№ 120 von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 7: Konversation im Fahrstuhl ------------------------------------ * In der Pause schrieb Sakura Ino, was ihr zugestoßen war. Noch immer konnte sie es nicht glauben, was im Aufzug passiert war. Sakura dachte daran, wie sie mit dem Spülmittel hantiert hatte, ohne nachzufragen oder nachzusehen, um welchen Stoff genau es sich bei Madaras schneeweißem Hemd gehandelt hatte. Sie war dafür zu durcheinander gewesen. Ein Glück war nichts schiefgelaufen. Ino antwortete mit einer Vielzahl an Smileys, die geschockte oder belustigte Ausdrücke zeigten, bevor sie schrieb: ]Wenigstens bist du nicht mit dem ganzen Gesicht rein, sonst hättest du ihm noch eine Schicht Foundation hinterlassen. Sakura blähte ihre Wangen auf, legte das Mobiltelefon beiseite und schloss die Augen. Der Miniaturventilator, der auf ihrem Tisch stand, wehte eine leichte Brise in ihre Richtung. Es war sehr warm geworden, und da die Fenster in ihrem und Izunas Büro auf die Sonnenseite gingen und draußen sich kein einziges Blättchen regte, würde das Öffnen jener nur warme Luft ins Zimmer tragen. Nicht gerade die Lösung des Problems. Sakura sah auf die Uhr. Sie hatte noch eine gute halbe Stunde Pause und beschloss, sich draußen ein wenig die Beine zu vertreten. Wenn man der linken Straße beim Verlassen des Gebäudes folgte, kam man nämlich zu einer kleinen Allee, die Schatten spendete. Die Treppen befanden sich immer noch in Reparatur; man würde sie voraussichtlich morgen erst zum Begehen freigeben. Sakura kaufte sich einen kühlen Kaffee am Automaten neben dem Aufzug. Sakura gehörte nicht zu den Menschen, die ihren Kaffee am frühen Morgen tranken. Sie trank morgens lieber einen Tee, und am Nachmittag gönnte sie sich Kaffee. Im Aufzug sollte sie auf Madara treffen. Ihr Gesichtsausdruck in dem Augenblick, als sie in den Aufzug stieg, war vergleichbar mit dem Emoji, dessen Lippen zu einem dünnen Strich geformt waren. Madara stand an der Wand gelehnt, haargenau in der Mitte, in der Hand eine Zigarettenpackung, und Sakura stellte sich in die Ecke rechts von ihm, nervös gegen ihren Kaffeebecher tippend, als sich die Aufzugstüren schlossen und der Fahrstuhl nach unten fuhr. Madara schielte zu ihr hinüber, entdeckte Spuren des moosrosenfarbenen Lippenstifts, mit dem er heute Morgen Bekanntschaft hatte machen dürfen, und trat ein Stück zur Seite. Zwar waren sie die einzigen Menschen im Aufzug und sicherlich war das Zurückweichen unnötig gewesen und hatte Sakura irritiert, aber lieber ging er auf Nummer sicher, bevor er ein zweites Mal an diesem Tag von Sakuras Lippen getroffen, oder mit Kaffee begossen wurde. Toll, ging es Sakura durch den Kopf. Er hielt sie für einen unberechenbaren Tollpatsch, obwohl sie das nicht war. Es war ja nicht einmal ihre Schuld gewesen, dass sie sein Hemd geknutscht hatte. Abrupt kam der Aufzug zum Stehen. Die Lampe über ihren Köpfen erlosch für einen Augenblick, nur um dann mit einer merkwürdigen Intensität wieder aufzuleuchten. Ein seltsames Rauschen erreichte ihre Ohren, und Madara grunzte genervt. Sie steckten fest. „Na wunderbar“, machte er seinem Ärger Luft und betätigte sogleich ungeduldig mehrere Male die Notruftaste. Die Treppen gingen nicht und nun ging einer der Aufzüge kaputt. Zum Teufel mit der Technik, dachte er sich erbost und sah zu Sakura hinüber, die ebenfalls nicht sonderlich begeistert zu sein schien. Abermals legte sich sein Blick auf die moosrosenfarbene Spur an der Trinköffnung von Sakuras Kaffeebecher. „Ich verstehe nicht so recht, weshalb Frauen Lippenstift nutzen, wenn er im nächsten Moment überall sein kann.