Life is precious von JesLea (Das Leben ist wertvoll) ================================================================================ Kapitel 22: Drei Worte ---------------------- Wenn ich mir vorstellte, wie Kelly Jesses Pullover ruiniert hatte, musste ich grinsen. „Ja, sehr witzig.“ Jesse verdrehte die Augen. Es war ihm anzumerken, dass ihm die Begegnung mit seiner Mutter noch schwer im Magen lag. Helen legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du riechst nach Rauch“, sagte sie und rümpfte die Nase. Also hatte er tatsächlich eine geraucht. Jesse erwiderte nichts darauf, zupfte sich nur einen Fussel von seinem Shirt. „Wie läuft es eigentlich in den Proben?“, fragte Helen, um das Thema zu wechseln. Sogar ich merkte, dass Jesse schlecht drauf war, obwohl ich ihn noch nie so erlebt hatte. Er sah aus, als würde er sich am liebsten unter der Bettdecke verkriechen und mit niemandem sprechen. Ich fragte mich, ob er sich zusammenriss, weil ich dabei war. Ungefähr so eine Laune hatte er bei unserer ersten Begegnung gehabt. Hatte er an dem Tag womöglich ebenfalls seine Mutter getroffen? Jesse zuckte mit den Schultern. „Ist nicht gerade prickelnd. Der Haussegen hängt etwas schief.“ Als ich Jesse erzählt hatte, dass Brandon meine Schwester betrogen hatte, hatte er ihn zur Rede gestellt, vor all den anderen. Wie sich herausstellte, hatten Ezra und Kurt davon gewusst. Ty und Jesse waren davon nicht sehr begeistert und waren mit den dreien in Clinch geraten. Ich wäre zu gerne dabei gewesen, um Brandon die Meinung zu sagen und meiner Schwester wenigstens etwas von dem zurückzugeben, was sie mir in all der Zeit an Beistand geleistet hatte. Ihn hätte ich tatsächlich mit Absicht mit Steinen beworfen. Tammy gab sich zwar tapfer, aber die Trennung ging ihr trotzdem an die Nieren. Ausnahmsweise war ich es, die versuchte, sie abzulenken. Die vertauschten Rollen schienen sie ziemlich zu verwirren. „Wie ist das nur passiert? Bei dir läuft alles perfekt und mein Leben ist am Arsch!“, hatte sie gesagt. „Nicht, dass ich es dir nicht gönne!“ Sie hatte Recht. Und auch, wenn sie mir mit diesem Kommentar kein schlechtes Gewissen machen wollte, bekam ich trotzdem eines. Ich versuchte, zuhause weniger an Jesse zu denken, weil mir das immer ein dämliches Grinsen ins Gesicht zauberte. Um mich beim Essen davon abzuhalten, von ihm zu reden, schöpfte ich mir ein zweites Mal. Mein Vater, meine Mutter und Tammy hörten gleichzeitig auf, zu essen und starrten mich an. Ich zuckte mit den Schultern. „Was? Ich habe Hunger!“ Das hatte ich tatsächlich. Mein Appetit war zurückgekehrt. Wie ich meine Schwester aufheitern oder ablenken konnte, wusste ich. Aber wie schaffte ich das bei Jesse? Ich gähnte. Nicht, weil ich müde war, sondern weil ich hoffte, Jesse würde es sehen. Ich wollte ihn nicht auffordern, seine Familie zu verlassen, wo wir doch gerade erst angekommen waren. Aber aufmerksam, wie er war, bemerkte er es. „Sollen wir langsam aufbrechen?“, fragte er mich und ich bekam ein schlechtes Gewissen, obwohl ich genau das hatte erreichen wollen. Ich zuckte die Schultern. „Wir können ruhig noch bleiben.“ Ich mochte Helen und Pete wirklich gern, aber dieses Haus weckte in mir ein Unwohlsein, an das ich mich wohl nie gewöhnen würde. Ich schielte zu den Bildern hinüber und bereute es sofort, weil Jesse meinen Blick auffing. Er stand auf. „Na komm. Du bist müde.