Agathós von BleedingRose (Der Orden des Lichts) ================================================================================ Ein Unglück kommt selten allein (Part I) ---------------------------------------- Kapitel 1 ~*~*~ Charlie ~*~*~ Ich habe schon immer gewusst dass ich anders bin, auch ohne das mir ständig von Ivonne und ihrer Gang gesagt wird, dass ich ein Freak bin. Ich habe mich nie für die Dinge interessiert, für die sich Mädchen in meinem Alter eigentlich interessieren. Wenn andere sich Gedanken darüber machen, welche Klamotten sie sich als nächstes kaufen werden, frage ich mich welches Buch ich als nächstes verschlingen werde. Und wenn andere ihre Freizeit mit Shoppen gehen, Partys feiern und wahrscheinlich auch Drogen nehmen verbringen, habe ich Unterricht in Fechten, Bogenschießen und Selbstverteidigung. Also ja… Ich bin anders und vielleicht bin ich auch ein Freak, in deren Augen wohlgemerkt, aber das stört mich nicht im Geringsten. Ich finde mich so wie ich bin, ganz ok. Und meine Freunde tun das auch. Ryan Parker und Samantha Salomon. Ich kenne die beiden jetzt schon seit 13 Jahren und wir haben uns bis jetzt, noch kein einziges Mal gezofft – wenn das mal kein Zeichen ist. Wir drei sind wie Pech und Schwefel und gehen gemeinsam durch dick und dünn. Wir sind quasi wie Geschwister. Obwohl… Nein, nein, nein, nein, nein. Lieber doch keine Geschwister. Immerhin steht Samantha ein klein wenig auf Ryan. Und alleine schon daran zu denken, dass mein quasi Bruder und meine quasi Schwester…, also das sie... Nein, das wäre einfach zu ‚bä‘ und irgendwo auch gruselig. Immerhin haben wir früher, als wir noch klein und unschuldig waren, gemeinsam in einer Badewanne, Schatzsuche, gespielt. Hach ja, war das eine schöne Zeit. Damals gab es noch keine Ivonne Wittmann und ihre keine Clique aus verzogenen Gören und Diven, die mich tyrannisieren und das nur, weil ich vor drei Jahren, als ich noch einen halbwegs guten Ruf hatte, zur Schulsprecherin gewählt wurde. Dabei wollte ich den Job gar nicht haben. Ich hatte mit meinen Freizeitbeschäftigungen und mit meinen beiden Freunden, schon viel zu viel um die Ohren gehabt. Dementsprechend gab ich den Titel auch schon nach einem Jahr wieder auf und trat ihn an Ivonne ab, doch auch das brachte mir keine Pluspunkte bei ihr ein, im Gegenteil. Sie hasste mich danach irgendwie noch mehr. Aber naja, manchen Leuten kann man es eben nicht Recht machen. Die Wut die ich gerade auf Ivonne verspüre nutzend, schieße ich mit meinem letzten Pfeil genau ins Schwarze, in die Mitte. Ich atme freudig aus und entscheide mich für heute Schluss zu machen. Schließlich habe ich gleich noch eine Verabredung. Ich schließe meinen Kompositbogen ordnungs- und vorschriftsgemäß wieder weg und beeile mich, dass ich noch schnell unter die Dusche komme, bevor gleich Ryan hier auftaucht und mich abholt. Wir wollen zusammen mit Samantha in unser kleines Stadtkino gehen, es soll irgendein etwas älterer Film mit ihrem Lieblingsschauspieler kommen – Samantha steht voll auf ihn. Hoffen wir also mal, dass sein Charakter wenigstens in diesem Film, überleben wird. In den meisten Filmen, in denen er mitwirkt, kratzt er ja ab. Nachdem ich fertig geduscht habe, begebe ich mich in mein Zimmer und suche passende Sachen für unseren Kinobesuch raus. Sehr viel Auswahl habe ich nicht, darum dauert es auch keine Zehn Minuten und ich stehe Ausgehfertig, vor unserem recht altmodisch eingerichteten Zweifamilienhaus. Mom