“ Er wusste nicht, was ihn geritten hatte. War es die Situation von heute Morgen? Der Fakt, dass er ausgerechnet heute, wo er überdurchschnittlich gereizt war, in einem Aufzug stecken blieb? Unwillkürlich dachte er an Nobuko. Sie war eine passionierte Lippenstiftsammlerin gewesen und hatte sicherlich weit über fünfzig Stück besessen. Kurioserweise hatte sie nur zwei oder drei regelmäßig benutzt, der Rest war nur selten in Aktion gewesen. Nun, man musste das gewiss nicht verstehen. Ebenfalls musste man es nicht verstehen, weshalb Frauen fremdgingen, anstatt sich zu trennen und sich erst dann jemand Neues suchen. Madara war mindestens genauso verbittert wie Sakura, nur hatte er nicht alle Frauen seit dem Tag lauthals über einen Kamm geschoren, wie Sakura es seit Kurzem mit Männern zu tun pflegte. Dafür kongruierte seine Einstellung zum Thema mit der von Sakura. Sakura antwortete nicht sofort. „Wenn ich langanhaltende und kussechte Lippenstifte auftrage, trocknen sie im Laufe des Tages die Lippen aus.“ Ihr Gesicht glich mittlerweile eins zu eins einem Emoji. Es fehlte nur noch die intensive gelbe Farbe. Sie hatte nicht gewusst, was sie sonst hätte sagen können. Schweigen hatte sie für unhöflich befunden, und vom Thema ablenken, das war ihr kein Stück besser erschienen. Madara sah sie an und blinzelte, so als stellte er seine eigene auditive Wahrnehmung infrage. Gerade in diesem Augenblick meldete sich eine Stimme durch die Sprechanlage, die ihnen mitteilte, dass man den Aufzug voraussichtlich in fünfzehn Minuten wieder zum Laufen bringen werde. Madara trat leicht gegen die nächstbeste Wand des Aufzugs und entnahm eine Zigarette aus der Packung. Er spürte Sakuras Blick auf sich ruhen und sah sie an. Ihr Blick löste sich von seiner Person und fiel auf das Piktogramm neben Madaras Kopf, das aussagte, dass hier nicht geraucht werden durfte. Unzufrieden packte Madara die Zigarette weg und fragte: „Wissen Sie schon, was Sie nach den drei Jahren machen wollen, Frau Haruno?“ Nicht, dass es ihn aufrichtig interessierte; er musste etwas mit seinen Lippen machen, sonst würde er wahnsinnig werden. Seit der Trennung von Nobuko rauchte er mehr und überwiegend zu festen Zeiten. Bevor sie sich kennengelernt hatten, hatte er vielleicht einmal alle paar Monate geraucht, und Monate später wurde es jede Woche eine. Mittlerweile waren es zwei am Tag. Sakura, die das Feststecken im Aufzug recht gelassen hinnahm, dafür aber von Madaras Präsenz eingeschüchtert war, nippte an ihrem Kaffee und sagte: „Das weiß ich noch nicht. Ich weiß, dass ich die Möglichkeit habe, danach zu studieren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das möchte, oder ob ich mich fortbilden lasse.“ Sie blickte auf die verschlossenen Türen vor ihr. „Ob zum Steuerfachwirten oder zum Bilanzbuchhalter, das weiß ich noch nicht. Ich werde zuerst die drei kommenden Jahre in Angriff nehmen.