“ Wir wussten beide, dass das nicht stimmte. Wahrscheinlich wusste es auch Helen. Doch sie sagte nichts, umarmte uns nur herzlich und bat mich, doch öfter mit Jesse vorbeizuschauen. Ich nickte lächelnd, auch wenn mir davor grauste. Wir gingen kurz nach oben, um uns von Pete und Kelly zu verabschieden, die in einem Berg aus Stofftieren saß, Clara obenauf. Sie überschüttete Jesse mit Küssen und wollte ihn gar nicht gehen lassen. Ich fragte mich, was in diesem Moment in ihm vorging. Seine Tochter immer wieder zurückzulassen, konnte nicht einfach sein. Im Auto legte ich meine Hand auf seine, und er drehte sie um, sodass wir unsere Finger ineinander verschränken konnten. Als wir an die Kreuzung gelangten, die zu mir nach Hause führte, bat ich ihn, geradeaus zu fahren; seine Richtung. Er warf mir einen kurzen Blick zu, doch ich starrte auf die Straße. Gut, dass Freitag war. So musste ich nicht mit meiner Mutter darüber streiten, wie lange ich wegbleiben durfte. Außerdem hatte ich nicht vor, heute in meinem eigenen Bett zu schlafen. Ich schickte Mom eine kurze SMS und hoffte, sie würde nicht anrufen, um mit mir darüber zu diskutieren. Ich war alt genug. Als wir jedoch in Jesses Zimmer waren, völlig allein, war ich mir nicht mehr so sicher. Noch immer zog die Begegnung mit Marissa an seinen Nerven. Deshalb war er sehr wortkarg. Sanft strich ich ihm die Locken aus der Stirn, wofür ich ein kleines Lächeln erntete. Ich wollte nicht, dass sein Gesicht von Sorgenfalten zerfurcht wurde. Um seine Lippen zu erreichen, musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen, doch er kam mir schnell entgegen. Ihm kam die Ablenkung anscheinend sehr gelegen, denn er wollte mich gar nicht mehr loslassen. Ich beschwerte mich nicht. Dennoch löste er sich bald von mir und lehnte seine Stirn an meine. „Tut mir Leid, wie meine Mutter dich heute übergangen hat. Sie ist-“ Ich legte meine Finger auf seinen Mund und brachte ihn so zum Schweigen. Ich schüttelte den Kopf. Es war nicht wichtig. „Ich mein's ernst, sie-“ Erneut ließ ich ihn nicht aussprechen. Am Saum seines Shirts zog ich ihn wieder zu mir herunter und versiegelte seine Lippen, damit er nicht erneut auf die Idee kam, das Thema anzusprechen. Um meine Absichten klarzumachen, ließ ich meine Hände unter den Stoff gleiten. Dass meine Berührung ihm eine Gänsehaut bereitete, verschaffte mir selbst eine. Jesse fackelte nicht lange und befreite sich von dem störenden Stück Stoff. Einen Moment betrachtete ich einfach nur seine Tattoos und den zu erahnenden Sixpack. Ich fuhr über die schwarze Farbe auf seiner Haut und merkte, wie sehr er sich beherrschen musste, um nur still dazustehen und mich gucken zu lassen. „Du starrst schon wieder“, flüsterte er, was mir ein Lachen entlockte. Es waren seine letzten Worte. Das Einzige, was in dieser Nacht noch mehrmals über seine Lippen kam, war mein Name. Ich änderte meine Meinung über Sex. Grundlegend. Vielleicht lag es auch einfach an Jesse. Ich liebte das Gefühl, seine Haut auf meiner zu spüren. Ich liebte es, wie er mich danach ansah, und währenddessen. Ich liebte es, wie er den Arm um mich schlang und mir zuflüsterte, wie froh er war, dass ich in sein Leben getreten war. Ich liebte es, wie begehrenswert ich mich bei ihm fühlte. Ich liebte es, ihm beim Schlafen zuzusehen. Als ich mir ganz sicher war, dass er eingeschlafen war, fuhr ich mit dem Zeigefinger über seine Schläfe und betrachtete seine Züge. Die langen Wimpern, die einem nur auffielen, wenn man genau hinsah, weil sie so hell waren. Die Form seiner Oberlippe, die ein kleines bisschen voller war als die Unterlippe. Die Haare, die sein Gesicht umrahmten. Er sollte sie vielleicht mal schneiden. Langsam wurden sie echt lang. Sie reichten ihm schon fast bis zur Schulter. Ich betrachtete seinen Hals, und die Ader, die ich leicht pulsieren sah. Und die Linie seines Kiefers, die ich sehr verführerisch fand. „Ich liebe dich“, flüsterte ich ganz leise, sodass er es nicht einmal gehört hätte, wenn er wach gewesen wäre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)