liebt es Rustikal. Das Scheinwerferlicht von Ryans Mercedes-Benz ist schon von weitem zu sehen und so setze ich mich lieber schon mal in Bewegung, bevor Mom doch noch auf die Idee kommt, ihm einen guten Abend zu wünschen und darüber hinaus, noch eine ihrer gern abgehaltenen Standpauken, über das ‚pünktlich nach Hause bringen‘ und ‚sinnig fahren‘, hält. Mom liebt es Standpauken zu halten – und ich hasse es. Ryans Wagen hält neben mir an und ich steige freudig ein. Zum Glück ist er bereits volljährig und besitzt einen eigenen Wagen, auch wenn ich finde das es als erstes eigenes Auto, auch ein etwas kleinerer hätte sein können. Aber naja… Ryan steht nun einmal auf schnelle Autos. Schon als kleiner Junge war er regelmäßig auf Rennstrecken anzutreffen, was seine Eltern stets verzweifeln lies. „Hey!“, begrüßt Ryan mich und gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange. Das tut er seit gut einem viertel Jahr. „Gut siehst du aus!“ „Danke! Du aber auch.“ Ryan trägt eine schwarze Jeans und ein weinrotes Hemd, von dem die oberen zwei Knöpfe offen stehen. Ich beobachte ihn noch etwas von der Seite aus, während er Gas gibt. „Hast du nach dem Kinobesuch noch was vor?“, frage ich ihn. „Nein! Wieso?“ Ryan blickt kurz zu mir, ehe er sich wieder voll und ganz der Straße widmet. „Naja, du siehst heute so… schick aus.“ Normalerweise trägt er immer nur seine ausgeleierten und ausgeblichenen Pullover und Jeanshosen voll mit Löschern. Von Mode hat Ryan nämlich noch weniger Ahnung als ich. Die einzige die wirklich was von all dem Kram versteht ist Samantha. Sie wird Augen machen, wenn sie gleich so sieht. Vielleicht auch halb in Ohnmacht fallen. Ryan sieht in diesem Hemd nämlich mehr als scharf aus. Schnell wende ich meinen Blick von Ryan ab. So wie eben, habe ich noch nie über ihn gedacht – ich werde doch wohl nicht… Nein, ganz ausgeschlossen. Mein heimlicher Schwarm heißt Alexander. Er sieht verdammt heiß aus, ist, wie soll es auch anders sein, der beliebteste Schüler der Schule und leider auch der Zwillingsbruder von Ivonne. Das Karma meint es einfach nie gut mit mir. „Samantha hat mich vorhin angerufen, sie kommt fünf Minuten später und wir sollen für sie schon einmal eine Karte mitkaufen. Ihr Vater ist heute kurzfristig nach Hause gekommen, und wollte unbedingt noch etwas Zeit mit seiner ‚kleinen Prinzessin‘ verbringen, weil er morgen früh gleich wieder los muss. Was bin ich froh, dass ich keinen Piloten als Vater habe. So selten wie die den zu Gesicht bekommt, da wäre es für sie vielleicht besser wenn...“ Ryan hält mitten im Satz inne, seufzt dann und schüttelt dabei den Kopf. Und ich sitze stumm daneben und starre meinen besten Freund traurig an. Am liebsten würde ich ihn jetzt trösten, aber andererseits weiß ich auch nicht was ich ihm sagen soll. Ich habe ja nicht dasselbe Problem wie er und Samantha, wobei es Ryan am schlimmsten von beiden getroffen hat. Immerhin hat er nur noch seinen Bruder, während Samantha und ich noch beide Elternteile haben, auch wenn Samantha ihren Vater nur alle drei-vier Wochen sieht und ihre Mutter nie Zeit für sie hat. Auch ich seufze. Ryans Eltern sind vor drei Jahren bei einem Bootsausflug in ein heftiges Gewitter geraten und gekentert. Die Leichen der beiden wurden nie gefunden und so hat Ryan immer noch etwas Hoffnung, dass seine Eltern noch am Leben sein können. Ich lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe an und verfolge mit meinen Augen die