahm, dass Madara seine Andeutungen für derart unangemessen befunden hatte, dass er darauf gar nicht erst apologetisch einzugehen gedachte. „Sie hat eine gute Auffassungsgabe.“ Da Madara weiterhin schwieg und Izuna das Gefühl gab, vorhin etwas unfassbar Dämliches gesagt zu haben, rollte Izuna die Augen und fügte hinzu: „Ich hab’s ja nicht so gemeint, ist ja gut!“ Madara schmunzelte in seine Tasse hinein. In manchen Situationen verhielten sie sich immer noch genauso wie zu der Zeit, als sie noch Kinder waren. „Du kennst mich“, sagte er zu seinem jüngeren Bruder. „Nur scheint es mir, als hätte sich Frau Haruno auf der Versammlung heute nicht so ganz wohlgefühlt bei meinen Worten, obwohl ich ihr nur helfen wollte.“ „Das ist mir auch aufgefallen.“ Izuna machte ein nachdenkliches Gesicht. „Aber das wird schon. Du hast nichts Falsches gesagt.“ Madara wurde das Gefühl dennoch nicht los, dass er eben doch etwas Falsches gesagt hatte, sodass er sich kurz vor dem Schlafengehen überlegte, sich Sakura mitzuteilen. * Sakura kam eine halbe Stunde vor Izuna zur Arbeit, schaltete den PC ein und entdeckte in ihrem Posteingang neben einer pauschalen Rundmail an alle Mitarbeiter eine E-Mail von Madara an sie und starrte eine lange Zeit auf den Betreff, bevor sie die E-Mail schließlich öffnete. Von: Madara Uchiha An: Sakura Haruno Betreff: Meine Worte bei der gestrigen Versammlung Nachricht: Sehr geehrte Frau Haruno, ich habe über meine gestrigen Worte reflektiert und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Sie als erwachsene Person mit dem Titel Mädchen eventuell gekränkt haben könnte. Falls das der Fall sein sollte, möchte ich mich entschuldigen. Hochachtungvoll Madara Uchiha Für diese paar Zeilen hatte Madara eine gute Viertelstunde gebraucht. Er hatte unter keinen Umständen das Wort Frau tippen wollen. Verblüfft starrte Sakura auf den Monitor und las sich Madaras E-Mail ein weiteres Mal durch. Dann lächelte sie. Damit hätte sie nun wirklich nicht gerechnet. Unter dem Tisch rieb sie sich aufgeregt die Hände, bis ihr einfiel, was sie antworten konnte. Von: Sakura Haruno An: Madara Uchiha Betreff: RE Meine Worte bei der gestrigen Versammlung Nachricht: Sehr geehrter Herr Uchiha, Ihre Worte haben mich nicht verletzt. Ich war so perplex gestern nach der Versammlung, dass ich mich bei Ihnen nicht anständig bedankt habe. Aus diesem Grund danke ich Ihnen vielmals dafür, dass Sie sich gestern für mich eingesetzt haben, und entschuldige mich dafür, einen falschen Eindruck vermittelt zu haben. Ich hoffe, dass ich Ihnen keine weiteren Unannehmlichkeiten bereiten werde. Mit freundlichen Grüßen S. H.   Madara schmunzelte über Sakuras Mail, hatte aber nichts mehr zu sagen. Er würde es niemals laut bekunden, aber Sakura war in seinen Augen die beste Auszubildende des ersten Lehrjahres im Betrieb. Bis jetzt hatte keiner der neuen Auszubildenden Mandantenkontakt gehabt, weder telefonisch noch persönlich. Für gewöhnlich erfolgte beides erst drei Monate nach Ausbildungsbeginn. Madara legte das Kinn in die Hand und öffnete den virtuellen Kalender. Heute um 14:30 Uhr hatte er gemeinsam mit Izuna einen Termin und er fand, dass es die perfekte Gelegenheit war, Sakura an Mandantenkontakt heranzuführen. Jede Etage verfügte über einen Raum, in dem Mandanten hineingebracht wurden. Es wurde Kaffee oder Wasser serviert. Diese Aufgabe übernahmen meist die Auszubildenden. Der Mandant tauchte zehn Minuten vor dem festgesetzten Zeitpunkt auf. Für wenige Augenblicke verschwand Izuna aus dem Zimmer, und als er wiederkam, sagte er zu Sakura: „Bringen Sie uns bitte zwei Kaffee und ein Wasser. Sie brauchen dann nicht zu klopfen, kommen Sie einfach reinspaziert.