“ Madara nickte. „Ich selbst habe nach meiner Ausbildung studiert. Das würde ich auch jedem empfehlen. Eine Ausbildung und ein Studium sichern einen im Leben ab. Selbst wenn das Studium dann in eine andere Richtung geht als die Ausbildung, hat man einen Plan B, wenn Plan A scheitern sollte.“ Ein ganz so unangenehmer Zeitgenosse, wie es der erste Eindruck einem vermittelte, schien Madara nicht zu sein. Vielleicht war das aber auch nur ein Ausnahmemoment. Jedenfalls war Madara ein Mann, und in Sakuras Kopf ein verdorbenes Exemplar. Sie konnte nicht anders, als Vermutungen über sein Privatleben anzustellen, und diese Vermutungen waren alles andere als schön. Obwohl er mit ihr ganz normal gesprochen hatte, wurde ihr der Aufenthalt mit ihm im Aufzug nun langsam sehr unangenehm. Madara hingegen nahm Sakura nicht als eine Frau wahr, sondern als einen Menschen, der in der Kanzlei angestellt war. Frauen waren für ihn gestorben. Er bemerkte ihr Unwohlsein. „In zehn Minuten sollten wir hier raus sein“, sagte er in dem Glauben, dass der lange Aufenthalt in so einem engen Raum an ihren Nerven zehrte. Sakura lächelte leicht. Sie würde nie wieder einem Mann vertrauen können, da war sich Sakura sicher. Selbst wenn sie irgendwann in vielen, vielen Jahren wieder in den Genuss der Nähe eines Mannes kommen sollte, würde sie schnell misstrauisch werden. Vielleicht würde sie sogar zu einem wahnsinnigen Kontrollfreak mutieren, weil man sie in der Vergangenheit einmal belogen und betrogen hatte, und dann würde ein Unschuldiger darunter leiden… Nein, nein. Unschuldige Männer gab es nicht. Ohne sich dessen bewusst zu sein, zerdrückte Sakura den mittlerweile leeren Kaffeebecher in ihrer Hand. „Unschuldige Männer gibt es nicht“, murmelte sie gedankenverloren. Madaras Augenbraue wanderten in die Höhe. „Wie meinen Sie das, Frau Haruno?“ Ihr Kopf flog zu Madara. Mit großen Augen sah sie ihn an. Jetzt erst wurde ihr klar, dass sie ihre Gedanken ausgesprochen hatte. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte sie schnell, „ich habe nur laut nachgedacht.“ Der Fahrstuhl setzte sich plötzlich in Bewegung und blieb im Erdgeschoss stehen. Madara steuerte direkt den Ausgang an, die Zigarette bereits gezogen. Er dachte über Sakuras Worte nach; als er sich die Zigarette anzündete, verschwanden die Gedanken, so als hätte er sie mit dem Rauch aus seinem Mund geblasen. Sakura war wieder nach oben gefahren, mit dem anderen Aufzug. Jetzt war es zu spät, um noch einen gemütlichen Spaziergang durch die Allee zu machen. Sie setzte sich hinter ihren Tisch und wartete auf Izunas Ankunft. Als er kam, hatte er einen prall gefüllten Briefumschlag bei sich. „Ich soll ihn persönlich abliefern?“, wunderte sich Sakura, als sie den Umschlag in die Hände gedrückt bekam. „Ja. Für gewöhnlich kommt das erst nach dem Telefondienst, aber ich vertraue Ihnen. Zumal der Kunde quasi um die Ecke wohnt. Wir legen von uns aus nicht allzu viel Wert auf persönliche Übergabe, aber dieser Kunde möchte das. Er hat sich immer schon gefreut, wenn man ihm Unterlagen brachte.