Regentropfen. Es hat draußen angefangen sachte zu regnen. Wie passend, denke ich und schließe meine Augen. Den Rest des Weges schweigen Ryan und ich, was sehr befremdlich ist, doch wenn Ryan mit mir hätte über das was ihn bedrückt reden wollen, dann hätte er es getan. Gut genug kenne ich ihn ja. Zehn Minuten später sind wir am Kino angekommen und wie Ryan gesagt hatte, ist Samantha noch nicht zu sehen. Mein bester Freund bringt seinen Mercedes zum Stehen und beide steigen wir aus. Noch immer nieselt es leicht. Ich gehe um den alten Oldtimer rum und stelle mich neben ihn. Zaghaft spüre ich die schlanken Finger von Ryan, wie sie nach meiner Hand greifen. Er schenkt mir ein kleines Lächeln, als ich seine Geste erwidere und seine Hand fest in meiner halte. Gemeinsam betreten wir das Kino. Drinnen hat sich schon eine kleine Schlange gebildet. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Film solchen Anklang findet“, sagt Ryan und kramt einige Geldscheine aus seiner Hosentasche. Auf meinem Blick hin zieht er eine Augenbraue hoch und boxt mich liebevoll mit seinem Ellenbogen in die Seite. „Jetzt schau nicht so. Ich bin der Kerl und bezahle natürlich für meine beiden Mädels. Ist doch klar.“ „Oh, mein holder Prinz“, scherze ich und boxe zurück. Mit den Jahren habe ich es aufgegeben mit Ryan zu streiten, da er eh jedes Mal gewinnt. „Was wäre ich nur ohne dich“, füge ich noch hinzu. „Inzwischen so arm wie eine Kirchenmaus“, erwidert er, was mich innerlich auflachen lässt. Wenn er nur wüsste. Bei dem Vermögen was meine Eltern besitzen, würde es mehrere hundert Jahre dauern, bis wir mal ansatzweise arm werden. Aber das kann ich natürlich niemandem sagen. Immerhin weiß niemand in der Stadt, dass wir mehr als reich sind. Und das wollen wir auch gar nicht. So haben wir unsere Ruhe und werden von unserer Nachbarschaft eher ignoriert, als belagert. „Hey da kommt ja Samantha“, sagt Ryan und winkt unsere Freundin fröhlich zu. Wenigstens hat er jetzt wieder gute Laune. Ein niedergeschlagener Ryan ist nämlich kaum zu ertragen. Stürmisch werde erst ich und dann Ryan umarmt. Wie immer ist Samantha bester Laune und strahlt uns wie ein Honigkuchenpferd an. „Und? Habt ihr schon die Karten geholt?“, will sie von Ryan wissen. Aus ihren hellgrünstrahlenden Augen, blickt sie zu ihrem heimlichen Schwarm. Der begutachtet unsere Nachzüglerin eine Weile, ehe er den Kopf schüttelt. Samantha sieht wie eigentlich immer bezaubernd aus. Sie trägt ein dunkelgrünes, für den Frühwinter geeignetes Kleid, welches ihre recht schmale Figur noch mehr betont und eine schwarze Strickjacke darüber. „Sind noch nicht dran gekommen“, sagt er und zeigt auf die Leute vor uns. Sofort verdunkelt sich Samanthas Gesicht. „Die sollen sich da vorne mal beeilen, ich will nichts vom Film verpassen“, brummt Samantha. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen – als wenn das bei ihren 1,52m einen allzu großen Unterschied macht und brüllt los. „Seit ihr da vorne eingeschlafen oder was?