“ Sakura nickte. Bis jetzt hatte sie Mandanten nur gesehen, wenn sie schnellen Schrittes an der Tür in ihr und Izunas Büro vorbeigegangen waren. Es dauerte keine drei Minuten, da hatte sie zwei Tassen Kaffee vorbereitet und eine Flasche Wasser und ein Glas auf das Tablett gestellt. Tief Luft holend, nahm sie das Tablett in die Hände und trug es durch den Gang. Die Tür war zu und sie hörte, wie Izuna und der Mandant sich unterhielten. Sakura runzelte die Stirn, trat an die Tür heran und versuchte, die Türklinke mit dem Ellbogen hinunterzudrücken. Das gelang ihr nicht so recht, weshalb sie sich nach einer Oberfläche umsah, auf die sie das Tablett ablegen konnte. In diesem Moment wurde sie von Madara entdeckt, der mit einem prallen Aktenordner auf sie zukam. „Ich mache Ihnen die Tür auf“, sagte er, und verhinderte, dass sie sich rechtfertigen konnte. „Gehen Sie ruhig zuerst rein. Kaffee ist für mich und den Mandanten.“ Innerlich schmollend, betrat Sakura den Raum. Für ihren ersten Mandantenkontakt stellte sie sich hervorragend an, denn sie kam mit einem Lächeln ins Zimmer, grüßte höflich, stellte ohne Zittern und Unsicherheiten das Tablett auf den Tisch und verließ das Zimmer auf sicheren Füßen. Als sie draußen war und die Tür zumachte, atmete sie erleichtert aus, ehe sie das Tablett zurück in die Küche brachte. Danach kehrte sie in Izunas und ihr Büro zurück und widmete sich dem Weitereintragen von angekommenen Bescheiden. Madaras Besprechung dauerte eine Stunde, im Anschluss kam er in Izunas Büro. „Das haben Sie gut gemacht“, sagte er, bevor er ging. Sakura war zufrieden und fühlte sich geschmeichelt. Izuna ging heute früher und Sakura würde eine Stunde lang alleine im Raum bleiben. Aufgaben hatte sie aber genug zu tun – reichlich Ablage und dazu Schriftverkehr, was unglaublich viel Zeit in Anspruch nehmen konnte –, und Izuna hatte ihr vor dem Gehen gesagt, dass sie sich an seine Kollegen wenden sollte, wenn sie eine Frage habe. Als ihr Telefon klingelte, fuhr Sakura zusammen. Sie glaubte erst, ein Mandant riefe an, entdeckte dann aber Madaras Namen auf dem Display und ging mit ihrem Nachnamen ran. „Haben Sie sich erschreckt?“, wollte er wissen. „… Ein wenig“, gab Sakura zurück. „Wenn auf dem Display ein Name erscheint, dann ist es immer ein interner Anruf. Wir haben gerade niemanden hier, der von zu Hause aus arbeitet. Wird nur eine Nummer angezeigt oder steht da, dass die Nummer unterdrückt ist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mandant. Aber mit Telefondienst sind Sie noch nicht dran.“ Madara machte eine kurze Pause, und Sakura hörte ein Rascheln, als würde jemand Blatt für Blatt durchgehen. „Bringen Sie mir bitte die Akte mit der Nummer 1575 hoch, sie muss irgendwo bei Izuna im Regal stehen. Danke.