“ Sakura nickte und sah auf die Adresse. Eine Massagepraxis. Sakura kannte sie. Mikoto hatte sie ihr empfohlen. Sie musste die Allee ganz runter und dann nach links abbiegen. Sie brachte den Umschlag in ihre Tasche unter und hing sie sich über die Schulter. Da Izuna meinte, sie müsse sich nicht zu sehr beeilen, beschloss sie, gemütlichen Schrittes die Allee herunterzuspazieren. Amüsiert dachte sie bei sich: Dann hat das heute doch noch mit dem Spaziergang geklappt. Der Nachteil an ihrem Beruf war, dass sie viel sitzen musste. Aber fast den ganzen Tag sitzen war weniger schlimm als den ganzen Tag lang zu stehen und hinzukommend weitere Muskelarbeit zu verrichten, wie beispielsweise in einem Lager. So ein Spaziergang zum Mandanten tat gut. Allzu oft kam da allerdings nicht vor. Duftende Rosenbüsche wuchsen neben der kleinen Treppe, die zum Eingang in die Massagepraxis führte. Neben der Massagepraxis war hier ein Zahnarzt. Sakura klingelte. Die Tür neben ihr ging auf und heraus kam niemand Geringeres als Mikoto Uchiha. Sie hatte Sakura längst erspäht und hatte ihren Augen erst nicht trauen wollen. „Hallo, Sakura“, grüßte sie die ehemalige Freundin ihres jüngsten Sohnes, die ihr so sehr ans Herz gewachsen war. Was machte sie hier? Wieso war sie nicht auf der Arbeit? Hatte sie etwa frei? In diesem Moment wurde Sakura bewusst, wie froh sie war, dass sie sich dagegen entschieden hatte, ihre Ausbildung in der Kanzlei zu machen, in der auch Mikoto arbeitete. Der Platz wäre ihr sicher gewesen. Aber Sakura hatte sich Sorgen gemacht, dass etwas bei ihr schiefgehen könnte und man dann Mikoto dafür verantwortlich machen würde. Deshalb hatte sie auch abgelehnt – und von Mikoto erstaunlich viel Verständnis erhalten, obwohl Sasukes Mutter natürlich überzeugt gewesen war, dass Sakura keine groben Fehler machen würde. Unfähig sich zu bewegen, starrte Sakura Mikoto an. „H-Hallo“, brachte sie dann endlich hervor. „Eh, ich muss… Ich muss das hier abgeben, Frau Uhiha.“ Sakura hoffte inständig, dass sie damit einem Gespräch entkommen konnte; Sakura konnte nämlich genau sagen, dass Mikoto reden wollte. „Oh“, machte Mikoto, die die Tür ins Gebäude offen hielt. „Ja, natürlich. Ich möchte dich nicht aufhalten.“ Sie machte eine kurze Pause, die Position ihrer Finger am Türknauf ändernd. „Ich möchte mit dir reden. Unter vier Augen. Ich lade dich auf einen Kaffee an. Ich weiß, was mein Sohn getan hat.“ Sakuras Gesicht glühte. Ihr erster Ausbildungstag und es war bis jetzt so viel passiert, mehr als in den letzten Monaten zusammen. Sakura war überfordert. Sie wollte Mikoto anschreien, aber sie wusste, dass Mikoto in diese Sache nicht verwickelt sein konnte und sie einander nur zufällig begegnet waren. Sakura wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie schluckte und ließ die Augen hin und her wandern. Sie dachte nach, wog ab. „Gut“, sagte sie dann. „Aber nur unter der Bedingung, dass Sie Sasuke von dem Treffen nicht erzählen.“ „Einverstanden.“ Eilig und ohne viele Worte speicherte Sakura Mikotos Nummer in ihr Mobiltelefon. Sie verabschiedeten sich flüchtig und Sakura konnte die Aufgabe erledigen, die man ihr aufgetragen hatte. Den Weg zurück legte sie, erschöpft von den Vorkommnissen des bisherigen Tages, mit der Straßenbahn zurück, die eingefahren war, als Sakura aus dem Gebäude gekommen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)