“ Ich verdrehe meine Augen. Samantha und ihre große Klappe. Ich drehe mich etwas zur Seite und tue so als kenne ich sie nicht, während Ryan ihr auf den Rücken klopft und ihren dunkelbraunen Lockenkopf verwuschelt. Die knurrt ihn daraufhin an und öffnet erneut ihren Mund. Bevor sie allerdings einen Laut von sich geben kann, verblasst um uns herum die Menschenmasse in einer Art Grauschleier und sämtliche Bewegungen, inklusive den Fliegen an den Wänden, stehen mit einmal Still. Die Zeit wurde angehalten. Ich blicke mich in der Eingangshalle um und warte fast schon sehnsüchtig auf das kommende Schauspiel. Immerhin wird die Zeit um mich herum immer nur dann angehalten, wenn ich eine Vision bekomme. Und diese… Es ist soweit. Samantha ist gerade auf hundertachtzig, genauso wie die Kassiererin, die ihren Unmut kund tut, woraufhin sich Sam natürlich aufregt. Beide Frauen streiten sich gute fünf Minuten lang, bis es der Frau hinter der Glasscheibe zu viel wird und sie Samantha aus dem Kino schmeißt. Außerdem erteilt sie ihr noch zusätzlich, für ein ganzes Jahr, Hausverbot. Ich stöhne gefrustet auf und schüttle meinen Kopf. Manchmal ist Samantha wirklich anstrengend. Ich richte meinen Blick auf die Uhr über dem Schalter. Er zeigt 19:22 Uhr an, dann bewegt er sich mit einmal rückwärts, bleibt bei 19:20 Uhr stehen und springt gleich darauf eine Minute weiter vorwärts. Die Zeit verläuft wieder ganz normal. Damit meine Vision nicht eintrifft – solche Kleinigkeiten können ruhig verändert werden, ohne dass es Auswirkungen auf die Zukunft hat – wende ich mich unverzüglich Sam zu, die schon Luft für ihre Meckertriade holt und Ryans Hand wegfegt, die durch ihre Haare wuschelt. „Geduld ist eine Tugend, Fräulein Salomon“, necke ich sie mit einem Lächeln im Gesicht. „Aber kein Grund zur Sorge, das wirst du auch noch lernen. Bist ja noch jung.“ „Idiotin!“, erwidert sie daraufhin kichernd – und vergessen ist, dass sie sich eigentlich lautstark beschweren wollte. Ich blicke erneut zur Uhr. Und als ich sehe dass der Zeiger gerade auf 19:23 Uhr springt, seufze ich erleichtert aus. Das Unheil wurde abgewendet. Noch mal Glück gehabt. Es ist wirklich interessant wenn man bedenkt das ich nicht viel getan habe und es dennoch gereicht hat, um Samantha von einer Dummheit abzubringen. Was ein paar kleine Worte doch bezwecken können. „Du bist gerade mal einen Tag älter als ich, Charlie“, sagt Sam mit immer noch einem Lächeln im Gesicht. „Also spiel dich nicht so auf.“ Ryan und ich sehen uns an und versuchen ein grinsen zu unterdrücken, was uns aber nicht gelingt. Gespielt bockig verschränkt Samantha ihre Arme vor der Brust und dreht ihren Kopf von uns weg. Die Schlange vor uns hat sich mittlerweile aufgelöst und somit sind wir endlich an der Reihe. Ryan bezahlt die drei Karten, sowie eine große Packung Popcorn und für jeden was zu trinken. Dann begeben wir uns in den Kinosaale und suchen unsere Plätze. Und kaum das wir sitzen, würde ich am liebsten wieder aufstehen und gehen. Genau vor uns sitzen Ivonne, Mareike, Jens, Fabienne – meine persönlichen 4 Reiter der Apokalypse, und Alexander – mein heimlicher Schwarm. Ich bin wirklich am Überlegen ob ich lieber gehen sollte, doch da verdunkelt sich schon der Raum und die Werbung beginnt. Zu spät. Außerdem hat Ryan für uns alles bezahlt und da wäre es mehr als unhöflich, wenn ich jetzt die Biege gemacht hätte. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als die nächsten zwei Stunden auszuharren und zu hoffen, dass Ivonne uns nicht beim raus gehen mitbekommen. In meiner Freizeit kann ich auf das Zickentheater von ihr und ihrer Clique, wirklich verzichten. Die Werbung ist vorbei und schon beginnt der Film. Das erste was ich sehe sind blutunterlaufene Schriftzeichen – der Titel des Filmes: Das schwarze Herz! Ich versinke in meinem Sessel und seufze resigniert. Ein Horrorfilm… Auch das noch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)