“ Sakura stand auf und suchte nach dem Ordner, den Izuna auf dem Boden abgelegt hatte. Sakura verspürte Aufregung dabei, gleich Madara zu begegnen. Er war ihr Chef – natürlich war sie aufgeregt vor einer Interaktion mit ihm. Das würde noch eine Weile lang so bleiben, da war sie sich sicher. Die Tür zum Chefbüro war zu. Wann immer Hikaku da war, stand die Tür offen, und da es aufgrund der Türproblematik einige Male zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Geschäftsführern gekommen war, hatte man sich darauf geeinigt, dass Hikaku demnächst ein eigenes Büro am anderen Ende der Etage bekommen würde. Sakura reichte Madara den Ordner und wollte gehen, doch er bat sie, einen Augenblick zu warten. Madara blätterte konzentriert im Ordner, fand bald die Seiten, nach denen er gesucht hatte, und glich sie mit dem, was er neben sich liegen hatte, ab, bevor er ihr die losen, bedruckten Blätter reichte. „Wissen Sie, wie man bindet? Haben Sie das schon einmal gemacht?“ Sakura verneinte, und Madara sah kurz auf seinen Bildschirm, ehe er seine Hand mit den Blättern zurückzog und aufstand. „Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen.“ Genau wie jede Etage über einen Raum für Besprechungen mit Mandanten verfügte, verfügte sie auch über einen Raum, in dem Gewinnermittlungen gebunden wurden. Dafür stand ein Thermobindegerät zur Verfügung, dessen Funktionsweise Madara Sakura erklärte: Dokumente, die gebunden werden sollten, wurden erst zweimal getackert und dann in eine Mappe platziert, die Klebstoff enthielt. Das Thermobindesystem sorgte dafür, dass der Klebstoff warm und flüssig wurde und einen stabilen Binderücken schuf. Kopien, die meist, vom Mandaten unterschrieben, an die Kanzlei zur Aufbewahrung zurückgeschickt wurden, wurden dreimal getackert und gelocht. Sakura folgte Madaras Anweisungen und platzierte schließlich die erste fertige Mappe in das Bindegerät. Madara hatte sich gegen den langen Tisch gelehnt, auf dem das Bindegerät stand, und beobachtete Sakura die ganze Zeit bei ihrem Tun, ohne etwas zu sagen. Etwa eine Minute später fing das Gerät zu piepen an und sie holte die Mappe heraus. Da er ihr gesagt hatte, dass man den Rand glattstreichen musste, wollte sie mit ihren Fingern herangehen, doch dann passierte etwas, was Sakura genauso überraschte wie Madara selbst: Seine Hand schnellte hervor und fing ihre Hand ab, noch bevor ihre Finger auch nur in die Nähe der Mappe kommen konnte. Ihr Kopf war von einem Augenblick auf den anderen wie leergefegt. Wärme. Sie nahm nur noch Wärme wahr und wusste nicht, woher sie kam. Mit wild klopfendem Herzen hob sie ihren Blick zu Madara, der ihre Hände fixiert hatte. Sakura sah, wie sein Adamsapfel einen Hüpfer vollführte, als er schluckte. Ganz langsam, so als hätte seine Haut Klebstoff abbekommen, ließ er ihre Hand frei und schob ebenso langsam seine eigene in die Hosentasche, bevor er sie ansah. Als ihre Blicke miteinander verschmolzen, wurde ihr nur noch wärmer. Sie wollte wegsehen, sich von dem Schwarz seiner Iriden abwenden, konnte es aber nicht. „Die Mappe ist im ersten Moment sehr heiß“, sagte er ruhig und gefasst, so als hätten sie sich soeben nicht berührt, und blinzelte gelassen. „Sie sollten aufpassen, dass Sie sich nicht verbrennen.“ Da Sakura ein Oberteil mit kurzen Ärmeln trug, schob er den Ärmel seines Hemdes über den Handballen und bearbeitete sachte die noch heißen Stellen selbst. „Wir wären fertig. Ich nehme die Mappe mit. Könnten sie den Tacker und den Locher zurück ins Regal stellen?“ Dass er so tat, als wäre nichts vorgefallen, machte nichts besser, im Gegenteil. Sakura verspürte größte Zerstreutheit und war froh, als Madara den Raum verließ. Sie stellte alles ins Regal zurück und machte das Bindesystem aus. Ihre Finger kribbelten und egal wie sehr sie sie knetete – sie wollten nicht aufhören zu kribbeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)